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Wirtschaft Russland-Konflikt

Deutschland leidet stark unter den Sanktionen

Energie, Handel, Investitionen: Für Europas Wirtschaft steht viel Geld auf dem Spiel, wenn sich die Beziehungen zu Russland verschlechtern. Jetzt zeigt sich: Deutschland ist besonders verwundbar.

Das Kapital steckt in Gaspipelines, in Autowerken, in Supermärkten: Für die deutsche Wirtschaft steht im Konflikt mit Russland viel Geld im Feuer. Rund 19 Milliarden Euro deutscher Direktinvestitionen sind in Russland gebunden, Mittel, die nicht so einfach abgezogen werden können wie Bargeld.

Damit liegt Deutschland unter den EU-Ländern nach Eurostat-Zahlen weit vorne an der Spitze der Investoren. Frankreich kommt mit 12,3 Milliarden Euro auf den zweiten Platz, danach mit 8,5 Milliarden Euro schon Österreich. Italien folgt mit fast acht Milliarden Euro, Großbritannien mit 7,5 Milliarden Euro. Auch für Schweden, die Niederlande und Finnland sind die in Russland getätigten Direktinvestitionen nicht zu vernachlässigen.

Unternehmen haben Fabriken und Unternehmensanteile in Russland, allein aus Deutschland und Frankreich sind es Autohersteller, Volkswagen etwa, Peugeot, Renault, die Handelskonzerne Metro und Auchan, auch die französische Kosmetikindustrie, eine nicht erschöpfende Liste – und ein Anlass zur Sorge für die Konzerne.

Westliche Konzerne bangen um Eigentum

Sie müssen um Geschäft, womöglich sogar um Eigentum fürchten, wenn sich der Konflikt weiter zuspitzt, wenn Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschlossen werden sollten. Die USA und ebenso die Staats- und Regierungschefs der EU haben diese bereits für den Fall einer weiteren Verletzung des Völkerrechts wie durch die Annexion der Krim angedroht.

Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk macht Druck auf die EU. „Der beste Weg, um Russland zu kontrollieren, ist die Nutzung wirtschaftlichen Drucks“, sagte er Ende vergangener Woche in Brüssel. Nur welcher Art soll der Druck sein? Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten selbst bereiten längst einen Sanktionskatalog vor – in großer Geheimhaltung und in der Furcht, von Russland abgehört zu werden, wie ein Beteiligter aus Brüssel der „Welt“ sagte. Bei zahlreichen möglichen Wirtschaftssanktionen drohten „hohe Vertragsstrafen“ für europäische Unternehmen, wenn sie wegen der Sanktionen ihre Verpflichtungen gegenüber russischen Partnern nicht mehr erfüllen könnten beziehungsweise dürften.

Das macht die Vorbereitungen enorm diffizil – erklärtes Ziel von Handelsbeschränkungen soll ja Druck auf Russland sein, nicht auf EU-Konzerne. Die russische Regierung wiederum hat erkennen lassen, dass es im Gegenzug ebenfalls zu Sanktionen greifen werde.

Französische Banken am stärksten exponiert

Zwar hängt Russlands Wirtschaft in größerem Maße vom Zugang zum EU-Markt ab als umgekehrt. Der Ökonom Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) glaubt auch deswegen, dass sich Sanktionen vermeiden lassen. „Russland hat kein Interesse an Sanktionen“, sagt er. „Putin will in der Weltwirtschaft auf Dauer mitmachen. Dafür muss er Investoren Rechtssicherheit bieten.“

Dennoch: Wen in Europa würde es am härtesten treffen, wenn die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Russland unterbrochen würden? Der französische Ökonom Eric Dor von Ieseg School of Management in Paris und Lille hat sich dieser Frage angenommen und neben den Direktinvestitionen auch Handelsbeziehungen, die Verflechtung von Banken und den Energiemarkt angesehen.

„Auffällig ist: Betrachtet man alle vier Aspekte, dann ist es nicht ein einzelnes Land, das mit Russland am engsten verflochten ist“, sagt er. Die Wirtschaftsbeziehungen sind diversifiziert in Europa. So haben nach Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) französische Banken mit fast 51 Milliarden Dollar die höchsten Forderungen an russische Kreditnehmer. Bei deutschen Banken sind es mit 23,7 Milliarden Dollar weniger als halb so viele. „Frankreich mit seinen vier Großbanken ist da besonders ausgesetzt“, sagt Dor – speziell gelte das für die Société Générale, der 92 Prozent der russischen Rosbank gehören, die größte russische Bank in ausländischer Hand.

Sanktionen müssen EU-Staaten gemeinsam schultern

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Italienische Banken, die sich seit 20 Jahren schon stark nach Osteuropa und auch nach Russland hin orientiert haben, kommen nach den BIZ-Zahlen auf 28,6 Milliarden Dollar Forderungen gegenüber Russland, bei einem im Vergleich zur Wirtschaftsleistung weit kleineren Bankensektor als etwa Großbritannien. „Auch britische und amerikanische Banken haben aber potenziell große Forderungen in Form von Derivaten, Garantien und Kreditzusagen“, sagt Dor.

