Transat Jacques VabreAm besten im Westen? Zwei Imoca-Duos wagen es

Tatjana Pokorny

 · 11.11.2023

Die Imoca-Flotte am Morgen des 11. November. Deutlich zu sehen ist der Ausbruchversuch der beiden Crews auf "Teamwork.net" und "Groupe Dubreuil" nach Westen
Foto: Screenshot TJV2023
Déjà-vu im Transat Jacques Vabre: Fünf Tage nach dem Start setzt das Gros der Imoca-Flotte vor dem Sprung über den Atlantik auf den sichereren Südkurs. Die Co-Favoritinnen “Paprec Arkéa” und “Charal” führen die Flotte an. Doch zwei Teams sind “abgebogen”, suchen im Westen ihr Glück. Kann das gut gehen?

Seit dem Abend des 10. November hat das 16. Transat Jacques Vabre in der Imoca-Flotte neue Spitzenreiter. Das Mixed-Team Justine Mettraux und Julien Villion auf “Teamwork.net” führt das Klassement vor Sébastien Simon und Iker Martinez auf “Group Dubreuil” an. Der Blick auf die Karte verrät: Die beiden Duos haben einen Ausbruchversuch nach Westen gestartet. Mindestens kurzfristig mit Erfolg und schnellem Aufbau eines Vorsprungs von über 100 Seemeilen.

Kurzfristige Verluste, langfristige Gewinne?

Während das Gros der Flotte vor dem Sprung über den Atlantik mit “Initiatives Cœur”, “Paprec Arkéa” und “Charal” weiter auf Südkurs in Richtung Madeira segelt, sind “Juju Mettraux” und Julien Villion sowie Sébastien Simon und Iker Martinez nach Westen abgebogen. Sie nehmen direkten Kurs auf die Azoren. Was sie dort suchen, ist klar: den insgesamt kürzeren Weg und kurz- bis mittelfristig mehr Wind.

Warum die weite Mehrheit der Flotte trotzdem auf Südkurs segelt, ist auch klar: Sie suchen dort nach der aktuell laufenden und für einige Crews wie auch Team Malizia quälend langsamen Überquerung der Leichtwindzone auf dem weiteren Weg die beständigeren Winde, die sie später etwa zwischen dem 25. und dem 10. Breitengrad Nord ohne große Flautenfallen schneller in die Karibik tragen sollen. Ihr Spiel sieht so aus: Sie nehmen kurzfristige Verluste für den langfristig erhofften Gewinn in Kauf.

Erinnerungen an das Transat Jacques Vabre 2019

Rückblick: Vor vier Jahren hatten Boris Herrmann und Will Harris bei ihrem ersten gemeinsamen Transat Jacques Vabre auf die Route gesetzt, für die sich jetzt die beiden Ausreißer auf “Teamwork.net” und “Groupe Debreuil” entschieden haben. Für Herrmann und Harris ging der Vorstoß damals nach hinten los. “Man kann dann auch schnell wieder aus den Top Ten raus sein”, erinnerte sich Boris Herrmann vor dem Start zur laufenden Edition an sein Malheur vor vier Jahren.

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Herrmanns Erinnerungen sind nicht glorreich: “Bei Wills und meiner Premiere vor zwei Jahren war es so, als wir uns bei der navigatorischen Entscheidung verhauen hatten. Da ging es im Süden ab – wir waren im Westen.” Herrmann und Harris kamen damals als Zwölfte ins Ziel. Die Chance auf eine bessere Position hatten sie früh im Rennen vergeben, als sie – wie jetzt die Ausreißer und auch damals anders als die Mehrheit der Flotte – auf den direkteren Westkurs gesetzt hatten.

Wird der mutige West-Ritt auch langfristig belohnt?

“Der frühe Westkurs hatte sich damals in unseren Wettermodellen als gute Chance dargestellt”, erinnert sich Boris Herrmann. So dürfte es aktuell den vorpreschenden beiden Teams gehen. Der schnelle Lohn dafür kam mit der Übernahme der Ränge 1 und 2 im Klassement. Doch wird der mutige Ritt auch langfristig belohnt? Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass aktuell mit Justine Mettraux und Julien Villion sowie Samantha Davies und Jack Bouttell auf “Initiatives Cœur” gleich zwei Mixed-Duos in den Top Drei liegen.

Team Malizia indessen fiel nach starkem Comeback infolge der Kompassprobleme im Leichtwindpoker wieder zurück – am Samstagmittag bis auf Platz 16. Wie schwierig die aktuelle Passage zu meistern ist, zeigten am Vormittag des 11. November die stark wechselnden Bootsgeschwindigkeiten in der südlich segelnden Spitzengruppe zwischen zwei und zwölf Knoten.

