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Jeremias Gotthelf und Herzogenbuchsee / Werner Staub - DigiBern

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

JEREMIAS GOTTHELF<br />

UND HERZOGENBUCHSEE<br />

Gerne wollen wir es Albert Bitzius glauben, dass die Jahre in Buchsi zu den<br />

schönsten <strong>und</strong> glücklichsten seines Lebens gehörten. Denn als er schon zehn<br />

volle Jahre in Lützelflüh lebte, schrieb er im Gedenken an die Buchsizeit seinem<br />

Fre<strong>und</strong> Joseph Burkhalter im Fluhacker: «Ich denke gar oft an dieses<br />

Bänkli vor Eurem Haus <strong>und</strong> möchte gar zu gerne zuweilen darauf sitzen. Ich<br />

bin hier im ganzen genommen sehr einsam. Es hat niemand Zeit, sich mit<br />

mir abzugeben, <strong>und</strong> wenn man schon die Arbeit sein lässt, wenn ich komme,<br />

so sieht man doch gar zu oft den Kummer, dass jetzt etwas im Hinterlig<br />

bleibe. Es ist aber recht gut, dass ich ferne von der Zerstreuung bin. Der liebe<br />

Gott versucht halt eine Radikalkur an mir. Obschon ich lieber sitze als vor<br />

15 Jahren <strong>und</strong> ziemlich daran gewöhnt bin, so liebe ich doch das freie Leben<br />

noch mehr …» Und diese Freiheit hatte der junge Bitzius bei uns. Ungehemmt<br />

von väterlichen Ermahnungen noch Familiensorgen genoss er sie in<br />

vollen Zügen.<br />

Wollen wir aber <strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong> für die Zeit seiner Vikariatsjahre in<br />

<strong>Herzogenbuchsee</strong> recht verstehen, dann dürfen wir den für ihn so bedeutenden<br />

Zeitabschnitt von 1824 bis 1829 nicht ohne jegliche Beziehung aus seinem<br />

Leben herausgreifen. Erst aus der Schau über sein ganzes Wirken vermögen<br />

wir die Bedeutung dieses Vikariates zu erkennen, denn neben Utzenstorf<br />

<strong>und</strong> Bern gehört diese Buchsizeit so recht zu <strong>Gotthelf</strong>s Lehr- <strong>und</strong> Wanderjahren,<br />

in denen sich schon mit aller Deutlichkeit die wesentlichen Züge<br />

seiner Kämpfernatur offenbaren, <strong>und</strong> in der wir den späteren Volksschriftsteller<br />

wohl zu erkennen vermögen.<br />

Ein kampferfülltes Leben<br />

<strong>Gotthelf</strong>s Leben fällt in die unruhigste Zeit der Schweizergeschichte.<br />

Kampf umtobte schon seine Wiege, Kampf <strong>und</strong> Ringen füllten alle seine<br />

Jahre, <strong>und</strong> als hartumstrittene Persönlichkeit ist er im Jahre 1854 dahingegangen.<br />

Seit namhafte Vertreter der Literatur auf die Bedeutung seines<br />

Schaffens hingewiesen haben, sind seine Werke erst in weitesten Kreisen be­<br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

kannt geworden. Eine Gr<strong>und</strong>welle gotthelfscher Anerkennung haben in<br />

neuester Zeit auch die Radiobearbeitungen von Ernst Balzli <strong>und</strong> die Verfilmung<br />

seiner Werke ausgelöst. Aber <strong>Gotthelf</strong> war lange nicht allen Leuten<br />

genehm, <strong>und</strong> es ist bezeichnend, was uns noch vor ein paar Jahren bei der<br />

Rückfrage über ein literarisches Dokument ein bedeutender Jurist mitten aus<br />

dem gotthelfschen Emmental schrieb: «. . . Da unsere Ur-Emmentaler leider<br />

<strong>Gotthelf</strong> nicht sehr lieben, weil er ihnen nach ihrem Dafürhalten allzusehr hinter<br />

die Vorhänge geguckt <strong>und</strong> sie auf die Hühneraugen getschalpet hat, reden<br />

<strong>und</strong> schreiben sie möglichst wenig über ihn . . . Zu unserer Zeit hat man uns<br />

bis zur Matura unterschlagen, dass bei uns in der Schweiz ein Meyer, Keller<br />

<strong>und</strong> ein <strong>Gotthelf</strong> lebten. Dafür hat man uns die deutschen Klassiker, an deren<br />

Wesen die Teutonen nicht genesen sind, eingetrichtert, dass uns Hören <strong>und</strong><br />

Sehen <strong>und</strong> damit auch die Freude verging. Ich habe immer einen Band <strong>Gotthelf</strong><br />

auf meinem Nachttischli, <strong>und</strong> meine Frau muss mir oft das Kopfchüssi<br />

unter dem Bernerschädel wegziehen, damit ich mich endlich von meinem<br />

lieben Bitzius verabschiede.»<br />

Am 4. Oktober 1797 im Pfarrhaus zu Murten geboren, erlebte er schon<br />

ein Jahr später den Einbruch der Franzosen <strong>und</strong> als Fünfjähriger die Plünderung<br />

Murtens durch zügellose Oesterreicher Truppen, die auch die Pfarrei<br />

nicht verschonten. Ihnen soll er, so erzählt seine Schwester, drohend die<br />

Fäustchen entgegengehalten haben, ein Zug, der ihm zeitlebens eigen sein<br />

sollte. Er blieb ein unentwegter Kämpfer für Recht <strong>und</strong> Gerechtigkeit, <strong>und</strong><br />

was er einmal als Recht ansah, da blieb er unbeirrbar <strong>und</strong> hartköpfig dabei<br />

<strong>und</strong> hieb in Wort <strong>und</strong> Schrift rücksichtslos drein, ohne an die eigene Gefährdung<br />

zu denken. In den vierziger Jahren schreibt er darüber in einem Brief:<br />

«Es ist mir nicht bloss das Schaffen Bedürfnis, sondern zu schreien in die<br />

Welt hinein, zu wecken die Schläfer, den Blinden den Star zu stechen.» Wo<br />

es dreinzuhauen galt — das Recht war jedoch nicht immer auf seiner Seite<br />

— da zögerte er nicht, mit den schimpflichsten Ausdrücken loszuziehen, die<br />

er freilich von andern ebenso prompt wieder einstecken musste. Das war, wir<br />

dürfen es füglich so sagen, der Dämon im Genie <strong>Gotthelf</strong>s. Was W<strong>und</strong>er,<br />

wenn er sich damit in allen Lagern Feinde die Fülle heraufbeschwor <strong>und</strong> man<br />

lange über den finstern Schatten, die sich um ihn zusammengezogen, das Licht<br />

nicht sah <strong>und</strong> nicht sehen wollte, das dennoch über seinem Werke strahlt.<br />

Es ist durchaus natürlich, dass es der Distanz bedurfte von all dem kleinlichen<br />

<strong>und</strong> vielfach zeitbedingten Gezänk, um den wahren Schriftsteller zu<br />

erkennen, <strong>und</strong> dass deshalb zuerst Deutschland ihn entdeckte, bis ein Gott­<br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

fried Keller auf seine überragenden Dichtergaben aufmerksam machte <strong>und</strong> ihn<br />

ohne Vorbehalt unter die grössten epischen Erzähler der Weltliteratur einreihte.<br />

Ich glaube, dass heute sowohl <strong>Gotthelf</strong> wie seine Widersacher gegen<br />

die bis zu den höchsten Behörden hinauf sogar Ausdrücke fielen wie «Lumpenpack,<br />

Lügner <strong>und</strong> Betrüger, unnütz Gesindel, Landesverräter, Schelme<br />

<strong>und</strong> Spitzbuben», diese Entgleisungen bedauern müssten, denn sie haben hüben<br />

<strong>und</strong> drüben nur unnütz Geschirr zerschlagen.<br />

Auf ein Schreiben des Erziehungsdepartementes, wo der «beleidigende<br />

Ton» <strong>und</strong> «die Sprache», die er bisweilen führe «in seinem amtlichen Verkehr»<br />

beanstandet wurden, hat er entschlossen geantwortet: «Damit man<br />

nicht etwa glaube, ich hätte nicht bedacht, was ich da bemerkt, so will ich<br />

aufrichtig bekennen, dass ich einen Augenblick anst<strong>und</strong>, meiner Ueberzeugung<br />

Worte zu geben, aber dann siegte meine alte Gewohnheit, wahr zu<br />

sein statt höflich, wo beides sich nicht miteinander vereinen lässt.» Allerdings<br />

kosteten ihn neue anmassende Eingaben die Stelle eines Schulkommissärs,<br />

indem die Regierung ihn 1845 demonstrativ des Amtes enthob. In<br />

einem sehr höflichen, aber ironischen Schreiben dankt <strong>Gotthelf</strong> für die Mitteilung,<br />

dass man ihn nach der grossen geleisteten Arbeit entlasse <strong>und</strong> ihm<br />

damit die Zeit frei mache für ganz anderes Tun. Und wirklich, nun begann<br />

er seine Bücher zu schreiben.<br />

Vergessen wir bei alledem nicht, dass wir damals mitten in der Zeit der<br />

Verfassungskämpfe standen, der Manifeste der Gebrüder Schnell aus Burgdorf<br />

<strong>und</strong> der Volksversammlung auf der Bärenmatte zu Münsingen, geschürt<br />

durch die Juli-Revolution in Frankreich. Das Patriziat musste der jungen Demokratie<br />

endgültig den Platz räumen, die ihrerseits unter Neuhaus <strong>und</strong><br />

Stämpfli zum extremen Radikalismus hinüberwechselte. Aber wiederum nur<br />

durch diesen konnte der heutige B<strong>und</strong>esstaat geschaffen werden, ein halber<br />

Einsatz hätte das gegen die Widerstände der damaligen Zeit niemals zustande<br />

gebracht. Es kamen die unruhigen Jahre des Sonderb<strong>und</strong>skrieges <strong>und</strong><br />

der nicht unblutigen Freischarenzüge, die Jesuitenfrage erregte die Gemüter,<br />

<strong>und</strong> schliesslich vermochte nur noch der Sonderb<strong>und</strong>skrieg diese wüsten<br />

