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"Die Sachsen sprechen das schlechteste Hochdeutsch"

Nahost-Korrespondentin
Diese Karte zeigt ein Beispiel regionaler Sprach-Unterschiede: Wie nennen Sie das Endstück vom Brot, wenn Sie Dialekt sprechen? Diese Karte zeigt ein Beispiel regionaler Sprach-Unterschiede: Wie nennen Sie das Endstück vom Brot, wenn Sie Dialekt sprechen?
Diese Karte zeigt ein Beispiel regionaler Sprach-Unterschiede: Wie nennen Sie das Endstück vom Brot, wenn Sie Dialekt sprechen?
Quelle: Infografik Die Welt
Laut einer aktuellen Umfrage ist Sächsisch der unbeliebteste Dialekt. Ein Sprachforscher erklärt, woher das schlechte Image kommt und was hinter dem sächsischen Lieblingswort „ditschen“ steckt.

Vermutlich sind die Sachsen gerade ziemlich „dikschn“ (eingeschnappt): Auf einem aktuellen Ranking der beliebtesten deutschen Dialekte landeten sie mit Abstand auf dem letzten Platz. Zu Unrecht, findet Beat Siebenhaar, Professor für Germanistik an der Universität Leipzig. Der Schweizer erforscht die Wahrnehmung der sächsischen Mundart.

Die Welt: Kaum einer mag Sächsisch. Überrascht Sie das?

Beat Siebenhaar: Nein, negative Bewertungen dieses Dialekts gibt es schon seit dem späten 18. Jahrhundert. Dabei galt das Sächsische einmal als der angesehenste deutsche Dialekt überhaupt. Luther schrieb nach der sächsischen Kanzleisprache, und Goethe ging nach Leipzig, weil seine Eltern der Meinung waren, dass man dort das beste Hochdeutsch spreche. Erst mit dem Machtverlust Sachsens im Deutschen Reich sank auch das Ansehen des Dialekts. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die norddeutsche Art, Hochdeutsch zu sprechen, zur gesellschaftlichen Norm.

Die Welt: Es heißt Sächsisch sei eigentlich dem Französischen ähnlich.

Siebenhaar: Da gibt es alle möglichen Vergleiche, ja. Das kommt vielleicht daher, dass das „P“ im Sächsischen wie „B“ ausgesprochen wird, man sagt zum Beispiel „Baul“, statt „Paul“. Aber ob das nun ähnlich elegant klingt wie im Französischen? Nasale Laute hat das Sächsische jedenfalls nicht. Insofern sehe ich da keine allzu großen Überschneidungen.

Die Welt: Ist Sächsisch denn besonders misstönend, oder warum ist es so unbeliebt?

Siebenhaar: Ich glaube, das hat wenig mit der Sprache an sich, sondern mit sehr hartnäckigen Stereotypen zu tun. Wie etwa, dass Rheinländer gemütlich sind, oder Norddeutsche wortkarg. Sächsisch hat einfach ein schlechtes Image.

Die Welt: Bairisch steht hingegen hoch im Kurs.

Siebenhaar: Sehen Sie? Die Bayern sagen auch oft genug und vor allem laut, wie schön sie ihren Dialekt finden. Dieses Selbstbewusstsein fehlt den Sachsen leider.

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Die Welt: Brechen wir also eine Lanze für das Sächsische.

Siebenhaar: Gerne! Ich bin vor vier Jahren nach Leipzig gezogen und muss noch viel lernen. Das Sächsische ist für Anfänger der ideale Dialekt: Wenn jemand richtig Sächsisch spricht, werden Sie ihn immer noch verstehen. Wenn ich hingegen tiefstes Schweizerisch sprechen würde, bekämen Sie nichts mehr mit. Sächsisch ist der Dialekt, der dem Standarddeutschen am nächsten ist.

Die Welt: Wie bitte?

Siebenhaar: Abweichungen gibt es nur in wenigen Fällen. Vermutlich sind die Sachsen deshalb diejenigen, die am schlechtesten Hochdeutsch sprechen. Da der Dialekt so ähnlich ist, fällt es schwer, bewusst zu trennen. Es sind nur wenige Stellen, die sich lautmalerisch vom Standard unterscheiden, aber die fallen dann eben besonders auf – Außenstehenden eventuell auch besonders unangenehm.

Die Welt: Zu dem beliebtesten Wort haben die Sachsen in diesem Jahr „ditschen“ gewählt, danach „Plämpe“ und „Hitsche“. Wie übersetzen Sie das?

Siebenhaar: Ich muss zugeben, als Zugezogener stoße ich da immer wieder an meine Grenzen, deswegen habe ich mein Obersächsisch-Wörterbuch immer griffbereit. Aber „ditschen“ ist klar: das bedeutet „eintunken“.

Die Welt: „Plämpe“ steht für schlechtes Getränk, „Hitsche“ für Fußbank.

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Siebenhaar: Auch schön. Im letzten Jahr, war „gadschn“ das Lieblingswort, das heißt soviel wie schmatzend kauen. Ein anderer toller Begriff ist „Motschegiebchen“ für Marienkäfer.

Die Welt: Ähnlich schlecht wie das Sächsische steht auf der Beliebtheitsskala sonst nur das Berlinerische da ...

Siebenhaar: Nun, gegen die Hauptstadt hat man doch immer etwas, oder? Zudem wird Mundart in der Stadt selbst oft als fehlendes Vermögen, Hochdeutsch zu sprechen, wahrgenommen. Jemand der Dialekt spricht, wird sozial stigmatisiert.

Die Welt: Welche Veränderungen beobachten Sie bei deutschen Dialekten?

Siebenhaar: Zum einen gehen viele kleinräumige Formen verloren, also dialektale Besonderheiten, die man bis vor ein paar Jahren noch in vier oder fünf Dörfern gesprochen hat. Zum anderen nähern sich die Dialekte im allgemeinen immer weiter dem Hochdeutschen oder großregionalen Formen an. Die großen Dialekte bleiben allerdings bestehen. Insgesamt genießen Dialekte mittlerweile auch wieder ein höheres Ansehen, Mundarten werden vermehrt gepflegt.

Die Welt: Wird das Sächsische überleben?

Siebenhaar: Ich hoffe es! Jede Sprache, die uns Heimat vermittelt, ist doch schön. Sie bietet Möglichkeiten zum Differenzieren, die das Standarddeutsche nicht hat. Und auch wenn das Sächsische so wenig gemocht wird – immerhin polarisiert es.

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