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Lernen und Lehren - Universität Regensburg

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<strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong><br />

- Lernbegriff <strong>und</strong> noch mehr-<br />

<strong>Lernen</strong><br />

Prof. Dr. Helmut Lukesch<br />

Institut für f r Experimentelle Psychologie<br />

<strong>Universität</strong> t <strong>Regensburg</strong><br />

in<br />

behavioraler<br />

Sicht<br />

(= Verhaltensänderung)<br />

in<br />

kognitiver<br />

Sicht<br />

(= Wissens- <strong>und</strong><br />

Fertigkeitsserwerb)<br />

<strong>Lernen</strong> ist immer eine Fähigkeit, um sich an eine nicht<br />

vorhersehbare <strong>und</strong> ändernde Umwelt anzupassen (Das gilt<br />

für viele Organismen, nicht nur für den Menschen!).<br />

<strong>Lernen</strong> in behavioraler Sicht<br />

Von „<strong>Lernen</strong>“ abgegrenzte Verhaltensweisen <strong>und</strong><br />

Anpassungsmodi<br />

• <strong>Lernen</strong> ist der Vorgang, durch den eine Aktivität<br />

im Gefolge von Reaktionen des Organismus auf<br />

eine Umweltsituation entsteht oder verändert<br />

wird. Dies gilt jedoch nur, wenn sich die Art der<br />

Aktivitätsänderung nicht auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

angeborener Reaktionstendenzen, von Reifung<br />

oder von zeitweiligen organismischen<br />

Zuständen (z. B. Ermüdung, Drogen …) erklären<br />

lässt (Hilgard & Bower, 1970, S. 16).<br />

(1) Angeborene Reaktionstendenzen<br />

(a) Unbedingte Reflexe<br />

(b) Taxis, Tropismen<br />

(c) Automatismen<br />

(d) Instinkthandlungen,<br />

Erbkoordination<br />

(2) Prägung (imprinting)<br />

(3) Reifung (maturation)<br />

(4) Vorübergehende<br />

organismische<br />

Zustände<br />

(a) Ermüdung<br />

(b) Gewöhnung /<br />

Habituation<br />

(c) Drogenkonsum<br />

(d) Verletzungen, Alterung<br />

1 (a) Unbedingte Reflexe<br />

Gleichbleibende<br />

Reaktion auf einen<br />

bestimmten sensiblen<br />

Reiz<br />

Diese Reaktionen sind<br />

angeboren, sie laufen<br />

schnell <strong>und</strong><br />

automatisch ab.<br />

Beispiele<br />

Lidschlussreflex<br />

Achillessehnenreflex<br />

Babinskireflex<br />

Hustenreflex<br />

1 (b) Taxis, Tropismus<br />

• Orientierungsreaktion von freibeweglichen Lebewesen,<br />

das heißt die Ausrichtung einer Bewegung in einem<br />

Umweltgradienten oder auf eine Reizquelle zu (positive<br />

Taxis) oder von ihr weg (negative Taxis).<br />

• Im Gegensatz zu einem auslösenden Reiz einer<br />

Endhandlung muss bei Taxien der richtende Reiz immer<br />

vorhanden sein, sonst wird die Handlung beendet.<br />

• Taxien treten bei freibeweglichen Mikroorganismen,<br />

Tieren <strong>und</strong> Pflanzen auf. Beispiele sind<br />

Phototaxis - Orientierung nach der Helligkeit <strong>und</strong> Farbe<br />

des Lichts (inkl. IR <strong>und</strong> UV)<br />

Skototaxis - Orientierung zum Dunkeln hin<br />

Gravitaxis (früher Geotaxis) - Orientierung an der<br />

Schwerkraft<br />

Rheotaxis - Orientierung an der Wasserströmung<br />


1 (c) Automatismen<br />

• Angeborene Verhaltensweisen, die vom<br />

Zentralnervensystem auch ohne Mitwirkung<br />

äußerer Reize auslösbar sind (z.B. die Körper<strong>und</strong><br />

Gliedmaßenbewegungen bei Wirbeltieren;<br />

Flossenbewegung bei Fischen).<br />

• Diese Aktionen werden gar nicht bzw. nur in<br />

