The Ocean RaceSind die Imocas zu fragil für den Southern Ocean?

Jochen Rieker

 · 03.04.2023

The Ocean Race: Sind die Imocas zu fragil für den Southern Ocean?Foto: Team Malizia/Antoine Auriol
Kam mit den teils stürmischen Bedingungen der dritten Etappe im The Ocean Race am besten zurecht: Boris Herrmanns “Malizia – Seaexplorer, die dafür optimiert ist
Imoca-Chef Antoine Mermod über die Zuverlässigkeit der Boote im The Ocean Race, die nicht unerhebliche Liste an Schäden und die Kunst, einen Imoca 60 heil durch den Southern Ocean zu prügeln

Für “Biotherm” und “11th Hour Racing” ist die dritte Etappe noch nicht vorbei. Angeschlagen von den zuletzt harten Bedingungen im Südatlantik und schon davor schwer geprüft, haben sie in den kommenden zwei Tagen noch eine lange Kreuz bis Itajaí vor sich. Aufgrund ihrer Handicaps und dem Rückstand, der sich durch die multiplen Reparaturen ergab, konnten sie “Malizia” und “Holcim” schon vor Kap Horn nicht mehr wirklich gefährlich werden. Auf ihre Techniker wartet ein Reparaturmarathon, über den wir in Kürze berichten.

Unterdessen sprachen wir mit Antoine Mermod, den Präsidenten der Imoca-Klasse, über seine vorläufige Zwischenbilanz nach der Königsetappe durchs Südmeer.

Vor Ort in Itajaí, um die Sicherheit der Boote zu eruieren: Imoca-Präsident Antoine MermodFoto: Imoca/Vincent CurutchetVor Ort in Itajaí, um die Sicherheit der Boote zu eruieren: Imoca-Präsident Antoine Mermod

Monsieur Mermod, schon nach der ersten Woche im Southern Ocean musste jedes der fünf Teams reparieren. Inzwischen ist die Liste der Probleme erheblich angewachsen. Sind die Boote zu fragil?

Das kommt sicher auf den Standpunkt an. Wenn Sie die Imocas in diesem Rennen mit den VO65 der letzten beiden Ocean Races vergleichen, mag das so erscheinen. Das war eine Einheitsklasse mit extrem hohen Sicherheitsreserven. Und dennoch erlitt Dongfeng 2015 vor Kap Hoorn Mastbruch und etliche andere Crews mussten Probleme beheben.

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Auch wenn man nicht von einem „Demolition Derby“ sprechen kann: Finden Sie nicht, dass auf der Königsetappe viel kaputtgegangen ist?

Um ehrlich zu sein: So schlecht ist die Bilanz nicht. Bis auf den Foilbruch bei „Biotherm“, der auf eine Kollision mit einem treibenden Gegenstand zurückgeht, hatte nur „Guyot“ strukturelle Schäden. Deren Rumpf ist anders gebaut als heutige Imocas, mit einem Kern aus Nomex-Waben. Das lässt die Klassenregel inzwischen nicht mehr zu.

Wenn Sie die bisherigen Probleme vergleichen mit dem ersten Ocean Race der Volvo 70, in dem es reihenweise Schäden an den Kielen, an Rigg und Rumpf gab, dann stehen wir sehr viel besser da!

Aber die Etappe ist noch nicht vorbei, und zuletzt wurden Boote und Crews noch einmal hart geprüft. Ich hoffe, dass es alle heil bis Itajaí schaffen. Und dann schauen wir uns genau an, in welchem Zustand die Riggs und die Rumpfstrukturen sind.

Wir machen das von der Klasse aus, weil wir sehen wollen, wo es eventuell Schwächen gibt. Davon erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse. Solchen Dauerbelastungen waren Imocas noch nie ausgesetzt, weil die Crews viel mehr pushen als jemals zuvor.

Reduziert sich durch Ihre Checks nicht der Vorteil, den sich die Teams durch ihre Teilnahme am The Ocean Race für die Vendée erhoffen?

Wir werden nur solche Informationen in der Klasse teilen, die strukturell relevant sind. Es liegt im Interesse aller, die Boote immer sicherer und standfester zu machen. Alles andere bleibt Sache der Teams. Ich bin sicher, dass sie alle extrem wichtige Erfahrungen gewinnen werden, die ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Denken Sie nur an die Einstellungen der Foils und des Neigekiels, aber auch den Einsatz des Autopiloten und den Trimm der Segel. Da kommt man durch das Segeln mit Crew viel schneller ans Optimum heran.

