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Analyse und Meinung

Die Société d’impact sociétal, eine Mogelpackung?

Anhand von fünf Argumenten nimmt der Autor dieses Betriebsmodell unter die Lupe.

Der Autor unterzieht die Geschäftsform für Unternehmen mit Gemeinnutz einer kritischen Bewertung.
Der Autor unterzieht die Geschäftsform für Unternehmen mit Gemeinnutz einer kritischen Bewertung. Foto: Shutterstock

Milton Friedman und Karl Marx saßen zusammen an einem Tisch, spielten Monopoly und tranken Wein. Milton sagte dann zu Karl: „Hör mal, ich habe neulich in einem Artikel in der Zeitung (‚Vorreiter beim sozialen Kapitalismus‘, im ‚Luxemburger Wort‘ vom 4. April 2023) gelesen, dass die Luxemburger eine Geschäftsform für Unternehmen mit Gemeinnutz eingeführt haben. Sie haben dafür das Betriebsmodell einer Société d’impact sociétal (SIS) ins Leben gerufen.“

„So, so, sehr ambitiös“, antwortete Karl, „darauf sollte dir doch ein schöner Trinkspruch einfallen, Milton.“ „Ein Hoch auf den sozialen Kapitalismus“, erwiderte Milton und begann zu kichern. „Ein Hoch auf den kapitalistischen Sozialismus“, brüllte Karl und beide begannen lauthals zu lachen. „Das machen die Chinesen seit Deng Xiaoping doch schon seit über 30 Jahren mit ihrer sogenannten sozialistischen Marktwirtschaft“, meinte Karl.

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Milton stimmte zu und erinnerte sich, dass zu seinem Leidwesen die Chinesen seine neoliberale Schocktherapie in jener Zeit nur in homöopathischer Form angewandt hatten. Einig waren sich beide aber, dass die zwei Trinksprüche eine Art verfehlten Pleonasmus darstellten und dass die SIS beileibe kein „Vorreiter beim sozialen Kapitalismus“ wäre, wie es der Titel des Artikels glauben lässt.

Eine Idee auf dem Prüfstand

In der Tat ist das so und dies aus verschiedensten Gründen, welche wir in diesem Artikel versuchen werden, anschaulich darzustellen. Wir werden diese neue Gesellschaftsform auf verschiedenen Prüfständen auf ihre Tauglichkeit in Bezug auf ihre Ambition untersuchen. Wir werden weiterhin untersuchen, inwieweit einige Aussagen in besagtem Artikel den Sachverhalten standhalten.

Prüfstand Nummer eins betrifft die Einzigartigkeit: Ist Luxemburg einer der ersten Staaten, welcher eine Geschäftsform für Unternehmen mit Gemeinnutz hat? Es gibt überall auf der Welt solche sozialen und solidarischen Betriebe und die Geschäftsformen, die diese annehmen, sind vielfältig in Bezug auf ihre rechtliche Verankerung. Einige Beispiele können dies belegen.

Fangen wir mit unseren Nachbarländern an. In Deutschland gäbe es keine eigenständige Rechtsform für solche Unternehmen, heißt es im Artikel. In Deutschland gibt es aber die gGmbh (gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung) und sie verfolgt ganz sicher die hier zur Debatte stehenden sozialen Ziele. In Belgien gibt es gesetzliche Regelungen, welche die Kriterien für diese Betriebe festsetzen. Es sind die Gesetze zur „entreprise sociale“ oder des „entrepreneuriat social“. In Frankreich gibt es seit 2014 die „loi relative à l’économie sociale et solidaire“ und seit jeher ein gutes Dutzend verschiedener gemeinnütziger Gesellschaftsformen, unter anderem gibt es im Zuge des Gesetzes von 2014 auch das „Agréement ESUS“ („entreprise commeriale d’utilité sociale“), welches wohl als Blaupause für die Luxemburger SIS diente.

In Italien funktionieren seit gut 60 Jahren die „Cooperativa sociale“ und die Rechtsgrundlage wird permanent an die neuen Anforderungen angepasst. Sogar in England ist unter der „social enterprise law“ vor Jahren die „CIC (Community interest company)“ eingeführt worden. Diese Liste wäre leicht weltweit weiterzuführen, sie stellt die beschriebene Einzigartigkeit der luxemburgischen SIS aber eindeutig infrage.

