Psychosoziale Aspekte angeborener Herzfehler (Teil I) - bei Herzkind
Psychosoziale Aspekte angeborener Herzfehler (Teil I) - bei Herzkind
Psychosoziale Aspekte angeborener Herzfehler (Teil I) - bei Herzkind
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HERZKIND e.V.<br />
<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
Prof. Dr. med. F. Hilgenberg<br />
Vielleicht haben die faszinierenden Erfolge der Herzchirurgie zu der weit verbreiteten<br />
Meinung geführt, dass angeborene <strong>Herzfehler</strong> heutzutage ja durch ihre operative<br />
Behandlung geheilt werden und damit auch all ihre Probleme beseitigt sind. Gewiss<br />
können sich viele Betroffene über ein so günstiges Ergebnis ihrer Herzoperation freuen<br />
und immer mehr Kinder und ihre Eltern dürfen auch künftig die begründete Hoffnung<br />
auf die heilende Wirkung einer herzchirurgischen Behandlung haben.<br />
Indessen ist der Weg bis zu der „erlösenden“ Operation oft sehr lang und sorgenvoll. Trotz aller Fortschritte<br />
der chirurgischen Methoden, der Anästhesie und der Medizintechnik ist eine Herzoperation immer noch ein<br />
schwerer Eingriff, der mit dem Risiko von Komplikationen, bleibenden Schäden, auch mit der Gefahr eines<br />
tödlichen Ausgangs belastet ist. Bei vielen komplizierten <strong>Herzfehler</strong>n ist allerdings von vorn herein eine<br />
vollständige Korrektur gar nicht möglich. Auch ein erfahrener Herzchirurg ist einfach nicht in der Lage, ein<br />
sehr krankes, stark missgebildetes Herz in ein gesundes zu verwandeln. Oft gelingt es ihm nur, das Leben eines<br />
Kindes zu retten – aber leider nicht, seine Gesundheit zu erzwingen. So ist für viele Kinder auch das Leben<br />
nach der Operation mit dem Schicksal einer chronischen Herzkrankheit belastet, deren Probleme sich über die<br />
Jugendzeit bis in das Erwachsenenalter fortsetzen können – sofern sie dieses Alter wirklich erreichen.<br />
Da<strong>bei</strong> handelt es sich vor allem um Kinder und Jugendliche mit schweren, komplexen <strong>Herzfehler</strong>n, mit<br />
unbefriedigenden Operationsergebnissen und Restdefekten oder bleibenden Schäden nach perioperativen<br />
Komplikationen, mit pulmonaler Hypertension und chronischen Herzrhythmusstörungen, um Träger von<br />
künstlichen Herzklappen, zentralen Gefäßprothesen und Schrittmachern. In zunehmendem Maße werden<br />
künftig auch Kinder und Jugendliche nach Herztransplantationen zu erwarten sein. Die große Vielfalt dieser<br />
chronisch Kranken wird noch vermehrt durch die zwar kleinere, aber mit ähnlichen Problemen belastete<br />
Gruppe der Patienten mit chronischen Folgen erworbener Herzkrankheiten.<br />
Während sich das Interesse der Forschung vornehmlich auf die Weiterentwicklung von Diagnostik und<br />
Therapie konzentriert hat, wurden die psychosozialen Auswirkungen <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong> und chronischer<br />
Herzkrankheiten wissenschaftlich nur in geringerem Umfang bear<strong>bei</strong>tet.<br />
Krankheitsspezifische Belastungen<br />
Die durch angeborene <strong>Herzfehler</strong> verursachten Belastungen sind in Abhängigkeit von Art und Schweregrad der<br />
Fehlbildungen sehr unterschiedlich. Sie erwachsen hauptsächlich aus der unmittelbaren Lebensbedrohung und<br />
der Beeinträchtigung der körperlichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit. Kinder mit Herzinsuffizienz oder<br />
verminderter Lungendurchblutung und Zyanose sind geradezu in den Fesseln ihres <strong>Herzfehler</strong>s gefangen: Sie<br />
kommen schon <strong>bei</strong> geringer Belastung in Atemnot, verspüren Herzklopfen und Schwindel und werden zum<br />
Ausruhen gezwungen. Der unfreiwillige Bewegungsmangel dämpft den Appetit, vermindert die<br />
Nahrungsaufnahme, behindert die Gesamtentwicklung, insbesondere die Ausbildung einer kräftigen<br />
Muskulatur. So bleiben die Kinder schwächlich und sind vor allem in ihrer Ausdauer begrenzt. Viele dieser<br />
„<strong>Herzkind</strong>er“ müssen infolge ihrer körperlichen Leistungsschwäche im Laufe ihrer Kindheit und Jugend eine<br />
ganze Kette von Entbehrungen und Enttäuschungen erdulden: Behinderung der <strong>Teil</strong>nahme an Spiel und Sport,<br />
Einschränkung des ganzen kindlichen Aktionsradius mit Erschwerung menschlicher Kontakte, Hemmung von<br />