Wir sehen ja schon, wie sehr sich das Leistungsvermögen der Boote angeglichen hat. Nehmen Sie „Biotherm“: Die konnten in der zweiten Etappe im Südatlantik nie ganz das Tempo von „Malizia“, „Holcim – PRB“ und „11th Hour“ mitgehen. Inzwischen scheinen sie einen Modus gefunden zu haben, der sie auch bei schwererem Wetter auf ein nahezu vergleichbares Niveau bringt.

Die Veranstalter haben schon früh neue Rekorde in Aussicht gestellt. Der aktuelle Bestwert für das beste Etmal kam aber erst im tiefen Süden des Indischen Ozean zustande. Wie bewerten sie die 595,26 Seemeilen von „Holcim – PRB“?

Es ist eine fantastische Leistung, vor allem im Vergleich zum bisherigen Imoca-Rekord von Alex Thomson (536,81 nm, aufgestellt bei der Vendée Globe 2017 im Nordatlantik, die Red.). Das unterstreicht das Potenzial der neuen Boote eindrucksvoll.

Aber wir sollten nicht nur auf den einen Bestwert schauen: Alle vier Teilnehmer der dritten Etappe sind ähnlich schnell unterwegs gewesen. Und was mich noch mehr fasziniert:

Zwischen dem 10. und 13. März haben die Boote rund 2.200 Seemeilen geschafft, das sind über vier Tage im Schnitt mehr als 22 Knoten Fahrt.

Darin liegt für mich der wahre Zugewinn an Leistung. Denn so können die Teams lange vor einem Tief bleiben, in den bestmöglichen Bedingungen. Sie können sich genau da positionieren, wo sie wollen. Das war in der Form bisher nur den großen Kats und Trimaranen möglich.

Einige Fans fremdeln dennoch mit der Generation der Foiler. Wieso?

Vielleicht müssen wir und die Organisatoren des Ocean Race noch besser vermitteln, was dieses Rennen so einzigartig macht. Da kann man ohne Zweifel noch mehr tun. Das Besondere an einer Konstruktionsklasse ist ja, dass es nicht nur um den sportlichen, den seglerischen Teil geht; der steht natürlich an erster Stelle. Aber daneben gibt es auch einen Wettbewerb um die innovativsten Designideen und um die beste technische Vorbereitung.

Wir haben zum Beispiel Boris Herrmann, der seine „Malizia“ für den Süden optimiert hat, für schweres Wetter. Und wir haben Paul Meilhat mit „Biotherm“, die leichter, flacher, filigraner ist. Wer wird am Ende vorn sein? Niemand weiß es bisher. Das macht das Ocean Race so interessant, aber auch anspruchsvoll.

Im Sturmtief vor Kap Hoorn, aber auch danach in den beiden Fronten im Südatlantik konnten selbst die führenden Boote Boris Herrmanns „Malizia“ und Kevin Escoffiers „Holcim“ ihr Potenzial nie ausschöpfen. Da wäre mit den VO65 wahrscheinlich mehr gegangen.

Schwer zu sagen. Wenn Sie sich anschauen, dass die Boote mehrere Tage in Folge weit über 500 Seemeilen entlang der Eisgrenze gesegelt sind, dann ist das meines Erachtens ein klares Indiz für die Ambitionen der Teams.

Lassen Sie uns eins nicht vergessen: Die Crew an Bord inklusive der Verpflegung und Ausrüstung bedeutet im Vergleich zur Vendée Globe, die einhand gesegelt wird, eine Tonne Mehrgewicht. Das heißt: um die 15 Prozent höhere Lasten – ein gewaltiger Unterschied! Deshalb wird es immer, gerade zum Schluss hin, um die richtige Balance zwischen Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit gehen.

Wie schon bei der Vendée 2020/21 häufen sich erneut Schäden an den Segeln. Warum?

Insbesondere die Vorsegel leiden überproportional, wenn die Schiffe sich in vorauslaufenden Wellen festbohren und massiv abgebremst werden. Dadurch ändert sich der scheinbare Windeinfallswinkel, und der Trimm stimmt nicht mehr – was zur Folge hat, dass das Segel wild zu schlagen beginnt. Das ist konstruktiv schwer zu lösen.

Wieso dann die Limitierung auf nur elf Segel plus Sturmfock fürs gesamte Ocean Race?

Wir wollten die Segelmacher zu langlebigeren Designs bewegen. Mal sehen, ob das am Ende aufgeht. Wenn nicht, wird womöglich das Team die Gesamtwertung gewinnen, das bis zum Finish in Genua am besten auf seine Tücher geachtet hat.

Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieses Interviews finden Sie in YACHT 7-2023. Wir haben sie nach einem erneuten Gespräch mit Antoine Mermod in Itajaí gestern für YACHT online aktualisiert, um die jüngsten Entwicklungen zu berücksichtigen

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