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Flüchtlingsrat reagiert

Wie Luxemburg Asylbewerber auf der Straße schlafen lässt

Die Lage rund um die Flüchtlingsaufnahme verschärft sich weiter, stellt der Flüchtlingsrat fest – und gibt der Migrationspolitik von Jean Asselborn die Schuld hierfür.

Ausgerechnet zu Beginn der kalten Jahreszeit kam die Ankündigung von Noch-Außenminister Jean Asselborn (LSAP), „Dublin“-Flüchtlinge müssten damit rechnen, keinen Platz in den Aufnahmestrukturen der Immigrationsbehörde zu bekommen.
Ausgerechnet zu Beginn der kalten Jahreszeit kam die Ankündigung von Noch-Außenminister Jean Asselborn (LSAP), „Dublin“-Flüchtlinge müssten damit rechnen, keinen Platz in den Aufnahmestrukturen der Immigrationsbehörde zu bekommen.  Foto: DPA

Der Luxemburger Flüchtlingsrat (LFR) ist formell: Luxemburg bricht mit seiner neuerdings restriktiveren Flüchtlingspolitik EU-Recht. Männer, die bereits in anderen EU-Länder einen Antrag auf einen internationalen Schutzstatus gestellt haben, so genannte „Dubliner“-Fälle, müssen seit dem 20. Oktober auf einer Warteliste verharren. Momentan sind rund 25 Männer vom Aufnahmestopp betroffen. Die Folge: Obwohl sie aufgrund ihres Asylwerber-Status ein Anrecht auf eine Unterkunft haben, schlafen sie auf der Straße.

Ein Zustand, der hätte vermieden werden können, findet der Flüchtlingsrat, der sich am Dienstag zur aktuellen Lage zu Wort meldete. „Vordenken wäre besser gewesen, statt in einer Fernsehsendung Tränen zu vergießen“, kritisierte unter anderem ASTI-Sprecher Sérgio Ferreira den Auftritt von Außenminister Jean Asselborn im RTL-Kloertext vorige Woche. Dieser hatte sichtlich mit Tränen zu kämpfen, als er die neue restriktive Aufnahmepolitik rechtfertigte.

Indem Dubliner auf der Straße landen und auf eine Unterkunft warten müssen, führe Luxemburg zur Prekarität von Asylwerbern bei und zögere die Integration dieser Menschen hinaus, so die Warnung des Flüchtlingsrates. „Und das, obwohl gerade Dubliner hohe Chancen haben, den Schutzstatus zu erhalten“, wie Marion Dubois von der Flüchtlingsberatungsstelle Passerell anmerkt. Die Vereinigung hatte vorige Woche auf den Zustand vierer junger Männer aufmerksam gemacht, die von den hiesigen Behörden nicht aufgenommen wurden. Diese mussten provisorisch in einem Zelt übernachten.

Migrationsgipfel und Aufnahmequoten für Gemeinden als Teil der Lösung

„Wir befinden uns in einer Notlage. Es muss heute gehandelt werden. Wir müssen uns die Mittel dafür geben“, stellte Ferreira zudem fest. Dieser brachte die Idee auf, zentrale Akteure der Flüchtlingsaufnahme rund um einen Tisch zu versammeln, um die Krisensituation zu besprechen. „Staat, Gemeinden, Betreiber von Aufnahmestrukturen – wir müssen Lösungen finden und sie müssen endlich auf uns hören“, so die Ansage rund um einen möglichen Migrationsgipfel.

Vor allem die Gemeinden seien gefragt. Diese würden die Instrumente zur Unterstützung der Aufnahme von Flüchtlingen aktuell nicht anwenden. Sollte sich dieser Zustand nicht ändern, müssten Verteilungsquoten in den Gemeinden in Betracht gezogen werden, so Ferreira weiter. Aktuell verwaltet das Nationale Aufnahmeamt 54 Unterkünfte in nur 30 Gemeinden.

Vordenken wäre besser gewesen, statt in einer Fernsehsendung Tränen zu vergießen.