Freundschaften, Störung der geistigen Entfaltung, der Schulbildung und schließlich auch Hindernisse <strong>bei</strong> der<br />
Berufsfindung. Hinzu kommen die Belastungen durch häufige ambulante Untersuchungen und wiederholte<br />
Klinikaufenthalte mit eingreifender Diagnostik und Operationen, die damit verbundenen Ängste und<br />
Schmerzen und auch die unvermeidlichen Trennungen von ihrer Familie. Für manche Kinder ist die sichtbare<br />
Zeichnung durch Zyanose, Ödeme und Operationsnarben ein peinlicher Makel.<br />
Krankheitserleben und –verhalten<br />
Schon <strong>bei</strong> Säuglingen kann die Beeinträchtigung durch schwere <strong>Herzfehler</strong> im Vergleich mit gesunden,<br />
trinkfreudigen, immer zum Lächeln bereiten, vergnügten Altersgenossen an ihrer Stimmung und ihrem<br />
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<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
Verhalten deutlich erkennbar sein: Die beschleunigte Atmung hindert sie am zügigen Trinken, ihre<br />
Kraftlosigkeit macht das Stillen an der Brust unmöglich, selbst die Flaschenfütterung wird zur Qual für Mutter<br />
und Kind. Die nur geringe Nahrungsaufnahme gewährt weder ein wohliges Sättigungsgefühl noch einen<br />
erholsamen Schlaf. Das hungrige Schreien erschöpft sich bald unter Schwitzen und Kurzatmigkeit. Es ist<br />
erstaunlich und auch erschütternd, wie stark sich Angst und Traurigkeit in den kleinen Gesichtern schon<br />
ausprägen können.<br />
Herzkranke Kleinkinder erfassen im Verlauf ihrer oft verzögerten statomotorischen Entwicklung allmählich<br />
schon selbst, was sie im Vergleich mit gesunden, altersgleichen oder sogar noch jüngeren Kindern alles nicht<br />
können. Deutlich erkennen sie ihren schmerzlichen Rückstand <strong>bei</strong> der Aufnahme in den Kindergarten,<br />
besonders <strong>bei</strong>m gemeinsamen Spiel im Freien. Zu ihrem Kummer müssen sie hier<strong>bei</strong> erfahren, wie bitter es ist,<br />
alleingelassen zu werden, wenn die anderen sich fröhlich tummeln – und wie grausam es ist, ausgelacht zu<br />
werden, weil man etwas nicht kann. Anfangs kostet es manche Tränen – aber die Kinder gewöhnen sich bald<br />
an diese Außenseiter-Rolle, die ihnen vielleicht auch im weiteren Leben zugeteilt bleibt – und sie entwickeln<br />
oft erstaunliche Fähigkeiten, sich auf andere Weise Beachtung zu verschaffen und sogar Freunde zu gewinnen,<br />
die ihnen helfen.<br />
Für die älteren Kinder wird die Situation unter dem zunehmenden Leistungsdruck der Schule sicher nicht<br />
leichter. Die <strong>Teil</strong>nahme an mehreren Stunden eines langen Unterrichtstages bedeutet für viele Herzkranke<br />
schon rein körperlich eine große Anstrengung. Durch Ermüdung und zunehmende Konzentrationsschwäche<br />
wird deshalb die Aufnahme des Unterrichtsstoffes trotz normaler geistiger Veranlagung empfindlich gestört.<br />
Die so entstehenden Mängel müssen durch häuslichen Fleiß in der eigentlich zur Erholung nötigen Freizeit<br />
ausgeglichen werden. Jedenfalls sind schulische Erfolgserlebnisse meist spärlich und nur äußerst mühevoll zu<br />
erreichen.<br />
Aus der nie verblassenden Erinnerung an die eigene Schulzeit weiß man selbst zwar noch sehr gut, daß die<br />
Anerkennung durch die Lehrer einem nicht so wichtig war wie die Achtung und Stellung in der<br />
Klassengemeinschaft. Aber auch in dieser Beziehung sind hier Grenzen gesetzt, denn die Möglichkeiten<br />
wenigstens durch sportliche Leistungen oder durch Erfolge <strong>bei</strong> den Raufereien auf dem Schulhof imponieren<br />
zu können, eröffnen für schwächliche Herzkranke kaum eine Chance. Ohnehin bedeutet das für viele Kinder<br />
notwendige Verbot der <strong>Teil</strong>nahme am Sportunterricht eine bittere Enttäuschung. Auch andere, mit<br />
körperlicher Belastung verbundene Aktivitäten, an denen sich die gesunden Altersgefährten erfreuen, bleiben<br />
den herzkranken Kindern leider versagt.<br />
So ist es nur zu verständlich, wenn die Betroffenen sich ausgestoßen fühlen und Minderwertigkeitsgefühle<br />
entwickeln. Manche ziehen sich still zurück, verharren in ihrer Traurigkeit und grübeln über die<br />
Ungerechtigkeit ihres Schicksals – andere lehnen sich ungeduldig dagegen auf, reagieren mit Geltungssucht<br />
und Aggression.<br />