geringfügiger Weise vom eigenen Willen<br />

beeinflusst. Darunter fallen z.B.:<br />

Atmung<br />

Pulsschlag<br />

1 (d) Instinkthandlung, Erbkoordination<br />

• Angeborene Verhaltensweisen, die durch bestimmte Reize<br />

(Schlüsselreize) über einen angeborenen Auslösemechanismus (AAM -<br />

Attrappenversuche) zu geordneten Bewegungsabläufen<br />

(Erbkoordinationen) führen.<br />

• Die Bewegungshandlungen bestehen aus Orientierungsbewegungen <strong>und</strong><br />

Endhandlungen.<br />

• Sie laufen nur dann ab, wenn eine innere Bereitschaft dazu besteht.<br />

innere Faktoren: Hormone, Hunger...<br />

äußere Faktoren: Temperatur, Jahreszeit...<br />

• Sie treten bei allen Individuen einer Art gleichen Geschlechts<br />

gleichermaßen auf.<br />

• Sie haben sich zum Vorteil der Art herausgebildet. Das Verhalten wird<br />

aber nicht vom Erfolg gesteuert.<br />

• Beispiele: Balzverhalten von Fischen, Fliegenfang bei Fröschen,<br />

Nestbau bei Vögeln, Kreistreten beim Hinlegen, Mönchsgrasmücke zieht<br />

Kuckuck auf<br />

Beispiel<br />

• Die Eirollbewegung der<br />

Graugans ist ein Beispiel für<br />

starres instinktives Verhalten,<br />

das durch<br />

Orientierungsverhalten<br />

(seitliche Korrekturen mit dem<br />

Schnabel) ergänzt wird:<br />

• Wenn man der Gans das Ei<br />

wegnimmt, nachdem sie die<br />

Eirollbewegung begonnen hat,<br />

führt sie diese weiter, die<br />

seitlichen Korrekturen<br />

unterbleiben jedoch.<br />

• Die beiden Elemente des<br />

Verhaltens können also<br />

voneinander getrennt werden.<br />

Kaspar-Hauser-Versuche<br />

• Bei so genannten Kaspar-Hauser-Versuchen wendet<br />

man die gezielte Deprivation (das Fehlen oder die<br />

gezielte Ausschaltung von Reizen) von Schlüsselreizen<br />

an, um herauszufinden ob <strong>und</strong> welche Verhaltensweisen<br />

angeboren oder anerzogen, angelernt sind.<br />

• In der Eichhörnchen-Aufzucht versuchte man zum<br />

Beispiel die Deprivation von Nüssen, konnte aber<br />

feststellen, dass der Drang zum Sammeln <strong>und</strong><br />

Verstecken der Nüsse trotzdem in vollem Maß vorhanden<br />

war, dass es sich hier somit um eine Erbkoordination<br />

handelte.<br />

• Der Nestbau der Vögel ist häufig genauso erbkoordiniert<br />

wie die Nestfüllung danach.<br />

Beispiele für Kaspar Hauser-Versuche<br />

• Rattenweibchen: Aufzucht in Isolation in einer Skinnerbox<br />

(ohne Nestbauutensilien vorhanden). Wenn sie dann<br />

plötzlich Nestbauutensilien zu Verfügung gestellt bekommt,<br />

baut sie ein technisch perfektes Nest.<br />

• Kreuzspinne: Isolation im Reagenzglas - nach<br />

Freilassung perfekter Netzbau.<br />

• Grille: Nach Isolation arttypischer Gesang, ohne ihn vorher<br />

gehört zu haben.<br />

• Häufige Simultanverschränkung von Erbkoordination <strong>und</strong><br />

Taxis (= gerichtete Bewegungskomponente)<br />

Beispiel Erdkröte: Beim Beutefang kommt es zunächst zur<br />

Taxis: Die Kröte führt eine orientierende Wendung (Taxis)<br />

durch, um die Beute zu fixieren. Erst dann folgt die<br />

eigentliche Beutefanghandlung (Erbkoordination).<br />

• Taxis: variabel – je nachdem, wo sich die Beute befindet<br />

• Erbkoordination: stereotypes Bewegungsmuster<br />

(Herausschnellen der Zunge)<br />

• Einer Erbkoordinationen kann eine Phase des Suchens<br />

vorausgehen (z.B. nach Beute oder einem<br />

Sexualpartner). Man spricht von Appetenzverhalten.


