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Heilpflanze

Giersch: gehasst oder geliebt

Giersch-Teppich
Karin Greiner
am Montag, 05.04.2021 - 07:00

Der Giersch löst starke Gefühle aus: Gärtner verfluchen ihn als ewiges Unkraut, gleichzeitig wird er als Delikatesse und Heilkraut gefeiert. Was tun? Sich nicht zu viel ärgern, sondern das Kraut lieber genüsslich aufessen!

Seien Sie bloß nicht unwirsch zum Giersch! Sonst wächst Ihnen das Kraut – nein, nicht über den Kopf, sondern vielleicht gar nicht mehr. Das wäre jammerschade. Zumindest, wenn man es aus dieser Perspektive betrachtet: Giersch oder Geißfuß, botanisch Aegopodium podagraria, ist ein feines Gemüse, das völlig ohne gärtnerisches Zutun in fast jedem Garten wuchert. Noch dazu ist der Giersch ein altes Heilkraut.

Meister der Säfte

Seine alten Volksnamen Zipperleins- und Podagrakraut verraten, dass Giersch nicht nur als schlichte Küchenzutat, sondern auch als Heilmittel eingesetzt wurde. Im antiken Rom diente der Giersch zur Linderung der „Krankheit der Könige“ (Gicht), die auf eine zügellose Lebensart mit übermäßigem Konsum von Fleisch und Alkohol zurückgeht. Gegen die schmerzhaften Folgen legte man einen Brei aus den Blättern auf und verordnete Bäder im Gierschsud.

Im Mittelalter erlangte der Giersch nicht nur als Speisepflanze, sondern ebenso als Heilkraut höchste Verehrung. Tabernaemontanus (1522-1590), der zu den großen Kräuterkundigen der Geschichte zählende deutsche Professor für Botanik und Medizin, stellt den Giersch in die Gesellschaft hochgeschätzter Heilpflanzen wie Meisterwurz und Engelwurz. Anders als bei der „Meisterin aller Wurzen“ und dem „Engel unter den Wurzeln“ nutzt man beim Giersch, dem „Meister der Säfte und des Fließens“, vorzugsweise die Blätter.

In Vergessenheit geraten

Doch die große Zeit des Gierschs ist vorbei. Kaum ein Nachschlagewerk über Heilkräuter und Arzneipflanzen listet ihn auf, geschweige denn gibt es neue Untersuchungen zu seinen Inhaltsstoffen und Wirkungsweisen. Aber Gicht, Arthritis und Rheuma sind weiterhin verbreitet. Dabei macht ihn allein sein hoher Mineralstoffgehalt tauglich, die allgemeine Entgiftung zu fördern und damit auch die Gichtschübe verursachende Harnsäure auszuscheiden. Ähnlich wie Birkenblätter oder Brennnesselkraut bringt der Giersch die Körpersäfte ins Fließen, unterstützt von ätherischen Ölen, Flavonoiden und weiteren Stoffen wirkt er einer Übersäuerung und Entzündungen entgegen.

Im Essen vorbeugen

Auf erdigem Boden liegen ausgerissene Giersch Pflanzen samt ihren Wurzeln

Getreu dem Leitspruch „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein“, der dem griechischen Arzt und Vater der Heilkunde Hippokrates von Kos (460-377 v. Chr.) zugeschrieben wird, gehört der Giersch auf unseren modernen Speiseplan. Gierschumschläge und -tee bringen zwar bei einem akuten schmerzhaften Gichtschub sowie bei rheumatischen Beschwerden Linderung. Unerlässlich ist aber auch eine Umstellung des Essens.

Während der Giersch bei hiesigen Gärtnern als Gärtnerschreck gefürchtet und als meist gehasstes Unkraut bekämpft wird, sind die Koreaner einen großen Schritt voraus. Dort baut man Giersch als beliebtes Gemüse an und er findet reißenden Absatz. Immerhin wurde Giersch einst auch in hiesigen Kloster- und Bauerngärten als Nutzpflanze kultiviert, lange bevor man Spinat und Mangold überhaupt kannte.

Giersch gilt sogar als der „bessere Spinat“, weil er vollgepackt ist mit wertvollen Inhaltsstoffen, gleichzeitig frei von Oxalsäure, die in hoher Dosierung die Nieren angreift. An Nährwerten übertrifft er mühelos den vielgerühmten Grünkohl, er bietet doppelt so viel Vitamin C, ein Vielfaches mehr an Mineralstoffen und nahezu den zweifachen Eiweißgehalt.