Am stärksten erleben die Kinder das Geschick ihrer Krankheit natürlich dann, wenn sie in der Klinik <strong>bei</strong><br />
eingreifenden Untersuchungen und Operationen unmittelbar damit konfrontiert werden. Auch wenn sie schon<br />
vernünftig genug sind, um zu begreifen, dass man ihnen mit allen notwendigen Maßnahmen nur helfen<br />
möchte, damit es ihnen besser geht, bleibt doch die Angst vor unbekannten Gefahren, vor unheimlichen<br />
Geräten und vor den Schmerzen.<br />
Im Vergleich mit den Operationen, <strong>bei</strong> denen sie ja in tiefer Narkose schlafen, ist die Nachbehandlung auf der<br />
Intensivstation meistens sehr viel belastender, denn hier erleben sie <strong>bei</strong> allmählich erwachendem Bewusstsein<br />
die vielen qualvollen Maßnahmen der Intensivtherapie. Diese Erlebnisse hinterlassen tiefe Engramme, die oft<br />
erst nach Jahren verblassen.<br />
Besonders bedrückend ist die Enttäuschung, wenn die Operation nicht den erwarteten Erfolg bringt, wenn<br />
Komplikationen eintreten, die chronische Schäden hinterlassen, wenn Zweiteingriffe oder sogar<br />
Mehrfachoperationen notwendig werden. Manche Jugendliche sind nicht mehr bereit, sich noch einmal<br />
operieren zu lassen. Für einige gibt es auch überhaupt keine Möglichkeit der Verbesserung durch einen<br />
erneuten chirurgischen Eingriff – es sei denn eine Herztransplantation oder eine Herz-Lungen-Transplantation.<br />
Aber auch dieser letzte Ausweg führt nicht in ein befreites Leben, sondern ist mit vielen medizinischen und<br />
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psychischen Problemen belastet – mit der ungewissen Wartezeit auf eine geeignete Organspende, mit den<br />
verständlichen Skrupeln, das Herz eines anderen Menschen in sich aufzunehmen und danach die stete Furcht<br />
vor einer Abstoßung des fremden Organs.<br />
Mit zunehmender Einsicht erkennen die älter werdenden Jugendlichen ihre unglückselige Lage immer klarer,<br />
ihre Behinderung in allen Lebensbereichen, ihre Aussichtslosigkeit, ihre Gefährdung und die wahrscheinliche<br />
Verkürzung ihrer Lebenserwartung. Sie sprechen nur ungern darüber, verschonen auch ihre Eltern mit dieser<br />
bitteren Erkenntnis, um sie nicht traurig zu machen – aber manchmal teilen sie guten Freunden ihre<br />
schreckliche Überzeugung mit: “Ich weiß, dass ich nicht alt werde“.<br />
Selbstbild, Selbständigkeit und Bewältigung<br />
Wenngleich sich die Kinder und Jugendlichen nicht gern über ihre Krankheit äußern, kann man <strong>bei</strong> gezielter<br />
Befragung von ihnen erfahren, dass sie sich selbst sehr eingehend damit beschäftigen: „Es ist echt eine<br />
seelische Belastung“ – „manchmal habe ich ganz schön daran zu knacken“ – „man muss mit sich selbst fertig<br />
werden“ – „ich habe auch Angst, dass es wieder anfängt“ – lauten ihre sparsamen Mitteilungen über die eigene<br />
Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal.<br />
Die meisten der chronisch Herzkranken beurteilen ihre gesundheitliche Situation, insbesondere ihre<br />
körperliche Entwicklung und Kondition sehr klar als ungünstig. Dennoch sind sie fast immer darauf bedacht,<br />
ihre Krankheit zu verbergen oder sogar direkt zu verleugnen: „Lehrern sollte man die Herzkrankheit<br />
verschweigen, sonst gibt es nur Schwierigkeiten, oder man wird bedauert, das wäre fürchterlich“. Keinesfalls<br />
möchten sie für sich eine Sonderstellung beanspruchen, vielmehr ist das Bedürfnis nach „Normalität“ stark<br />
ausgeprägt. So wie sie für sich selbst eine ganz normale Erziehung wünschen, möchten sie auch anderen<br />
Eltern herzkranker Kinder den Rat geben, ihr Kind „so normal wie möglich“ zu behandeln.<br />
In einer vergleichenden Studie konnten wir feststellen, dass die Selbsteinschätzung von Kindern und<br />
Jugendlichen mit schweren Herzkrankheiten von denen gesunder Altersgenossen hochsignifikant abwich: Je<br />
ungünstiger die Krankheitssituation, desto stärker war diese Abweichung, sowohl zur positiven als auch zur<br />
negativen Seite. Erstaunlicherweise hielt sich sogar der überwiegende <strong>Teil</strong> der Patienten selbst für gefestigter<br />
und selbständiger, nur eine kleinere Gruppe für ängstlicher, schwächer und unselbständiger als altersgleiche<br />
Gesunde.<br />
Wie stark der Wille zur Selbständigkeit sein kann, offenbart die Erklärung eines 12-jährigen Mädchens nach<br />
