Beidrehen und BeiliegenSeemannschaft, die Ruhe schafft – ein geniales Manöver

Lars Bolle

 · 23.02.2023

Beidrehen: Segelt die Yacht wie hier auf einem Halbwind-Kurs, luvt der Steuermann langsam an
Foto: YACHT/B.Scheurer
Der Manöverablauf. So drehen Sie bei und nehmen anschließend wieder Fahrt auf
Das Beidrehen mit anschließendem Beiliegen ist eine bewährte Methode, um die Bewegungen einer Yacht zu beruhigen. Ob das jedoch auch mit modernen U-Spantern geht, zeigt der Test

Ziel dieses Manövers ist, die Yacht mittels Trimmen so zu Wind und Wellen zu legen, dass sie sich möglichst wenig bewegt. Dabei soll sie so in der Balance sein, dass niemand rudergehen muss. So kann eine unglaubliche Ruhe erzeugt werden, egal, was um einen herum passiert.

Das Beidrehen, womit das einleitende Manöver gemeint ist, und das anschließende Bei­liegen, jener Gleichgewichtszustand, werden für verschiedene Zwecke empfohlen. Immer wieder taucht es in der Literatur als Taktik auf, einen Sturm abzuwettern. Doch scheiden sich daran die Geister.

Weltumseglerin Susanne Huber-Curphey beschreibt in in ihrem Buch “Einhand zu zweit” etwa folgendes Szenario: “Wir sind von der Taktik des Beidrehens im Sturm nicht überzeugt, denn ab einem gewissen Punkt von Wind und extremer Welle wird die Yacht trotzdem überrollt werden … Außerdem herrscht in den tiefen Wellentälern manchmal kaum Wind, während die Yacht wenige Sekunden später am Topp der Welle von der vollen Windkraft fast flach aufs Wasser gedrückt werden kann.”

Für Fahrtensegler ist Beiliegen sehr geeignet

Solche Bedingungen erlebt jedoch die große Mehrzahl der Segler nie. Wer vor allem in Küstennähe unterwegs ist, hat allerdings oft auch nicht ausreichend Seeraum, um einen Sturm abzuwettern.

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Dennoch, auch für Otto Normalsegler gibt es sehr viele denkbare Situationen, in denen sich das Beiliegen anbietet – sei es im medizinischen Notfall oder als erste Reak­tion beim Mensch-über-Bord-Manöver, um etwas zu reparieren, zu reffen, etwas zu kochen oder auf sichere Art auf die Toilette zu gehen. Gerade diesen Punkt sollten Skipper einmal besonders überdenken. Es ist bekannt, dass das Über-Bord-Gehen oft eine Folge des Wasserlassens über die Reling ist.

Der Körper muss sich dabei entspannen, was zu unkontrollierten Bewegungen führen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Urinierende nur mit einer Hand festhalten kann und er sich meist auf der Leeseite des schwankenden Schiffes befindet.

Außerdem kann es dabei zur sogenannten Miktionssynkope kommen. Dabei handelt es sich um eine kurze Bewusstlosigkeit, ausgelöst durch einen plötzlich abfallenden Blutdruck infolge der Lageveränderung des Körpers und des nachlassenden Druckes auf die Blase. Geschieht diese Ohnmacht am Bootsrand, ist ein Überbordfallen sehr wahrscheinlich.

Da ist das Geschäft unter Deck deutlich sicherer. Mit einer beruhigt beiliegenden Yacht kann es zudem würdiger vonstatten gehen, als die Zielübungen in einer bockenden und schwankenden Kabine.

Auch im Kampf gegen Seekrankheit ist Beiliegen womöglich hilfreich. Wenn Teile der Mannschaft ausfallen, können Skipper oder Skipperin auf sich allein gestellt sein. Werden der Crew beziehungsweise – bei Paaren – dem Partner eine Viertelstunde oder auch 20 Minuten gegönnt, um sich zu sammeln oder um Mut zuzusprechen, kann das den Totalausfall verhindern.