Sérgio Ferreira
ASTI-Sprecher

Warum die Aufnahmestrukturen aktuell an ihre Grenzen stoßen, sei vor allem mit administrativen Versäumnissen der Immigrationsbehörde verbunden. Rückführen von Familien, die einen negativen Asylbescheid erhalten, die in den Aufnahmestrukturen untergekommen sind und das Land verlassen müssen, würden oft daran scheitern, dass beide Ehepaare aus zwei verschiedenen Staaten stammen. Was Rückführungen erschwere.

Die Betroffenen seien in einigen Fällen erst mehrere Monate nach dem negativen Bescheid informiert worden und darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie die Aufnahmestrukturen umgehend zu verlassen hätten. Die Rückführung sei in diesen Fällen jedoch nicht möglich gewesen, der Status der Familie daraufhin nie legalisiert worden. Wodurch ihnen drohte, auf der Straße zu landen, so ein reales Beispiel, das vom LFR am Dienstag angeführt wurde. „Wir sind nicht dafür, dass es keine Rückführungen geben soll, aber sie müssen vorbereitet werden“, sagt Ferreira zu dem Beispiel und schlägt die Schaffung eines Ausreisezentrums vor, der sich auf die Organisation von Rückführungen spezialisieren würde.

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„Die Festung Europa funktioniert nicht“

Andere Asylwerber, die einen positiven Bescheid erhalten haben, verfügen zudem über ein Jahr, um die Aufnahmestrukturen zu verlassen. Wer sich von ihnen keinen Wohnraum leisten kann, darf gegen ein Entgelt von rund 1.100 Euro weiter in den Unterkünften der ONA (Office national de l'accueil) unterkommen. Was zusätzlich die Aufnahmekapazitäten von neuen Asylwerbern blockiere.

Für Schutzsuchende sei es jedoch schwer bis unmöglich, leistbaren Wohnraum zu finden. Luxemburg habe es verpasst, eine interdisziplinäre Aufnahmepolitik zu betreiben. Ebenso, was die Beschäftigung von Menschen mit einem internationalen Schutzstatus anbelangt. „Wer ein Jahr in einer Aufnahmestruktur vegetiert, dann Monate darauf warten muss, um erst arbeiten zu gehen, kann nicht sofort einer Beschäftigung nachgehen. Vor allem, wer unter einem Trauma leidet oder nicht in der körperlichen Verfassung dazu ist.“

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Luxemburg darf nicht darauf warten, dass sich weniger Schutzsuchende auf den Weg nach Luxemburg machen, warnt der LFR. Europa als Festung zu sehen, die illegale Migration zu verhindern ansucht, sei eine „Illusion“. „Die Festung Europa funktioniert nicht. Sie hat Ungleichheiten, Menschenhandel und den Tod von Migranten im Mittelmeer mit sich gebracht. Es braucht einen Paradigmenwechsel“, so Ferreira über die EU-weite Tendenz, restriktivere Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen zu implementieren.

Asselborn reagiert

In einer Mitteilung reagiert Außenminister Jean Asselborn am Dienstagabend auf die vom Flüchtlingsrat erhobenen Vorwürfe: Einerseits sei die Zahl der in Luxemburg asylsuchenden Menschen stetig gestiegen, sodass man trotz einer Erhöhung der Flüchtlingsbetten um 252 Prozent seit 2014 an die Grenzen stoße, andererseits erschwere die Lage auf dem Wohnungsmarkt die Lage zusätzlich. Dass man nun die Entscheidung, Männer auf einer Warteliste einzutragen gefällt habe, sei eine Entscheidung zugunsten von Frauen, Familien, Kindern und vulnerablen Personen.

Parallel versuche man, die Aufnahmekapazitäten zusätzlich zu erhöhen. So nennt der Minister etwa die vorgezogene Eröffnung von Halle 7 in der Luxexpo (600 Betten) oder einer weiteren Aufnahmestruktur in Schimpach (55 Betten). Die Priorität liege aktuell bei Kindern, Familien und schwachen Menschen, die man unter allen Umständen aufzunehmen in der Lage sein will.

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