seiner dritten Operation eines schweren angeborenen <strong>Herzfehler</strong>s: „Ich hasse es, wenn man mich manipuliert<br />
und ich kann es nicht leiden, wenn man mich dazu bringen will, meine Lebensgewohnheiten und Lebensfreude<br />
zu ändern und genau das zu tun, was ich gerade vermeiden will: mich krank zu fühlen.“<br />
Bei der psychischen Bewältigung ist die Stärkung des Selbstwertgefühls von größter Bedeutung. In Anbetracht<br />
der körperlichen Leistungsschwäche ist es wichtig, <strong>bei</strong> den Kindern solche individuellen Begabungen<br />
aufzuspüren und sorgfältig zu fördern, die ihnen die Möglichkeit geben, auch ohne körperliche<br />
Überanstrengung Selbstbestätigung und Anerkennung zu gewinnen. Diese schwierige Aufgabe ist am ehesten<br />
im Rahmen der Familie zu lösen. Die meisten Jugendlichen bekennen auch, dass sie <strong>bei</strong> der Bewältigung ihrer<br />
Krankheit den stärksten Rückhalt in ihrer Familie gefunden haben.<br />
Familiäre Lasten und Hilfen<br />
Ein herzkrankes Kind trägt seine Krankheit nicht allein – seine ganze Familie wird davon in Mitleidenschaft<br />
gezogen. Schon die erste ärztliche Mitteilung „Ihr Kind hat einen angeborenen <strong>Herzfehler</strong>“ erweckt <strong>bei</strong> den<br />
Eltern große Angst, die Befürchtung gestörter Entwicklung und chronischer Behinderung, vor allem aber die<br />
Sorge, das Kind vielleicht verlieren zu müssen. Diese Angst bleibt auch im weiteren Verlauf immer<br />
gegenwärtig, wächst <strong>bei</strong> jeder akuten Erkrankung, <strong>bei</strong> eingreifenden Untersuchungen und vor allem <strong>bei</strong> einer<br />
Herzoperation. Meistens sind die Mütter mit diesen quälenden Sorgen am stärksten belastet – haben sie doch<br />
ihre Kinder <strong>bei</strong> sich getragen und geboren und werden durch ihre so mühsame Ernährung und Pflege<br />
besonders innig mit ihnen verbunden. Vornehmlich begleiten sie auch die Kinder auf den häufigen Wegen zur<br />
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Klinik und sind <strong>bei</strong> ihnen, wenn sie dort bleiben müssen und in Not geraten. Man kann es daher gut verstehen,<br />
dass gerade die Mütter dazu neigen, ihr herzkrankes Kind mit übermäßiger Fürsorge zu umhegen, es immer in<br />
Schutz zu nehmen, um alle erdenklichen Gefahren von ihm fern zu halten – und sie merken da<strong>bei</strong> oft gar nicht,<br />
dass sie ihrem Kind und auch sich selbst damit keinen guten Dienst erweisen. Erst später wird es ihnen<br />
manchmal klar, wenn sie erkennen müssen, wie erbarmungslos sie von ihrem Schützling tyrannisiert werden.<br />
Das Ausmaß solcher Verwöhnung entspricht durchaus nicht immer dem Schweregrad des <strong>Herzfehler</strong>s.<br />
Erfreulicherweise widmen sich heute auch viele Väter mehr oder weniger tatkräftig der Mitbetreuung ihrer<br />
Kinder – allerdings sind sie in der Regel doch stärker mit ihrer beruflichen Tätigkeit beschäftigt, die ihnen auch<br />
immer wieder Abstand von den häuslichen Sorgen gewährt.<br />
Die Geschwister leiden oft zwangsläufig unter der elterlichen Bevorzugung des herzkranken Kindes, vor allem<br />
dann, wenn die Mutter es in die Klinik begleitet und sie allein zurückbleiben müssen. Meist sind die<br />
Geschwister allerdings mehr als die Eltern darauf bedacht, für eine gesunde Gleichberechtigung zu sorgen. Die<br />
dadurch entfachten „Positionskämpfe“ haben für das herzkranke Kind gewiss einen großen erzieherischen<br />
Wert und stärken seinen Willen zur Selbstbehauptung in der rauheren Umwelt.<br />
Manche Eltern entwickeln nach Überwindung des ersten Schocks eine bewundernswerte Fähigkeit, sogar das<br />
Schicksal eines schweren, womöglich nicht heilbaren <strong>Herzfehler</strong>s ihres Kindes zu tragen und mobilisieren auch<br />
innerhalb ihrer Familie starke Kräfte zur gemeinsamen Bewältigung: Sie verstehen sich darauf, die Geschwister<br />
durch Übertragung häuslicher Pflichten und Mitverantwortung einzubeziehen. Sie sind erfindungsreich in der<br />
Gestaltung familiärer Unternehmungen, die der Belastbarkeit des kranken Kindes angemessen sind. Sie haben<br />
auch ein feines Gespür für verborgene Talente ihres Kindes, die es auch mit seinen geringeren Kräften<br />
weiterentwickeln kann, damit es eine eigene Leistung vollbringt, die ihm Freude macht und auf die es stolz<br />
