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Wirtschaft Spielzeug leihen

Shareconomy hält Einzug in deutsche Kinderzimmer

Wirtschaftskorrespondent
Wenn Kinder das geliehene Spielzeug allzu lieb gewonnen haben, können die Eltern es auch kaufen – mit deutlichen Preisnachlässen Wenn Kinder das geliehene Spielzeug allzu lieb gewonnen haben, können die Eltern es auch kaufen – mit deutlichen Preisnachlässen
Wenn Kinder das geliehene Spielzeug allzu lieb gewonnen haben, können die Eltern es auch kaufen – mit deutlichen Preisnachlässen
Quelle: Getty Images/Flickr RF
Dass die Deutschen gerne Autos oder Werkzeug teilen, ist bekannt. Doch nun hat der Trend der Shareconomy auch die Spielwarenbranche erfasst. Experten aber bezweifeln, dass das Modell funktioniert.

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Kinder wollen grundsätzlich alles haben. Die Holz-Eisenbahn, das große Piratenschiff und den Bauernhof, dazu die Kugelbahn, das Puppentheater und nicht zuletzt allerlei Brettspiele. An mangelnder Spielfläche werden die zahlreichen Wünsche nicht scheitern. Das Kinderzimmer lässt sich schließlich problemlos auf den Flur und von dort auch noch bis zum Wohnzimmer erweitern. Etliche Eltern haben das sicher schon miterlebt.

Schwieriger ist dagegen die Frage nach der Finanzierung. Denn für den pädagogisch wertvollen Zeitvertreib werden in Summe durchaus einige Hundert Euro fällig. Bisher jedenfalls. Abhilfe schafft neuerdings die Firma von Florian Spathelf. Sein Berliner Start-up Circus Internet verschickt die Wunsch-Produkte für einen Bruchteil des Originalpreises.

„Teilen und Tauschen“ heißt das Motto. Denn das von dem Unternehmen betriebene Portal MeineSpielzeugkiste.de ist ein Mietservice für Spielwaren. In anderen Lebensbereichen ist dieses Prinzip längst Standard. Die Deutschen nutzen Autos gemeinsam, teilen Fahrräder und Werkzeuge oder auch Möbel und Kostüme.

Shareconomy heißt das auf neudeutsch. Auf der IT-Messe Cebit wurde die Ökonomie des Teilens zuletzt sogar als großes Leitthema gefeiert. Nun hat der Trend auch das Kinderzimmer erreicht. Anbieter gibt es gleich mehrere, angefangen bei MeineSpielzeugkiste.de über rentatoy.info bis hin zu elternmarkt.de.

Gemietetes Produkt kann erworben werden

Das Prinzip der Verleiher ist einfach: Bei MeineSpielzeugkiste.de etwa stellen sich Eltern auf der Internetseite des Unternehmens ein Paket mit zwei bis sechs Spielzeugen zusammen. Die ausgesuchten Teile werden dann frei Haus geschickt und dürfen dort beliebig lange genutzt werden. Haben die Kleinen schließlich die Lust verloren, schicken die Eltern die Sachen zurück und eine neue Kiste kommt ins Haus. Je nach Inhalt werden bei diesem Abo-Modell 14, 24 oder 34 Euro im Monat fällig.

Sollte sich ein Kind partout nicht von seinem Lieblingsspielzeug trennen wollen, kann die Familie das gemietete Produkt auch kaufen – zu einem deutlich reduzierten Preis. Rund 700 Abonnenten haben Spathelf und sein Team mittlerweile akquiriert, vorwiegend in großen Städten wie Berlin, Hamburg, Köln oder Stuttgart. Bis Mitte nächsten Jahres soll sich die Zahl bereits auf 2500 vervielfachen, planen die Verleiher.

Die große Zuversicht begründet Spathelf mit dem zunehmenden Vertrauen der Spielwarenindustrie. „Die großen Hersteller arbeiten mit uns, nicht gegen uns“, sagt der 29-Jährige. Zehn Marken hat MeineSpielzeugkiste.de mittlerweile im Angebot, darunter Playmobil und Lego Duplo, Ravensburger und Matell oder Brio und Haba.

„Warum sollen wir da nicht mitmachen?“, fragt Michael Schlücke, der Verkaufsleiter von Haba in Deutschland. „Die Portale kaufen die Ware bei uns ein. Für uns ist das also ein ganz normales Geschäft. Und ganz nebenbei bekommen wir auch noch zusätzliche Werbung für unsere Marke.“

Und auch Erfahrungsdaten. Spathelf jedenfalls wirbt gegenüber der Spielwarenindustrie mit spannenden Statistiken. „Wir verstehen uns auch als Markt- und Meinungsforschungsinstitut. Denn bei uns erfahren die Hersteller, welches Spielzeug wie gut im Markt ankommt.“

Retouren werden aufpoliert und neu verpackt

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Das könnte auch andere Markenanbieter überzeugen. Das zumindest zeigt eine Umfrage der „Welt“ auf der Messe Kind+Jugend in Köln, auf der rund 1000 Aussteller in dieser Woche die Trends und Neuheiten für Neugeborene und für Kleinkinder unter fünf Jahren präsentieren. Der Kettcar-und Dreirad-Hersteller Kettler zum Beispiel zeigt sich offen für eine Kooperation.

