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Wenn ein solarer Supersturm die Erde trifft

Besonders heftige Sonnenstürme bewegen sich ins All und beeinflussen das Magnetfeld der Erde. Es wird richtiggehend weggedrückt und "flattert" wie eine Fahne im Wind. Einer der schnellsten bisher aufgezeichneten Sonnenstürme führte 2003 unter anderem zu einem mehrstündigen Stromausfall in Schweden und zu einem Ausfall des europäischen Flugradars Besonders heftige Sonnenstürme bewegen sich ins All und beeinflussen das Magnetfeld der Erde. Es wird richtiggehend weggedrückt und "flattert" wie eine Fahne im Wind. Einer der schnellsten bisher aufgezeichneten Sonnenstürme führte 2003 unter anderem zu einem mehrstündigen Stromausfall in Schweden und zu einem Ausfall des europäischen Flugradars
Besonders heftige Sonnenstürme bewegen sich ins All und beeinflussen das Magnetfeld der Erde. Es wird richtiggehend weggedrückt und "flattert" wie eine Fahne im Wind. Einer der sch...nellsten bisher aufgezeichneten Sonnenstürme führte 2003 unter anderem zu einem mehrstündigen Stromausfall in Schweden und zu einem Ausfall des europäischen Flugradars
Quelle: Nasa
Zwar ist die Sonnenaktivität derzeit niedrig – doch die Ruhe ist trügerisch: Verheerende Sonnenstürme sind jederzeit möglich. Die Folgen für unsere hochtechnisierte Welt könnten fatal sein.

Eine Plasmawolke mit der Masse eines Bergmassivs rast mit über 2000 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zu: Sonnenstürme sind beunruhigende Phänomene. In etwa elfjährigem Rhythmus treffen besonders viele solche heftigen Teilchenströme unseren Planeten.

Oft bilde das Maximum eine Doppelspitze – und die zweite Spitze sei wohl gerade überwunden, sagt der Astrophysiker Volker Bothmer von der Universität Göttingen. Doch gerade in den Jahren nach dem Aktivitätsmaximum seien in der Geschichte besonders oft solare Superstürme mit weitreichenden Effekten auf der Erde beobachtet worden.

"Die Sonnenaktivität ist in diesem Zyklus überraschenderweise allerdings so schwach wie seit 100 Jahren nicht mehr", sagt Bothmer. Von der Stärke des jeweiligen Sonnenfleckenzyklus' hänge die Intensität einzelner Stürme aber nicht ab. Und ein Abflauen der Aktivität hin zum nächsten Minimum bedeute auch nicht, dass verheerende Sonnenstürme erst wieder in elf Jahren drohten.

Besonders starke Stürme kann es immer geben

"Die Gesamthäufigkeit von Sonnenstürmen wird nach dem Maximum geringer, aber besonders starke Stürme kann es immer geben", erklärt Bothmer. "Einer der zehn stärksten jemals beobachteten Sonnenstürme trat im Februar 1986 auf, in einem Minimum." Theoretisch sei fast jederzeit so ein Ereignis möglich. "Unseren Daten nach treten sie am häufigsten etwa drei Jahre nach dem eigentlichen Maximum auf."

Geladene Teilchen werden von der Sonne ständig ausgesendet, bei einer Sonneneruption sind es lokal und für kurze Zeit deutlich mehr als üblich. Werner Curdt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau unterscheidet drei Wellen: Zunächst rasen hochenergetische Teilchen mit zehn bis 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit vor allem von der Sonne weg. Wenn die Richtung stimmt, erreicht dieser überwiegend aus Protonen bestehende Strom die Erde etwa binnen einer Stunde.

"Die Teilchen entstehen etwas oberhalb der Sonnenoberfläche und rasen in entgegengesetzte Richtungen – ein Teil trifft deshalb auch die Sonne selbst", erklärt Curdt. "Dort werden sie abgebremst, die dabei verlorene Bewegungsenergie geben sie als Röntgenstrahlung ab."

Dieser Röntgenblitz, Flare genannt, breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Er überholt den hochenergetischen Strom und kann die 150 Millionen Kilometer entfernte Erde binnen acht Minuten erreichen – das erste Anzeichen eines drohenden Sonnensturms.

Plasmawolke sorgt für die heftigsten Folgen

Doch für die heftigsten Folgen auf der Erde sorgt die dritte Welle: die Plasmawolke, auch koronaler Massenausstoß (CME) genannt. Die aus Elektronen, Protonen und Atomkernen bestehende Wolke kann mit mehr als 2000 Kilometern pro Sekunde durchs All rasen und erreicht die Erde nach etwa zwölf bis 20 Stunden.

Langsamere Ausbrüche kommen sogar erst nach zwei bis drei Tagen an. "Obwohl ihre Masse die eines Bergmassivs haben kann, würde ein Mensch sie, mitten darin stehend, nicht wahr- nehmen – so dünn verteilt sind die Partikel", sagt Curdt.

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Bei uns angekommen treffen die Milliarden Tonnen Material auf zwei schützende Barrieren: Magnetfeld und Atmosphäre. "Das Magnetfeld führt die geladenen Teilchen in etwa zehn Erdradien Abstand um die Erde herum", sagt Curdt. In den Polarregionen ist der Schutz schwächer, denn dort sind die Feldlinien stärker gegen die Erdoberfläche geneigt.

"Diese Gebiete sind anfälliger für Sonnensturmfolgen." Eine häufige – und sehr hübsche – Folge sind Polarlichter, hervorgerufen von elektrisch angeregten Gasteilchen. "Starke Sonnenstürme können das Erdmagnetfeld so sehr verformen, dass diese Lichter auch in niedrigeren Breiten zu sehen sind", sagt Curdt.