Wirren zu lösen. Und da mitten hineingestellt war <strong>Gotthelf</strong> mit einer Kraftnatur<br />

ohnegleichen <strong>und</strong> ausgestattet mit überdurchschnittlichen Gaben des<br />

Geistes <strong>und</strong> der Feder.<br />

All dieses Menschliche <strong>und</strong> allzu Menschliche versank in die Gruft <strong>und</strong><br />

die aufwühlenden Händel seiner Zeit, in der <strong>Gotthelf</strong> sich nie ganz zurecht<br />

fand, verebbten. Auch in seinen Büchern fehlt es leider hier <strong>und</strong> dort an Aus­<br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

fällen nicht. Aber wie treffend <strong>und</strong> kraftvoll hat er dagegen so viele Seiten<br />

seiner Werke gestaltet <strong>und</strong> Menschen gezeichnet, die ihresgleichen nicht haben<br />

in der ganzen Literatur. Und schliesslich, wem konnte er es recht machen?<br />

Auch <strong>Gotthelf</strong> hat erlebt, was jeder, der auf exponierten Posten gestellt<br />

ist, dass von der Parteien Gunst <strong>und</strong> Hass vermischt er in recht unterschiedlichem<br />

Urteil steht. In einem Brief von 1842 an Amtsrichter Burkhalter<br />

gesteht er: «In einem Zürcherblatt werde ich zu den Stündelern gezählt<br />

<strong>und</strong> mir stündelerische Tendenzen beigemessen. Was sagen Sie dazu? Auf der<br />

andern Seite schiltet der ,Basler Bote’ mich unchristlich <strong>und</strong> warnt die Leute<br />

vor meinen Büchern. Wem treff ich’s recht?»<br />

Es muss <strong>Gotthelf</strong> zugute gehalten werden, dass er da, wo er verletzt hatte,<br />

fast immer wieder die Hand bot zum Einlenken, was von vielen seiner Gegner<br />

nicht gesagt werden kann. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist seine<br />

Auseinandersetzung mit Fellenberg, dessen er nach dem Tode trotz allem,<br />

was vorgefallen, mit prachtvollen Worten gedenkt.<br />

Als Murten in der Zeit der Mediation 1803 an den Kanton Freiburg<br />

überging, zog Vater Bitzius in die grosse Landpfarrei Utzenstorf. Hier verbrachte<br />

Albert frohe Bubenjahre, während ihn sein Vater für den Eintritt ins<br />

Gymnasium Bern vorbereitete. Es folgen dann die Studien in Bern <strong>und</strong> seine<br />

Ausbildung zum Pfarrer. Vom Jahre 1820 bis 1824 entwickelte er als Vikar<br />

seines Vaters in Utzenstorf eine rege Tätigkeit, die allenthalben hohe Anerkennung<br />

erfuhr. Sein besonderes Anliegen war schon hier neben dem Armendienst<br />

das noch sehr im Argen liegende Schulwesen. Die Gemeinde gedenkt<br />

seiner noch heute in Dankbarkeit. Zur Weiterbildung an der Universität<br />

Göttingen liess er sich für das Jahr 1821 beurlauben. Er kehrte gerne<br />

wieder in sein Vikariat zurück. Am 9. Februar 1824 kam unerwartet der Tod<br />

des Vaters. Sein grösster Wunsch, dessen Nachfolger zu werden, wurde ihm<br />

durch das damalige Kirchengesetz versagt, das eine feste Anstellung erst nach<br />

fünfjährigem Vikariat erlaubte. Am 9. Mai hielt Bitzius daselbst die letzte<br />

Predigt. Sein Studienfre<strong>und</strong> Ludwig Fankhauser, bisher Vikar in <strong>Herzogenbuchsee</strong>,<br />

wurde in Utzenstorf als Pfarrer eingesetzt, während er dessen Stellung<br />

in unserem Buchsi zu übernehmen hatte. Trotz dem wehmütigen Abschied<br />

aus dem grossen Dorf an der unteren Emme begann nun für Albert<br />

Bitzius, wie er später mehrmals bekannt hat, die erfreulichste Zeit seines Lebens.<br />

Sie sollte volle fünf Jahre dauern <strong>und</strong> fand 1829, wie wir noch hören<br />

werden, ein durchaus nicht freiwilliges Ende. Nach kurzer Aushilfe an der<br />

Heiliggeistkirche in Bern trat Bitzius am Neujahrstag 1831 sein neues Amt<br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

als Vikar in Lützelflüh an. Zwei Jahre später, als Pfarrer Fasnacht im Alter<br />

von über 90 Jahren starb, bekam <strong>Gotthelf</strong> die Pfarrstelle in Lützelflüh. Ein<br />

Jahr darauf verheiratete er sich mit Henriette Elisabeth Zeender aus Bern,<br />

einer Enkelin seines Amtsvorgängers. Es war im Dezember 1836, als Bitzius<br />

mit dem «Bauernspiegel» das erstemal als Schriftsteller vor das Volk trat.<br />

Das Buch, welches er mit ungeheurem Schaffensdrang in wenigen Wochen<br />

zusammengeschrieben hatte, trug den Titel «Der Bauernspiegel oder Lebensgeschichte<br />

des <strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong>, von ihm selbst geschrieben». Dieser freigewählte<br />

Dichtername sollte ihm bleiben <strong>und</strong> ist heute in die Literatur eingegangen.<br />

Ein Mahner <strong>und</strong> Prophet ist <strong>Gotthelf</strong> in allen seinen Werken, <strong>und</strong><br />

immer wieder kämpft er in erster Linie für die Armen <strong>und</strong> Hintangesetzten,<br />

so wahr ihm «Gott helfe». In 18 Jahren schrieb er ein unglaublich umfangreiches<br />

Werk: 26 grosse Bände voll, ohne die Briefe, Predigten <strong>und</strong> Reden<br />

mitzuzählen. Was sich durch Jahre in ihm machtvoll aufgestaut hatte, das<br />

brach unaufhaltsam durch. «So kam ich zum Schreiben ohne alle Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> ohne daran zu denken, eigentlich Schriftsteller zu werden, Volksschriftsteller»,<br />

sagt er. Mit dem übergrossen Mass an Arbeit <strong>und</strong> im steten<br />

Kampf mit dem Zeitgeist, worüber er einmal schrieb, er «führe ein Doppelleben,<br />

ein heiteres Privatleben <strong>und</strong> daneben ein ob der Schlechtigkeit <strong>und</strong><br />

dem Leiden dieser Welt zorn- <strong>und</strong> gramerfülltes», hat <strong>Gotthelf</strong> allzufrüh<br />

seine Kräfte aufgezehrt. Ein Kuraufenthalt von 1853 brachte für Herz <strong>und</strong><br />

Hals nur geringe Linderung, <strong>und</strong> nach kurzer Krankheit versagte das müde<br />

Herz in der Morgenfrühe des 22. Oktober 1854 endgültig seinen Dienst.<br />

Das Bernervolk hatte, ohne es zu wissen, einen grossen Schriftsteller <strong>und</strong><br />

Volkserzieher verloren. Auf den Gedenkstein in Lützelflüh hat die Nachwelt<br />

geschrieben:<br />

«Wer wahrhaftig ist, der saget frei, was recht ist;<br />

Und ein wahrhaftiger M<strong>und</strong> bestehet ewiglich.»<br />

162<br />

Als Vikar in Buchsi<br />

Hier amtierte <strong>Gotthelf</strong> für den damals kränklichen Ortsgeistlichen, Pfarrer<br />

Bernhard Hemmann, der von 1811 bis 1847 in <strong>Herzogenbuchsee</strong> wirkte.<br />

Dabei hatte der Vikar weithin freie Hand in allen Amtsgeschäften, die er anscheinend<br />

fast durchwegs selbst führte. Die Kirchhöri Buchsi zählte damals<br />

in den noch heute dazu gehörenden 14 Gemeinden schon über 5000 Einwohner.<br />

Das gab bei der Weitläufigkeit unseres Gebietes für einen Seelsor-


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Pfarrhaus <strong>und</strong> Kirche zu <strong>Herzogenbuchsee</strong><br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

ger reichlich Arbeit, auch wenn in fünf Gemeinden ein sogenannter Helfer<br />

dem Pfarrer zur Seite stand. Aber gerade diese Arbeit in der weiten Landschaft<br />

war Bitzius hoch willkommen, stand er damit doch in unmittelbarem<br />

Kontakt mit Land <strong>und</strong> Leuten.<br />

Am 23. Mai 1824 hielt der neue Vikar in unserer Kirche die Antrittspredigt.<br />

Wir zitieren daraus: «Euch zu Jesus zu führen soll mein Bestreben<br />

sein; denn seine Diener sind wir <strong>und</strong> sollen sein Wort verkündigen, bis dass<br />

er kommt <strong>und</strong> seine Rechte verteidigen wird. Dies werde ich auch tun, niemand<br />

fürchtend als Gott, dem ich Rechenschaft abzulegen habe, unerschrocken<br />

seinen Willen verkünden, gleichgültig, ob es wohl oder übel geht,<br />

die Wahrheit an geheiligter Stätte offenbaren ohne Ansehen der Person, mutig<br />

dem Unrecht die Stirne bieten, die Unschuld schützen, der Gewalt entgegentreten,<br />

dem Schwachen ein Helfer sein. Denn ich schäme mich des<br />

Evangeliums Christi nicht: es ist eine Kraft, selig zu machen, alle die daran<br />

glauben.» So führte sich voller Zuversicht Albert Bitzius in unserer Gemeinde<br />

ein, <strong>und</strong> was er sich hier als Aufgabe gestellt, das hat er getreulich<br />

gehalten sein Leben lang. Als Vikar hatte er tatsächlich ein recht umfangreiches<br />

Arbeitspensum zu erfüllen. Fast jeden Sonntag war er es, der die<br />

Kanzel bestieg, <strong>und</strong> an Festtagen hatte er gar zweimal den Gottesdienst zu<br />

übernehmen. Meistens waren seine Predigten, so erzählt man sich, am Samstag<br />

noch nicht beisammen. Dann stand er des Sonntags früh auf <strong>und</strong> machte<br />

«einen Kehr», wie er sich selber ausdrückt, über Niederönz, Oberönz <strong>und</strong><br />

