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Wirtschaft Iran

Das millionenschwere Geschäft mit Perserteppichen

Im Schatten der Embargos macht der Iran gute Geschäfte mit handgeknüpften Perserteppichen. Nun könnte ausgerechnet die Lockerung der Handelsbeschränkungen zum Problem werden.

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Der Lastwagen, der an diesem Wintermorgen in die Hamburger Speicherstadt rollt, hat acht Tage Fahrt und einige Tausend Kilometer hinter sich. Nun hält er vor einem rot geklinkerten Lagerhaus. In der ersten Etage öffnet sich eine Luke. Lagerarbeiter lassen die Haltetaue einer einfachen Seilwinde herab und beginnen damit, die wertvolle Fracht Stück für Stück ins Warme und Trockene zu hieven: 1650 handgeknüpfte Perserteppiche, gerade eingetroffen aus Teheran. Eine Szene wie aus längst vergangenen Tagen. Seilwinde? Handgeknüpft? Aus Teheran? Schwer zu sagen, was hier am meisten verwundert.

Der Iran hat sich in den vergangenen Jahren politisch isoliert. Das Land ist noch immer weitreichenden Handelsbeschränkungen unterworfen. Die Eskalation im Atomstreit brachte mit den Ölexporten die größte Einnahmequelle des Staates weitgehend zum Versiegen. Trotz der jüngsten Lockerungen sind zentrale Teile der Wirtschaft des Landes vom Weltmarkt abgekoppelt. Und doch gibt es im Iran einen Wirtschaftszweig, der ungeachtet aller politischen Umstürze und internationalen Zerwürfnisse, im Grunde sogar ungeachtet der Industrialisierung einfach so weitermacht wie eh und je: die Teppichknüpfer.

Im Alltag westlicher Industriestaaten ist die Existenz dieses Handwerks weitgehend in Vergessenheit geraten. Für den Iran ist die Nischenbranche dagegen eine der wenigen Konstanten seines Außenhandels. Denn anders als in den USA, wo selbst Bodenbelag unter das Embargo fällt, durfte Teppich auch zu Zeiten des strengsten Embargos in die Europäische Union eingeführt werden. Die Zollstatistik weist für das vergangene Jahr 2012 eine Einfuhr von 1266,9 Tonnen Teppich aus dem Iran nach Deutschland aus, Warenwert: 28,5 Millionen Euro.

300 Jahre Handarbeit in einer Lkw-Ladung

Der größte Teil der Auslegeware landet erst einmal in Hamburg. Die Hansestadt ist traditionell die zentrale Drehscheibe des deutschen und europäischen Teppichhandels. Schon vor über hundert Jahren wurden in der Speicherstadt Teppichballen von den Hafenbarkassen direkt in die Rotklinkerbauten des Zollfreilagers verladen. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Szenerie dramatisch geändert. Von den über 300 Teppichhändlern, die in den 90er-Jahren noch in der Speicherstadt ansässig waren, sind nur noch rund 50 geblieben. In den Barkassen sitzen schon lange nur noch Touristen. Die Ware reist per Lkw, nicht selten auch per Luftfracht.

Mit dabei ist manchmal auch Homayoun Farhadian. Der Iraner eilt in dem Hamburger Speicher mit dem Telefon am Ohr zwischen hüfthohen Teppichstapeln hindurch. Mit einem Auge hält er die Verladeaktion im Blick, während er mit leiser Stimme die Details einer Lieferung bespricht, die in ein paar Tagen am Flughafen Osaka landen soll. Übergangslos wechselt er von Farsi ins Englische und schließlich zu akzentfreiem Hamburgisch.