Drei mal drei ist Giersch

Beim Giersch dreht sich alles um die Zahl Drei:

  1. Seine Blattstiele (ein höchst würzkräftiges Stängelgemüse) sind dreikantig.
  2. Seine Blätter sind dreigeteilt.
  3. Sein Geschmack ist dreifaltig: er vereint die Aromen von Petersilie, Sellerie und Karotte.

Vom Giersch kann man gleich drei Teile nutzen. Blätter, Blüten, Früchte. Jung geerntet sind die Blätter zart und mild, ältere Blätter ergeben ein deftiges Suppenkraut. Zarte Blütendolden lassen sich wie Hollerküchlein in Teig ausbacken, aber in der salzigen Variante. Junge Früchte erinnern ein wenig an Fenchelsaat und Kümmel, ergeben mit Salz gemixt eine pikante Speisewürze.

Aufstieg als Gourmetkraut

Weil der Giersch vertraute Aromen mit mildem Geschmack verbindet, lässt er sich außerordentlich vielseitig in die tägliche Nahrung integrieren: im Frühjahr der Austrieb als zarte Rohkost, im Sommer die Blätter und Stängel gekocht, gedünstet, püriert und kombiniert, im Herbst die Früchte und nachgewachsene Blättchen als Gewürz.

Noch ein paar Giersch-Ideen? Aber gerne: Tomaten mit Mozzarella – und Giersch statt Basilikum. Kartoffelsuppe wie -salat mit Giersch, Giersch-Quiche, Fischfilet oder Spargel mit Zitronen-Giersch-Hollandaise, Frischkäse mit Giersch, Zitronenschale, Salz und Pfeffer zu einem Dipp gerührt. Gierschdudler gefällig? Dafür ein Sträußchen Gierschblätter zwei bis drei Stunden in Apfelsaft legen, mit Zitrone und Mineralwasser aufgespritzt servieren.

Giersch im Garten

Damit über die gesamte Saison stets junge, zarte Blätter für die Ernte parat sind, muss fleißig geerntet werden. Oder man mäht den Bestand einfach immer mal wieder ab. Es ist leider selten von Erfolg gekrönt, den Giersch bei der Wurzel zu packen. Nicht ärgern, aufessen!

Wenn man den Giersch doch satt hat: Die Fläche mit schwarzer Mulchfolie abdecken, obenauf Rindensubstrat oder -mulch zum Beschweren füllen. So hungert der Giersch aus. Mindestens ein ganzes Jahr muss die Abdeckung bleiben. Da ist es vielleicht angebrachter, den Giersch als Bodendecker zu akzeptieren. Das ist in England und den USA durchaus üblich.

Heilpflanzen-Steckbrief

Nahaufnahme einer Girsch Blüte

So sieht der Giersch aus: Krautige Pflanze, anfangs dichter Blattteppich, zur Blütezeit knie- bis hüfthoch, sich weit ausbreitendes Geflecht aus weißen, stricknadeldünnen Wurzeln; junge Blätter dreigeteilt, mindestens mittlere Fieder nochmals dreigeteilt, mit dreikantigen Stielen; kleine weiße Blüten in schirm- bis halbkugelförmiger Dolde auf rundem, kantig-gefurchtem Stängel, eiförmige, geriefte Früchte kümmelähnlich.

Da wächst er: halbschattige bis schattige Stellen auf leicht feuchtem, nahrhaftem Boden; Wälder, Gebüsche, Gärten und Parks.

Das sammelt man: Blätter, Blüten, Früchte.

So wirkt er: appetitanregend und -regulierend, verdauungsfördernd, stoffwechselanregend, harntreibend, schweißtreibend, entgiftend, schmerzlindernd, wundheilend.

So wird er verwendet: in der Heilkunde vor allem die Blätter für Tee, Umschläge und Auflagen, Badezusatz; in der Küche für Salate, Suppen, Füllungen, Kräuterbutter, Pesto, Würzöl, Gewürzsalz; für Smoothies, Säfte, Limonaden, Drinks, gut geeignet zum Einfrieren, Einlegen.

Achtung: Die jungen Blätter des Giersch lassen sich mit Sämlingen vom Schwarzen Holunder (Sambucus nigra) verwechseln. Die Blätter werden – anders als Blüten und Früchte – als giftig eingestuft und wachsen oft zwischen dem Giersch. Junge Holunderpflanzen haben aber fünf bis sieben Fiederblätter, beim Reiben steigt ein unangenehmer Geruch auf.

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