Bettenhausen <strong>und</strong> setzte sich da seine Predigt zurecht. Zur Winterszeit soll<br />

er diesen Kehr am Samstagabend getan haben. Von sich selber sagt er, dass er<br />

kein guter Prädikant gewesen, das Sprechorgan wollte nicht hinreichen, <strong>und</strong><br />

sein gutturales «R» wirkte sich störend aus, so dass er nicht immer gut verstanden<br />

wurde.<br />

Von Interesse für uns sind die Visitationsberichte aus jener Zeit. Diese<br />

mussten auf Gr<strong>und</strong> einer Verordnung des bernischen Kirchenkonvents jährlich<br />

eingereicht werden. Sämtliche fünf Berichte dieser Zeit wurden von Albert<br />

Bitzius verfasst. Jedes Jahr fand nämlich in allen Kirchgemeinden eine<br />

sogenannte Visitation statt; heute würden wir sie als Inspektion bezeichnen.<br />

Diese bestand in einer vierfachen Aufgabe: Der amtierende Geistliche hatte<br />

über den sittlich-religiösen Stand der Gemeinde, über die Schulen, die Kirchenfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

<strong>und</strong> den Lebenswandel der Beamten einen Bericht zu erstatten.<br />

Am Tag der Visitation war eine Predigt zu halten <strong>und</strong> Kinderlehre<br />

zu erteilen. Anschliessend hatten die Vorgesetzten <strong>und</strong> männlichen Kirchen­


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

gänger über die Amtsführung ihres Seelsorgers das Urteil abzugeben. All<br />

dies erfolgte auf Gr<strong>und</strong> eines einheitlich festgelegten Frageschemas, das der<br />

Visitator unterbreitete. Es ist dabei zu bemerken, dass solche Formeln niemals<br />

in den Schädel eines Bitzius hineinpassen wollten, <strong>und</strong> dass er dieses<br />

Schema in vielen seiner Berichte gehörig durchbrach, selbst dann noch, als er<br />

vom Kirchenkonvent deswegen gerügt worden war. Ein Beispiel dafür ist<br />

der Bericht über das Reformationsjahr 1828, wo er sich lange Zeit in höchst<br />

eigenen Gedanken ergeht. Da dieser zu umfangreich ist, sei hier als Beispiel<br />

immerhin Bitzius› erster Bericht aufgeführt:<br />

«Visitationsbericht des Pfarramt <strong>Herzogenbuchsee</strong> (1825)<br />

Gottesdienstlichkeit <strong>und</strong> Sitten<br />

Beyde mögen nicht viel ausgezeichnetes haben. Eine bedeutende Anzahl<br />

von Gemeindegliedern kömmt gar nicht zur Kirche. Von den andern kommen<br />

die einen nur, wenn sie ein neues Stück Kleid erhalten, andere, wenn<br />

besondere Verrichtungen sie ins Hauptort treiben; die dritten, weil es der<br />

Brauch ist, dem lieben Gott einige mal im Jahre die Ehre eines Besuchs zu<br />

gönnen, so der Höflichkeit wegen, um die Bekanntschaft, die vielleicht zur<br />

Zeit der Noth nützlich werden könnte, nicht ganz erkalten zu lassen; <strong>und</strong> der<br />

kleinste Theil mag hergebracht werden aus religiösem Bedürfniss. Es ist aber<br />

nicht ihre Schuld, dass die meisten nicht bessere Beweggründe haben.<br />

In den Sitten mag hier wohl keine besondere Eigenthümlichkeit gef<strong>und</strong>en<br />

werden, als dass seit einer Reihe von Jahren sich fast alle Jahre einer <strong>und</strong><br />

vorzüglich aus <strong>Herzogenbuchsee</strong> selbst zu Tode trinkt.<br />

Neben dieser alten vaterländischen Sitte wächst eine andere auf, noch<br />

trauriger in ihren Folgen, es ist die, uneheliche Kinder als etwas gewöhnliches<br />

zu betrachten, wozu die Menge derselben führt. Hier sind in diesem Jahr<br />

schon acht uneheliche Kinder getauft worden <strong>und</strong> keine kleinere Menge<br />

mag wohl noch unterwegs seyn. Doch dies mag in allen wohlhabenden Gemeinden<br />

Sitte seyn oder doch werden.<br />

Schulen. Ueber diese mögen auch alle besondern Bemerkungen überflüssig<br />

seyn; wenn man nämlich weiss, dass eine Schulmeister-Besoldung, die nicht<br />

die Hälfte einer Landjäger-Besoldung beträgt, sehr erklecklich gef<strong>und</strong>en<br />

wird, so kann man schon a priori auf den Werth, der auf die Schulen gesetzt<br />

wird, auf ihren inneren Zustand, auf die Achtung, welche die Eltern vor dem<br />

Schulmeister <strong>und</strong> für die Schule haben, schliessen.<br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Vorgesetzte. Was diese betrifft, so sind sie auch weder im Bösen noch im<br />

Guten ausgezeichnet vor anderen. Wohl giebt es, die man nie in der Kirche<br />

sieht, desto mehr aber im Wirtshause. Und auch an heiligen Sonntagen nicht<br />

auf die anständigste Weise, die dagegen nie im Schulhaus gewesen sind,<br />

ausser am Examen. Allein da dieses aller Orten seyn wird <strong>und</strong> Klagen dem<br />

Uebel nicht steuern würden, so ists am Besten, man füge sich in Gedult,<br />

suche nicht beständig ausser sich fruchtlose Hülfe <strong>und</strong> vergesse darob das<br />

eigne Wirken, sondern man mache selbst das Mögliche, fürs übrige lasse<br />

man dann Gott sorgen.<br />

<strong>Herzogenbuchsee</strong>, den 19. May 1825. Pfarramt <strong>Herzogenbuchsee</strong>.»<br />

Im Jubiläumsjahr der bernischen Reformation von 1828 hatte die Regierung<br />

angekündigt, es kämen wie 100 Jahre zuvor an den Feiertagen vom 31. Mai<br />

<strong>und</strong> 1. Juni silberne Gedenktaler zur Verteilung. Es ist wahr, <strong>Gotthelf</strong> hatte<br />

von der Reformation, die er immer wieder erneuert wissen wollte, eine sehr<br />

ernste Vorstellung, <strong>und</strong> dennoch sind wir erstaunt, mit welcher Entschiedenheit<br />

er schon als Vikar zu dieser kantonalen Verordnung Stellung genommen.<br />

Mit heiligem Eifer lehnt er sich dagegen auf, unbekümmert darum, dass er<br />

sich damit in schroffen Gegensatz zu den allgemeinen Ansichten stellt. Er<br />

hätte das Geld, welches dafür verausgabt werden sollte, lieber für Anliegen<br />

verwendet, die ihm als weit dringender erschienen. «Wo sind die früheren<br />

Münzen hingekommen?» so ruft er aus. «Hat je einer eine solche in den<br />

Händen der Landleute gesehen? Sie sind dahin gekommen, wo die neuen<br />

auch hinkommen würden, zu den Gürtlern, die sie zu Haften <strong>und</strong> Göllerkettelein<br />

verarbeiten. Soll uns das vorige Jahrh<strong>und</strong>ert ein Muster sein mit<br />

seiner steifen Förmlichkeit, seinem engen Dogmatismus <strong>und</strong> seiner erlahmten<br />

Regsamkeit?» Er hegt die Hoffnung, dass die Regierung auf ihren Beschluss<br />

zurückkommen werde <strong>und</strong> schlägt die Herausgabe von Kupfertalern<br />

vor. «Dadurch gewinnt man ein Dreifaches. Sie bleiben in des Empfängers<br />

Händen, ihre innere Wertlosigkeit sichert vor Veräussern. Man kann sie wegen<br />

ihrer Wohlfeilheit allen Schulkindern mitgeben; somit wird Unzufriedenheit<br />

auf dem Lande verhütet <strong>und</strong> Streit unter den Kindern einer Familie.<br />

Man bestimme sie einer gemeinnützigen Stiftung, etwa zur Bildung tüchtiger<br />

Schulmeister oder zur Unterstützung armer Gemeinden in ihren Schulangelegenheiten;<br />

dann ist sie wohl angewandt <strong>und</strong> trägt Zinsen die Fülle.<br />

Jeder Edelgesinnte, sei er Ratsherr oder Vorgesetzter, wird gerne auf das<br />

silberne Stücklein verzichten zum Wohle des Vaterlandes. Da möchte ich<br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

alle im Herzen Reformierte innig anflehen, alle Kräfte aufzubieten, uns doch<br />

würdiger zu zeigen, zu verhüten, dass nicht Schamröte unsere Wangen bedeckt,<br />

wenn wir während dem Münzenausteilen denken müssen, die verklärten<br />

Geister Zwinglis <strong>und</strong> Luthers sehen dem kindischen Spiele zu <strong>und</strong> schämen<br />

sich ihrer entarteten Enkel». In einer Rechtfertigung hierzu schreibt er<br />

weiter in einer Art, die ihn mit aller Deutlichkeit charakterisiert: «Steht es<br />

nicht jedem Bürger frei, eine solche Ansicht der hohen Regierung vorzulegen,<br />

ja, ist es nicht besonders uns Geistlichen ihre Pflicht, frei zu bekennen,<br />

was wir als Recht glauben ? Verderben der Trägheit, die immer erst will<br />

aufgefordert sein, ehe sie etwas tut! Wer die Wahrheit glaubt zu wissen <strong>und</strong><br />

sagt sie nicht, dem gebührt Verachtung.» Diesem Aufruf allerdings, wie gut<br />

er im Gr<strong>und</strong>e gemeint war <strong>und</strong> welch edle Ziele er damit verfolgte, vermochte<br />

Bitzius kein Gehör zu verschaffen. Die Reformationsfeiern gingen<br />

in vorgesehenem Rahmen vorüber, <strong>und</strong> die meisten Geistlichen fanden in<br />

ihren Berichten höchst anerkennende Worte dafür.<br />

Es kommt für den <strong>Gotthelf</strong>-Kenner etwas unerwartet, dass selbst die<br />