Schlüsselreize - Attrappenversuche<br />

(Tinbergen)<br />

• Angeborene Auslösemechanismen (AAMs): Die<br />

auslösende Wirkung von Reizen, die zur Ausführung von<br />

Verhalten führt ist meistens angeboren, man nennt sie<br />

daher auch angeborene Auslösemechanismen (Lorenz,<br />

Tinbergen). Die Wirkung der AAMs kann durch Erfahrung<br />

(z.B. Habituation) modifiziert werden.<br />

• Appetenz: Sind für die aktuelle Verhaltensbereitschaft<br />

keine Schlüsselreize gegeben, löst der sogenannte<br />

Bedürfnisdruck die Suche nach ihnen aus. Dies nennt<br />

man Apptenzverhalten. Das Appetenzverhalten ist äußerst<br />

flexibel (z.B. Wolfsrudel sucht Beutetier, Hahn sucht<br />

Henne) <strong>und</strong> bedarf keiner Auslösesituation.<br />

Oftmals reichen wenige kritische Merkmalskombinationen<br />

aus, um ein entsprechendes Verhalten auszulösen.<br />

• Leerlaufhandlungen: Die Wirksamkeit der Schlüsselreize<br />

hängt von der Appetenz ab. Bei hoher Appetenz kann z.B.<br />

auch ein rotes Postauto Angriffsverhalten bei einem<br />

Stichling auslösen. Wird das Verhalten spontan <strong>und</strong> ohne<br />

erkennbaren auslösenden Reiz ausgeführt, spricht man<br />

von Leerlaufhandlungen.<br />

Modell der elementaren Strukturen tierischer<br />

Verhaltenskoordinationen<br />

(2) Prägung (imprinting)<br />

Motivationsspezifische<br />

Verhaltensbereitschaft<br />

en werden durch die<br />

das Motiv<br />

befriedigende<br />

konsumatorische<br />

Endhandlung (z.B.<br />

Begatten, Fressen...)<br />

aufgehoben. Dieser<br />

Effekt wird durch eine<br />

sensorische<br />

Rückkopplung<br />

vermittelt. So beendet<br />

nicht die konsumatorische<br />

Endhandlung,<br />

sondern die damit<br />

einher gehenden<br />

sensorischen Effekte<br />

die Verhaltensbereitschaft.<br />

Christian<br />

Moullec<br />

Nomaden<br />

der Lüfte –<br />

Das<br />

Geheimnis<br />

der Zugvögel<br />

• Prägung kann nur während einer sog. kritischen Periode<br />

im Leben eines Tieres geschehen kann. Typisch dafür ist<br />

seine rasche Genese (nach Ramsay & Hess [1954] genügen<br />

10 Minuten bei Entenküken),<br />

die hohe Löschungsresistenz <strong>und</strong> Irreversibilität sowie<br />

die Lokalisierung in einer sensiblen Periode der Entwicklung.<br />

Beispiele: Nachfolgeprägung, sexuelle Prägung,<br />

Gesangsprägung bei manchen Vögeln (Zebrafinken-<br />

Männchen lernen den Gesang vom Vater), Ortsprägung,<br />

Nahrungsprägung, Prägung auf den eigenen Nachwuchs<br />

• Eventuell auf das <strong>Lernen</strong> von AAM zurückzuführen.<br />

(3) Reifung (maturation)<br />

• Sind diejenigen Verhaltensänderungen bezeichnen, die<br />

aufgr<strong>und</strong> physiologischer Veränderungsprozesse möglich<br />

werden.<br />

• Spezifische organische Veränderungen machen spezifische<br />

Fähigkeiten möglich, ohne dass für deren Ausbildung<br />

vorhergegangene Lernvorgänge notwendig gewesen wären<br />

(z.B. Markscheidenbildung beim Säugling als<br />

Voraussetzung für koordinierte Bewegungen).<br />

