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  3. Leistungsbilanz: Wo Deutschland nachbessern muss – und wo Trump falsch rechnet

Wirtschaft Exportüberschüsse

An Deutschlands Dominanz wird Deutschland nichts ändern

Ressort Politik
Deutschland wird an seiner Exportstärke nichts ändern

US-Präsident Trump wirft Deutschland vor, die USA mit Waren zu überschwemmen. Auch Ökonomen kritisieren den hohen Handelsbilanzüberschuss. Berlin aber sieht keinen Handlungsbedarf.

Quelle: WELT/ Laura Fritsch

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Die Kritik am hohen Leistungsbilanzüberschuss, wie sie zuletzt der IWF geübt hat, hört man in Deutschland nicht gerne. Die Bilanz mit den USA sei ausgeglichener als oft dargestellt. Aber dafür muss man die Zahlen richtig deuten.
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Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands wird hierzulande in aller Regel als Segen gesehen – und im Ausland häufig als großes Ärgernis. Kaum ein Woche vergeht, in der US-Präsident Donald Trump nicht die Folge der Leistungsfähigkeit der deutschen Unternehmen und ihrer stetig steigenden Exporte kritisiert: den hohen Handelsbilanzüberschuss.

Deutschland überschwemme die USA mit seinen Waren, amerikanische Unternehmen würden im Gegenzug viel weniger liefern, also schlechtere Geschäfte machen. Dieses Ungleichgewicht sei unfair – und eine Gefahr für die Handelspartner.

In diesem Fall wird Trumps Ansicht gar nicht mal so selten geteilt. In den EU-Mitgliedsstaaten rumort es, weil auch dort mehr in Deutschland eingekauft, als zurückgeliefert wird. Selbst deutsche Ökonomen kritisieren das Ungleichgewicht im Handelsaustausch.

Quelle: Infografik WELT

Denn das würde dauerhaft zur Verwerfung führen, weil Überschüsse auf der einen natürlich Defizite auf der anderen Seite verursachen. Konkret decken sich die Handelspartner seit Jahren auf Pump mit Waren aus Deutschland ein, damit wachsen hierzulande die Gewinne, auf der anderen Seite aber die Schulden. Gesund ist das auf Dauer nicht.

Wirtschaft lasse sich per Dekret nicht bremsen

Also werden die Deutschen regelmäßig ermahnt, ihre Überschüsse abzubauen, aber selten war ein Appell in dieser Richtung so drängend, wie es zuletzt der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), Maurice Obstfeld, im Gespräch mit WELT formuliert hat: Überschüsse wie die Deutschlands seien bei weiterem Anwachsen „eine mittelfristige Bedrohung der globalen Finanzstabilität“.

Durch die „allenfalls zaghaften Maßnahmen, den Überschüssen entgegenzuwirken“, steige „das Risiko von Störungen durch Währungs- und Vermögenspreisanpassungen in verschuldeten Ländern zum Schaden aller“, mahnte Obstfeld.

Kritik des IWF-Chefvolkswirts wiegt schwer – und wird dennoch in Deutschland zurückgewiesen. Seitens der Bundesregierung und Wirtschaftsexperten, die CDU und SPD nahestehen. Die offenbar verbreitete Vorstellung, dass man per Dekret die deutsche Wirtschaft bremsen und gleichzeitig höhere Einfuhren verordnen können, sei falsch, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium.

Quelle: Infografik WELT

„Die deutsche Leistungsbilanz ist keine politische Zielvariable, sondern vor allem das Ergebnis von marktbasierten Angebots- und Nachfrageentscheidungen von Unternehmen und privaten Verbrauchern auf den Weltmärkten“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums zur Kritik des IWF.

Hinzu kämen Faktoren wie die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter, der Ölpreis, Wechselkurse oder die demografische Entwicklung, die allesamt Einfluss auf die Leistungsbilanz hätten und nicht ohne weiteres politisch steuerbar seien.

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Beim Wirtschaftsrat der CDU hält man den Vorwurf, die hohen Exportzahlen deutscher Unternehmen würden in anderen Volkswirtschaften Schaden anrichten für „absurd“. Schließlich steige der Anteil ausländischer Wertschöpfung am deutschen Export stetig, argumentiert Wolfgang Steiger, der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats.

Defizite in der Infrastruktur

„Bevor Deutschland exportiert, importiert es viele Vorprodukte gerade auch aus anderen europäischen Ländern. Deutschland funktioniert also wie ein Durchlauferhitzer, der den europäischen Wachstumsmotor am Laufen hält“, so Steiger.

Kritiker der hohen deutschen Überschüsse verweisen regelmäßig darauf, dass die durch steigende Investitionen gesenkt werden könnten. Und da habe Deutschland deutliche Defizite, weil in den vergangenen Jahren zu wenig Geld beispielsweise für den Erhalt und Ausbau von Verkehrs- und Telekommunikations-Infrastruktur oder Schulen ausgegeben worden sei.

Die Bundesregierung müsse da umsteuern. Das fordert auch der Präsident des Wirtschaftsforums der SPD, Michael Frenzel – allerdings sieht er bereits erste Fortschritte.

„Steigende und anhaltende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte erschweren in der Tat die Stärkung einer offenen und fairen Welthandelspolitik. Deutschland steht da in der Verantwortung. Und die Steigerung von Infrastruktur- und Modernisierungsinvestitionen ist immer ein guter Weg“, so Frenzel.