sein darf. Solche Eltern haben auch die Kraft, schwierige Situationen im Krankheitsverlauf wie Operationen<br />
und Komplikationen auszuhalten und brauchen da<strong>bei</strong> außer der ärztlichen Führung kaum eine zusätzliche<br />
Unterstützung. Die Familien selbst können sogar durch die gemeinsame Bewältigung eine Bereicherung und<br />
Stärkung ihres Zusammenhaltes erfahren.<br />
Andere Eltern sind jedoch nicht in der Lage, ihrem kranken Kind eine wirkliche Hilfestellung zu geben, sondern<br />
übertragen vielmehr ihre eigene Hilflosigkeit, Unsicherheit und vor allem ihre Angst auf das betroffene Kind,<br />
insbesondere dann, wenn es ich um ein Einzelkind handelt, auf das sich die ganze elterliche Sorge immerzu<br />
konzentriert. Manche Mütter sind auch mit einem einzigen herzkranken Kind in ihrer Not ganz allein auf sich<br />
gestellt ohne familiäre Bindung und Unterstützung.<br />
Ärztliche Aufgaben<br />
Vom Arzt werden in erster Linie eine sichere Diagnose und eine fachgerechte medizinische Behandlung<br />
erwartet. Bei den angeborenen <strong>Herzfehler</strong>n hat der Kinderkardiologe die vornehmliche Aufgabe, die Diagnose<br />
zu stellen und die Operationsentscheidung zu treffen. Die präoperative Sicherung der Diagnose erfordert<br />
allerdings oft eingreifende Untersuchungen, die mit unterschiedlichem Risiko verbunden sind. Die operative<br />
Therapie liegt in den Händen des Herzchirurgen; einige Herz-Gefäßfehler können heute auch von<br />
Kinderkardiologen mit interventionellen Kathetermethoden „operativ“ behandelt werden. Beide<br />
Behandlungsmöglichkeiten sind ebenfalls mit erheblichen Gefahren belastet.<br />
Kinderkardiologe und Herzchirurg tragen somit eine sehr große Verantwortung. Sie brauchen deshalb für ihre<br />
Tätigkeit das volle Vertrauen der Eltern, die ja ihre Zustimmung zur Durchführung der <strong>bei</strong> ihren Kindern<br />
notwendigen diagnostischen und therapeutischen Eingriffe geben müssen. Das auch gesetzlich<br />
vorgeschriebene Aufklärungsgespräch gibt eine besondere Gelegenheit, das elterliche Vertrauen zu festigen.<br />
Der Arzt muss da<strong>bei</strong> nicht nur die meist fehlenden, medizinischen Kenntnisse, sondern auch die verständliche<br />
Aufregung der besorgten Eltern berücksichtigen. All zu leicht kann ihn da<strong>bei</strong> die große Angst der Eltern dazu<br />
verleiten, ihnen das ganze Ausmaß der möglichen Gefahren eines bevorstehenden Eingriffs zu verschweigen.<br />
Die Eltern ertragen aber die wahrheitsgemäße Mitteilung des hohen Risikos oder der geringen Erfolgsaussicht<br />
einer geplanten Operation besser als eine Verharmlosung oder eine aus Mitleid erweckte Hoffnung, die sich<br />
später doch nicht erfüllt.<br />
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<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
Auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst haben ein Anrecht darauf, ihrem Alter und ihrem<br />
Verständnis entsprechende Mitteilungen zu erhalten, was <strong>bei</strong> eingreifenden Untersuchungen und Operationen<br />
mit ihnen geschieht. Meistens sind sie mit kurzen Erklärungen zufrieden. Man sollte sie auch nicht mit der<br />
Schilderung aller Einzelheiten belasten, die nur neue Ängste erwecken könnten. Oft muss man sich<br />
überwinden, ihnen ehrlich zu sagen, dass man ihnen da<strong>bei</strong> auch mancherlei Unannehmlichkeiten zumuten und<br />
leider auch Schmerzen zufügen muss. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Kinder tapfer ertragen<br />
können, wenn sie spüren, dass man sie lieb hat und ihnen doch nur helfen möchte.<br />
Trotz sorgsamer und einfühlsamer psychischer Vorbereitung bleibt aber die Durchführung der invasiven,<br />
interventionellen und operativen Maßnahmen für die betroffenen Patienten immer eine schwere körperliche<br />
und seelische Belastung – und auch ihre Eltern durchleiden in der ihnen unendlich erscheinenden Zeit des<br />
Wartens auf das ungewisse Ergebnis große innere Qualen...<br />
Indessen denkt kaum jemand daran, dass diese Eingriffe auch für den ausführenden Kinderkardiologen oder<br />
Herzchirurgen eine starke physische und psychische Beanspruchung bedeuten. Schwierige<br />
Kathetermanipulationen und komplizierte Operationsmethoden erfordern besonders <strong>bei</strong> Neugeborenen und<br />