Der Kieler Andreas Baden kämpft indessen an der Seite von Fabrice Amedeo auf der Imoca “Art & Fenêtres” auf Platz 30 ums maximal schnelle Fortkommen. Sein jüngster Gruß von Bord kam am Samstagmorgen:

Wir sind gut in die Transitzone reingeschlichen” (Andreas Baden)

“Es herrscht heute früh eine tolle Atmosphäre. Kurz nach Sonnenaufgang kam Fabrice an Deck und wir haben noch kurz gemeinsam oben gesessen und den Moment genossen. Eigentlich hatten wir den Code Zero setzen wollen, weil der Wind runterging, aber da er dann wieder aufbriste, bleiben wir erst mal noch bei der J2, freuen uns aber schon, später mit den anderen größeren Vorsegeln spielen zu können. Ansonsten sind wir guter Dinge.”

Weiter berichtete Andreas Baden: “Bisher sind wir gut in die Transitionzone reingeschlichen und haben permanent mehr Wind, als die Vorhersage erwarten ließ. Auch wenn wir momentan eines der östlichsten Boote und im Vergleich weiter hinten sind, spekulieren wir darauf, dass unsere Strategie, sich aus dem Osten in einem besseren Winkel reinzusneaken, aufgeht. Wir haben vorhin gesehen, dass Thomas Ruyants ‘The People’ das Gleiche gemacht hat und es ganz gut lief. Also Daumendrücken, dass es ein zweites Mal gut läuft. Ansonsten hätten wir hier eine entspannte Nacht mit 70 bis 80 Grad Windwinkel, verhältnismäßig ruhiger See – perfekt zum Genießen. Und ich segle ja sehr gerne nachts …”

Es fühlt sich an, als hätte man uns vergessen” (Melwin Fink)

In der Class 40 sieht das Flottenbild geordneter aus, eher wie ein Gänsemarsch: Achille Nebout und Gildas Mahé führen das Feld mit 30 Seemeilen Vorsprung vor “Café Joyeux” und knapp 60 Seemeilen Vorsprung vor “Project Rescue the Ocean” souverän an. Weniger Fortune hatten zuletzt Lennart Burke und Melwin Finke in den flaueren Winden auf Kurs Madeira. Die Jungprofis fielen auf Platz 21 zurück.

Ihre Situation hatten die Neu-Hamburger WG-Freunde und Segelpartner zum Wochenende als “extrem frustrierend” beschrieben. Melwin Fink sagte: “Es fühlt sich an, als hätte man uns vergessen.” Während die Flotte um sie herum es schaffte, in Fahrt zu bleiben, tat sich für die “Sign for Com” phasenweise fast gar nichts mehr. Den physischen Belastungen vom Auftakt folgten nun die mentalen Herausforderungen. Im Klassement drückte sich das am Samstag mit Platz 21 aus, obwohl sie zuvor schon einmal bis auf Rang 14 hatten vorstoßen können. “So schlecht und so langsam waren wir noch nie”, entfuhr es Melwin Fink.

Kann “Café Joyeux” trotz Aufgabe in Etappe 1 gewinnen?

Die Hoffnung auf neue Aufholchancen bleibt dem einzigen rein deutschen Duo bei dieser Transat-Edition. Das Feld der einen Tag vor den Imocas gestarteten Class 40 ist nach bislang insgesamt sechs Ausfällen bereits auf 38 Boote geschrumpft. “Alla Grande Pirelli”, überragende Siegerin der Auftaktetappe von Le Havre nach Lorient, lag am 11. November mittags auf Rang fünf.

Nicht zu vergessen beim theoretischen Blick auf den möglichen Ausgang des Class-40-Rennens: “Café Joyeux” – aktuell in zweiter Position – wird für die erste, ohne Eigenverschulden nicht beendete Etappe die Zeit gutgeschrieben, die das Boot auf dem Platz in Etappe 1 erreicht hat, den die “Café Joyeux”-Skipper Nicolas D’Estais und Léo Debisse auf der zweiten Etappe erreichen. Mit einem Top-Ergebnis hätten die Franzosen trotz Etappen-Aus zum Auftakt sogar noch Chancen auf den Klassensieg.

