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Wirtschaft Werbekampagne für Kinder

"Du bist Deutschland", reloaded

Der zweite Teil der Kampagne "Du bist Deutschland" hat am Samstag mit Fernsehspots begonnen. Beim ersten Mal ging es darum, die Stimmung im Land zu verbessern. Diesmal soll die Werbung Verständnis für Kinder wecken. WELT ONLINE stellt eine Auswahl der Zeitungsanzeigen vor.

Ja, die 40 Kinder der Hamburger Kita Marienkäfer haben sich nicht korrekt benommen. Sie haben getobt im Garten, gebrüllt, sich gegenseitig mit Sand beworfen, laut gelacht und manchmal sogar noch lauter geweint. Naive Menschen könnten jetzt einwenden, ein solches Verhalten sei bei Kindern ganz normal. Aber das Hamburger Landgericht sah das anders. Weil ein Nachbar wegen Lärmbelästigung geklagt hatte, müssen die 40 "Marienkäfer“ im Sommer 2008 ihre Bauklötze zusammenpacken und von Hamburg-Marienthal nach Hamburg-Wandsbek ziehen.

Doch auch in Wandsbek freut sich keiner über die künftigen Bewohner. Noch bevor die Kinder eingezogen sind, haben sich schon rund 20 Anwohner beschwert, um sich „vor dem befürchteten Chaos zu schützen“. Damit die „Marienkäfer“ nicht in einem halben Jahr obdachlos sind, haben sie sich auf einen Kompromiss eingelassen: Die neue Kita wird eine 60 Meter lange und zwei Meter hohe Lärmschutzwand umschließen. Ähnliche Modelle begrenzen sonst Autobahnen. Solche Geschichten sind in Deutschland alltäglich, und das regt Gunter Thielen auf. Weil Aufregen allein nichts bringt, hat der scheidende Bertelsmann-Chef vor rund einem Jahr den Beschluss gefasst, etwas zu tun. Gemeinsam mit knapp 30 anderen Medienunternehmen startet Bertelsmann an diesem Wochenende den zweiten Teil der „Du bist Deutschland“-Kampagne. Unter anderem ist auch die Axel Springer AG beteiligt, der auch WELT ONINE gehört.

Deutschland soll kinderfreundlicher werden

Während die erste Aktion vor zwei Jahren für bessere Stimmung im Land sorgen sollte, geht es diesmal darum, Deutschland kinderfreundlicher zu machen. „Alle reden vom demografischen Wandel und darüber, wie wichtig Kinder sind, aber wir behandeln sie nicht dementsprechend“, sagt Thielen. Einer Allensbach-Umfrage zufolge glauben nur 25 Prozent der Deutschen, ihr Land sei kinderfreundlich. In Frankreich sind es 80 Prozent. „Das schlägt sich auch in der Geburtenrate nieder.“ Deutsche Frauen haben im Schnitt 1,3 Kinder, Französische zwei.

Am Samstag um 19.57 Uhr ging es los, wegzappen war schwer möglich: Auf den zwölf größten deutschen TV-Sendern lief der zweiminütige Spot zum ersten Mal. Rund 20 Millionen Zuschauer haben die Premiere gestern gesehen. Im nächsten halben Jahr läuft der Spot mit kleinen Variationen weiter rauf und runter. Beim Dreh des Films war immer ein Fotografenteam dabei. Aus den 40 besten Schnappschüssen wurde eine Anzeigen- und Plakatkampagne erstellt, die WELT ONLINE exklusiv präsentiert.

Medienkonzerne lassen sich die Aktion 35 Millionen Euro kosten

35 Millionen Euro lassen sich die Medienunternehmen die Aktion für einen „gesellschaftlichen Klimawandel“ kosten. Dabei handelt es sich nicht um Kapitalleistungen. Die Konzerne räumen stattdessen Anzeigenplätze und Werbeminuten in ihren Sendern und Blättern frei.


Auch die PR-Agentur FischerAppelt und die beiden Werbeagenturen Jung von Matt und Kempertrautmann haben fast ein Jahr zum Selbstkostenpreis für die aufwendige Kampagne gearbeitet. „Wir zeigen keine gestellten Szenen, sondern nur echte Familien in authentischen Lebenssituationen“, sagt Oliver Voss, Kreativvorstand von Jung von Matt. Da ist zum Beispiel die Mutter, die ihr Neugeborenes nach der Geburt zum ersten Mal in den Arm nimmt, das Mädchen, das der Badewanne neugierig beim Überlaufen zusieht, oder eines, das die Stöckelschuhe der Mutter mit der Zahnbürste reinigt.