Beiliegen mit modernen Yachten

Doch eignet sich jede Yacht zum Bei­liegen? Immer wieder ist in Foren und auch der Literatur zu lesen, dass es nur mit Langkielern gehe, weil diese durch ihren langen, großflächigen, gleichmäßig verteilten Lateralplan einfach auszupendeln seien. Moderne Fahrtenyachten mit flachem U-Spant und kurzem Kiel seien dagegen nicht ruhig beizuliegen, da sie über das abtreibende Vorschiff immer wieder Fahrt aufnehmen würden.

Wir haben es ausprobiert. Sind bei 7, in Böen 8 Beaufort mit einer Beneteau Oceanis 34.2 des Charterzentrums Heiligenhafen ausgelaufen. Bei Wellen bis zu geschätzten zwei Meter Höhe haben wir die verschiedenen Arten beizuliegen durchgespielt. Etwa mit unterschiedlich gerefften Segeln oder vor Topp und Takel.

Dazu haben wir Alter­nativen erprobt, etwa das Gegenanbolzen unter Maschine, unter Segeln hoch am Wind oder den Einsatz eines Seeankers. Die Ergebnisse waren höchst unterschiedlich, doch sie bestätigten eines:

Auch mit einem Kurz­kieler ist Beiliegen kein Problem und die klassische Methode – mit backstehendem Vorsegel und austariertem Großsegel – die beste.

Um die Eindrücke zu objektivieren, haben wir die Bewegungen der Yacht jeweils aufgezeichnet. Die Grafiken in den folgenden Übersichten zeigen den via GPS ermittelten Kurs der Yacht über Grund und den dabei in zwei Minuten zurückgelegten Weg, also die Driftrichtung und -geschwindigkeit. Die Ausrichtung des Schiffsymbols gibt den durchschnittlichen Steuerkurs an, wie also die Yacht meistens zu Wind und Wellen lag. Außerdem sind die Änderung der Geschwindigkeit und Krängung, des Gierwinkels sowie des Stampfwinkels über einen Zeitraum von einer Minute dargestellt. Diese wurden mittels eines Smartphones mit integriertem Kompass und Gyroskop ermittelt. Beim Lesen der Kurven gilt die Faustregel:

Je flacher und lang gezogener, desto ruhiger die jeweilige Bewegung.

Die Ergebnisse lassen jedoch nur eine Aussage für diese spezielle Yacht zu. So unterschiedlich die Bootstypen sind, so viele verschiedene Einstellungen gibt es. Die jeweils geeignete muss jeder Skipper selbst herausfinden. Funktionieren sollte das Bei­liegen aber in den allermeisten Fällen.


Unter Segeln gegenan

Ungemütlich. Zweifach gerefft gegen die Wellen anbolzen
Foto: YACHT/B. Scheurer

Die Yacht segelt mit fast fünf Knoten zwar schnell und auch etwa 42 Grad zum wahren Wind, macht durch Abdrift, Strom im Fehmarnsund und starken Wellenversatz jedoch wenig Weg nach Luv. Der Wendewinkel beträgt etwa 60 Grad. Sie holt dabei etwa alle zehn Sekunden stark über, ständig bis zu 30 Grad und wird durch Luvgierigkeit und auf den Rumpf treffende Wellen aus dem Kurs gebracht. Dieser gleicht einer Schlangenlinie mit Abweichungen von bis zu 20 Grad zu beiden Kursseiten. Der Rumpf stampft mit starken ruckartigen Bewegungen. Insgesamt eine sehr unbequeme Fahrt.


Beigedreht mit 1. Reff in Genua und Groß

Schon ruhiger, aber noch zu viel Segelfläche
Foto: YACHT/B. Scheurer

Genua und Großsegel sind etwas eingerollt, die Genua so weit, dass sie das Vor­segel­dreieck füllt. Überlappende Genuas kommen so auch von der Saling frei. Das Großsegel wirkt wegen seiner immer noch relativ großen Fläche wie eine Windfahne, die Yacht dreht sich immer wieder in Windrichtung und nimmt die Wellen schräg von vorn. Das erklärt das immer noch deutliche Stampfen und auch das Gieren um etwa 20 Grad. Das Großsegel killt dabei stets etwas, was Verschleiß bedeutet. Mit fast dreieinhalb Knoten macht die Yacht noch viel Fahrt voraus und driftet nur wenig nach Lee.


