Wie politisch darf (und muss) Werbung sein?

Discounter, die Stay-at-Home-Kampagnen schalten, Sportartikler, die sich gegen Rassismus engagieren – immer mehr Marken wollen mit ihrer Haltung Kunden überzeugen. Aber ist das die richtige Strategie?

Dr. Irène Kilubi
  • Medien und Marketing sind noch immer von Vorurteilen geprägt
  • Marketingstrategien müssen sich grundlegend ändern
  • Bisher gibt es zu wenige Vorbilder, wie Marken Stereotype überwinden können

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Medien – und dazu zähle ich auch werbetreibende Unternehmen – haben eine enorme gesellschaftliche Verantwortung. Sie beeinflussen unsere Wahrnehmung, den öffentlichen Diskurs und letztlich unser Verhalten. Das Grundproblem daran: Noch immer sind in Medien und Marketing Stereotype zu stark vertreten.


Irène Kilubi spricht im XING Podcast „work smart“ über Stereotype und Diskriminierungserfahrungen und gibt Tipps, wie Unternehmen und Kolleg/innen damit umgehen können.


Mal tauchen diese alten, vorurteilsbeladenen Bilder auf einer eher primitiven und individuellen Ebene auf, wie bei der russischen Markenbotschafterin von Audi, Xenia Sobchak, die auf Instagram Schwarze Menschen als „faul und dumm“ beschimpft haben soll. Das erinnert mich an meine Schulzeit, als wir im Religionsunterricht das Buch „Jugend ohne Gott“ durchnahmen. An einen Satz aus dem Buch erinnere ich mich dabei sehr prägnant: „Alle Neger sind hinterlistig, feig und dumm.“ Das Buch spielte 1932, und die schriftliche Aussage fiel von einem unbedarften Schüler. Doch auch heute hören wir solche Sprüche noch, und zwar von einer gebildeten jungen Frau. Ich frage mich: Sind wir tatsächlich im 21. Jahrhundert angekommen, wenn sich unser Denken auf fast 100 Jahre alte Stereotype stützt?

Stereotype sind mächtig und beeinflussen uns schon seit Jahrzehnten

Oft ist die Verwendung von Stereotypen aber auch ein strukturelles Problem: So bestätigte der Bayerische Rundfunk 2018, dass People of Colour deutlich häufiger in stereotypen Rollen wie „der schwarze Kriminelle“ oder „der Sklave“ dargestellt werden. Und schließlich trägt auch die Werbung einen Teil dazu bei, dass alte, teils rassistische Stereotype von einer Generation in die nächste weitergetragen werden.

Dieser unterschwellige Rassismus lässt sich besonders gut bei einigen US-amerikanischen Herstellern wie Mars oder Pepsi entdecken, beispielsweise in der Gestaltung der Logos für die Marken „Uncle Ben’s“ oder „Aunt Jemima“. So wurde die Marke „Aunt Jemima“ kürzlich auf Social Media harsch für ihr Marketing, das Logo und ihren Namen kritisiert: Das Logo stellt eine Schwarze Frau als Dienerin oder Hausangestellte dar, der Begriff „Aunt“ wurde besonders in den Südstaaten als abwertender Titel für Schwarze Frauen gebraucht, die man aus mangelndem Respekt nicht Miss oder Mistress nennen wollte.

Was wir aus Medien und Werbung mitnehmen, beeinflusst auch das Miteinander

Diesen mangelnden Respekt vor dunkelhäutigen Menschen musste ich auch in meiner Studienzeit feststellen. Damals wurden wir gebeten, eine halbstündige Präsentation über eine berühmte Führungspersönlichkeit zu halten. Als ich mit Kommilitonen in der U-Bahn saß und den Wunsch äußerte, mich mit einer Schwarzen Führungspersönlichkeit zu beschäftigen, wurde meine Idee mit folgender Bemerkung kommentiert: „Wen willst du denn da nehmen? Uncle Ben’s?“. Schallendes Gelächter in der Runde.