„Natürlich würden wir lieber jedem Interessierten ein Dreirad verkaufen“, sagt Produkt-Manager Matthias Sauer, nachdem er gerade die neuste Errungenschaft seines Hauses vorgestellt hat. Beim Dreirad „Toptrike“ sind Sandspielzeug und Transportbehälter gleich inklusive. Dreiradfahren alleine könne schließlich schnell uninteressant werden, erklärt Sauer. Daher habe Kettler einen zusätzlichen Spielnutzen eingebaut. Das Mietmodell hat für Sauer den Charme, dass „wir damit auch Unentschlossene erreichen und dann überzeugen könnten“.

Ob es diesen Mechanismus tatsächlich gibt, ist längst nicht bewiesen. „Wir haben bislang keine Erfahrungswerte“, sagt zum Beispiel Haba-Mann Schlücke. Umgekehrt achtet er peinlichst genau darauf, dass ihm die Kooperation nicht sogar Ärger bringt, etwa weil das Spielzeug abgenutzt aussieht, wenn es an einen neuen Kunden geht. Das würde der Marke schaden.

Doch Versender Spathelf schließt solche Fälle aus. Retouren würden intensiv gereinigt, aufpoliert und anschließend neu verpackt, versichert der Unternehmer. Noch dazu zeige die Erfahrung, dass gerade diejenigen Spielzeuge, mit denen intensiv gespielt werde, die also überhaupt erst ramponiert aussehen könnten, von den Eltern gekauft werden. „Schließlich hat es den Kindern offenbar besonders gut gefallen.“ Unbrauchbar seien am Ende nicht mal zwei Prozent der Ware, erklärt Spathelf.

Experten sehen Modell kritisch

Werner Lenzner hält das Geschäftsmodell dennoch für eine Modeerscheinung. „Das ist ein netter Gedanke, auf Dauer aber wenig praktikabel“, prognostiziert der Geschäftsführer des auf Spielwaren spezialisierten Marktforschungsinstituts npdgroup. „Wie wollen Sie kontrollieren, ob auch jeder Lego-Stein zurückgeschickt wurde?“, kritisiert der Experte.

Und Lenzner sieht weitere Probleme: So sei zum Beispiel Spielzeug für Kinder über drei Jahren ständig neuen Moden unterworfen, insbesondere durch Lizenzen. „Diese Sachen sind also schnell alt und nicht mehr angesagt“, erklärt der Branchenkenner. Das gehe für die Anbieter ins Geld.

Noch dazu sei die Menge der Spielzeuge begrenzt. Tatsächlich kündigen bei MeineSpielekiste.de 80 Prozent der Kunden, weil sie keine neuen Spielzeuge mehr finden. Zwar kann sich die Kündigung durch zusätzlich akquirierte Hersteller und ein dadurch erweitertes Sortiment verzögern. Das Grundproblem aber bleibt Experten zufolge bestehen. „Es müssen schon die großen, teuren Artikel sein“, sagt Marktforscher Lenzner. Kleinteile für ein paar Euro werde sich keiner leihen.

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Das glaubt auch Willy Fischel. „Dafür sind Eltern und Großeltern heute viel zu spendabel“, sagt der Geschäftsführer vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels (BVS). 486 Millionen Euro haben die Deutschen im vergangenen Jahr für Baby- und Kleinkinderspielzeug ausgegeben, melden die Marktforscher von Eurotoys. Das sind 241 Euro pro Kind.

Rechnet man die restliche Ausstattung hinzu, also Kleidung, Möbel, Kinderwagen und ähnliches zahlen Eltern in den ersten drei Lebensjahren sogar durchschnittlich 1131 Euro pro Jahr für den Nachwuchs.

Keine Gefahr für den Fachhandel

Einen kleinen Teil davon könnten sich die Verleiher sichern, glaubt Fischel. Auch wenn die Marktrelevanz derzeit praktisch noch gleich Null sei. Eine Gefahr für den Fachhandel sieht er aber auch in Zukunft nicht: „Das ist lediglich eine weitere Blüte im Betriebstypenreigen.“

Die Neugier treibe sicherlich einige Leute dorthin, so wie sie auch einige Hersteller angetrieben habe. Nichtsdestotrotz werden sich etliche Eltern schwer tun mit dem Ausleihen. Noch dazu seien Spielzeuge auch Erinnerungsstücke. „Dass es sich am Ende rechnet, muss erst noch bewiesen werden“, sagt Fischel.

Florian Spathelf gibt sich dagegen zuversichtlich. Schon Mitte 2014, also drei Jahre nach der Gründung und eineinhalb Jahre nach dem Marktstart, soll MeineSpielekiste.de profitabel sein. Dann allerdings müsste er mit einer ganzen Reihe von Investoren teilen. Denn Spathelf hat sich Kapital per Crowdfunding besorgt. 100.000 Euro kamen über die Plattform Companisto in die Firmenkasse.

Dass seine beiden Mitgründer bereits wieder ausgestiegen sind, versteht er nicht als Signal. „Die hatten noch andere Projekte.“ Er selbst richtet sich auf eine lange Firmensteuerung ein. Denn das Teilen sieht er als gesellschaftlichen Trend an. „Vor allem jungen Menschen ist Flexibilität heute wichtiger als sich beispielsweise das Zimmer mit Möbeln vollzustellen.“ Besitz habe nicht mehr einen so hohen Stellenwert wie früher.

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