„Jahrelang wurde von Bund, Privatwirtschaft und Kommunen zu wenig getan. Olaf Scholz verfolgt da allerdings eine neue Linie, er hat eine massive und nachhaltige Investitionsoffensive angestoßen, die wir als Wirtschaftsforum der SPD ausdrücklich begrüßen.“

Tatsächlich hat die Bundesregierung nach jahrelangem Sparkurs und enormem Investitionsstau inzwischen einen Schwenk vollzogen und Milliarden für Investitionen zum Beispiel im Straßenbau aber auch für Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt.

Dienstleistungen mit betrachten

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Das aktuelle Problem ist derzeit weniger, dass zu wenig Geld zur Verfügung steht, sondern die Mittel auch alle zu verbauen. Allen voran die deutsche Bauindustrie arbeitet aufgrund der guten konjunkturellen Lage seit Jahren am Anschlag und kann kaum neue Aufträge annehmen.

Die Bundesregierung sieht schon deshalb keinen akuten Handlungsbedarf, weil anders als vom IWF dargestellt, hierzulande die hohen Überschüsse bereits abgeschmolzen würden. In der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung wird der deutsche Leistungsbilanzüberschuss bis 2019 weiter sinken, laut Prognose auf 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Das ist zwar immer noch 1,5 Prozent mehr als innerhalb der Europäischen Union als wirtschaftlich verträglich angesehen wird, aber 2015 lag der Überschuss noch bei 8,5 Prozent. Und gegenüber dem Euroraum hat er sich in den vergangenen zehn Jahren bereits halbiert.

„Zu den Fakten gehört außerdem, dass zum Beispiel die USA im Dienstleistungshandel einen Handelsüberschuss haben, insgesamt und auch gegenüber der EU. Ebenso haben die USA einen Leistungsbilanzüberschuss zum Beispiel gegenüber Großbritannien, Kanada, Australien oder Singapur“, sagt die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. „Hier empfiehlt sich also eine differenzierte Betrachtung.“

Auch der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums warnt vor einer einseitigen Betrachtung der Handelsbilanz. „In der Diskussion um die Handelsbilanz werden Dienstleistungen außerdem oft ausgeklammert. In der Gesamtbetrachtung relativiert sich das Ganze doch erheblich“, so Frenzel.

Kapazitätsengpässe machen es schwerer

Letztlich müsse man aber erreichen, dass „ausländische Investoren stärker in Deutschland investieren“. Auch im CDU-nahen Wirtschaftsrat fordert man höhere Investitionen im Inland. „Wenn ein Land einen Außenhandelsüberschuss erzielt, bedeutet dies zwangsläufig auch einen Export von Ersparnissen ins Ausland. Entweder in Form von Krediten oder aber in Form von Direktinvestitionen im Ausland“, sagt Generalsekretär Wolfgang Steiger.

Es ist deshalb entscheidend, dass die Politik einen entsprechenden Rahmen schafft, damit auch Investitionen im Inland attraktiv bleiben. „Es darf aber nicht übersehen werden, dass öffentliche wie private Investitionen bereits erhöht wurden“, so Steiger. Investitionen in den Breitbandausbau, die Verkehrsinfrastruktur und in Bildung sind beschlossen und müssten aber auch umgesetzt werden. Was angesichts der geschilderten Kapazitätsengpässe schwer werden dürfte.

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Beim Wirtschaftsrat der CDU rechnet man auch vor, dass die Handelsbilanz, so wie sie vor allem von den Amerikanern dargestellt werde, nur ein Teil der Realität sei. „Berücksichtigt wird dabei nur der Warenaustausch – Dienstleistungen bleiben außen vor“, kritisiert Wolfgang Steiger die Rechnung aus Washington. „Würden Dienstleistungen mit in die Handelsbilanz einbezogen, gäbe es einen großen Überschuss der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber Europa. Im Jahr 2017 betrug der 244 Milliarden US-Dollar.“

Der Wirtschaftsrat ist nicht der einzige, der diese Gegenrechnung aufmacht. Mit der EU und mit Deutschland hätten die USA unbestritten ein Leistungsbilanzdefizit, sagt Gabriel Felbermayr, Leiter des ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. Aber nur, wenn man Waren und Güter berücksichtige.

Niederlassungen in Irland oder den Niederlanden

„Im Handel mit Dienstleistungen sieht das Bild allerdings anders aus“, so Felbermayr. „Hier stehen US-Exporten von 240 Milliarden US-Dollar Importe von 188 Milliarden US-Dollar gegenüber. Das ergibt einen Überschuss von 51 Milliarden US-Dollar.“ Die USA erwirtschafteten mit der EU rund 21 Prozent ihres weltweiten Dienstleistungsüberschusses.

Quelle: Infografik WELT

Und auch die weiterhin herausragenden Überschüsse Deutschlands würden „in einem integrierten Wirtschaftsraum wie der EU keinen Sinn ergeben“, meint der Ökonom.

Denn Deutschland importiert zum Beispiel Dienstleistungen von amerikanischen Unternehmen über deren Niederlassungen in Irland oder den Niederlanden“, so Felbermayr. Das verzerrte das Gesamtbild. Aber darüber spricht US-Präsident Donald Trump nicht, wenn er die deutsche Wirtschaft und ihre Exportstärke kritisiert und sich rund um den Trump-Tower im Herzen Manhattans regelmäßig von Mercedes-Limousinen umzingelt sieht.

Internationaler Währungsfonds kritisiert Deutschland

Der Chefsvolkswirt des Internationalen Währungsfonds kritisiert die deutsche Gleichgültigkeit gegenüber Ungleichgewichten bei Kapital- und Warenströmen. Er fordert von Deutschland, den „fiskalischen Spielraum“ auszunutzen.

Quelle: WELT / Lukas Axiopoulos

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