Säuglingen oft stundenlange äußerste Konzentration. Nur eine geringe Verschiebung der Spitze des Katheters<br />
oder eine kleine Abweichung der Schneide des Skalpells können jederzeit verheerende Folgen auslösen. Zwar<br />
wächst im Laufe der Zeit die Erfahrung – aber auch die Macht der Gewohnheit schmälert nicht die Furcht vor<br />
Komplikationen, die jeden Eingriff aufs Neue begleitet. Gewiss erleben der Kinderkardiologe und auch der<br />
Herzchirurg immer wieder die große Befriedigung eines störungsfreien und erfolgreichen Verlaufes seines<br />
Eingriffes – wenn aber eine schwere oder sogar lebensbedrohliche Komplikation da<strong>bei</strong> eintritt, trägt er lange<br />
daran, selbst wenn er sich keine persönliche Schuld anzurechnen braucht.<br />
Nach einer Komplikation müssen die Eltern rasch, klar und ehrlich darüber informiert werden, denn der Arzt<br />
braucht gerade jetzt ihr weiteres Vertrauen, um alle notwendigen Maßnahmen zur Behebung oder Minderung<br />
eingetretener Schäden im vollen Einvernehmen mit ihnen unverzüglich treffen zu können.<br />
In der postoperativen Intensivbehandlung haben die hier<strong>bei</strong> tätigen Ärzte ebenfalls eine sehr<br />
verantwortungsvolle und anstrengende Aufgabe, die neben qualifizierten Spezialkenntnissen große Umsicht<br />
und hohe Einsatzfreudigkeit erfordert. Das frisch operierte Kind ist in seinem labilen Kreislauf noch von vielen<br />
akuten Gefahren bedroht. Den ganz auf die Patienten und die Überwachungsgeräte konzentrierten Ärzten fehlt<br />
häufig die Zeit, sich auch ebenso um die hier in tiefer Besorgnis sitzenden Eltern zu kümmern. Die meisten<br />
Eltern zeigen aber Verständnis dafür und haben nur den einen Wunsch, dass ihr Kind überleben möge. Am<br />
besten ist den Eltern dadurch zu helfen, dass man ihnen leichtere pflegerische Aufgaben anvertraut, sobald es<br />
der Zustand des Kindes erlaubt – und da<strong>bei</strong> bewähren sie sich oft ganz hervorragend – und das Kind spürt ihre<br />
tröstende Nähe, wenn es erwacht.<br />
Die ärztlichen Aufgaben enden nicht mit dem Abschluss der operativen Behandlung; sie setzen sich fort in der<br />
<strong>Teil</strong>nahme am weiteren Verlauf der Krankheit. Vor dem Hintergrund der vielen Kinder, die nach einer<br />
Herzoperation gesund werden und ein normales Leben führen können, ist das Schicksal der Kinder und<br />
Jugendlichen, die trotz Operation chronisch herzkrank bleiben, besonders schmerzlich. Diese Patienten und<br />
ihre Familien brauchen eine ärztliche Betreuung und Führung, die nicht nur medizinische Fachkenntnisse<br />
voraussetzt, sondern auch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Zuwendung und Geduld. Nur zu oft<br />
wünscht sich der mit vielen anderen Aufgaben belastete Arzt dazu nichts anderes als die fehlende Zeit zum<br />
Zuhören und Rat geben.<br />
Ein ganz wesentlicher <strong>Teil</strong> der ärztlichen Aufgaben liegt natürlich auf den Schultern der niedergelassenen<br />
Kinderärzte und der Hausärzte. Sie kennen die betroffenen Kinder ja meistens schon seit ihrer Säuglingszeit,<br />
haben auch Einblick in die familiäre Situation und können daher <strong>bei</strong> der Lösung mancher Probleme oft<br />
wirksamer helfen als der „Spezialist“ in der Klinik, der ja die örtlichen Verhältnisse nicht kennt. Eine enge<br />
Zusammenar<strong>bei</strong>t zwischen der Klinik und den Ärzten am Heimatort ist gerade für die chronisch kranken<br />
Kinder besonders wertvoll – in mancher Beziehung auch sicher noch verbesserungsbedürftig!<br />
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<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
Besondere Probleme werden aufgeworfen, wenn ein <strong>Herzfehler</strong> noch mit weiteren Fehlbildungen anderer<br />
Organe, insbesondere mit geistiger Behinderung kombiniert ist. Hier ergeben sich oft schwierige ethische<br />
Fragen <strong>bei</strong> der Entscheidung über Durchführung oder Unterlassung diagnostischer und therapeutischer<br />
Maßnahmen, die nur in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit den jeweils zuständigen anderen Fachkollegen gelöst werden<br />
können. Ein herzchirurgischer Eingriff sollte nur dann durchgeführt werden, wenn er dem mehrfach<br />
