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Wissenschaft Dünen

Wenn Leuchttürme im wandernden Sand ertrinken

Dünen sind hübsch anzusehen und stabilisieren Küsten. Sie sind Lebensraum seltener Arten. Manchmal verwüsten sie ganze Dörfer. Experten halten es für falsch, ihr Betreten kategorisch zu verbieten.

Von einem Augenblick zum nächsten formt der Wind fantastische, vergängliche Gebilde. Scharfe Schatten zeichnet das Abendrot in den Sand. Dünen offenbaren eine ergreifende Schönheit. Zu den Wanderdünen Namibias strömen Touristen aus aller Welt. An der deutschen Nordseeküste sind sie ein natürliches Bollwerk gegen die erosiven Gewalten des Meeres. Biologen faszinieren sie als sensibler Lebensraum. Für Bauern in den Trockenzonen aber sind die sandigen Giganten eine Katastrophe.

Nicht nur der Blick in die Sahelzone oder in die zentralasiatischen Steppen zeigt, was Wanderdünen anrichten können: In Jütland wird der Leuchtturm bei Rubjerg von unaufhaltsamen Sandmassen umspült, Häuser sind bereits versunken. An der polnischen Ostseeküste ist nahe Leba das Dorf Laczka vom wandernden Sand verschüttet worden, ganze Wälder versinken. Manchmal ist es günstiger, Menschenwerk aufzugeben gegen die Sandmassen zu kämpfen. Haben sie sich einmal in Bewegung gesetzt, sind sie nur schwer zu stoppen.

Sehr dynamisches System

In Mitteleuropa ist es in den vergangenen beiden Jahrhunderten gelungen, dort, wo es aus ökonomischen Gründen nötig erschien, mobile Sandmassen mit teilweise erheblichem Aufwand zu stabilisieren. Dünen wandern hier nur kleinräumig und nur dort, wo sie nicht stören. Mit wenigen Ausnahmen, wie direkt am Strand oder in großräumigen Naturschutzgebieten, sind sie stillgelegt. Wanderdünen gibt es in Deutschland beispielsweise im Listland, im Norden von Sylt. Drei große Dünenzüge ziehen hier zwischen einem und vier Meter pro Jahr von West nach Ost. Weht der Wind kräftig, sind sie noch schneller. Auch das alte List ging unter einer Düne unter.

Das System ist sehr dynamisch: Vorn begraben Dünen, und hinten geben sie neuen Lebensraum wieder frei. Aber wie hält man eine Düne auf? Prinzipiell müssen Wanderdünen bepflanzt und das Betreten verboten werden. Dann dauert es nicht lange, und der Sandberg steht still. Allerdings sind so auch seine Dynamik und damit der Lebensraum für diejenigen Pflanzen, die eben das brauchen, dahin. Entsprechend bedroht sind die im Sand lebenden Spezialisten.

Pflanzen erobern Dünen

Generell scheint zu gelten, dass Dünen unantastbar sind. Auf Deutschlands Nordseeinseln steht man schnell an einem „Betreten verboten“-Schild. Dünen sind ein einzigartiger Lebensraum und ein unabdingbarer Küstenschutz. Landschaftsschutz rauf, Artenschutz runter – Dünen sollen total in Ruhe gelassen werden.

Der Biologe Rainer Borcherding aber sieht das anders: „Um diesen dynamischen Lebensraum mit seiner ganzen Artenvielfalt zu erhalten, bedarf es gewisser Störungen. Viele Arten brauchen offene Sandflächen, um zu leben oder sich fortzupflanzen – sehr alte Dünenstadien zum Beispiel verfilzen mit Moos und Gras und werden artenärmer“, sagt der Dünenexperte bei einer Begehung der Dünen auf Sylt. Auch auf dieser Insel gilt: Dünen betreten verboten. „Dies war in früheren Jahrzehnten auch dringend erforderlich, denn der empfindliche Strandhafer war vielerorts völlig zertreten worden“, sagt Borcherding. Mittlerweile sei das Pendel aber weit in die andere Richtung ausgeschlagen.

