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SWR-Sinfonieorchester folgt Teodor Currentzis in Mahlers Neunter hingebungsvoll

Gewaltige, aufwühlende Klang-Ballungen

Dortmund

Teodor Currentzis und das SWR-Sinfonieorchester waren jetzt im Konzerthaus Dortmund zu Gast. Es war ein Abend mit einem hingebungsvoll dem Dirigenten folgenden Orchester und kolossaler Klangentfaltung.

Harald Suerland

Teodor Currentzis und das SWR-Sinfonieorchester waren am Donnerstagabend im Konzerthaus Dortmund zu Gast.
Teodor Currentzis und das SWR-Sinfonieorchester waren am Donnerstagabend im Konzerthaus Dortmund zu Gast. Foto: Bjoern Woll

„Etwas täppisch und sehr derb“ steht über dem zweiten Satz der neunten Mahler-Sinfonie. So etwas lässt sich ein Dirigent wie Teodor Currentzis nicht zweimal sagen. Mit wuchtigen Akzenten und effektvollen Verzögerungen ging sein SWR-Sinfonieorchester im Konzerthaus Dortmund diese Parodie eines Ländlers an – alles Volkstümliche wurde hier ins Groteske verzerrt.

Currentzis sucht und findet die Extreme, womit er bei Gustav Mahler natürlich an der richtigen Adresse ist. Das führt erwartungsgemäß zu einer aufwühlenden Interpretation von Mahlers großem sinfonischen Abschiedswerk – seine zehnte Sinfonie blieb ja bekanntlich Fragment. Und das gewaltige Orchesteraufgebot (mit 18 ersten Violinen) lässt im vergleichsweise kleinen Dortmunder Saal gewaltige Klangballungen entstehen, gerade weil Currentzis die fabelhaften Musiker zu einem Spiel treibt, als müssten sie ein Stadion füllen.

Schon im Kopfsatz gerät das erste Crescendo zum Naturereignis, entsteht ein riesiger Kontrast zwischen dem verhaltenen, wie aus der Ferne klingenden Beginn des Mittelteils und den späteren Zuspitzungen bis hin zum dreifachen Forte des Beckenschlags. Dieses Hineinsteigern in emotionale Randbereiche lässt den Zuhörer förmlich mitleiden an der Furcht vor den tödlichen Katastrophen, mit denen Mahler die Schönheit des Lebens konfrontiert. Für manche Entwicklungen indes hebt sich Currentzis keine Reserven mehr auf: Der Trauermarsch-Rhythmus gegen Ende des ersten Satzes verblasst unter den Klangwogen, und dem eigentlich so grellen dritten Satz fehlt ein wenig die Intensität der vorhergehenden Ländler-Parodie.

Minutenlange Stille und extemer Applaus

Das SWR-Orchester folgt seinem Chefdirigenten hingebungsvoll und beweist im Adagio-Finale den Sinn des großen Streicher-Aufgebots: Wie ein Portal präsentieren die Geigen das Eingangsthema, und das allmähliche Auflösen und Ersterben der Klänge ist so traurig-schön wie nur eben möglich. Typisch Currentzis: Er lässt dazu das Saallicht dimmen und das Werk in völliger Dunkelheit verklingen. Man kann das für einen plumpen Effekt halten, aber er erreicht damit, dass gefühlt minutenlange Stille herrscht, bevor der Applaus dann auch Extreme erreicht.

In Stuttgart pflegen Currentzis und das Orchester des SWR eine spezielle Zugabenkultur, die sie auch mit auf ihre Gastspiele nehmen: Nach einer kleinen Pause präsentieren sie jenen Zuhörern, die in den Saal zurückkehren, eine kammermusikalische Überraschung. An diesem Abend, nach Mahlers Auflösung der sinfonischen Form, gab es Luigi Nonos sperriges Violin-Duo „Hay que caminar sonando“. Und sogar für diese kühne Nachtmusik gab es großen Beifall.