“Banque Populaire XI” segelt dem greifbaren Ultim-Sieg entgegen

Während die Imocas und Class 40s gerade erst zum Sprung über den Atlantik ansetzen, nehmen die Ultims bereits Kurs auf den Zielhafen Fort-de-France auf Martinique. Alles deutet auf einen süßen Sieg für Armel Le Cléac’h und Sébastien Josse auf “Banque Populaire XI” hin, die sich im Dauer-Duell mit “SVR Lazartigue” zuletzt einen Vorsprung von knapp 130 Seemeilen erarbeiten konnten. Titelverteidiger Charles Caudrelier und Erwan Israël haben inzwischen mehr als 400 Seemeilen Rückstand angesammelt.

Mittlerweile ist auch klar, warum die Vorstartfavoriten den Speed der vor ihnen liegenden Boote entgegen allen Erwartungen nicht mehr halten können. Das Team vermeldete den Grund dafür unter der Überschrift “Schwerer Schaden an der Steueranlage an Bord der ‘Maxi Edmond de Rothschild’”. Ihr Bericht:

Die Ultim-Titelverteidiger straucheln

“Nach zwölf Renntagen nehmen die führenden Ultims die Zielgerade ihres 7.500 Meilen langen Epos über den Atlantik in Angriff. Sie segeln derzeit auf Vorwind-Kurs in Richtung nördliche Hemisphäre, in unmittelbarer Nähe eines großen Sperrgebietes entlang der Nordküste Brasiliens. Für die Männer der ‘Maxi Edmond de Rothschild’ verspricht dieser letzte Teil des Rennens nach einem Zwischenfall heute früh noch schwieriger zu werden als erwartet.”

Weiter hieß es: “Seit ihrem Start in Le Havre am 29. Oktober blieben Charles Caudrelier und Erwan Israël nicht von technischen Problemen verschont. Sie mussten also sehr schnell versuchen, das Beste aus einem Boot herauszuholen, das nicht mehr über sein volles Potenzial verfügte, und ihr Rennen entsprechend anpassen. Heute früh wurde die Steueranlage durch einen Schlag schwer beschädigt. Die Segler werden bis zur Ziellinie, die noch 2.000 Meilen entfernt ist, mit diesem schweren Bruch zu kämpfen haben.”

Jean Le Cam unter Druck

Während auf See die Crews in allen Klassen ihre Kämpfe mit der Konkurrenz, dem eigenen Boot und sich selbst auszutragen haben, sorgen weitere Nachrichten für Aufsehen. So hat beispielsweise Vendée-Globe-Veteran Jean Le Cam seine Überführung in die Karibik mit seinem neuen Non-Foiler vorerst abgebrochen. Er will ein besseres Wetterfenster abwarten, sein neues Boot nicht in den harschen Bedingungen riskieren. Die Entscheidung ist mutig, denn Jean Le Cam braucht – wie viele weitere Imoca-Skipper – dringend die Teilnahme an der Rückregatta Retour à la Base zur Qualifikation für die Vendée Globe 2024/2025.

Für einiges Entsetzen sorgten die Bilder der wieder in Lorient eingetroffenen “Lazare” von Tanguy Le Tuquais und Félix De Navacelle. Auf der Steuerbordrumpfseite des Imoca ist das äußere Laminat aufgebrochen. Der Wabenkern liegt offen und ist teilweise bis aufs innere Laminat rausgespült worden. Am Samstagmorgen kündigte das Team dennoch an, alles unternehmen zu wollen, um das Rennen wieder aufnehmen zu können.

Transat-Aus für Oliver Heer

Die jüngste Schrecknachricht kam am Samstagmittag von See: Das Schweizer Team Oliver Heer Racing muss das Transat Jacques Vabre mit einem Strukturschaden am Rigg aufgeben, hat dabei das Vorstag “komplett verloren” und zudem Schäden an Deck und am Rumpf erlitten. Den beiden Seglern geht es den Umständen entsprechend gut, ihre Enttäuschung aber ist maximal groß.

Oliver Heer sagte: “Es gibt für uns keinen sicheren Weg, dieses Rennen fortzusetzen. Ich bin unglaublich enttäuscht. Es ist meine erste Aufgabe in der Imoca-Globe-Serie. Ich muss jetzt auf das Hauptziel fokussiert bleiben: Das ist die Teilnahme an der Vendée Globe. Wir werden zur Saison 2024 stärker denn je zurückkommen.” Die Crew will die galicische Hafenstadt Sanxenxo anlaufen.

Neues von Team Malizia – Boris Herrmann und Will Harris haben ihre Messbojen bei 37 Grad Nord ausgesetzt:

Das 16. Transat Jacques Vabre im LIVE-Tracking verfolgen:

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