1531 Kinder casteten die Werber für den Spot, 293 wurden tatsächlich als Darsteller gefilmt. Jung-von-Matt-Kreativchef Voss, der selbst noch keine Kinder hat, stieß bei den Dreharbeiten auf ganz neue Herausforderungen. „Wir hatten zum Beispiel eine Szene, in der ein Junge auf dem Rücksitz schreien sollte – stattdessen hat er immer weiter gelächelt.“ Auch dem Kleinen das Spielzeug wegzunehmen half nicht. Das ist aber auch das Besondere an der Kampagne, glaubt Voss: „Wir zeigen echte Kinder in ihrer ganzen Unberechenbarkeit.“

25 Tage dauerten die Filmaufnahmen für den 2-Minuten-Clip

Dementsprechend lang hat der Dreh gedauert: Insgesamt 25 Tage war das Team für zwei Minuten Werbefilm unterwegs. „So lange braucht man auch für einen anderthalbstündigen Tatort“, sagt Voss. Das Ergebnis rührt selbst Hartgesottene. Bei der ersten Präsentation im Vorstand von Bertelsmann hatten die Topmanager feuchte Augen. Auch Kanzlerin Angela Merkel soll schon eine Träne verdrückt haben.

Trotz aller Euphorie unter den Beteiligten bereitet man sich im Kampagnenbüro in der Berliner Friedrichstraße schon auf Häme und Protestschriften vor. Sieben Seiten mit möglichen Kritikpunkten haben die PR-Experten von FischerAppelt vorbereitet, Gegenargumente inklusive.

Die Macher erwarten eine intensive Debatte

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Bei der ersten „Du bist Deutschland“-Kampagne wurden die Initiatoren von kritischen Diskussionen im Internet überrollt. Das ging vom ernsten Vorwurf nationalistischer Hintergedanken bis zu bitterbösen Persiflagen. Da gab es zum Beispiel den Fußballfan, der bewusstlos in seinem Erbrochenen schläft und mit „Du bist Deutschland“ untertitelt wurde. Oder die Hartz-IV-Empfängerin mit dem Spruch „Du bist Deutschland zu teuer“.

„Wir erwarten wieder eine intensive Debatte“, sagt FischerAppelt-Manager Lars Cords, der die PR-Kampagne leitet. Damit die Diskussion nicht noch einmal so ausufert, wird es auf der Website ein Onlineforum geben, auf der Kritiker direkt mit den Verantwortlichen streiten können.

Aktion fordert nicht mehr Kinder, sondern mehr Kinderfreundlichkeit

„Uns ist klar, dass wir mit einer Werbekampagne nicht auf einen Schlag das ganze Land ändern können“, sagt Gruner+Jahr-Chef Bernd Kundrun, der neben Thielen als Schirmherr der Aktion fungiert. „Du bist Deutschland“ könne nur einen Impuls geben, um eine gesellschaftliche Debatte loszutreten. Dabei müssten die Initiatoren auch selbst noch mehr tun. Längst nicht jeder der knapp 30 Medienkonzerne hat beispielsweise einen Betriebskindergarten.

Vorbehalte gab es bei den Firmen, weil einige den Vorwurf fürchteten, Mütter zu Gebärmaschinen zu degradieren oder in Nazitradition das Mutterkreuz hochzuhalten. Deswegen fordert die Kampagne auch nicht „mehr Kinder“, sondern „mehr Kinderfreundlichkeit“.

Wenn dann aber doch der ein oder andere durch die Aktion Lust auf Nachwuchs bekommt, ist das natürlich trotzdem im Sinne der Erfinder. Zwei Aspiranten gibt es. Werber Voss hat schon seinen Wunsch zur baldigen Fortpflanzung angekündigt.

Und auch im Hause Burda könnte es bald wieder Nachwuchs geben. Als sich die Chefs der Medienkonzerne vor einigen Monaten zur ersten Präsentation der Kampagne trafen, vertrat die Schauspielerin Maria Furtwängler ihren Ehemann, den Verleger Hubert Burda. Nachdem sie den Spot gesehen hatte, war sie von der Nachwuchslust gepackt: Zwar habe sie schon zwei Kinder, aber jetzt müsse Burda wohl noch mal ran. Na bitte.

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