Gründung eines Töchternchors in Buchsi auf die Initiative <strong>Gotthelf</strong>s zurückgeht,<br />

der sonst wahrlich für die Tonkunst nicht viel übrig hatte. Er wusste<br />

aber um deren Reichtum <strong>und</strong> Wert für das menschliche Gemüt <strong>und</strong> bedauert<br />

in einer Briefstelle, dass er leider «steinerne Ohren» habe. Wenn er in unserem<br />

Dorf dennoch diesen Sängerchor anstrebte, so ging es ihm gleichzeitig<br />

um die Bildung eines geselligen <strong>und</strong> geistigen Zentrums, aus dem mit<br />

der Zeit eine musikalisch-literarische Gesellschaft hätte werden sollen. Der<br />

launigen <strong>und</strong> humorvollen Ansprache an die Sängerinnen entnehmen wir<br />

folgende Stelle, die uns zugleich ein köstliches Bild gibt vom lebenslustigen<br />

Bitzius der zwanziger Jahre: «So möchte ich auch der Gesellschaft beitreten;<br />

allein ich tauge weder als Lehrer noch als Sänger, denn da hat mich die Natur<br />

gar zu stiefmütterlich bedacht. Wenn ihr nun Geduld mit mir haben<br />

wollt, so will ich sie auch zu verdienen suchen. Ist etwas krumm, so will<br />

ich es grad zu machen suchen, will Notenblätter halten, Lichter putzen <strong>und</strong><br />

alles mögliche. Hat jemand ein Leid, so soll er es mir klagen, entweder will<br />

ich dem Leid ein Ende machen oder mit ihm klagen, kurz, ich möchte es allen<br />

recht zu machen suchen, wenn dies einem Menschen möglich wäre, sobald<br />

ihr nur Geduld mit mir habt.» Dieser Töchterchor muss später wieder eingegangen<br />

sein.<br />

Auf die Buchsijahre gehen auch die ersten literarischen Versuche zurück,<br />

die man als Manuskripte im Nachlass gef<strong>und</strong>en hat. Freilich dachte <strong>Gotthelf</strong><br />

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Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

noch bei weitem nicht daran, ein Geschichtenschreiber zu werden, doch ersehen<br />

wir daraus, wie der Gestaltungsdrang sich bereits vereinzelt Luft zu<br />

machen versucht. Man vermutet, dass diese Schriften im Fre<strong>und</strong>eskreis oder<br />

in Pfarrversammlungen vorgelesen oder dort diskutiert wurden. Darunter befindet<br />

sich die ergötzliche Studie «Gedanken über die Schwierigkeiten der<br />

Eheschliessung für einen Pfarrer», die immerhin schon von der trefflichen<br />

Beobachtungsgabe <strong>und</strong> Menschenkenntnis <strong>Gotthelf</strong>s zeugt. Dann ist ein vielseitiges<br />

Manuskript vorhanden, das ohne Zweifel auf das Gedenkjahr der<br />

Berner Reformation von 1828 zurückzuführen ist. Es ist überschrieben: «Gespräche<br />

zwischen Luther, Zwingli <strong>und</strong> Calvin im Himmel über die religiöse<br />

Gestaltung in der Welt seit ihrem Tode». Darin setzt sich Bitzius in leidenschaftlicher<br />

Sprache mit den landesüblichen Reformationsfeiern auseinander<br />

<strong>und</strong> zögert nicht, seinem verehrten <strong>und</strong> ihm als kämpferische Natur recht<br />

nahestehenden Luther Worte bitteren Spottes über das Getue der Menschen<br />

in den M<strong>und</strong> zu legen: «O pfui des entnervten Geschlechtes, das wie Kinder<br />

schreit, aber nicht wie Männer spricht, wie Weiber zankt, aber nicht wie<br />

Männer kämpft, wie Mädchen den Schein sucht, statt das Wahre zu wollen,<br />

wie Greise klagt, statt wie Männer der Not abzuhelfen, das mit dem Teufel<br />

liebäugelt, während es zu Gott betet, das windbeutelt mit gottlosen Ideen<br />

<strong>und</strong> insgeheim vor Gespenstern zittert.»<br />

Es ist bekannt, dass <strong>Gotthelf</strong> sich je <strong>und</strong> je mit Eifer der Schule angenommen<br />

hat, von der er hoffte, sie vor allem vermöchte durch bessere Bildung<br />

der drückenden Armennot zu steuern <strong>und</strong> durch geschicktere Erziehung<br />

der Kinder wäre das Volk zu Menschenwürde <strong>und</strong> echter Gläubigkeit zurückzuführen.<br />

Sein grosses Vorbild war darin Pestalozzi, der Helfer von<br />

Stans <strong>und</strong> Armenvater vom Neuhof. Dessen Wort von der Menschenbildung<br />

war ihm Leitstern für all sein Tun <strong>und</strong> Dichten: «Es ist für den sittlich, geistig<br />

<strong>und</strong> bürgerlich gesunkenen Weltteil keine Rettung möglich, als durch Erziehung,<br />

als durch Bildung zur Menschlichkeit, als durch Menschenbildung.»<br />

Nun bot sich ihm von <strong>Herzogenbuchsee</strong> aus im Jahre 1826 die Gelegenheit,<br />

den greisen Pestalozzi persönlich kennenzulernen. An der Jahresversammlung<br />

der Helvetischen Gesellschaft hielt dieser am 26. April in Langenthal<br />

seine letzte öffentliche Rede. Man verstand ihn nicht mehr so gut, den 80-<br />

jährigen Pestalozzi, die Rede floss nur mühsam, aber in zu Herzen gehenden<br />

Worten entwarf er noch einmal die Gr<strong>und</strong>gedanken seiner so selbstlos vorgelebten<br />

Erziehungslehre von der Liebe, der Güte <strong>und</strong> vom Dienst an den<br />

Mitmenschen. Ergriffen vom Vortrag <strong>und</strong> vom Lebenswerk dieses grossen<br />

168


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Menschenfre<strong>und</strong>es kehrte Albert Bitzius nach Buchsi zurück. In die Präsenzliste<br />

soll sich der Vikar eingetragen haben mit V. D. M., was bedeutet «Verbi<br />

Divini Minister» <strong>und</strong> heissen will «Diener des göttlichen Wortes».<br />

Mit doppelter Hingabe setzt sich <strong>Gotthelf</strong> nunmehr in Buchsi <strong>und</strong> seiner<br />

Umgebung für die Schulen ein. Namentlich mit der Volksschulstufe war es<br />

damals noch arg bestellt, <strong>und</strong> <strong>Gotthelf</strong> wie Pestalozzi sahen in der Förderung<br />

von Bildung <strong>und</strong> Erziehung in Elternhaus, Schule <strong>und</strong> Kirche die einzige<br />

Möglichkeit, um Armut <strong>und</strong> Elend wirksam <strong>und</strong> auf die Dauer zu begegnen.<br />

Das w<strong>und</strong>ert uns eigentlich nicht, wenn wir bedenken, dass <strong>Gotthelf</strong> schon<br />

während seines Theologiestudiums volle anderthalb Jahre als Lehrer an der<br />

sogenannten «Grünen Schule» in Bern unterrichtet hatte, <strong>und</strong> wenn wir an seine<br />

späteren Werke denken, wo er uns als geborener Lehrmeister entgegentritt.<br />

Man weiss, dass er sich gleich zu Beginn des Vikariates redlich bemüht hat<br />

um den Schulhausbau in Inkwil. Er hielt daselbst die Aufrichterede, zu der<br />

das Manuskript heute noch vorhanden ist. Am 28. November 1824 erteilte er<br />

im neuen Schulhaus den ersten Kinderlehreunterricht. Wo es galt, einen<br />

kranken Lehrer zu vertreten, da springt er mit Freuden in die Lücke. Darum<br />

finden wir ihn mehrmals in der Schulstube von Lehrer Bögli in Buchsi allein<br />

das Zepter führend. Er hat uns davon berichtet: «Mir gefällt es unter meinen<br />

Buben recht wohl, sie sind mir liebe <strong>und</strong> recht wackere Kameraden. Ich halte<br />

dafür, dass in diesem Alter das Lernen nicht das Höchste sei, sondern die<br />

Entwicklung des Charakters <strong>und</strong> Bildung desselben, daher muntere ich sie in<br />

den Pausen zum Lärmen auf <strong>und</strong> mache selbst mit, was das Zeug zu halten<br />

vermag. Während den St<strong>und</strong>en aber fordere ich strengste Ordnung.» Einige<br />

zitieren zwar diese Stelle für Utzenstorf <strong>und</strong> andere beziehen sie auf die von<br />

ihm gegründete <strong>und</strong> mit grosser Hingabe betreute Armenanstalt von Trachselwald.<br />

Wie dem auch sei, bezeichnend ist sie doch für <strong>Gotthelf</strong>s Einstellung<br />

zu Schule <strong>und</strong> Jugend. Allein, sein allzu grosser Eifer für die Sache der<br />

Schule sollte ihm gerade für die Buchsizeit zum Verhängnis werden. Aber,<br />

so müssen wir fragen, wo hätte <strong>Gotthelf</strong>, wo er etwas als recht erkannt, sich<br />

nicht mit dem Gewicht seiner ganzen Persönlichkeit dafür eingesetzt? Immer<br />

wieder trat er mit Vorschlägen vor die Behörden für die Reform <strong>und</strong> Verbesserung<br />

der Schule, <strong>und</strong> wenn nichts ging, zögerte er nicht, denselben ihre<br />

Lauigkeit vorzuwerfen. Nach seiner Meinung sollte der Katechismus, den<br />

er für den rein kirchlichen Unterricht wohl gelten liess, in der Schulstube<br />

durch eine Kinderbibel mit sittlich-religiösen Erzählungen ersetzt werden. Es<br />

mühte ihn, dass dieses fromme Lehrbuch von den Kleinsten zum Buchstabie­<br />

169


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

ren, von den mittleren Klassen als Lesebuch <strong>und</strong> von den älteren Schülern,<br />

denen es längst schon verleidet war, als Memorierbuch verwendet wurde. Das<br />

war für ihn pietätloser Missbrauch dieser biblischen Texte.<br />

170<br />

Die Auseinandersetzung mit Oberamtmann Effinger<br />

Es liegt durchaus in der Natur <strong>und</strong> Persönlichkeit <strong>Gotthelf</strong>s begründet,<br />

dass er schon während seiner Pfarrhelferstelle in Buchsi hier <strong>und</strong> dort dermassen<br />

zusammenstiess, dass Scherben zurückblieben. Hatte er einmal etwas<br />

als recht erkannt, so verfolgte er diesen Gegenstand mit unabdingbarer Beharrlichkeit.<br />

