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Wirtschaft Klimawandel

Güterstrom durch dünnes Eis

Geschmolzen: Die Nordwestpassage soll bald von Tankern befahren werden Geschmolzen: Die Nordwestpassage soll bald von Tankern befahren werden
Geschmolzen: Die Nordwestpassage soll bald von Tankern befahren werden
Quelle: pa/dp
Der Klimawandel eröffnet den Seeweg durch die Arktis. Für Handelsschiffe ist das attraktiv. Die Nordwestpassage würde Touren von Europa nach Asien erheblich verkürzen. Nun beginnen die Reeder zu kalkulieren.

Die Erderwärmung, lautete ein Spruch, der im Regensommer 2007 die Runde machte, sei auch nur ein weiteres uneingelöstes Versprechen. Doch ein paar tausend Kilometer nördlich von Deutschland machte sich der Klimawandel in diesem Jahr auf dramatische Weise bemerkbar. Bilder des ESA-Satelliten Envisat, die in dieser Woche um die Welt gingen, zeigen, dass die Eisschmelze viel schneller als erwartet vorangeschritten ist – die Eisfläche verminderte sich innerhalb eines Jahres um eine Million.

Ein Extremereignis, das nicht nur unter Klimaforschern für Aufsehen sorgt. Die Polarregion rückt schlagartig auch in den Fokus kaufmännischen Interesses. Die Satellitenbilder offenbarten nämlich, dass erstmals seit Beginn der Satellitenbeobachtung die legendäre Nordwestpassage wieder schiffbar ist. Ein gigantischer Schleichweg zwischen Nordatlantik und Pazifik, mit dem die Welthandelsflotte in Zukunft Millionen wenn nicht Milliarden Euro sparen könnte.

Die Nordwestpassage treibt die Handelsschifffahrt seit Ende des 15. Jahrhunderts um wie ein mystischer Schatz. Denn eine schiffbare Verbindung durch das arktische Meer würde die Verbindung zwischen Europa und wichtigen Wirtschaftsregionen wie Japan, Korea, Nordchina und Ostrussland im Vergleich zur heute gebräuchlichen Route durch den Suezkanal um bis zu 4000 Seemeilen, also fast 7500 Kilometer verringern.

Reden hoffen auf mehr als eine halbe Million Euro Ersparnis – pro Tour.

„Ein unschlagbarer Vorteil, der von den Schifffahrtsunternehmen zügig genutzt werden dürfte“, sagt Jörn Brossmann, Shipping-Analyst der HSH Nordbank. Beim weltgrößten Schiffsfinanzierer geht man davon aus, dass die Nordwestpassage bereits in 15 Jahren für mindestens sechs Monate im Jahr schiffbar sein könnte. Damit wäre die Voraussetzung für die Etablierung einer neuen Handelsroute gegeben, auf der Reeder und Schiffs-Charterer künftig viel Zeit und Geld sparen könnten.

„Jeder Tag auf See kostet 50000 Dollar oder mehr. Hinzu kommt bei einem großen Schiff Treibstoff bis zu 100000 Dollar“, rechnet Max Johns vom Verband Deutscher Reeder vor. Eine um fünf Tage kürzere Route durch die Arktis könnte demnach theoretisch 750000 Dollar ersparen, mehr als eine halbe Million Euro – pro Tour.

Allerdings ist das noch eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Experten halten für möglich, dass durch die Eisschmelze die Schifffahrt in den Polarmeeren zunächst eher noch gefährlicher werden könnte. „Von den abschmelzenden Gletschern in Grönland und Kanada werden sich vermehrt Eisberge lösen, die noch auf Jahrzehnte die Schifffahrt in der Nordwestpassage gefährden dürften“, sagt Wolfgang Dierking vom Alfred-Wegener-Institut. „Stürme werden sich wegen des fehlenden Meereises stärker auswirken, die Küstenerosion wird zunehmen.“


Selbst für hartgesottene Seeleute ist dieses Seegebiet ein Albtraum: Schwere Stürme peitschen die Gischt auf Deck, wo sie an den Aufbauten umgehend zu zentimeterdicken Placken gefriert. Ständig droht Gefahr durch treibende Eisberge. Und während entlang der Schifffahrtsrouten sonst jeder Stein auf dem Meeresgrund kartografiert ist, sind die Seekarten für das arktische Meer äußerst unvollständig und veraltet.