Betreten weder Mensch noch Wildtier die Dünen, so verschwindet auch das letzte Sandkorn unter einer Pflanzendecke. Grabwespen und andere seltene Dünentiere verlieren so ihren Lebensraum. Borcherding fordert kein unkontrolliertes Herumrennen in den Dünen, sondern das Nachdenken über eine gesteuerte Dünennutzung: „Fußgänger oder MotoCross-Fahrer könnten beispielsweise Flächen offen halten. Die Dosierung ist das Kunststück.“

Permanent in Bewegung

Die Lebensgeschichte einer Düne beginnt als frische Flugsanddüne, die permanent umgelagert wird, und endet als lang gestreckte Hügelkette, die mit Heidekraut, Kiefern oder Birken bewachsen ist. „Ehe die Dünen ganz bewalden, haben sie eine extrem angepasste, damit seltene Tier- und Pflanzenwelt. Wärmeliebende Sandbienen, Grabwespen und einige sehr seltene Schmetterlinge sind hier zu Hause. Auch einige kleine Nelken und andere Frühblüher brauchen offene Flächen zur Keimung“, sagt Borcherding und kniet sich in den Sand im Süden von Sylt, wo gerade das Rauhe Vergissmeinnicht und Dünenveilchen blühen.

Dass Dünen heute oft zuwachsen, liegt außer am Fehlen von Wildtieren auch an der Nährstoffbelastung der Luft. Werden Nährstoffe von außen eingetragen, ändert sich die Artenzusammensetzung. „Der unnatürliche Stickstoffeintrag aus der Luft fördert die Vergrasung von Dünen“, sagt Borcherding. „Dies sollte durch gewisse Maßnahmen kompensiert werden – ideal wären gelegentliche Störungen wie Crossrennen, Viehtrieb oder sogar Brände. Es ist schwieriger, Dünen richtig zu pflegen, statt sie nur einzuzäunen. Wenn wir gar nichts tun, schützen wir einen Teil der Artenvielfalt durch Unterlassung zu Tode.“

Bedrohliche Dünen

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Bauern in den Trockengebieten nördlich des Äquators sorgen sich nicht um Artenvielfalt, sondern darum, morgen satt zu werden. Im Sahel bedeutet Dünenschutz deshalb Schutz vor den Dünen, denn der menschliche Lebensraum ist vielerorts vom Sand bedroht. Hier muss der mobile Sand gestoppt werden. „Wanderdünen können am besten durch Windfänge und Bepflanzungen gestoppt werden. Für die Stabilisierung haben sich schachbrettartige Strukturen am besten bewährt“, erklärt Anneke Trux. Die Biologin arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ, ehemals GTZ) und berät Länder in Trockengebieten der Erde.

„Trockengebiete, die 40 Prozent der Erdoberfläche ausmachen, sind vielfach von Desertifikation bedroht: Abholzung der spärlichen Wälder, Versiegen von Grundwasserleitern, Versalzung und Verödung von Ackerböden, die übernutzt werden“, erklärt sie. Hinzu komme die Bedrohung durch wandernde Sandmassen; zum Teil ist dies ein natürliches Phänomen, oft aber vom Mensch verursacht, indem die spärliche Vegetation abgeweidet oder abgeholzt wird. Wanderdünen begraben Felder, Straßen und Siedlungen. „Sahel“ bedeutet Ufer – und am Süd-Ufer der Sahara brandet das Sandmeer zuweilen dramatisch.

Bepflanzung gegen die Ausbreitung

Auch hier arbeiten die Experten der GIZ: „Die Windfänge werden aus lokalen Materialien wie Stroh oder Zweigen etwa von Leptadenia pyrotechnica, einem stark verzweigten Strauch, als Palisadenzaun errichtet. Es werden darüber hinaus Hecken und Baumreihen gepflanzt. Im Sahel haben sich der Balsam-Wolfsmilch, eine Unterart der Schirmakazie oder die Wüstendattel sowie Prosopis juliflora, eine Leguminosenart, bewährt. Diese Pflanzen vertragen Trockenperioden und episodisches Überwehen ganz gut“, sagt Trux. „Durch die Barrieren wird die Windgeschwindigkeit verringert; der Wind verliert an Kraft und kann dadurch nicht mehr so viel Sand transportieren“, erklärt sie. Die Düne wird bei ihrer Wanderung also verlangsamt, bestenfalls sogar ganz gestoppt.

