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Wirtschaftsfaktor Killerspiele

Quelle: dpa
Mit Spielen wie „Counterstrike", die seit dem Amoklauf von Emsdetten wieder heiß diskutiert werden, lässt sich inzwischen in Deutschland viel Geld verdienen: Internationale Technologiekonzerne sponsern Turniere, die Preisgelder sind so hoch wie nie, der Markt wächst stark – und manche Unternehmensberatung findet unter den Spielern ihren idealen Job-Kandidaten.

Das Ganze war sicher nur ein Bluff. Das Counterstrike-Team Mousesports hat beim „Intel Friday Night Game“ in der vergangenen Woche gegen ein russisches Team 1:16 verloren. In den Internet-Foren ist man sich einig, dass es Absicht der Deutschen war, um ihre Taktik für das große Finale an diesem Wochenende zu verbergen. Beim Showdown der Computer-Spiele-Liga European Sports League (ESL) in Köln geht es nämlich um viel Geld: Immerhin 15?000 Euro für den Sieger. 120.000 Menschen werden in der Halle, über den Livestream im Internet und über Giga TV am Fernsehgerät das 3-D-Geballer gebannt verfolgen.

17 Millionen PC-Spieler in Deutschland

Der Amoklauf von Emsdetten hat Computerspiele einmal mehr zum heißen Diskussionsstoff werden lassen. Doch weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit boomt der spielerische Wettbewerb am Computer - und avanciert zu einem wirtschaftlichen Wachstumsmarkt mit großer Dynamik.

Während sich Ratgeber-Autorinnen, Lehrer und Psychologen in Fernsehtalkshows mit Analysen des angeblichen Teufelszeugs gegenseitig übertreffen, lassen sich die Aktiven nicht verschrecken: Etwa 17 Millionen Menschen in Deutschland spielen in ihrer Freizeit am PC, 5 Millionen tun dies als so genannte „Gelegenheitsspieler“ online. 1,2 Milliarden Euro wurden hierzulande 2004 in Spielesoftware und gar bis zu 4 Milliarden Euro in die benötigte Hardware umgesetzt. Europaweit, so schätzt die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers, werden im kommenden Jahr etwa 11 Milliarden Euro für Games hingeblättert.

"Der Rock’n’Roll der Zukunft“

„Computerpiele sind der Rock’n’Roll der Zukunft“, sagt Kriminaloberkommissar Frank Pinter. Der 34-Jährige mit Jackett und Brille gehört zu den aktuellen Protagonisten der Professionalisierung elektronischer Zockerei. Nicht nur seiner Meinung nach ist das eine zwangsläufige Entwicklung. Pinter ist Vorstandschef von n!faculty, eines eingetragenen Vereins aus Erkelenz bei Mönchengladbach, der sich dem so genannten eSport widmet: dem wettbewerbsmäßigen Spiel mit dem taktischen 3-D-Ballerspiel „Counterstrike“, dem Strategiespiel „Warcraft 3“ und dem Autorennen „Live for Speed“. Es ist eine Art „Leibesübungen 2.0“. Die Szene möchte ihren schlechten Leumund bei vielen Außenstehenden gerne loswerden und betont seit längerem, dass sie eine zeitgemäße Form von Sport betreibe. Immerhin 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind schon Mitglieder in den so genannten Clans, den Spielvereinigungen für Wettkämpfe in digitalen Netzwerken.

Einige von ihnen arbeiten bereits auf professionellem Niveau. In Deutschland gibt es zehn bis 15 Top-Clans, die ihren Spielern Reisen und Hotelübernachtungen bei Turnieren bezahlen können. „Noch gilt hier die Moral, dass niemand nur allein vom Spielen leben soll“, sagt Nescho Topalov, Geschäftsführer des deutschen Ablegers der Turnierserie Electronic Sports World Cup (ESWC). Und doch: Ein aktiver Spitzenspieler berichtet, dass vor allem mit regelmäßiger Beteiligung an "Counterstrike"-Turnieren Monatsgagen von 800 Euro realistisch sind, sogar bis zu 2000 Euro sollen hierzulande bezahlt werden. Das Turnier-Preisgeld kommt hinzu.

Die Szene professionalisiert sich immer stärker

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von nationalen und internationalen Turnier-Anbietern, die teils heftig miteinander rangeln. In Deutschland ist vor allem die ESL zu nennen, die zu Turtle Entertainment gehört, einem „Big Player“ der Branche. Turtle ist auch beteiligt am TV-Sender Giga, beschäftigt 20 Mitarbeiter und betreibt 400 Ligen verschiedener Spiele im Internet. International sind vor allem die aus Korea stammenden World Cyber Games und die ESWC wichtig. Letzterer veranstaltet in verschiedenen Ländern, darunter auch Deutschland, Qualifikationsturniere und eine Endausscheidung, ehe Nationalmannschaften gebildet werden und beim Weltfinale spielen. In Deutschland investiert das Unternehmen mehrere Hunderttausend Euro jährlich, um seine Turniere zu publikumsträchtigen Events zu machen.

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Die Professionalisierung rast auch auf Seiten der Spielgemeinschaften voran. Ehrfurchtsvoll nennt man den Namen „SK Gaming“: Dieser Clan wurde 1997 in Deutschland gegründet und war ein Vorreiter, als er gleich ein ganzes "Counterstrike"-Team vertraglich an sich band. Bei den großen, international auftretenden Clans vermuten Insider Jahresbudgets von 300.000 bis 400.000 Euro.

