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Wirtschaft „EU-only-Abkommen“

„Schnurzegal“-Juncker erzürnt deutsche Politiker

„Ich werde nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben“

Mit seinen Plänen zum Freihandelsabkommen Ceta hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen Sturm der Kritik ausgelöst. Die Kritik daran versteht Juncker jedoch nicht.

Quelle: Die Welt

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Juncker macht die Ansage, dass es beim Freihandelsabkommen mit Kanada reiche, dass Brüssel dies beschließe. In den nationalen Parlamenten regiert man fassungslos. Gabriel ist empört, aber hilflos.
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Europa ist nach dem Brexit angeschlagen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verfolgte auf dem EU-Gipfel am Mittwoch deshalb ein Ziel: Geschlossenheit demonstrieren. Wir, die EU-27, halten jetzt zusammen. Wir rücken näher an die Menschen ran. Wir haben einen Plan für die Zukunft Europas.

Diese Pläne sind offenbar dringend nötig. Denn wie groß das Misstrauen in Europa ist, zeigt die Diskussion über Ceta, das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Nachdem Juncker auf dem EU-Gipfel erklärte, es reiche, das Abkommen auf EU-Ebene zu beschließen statt in allen nationalen Parlamenten, folgte ein Aufschrei. Teile der Bundesregierung werteten die Ansage Junckers gar als Kampfansage.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) machte seinem Ärger in selbst für ihn ungewöhnlich scharfen Worten Luft. „Jetzt zu beschließen, dass die nationalen Parlamente zu diesem Handelsabkommen nichts zu sagen haben, ist unglaublich töricht“, giftete der SPD-Chef in Richtung Juncker. „Wenn die EU-Kommission das bei Ceta macht, ist auch das EU-Handelsabkommen mit den USA, TTIP, tot“, sagte Gabriel dem Berliner „Tagesspiegel“. Auch CSU-Chef Horst Seehofer schimpfte, Junckers Veto gegen eine Beteiligung der nationalen Parlamente sei „unverantwortlich“ und gehe „auf keinen Fall“.

EU Commission President Juncker addresses a news conference during the EU Summit in Brussels
Jean-Claude Juncker spricht nach der EU-Gipfel in Brüssel zur Presse
Quelle: REUTERS

Die Antwort Junckers ließ nicht lange auf sich warten. Ihm persönlich sei es „relativ schnurzegal“, ob die nationalen Parlamente zustimmten oder nicht. Wenn die Regierungen der EU-Staaten zur Auffassung kämen, Rechtsgutachten zählten in der Politik nicht, sei er der Letzte, der sich dagegen wehre, sagte er in Richtung Bundesregierung. Das saß. Denn sonst sind es immer die Deutschen, die in Europa auf die Einhaltung von Regeln pochen.

SPD-Chef Gabriel in einer heiklen Lage

Der Streit zwischen Juncker und der Bundesregierung hatte sich bereits in den vergangenen Wochen angedeutet. Die Zuständigkeit für Handelspolitik liegt formal ausschließlich bei der EU-Kommission.

Aber dennoch steht vor allem die Bundesregierung unter Druck. Ceta ist bereits fertig ausgehandelt und soll bald parlamentarisch abgesegnet werden. Das Kanada-Abkommen gilt als Blaupause für das Abkommen mit den USA, TTIP, das bis Ende des Jahres ausverhandelt sein soll.

Die Vorbehalte der Deutschen gegen TTIP

„Die Deutschen haben sich in den letzten Jahren hysterisch da hineingesteigert.“ Das sagt Andreas Kluth, Deutschland-Korrespondent beim "The Economist", über die Vorbehalte der Deutschen gegen TTIP.

Quelle: Die Welt

Gegen beide Abkommen hat sich in Deutschland ein nie für möglich gehaltener Widerstand formiert. Vergangenen Oktober gingen in Berlin mindestens 200.000 Menschen gegen die beiden Handelsverträge auf die Straße. Es war die größte Demonstration seit dem Irak-Krieg.

Auch in der Regierungspartei SPD sind die beiden Abkommen umstritten. Besonders SPD-Chef und Wirtschaftsminister Gabriel steckt deshalb in einer heiklen Lage.

Gabriel hatte die Handelskritiker immer auch damit besänftigt, der Bundestag müsse Ceta und damit später auch TTIP zustimmen. Denn es handle sich um gemischte Abkommen, die nationales Recht berührten. Die Menschen bräuchten sich deshalb keine Sorgen zu machen. Die SPD-Fraktion werde im Bundestag einem schlechten Handelsabkommen ganz sicher nicht zustimmen.