Weit weniger schön als das nächtliche Farbenspiel sind andere Folgen solarer Attacken: Die Plasmawolke kann Satelliten und Flugverkehr ebenso in Mitleidenschaft ziehen wie Stromnetze und Navigationssysteme.

Große Teile des Stromnetzes können ausfallen

Beim stärksten Sturm der vergangenen 160 Jahre, dem Carrington-Ereignis, fiel 1859 das gerade erst in Europa und Nordamerika etablierte Telegrafensystem aus, aus Masten sprühten Funken, Relais verschmorten. Heute könnte ein solcher Sturm nach einer Analyse der Versicherungsbörse Lloyd's of London allein in Nordamerika Schäden von mehr als zwei Billionen Dollar verursachen.

"In Stromleitungen, die über weite Strecken reichen, können hohe Span- nungen und Ströme induziert werden", sagt Curdt. Dies kann Transformatoren zerstören – so geschehen in Südafrika bei einem starken Sonnen- sturm 2003. "In der Folge können große Teile des Stromnetzes ausfallen." Bei Navigationssystemen drohen demnach Fehlberechnungen, da die von den Satelliten an die Geräte gesendeten Signale in der aufgeladenen Atmosphäre leicht gebremst werden.

Auch Satelliten selbst sind anfällig – die Sensoren zur Ausrichtung ebenso wie Teile der Bordcomputer und die Solarzellen für die Stromversorgung. "Die Solarzellen der Raumsonde 'Soho' zum Beispiel haben seit dem Start 1995 ein Viertel ihrer Leistung eingebüßt", sagt Curdt.

Lebensgefährliche Strahlendosis für Astronauten

Lebensgefährlich für Astronauten könne die Strahlendosis sein. Eine Studie von US- Forschern weist darauf hin, dass schon der "normale" solare Teilchenstrom Schäden an Satelliten verursacht. Das Team hatte 26 Defekte an acht geostationären Satelliten aus den vergangenen 16 Jahren analysiert.

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Die meisten Fehler traten in Phasen hoher Sonnenaktivität auf, berichten die Forscher um Whitney Lohmeyer vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge im Fachjournal "Space Weather".

Wie gewaltig der Energieausstoß der Sonne – und damit die möglichen Folgen für die Erde – sein können, lässt sich nicht sicher sagen. Einer der intensivsten Sonnenstürme könnte die Erde 774/75 zur Zeit Karls des Großen getroffen haben: "Jahresringe von Bäumen aus diesen Jahren enthalten ein Vielfaches an Radiokarbon C14, das durch die kosmische Hintergrundstrahlung entsteht", erklärt Curdt. Sollte tatsächlich ein Sonnensturm die Ursache gewesen sein, müsste er extrem heftig ausgefallen sein.

Wie häufig solare Superstürme auftreten, lasse sich mangels langer Datenreihen nicht exakt sagen, so Bothmer. Eruptionen gebe es ständig, aber sehr oft falle das Material wieder auf die Sonne zurück. Und nur ein kleiner Teil der Ausstöße sei auf die Erde gerichtet.

Zudem müsse die Partikelwolke mindestens 1000 Kilometer pro Sekunde schnell sein, um sich deutlich auszuwirken. Eine weitere Voraussetzung sei die passende Magnetfeldausrichtung. "Einen Sturm gibt's nur bei einem magnetischen Kurzschluss, wenn das Magnetfeld der Plasmawolke entgegengesetzt zur Richtung des Erdmagnetfeldes orientiert ist."

Erster Sturm räumt für den zweiten den Weg frei

Seit 1932 gab es laut Bothmer auf der Erde 26 magnetische Stürme der höchsten Stufe. Im elfjährigen Sonnenzyklus seien es jeweils ein bis vier. Ein auffälliges Detail: Bei folgenreichen Stürmen wie 1859 und 2003 war es oft die zweite von zwei aufeinanderfolgenden Partikelwolken, die sich besonders stark auswirkte.

"Es scheint so, als würde der erste Sturm irgendwie den Weg freiräumen für den zweiten." Was genau im Bereich zwischen Sonne und Erde passiere, sei noch unklar. Sicher sagen lasse sich momentan auch nicht, ob es neben dem elfjährigen noch länger währende Aktivitätszyklen gibt, etwa einen hundertjährigen Zyklus.

Zu den vielen Ungewissheiten zählt auch eine ganz essenzielle: die Vorhersage. Echte operationelle Frühwarnsysteme gebe es noch nicht, betont Bothmer. Für die Forschung seien aber bereits Verfahren im Einsatz, bei denen Experten nach dem ersten Anzeichen eines Sonnensturms – dem Röntgenblitz – aus den Daten verschiedener Sonden wie "Soho", "Goes", "Stereo" und "SDO" auf die Ausbreitungsrichtung und Geschwindigkeit der ausgestoßenen Teilchenwolke sowie auf deren Eintreffzeit bei der Erde schließen.

Das von Bothmer geleitete EU-Projekt „Affects“ veröffentlicht – ähnlich wie die US-Weltraumbehörde Nasa und die Wetterbehörde NOAA – in enger Zusammenarbeit mit diesen Institutionen bereits Warnungen zu starken Sonnenstürmen. "In den nächsten Jahren ist einiges an neuen Erkenntnisse zu erwarten", ist der Astrophysiker überzeugt. "Ein richtiges Kontrollzentrum für das Weltraumwetter wird kommen."

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