behinderten Kind überhaupt zumutbar ist und geeignet erscheint, seine schlechten Lebensbedingungen auch<br />
wirklich zu verbessern.<br />
Die ärztliche Pflicht hört auch nicht auf am Ende einer erfolglosen Behandlung, wenn dem Kind nicht mehr zu<br />
helfen ist und der Tod alle Sorgen, Mühen und Leiden beendet. Mag der Tod eines chronisch kranken Kindes,<br />
schwer behinderten Kindes den Außenstehenden oft nur als Erlösung erscheinen – für seine Eltern hinterlässt<br />
er den gleichen Schmerz wie der Verlust eines gesunden Kindes. Auch am Ende der medizinischen<br />
Möglichkeiten darf der behandelnde Arzt das Feld nicht allein den Schwestern, dem Seelsorger oder dem<br />
Psychologen überlassen. Er braucht dann nicht mehr viel Worte – aber seine Begleitung <strong>bei</strong>m Sterben und<br />
seine Nähe <strong>bei</strong>m Tod bedeuten für die Eltern sehr viel. Erst nach einiger Zeit, wenn die Traurigkeit ein wenig<br />
nachgelassen hat, kann ein ausführliches Gespräch den Eltern jedoch helfen, dem bitteren Schicksal gegenüber<br />
eine etwas versöhnlichere Haltung zu gewinnen.<br />
Die Fortschritte im Bereich der Intensivmedizin geben uns heute vielfach die Macht, auch schwindendes Leben<br />
noch zu erhalten. Gerade <strong>bei</strong> den chronisch schwer kranken Kindern und Jugendlichen muss immer mit<br />
besonderer Sorgfalt und Verantwortung entschieden werden, ob es berechtigt ist, alle Mittel der<br />
Intensivtherapie einzusetzen, wenn sie nur noch dazu dienen können, einen unerträglichen Leidensweg zu<br />
verlängern. Die wachsenden technischen Möglichkeiten erschweren es uns immer mehr, auch die erlösende<br />
Gnade des Todes anzunehmen.<br />
Aufgaben und Probleme der Helfer<br />
Man muss sich nur einmal aufmerksam auf der Kardiologischen Station einer Kinderklinik umsehen, um die<br />
Sorgen und Ängste der herzkranken Kinder und ihrer Eltern, aber auch die schwierigen Aufgaben ihrer Helfer<br />
zu erleben: Kinder aller Altersstufen und Jugendliche werden hier zur invasiven Untersuchung, zur<br />
Vorbereitung einer Herzoperation, zur postoperativen Nachsorge oder zur konservativen Behandlung ihrer<br />
Herzkrankheit aufgenommen. Wegen der ständigen Engpässe auf der Intensivstation müssen hier auch häufig<br />
schwer kranke, noch streng überwachungspflichtige Patienten betreut werden. An den Krankenbetten sitzen<br />
Mütter, Väter und andere Besucher – ihre Zahl ist meistens größer als die der Schwestern. Auch nachts bleiben<br />
viele Mütter auf der Station, bekommen auf einfachen Liegen nur wenig Schlaf, den sie oft unterbrechen, um<br />
nach ihren Kindern zu schauen.<br />
Die Kinderkrankenschwestern haben ihre Hauptaufgabe in der pflegerischen Betreuung, sind aber in<br />
zunehmendem Maße mit organisatorischen Pflichten belastet. Leider ist die Zahl der Schwestern immer viel zu<br />
gering, so dass die wenigen die reichliche Ar<strong>bei</strong>t in größerer Eile verrichten müssen. Die zahlreichen Eltern<br />
und Besucher stellen in ihrer verständlichen Sorge viele Fragen, verlangen Erklärungen und tröstliche<br />
Auskünfte – oft ausgerechnet dann, wenn die Schwestern gerade alle Hände voll zu tun haben. So können in<br />
der Hektik der Stationsar<strong>bei</strong>t durchaus Spannungen zwischen den sorgenvollen Eltern und den oft<br />
überforderten Schwestern entstehen. Es ist keine leichte Aufgabe, die Eltern mit Verständnis und viel Geduld<br />
so zu lenken, dass sich ihre Anwesenheit auch wirklich zum Wohle der Kinder auswirkt und das empfindliche<br />
Räderwerk des Ar<strong>bei</strong>tsablaufes der Station nicht gestört wird. Gewiss können die Mütter und auch manche<br />
Väter die Schwestern sogar durch Übernahme pflegerischer Aufgaben entlasten. Allerdings kann durch diese<br />
willkommene Entlastung der Kontakt zwischen Schwestern und Kindern beeinträchtigt werden. Ohnehin ist es<br />
für eine Schwester nicht einfach, im raschen Wechsel des Schichtdienstes für die Kinder zur vertrauten<br />
Bezugsperson zu werden. Sie braucht aber die Zuneigung und das Vertrauen der Kinder, um ihnen auch<br />
tröstliche Hilfe geben zu können, wenn es not tut: Bei schmerzhaften Eingriffen wie Blutentnahmen und<br />
Verbandswechsel – oder <strong>bei</strong> der Begleitung auf den beängstigenden Wegen zur Herzkatheter-Untersuchung<br />
oder zum Operationssaal.<br />