Die Schiffe sind zwar deutlich größer geworden als die 21 Meter lange „Slup“, mit der Roald Amundsen vor 101 Jahren die Nordwestpassage erstmals in einer dreijährigen Odyssee durchsegelte. Doch die Kapitäne werden ähnlich allein dastehen wie der Abenteurer: Es gibt dort keine Kette von Wartungs-, Versorgungs- und Treibstoffstationen, auch keine Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Das einzige Dock weit und breit steht in Nanisivik in Kanada. Eine Abkürzung durch die Polregion wird noch lange Schifffahrt im Grenzbereich bedeuten. Das sind nicht gerade Bedingungen für Volldampf voraus. „Wir halten es für ausgeschlossen, dass Schiffe dort mit 22 Knoten fahren werden“, meint auch Max Johns. Und Geschwindigkeit ist nicht der einzige Kostenfaktor, mit dem die Reeder im hohen Norden kalkulieren müssen. Ein erhöhtes Havarierisiko bedeutet automatisch höhere Prämien für Schiffe, die für dieses Fahrtgebiet versichert werden. Für eine hohe Eisklasse müssen Tanker aus dickerem Stahl gebaut werden. Und wenn regelmäßig Treibeis am Lack kratzt, steigen nicht zuletzt auch die Kosten für den Anstrich.

Russland wittert das Transitgeschäft im Osten

Hinzu kommt politischer Streit. Kanada betrachtet das arktische Archipel als nationales Gewässer. Nicht zuletzt aus Gründen des Umweltschutzes wollen die Kanadier den Verkehr durch das hochempfindliche Ökosystem begrenzen und möglicherweise für bestimmte Güter ganz verbieten. Vertreter anderer Handelsnationen, vor allem der USA, sagen dagegen, die Passage müsse als internationale Schifffahrtsstraße betrachtet werden. Der Ausgang dieses Streits ist offen.

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Die Europäer schielen denn auch auf eine andere mögliche Route durch die Arktis – die Nordostpassage entlang der sibirischen Küste. Anders als die Kanadier, wittern die Russen in den wärmeren Lüftchen das große Geld. Sie wollen nicht nur an die Bodenschätze, wie sie unlängst etwas possenhaft dokumentierten, indem sie am Pol ihre Flagge in den Meeresgrund rammten. Russland betrachtet die Arktis nicht nur als ein gigantisches Rohstofflager, sondern auch als eine mögliche Transitstrecke, die sich kommerziell nutzen lässt. Die russische Murmansk Shipping Company baut seit Jahren ihre Flotte aus und besitzt schon jetzt so viele zivile Atomeisbrecher wie niemand sonst auf der Welt.

Mit ihrer Hilfe will Russland möglichst bald eine verlässliche Route durchs Eis schlagen und diese wie die Anrainer des Panama- und Suezkanals kommerziell nutzen. Panama etwa verlangt für eine Passage 100000 Dollar, die Volkswirtschaft des mittelamerikanischen Staates lebt zu einem nicht unerheblichen Teil von den Kanalgebühren. Und ähnliche Dimensionen schweben auch den Russen vor, sagt Reeder Johns: „Das soll keine Discountstrecke werden.“

Containerdampfer verkehren wie Linienbusse

Panama, das just mit einem milliardenteuren Ausbau des künstlichen Wasserwegs begonnen hat, muss dennoch nicht fürchten, auf seinen Investitionskosten sitzen zu bleiben. Denn für die Containerschifffahrt, die den größten Teil aller weltweit verschifften Waren transportiert, werden Nordost- und Nordwestpassage wohl gleichermaßen unattraktiv bleiben. Denn die riesigen Containerdampfer verkehren heute wie Linienbusse auf festen Handelsrouten mit mehreren Haltestellen auf der Strecke. Ein Frachter aus Hamburg kann etwa auf dem Weg nach Hongkong unterwegs noch Häfen im Mittelmeer oder Dubai anlaufen, um Boxen ein- oder auszuladen. Auf dem Weg durchs arktische Meer gibt es nicht viel mehr als Eisschollen und Polarbären.

Doch für Massengutfrachter könnte die Nordkurve zu einer Alternative werden. Bei anhaltender Temperaturentwicklung könnten Tanker und Bulker mit großen Ladungen Öl, Erz oder Stahl schon in ein oder zwei Jahrzehnten ihre Routen in Winter- und Sommerfahrpläne aufteilen. Wenn auf der nördlichen Hemisphäre der Winter einkehrt, verkehren sie auf den herkömmlichen Routen, im Sommer pendeln sie zwischen Europa und Asien durch die Arktis.

Bereits jetzt steigt die Zahl der Schiffe, die mit höherer Eisklasse gebaut werden. Die Nordwestpassage war in diesem Jahr zwar nur kurz befahrbar und die Nordostroute gar nicht. Doch bei einer wirtschaftlichen Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren rückt die mögliche Nordroute bereits jetzt in die Kalkulation der Reeder.

Denn sie wäre eine große Nische: „Natürlich sprechen wir nur über einen Bruchteil des Welthandels“, sagt Shipping-Analyst Brossmann. „Wenn Nordwest- und Nordostpassage befahrbar sind, dürften hier anfangs maximal jeweils ein Prozent der Gesamtnachfrage abgewickelt werden.“ Was immer noch einem jährlichen Warenumschlag von 20 Millionen Tonnen entspräche.

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