„Japan wird für uns immer wichtiger. Ein sehr, sehr guter Markt“, erklärt Farhadian, der an der Elbe aufgewachsen ist. Seine Familie betreibt schon in der dritten Generation Teppichhandel zwischen Teheran und Hamburg und setzt dabei heute Waren in zweistelligem Millionenwert um. Über eine Handelsachse, die mehr denn je unterschiedliche Kontinente, Kulturen und politische Systeme verbindet. „Politik“, sagt Farhadian, „interessiert mich nicht. Ich bin Kaufmann.“

In Hamburg ist Farhadian nur noch selten. Normalerweise führen hier seine beiden Schwestern Rana und Banafsheh das Regiment. Homayoun reist derweil durch die Dörfer des Südiran, um Ware auszusuchen. Die Teppiche werden wie vor Jahrhunderten von Nomadenfamilien in Heimarbeit gefertigt. Auf dem Boden sitzend, verknüpfen sie mit unendlicher Geduld Abertausende kleiner Schafwollfädchen zu traditionellen, im Detail stets individuellen Mustern. Der Entstehungsprozess vollzieht sich in einer Langsamkeit, die im krassen Gegensatz zur Taktung einer modernen Industriegesellschaft steht. An einem Quadratmeter Feinteppich sitzt ein Knüpfer ein bis zwei Monate. In einer Lkw-Ladung von 4000 Quadratmeter Orientteppich stecken so rund 300 Jahre Handarbeit.

Immer weniger Knüpfer

Und genau das wird für die Branche zunehmend zum Problem. Denn während sich die Knüpftechniken, die verwendeten Naturfarben und die Wolle vom lebenden Schaf über die Jahrhunderte kaum geändert haben, ist das Leben der Menschen ein anderes geworden, auch in den Dörfern im Südiran. Die meisten Nomaden leben längst nicht mehr in Zelten, sondern in Häusern. „Auch in den Dörfern, die traditionell von der Teppichproduktion leben, wollen die jungen Leute heute lieber studieren“, beobachtet Farhadian. Es gibt immer weniger Knüpfer. Die Arbeitslöhne steigen, und mit ihnen die Fertigungskosten für ein Produkt, das ohnehin immer schwerer an den Mann zu bringen ist.

Nach Preisstürzen in den 90ern haben sich die Quadratmeterpreise für handgefertigten Teppich in den letzten zehn Jahren wieder mehr als verdoppelt. Allerdings nur, weil die Händler aufgrund gestiegener Herstellungskosten ihre Preise anheben mussten. Handgeknüpfte Orientteppiche kosten zwischen 400 und 1200, besonders edle Stücke sogar bis zu 4000 Euro pro Quadratmeter. Weil viele Kunden angesichts dieser Preise zu maschinengefertigten Teppichen für wenige Hundert Euro greifen, ist der Absatz klassischer Orientteppiche regelrecht eingebrochen.

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„Seit der Jahrtausendwende ist das Geschäft um 70 Prozent zurückgegangen“, beklagt Peter Fliegner, Geschäftsführer des Importeursverbands EUCA. Zuletzt wurden noch handgeknüpfte Teppiche im Wert von rund 135 Millionen Euro nach Deutschland importiert. Nur in wenigen Ländern werden Teppiche heute noch zeitaufwendig von Hand gefertigt. Die wichtigsten Herkunftsländer neben dem Iran sind Indien und Nepal sowie Pakistan, wo auch die in Afghanistan geknüpfte Ware verarbeitet wird. Sie alle haben mit der Konkurrenz durch billigere, maschinengefertigte Ware schwer zu kämpfen – und auch mit einem Wandel des Kundengeschmacks.

Früher dekoratives Statussymbol

In den 70er-Jahren gehörten Orientteppiche noch in jeden gut ausgestatteten Haushalt. Mit Echtheitszertifikat an der Unterseite und möglichst vielen Knoten pro Quadratmeter. Ein dekoratives Statussymbol, etwas exotisch, aber wohnlich und wertstabil. Das ist lange her. In den Augen vieler rangiert der „Perser“ stilistisch heute irgendwo zwischen Eiche rustikal und Rudis Resterampe.

Berichte über eine Million minderjährige Teppichknüpfer in Pakistan und Indien, die in den 90er-Jahren die Branche erschütterten, nagen bis heute am Image handgefertigter Teppiche. Und dass das namensgebende Herkunftsland des Perserteppichs sich zu einem Gottesstaat mit atomaren Ambitionen gewandelt hat, löst auch nicht unbedingt weltweite Sympathiekäufe aus. Das Geschäft mit dem Perser, so könnte man annehmen, liegt im wahrsten Sinne des Wortes am Boden.