Dabei gab es keinen Kompromiss, auch gegenüber Vorgesetzten<br />

<strong>und</strong> Behörden nicht. Aus dieser Einstellung heraus geschah es, dass es zwischen<br />

dem eigenwilligen Vikar <strong>und</strong> Oberamtmann Effinger zu so heftigen<br />

Auseinandersetzungen kam, dass es Bitzius schliesslich die Stelle kostete. Rudolf<br />

Emanuel von Effinger amtete von 1821 bis 1831 als Vertreter der bernischen<br />

Regierung im Schloss zu Wangen. Er wird als wohlmeinender Landesvater<br />

geschildert <strong>und</strong> nahm sich tatsächlich der bedrängten Untertanen in<br />

allen Kümmernissen liebevoll an. Er war übrigens 1824 Gründer <strong>und</strong> erster<br />

Präsident der Ersparniskasse Wangen. Auch Effinger war von einer gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Reform des Schulwesens überzeugt <strong>und</strong> trat für eine bessere Volksbildung,<br />

bessere Entlöhnung der Lehrer <strong>und</strong> eine Aufteilung der Klassen<br />

ein, gab es doch noch Schulklassen, in denen 200 Schulkinder unterrichtet<br />

wurden. Eben war er an der Ausarbeitung einer vorläufigen Schulreform im<br />

Amt Wangen. Albert Bitzius vertrat im wesentlichen eigentlich fast dieselbe<br />

Auffassung mit Bezug auf die Schulen, doch vermochte der junge Feuerkopf<br />

auch hier nicht zu warten, bis seine zahlreichen Eingaben <strong>und</strong> Anträge<br />

geprüft <strong>und</strong> neue Projekte gereift waren. So kennen wir ein Schreiben aus<br />

dem Jahre 1829, das er in Umgehung des Dienstweges direkt an das Erziehungsdepartement<br />

einreichte. Darin verwendete er sich für eine Unterstützung<br />

an den wegen Krankheit in bedrängten Verhältnissen lebenden<br />

Lehrer Bögli aus Buchsi. Wie warm er auch für seinen Schützling eintrat,<br />

so musste die Regierung doch dabei den Eindruck bekommen, der Oberamtmann<br />

in Wangen vernachlässige seine Pflichten. Bitzius betrachtete sich halt<br />

selber als in erster Linie berufener Sachverwalter der Schule <strong>und</strong> hat in diesem<br />

Zusammenhang seinem Onkel Samuel Studer geschrieben: «Sie wissen<br />

wohl, werter Onkel, dass Schulen mein Steckenpferd sind, dem Herrn Effinger<br />

seins sind die Strassen; wo ich etwas den Schulen Erspriessliches zu tun


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

gesehen, habe ich nicht Mühe <strong>und</strong> Arbeit geschont, auch vor keinem Menschen<br />

mich gefürchtet.»<br />

Als <strong>Gotthelf</strong> vernimmt, dass im Schulplan Effinger die Loslösung von<br />

Bollodingen aus der Schulgemeinschaft Ober- <strong>und</strong> Niederönz vorgesehen sei,<br />

was heute längst der Fall ist, da bezieht er entschieden Stellung dagegen.<br />

Diese Aufteilung hätte zur Folge, dass die Klassen in Oberönz kleiner würden<br />

<strong>und</strong> damit auch die Entschädigung des von ihm sehr geschätzten Lehrers<br />

Steiger, dessen ohnehin magerer Lohn schon bisher nirgends hingelangt hatte.<br />

<strong>Gotthelf</strong> setzte sich nun in Wort <strong>und</strong> Schrift mit Hartnäckigkeit für seine<br />

Auffassung ein, wobei in seinen Darstellungen Effinger recht schlechte Figur<br />

macht. Die Regierung kann diesem bemühenden Streit nicht länger zusehen<br />

<strong>und</strong> eröffnete ihm am 3. Mai 1829 die Abberufung aus <strong>Herzogenbuchsee</strong>.<br />

Es müssen dieser Affäre bestimmt schon andere Zwischenfälle vorausgegangen<br />

sein. Aber nun schien das Mass voll zu sein. Die Nachricht traf<br />

Bitzius wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. In Briefen hat er seinem<br />

Unmut Ausdruck verliehen. «Es ist lächerlich, wie die Herren in Trab sich<br />

setzen, wenn ein armer Teufel zu hudeln ist.» Und an anderer Stelle lesen<br />

wir: «Wo ich Freude hatte an der Arbeit, muss ich weg <strong>und</strong> auf eine Art,<br />

welche das Schmerzliche des Scheidens noch vermehrt.»<br />

Wir glauben ihm, dass der Abschied weh tat, denn das Wirken in unserer<br />

Gegend war für den angehenden Schriftsteller zu einem reichen <strong>und</strong> kostbaren<br />

Erleben geworden. Wie oft noch gedachte er später wehen Herzens der<br />

«patriarchalischen Höfe» unserer Landschaft, besonders auch derer der<br />

Buchsiberge mit ihrer «sprichwörtlichen Gastfre<strong>und</strong>schaft» <strong>und</strong> den leutseligen<br />

Menschen, der Wanderungen durch dunkle Wälder zu den hellen<br />

Seen <strong>und</strong> all der Fre<strong>und</strong>e, welche er da zurückgelassen. Und ob er später<br />

wollte oder nicht, so traten bei der Niederschrift seiner Werke die weiten<br />

Landschaften «in den Dörfern draussen» wieder vor seine Seele <strong>und</strong> gaben<br />

ihnen den äusseren Rahmen. So tragen denn seine Erzählungen «Der Besuch»,<br />

«Die Käserei in der Vehfreude», «Oberamtmann <strong>und</strong> Amtsrichter»<br />

deutlich das Gesicht unserer Gegend.<br />

Damit das Bild <strong>Gotthelf</strong>s in seiner Buchsizeit doch einigermassen abger<strong>und</strong>et<br />

erscheine, haben wir noch von der so jung verstorbenen Pfarrerstochter<br />

Marie Sophie Hemmann zu berichten. Es war die Tochter von <strong>Gotthelf</strong>s<br />

Prinzipal. Sie galt als sehr empfindsam <strong>und</strong> war von zarter, oft kränklicher<br />

Natur. Als nun der junge Bitzius ins Pfarrhaus kam, soll sich das Mädchen<br />

gar bald in den wackeren Vikar verliebt haben, ohne dass dieser, so wird zum<br />

171


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

mindesten beteuert, die Liebe erwidert habe. Die Tochter litt nun so sehr<br />

darunter, dass ihre Anfälligkeit zunahm, <strong>und</strong> im Jahre 1832 — es war die<br />

Zeit, als <strong>Gotthelf</strong> sich mit Henriette Zeender verlobte — starb sie dahin. Das<br />

Bedauern über den frühen Tod der liebenswürdigen Tochter war allgemein.<br />

Die Pfarrersfamilie <strong>und</strong> mit ihr viele andere hielten Bitzius lange Zeit für<br />

nicht unschuldig an dem frühen Tod des Mädchens. Was daran sein mag,<br />

das ist nicht mehr zu ergründen, denn diese Berichte beruhen meines Wissens<br />

nur auf mündlicher Ueberlieferung.<br />

Es sei ferner noch erwähnt, dass Bitzius auch auf dem stattlichen Gutshof<br />

der «Scheidegg» bisweilen zu Gast war, wo er sich gerne mit dem jungen,<br />

tüchtigen Geschäftsmann Samuel Friedrich Moser, dem Vater der Frau Amelie<br />

Moser, besprach. Ein paar Briefe erinnern noch an diese Bekanntschaft.<br />

Zwei Anekdoten<br />

Dass <strong>Gotthelf</strong> gerne mit seinem Pferd ausritt <strong>und</strong> lange auch ein leidenschaftlicher<br />

Jägersmann war, ist unter der Bevölkerung noch allgemein bekannt.<br />

Davon werden in unserer Gegend noch einige lustige Begebenheiten<br />

erzählt, von denen wir die zwei besten dem Leser nicht vorenthalten wollen.<br />

Es muss allerdings gesagt werden, dass man sie, etwas variiert, gelegentlich<br />

auch in Utzenstorf <strong>und</strong> Lützelflüh zu Gehör bekommt.<br />

172<br />

Unterbrochene Entenjagd<br />

Es war an einem Freitag. Da <strong>Gotthelf</strong> wusste, dass an diesem Morgen<br />

keine Kirchgänger zu erwarten wären, konnte er sich an dem strahlenden<br />

Jagdtag nicht enthalten, sein Weidmannsheil zu versuchen. Heute galt es der<br />

Entenjagd, <strong>und</strong> so sehen wir wenig später den Vikar zusammengeduckt, mit<br />

angestemmten Beinen, eingezogenem Kopf <strong>und</strong> die Doppelflinte im Anschlag<br />

in einem grossen Zuber mitten im Inkwilersee herumtreiben. Da tönen<br />

auf einmal über den Oenzberg her die Kirchenglocken von <strong>Herzogenbuchsee</strong>.<br />

Landvogt Effinger von Wangen, mit dem er nicht auf gutem Fuss<br />

stand, hatte sie läuten lassen, um dem unbotmässigen Vikar einen Streich zu<br />

spielen. Kurz entschlossen holt Bitzius beim nächsten Bauer einen Dragonergaul<br />

<strong>und</strong> reitet Buchsi zu. Bald ist er umgezogen <strong>und</strong> in der Kirche, wo er<br />

die Predigt hält mit dem Text: «Wenn der Hausvater wüsste, wann der Dieb<br />

kommt, so würde er wachen.» Von da an liess der Landvogt nie mehr läuten.