Der "Hardcore-Gamer" ist ein guter Kunde

Gerade die so genannten „Hardcore Gamer“, die täglich stundenlang vor dem Bildschirm trainieren, sind Zugpferde: „Das ist eine sehr markenorientierte Szene. Mit einem No-Name-PC geht da keiner zu einem Turnier“, erklärt Nescho Topalov den Reiz für Werbung und Produkt-Partnerschaften. Der durchschnittliche Online-Spieler gibt jährlich etwa 200 Dollar für seine Beschäftigung aus.

Der Grafik-Prozessor-Produzent nVidia hat auch dadurch seine marktbeherrschende Position errungen, dass er sich stark um die Szene kümmert. „Wenn die anspruchsvollen Gamer ein Produkt für gut befinden, ist das ein starkes Verkaufsargument“, weiß Topalov. Die Firma Intel sponsert Branchenkennern zufolge eSports mit bis zu 5 Millionen Dollar jährlich. Und: Nicht nur Technologie-Unternehmen engagieren sich. Die amerikanische Restaurantkette Pizza Hut beispielsweise buttert Geld in eine weitere Turnier-Serie.

In der Tradition des klassischen Sportvereins

Klar, dass der Vorstand von n!faculty auch gerne von diesen Aussichten profitieren möchte. Bislang beträgt das Budget hier indes nur 28.000 Euro. „Wir sind dabei, unsere Struktur zu professionalisieren und arbeiten wie ein klassisches Unternehmen“, erläutert Carsten Kunde, Vorstandsmitglied des Vereins. Wer sportlich mithalten wolle – aber vor allem wer vom Marktwachstum von über zehn Prozent profitieren möchte – müsse seine Organisation darauf ausrichten. Hilfe bei der strategischen Planung holt sich n!faculty bei der Kölner Rechtsanwaltskanzlei Watrin & Schmidt. „Wir machen zunächst einmal eine klassische Liquiditätsplanung“, sagt der Wirtschaftsjurist Peter Siedlatzek, „und wir haben für n!faculty eine klare Markenstrategie formuliert.“

Mit Hilfe der Kölner Berater erstellte der Clan aus Erkelenz so etwas wie eine „Corporate Story“, eine attraktive Präsentation der spezifischen Charakteristika. Erfolg, Tradition und Freundschaft sind die drei Schlüsselworte. Gerade wegen der Kontroversen um „Killerspiele“ schreibt sich die Organisation ihr Alleinstellungsmerkmal auf die Fahnen: „Wir haben die Tradition eines klassischen Sportvereins, haben zwei Polizisten im Vorstand, bieten Gewaltprävention und sind gerade nicht anonym“, sagt Diplom-Ingenieur Kunde. Positive Eigenschaften, die auf mögliche Sponsoren anziehend wirken sollen.

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Lehren aus Online-Spielen

Vor etwa einem Jahr begann n!faculty, die eigene Struktur für elektronischen Profisport langfristig zu rüsten. Sie gründeten eine Gesellschaft mit dem Namen n!faculty management. Der Vergleich mit Fußballklubs bietet sich an: Die haben oft einen traditionsreichen eingetragenen Verein für die Breitensport- und Nachwuchsarbeit sowie ausgegliederte Kapitalgesellschaften, um Spielerverträge zu schließen, Sponsoren zu locken und Gewinne zu erwirtschaften. Momentan bindet n!faculty management 20 Computerspieler per Vertrag an sich. Der Vorstand tritt bei Terminen im Anzug auf, am Kragen der weißen Hemden prangt der Vereins-Schriftzug. Es gibt ein vierseitiges Prospekt mit Marktanalyse und Selbstdarstellung, Werbeplätze auf der Website werden auf Basis von belastbaren Mediendaten vermarktet.

Das wirtschaftliche Potenzial des eSports lockt auch die Anwälte von Watrin & Schmidt. „Wir profitieren von der Zusammenarbeit, weil wir den Markt und die wichtigen Akteure kennen lernen“, sagt Peter Siedlatzek. Die Juristen sind vor allem im Risiko-Kapital-Bereich versiert und nutzen ihre Erfahrung aus Wachstumsmärkten. Watrin & Schmidt haben Mandanten aus den starken Branchen IT, Medizin-Technik und Musik-Downloads. Manche Lehre können sie auf das Geschäft mit den Online-Spielen übertragen. Aber, sagt Anwalt Michael Jakobs: „Bislang ist jede Struktur in diesem Markt noch instabil.“

Spitzen.Spieler als Unternehmensberater

Konkrete Formen nimmt derweil ein Studiengang an, der den künftigen Bedarf nach kompetenten eSports-Managern decken soll. Seit einem Jahr entwickelt ein Team auf Initiative Bulgariens, wo eSport als Sport anerkannt wird, mit EU-Fördermitteln ein Berufs-Fortbildungsmodul. Partner aus Griechenland, Rumänien, Österreich und Deutschland beteiligen sich an diesem Projekt. In Sofia wird nun im kommenden Jahr ein Testkurs angeboten, in dem bis zu 40 Teilnehmer in Sachen EDV, Pädagogik und Ökonomie geschult werden. „Der Bedarf nach solchen Qualifikationen wird schon bald da sein“, sagt Nescho Topalov vom Turnierveranstalter ESWC.

Derweil reiben sich schon jetzt ganz andere Wirtschaftszweige die Hände nach jenen jungen Männern, die in der virtuellen Welt brillieren – und dafür oft gesellschaftliche Ächtung erfahren. Bei Top-Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsunternehmen regt sich Interesse an den Stärken der Spitzen-Gamer. Denn wer dort gut ist, bringe entscheidende Qualifikationen mit: Teamfähigkeit, strategisches Denken, vielsprachige Kommunikation und technisches Know-how sind nur einige der Stärken, die den Helden der digitalen Netzwerke nachgesagt werden.
Mitarbeit: Christian Parth

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