Beigedreht mit 1. Reff in Genua und 2. Reff im Groß

So ist es am angenehmsten
Foto: YACHT/B. Scheurer

Die Genua ist unverändert zur vorherigen Situation, das Großsegel jedoch so stark eingerollt, dass nur noch ein kleines Dreieck bleibt. Das Einrollen selbst, wie auch das Reffen, geht übrigens beigedreht viel einfacher als im Wind stehend. Diese Segelstellung sorgt für das angenehmste Verhalten von allen. Die Yacht krängt nur noch mit etwa zehn Grad und rollt durch die Stützfunktion des Großsegels kaum noch. Dies kann so dicht genommen werden, dass es nicht killt, also quer zum Wind steht. Der Driftwinkel ist etwas ungünstiger als zuvor, die Geschwindigkeit etwa gleich.


Beigedreht ohne Großsegel

Nur scheinbar ruhiger
Foto: YACHT/B. Scheurer

Wegen der nochmals verkleinerten Segelfläche reduziert sich zwar die Driftgeschwindigkeit, der Kurs über Grund geht jedoch direkt nach Lee. Zunächst entsteht der Eindruck von großer Beruhigung, da die Yacht kaum noch krängt. Doch dieser täuscht. Die Rollbewegungen sind deutlich unruhiger und mit größerer Amplitude ohne die Stützfunktion des Großsegels. Auch der Steuerkurs variiert stark. Nur unter Genua versucht die Yacht ständig abzufallen, vor allem, wenn der Bug von einer Welle erfasst wird. Sie liegt dabei etwas mit dem Heck zum Wind, was die Gefahr von Einsteigern erhöht.


Unter Maschine gegenan

Die Yacht stampft sehr kräftezehrend
Foto: YACHT/B. Scheurer

Wie das Foto schon zeigt, ist das Gegenanfahren keine echte Alternative, um Ruhe ins Schiff zu bekommen, etwa, wenn Kreuzen zu unangenehm scheint. Voraus­setzung ist sowieso eine starke Maschine, die auf älteren Yachten oft nicht vorhanden ist – da schafft man es manchmal kaum, gegen die Abdrift anzukommen. Doch auch aus Komfortsicht sollte dieser Kurs gut überlegt werden. Krängung und Gierwinkel sind zwar vernachlässigbar, dafür gibt es heftige Stampfbewegungen etwa alle drei Sekunden. Durch das flache Vorschiff des U-Spanters kracht es dabei ordentlich. Eine ruckartige, nervtötende und ermüdende Fortbewegung.


Ablaufen vor Topp und Takel

Ruhe ist so nicht zu erzeugen
Foto: YACHT/B. Scheurer

Der Wind kommt hier von Backbord, das Ruder liegt mittschiffs. Der Rumpf richtet sich fast exakt quer zu Wind und Wellen aus, macht dabei kaum noch Fahrt voraus – das Schiff driftet schräg vom Wind weg. Ruhe ist auf diese Weise jedoch nicht zu erzeugen. Zwar ist das Stampfen vernachlässigbar, dafür holt die Yacht mit jeder Welle rund 20 Grad kräftig über. Zudem schlingert sie mit einem Gierwinkel von etwa 20 Grad. Beide Bewegungen zusammen sind wie geschaffen, um Seekrankheit hervorzurufen. Zudem wird das Arbeiten an Deck wegen des Rollens sehr gefährlich.


Der Seeanker als Alternative?

Seeanker am Heck
Foto: YACHT/B. Scheurer

Ein Seeanker von 80 Zentimeter Durchmesser brachte an einer 30-Meter-Leine keine spürbare Wirkung. Egal, ob am Bug oder Heck angeschlagen, die Yacht legte sich immer quer zum Wind, machte sogar ähnlich Fahrt über Grund wie ohne den Anker. Zudem ist er nur mit sehr viel Kraft wieder einzuholen – zum kurzzeitigen Beiliegen also nicht zu empfehlen.


Das Video zur Testreihe


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