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Bitzius ist nicht verlegen<br />

Eines Tages war Bitzius mit einigen Bauern in der Gegend des Aeschisees<br />

auf der Jagd. Schussbereit hielt er die Flinte in der Hand, als die H<strong>und</strong>e<br />

abbrachen <strong>und</strong> die Fährte verloren. Da ein schöner Tag war, ging der Vikar<br />

für ein paar Minuten zum nahen See hinüber <strong>und</strong> lehnte unterdessen die<br />

Flinte an einen Baum. Die Jagdgefährten, aufgelegt, dem Bitzi einen Streich<br />

zu spielen, schraubten den Feuerstein weg <strong>und</strong> hefteten ein Stück Käsrinde<br />

an seine Stelle. Da setzte das Gekläff der H<strong>und</strong>e von neuem ein, <strong>und</strong> in ein<br />

paar Sprüngen war der Vikar wieder am Waldrand in Stellung. Er merkte<br />

aber, dass an seiner Flinte etwas gegangen war, entfernte unbeachtet die Käserinde<br />

<strong>und</strong> schraubte einen Ersatzstein auf. Da brach auch schon der Hase<br />

aus dem Dickicht. Der Schuss krachte <strong>und</strong> Bitzius stiess fröhlich ins Horn.<br />

Bevor er jedoch zu den andern Jägern ging, setzte er rasch die Käserinde<br />

wieder auf. Diese sahen, dass sie immer noch aufgesteckt war <strong>und</strong> schauten<br />

einander verdutzt an: «Ei, Bitzi hat einen Käserauft als Zündstein aufgesetzt!»<br />

hänselten sie ihn, immer noch nicht begreifend, wie der hatte schiessen<br />

können. Darauf hatte der Vikar gewartet <strong>und</strong> schlagfertig entgegnete er:<br />

«Jawohl, meine Herren, das ist ein Rauft von dem harten Käse, den die<br />

Bauern ihren Knechten vorsetzen, <strong>und</strong> damit kann man so gut Feuer schlagen<br />

wie auf dem besten Feuerstein.»<br />

Fre<strong>und</strong>schaft mit Amtsrichter Burkhalter<br />

Das Lebensbild <strong>Gotthelf</strong>s in seiner Buchsizeit wäre niemals vollständig,<br />

gedächten wir nicht der innigen Fre<strong>und</strong>schaft, die ihn Zeit seines Lebens mit<br />

dem klugen Bauersmann vom benachbarten Fluhacker verb<strong>und</strong>en hat.<br />

Im Umgang mit den Mitmenschen kam dem sonst so streitbaren Bitzius<br />

ein gar leutseliges Wesen sehr zustatten. Wo seine Augen etwas Schönes<br />

sahen, da verweilten sie mit Behagen, wo er aus dem M<strong>und</strong>e anderer Menschen<br />

etwas lernen konnte, da hatte er niemals Eile, wo es den Verschupften<br />

zu helfen galt, da war er immer zur Hand, <strong>und</strong> wo gar ein Unrecht geschah,<br />

da flammte hellauf sein Blitz <strong>und</strong> zündete wild gegen den Widersacher, ungeachtet,<br />

ob er dabei für seine eigene Person Schaden nähme. Gerne zog <strong>Gotthelf</strong><br />

in freien St<strong>und</strong>en durchs Dorf in die schöne Landschaft hinaus, in die<br />

Buchsiberge, zu den leuchtenden Seen hinüber, durch schattige Wälder oder<br />

ins grüne Oenztal hinein. Auf einem dieser Spaziergänge begegnete er drü­<br />

173


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

ben im Fluhacker, wo die Talterrasse zum Oenzberg ansteigt, einem währschaften<br />

Bauersmann, der mit seltsamer Arbeit beschäftigt war. Die Männer<br />

kamen ins Gespräch. Es war Josef Burkhalter, der soeben im Begriff stand,<br />

nach sorgfältigen Plänen an seinem Hause eine Sonnenuhr zu errichten. Sie<br />

setzten sich aufs Bänkli vor dem blumengeschmückten Hause <strong>und</strong> waren bald<br />

in ein anregendes Gespräch vertieft. Aus dieser Begegnung sollte eine<br />

Fre<strong>und</strong>schaft werden, die unzerbrüchlich dauerte bis ans Ende ihres Lebens.<br />

<strong>Gotthelf</strong> fühlte sich von dem klugen Bauersmann, der 10 Jahre älter war <strong>und</strong><br />

ihn dereinst noch volle 12 Jahre überdauern sollte, unwiderstehlich angezogen.<br />

Im Umgang mit Büchern <strong>und</strong> Menschen hatte sich Burkhalter ein erstaunlich<br />

umfassendes Wissen angeeignet. Wiederholt haben ihn Fre<strong>und</strong>e<br />

gebeten, sein Lebensbild aufzuzeichnen, was er schliesslich getan hat. Seine<br />

Nachkommen besitzen ein handgeschriebenes Heft von 34 Seiten, deren<br />

letzte das Datum trägt vom 14. Februar 1850. Es hat den Titel «Erinnerungen<br />

aus meinem früheren Leben, ein Vermächtnis für meine Enkel». Pfarrer<br />

Gottlieb Joss aus <strong>Herzogenbuchsee</strong> hat diese Schrift im Jahre 1897 bei Anlass<br />

des 100. Geburtstages von <strong>Gotthelf</strong> mitsamt den Briefen der beiden Männer<br />

erstmals veröffentlicht. Leider sind beide Bändchen längst vergriffen. Wir<br />

entnehmen diesem Lebensbild, dass der Vater Schuhmacher war zu Grasswil,<br />

dann lesen <strong>und</strong> notdürftig schreiben lernte, <strong>und</strong> wie er schliesslich angestellt<br />

wurde, «auf dem Seeberg» Schule zu halten. Später kam der Umzug<br />

nach Niederönz. Josef Burkhalter, welcher das jüngste war von sechs Kindern,<br />

setzte sich schon am Ende seiner Knabenjahre eifrig mit der pietistischen<br />

Lehre auseinander, dann anhand von Büchern eines Nachbarn mit der<br />

Mystik <strong>und</strong> baute sich schliesslich aus Glaube, Wissen <strong>und</strong> Beobachtung der<br />

Natur ein eigenes Weltbild auf. Wir wissen, dass später die Begegnungen<br />

mit dem Vikar Bitzius sein Leben noch um vieles bereichert haben. Er schreibt<br />

einmal davon: «. . . als er noch in <strong>Herzogenbuchsee</strong> war, wo wir so manchen<br />

schönen Sommerabend auf dem Hübeli hinter meinem Haus unter den schattigen<br />

Buchen verplauderten, wobei wir die Aussicht auf die Emmentaler<br />

<strong>und</strong> Oberländer Berge genossen, oder wo wir in seinem Zimmer in <strong>Herzogenbuchsee</strong><br />

ernste <strong>und</strong> heitere Gespräche führten, wobei er mir so manches<br />

lehrreiche Buch zu lesen lehnte . . .» Und weiter weiss Burkhalter seinen<br />

geistlichen Fre<strong>und</strong> so trefflich zu charakterisieren, dass diese Worte heute in<br />

viele Literaturgeschichten Eingang gef<strong>und</strong>en haben: «Wenn er zwei oder<br />

dreimal in einem Hause war, so hatte er die ganze Haushaltung los bis ins<br />

Chuchigänterli <strong>und</strong> die sämtlichen Familienverhältnisse bis in die hintersten<br />

174


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Winkel. Er mischte sich in alle Angelegenheiten; er konnte mit einem Mädchen<br />

scherzen oder mit der Hausfrau über ihre Kabisplätze sprechen <strong>und</strong><br />

handkehrum mit einem alten Manne ein sehr ernstes Gespräch führen. Er<br />

suchte jedem das zu sein, was er glaubte, dass es ihm am besten entspreche.»<br />

Nach dem Umsturz von 1831, wo unser Kanton am 31. Juli die neue Verfassung<br />

bekam, da war aus dem Hintersäss Burkhalter längst ein hochgeachteter<br />

Mann geworden, dessen Urteil man schätzte <strong>und</strong> dessen Erfahrung man<br />

gerne zu Rate zog. Von Natur aus eher zu stiller Beschaulichkeit neigend,<br />

stellte er sich nur zögernd der Oeffentlichkeit zur Verfügung. Er hat einmal<br />

<strong>Gotthelf</strong> von seinem schönen Fluhacker geschrieben: «Im ganzen genommen<br />

herrscht im Fluhacker immer noch das stille, heimelige Familienleben, <strong>und</strong><br />

immer froher bin ich, dass wir ein wenig von der übrigen Welt abgeschieden<br />

sind.» Allein, wo man seiner bedurfte, da leistete er ganze Arbeit. Als Präsident<br />

der Schulkommission leitete er von 1833 an «mit Lust <strong>und</strong> Liebe» den<br />

Bau des noch heute recht stattlichen Schulhauses der beiden Oenz. Er zieht<br />

in den Gemeinderat von Niederönz ein <strong>und</strong> wird bald darauf auch noch Präsident<br />

des Kirchgemeinderates von <strong>Herzogenbuchsee</strong>, wozu ihm <strong>Gotthelf</strong> auf<br />

launige Art gratuliert hat. Bis zum Loskauf der Zehntabgabe von 1846 hatte<br />

er das Amt eines Zehntschätzers inne. Im Jahre 1839 wird er ehrenvoll zum<br />

Amtsrichter gewählt, was er zeitlebens hoch eingeschätzt hat. Zwei Jahre<br />

später zieht er in den Grossen Rat ein, ist aber, von Haus aus sehr gemässigt<br />

<strong>und</strong> von ausgesprochener Toleranz, von dem Betrieb in Bern durchaus nicht<br />

befriedigt, was wir allerdings von unserem «Fluhackersepp», wie der Volksm<strong>und</strong><br />

ihn kurzweg nannte, wohl verstehen; denn in diesen Jahren prallten<br />

Radikale, Gemässigte <strong>und</strong> Konservative fortwährend aufeinander, <strong>und</strong> am<br />

Horizont der Eidgenossenschaft zeichnete sich schon der kommende Bürgerkrieg<br />

ab.<br />

Als <strong>Gotthelf</strong> <strong>Herzogenbuchsee</strong> verliess, da blieb das fre<strong>und</strong>schaftliche<br />