• Klassische Studie von L. Carmichael (1926): Kaulquappen,<br />

die unter Dauernarkose gehalten worden sind, zeigen gleich<br />

gut ausgebildete Schwimmbewegungen, wie Artgenossen<br />

gleich alte Artgenossen, die nicht unter Narkose gehalten<br />

worden sind. Ähnlich Flugvermögen von Tauben,<br />

Pickreaktion von Küken (Hühnerbrillenversuch von Hess)<br />

Schlussfolgerung: kein durch <strong>Lernen</strong> verbessertes Zielen<br />

(4) Vorübergehende (oder auch dauerhaft<br />

erworbene) organismische Zustände (auch<br />

durch nicht-assoziatives <strong>Lernen</strong>)<br />

• Verhaltensänderungen aufgr<strong>und</strong> von<br />

Ermüdung (z. B. Halluzinationen nach langer<br />

Anstrengung)<br />

Gewöhnung / Habituation (z. B. sensorische<br />

Adaption an Gerüche, Geräusche …)<br />

Sensitivierung (ebenfalls nicht-assoziative<br />

Lernform)<br />

Drogenkonsum (Alkohol)<br />

• Zusätzlich auch Alterungsprozesse,<br />

Verhaltensänderungen aufgr<strong>und</strong> von<br />

Verletzungen


Nichtassoziatives <strong>Lernen</strong> (Habituation,<br />

Sensitivierung …)<br />

• Nichtassoziativ gelernt wird, wenn ein Organismus die Eigenschaften<br />

eines singulären Reizes erlernt, indem er ihm wiederholt ausgesetzt<br />

wird.<br />

• Wiederholte Darbietung eines Reizes kann zur Abnahme der Reaktion<br />

führen (Habituation). Habituation ist die Fähigkeit des Nervensystems<br />

eines Organismus, unwichtige Reize, die sich monoton wiederholen,<br />

zu erkennen <strong>und</strong> mit der Zeit zu ignorieren.<br />

• Beispielsweise werden als unbedeutsam erkannte Signale wie das<br />

Ticken der Armbanduhr oder Verkehrslärm vor dem Fenster nach<br />

einiger Zeit nicht mehr bewusst wahrgenommen.<br />

• Darbietung eines intensiven oder unangenehmen Reizes stellt die<br />

ursprüngliche Reaktion wieder her (Dishabituation)<br />

• Wiederholte Darbietung von unangenehmen Reizen führt zur<br />

Zunahme der Reaktionsstärke (Sensitivierung)<br />

Beispiel: Reizdarbietung <strong>und</strong> gemessene<br />

physiologische Daten eines Säuglingsversuchs<br />

zur Habituation<br />

Assoziatives <strong>Lernen</strong><br />

• Assoziatives <strong>Lernen</strong> bedeutet, dass ein<br />

Organismus etwas über die Beziehung zwischen<br />

zwei Reizen oder den Zusammenhang eines<br />

bestimmten Reizes <strong>und</strong> seinem eigenen<br />

Verhalten lernt. Eine assoziative Verbindung<br />

zwischen den beiden Reizen oder Reiz <strong>und</strong><br />

Verhalten wird geknüpft.<br />

• Beispiele assoziativen <strong>Lernen</strong>s bilden die<br />

Klassische <strong>und</strong> Operante Konditionierung, aber<br />

auch bloße raum-zeitliche Kontiguität.<br />

Neurophysiologsiche Basis (kommt später<br />

vielleicht oder auch nicht?)<br />

• <strong>Lernen</strong> erfolgt durch Änderungen in der Struktur<br />

von Verknüpfungen zwischen Nervenzellen<br />

• Oder: <strong>Lernen</strong> erfolgt durch die Änderung der<br />

Effizienz bestehender Verbindungen.<br />

• Beide Arten des <strong>Lernen</strong>s sind im menschlichen<br />