„Zusätzlich pflanzen wir Gras, Sträucher oder Bäume in die eingeschachtelten Parzellen. Diese stabilisieren über ihr Wurzelgeflecht zusätzlich den Boden. Leguminosen verbessern zudem die Bodenfruchtbarkeit, weil sie in Wurzelsymbiose mit Bakterien leben, die Stickstoff binden. Eine natürliche Düngung.“ Um den Schutz vor dem Sand aufrechtzuerhalten, ist die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung wichtig: „Mindestens drei Jahre dauert es, bis sich die Vegetation so weit etabliert und stabilisiert hat, dass sie die Dünen dauerhaft und sicher stoppen kann.“ Bis dahin müssten die Dünenflächen konsequent vor dem Vieh, vor allem den Ziegen, geschützt werden. In der Region Tahoua in Niger wurden mit dem GIZ-Programm zur Förderung der Ländlichen Entwicklung rund 180 Hektar Dünen stabilisiert.

Sanddünen überrollen ganzes Dorf

Bedrohung durch Dünen gibt es weltweit: Auch in Turkmenistan werden Bauern von Sanddünen geplagt. Zum Beispiel das Dörfchen Bokurdok. Hier haben sich Sanddünen in Bewegung gesetzt, die das Dorf überrollen, sagt Anneke Trux. Die Ursache ist die langfristige Überweidung, die die Weiden in Sandwüsten verwandelt hat. Der Sand setzt sich in Bewegung. Auch hier werden nun Palisaden gebaut und mit lokalen Pflanzenarten stabilisiert.

Forscher gehen davon aus, dass Wanderdünen künftig häufiger zum Problem werden. Durch regional steigende Temperaturen nimmt auch die Dauer und Stärke von Winden zu. Trockener Wind trocknet die Böden stark aus, die Versalzung nimmt zu; beides führt zum Absterben der Pflanzendecke. Der Boden liegt nun schutzlos in den zunehmenden Winden – die Wanderdünen starten.

Dass etwas getan werden muss, ist klar. Denn: Was passiert, wenn sich die Trockenperioden verlängern oder verschieben? Wie wirken sich jahreszeitliche Schwankungen auf die Vegetation aus? Genaue Abschätzung zum konkreten Entstehen und Verhalten von Wanderdünen gibt es bislang nicht.

Ziegen sind fernzuhalten

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Wird die Dünenstabilisierung aber fachgerecht betrieben, scheint sie zu funktionieren: „Wenn sich die Sandoberfläche erst mal stabilisiert hat, steht einer langfristigen Befestigung der Düne nichts mehr im Weg – falls die Ziegen nicht wieder alles abgrasen“, sagt Trux. Der Aufwand solcher Maßnahmen ist überschaubar. Die Experten der GIZ rechnen im Niger mit einem Arbeitseinsatz von rund 50-Mann-Tagen pro Hektar. „An Material werden außerdem etwa 60 Pfähle für die Palisaden und vierhundert Baumsetzlinge pro Hektar gebraucht. In Turkmenistan rechnet man pro Hektar mit gut 1500 Euro für Material, den Einsatz von Maschinen und Arbeit. Die Hälfte davon bringt das Dorf durch eigene Arbeitsleistung auf“, rechnet Anneke Trux vor. Wenn Bäume gestohlen oder Verbauungen zu Holzkohle verarbeitet werden und der Drahtzaun gestohlen wird, wird es natürlich teurer.

„Die Probleme nur den Bauern in die Schuhe zu schieben wäre falsch“, sagt Anneke Trux. „Auch der Staat muss handeln. Weide- und Bodenrecht müssen so ausgelegt sein, das sie für die Landnutzer Anreize bieten, nachhaltig zu wirtschaften. Unsere Arbeit beschränkt sich daher nicht darauf, Palisaden bauen zu lassen oder Bäume zu pflanzen. Mindestens genauso wichtig sind Beratung zu rechtlichen Fragen und die Qualifizierung der Gemeinden – um ihre eigenen Weide- und Ackerressourcen besser zu planen und zu bewirtschaften.“

An der polnischen Ostseeküste lag die Ursache der Verwüstung offenbar in ferner Vergangenheit: Vor mehr als 800 Jahren hatten die Anwohner den Wald abgeholzt – der Sandboden lag frei, und der Wind konnte ungestört hineingreifen. Das Startsignal für die Wanderdüne.

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