Die Frage der legalen Form

Prüfstand Nummer zwei ist die legale Form: Ist die SIS eine eigenständige Betriebsform? Wie bei manchen der oben beschriebenen Gesellschaftsformen ist diese Behauptung auch hier zu hinterfragen. Im Endeffekt ist der Name „société d’impact sociétal“ nur ein Label. Auch wenn es als Rechtsform anerkannt ist. Denn um eine SIS zu gründen, muss zuerst eine eingetragene Gesellschaftsform vorhanden sein (existent oder zu gründen). Und die sind im Handelsrecht schon bestehend und sind ausschließlich gewinnorientiert. Es sind dies die Aktiengesellschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die vereinfachte Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Genossenschaft. Es ist zu hinterfragen, wieso es also diesen speziellen Aufbau braucht, wenn man weiß, dass die Europäischen Leitlinien betreffend die „responsabilité sociétale de l’entreprise“ (RSE) diese Art „Governance“ einfordern. Wo ist der Unterschied?

Prüfstand Nummer drei ist die Frage nach dem Anreiz und der Gewinnverteilung: Die der SIS zugrunde liegende Überzeugung scheint zu sein, dass der elementare Anreiz, um ein Unternehmen zu gründen, doch der persönliche Profit ist. Dementsprechend ist die Aussage „Eines der Grundkonzepte ist , dass keine Dividenden ausgezahlt werden“ schon befremdlich, da doch im Gesetz vorgesehen ist, dass das Kapital aus mindestens 50 Prozent ertragslosen Aktien bestehen muss, welche keinen Anspruch auf eine Dividendenausschüttung haben und aus höchstens 50 Prozent Aktien bestehen darf, welche Anspruch auf Dividendenausschüttung haben.

Die Gefahr besteht, dass sich wie beim „Green-Washing“ ein „Social-Washing“ entwickeln kann.

Die Tür ist also offen für Anleger, welche nach einer Rendite suchen und die Gefahr liegt nahe, dass sich wie beim „Green-Washing“ ein „Social-Washing“ entwickeln kann. Zu begrüßen wäre allerdings die Möglichkeit, dass wenn das Kapital zu 100 Prozent aus ertraglosen Aktien besteht, die Gesellschaft von jeglicher Steuer befreit ist. Aber dazu hätte es dieses Gesetzes nicht bedurft, da dies schon den Vereinigungen ohne Gewinnzweck und den Stiftungen gewährt wird.

Dem Gemeinwohl dienen

Prüfstand Nummer vier erfragt, wer die Firmengründer sind und inwieweit ihre Aktivität dem Gemeinwohl dienen kann. Wir erfahren in besagtem Artikel, dass die „meisten SIS One-Man-Shows“ sind (wo sind die Frauen?). Demnach hat also meistens eine Person eine Geschäftsidee und die versucht daraus, ein Business zu machen. Demzufolge ist diese Person von seiner Geschäftsidee überzeugt und betrachtet sie als sinnstiftend und überzeugt die Verantwortlichen vom Ministerium für Sozial- und Solidarwirtschaft, dass ihr Geschäft dem Gemeinwohl in irgendeiner Form dient. Es ist aber eine gewagte These zu meinen, dass eine einzelne Person die Bürgschaft dafür übernehmen kann.

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Prüfstand Nummer fünf beleuchtet die Annahme dieser Gesellschaftsform. Laut Artikel gibt es fast 50 SIS in Luxemburg. Laut Statec gab es von 2017 bis 2020 25 Gründungen von SIS. Die Verdoppelung innerhalb von zwei Jahren zeigt eigentlich, wie träge dieser Prozess sich dahinzieht und wie ungern er von den Akteuren der Sozial- und Solidarwirtschaft in Luxemburg angenommen wird. Davon zeugt vor allem, dass die Vereinigungen ohne Gewinnzweck (asbl), die in der Sozial- und Solidarwirtschaft tätig sind und laut Statec 2.135 Vereinigungen (76,2 Prozent) ausmachen, den Großteil im Bereich des Gemeinwohls leisten. Und dies wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass bei diesen Gesellschaften der Gewinnzweck absolut ausgeschlossen ist und sie eine eigenständige juristische Form haben.

Ein Fazit, das man ziehen kann, ist, dass mit diesem Gesetz die Bestrebung besteht, privates Kapital in die Aufgaben der Gemeinwohlunternehmen einzuschleusen und durch diese Hintertür die uneigennützige Gemeinwohlarbeit in einem kapitalistischen Sinne zu unterwandern. Bei den öffentlichen Institutionen ist es schon Normalität, dass viele Projekte unter der Bezeichnung „partenariat public-privé“ realisiert werden und dies nicht immer zum Vorteil der Gemeinschaft oder des Steuerzahlers, der ein nicht zu unterschätzender Akteur im Hinblick auf das Funktionieren des Gemeinwohls ist.

* Der Autor ist Präsident des Institut Luxembourgeois de l’Economie Solidaire.

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Quelle: ~EXTERNE

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