Nervensystem implementiert.<br />

<strong>Lernen</strong> in kognitiver Sicht<br />

• <strong>Lernen</strong> ist der Prozess, durch den deklaratives<br />

Wissen (z.B. Begriffe, Schemata, Regeln, auch<br />

Einstellungen) <strong>und</strong> prozedurales Wissen (das<br />

sind Fertigkeiten psychomotorischer <strong>und</strong><br />

kognitiver Art, z.B. Problemlöseheurismen) über<br />

die Welt sowohl aufgr<strong>und</strong> externer Anregungen<br />

wie auch durch die Eigenaktivität des Lerners<br />

(Denken) entsteht oder verändert wird.<br />

• Nach Leutner gehört auch noch das <strong>Lernen</strong> von<br />

Einstellungen i.S. von positiven <strong>und</strong> negativen<br />

Orientierungen gegenüber Objekten dazu.<br />

Nicht kognitiv gelernt wird vieles, was zum<br />

sog. Nondeklarativen Wissen gehört (siehe<br />

Langzeitmodell des Gedächtnisses)<br />

• Verhaltensänderungen aufgr<strong>und</strong> von<br />

Konditionierungsprozessen<br />

Priming-Prozessen<br />

Gewöhnung / Habituation (z. B. sensorische<br />

Adaption an Gerüche, Geräusche …)<br />

Sensitivierung (ebenfalls nicht-assoziative<br />

Lernform)


• Externe Anregungen = inzidentelles <strong>Lernen</strong> +<br />

beabsichtigtes <strong>Lehren</strong>.<br />

• „<strong>Lehren</strong>“ bedeutet, gezielt Erfahrungen für <strong>Lernen</strong>de<br />

herbeizuführen, die wiederum solche Lernprozesse<br />

(Veränderungen) in den <strong>Lernen</strong>den auslösen, deren<br />

Ergebnisse intendierten Lehrzielen entsprechen<br />

sollen. <strong>Lehren</strong> bezieht sich immer auf eine Summe<br />

von Aktivitäten eines <strong>Lehren</strong>den.<br />

• Denken wird als „interpretierende <strong>und</strong><br />

ordnungsstiftende Verarbeitung von Information“<br />

(Bergius, 1994, S. 148) definiert.<br />

Im Alltag erscheint Denken als gezieltes Produzieren<br />

von Vorstellungen <strong>und</strong> Erinnerungen, als Analysieren,<br />

Abstrahieren, Schlussfolgern <strong>und</strong> Problemlösen,<br />

aber auch ungezielt als freies Assoziieren oder als<br />

Tagträumen.<br />

Sozialisation<br />

• Bei Sozialisationsprozessen handelt es sich um ständig ablaufendes<br />

zumeist inzidentelles, bisweilen auch intentional angeregtes <strong>Lernen</strong>.<br />

• Inhaltlich bezieht sich der Begriff der Sozialisation auf den Erwerb<br />

dominanter Wertungsmuster <strong>und</strong> Normen einer Kultur oder<br />

Gesellschaft (auch Symbole, Verhaltensweisen, Techniken etc.).<br />

• Der Begriff der Sozialisation sollte in einem wertneutralen Sinn<br />

gebraucht werden. Es ist damit nicht die Bedeutung verknüpft, dass es<br />

um den Erwerb sozial erwünschten Verhaltens oder sozial akzeptierter<br />

Verhaltensdispositionen geht – genauso kann sozial inakzeptables,<br />

normwidriges oder auch selbstschädigendes Verhalten sozialisiert, <strong>und</strong><br />

das heißt durch spezifische Umweltanregungen gelernt werden<br />

(Schneewind & Pekrun, 1994, S. 5ff).<br />

• Zudem: Sozialisation ist nicht auf Kinder <strong>und</strong> Jugendliche beschränkt,<br />

