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Obdachlosigkeit in Luxemburg

Rund 200 Menschen ohne festen Wohnsitz leben in der Hauptstadt

Zum ersten Mal wurde die Zahl obdachloser Menschen in der Hauptstadt erfasst. Am Dienstagmorgen wurden die Ergebnisse vorgestellt.

Armes, reiches Luxemburg: 197 Menschen leben derzeit ohne festen Wohnsitz in der Hauptstadt.
Armes, reiches Luxemburg: 197 Menschen leben derzeit ohne festen Wohnsitz in der Hauptstadt.  Foto: Anouk Antony/LW-Archiv

Sie gehören zum Stadtbild dazu, auch wenn man oft dazu neigt, sie nicht wahrhaben zu wollen: Menschen ohne festen Wohnsitz. Doch wie viele Obdachlose sich in den Vierteln der Stadt Luxemburg bewegen, war bislang nicht bekannt.

Es handelt sich nur um eine Momentaufnahme.

Corinne Cahen

66 Mitarbeiter des sozialen Bereichs durchkämmten am Abend des 26. Oktobers vergangenen Jahres von 17 bis 24 Uhr 24 Viertel der Stadt Luxemburg. Dies geschah im Auftrag des Familienministeriums. 197 Personen ohne festen Wohnsitz trafen die Sozialarbeiter verschiedener Organisationen und des Familienministeriums dabei in den Straßen der Hauptstadt an. Die überwiegende Mehrheit waren Männer. 28 Frauen und 169 Männern wurde ein Fragebogen vorlegt, um „ihre Hintergründe und Bedürfnisse besser kennenzulernen und möglichst effizient helfen zu können“, schreibt Familienministerin Corinne Cahen (DP) in einer Pressemitteilung.

Virginie Giarmana, beigeordnete Direktorin von Inter-Actions, Familienministerin Corinne Cahen und Stéphanie Goerens, Verantwortliche der Division solidarité, stellten die Ergebnisse vor.
Virginie Giarmana, beigeordnete Direktorin von Inter-Actions, Familienministerin Corinne Cahen und Stéphanie Goerens, Verantwortliche der Division solidarité, stellten die Ergebnisse vor. Foto: Chris Karaba

Vorgestellt wurden die Ergebnisse der Zählung von Virginie Giarmana, beigeordnete Direktorin von Inter-Actions, Corinne Cahen und Stéphanie Goerens, Verantwortliche der Division solidarité, in den Räumen von Inter-Actions in Bonneweg. Angesprochen wurden bei der Zählung Personen, die den europäischen Kategorien Ethos 1 und Ethos 2 entsprechen, das bedeutet, dass diese im öffentlichen Raum, auf der Straße oder in Notunterkünften leben. Von 197 Personen erklärten sich 130 bereit, zusätzlich einen Fragebogen zu ihrer Person und ihrer Situation auszufüllen.

Ergebnisse der Datenerhebung

Die Auswertung der Daten ergab, dass der Altersdurchschnitt der 130 befragten Personen bei 42 Jahren liegt. Knapp 60 Prozent kamen aus dem europäischen Raum, rund 24 Prozent stammen aus Luxemburg und knapp 17 Prozent außerhalb der EU. 33,85 Prozent der befragten Menschen gaben an, seit über fünf Jahren auf der Straße zu leben. Die Schicksale der Befragten sind dabei vielfältig. Einige gaben an, in finanzielle Schwierigkeiten geraten zu sein, andere sind durch Trennungen oder Verlust des Arbeitsplatzes auf der Straße gelandet. Von den 130 Personen gaben zudem 33,86 Prozent an, bereits ohne festen Wohnsitz in Luxemburg angekommen zu sein und dass sie dies auch in einer nächsten Phase nicht ändern konnten.

Der Fragebogen behandelte peripher auch den gesundheitlichen Zustand der befragten Personen. Von 96 Personen, die bereit waren, auf diese Fragen zu antworten, gaben 27,66 Prozent an, keine gesundheitlichen Leiden zu haben. Dieses Ergebnis sei jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn Menschen ohne festen Wohnsitz haben nur bedingt Zugang zu regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen.

Oberste Priorität der befragten Personen ist unterdessen, eine dauerhafte Lösung ihres Wohnungsproblems zu finden. Erst an zweiter Stelle kommt die Suche nach einer Arbeitsstelle. Der Teufelskreis, in dem Menschen ohne festen Wohnsitz aber oftmals gefangen sind, besteht darin, dass man ohne feste Adresse keine Arbeit findet und man sich ohne Arbeit auch keinen festen Wohnsitz finanzieren kann.

Nächste Zählung im Mai geplant

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„Es handelt sich nur um eine Momentaufnahme“, unterstreicht Corinne Cahen. Dem pflichtet auch Virginie Giarmana bei. Dennoch sollen die Ergebnisse in Zukunft als Standardmessung genutzt werden, denn geplant ist eine Zählung dieser Art zweimal pro Jahr. Bereits kommenden Mai, wenn die Temperaturen langsam wieder steigen und Übernachtungen im Freien bei Minustemperaturen nicht mehr lebensgefährlich sind, soll eine weitere Zählung durchgeführt werden. Auch während der Wanteraktioun (WAK) in den kalten Wintermonaten möchte man sich zukünftig einen Überblick über die Lage verschaffen. Wenn das Interesse in anderen Gemeinden bestehe, könne man weitere Zählungen in Zukunft auch in einer größeren Dimension vornehmen.

Obdachlose Menschen sind nicht durchsichtig.

Der Fragebogen sei noch ausbaufähig. Auch die Uhrzeit limitiere die Resultate, da spätabends andere Menschen angetroffen werden, als morgens. Zudem lebt nicht jede Person, die keinen festen Wohnsitz hat, ausschließlich auf der Straße. Es gibt auch jene, die bei Drittpersonen übernachten, in Strukturen, Kellern oder sogenannten Squats. Ein klares Bild der Situation sei durch die Fluktuation deswegen nur bedingt möglich.

Wohnungssituation als größte Hürde

Die Strukturen würden im Moment nicht reichen, deswegen arbeite man an weiteren Lösungen. Bis 2030 soll laut des Vertrags von Lissabon kein Mensch in den 27 EU-Mitgliedstaaten mehr auf der Straße schlafen müssen. Die größte Hürde sehen sowohl Virginie Giarmana als auch Corinne Cahen bei der aktuellen Wohnungssituation. Allerdings sei dies nicht die einzige Hürde. Häufig leiden Menschen ohne festen Wohnsitz auch an psychologischen Beschwerden, weswegen momentan eine Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium in Planung sei, um obdachlosen Menschen eine gezielte Behandlung zu ermöglichen und ihnen adäquat helfen zu können.

Das Schlimmste, was man Menschen auf der Straße antun könne, sei, sie so zu behandeln, als seien sie durchsichtig, sagt Corinne Cahen. Jeder Mensch habe eine Geschichte und sei es wert, gehört zu werden.

Detaillierte Ergebnisse finden Sie auf der Internetseite des Familienministeriums.

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