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Panorama Schauspieler-Tochter

Mit einem Trick überstand Mühe acht Schulwechsel

Anna Maria Mühe ist erst 28 Jahre alt, aber schon seit 13 Jahren Schauspielerin. Ein Treffen auf Föhr und ein Gespräch über Jugend: anlässlich des Films „Junges Deutschland“, der am Ostermontag läuft.

Anna Maria Mühe wohnt in Berlin, aber um sie zu besuchen, muss man sechseinhalb Stunden fahren, sich in drei verschiedene Züge und eine Fähre setzen. Aber für Anna Maria Mühe würde man auch noch fünfhundert Meilen fahren, nur, um vor ihrer Tür zusammenzubrechen.

In der Bahn in Richtung Sylt, auf diesen blau karierten Sitzen sitzt also ein Ehepaar. So um die 65. Sie blättert in der „Vogue“ in einem roséfarbenen Kostüm von Chanel. Ganz aufrecht tut sie das, höhere Töchterschule, das sieht man. Links neben ihr steht eine schwarze Birkin-Bag von Hermès. Das sind die besten Handtaschen der Welt, weil Jean-Louis Dumas von Hermès die Tasche nämlich genau nach den Vorgaben von Jane Birkin entworfen hat. Der Mann unserer Chanel-Dame schnarcht. Und als der Schaffner die Fahrscheine der Reisenden sehen will, streicht sie ihm über das Knie. „Hansi, Schatz“, sagt sie, „der nette Mann möchte die Fahrscheine sehen.“

Hansi wacht auf. Fasst sich ins Jackett. Holt einen Money Clip und die zwei Fahrkarten raus. In diesem Money Clip sind bestimmt zwanzig 50-Euro-Scheine. Hansi zeigt die Fahrkarten. „Vielen Dank“, sagt der nette Mann. Geld und Fahrkarten verschwinden im Jackett. „Schlaf ruhig weiter, ich weck dich, Schatzi“, sagt seine Frau noch. Sie streichelt ihm erneut über das Knie, und als wir Husum im Regen passieren, ist Hansi schon eingeschlafen.

Ein Film über deutsche Jugendkultur

Mit Anna Maria Mühe wollen wir auf Föhr über die Jugend sprechen. Am Ostermontag läuft in der ARD der Film „Junges Deutschland“. Darin schauen sich Kostja Ullmann und Anna Maria Mühe an, was die deutsche Jugend von 1900 bis heute so getrieben hat. Fred Grimm, eigentlich ein Journalist, hat ein Buch dazu geschrieben. „Wir wollen eine andere Welt“ heißt es.

Darauf aufbauend, hat nun der Regisseur Jan Hinrik Drevs den Film gemacht. Kostja Ullmann und Anna Maria Mühe spielen darin die Hauptrollen. Ullmann und Mühe spielen, dass sie in einer Wohnung zusammenleben, Platten aus den verschiedenen Zeiten anhören. 20er-Jahre-Swing. In Tagebüchern blättern. Tagebucheinträge von Frontsoldaten – Erster und Zweiter Weltkrieg. Oder Super-8-Aufnahmen aus West-Berlin anschauen. Mühe und Ullmann spielen dabei auch Szenen dieser Zeiten selber nach. Mühe als Dienstmädchen am Anfang des 20. Jahrhunderts in Schwarz-Weiß. Ihr Dienstherr wird sie später in ihrer Kammer besuchen. Ullmann als Ost-Punker in den Achtzigern. Es ist ein unterhaltsamer Neunzig-Minuten-Exkurs durch mehr als hundert Jahre Jugendkultur.

Da steht sie, vor dem Ferienhaus auf Föhr – das Dach ist mit Reet gedeckt, Flugplatz und Golfplatz sind gleich um die Ecke – in Jeans, einem quer gestreiften Matrosenhemd und einem Halstuch. So unaufgeregt. Sie sagt so bezaubernd „Hallo“, so, als ob man zusammen zur Schule gegangen wär. Hallo einfach. Nicht steif. Nicht förmlich. Aber auch nicht zu viel Nähe. Das perfekte Hallo. „Hallo.“

Wer arbeitet, ist erwachsen

Wir gehen rein. Beim Schließen der Tür baumelt eine schwarze Tasche von Boss am Haken. Wir würden so gern rauchen, das merken wir sofort. Anna Maria hat ihre Zigaretten nass werden lassen, weil sie die über Nacht auf einem anderen Tisch auf der Terrasse hat liegen lassen. Eine habe sie heute schon probiert, die sei aber sehr stark gewesen nach dem Trocknen auf der Heizung. Also keine Zigarette. Aber Tee. Wieder fallen ein paar Tropfen. Das Meer ist unruhig.

Achtundzwanzig ist sie jetzt. Damit ist sie natürlich schon mindestens zehn Jahre von der eigenen Jugend entfernt, aber auch nicht so weit, dass man mit ihr über die nicht sprechen könnte. Eigentlich sind es mehr als zehn Jahre. Weil sie mit fünfzehn schon Schauspielerin wurde, die Schule schmiss und von da an arbeitete. Wer arbeitet, ist erwachsen. Da kann man auch noch so zierlich sein, mit einer solchen Leichtigkeit durch große deutsche Fernsehfilme tänzeln, dass es nicht nach Arbeit aussieht.

Im Film sieht man Mädchen, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts arbeiten mussten, die nicht zur Schule gehen dürfen. Mühe hat die Schule freiwillig früh verlassen. „Es war ja auch nicht so, dass ich am Montag gesagt habe, ich geh’ jetzt nicht mehr zur Schule. Das war sehr wohlüberlegt. Ein langer Prozess. Ich habe mit meinen Eltern, dem Schulleiter und meiner Agentin gesprochen. Die Agentin mit dem Schulleiter. Die Agentin mit meinen Eltern.“ Das letzte Mal zur Schule geht sie mit siebzehn.