auch Erwachsene sind – vielleicht nur in eingeschränktem Maße –<br />

lernfähig (vgl. primäre [Soziabilisierung], sek<strong>und</strong>äre [Enkulturation] <strong>und</strong><br />

tertiäre [Individuation] Sozialisation).<br />

Erziehung – Was ist das eigentlich?<br />

• „Unter Erziehung werden Handlungen verstanden, durch<br />

die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen<br />

Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht<br />

dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll<br />

beurteilten Komponenten zu erhalten oder die<br />

Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet<br />

werden, zu verhüten.“<br />

• Deskriptiver, aber wertoffener Erziehungsbegriff!<br />

• Brezinka, W. (1978). Metatheorie der Erziehung (4.<br />

Auflage). München: Reinhardt.<br />

Erziehungsbegriff nach Brezinka (1978) –<br />

Erläuterung (1)<br />

1. Mit Erziehungen werden Handlungen bezeichnet.<br />

2. Die Handlungen, die als "Erziehung" bezeichnet werden,<br />

sind soziale Handlungen.<br />

3. Die sozialen Handlungen, die als „Erziehung“ bezeichnet<br />

werden, zielen auf die psychischen Dispositionen<br />

anderer Menschen (i. S. von Persönlichkeitsänderungen).<br />

4. Die sozialen Handlungen, die als „Erziehung“ bezeichnet<br />

werden, zielen darauf ab,<br />

a) in anderen Menschen psychische Dispositionen zu<br />

schaffen,<br />

b) vorhandene Dispositionen zu ändern oder (unter<br />

bestimmten Umständen) zu erhalten <strong>und</strong><br />

c) den Erwerb unerwünschter Dispositionen zu verhüten.<br />

Erziehungsbegriff nach Brezinka (1978) –<br />

Erläuterung (2)<br />

5. Die sozialen Handlungen, die „Erziehung“ genannt<br />

werden, sind Versuche ...<br />

6. Förderabsicht ... sind durch die Absicht gekennzeichnet,<br />

die Persönlichkeit anderer Menschen zu fördern oder zu<br />

verbessern<br />

7. Adressaten der Erziehung können Menschen in jedem<br />

Lebensalter sein.<br />

8. Subjekte der Erziehung: Erzieher kann jeder Mensch<br />

sein, der imstande ist, soziale Handlungen zu vollbringen,<br />

die den Zweck haben, die Persönlichkeit anderer<br />

Menschen zu verbessern (bzw. sie in ihren wertvollen<br />

Komponenten zu erhalten.)<br />

<br />

„Erziehungsmittel?“: Erziehung ist das Mittel, um Ziele zu<br />

erreichen.<br />

Andere, weniger sinnvolle (im Sinne von<br />

„weniger fruchtbar“) Erziehungsbegriffe<br />

Prozessbegriffe von „Erziehung“<br />

Immer wenn gesagt wird, Erziehung<br />

sei eine „Tätigkeit“, eine<br />

„Einwirkung“, ein „Akt“, eine „Hilfeleistung“,<br />

dann ist damit ein Vorgang,<br />

ein Prozess gemeint.<br />

Produktbegriffe von „Erziehung“<br />

Wird mit „Erziehung“ das Ergebnis<br />

eines Prozesses (z. B eine bestimmte<br />

„psychische Verfasstheit,<br />

ein Zustand einer Person gemeint),<br />

dann liegt eine Produktauffassung<br />

von „Erziehung“ vor.<br />

Nein!