Ali R. Ipektchi hat dagegen ganz anderes zu berichten. „Wir verkaufen unsere Ware auf allen fünf Kontinenten“, sagt der Unternehmer, der zu den Großen der Branche zählt und jährlich bis zu 100.000 Teppiche im Iran einkauft. Den Hamburger Firmensitz hat er schon vor Jahren vom See- zum Flughafen verlegt. Was sich nun auszahle, denn die Nachfrage ziehe weltweit wieder an. „Wir hatten zuletzt sogar wieder mit Lieferengpässen zu kämpfen.“

Der Hanseat mit iranischem Ursprung betreibt das Geschäft in der fünften Generation. Seine Familie handelte zu Zeiten des Schahs genauso mit Knüpfware wie nach der Islamischen Revolution. „Die politische Entwicklung hat auf unser Geschäft nur indirekt Auswirkungen“, sagt Ipektchi, obwohl er vom US-Embargo direkt betroffen ist. Die Annäherung im Atomstreit, die jüngst zu einer Lockerung der Handelsbeschränkungen führte, könne sich auf die Teppichbranche sogar negativ auswirken. „Durch die damit verbundene Aufwertung des Rial verteuern sich unsere Produkte. Die Teppichpreise werden weiter steigen“, sagt Ipektchi, der die Entwicklung aber grundsätzlich begrüßt.

Comeback des Persers?

Dennoch sieht der Hamburger Unternehmer deutliche Anzeichen für einen Aufwärtstrend im Teppichgeschäft. „Früher haben mich meine Hamburger Freunde oft gefragt, wer meine Teppiche denn überhaupt noch kaufe“, schmunzelt Ipektchi. Mittlerweile aber orderten auch bekannte internationale Möbelketten, die eher für modernes Wohnen stehen, wieder vermehrt seine Ware. „Da verändert sich etwas.“

Entdecken die Deutschen den Teppich neu? So lange ist es gar nicht her, dass er überhaupt hierzulande Einzug hielt. Denn während die persische Knüpftradition viele Jahrhunderte zurückreicht, zählten Orientteppiche als Bodenbelag in Europa lange Zeit nicht zur Alltagskultur. Einen Wendepunkt brachte erst die Weltausstellung 1873 in Wien. Eine Art Stargast der Ausstellung war der persische Schah Naser ad-Din, der mit seinem verschwenderischen Lebenswandel für großes Aufsehen sorgte. Und untrennbar verknüpft mit dem schillernden Monarchen aus dem Morgenland war dessen bevorzugte Auslegeware – der Perserteppich.

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Nach dem Ende der ersten Expo im deutschsprachigen Raum sollen sich die Wiener um die Ausstellungsstücke aus dem persischen Pavillon geradezu gerissen haben. Bald darauf kauften Händler die Basare entlang der Seidenstraße leer und verkauften Teppiche mit großem Gewinn nach Europa. „Teppichhandel war damals sehr lukrativ“, sagt Ipektchi, dessen Vorfahren zu den Händlern der ersten Stunde zählten. „Heute sind handgeknüpfte Teppiche trotz der gestiegenen Preise im Grunde immer noch zu billig.“

Was den Händlern Hoffnung macht, ist paradoxerweise die Abkehr vom Teppich. Kaum jemand lässt sich heute noch Teppichboden von Wand zu Wand verlegen. Deutsche Haus- und Wohnungseigentümer bevorzugen momentan Dielen, Stein, Parkett oder wenigstens Laminat. Und bekommen nach einigen Jahren dann doch kalte Füße beziehungsweise Lust auf etwas Kuscheliges in der Couchecke, analysiert Ipektchi, der auch dem Importeursverband vorsitzt.

„Der Trend zum Hartboden führt dazu, dass seit einigen Jahren die Nachfrage nach abgepassten Teppichen wieder deutlich steigt.“ Und Innenarchitekten interessierten sich dabei neuerdings auch vermehrt wieder für den Orientteppich als floralen Kontrapunkt in einem kühl-modernen Ambiente. Vielleicht erlebt der Perser ja doch noch ein Comeback.

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