Die 28 EU-Länder wären von Verboten und russischen Vergeltungsmaßnahmen in ganz unterschiedlicher Weise betroffen – das prägt auch die Diskussion über Sanktionen zwischen den EU-Staaten. „Sanktionen müssen von allen geschultert werden“, sagte der französische Außenminister Laurent Fabius. Frankreich werde über einen Stopp des Verkaufs französischer Kriegsschiffe nachdenken, wenn Großbritannien „das Entsprechende mit den Anlagen russischer Oligarchen in London tut“.

Exportstärke macht Deutschland verwundbar

Großbritanniens Premierminister David Cameron hat Sanktionen schon vor zwei Wochen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, die auch den Bankenplatz London träfen. Kapitalbeschränkungen forderte im Falle einer weiteren Eskalation auch der EU-Spitzenkandidat der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), Jean-Claude Juncker: „Man muss die russischen Finanzströme in Richtung Europa unterbinden. Die Russen wird man nirgendwo empfindlicher treffen als damit, die Finanzverbindungen zu kappen“, sagte er der „Welt am Sonntag“.

Zahlenmäßig ist es in einer dritten Kategorie der Wirtschaftsbeziehungen, im Handel, wiederum Deutschland, das am meisten Geschäft mit Russland macht; kaum überraschend angesichts der Größe der deutschen Volkswirtschaft und ihrer Exportstärke. So steht Deutschland mit seinen Ausfuhren nach Russland im Wert von 36 Milliarden Euro im Jahr 2013 für 30 Prozent der gesamten EU-Exporte nach Russland. Danach, weit abgeschlagen, kommt Italien mit neun Prozent der EU-Exporte im Wert von 10,8 Milliarden Euro.

Gaslieferungen von Sanktionen ausgenommen

Polen führte Waren und Dienstleistungen im Wert von 8,1 Milliarden Euro aus, die Niederlande (7,9 Milliarden Euro) und Frankreich (7,7 Milliarden Euro) liegen knapp dahinter. „Für alle westeuropäischen Länder gilt: Der Exportanteil nach Russland ist nicht allzu hoch, er liegt jeweils unter fünf Prozent der jeweiligen gesamten Ausfuhren“, sagt Dor. Dennoch: Deutschlands Exporte etwa, ins Land seines elftgrößten Handelspartners, seien natürlich „wahrnehmbar“.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen allerdings die Energiebeziehungen der EU zu Russland. Bulgarien, die Slowakei, die drei baltischen Staaten und Finnland beziehen ihr Erdgas zu 100 Prozent aus Russland, auch im Rest Osteuropas ist die Abhängigkeit riesig. Beim Großverbraucher Deutschland kommen immer noch 35 Prozent des Gasbedarfs aus Russland – ein Grund dafür, dass weder die EU noch Russland, das auf den Energieverkauf angewiesen ist, derzeit die Gaslieferungen in Frage stellen.

Keine Preisnachlässe für die Ukraine

EU-Energiekommissar Günther Oettinger, dem die Versorgungssicherheit Europas qua Amt ein Anliegen sein muss, sagte im „Welt“-Interview, das Gasgeschäft solle von möglichen Wirtschaftssanktionen ausgeklammert werden: „Die Gasbeziehungen zwischen Russland und der EU wurden vor 40 Jahren im Kalten Krieg begonnen und dann ausgebaut, sie waren auch vor dem Fall der Mauer nie Gegenstand der Politik. Den Gasmarkt sollte man weder in Moskau noch in der EU zum Gegenstand der Politik machen.“

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Auch der Chef des russischen Gasunternehmens Gazprom, Alexej Miller, versprach, die Lieferverträge würden vollumfänglich eingehalten. Mit der Ukraine hingegen hält es Russland anders, kündigte an, den derzeit geltenden Nachlass auf den Gaspreis zu streichen – mit dem Argument, der sei im Gegenzug zur Nutzung eines Flottenstützpunktes auf der Krim eingeräumt worden und die sie nun ja nicht mehr ukrainisch. Ein Alarmsignal ist das auch für die Europäer, die nun die Ukraine schnellstmöglich ans EU-Gasnetz anbinden wollen. „Dies würde der Ukraine erlauben, Gas zu den niedrigeren EU-Marktpreisen zu kaufen“, sagte Oettinger am Wochenende.

Das zeige erneut, dass es grundsätzlich unerlässlich sei, sich von Russland unabhängiger zu machen. „Es unterstreicht, wie entscheidend die Diversifikation der Gasversorgung ist.“

Sanfter Druck ohne Sanktionen

Deswegen fängt die EU auch bereits an, Russland doch auf dem Gasmarkt unter Druck zu setzen, bei Projekten, die die Liefermengen mittelfristig noch erhöhen könnten. Sie verzögert bei zwei für Russland wichtigen Pipelines: Die Entscheidung darüber, ob Russland die Opal-Pipeline voll nutzen darf – eine Verbindung zwischen der Nordsee-Pipeline Nord Stream und dem europäischen Gasnetz – hat die EU-Kommission kürzlich vertagt.

Und auch bei Verhandlungen über South Stream, eine geplante Pipeline auf dem Grund des Schwarzen Meeres, will Oettinger bremsen – das schmerzt die Russen, ganz ohne Sanktionen.

Merkel kündigt weitere Sanktionen gegen Russland an

Vor dem Hintergrund der Krim-Übernahme durch Russland kündigt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin weitere Sanktionen an: Reisebeschränkungen und Kontensperrungen sollen ausgeweitet werden.

Quelle: Deutscher Bundestag

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