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Doch jetzt soll der Bundestag gar nicht abstimmen. Nächste Woche will Brüssel die Entscheidung für ein „EU-only-Abkommen“ offiziell bekannt machen. Die EU argumentiert einerseits juristisch: Wenn eine rechtliche Prüfung zu dem Ergebnis komme, Ceta sei kein gemischtes Abkommen, falle es nun mal allein in ihren Zuständigkeitsbereich. Da gelte es auch, europäisches Recht zu verteidigen.

„Keiner wird glauben, dass es bei TTIP nicht genauso läuft“

Anderseits treibt die Europäische Kommission aber auch politische Überlegungen um. Sie ist sich sicher: Ceta würde bei nationalen Abstimmungen durchfallen. Denn das Abkommen müsste insgesamt durch 42 Parlamente, in Deutschland etwa durch Bundestag und Bundesrat.

Protest gegen CETA
Demonstranten protestierten im Mai in Brüssel gegen Ceta, das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada
Quelle: dpa

In Belgien müssten sogar allein vier Regionalparlamente zustimmen, und dort hat sich das wallonische bereits gegen Ceta ausgesprochen. Das bulgarische und rumänische Abgeordnetenhaus haben ihre Zustimmung zudem mit der Forderung nach Visumfreiheit verknüpft. In dieser Gemengelage hat es aus Sicht der EU keinen Sinn, Ceta ohne jede Aussicht auf Erfolg durch einen nationalen Abstimmungsprozess zu jagen.

Aus Sicht von Gabriel hingegen fällt die EU-Kommission damit Handelsbefürwortern wie ihm in den Rücken. „Das dumme Durchdrücken von Ceta würde alle Verschwörungstheorien zu den geplanten Freihandelsabkommen explodieren lassen“, warnte er. Zudem bringe das Vorgehen von Juncker das ohnehin in einer Sackgasse steckende Freihandelsabkommen mit den USA noch weiter in Schwierigkeiten.

„Kein Mensch wird noch glauben, dass es bei TTIP nicht genauso laufen wird wie bei Ceta“, sagte Gabriel. Dass die EU in dieser Phase, in der ihre Glaubwürdigkeit wegen des Brexit ohnehin angekratzt ist, bei solch einem hoch politisierten Thema auf einen Alleingang setzt, kann Gabriel überhaupt nicht nachvollziehen.

Italien stimmt für ein „EU-only-Abkommen“

Verhindern kann er ein „EU-only-Abkommen“ aber kaum. Dazu müsste sich der Rat der europäischen Handelsminister einstimmig gegen das Vorgehen der EU-Kommission aussprechen.

Italien hat in einem Brief vor einigen Wochen an die EU-Kommission aber bereits angekündigt, sich auf die Seite Junckers zu schlagen und für ein „EU-only-Abkommen“ zu stimmen. Dort wie in vielen anderen EU-Ländern verspricht man sich von den Handelsabkommen große Vorteile und will sie deshalb nicht an nationalen Abstimmungen scheitern lassen.

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Um ein „EU-only-Abkommen“ in Kraft zu setzen, braucht es allerdings neben der Zustimmung des Europäischen Parlaments auch eine qualifizierte Mehrheit im Handelsministerrat. Qualifizierte Mehrheit heißt: 55 Prozent der Mitglieder des Rates, mindestens 16 Mitglieder, sowie 65 Prozent der Bevölkerung.

„Die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten hat sich jedoch stets gegenteilig, nämlich für ein gemischtes Abkommen positioniert“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Blocken die Minister Ceta im Rat ab, würde es nicht in Kraft treten. Der politische Schaden wäre allerdings enorm.

In der SPD-Fraktion wächst der Groll

Was also tun? Juncker regte die Regierungen an, auch bei einem „EU-only-Abkommen“ könnten die Mitgliedsländer ihre Parlamente fragen, wie ihre Regierungen im EU-Rat über Ceta abstimmen sollten. Gabriel will genau das machen. „Was immer die EU-Kommission beschließt: In Deutschland entscheidet der Bundestag“, erklärte er. Ohne dessen Ja werde er „auf keinen Fall Ceta zustimmen“.

Damit geht Gabriel aber ein riskantes Spiel ein. Denn durch den Brüsseler Vorstoß wird die Zahl der Ceta-Gegner im Bundestag sicher nicht kleiner. Besonders in der SPD-Fraktion wächst der Groll. Man sei aber dennoch zuversichtlich, dass die SPD im Bundestag dem Abkommen zustimmen werde, hieß es aus Parteikreisen.

Juncker gab sich deshalb trotzig. „Ich werde nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben“, sagte er, „aber ich hätte gern durch eindeutige Rechtsmittel belegt, dass dies kein EU-Abkommen ist.“

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