Zehn verschiedene Geschichtslehrer

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Geboren in Ost-Berlin. Tochter von Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann. Aus der Schauspielertochter wurde selbst eine Schauspielerin. Wahnsinnig früh, 2001, wurde sie von einer Regisseurin in einem Café entdeckt. 2002 kam dann „Große Mädchen weinen nicht“, ihr erster Film, in dem sie zusammen mit Karoline Herfurth zu sehen war. Herfurth war Steffi, und Anna Maria Mühe war Kati. Kati rauchte und trank und wurde erwachsen. Und schaute Steffis Vater beim Fremdgehen zu. Anna Maria Mühes Karriere begann eigentlich mit einer Jugendstudie.

Anna Maria Mühe ging selbst auf acht verschiedene Schulen. Sie hatte zehn verschiedene Geschichtslehrer. In Wien. In Berlin. In Hamburg. Sonst wo. Teenager sein, jung sein, das heißt Gruppendruck. Egal in welche Richtung. Wichtig ist, was du hörst, welche Filme du gut findest und was du trägst natürlich. Und Mühe hatte da einen Trick, um nicht anzuecken. „Durch das andauernde Umziehen musste ich mich immer ganz schnell wieder anpassen. Ich habe mir die Klamotten meiner Mitschüler angeguckt, und dann bin ich zu H&M gerannt und habe mir diese Sachen gekauft. Wenn du wusstest, du hast jetzt sechs Monate in der Klasse, und du wolltest halbwegs durchkommen, dann musstest du eben mitziehen.“

Mühe trug also Camouflage. Ihr Camouflage, das waren in Wien die Baggy Pants von Dickies oder Carhartt. Das trug man damals. Im Jahr 2000 wollten Jugendliche Skateboarder sein. Skate-Boys und Skate-Girls. Ein Jahr davor war sie in Hamburg und schrieb Naturgedichte über ein Bächlein dort. Mit vierzehn war Anna Maria auf der Loveparade, zwischen vögelnden Menschen. Die hat sie wirklich gesehen im Tiergarten. „Das war sehr erschreckend.“

2012 Mutter geworden

Vom Sex auf der Loveparade zum nächsten Trauma der Jugend. Mathe-Unterricht. Anna Maria Mühe, ihr Gruß an den Mathelehrer der siebten Klasse, bitte. Sie überlegt. „Wo war ich denn da?“ Dreizehn war sie auf jeden Fall. Hamburg? Der Lehrer sei Diabetiker gewesen und habe wohl gestunken. In den Mutmaßungen vermengt sich das alles. Wahrheit. Interpretation. Zurechtgelegtes. Um die eigene Jugend bilden sich Legenden, es ranken sich Mythen, die man selbst schreibt, erfindet, schließlich glaubt. Mühe erinnert sich dann doch. Der Diabetiker, der kam aus Berlin. „Ah, na klar. Hamburg. Der war herrlich. Wenn wir zu laut waren, hat der sich so hingesetzt.“

Anna Maria Mühe steckt sich jetzt beide Finger in die Ohren. Mit so einer Hingabe, dass es beinah Plopp macht. Die Beine legt sie über Kreuz auf den Stuhl. Gerader Blick. Brust raus. Gerader Rücken. Meine Güte, was muss das für ein Lehrer gewesen sein. Und Anna Maria Mühe bleibt einfach so sitzen. Wenn man die Schneidersitz-Mühe so sieht, mit den Zeigefingern in den Mathelehrer-Mühe-Ohren, man muss einfach loslachen.

Im November 2012 wurde Anna Maria Mühe Mutter. Siebenundzwanzig. Ein gutes Alter, um Mutter zu werden. Nicht zu spät. Nicht zu früh. „Tschuldigung“, sagt Mühe und nach oben „Ich komme gleich.“ Und dazu kommt eine andere Frauenstimme. „Die Mami arbeitet noch.“ Und wieder Mühe. „Ich komm gleich.“ Die Tochter: „Mama!“ Die Mutter: „Wenn ich jetzt hingehe, komm ich nie wieder weg. Lassen Sie uns lieber weitermachen.“

Golden glänzend vor dem Reetdach

Wir machen weiter.

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An ihrer Jugendzimmerwand hingen Take That. Wegen Robbie? „Nee, ich fand keinen von denen geil oder war verliebt.“ Sexualkundeunterricht hätte sie am liebsten nach Geschlechtern getrennt. „Die Mädchen in der neunten Klasse und die Jungs in der elften.“ Und einmal, da war sie sogar auf einer Anti-Atom-Demo, und das, obwohl sie Menschenmengen hasst. Das muss mindestens genauso gut ausgesehen haben, wie die Lehrer-Anna-Maria. Die Anti-Atom-Anna-Maria.

Als wir uns verabschieden, hat es aufgehört zu regnen. Die Nachmittagssonne gibt Anna Maria Mühes Haut einen goldenen Glanz. Föhr hat als Insel einen eigenen Slogan. „Föhr – Friesische Karibik“. Und irgendwie wartet man, wenn man den das erste Mal liest, auf Kurt Felix oder Frank Elstner, die erklären, dass es den Slogan gar nicht gibt, dass das alles ein Witz war. Aber Föhr meint das mit der friesischen Karibik ernst. Da verstehen die Föhrer keinen Spaß. Und wenn man jetzt Anna Maria Mühe golden glänzend vor ihrem Reetdach-Ferienhaus stehen sieht – im Matrosen-Hemd, mit den blauen Augen –, da glaubt man das auf einmal mit der Karibik.

„Junges Deutschland“, ARD, Ostermontag 18.30 Uhr, 90 Minuten

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