Es ist 23 Uhr, und Campino greift ein letztes Mal zum Mikro und brüllt:"Liebesgrüße an den Schlachthof!" Das kommt von Herzen, mindestens die Bremerinnen und Bremer im Publikum auf der Bürgerweide klatschen, der eine oder andere Blick geht in Richtung des Turms mit der Uhr und dem bunten Peace-Zeichen, nur ein paar Schritte vom Festivalgelände entfernt. Denn ohne das Kulturzentrum Schlachthof, und eigentlich irgendwie auch ohne Bremen wären die Toten Hosen vielleicht gar nicht da, wo sie sind. Eine der erfolgreichsten deutschen Rockbands, so grundsätzlich. Aber auch ganz konkret nicht hier, an diesem Abend. Mehr als 40 Jahre, nachdem sie an Ostern 1982 im Schlachthof aufgetreten sind, fälschlicherweise, aber dem Anlass doch irgendwie angemessen, als "Die toten Hasen" angekündigt.
Diese Schmunzel-Legende kennt jeder Fan, und sie durchzieht in unterschiedlichen Varianten dieses grandiose, überwältigende Konzert auf der Bürgerweide mit 35.000 Menschen. Es ist ein Feierabend im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Band, von den einen liebevoll als "die Hosen", von den anderen mit DTH abgekürzt, ist auf Jubiläumstour. Das heißt: Gespielt wird ein Hit-Gewitter aus vier Jahrzehnten, alles Songs sind Kult. Und so hält Campino, einer der charismatischsten deutschen Rockstars, das Mikro gerne einfach in die Menge und lässt singen – und die Bürgerweide ist maximal textsicher. Es ist für viele der Soundtrack ihres Lebens; genau das zeichnet erfolgreiche Pop- und Rockmusik aus.
Die Band, die außer aus Sänger Campino (alias Andreas Frege), aus Vom Ritchie (Schlagzeug), Andreas von Holst (Gitarre), Michael Breitkopf (Gitarre) und Andreas Meurer (Bass) besteht, lässt zunächst zwei anderen Acts den Vortritt. Die Barstool Preachers aus Großbritannien legen um kurz vor halb sieben mit Ska Punk los; die zweite Band bringt die Menge dann so richtig zum Kochen. Die Beatsteaks aus Berlin füllen selbst große Hallen und sind ein echter Edel-Support. Vor 20 Jahren übrigens hätten sie ihr erstes Konzert in Bremen vor den Toten Hosen bestritten, erzählt Sänger Arnim Teutoburg-Weiß, bevor es weitergeht mit diesem druckvollen, leicht nervösen Sound mit Hang zu Alternative und Noise. Ein junger Fan dürfte die Show wohl nie vergessen. Er wird von Teutoburg-Weiß auf die Bühne geholt und zum Stagediving zurück in die ersten Reihen geschickt. Die fangen ihn souverän auf. Gelernt ist gelernt.
Gegen die Dümmlichkeit
Um kurz vor 21 Uhr legen die Helden des Abends los. Gleich zu Beginn gibt's "Alle sagen das", die Singleauskopplung aus dem die Tour begleitenden Album "Alles aus Liebe - 40 Jahre Die Toten Hosen". Sie ist, wie viele Stücke der Band, ein Statement. Dieses Mal eins gegen die Dümmlichkeit von Verallgemeinerungen: "Die Hosen sind kein Punkrock mehr - alle sagen das/Die Grünen wollen den Linksverkehr - alle sagen das/Nur Faschos bei der Bundeswehr - alle sagen das".
Campino hat in seinen Texten noch nie mit drastischen Worten gespart, und von daher heißt es im Refrain: "Was alle sagen, ist uns sch***egal". Recht hat er, klarer Fall. 35.000 singen mit, Arme hoch, Finger zu Pommesgabeln. Auch musikalisch geht das sofort in Bauch und Bein – da ist sie wieder, diese Mischung aus hingehämmerten Powerchords und dem "Ohoho", das den Refrain begleitet. Hosen-Sound, Hosen-Hymne, simpel, effektiv.
Schlag auf Schlag geht es nun, keine Pause für niemand: "Alles aus Liebe", "Liebeslied", "Bonnie & Clyde", "Niemals einer Meinung", "Willkommen in Deutschland", "Pushed again", "Das ist auch mein Land", "Laune der Natur". Klare Sätze, egal ob es um den aktuellen Beziehungsstatus, den Klimawandel oder Rechtsradikalismus geht, manchmal getränkt mit Humor, immer geleitet von Emotionen. Die Toten Hosen sind eine Band der großen Gefühle, von Wut, Trotz, Leidenschaft, manchmal Verzweiflung. Heißt zugleich: Sie halten nicht hinter dem Berg mit ihrer Sympathie für Pro Asyl oder Oxfam, die vor der Show Einspieler auf der Videoleinwand zeigen dürfen. Oder mit ihrer klaren Kante gegen Rechtsradikale aller Couleur. Auch dieses Position-Beziehen macht sie für ihre Fans so unwiderstehlich.
Es ist ein Abend mit Freunden, mit einem jovial zwischen den Songs plaudernden Campino, der auch mal bittere Wahrheiten verkündet wie die, dass "Wir würden nie zum FC Bayern München gehen" ironisch gemeint gewesen sei. Bayern-Fans im Publikum begrüßt er ausdrücklich. Das trägt ihm die einzigen Buhrufe des Abends ein – geschenkt. Die Show endet nach eineinhalb Stunden mit dem furios-fiesen "Hier kommt Alex", doch die Hosen haben noch lange nicht fertig. Sie kommen zwei Mal zurück, reizen die Zeit bis 23 Uhr aus: covern "Schrei nach Liebe" von den Ärzten, spielen "An Tagen wie diesen", "Zehn kleine Jägermeister", "You'll never walk alone", "Schönen Gruß auf Wiedersehen". Genau. Hoffentlich bald.