Deskriptive Erziehungsbegriffe<br />

Ein deskriptiver Erziehungsbegriff<br />

enthält keinerlei Wertung, er enthält<br />

nur jene Merkmale, mit deren<br />

Hilfe festgestellt werden kann, ob<br />

unter gegebenen Umständen „Erziehung“<br />

vorliegt oder nicht. Dieser<br />

Begriff ist auf der einen Seite<br />

wertfrei, aber auch wertoffen. Als<br />

Beispiel kann der sog. Minimalbegriff<br />

von Erziehung nach Richard<br />

Meister genannt werden,<br />

nach dessen Auffassung Erziehung<br />

eine „Handlung (sei), durch<br />

die versucht wird, die Persönlichkeit<br />

anderer Menschen in irgendeiner<br />

Hinsicht zu fördern“.<br />

Programmatisch-präskriptive<br />

Erziehungsbegriffe<br />

Programmatisch-präskriptive Begriffe<br />

der „Erziehung“ enthalten eine<br />

Vorschrift darüber, was durch Erziehung<br />

erreicht werden soll<br />

<strong>und</strong>/oder wie dies zu geschehen<br />

habe. Mit solchen Definitionen ist<br />

ein Handlungsprogramm mit einer<br />

Mischung von Seins- <strong>und</strong> Sollensaussagen<br />

verb<strong>und</strong>en. Als Beispiel<br />

kann man die Definition von Mollenhauer<br />

(1972) erwähnen: „Erziehung<br />

muß verstanden werden<br />

als ein kommunikatives Handeln,<br />

dessen Ziel darin liegt, eine Kommunikationskultur<br />

zu etablieren,<br />

Nein!<br />

die den Erwerb von Fähigkeiten<br />

zum Diskurs ermöglicht.“ Offensichtlich<br />

kann man nach dieser<br />

Auffassung nicht von Erziehung<br />

sprechen, wenn die Fähigkeit zum<br />

Diskurs nicht ermöglicht wird.<br />

Absichtsbegriffe von „Erziehung“<br />

Bei einem Absichtsbegriff sind<br />

Merkmale der Intentionalität, eine<br />

bestimmte Handlung vorzunehmen,<br />

wesentlich. Liegt kein Aufgabenbewusstsein<br />

vor, dann kann<br />

man nicht von „Erziehung“ sprechen.<br />

Ob aber das Ziel, das man<br />

zu erreichen beabsichtigte, tatsächlich<br />

erreicht wurde, ob also<br />

die Handlung Erfolg hat, ist für<br />

diese Begriffsbestimmung belanglos.<br />

Wirkungsbegriffe von „Erziehung“<br />

Ein Wirkungsbegriff von „Erziehung“<br />

bedeutet, dass der Zustand,<br />

der als erstrebenswert angesehen<br />

wird, auch erreicht worden ist.<br />

Dieser Begriff kann also nur angewendet<br />

werden, wenn eine erwünschte<br />

Persönlichkeitsveränderung<br />

tatsächlich eingetreten ist<br />

<strong>und</strong> als Wirkung der Ursache „Erziehung“<br />

nachgewiesen ist. Dies<br />

ist aber eine sehr schwierig zu belegende<br />

Tatsache.<br />

Nein!<br />

Handlungsbegriffe von „Erziehung“<br />

Werden unter Erziehung Handlungen<br />

gemeint, die den Zweck<br />

haben, einen Adressaten der Erziehung<br />

in irgendeiner Hinsicht<br />

besser, tüchtiger oder vollkommener<br />

zu machen (Förderabsicht),<br />

dann liegt ein Handlungsbegriff<br />

vor, bisweilen wird auch noch der<br />

Aspekt der Planmäßigkeit betont<br />

(„intentionale Erziehung“). In welche<br />

Richtung dieses „besser“ verstanden<br />

werden soll, ist abhängig<br />

von der jeweiligen Gruppe, der<br />

man angehört etc. <strong>und</strong> nicht Teil<br />

der Definition von „Erziehung“.<br />

Geschehensbegriffe von „Erziehung“<br />

Bei diesem Begriffsverständnis<br />

geht man davon aus, dass erzieherische<br />

Handlungen nur einen<br />

kleinen Teil innerhalb der Gesamtmenge<br />

der menschenformenden<br />

Einflüsse ausmachen.<br />

Man sollte eher die Aufmerksamkeit<br />

auf die anderen Einflüsse,<br />