Es machte mir nichts aus, ganz im Gegenteil: Ich war in dem Moment sogar stolz darauf, dass eine solch bekannte Marke einen Schwarzen, sympathisch wirkenden Mann abbildet. Und doch zeigte mir dieser Vorfall, wie sehr uns über Werbung transportierte Stereotype davon abhalten, über den Tellerrand unseres bisher bekannten Kulturkreises hinauszuschauen.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass diese überkommenen Vorstellungen auch uns im Europa des 21. Jahrhunderts noch immer beeinflussen. Beispielsweise musste ich bei einem früheren Arbeitgeber erfahren, wie es sich anfühlt, in stereotype Bilder gepresst zu werden. Dort wurde ich des Öfteren bei der Vorstellung mit „Sind Sie Sekretärin?“ begrüßt. Ich könnte zahlreiche weitere Beispiele anführen, in denen ich aufgrund meines Aussehens von meinem Gegenüber in eine Schublade gesteckt wurde.

Doch das Problem geht weit über meine persönlichen Erfahrungen hinaus. Nachdem 2014 der 22-jährige Afroamerikaner Michael Brown von einem Polizisten erschossen worden war, ging der Hashtag #IfTheyGunnedMeDown viral und prangerte die diskriminierende Darstellung von dunkelhäutigen Gewaltopfern in den Medien an. Er sollte darauf aufmerksam machen, wie wichtig die Darstellung von Personen in den Medien ist. Denn ob Menschen Mitleid, Sympathie oder Abneigung zeigen, hängt maßgeblich von der Darstellung des Betroffenen ab.

Es gibt Beispiele, wie es besser werden könnte

Muss das nun auf immer so bleiben? Nein, das darf es nicht. Tatsächlich gibt es Beispiele, wie sich Medien und Werbung von alten Stereotypen lösen können und so Rassismus allmählich den Boden entziehen.

Betrachten wir beispielsweise „Die Cosby Show“: eine TV-Serie, die erstmalig 1984 in den USA ausgestrahlt wurde. Darin wurden wohlhabende Afroamerikaner dargestellt, die alltägliche Dinge erlebten. Dieser Plot war in der Mitte der 1980er noch keine Selbstverständlichkeit im US-amerikanischen Fernsehen. Und selbst 30 Jahre später scheinen solche Formate insbesondere außerhalb der USA immer noch eine Seltenheit zu sein. Und doch sind sie wichtig für einen Bewusstseinswandel.

Marken wie „Sarotti“ zeigen, dass es auch anders geht. Der Schokoladenhersteller änderte sein Logo von einem Schwarzen Menschen mit Tablett in einen Magier. Die Marke behielt ihren Wiedererkennungswert, legte aber die stereotypisierenden Darstellungen ab. Heute gilt sie als Paradebeispiel für das erfolgreiche Vorgehen gegen Stereotype. Noch wurden zu wenig Exempel statuiert. Dies zu ändern liegt nun in der Verantwortung von Medienschaffenden und Werbetreibenden. Was im Großen, wie bei Marken und im Fernsehen, funktioniert, funktioniert übrigens auch im Kleinen. Nach Protesten änderten Marken ihre Logos. Wenn du im Kleinen widersprichst, ändern Menschen ihr Verhalten. Du kannst aktiv Vorurteile bekämpfen, wenn du nur widersprichst, falls jemand rassistische oder stereotypisierende Urteile fällt. Denn Schweigen bringt uns nicht weiter.

Und dann, sobald wir die Stereotype hinter uns gelassen haben und People of Colour wirklich mit anderen, offeneren Augen betrachten, müssen wir uns hoffentlich auch nicht mehr darüber unterhalten, ob wir Marken mit so sympathischen Gesichtern wie Uncle Ben moralisch ächten sollten. Ich persönlich fände das jammerschade.

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Dr. Irène Kilubi
© Dr. Irène Kilubi
Dr. Irène Kilubi

Gründerin und Geschäftsführerin, BrandPreneurs & BrandFluencers

für Marketing & Werbung, Bildungswesen, Wirtschaft & Management, Internet & Technologie

Dr. Irène Kilubi ist Strategieexpertin für Communitybuilding, Personal Branding sowie Social Selling. Beim European Innovation Council Accelerator der Europäischen Kommission fungiert sie als Expert-Advisor. Zudem ist Kilubi Dozentin für Digitalmarketing und Entrepreneurship für verschiedene Hochschulen sowie Moderatorin und Rednerin auf Konferenzen und Events.

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