Verhältnis zu Amtsrichter Burkhalter unentwegt bestehen. Bisweilen führte<br />

noch ein kurzer Besuch sie zusammen, dann aber sind es besonders die Briefe<br />

der beiden Männer, welche von ihrer gegenseitigen Wertschätzung zeugen.<br />

Und nicht nur das. Diese Briefe, in denen uns <strong>Gotthelf</strong> <strong>und</strong> sein weiser<br />

Bauersmann im Fluhacker so ganz persönlich <strong>und</strong> gleichsam hemdärmelig<br />

gegenübertreten, sind für die <strong>Gotthelf</strong>-Forschung eine wahre F<strong>und</strong>grube geworden.<br />

Es müssen deren viele gewesen sein. Was auf uns gekommen, ist<br />

leider unvollständig, aber doch noch bedeutend genug, um sie zu einem der<br />

aufschlussreichsten Dokumente der schweizerischen Literatur zu machen.<br />

175


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Von Burkhalter sind noch 20 Briefe in den Archiven, von <strong>Gotthelf</strong> deren 35,<br />

während im Fluhacker einmal ihrer 48 vorhanden gewesen sein sollen. In diesen<br />

Schreiben äussern die beiden Männer mit grösster Offenherzigkeit ihre<br />

Meinung zu den Geschehnissen des Alltags, zu der Politik, sprechen von<br />

ihren Familien, den Kindern, von den Schulen, vom Landbau <strong>und</strong> unterbreiten<br />

einander vertrauensvoll ihre persönlichen Anliegen. Sie gemahnen<br />

uns unwillkürlich an den köstlichen Briefwechsel zwischen Simon Gfeller<br />

<strong>und</strong> Otto von Greyerz, der 1957 veröffentlicht worden ist. <strong>Gotthelf</strong><br />

schätzte den originellen Bauersmann so, dass er ihm später alle seine Werke<br />

zustellte <strong>und</strong> ihn um seine Meinung darüber bat. Dabei mochte er jeweilen<br />

fast nicht warten, bis die Antwort kam:<br />

176<br />

«An wohlehrwürdigen Herrn Alb. Bitzius<br />

Pfarrer zu Lützelflüh<br />

Wohlehrwürdiger Fre<strong>und</strong>!<br />

Niederönz, den 10. Juli 1843.<br />

Es ist mir leid, dass es so lange anstehen musste, ehe ich Ihnen schreiben<br />

konnte! Als ich das Anne Bäbi erhielt, machte ich mich eben reisfertig für<br />

nach Bern, <strong>und</strong> als ich von Bern heimkam, musste ich auf den Gerstenzehnden.<br />

Diese <strong>und</strong> andere Sachen hinderten mich, das Anne Bäbi zu lesen. Als es<br />

endlich gelesen war <strong>und</strong> ich im Begriff war, Ihnen zu schreiben, kam der<br />

David Schneider <strong>und</strong> sagte mir, er werde kürzlich nach Lützelflüh gehen,<br />

wenn ich allfällig mit ihm wolle; er könne mir aber den Tag nicht bestimmen,<br />

bis der Buchsemarkt vorbei seie. Gestern abends redeten wir nun ab, wenn<br />

keine besondern Hindernisse uns abhalten, so wollen wir künftigen Mittwoch<br />

zu Ihnen kommen.<br />

Ich lebe nun zwischen Furcht <strong>und</strong> Hoffnung, Sie anzutreffen oder Ihnen<br />

vielleicht ungelegen zu kommen. Ich möchte Sie gar gerne wieder einmal<br />

sehen. Wenn Sie schon allfällig an der Arbeit sind, wieder einen Stein den<br />

Berg hinauf zu wälzen, das thut nichts, es giebt nur einen Ruhepunkt. Ueber<br />

das Anne Bäbi will ich Ihnen jetzt nicht viel sagen; wahrscheinlich hat es mir<br />

besser gefallen, als Sie glaubten. Ich finde Spass <strong>und</strong> Ernst so ziemlich am<br />

rechten Ort angebracht. Unser alte Walker Obrecht sagte mir, das ist mi Seel<br />

besser als h<strong>und</strong>ert Predige, es het mer drü Mal d’Augen übertribe. Und jetzt<br />

muss ich aufhören, denn ich muss trotz dem struben Wetter um 9 Uhr in


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Wangen sein. In der freudigen Hoffnung, mit Ihnen zu sprechen, grüsse<br />

recht herzlich!<br />

Josef Burkhalter.»<br />

Und dem Brief vom 26. Oktober 1845 entnehmen wir die folgende bedeutende<br />

Stelle, wo Burkhalter sich zu <strong>Gotthelf</strong>s Werk «Der Geldstag» in<br />

einer Weise äussert, die dessen gesamte Schreibweise aufs trefflichste charakterisiert<br />

<strong>und</strong> bis auf unsere Tage Gültigkeit besitzt.<br />

«Was Ihr Buch anbelangt, so danke ich vorerst recht verbindlich dafür.<br />

Ich habe es aufmerksam gelesen. Sie sind, wie gewohnt, tief in alle Verhältnisse<br />

eingegangen <strong>und</strong> haben sie treu geschildert. Allein so kurzweilig wie etliche<br />

frühere ist es nicht. Das ist aber sehr natürlich; denn der Stoff, der da<br />

behandelt wird, hat überhaupt nicht viel Anziehendes. Nur finde ich, was ich<br />

schon bei früheren bemerkt habe, es seien zuweilen Kleinigkeiten zu weit<br />

ausgesponnen <strong>und</strong> die moralischen Betrachtungen <strong>und</strong> Reflexionen seien zuweilen<br />

zu lang. Aeltere Leute mögen der Sache erwarten; aber den jüngern<br />

wird es gewöhnlich zu lang. Sie überspringen solches <strong>und</strong> damit haben Sie<br />

doch den bezweckten Nutzen nicht. Die Wirtschaft auf der Gnepfi haben<br />

Sie so trefflich geschildert, dass ich nicht umhin konnte, zuweilen Vergleichungen<br />

anzustellen.»<br />

Diesem Briefwechsel verdanken die Biographen <strong>Gotthelf</strong>s auch dessen<br />

berühmten Bekenntnisbrief vom 27. Oktober 1840, in dem der Dichter mit<br />

allem Freimut sein Glaubensbekenntnis niederlegt. Schade, dass der Raum<br />

hier nicht hinreicht, ihn abzudrucken. Aber dafür sei ein anderer, der für<br />

<strong>Gotthelf</strong> ebenfalls sehr bezeichnend ist, unseren Lesern nicht vorenthalten:<br />

«Dem wohlachtbaren Joseph Burkhalter,<br />

im Fluhacker bei Niederönz.<br />

Abzugeben zu <strong>Herzogenbuchsee</strong>.<br />

Lützelflüh, den 26. Dez. 1838.<br />

Lieber Fre<strong>und</strong>!<br />

Das geht ja verdammt vorwärts; kaum noch als Hintersäss mit dem H.<br />

angesehen, nun Kirchgemeinderatspräsident, der höchste Posten in der Gemeinde,<br />

freilich nicht der einträglichste! Es ist kurios, dass die Leute mehr<br />

nach Geld als nach Ehre begierig sind <strong>und</strong> Ehre ohne Geld ihnen vorkommt,<br />

wie eine Suppe ohne Salz, ein Voressen ohne Safferet, eine Pastete ohne Teig,<br />

eine Wurst ohne Fülli. Geld ist freilich auch eine gar schöne Sache <strong>und</strong> ich<br />

177


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

wollte, ich hätte so viel Dublonen, als in die Theile Eures Schulhauses möchten,<br />

die gegenwärtig leer sind. Da wollte ich gewaltig spektakeln im Lande. Ich<br />

wollte gegenüber den jetzigen Regenten mich stellen <strong>und</strong> mal zum Spass<br />

versuchen, wer mehr Gewalt üben könnte, ob sie oder ich. Ich wollte ganze<br />

Aemter nach meiner Pfeife tanzen lassen wie Bären <strong>und</strong> ohne Stock. Indessen<br />

will ich abbrechen von diesem Kapitel, ehe der M<strong>und</strong> mir gar zu wässerig<br />

wird. Wenn’s schon bald Neujahr wird, so wird mir doch niemand solche<br />

Wünsche thun, <strong>und</strong> würde sie auch jemand thun, so würde sie doch niemand<br />

erfüllen wollen.<br />

Mich freuts, dass ein junger Knecht bei Euch angestanden ist; der wird<br />

dem Grossätti nicht unwerth sein, <strong>und</strong> der Grossätti wird wohl selten eine<br />

leere Tasche heimbringen, wenn er Präsidentlis gemacht hat am Kirchgemeinderath.<br />

— Sind der alten Schulmeisterin Thränen trocken? Ich dachte<br />

ihr nicht zu weh zu thun; aber der dumme Redaktor setzte eine dumme Note<br />

hinzu, die eigentlich den Stachel enthielt.<br />

Alle Gemeinden, die Schulhäuser gebaut haben, glaubten, es gehe auf sie,<br />

<strong>und</strong> mancher ist zweg gesprungen <strong>und</strong> hat einen Gegenartikel wollen machen<br />

lassen, <strong>und</strong> wenn man ihn dann fragte, was man eigentlich schreiben solle,<br />

so wusste er nicht was, als: He, gieb ihm ume ume, dem Donner, dass er ds<br />

angermal ds Mul zue b’het. Das aber wollte denn doch niemand versuchen.<br />

Ich bin, seit ich bei Ihnen war, nicht müssig gewesen. Wahrscheinlich<br />

wird bald ein Gegenstück zu den fünf Mädchen erscheinen, wenn es mir jemand<br />

drucken will. Auch der zweite Theil vom Schulmeister wird in längstens<br />

einem Monat unter den Leuten sein <strong>und</strong> dann wird’s Donnerwetter losgehen,<br />

wenn’s auch nur erst Jenner sein wird. Mir ist’s gleichgültig. Ausgehalten<br />

muss es einmal sein, <strong>und</strong> da ich überzeugt bin, das Buch werde alle<br />

Angriffe aushalten, warum sollte ich sie nicht aushalten? Bin ich doch mehr<br />

als das Buch.<br />

Es ist merkwürdig, dass die Welt <strong>und</strong> nicht Ehrgeiz oder Fleiss mich zum<br />