die eventuell wichtiger sind,<br />

lenken (funktionale Formung, Sozialisation)<br />

<strong>und</strong> diese unter den<br />

Erziehungsbegriff subsumieren.<br />

Damit werden beliebige äußere<br />

Ereignisse oder Geschehnisse,<br />

die eine Veränderung der Persönlichkeit<br />

bewirken, als „Erziehung“<br />

bezeichnet.<br />

Nein!<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> Gedächtnis<br />

• „... unter Gedächtnis verstehen wir die<br />

lernabhängige Speicherung ontogenetisch<br />

erworbener Information, die sich<br />

phylogenetischen neuronalen Strukturen selektiv<br />

artgemäß einfügt <strong>und</strong> zu beliebigen Zeitpunkten<br />

abgerufen, d.h. für ein situationsangepasstes<br />

Verhalten verfügbar gemacht werden kann“<br />

(Sinz, 1975, S. 16).<br />

Psychologische Gedächtnisforscher <strong>und</strong><br />

ihre Vorläufer<br />

• Assoziationsgesetze von Aristoteles (384-322 v. Chr.) „Gedächtnis<br />

<strong>und</strong> Erinnerung“:<br />

raum-zeitliche Kontiguität (z.B. Tisch - Stuhl),<br />

Ähnlichkeit (z.B. Kate - Hütte, Ratte - Maus) <strong>und</strong><br />

Kontrast (z.B. heiß - kalt).<br />

• William James (1890, S. 643), moderne Gedächtniskonzeption, u.<br />

zw. als eine Sequenz von Stadien, beginnend mit<br />

dem ersten, das ähnlich der Bildung eines Nachbildes<br />

aufzufassen ist (UKZG),<br />

gefolgt von dem Eintritt des Gedächtnisinhaltes in ein sog.<br />

primary memory (heute: Kurzzeitgedächtnis), dem Strom des<br />

Bewusstseins, <strong>und</strong> schließlich<br />

dem Übergang in das secondary memory (heute:<br />

Langzeitgedächtnis).<br />

Hermann Ebbinghaus (1850-1909).<br />

• Auf der einen Seite war er wesentlich<br />

zurückhaltender, was den Aufbau eines<br />

theoretischen Systems betraf, andererseits hat er<br />

sich bemüht, eine empirisch überprüfbare<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die von den<br />

Assoziationstheoretikern verbrauchten Begriffe<br />

wie z. B. „Assoziationsstärke“ zu schaffen.<br />

• → Wiederlernmethode!


Rückblick: Phylo- <strong>und</strong> ontogenetische<br />

Wissensvermittlung (Schnotz, 1994)<br />

1. Genetische Wissensvermittlung<br />

angeborene Reaktionstendenzen zur Sicherung der<br />

Überlebens,<br />

Änderung des Genoms <strong>und</strong> eventuell bessere Passung<br />

2. Verwendung von Werkzeugen<br />

elementare Form der Wissensvermittlung durch Zeichen<br />

(Bienentanz ...)<br />

Kommunikation durch stimmliche Signalgebung (Warnung<br />

...)<br />

3. Wissenserwerb durch <strong>Lernen</strong><br />

ontogenetischer Wissenserwerb<br />

zumeist auch soziale Tradierung von Wissen<br />

Traditionsbildung (Werkzeuge als vergegenständlichtes<br />

Wissen ...)<br />

4. Sprache als Kommunikationsinstrument<br />

Notwendigkeit der gegenseitigen Abstimmung in einer<br />

sozialen Gemeinschaft<br />

Sprache als Instrument der Handlungskoordination<br />

schrittweise Lösung der Sprache aus dem unmittelbaren<br />

Kommunikationszusammenhang<br />

5. Schriftentwicklung<br />

Piktogramme - Ideogramme (Hieroglyphen, chinesische<br />

Schriftzeichen)<br />

Lautsprache - Phonogramme<br />

6. Weitere Speichermedien<br />

Massenmedien (Buch, Filme …)<br />

Computer (Festplatte, externe Speichermedien…)<br />

• Schnotz, A. (1994). Aufbau von Wissensstrukturen.<br />

Untersuchungen zur Kohärenzbildung beim<br />

Wissenserwerb mit Texten. Weinheim: Beltz.<br />

Ende –<br />

End – Fin –<br />

Fine

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