Schriftsteller gemacht. Sie drückte so lange auf mich, bis sie Bücher mir aus<br />

dem Kopfe drückte, um sie ihr an die Köpfe zu werfen. Und da ich etwas grob<br />

werfe, so will sie das nicht leiden; das kann ihr eigentlich auch niemand übel<br />

nehmen. Indessen muss sie mir Platz machen, muss mich gelten lassen <strong>und</strong><br />

zwar als keinen Esel, muss mir ein vernünftig Wort zu sprechen vergönnen,<br />

<strong>und</strong> wann <strong>und</strong> zu was ich will. Ist einmal dieses Recht erkämpft, so werde ich<br />

sicher manierlich werden <strong>und</strong> sanft wie ein achttägiges Lamm <strong>und</strong> zuckersüss<br />

wie eine Welschlandtochter auf dem Tanzboden.<br />

178


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Nun will ich das alte Jahr verdämmern <strong>und</strong> einen Tag nach dem andern<br />

vorüberrauschen lassen, hoffend, mit dem neuen Jahre komme neue Kraft zu<br />

neuer Arbeit. Jetzt will ich in’s Wirtshaus hinauf, zwei Pasteten zu bestellen<br />

für’s neue Jahr, eine für uns <strong>und</strong> eine für zwei alte Leutchen, die vielleicht<br />

ihr Lebtag keine gegessen oder nicht manche. Es wäre vernünftiger, ihnen<br />

etwas anderes zu geben; allein mir kömmt immer vor, einer Freude wisse die<br />

Vernunft nicht immer die rechte Schätzung zu machen.<br />

Wir sind Gottlob alle wohl, meine Kleinen alle hellauf. Mein Bube wird<br />

kein dummer Kerl <strong>und</strong> ist nie um eine Ausrede verlegen, während das Mädchen<br />

mehr mit Fragen sich beschäftigt <strong>und</strong> das Dritte der beiden andern<br />

Affe ist.<br />

Euch allen wünsche ein recht gut <strong>und</strong> glückhaft Neujahr, wünsche, dass<br />

der Müller weisses Mehl liefere zu den Weihnachtsringen, der Teig gut habe,<br />

der Ofen eben recht warm sei <strong>und</strong> Bäbi aufpasse, wenn’s die rechte Zeit<br />

sei, einzuschiessen <strong>und</strong> herauszunehmen, <strong>und</strong> dass dann das Wohlgeratene<br />

lauter fröhliche Gemüther verspeisen möge.<br />

Lebt wohl, vergesst mich nicht, auch nicht mit einem Brief.<br />

Albert Bitzius.»<br />

<strong>Gotthelf</strong> hat seinem Fre<strong>und</strong> Burkhalter in mehreren seiner Werke ein<br />

bleibendes Denkmal gesetzt. So treffen wir im «Leiden <strong>und</strong> Freuden eines<br />

Schulmeisters» den weltoffenen «schlichten Bauersmann in gelbem, halbleinenem<br />

Rock namens Sepp». Auch im wohlmeinenden Götti im Buch «Der<br />

Geldstag» tritt uns Burkhalters kluge <strong>und</strong> gütige Gestalt entgegen. Daneben<br />

haben bestimmt noch viele andere währschafte Bauerngestalten in <strong>Gotthelf</strong>s<br />

Werken den Amtsrichter Burkhalter zum Vorbild.<br />

Auch Peter Rosegger, der bekannte Volksschriftsteller Oesterreichs, findet<br />

Worte herzlicher Würdigung, als er im Jahre 1898 Burkhalters Lebensbild<br />

<strong>und</strong> Briefe in die Hand bekommt. Er schreibt darüber in dem von ihm betreuten<br />

«Heimatgarten» folgendes: «. . . Dieser Burkhalter, der es aus einem<br />

armen ,Hintersäss’ (rechtloser Bürger) zum hohen Rath gebracht, war ein<br />

sehr interessanter Mann, ein Naturphilosoph von gediegener Art, dessen<br />

schlichte Briefe eine so einheitlich abgeklärte, eigenartige Weltanschauung<br />

offenbaren, wie sie heute gar nicht mehr zu finden ist. Wenn er z. B. schreibt,<br />

dass jeder Mensch sich das göttliche Wesen so vorstellen müsse, wie er es<br />

nach seiner innern Organisation vermöge, so dass man fast sagen könne, jeder<br />

habe seinen eigenen Gott, je nachdem er dessen Natur zu fassen vermag,<br />

179


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

so ist das ein Ausspruch, der mich höher <strong>und</strong> wahrer dünkt, als alle dogmatischen<br />

Seelenreitereien aller Kirchen zusammen . . .»<br />

Die Nachricht von <strong>Gotthelf</strong>s Tod traf den alten Burkhalter schwer. Mit<br />

herzlichen Worten wendet er sich am 25. Oktober 1854 an dessen Witwe,<br />

der er durch das gemeinsame Andenken an den dahingegangenen Fre<strong>und</strong><br />

auch fürderhin treu verb<strong>und</strong>en blieb:<br />

180<br />

«Verehrte Fre<strong>und</strong>in,<br />

Soeben habe ich den inliegenden Brief erhalten, <strong>und</strong> da ich sah, dass eine<br />

Verwechslung stattgef<strong>und</strong>en hat, so sende Ihnen selbigen sogleich zurück,<br />

um den Irrtum gutmachen zu können.<br />

Ich habe bereits in der Zeitung den Tod meines teuren, unvergesslichen<br />

Fre<strong>und</strong>es gelesen, die Nachricht hat mich tief getroffen. Im acht<strong>und</strong>sechzigsten<br />

Jahr meines Alters stehe ich bald vereinzelt da, meine viel jüngeren<br />

Fre<strong>und</strong>e gehen vor mir hinüber ins bessere Leben. Auch Ihre Lage kann ich<br />

mir vorstellen. Sie haben das schwerste erlitten, allein uns bleibt nichts anders<br />

übrig als uns in den Willen der Vorsehung zu fügen <strong>und</strong> uns mit der Hoffnung<br />

zu trösten, ihn bald jenseits wieder zu finden. Indessen werden auch<br />

Sie mir im Andenken bleiben. Ihr liebevoller Empfang, wenn ich meinen<br />

Fre<strong>und</strong> besuchte, hat mir Sie unvergesslich gemacht. Ich bedaure nur, dass<br />

ich ihn nicht noch einmal besuchte, allein meine Kräfte schwinden, das Reisen<br />

wird mir beschwerlich.<br />

Leben Sie wohl! Ich grüsse Sie <strong>und</strong> die Ihrigen recht herzlich <strong>und</strong> werde<br />

Sie stets in meinem Andenken behalten.<br />

Ihr alter<br />

J. Burkhalter, Amtsrichter.»<br />

Es war nur ein kurzer Gang, den wir hier durch die Jahre machen konnten,<br />

da Albert Bitzius als Vikar in <strong>Herzogenbuchsee</strong> weilte. Im <strong>Gotthelf</strong>-<br />

Archiv der Stadtbibliothek Bern, in der Landesbibliothek, unter den Schriften<br />

des Staatsarchivs, bei den Kirchenakten <strong>und</strong> selbst unter den Dokumenten<br />

hiesiger Bürger ist noch manches vorhanden über <strong>Gotthelf</strong>s Buchsizeit.<br />

Und manchmal gelüstet einen darnach, all das einmal umfassend <strong>und</strong> lückenlos<br />

zu sammeln <strong>und</strong> davon zu berichten. Aber das würde den Rahmen dieses<br />

Aufsatzes bei weitem sprengen <strong>und</strong> muss einer späteren Gelegenheit vorbehalten<br />

bleiben.


Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 1 (1958)<br />

Zur Erinnerung an das Wirken <strong>Gotthelf</strong>s wurde in <strong>Herzogenbuchsee</strong><br />

eine Alignementsstrasse, die in den Hof des alten Pfarrhauses mündet, als<br />

Bitziusstrasse bezeichnet. Weiter unten im Dorf lädt im Hotel Bahnhof ein<br />

schmuckes Bitzius-Säli mit Wandgemälden aus <strong>Gotthelf</strong>-Erzählungen zu gepflegter<br />

Gastlichkeit <strong>und</strong> zum Verweilen ein. Es ist verdienstvoll, dass man<br />

damit der Zeit gedenkt, da <strong>Gotthelf</strong> bei uns gewirkt hat. Wer solche Anerkennung<br />

für den grossen Dichter zu bescheiden findet, der mag sich damit<br />

zufrieden geben, dass vielleicht einmal an der ehrwürdigen Dorfkirche, am<br />

Pfarrhaus oder an anderer passender Stelle eine schlichte Gedenktafel in aller<br />

Bescheidenheit dem Vorübergehenden verkünden wird:<br />

«Hier wirkte vom 23. Mai 1824 bis zum 3. Mai 1829 Albert Bitzius<br />

als Vikar, der nachmalige Volksschriftsteller <strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong>.»<br />

<strong>Werner</strong> <strong>Staub</strong><br />

Benutzte Quellen: <strong>Gotthelf</strong>s Werke; <strong>Gotthelf</strong>biographien; Briefe aus Privatbesitz;<br />

mündliche Ueberlieferung. Insbesondere wurden verwendet: Manuel Carl: «<strong>Gotthelf</strong><br />

Biographie von 1857». Bitzius Albert: «Briefe von <strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong> an Amtsrichter<br />

Burkhalter, 1897». Burkhalter Joseph: «Amtsrichter Burkhalter <strong>und</strong> seine Briefe an<br />

<strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong>, 1899». Hunziker Rudolf: «Aus <strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong>s Vikariatszeit,<br />

1917». Rössle Wilhelm: «<strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong> als Volkserzieher, 1917». Hunziker Rudolf:<br />

«Der junge <strong>Gotthelf</strong> als Seelsorger, 1921». Hopf Walter: «<strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong> im<br />

Kreise seiner Amtsbrüder <strong>und</strong> als Pfarrer, 1927». Hunziker Rudolf: «<strong>Jeremias</strong> <strong>Gotthelf</strong>,<br />

1927». Günther <strong>Werner</strong>: «Der ewige <strong>Gotthelf</strong>, 1934». Muschg Walter: «<strong>Jeremias</strong><br />

<strong>Gotthelf</strong>s Persönlichkeit; Erinnerungen der Zeitgenossen, 1944».<br />

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