Die auf der Intensivstation tätigen Schwestern sind dort auch selbst einer intensiven körperlichen und<br />
seelischen Belastung unterworfen. Sie erleben ihre Herzpatienten nur in schwer krankem Zustand, manche nur<br />
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<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
kurzfristig, wenn sie noch intubiert und beatmet von der Herzoperation zurückkommen. Kaum sind deren<br />
vitale Funktionen wieder stabil, werden sie oft schon wieder auf die normale Krankenstation verlegt, um<br />
anderen frisch operierten Kindern wieder Platz zu machen. Besonders schwer haben die Schwestern daran zu<br />
tragen, wenn ein Kind unter ihren Händen stirbt, mit dem sie zuvor nicht ein einziges Wort hatten sprechen<br />
können – und sie müssen dann noch die Kraft haben, seine Eltern zu trösten.<br />
Die verhängnisvollen Engpässe im Bereich der Intensivpflege, die in Deutschland immer noch eine zeitgerechte<br />
Durchführung von Herzoperationen <strong>bei</strong> Kindern beschränken, sind für alle, die davon betroffen sind,<br />
außerordentlich bedrückend!<br />
Ein stationärer Aufenthalt gibt auch Gelegenheit, psychosoziale Auswirkungen der Herzkrankheit besser zu<br />
erfassen, als <strong>bei</strong> kurzen ambulanten Untersuchungen: Häufig werden erhebliche elterliche Erziehungsfehler mit<br />
entsprechenden „Unarten“ ihrer Kinder offenbar. Manchmal erlebt man überschießende Reaktionen von Eltern<br />
und Kindern in der Ausnahmesituation bedrohlicher Ereignisse, aber auch <strong>bei</strong> harmlosen Anlässen,<br />
gelegentlich Verhaltensstörungen <strong>bei</strong> Kindern und krankhaft gesteigerte Ängste <strong>bei</strong> Müttern. Für die<br />
Erkennung der psychischen Störungen ist die gute Beobachtungsgabe der Schwestern sehr hilfreich. Auch die<br />
Erzieherin, die ja <strong>bei</strong> ihrer Tätigkeit im Spielraum und in den Krankenzimmern reichlich Gelegenheit hat,<br />
Auffälligkeiten im Spielverhalten und Beziehungskonflikte zwischen Eltern und Kindern zu erleben, erfüllt in<br />
dieser Hinsicht eine ganz wichtige Aufgabe. Für die Differenzierung dieser Störungen und deren Behandlung<br />
sowie für die Erziehungsberatung kann die Hilfe eines Psychologen und die fachliche Kompetenz der Kinderund<br />
Jugendpsychiatrie notwendig sein. Allerdings gibt es in Kinderkardiologischen Abteilungen meistens gar<br />
keine Planstelle für einen Psychologen. Viel dringlicher und lebenswichtiger ist hier ja der Bedarf an<br />
Pflegekräften, insbesondere für den Intensivpflegebereich. Außerdem bestehen mancherorts auch Vorbehalte<br />
gegen die Einstellung eines Psychologen aus der Überzeugung, dass die psychische Führung von herzkranken<br />
Kindern und ihren Eltern eine primär ärztliche Aufgabe bleiben und nicht auf andere Schultern delegiert<br />
werden sollte.<br />
Gerade für chronisch herzkranke Kinder, die mehrfach längere Zeit in der Klinik bleiben müssen, ist eine<br />
Krankenhausschule von unschätzbarem Wert: Sie hilft ihnen, schulische Rückstände zu verhindern oder bereits<br />
vorhandene Lücken auszugleichen und bringt ihnen auch willkommene Abwechslung in ihren Klinikalltag. Es<br />
ist erstaunlich, wie sogar „ausgekochte Faulpelze“ hier auf einmal fleißig mitar<strong>bei</strong>ten, wenn sie es freiwillig tun<br />
dürfen – und erfreulich, wie stolz sie ihre Erfolge genießen. Direkte persönliche Kontakte zwischen der<br />
Krankenhausschule und den Lehrern der Heimatschule sind hervorragend geeignet, auch dort Verständnis für<br />
die besondere Situation herzkranker Kinder zu wecken und günstigere Lernbedingungen für sie zu schaffen.<br />
Im Laufe einer stationären Behandlung gewinnt man auch allmählich mehr Zugang zu den Kindern und<br />
Jugendlichen, kann von ihnen erfahren, was sie entbehren und was sie sich wünschen. So kann man mit ihnen<br />
überlegen, welche Lieblingsbeschäftigung oder welche Sportarten sie trotz ihres <strong>Herzfehler</strong>s betreiben dürfen.<br />
Mit älteren Jugendlichen kann auch die Frage der oft erschwerten Berufswahl – mit älteren Mädchen und deren<br />
Eltern das Problem der erhöhten Risiken von Schwangerschaft und Geburt besprochen werden. Jedenfalls<br />
sollten sie spüren, dass man nicht nur an ihrem <strong>Herzfehler</strong> interessiert ist, sondern an ihrem ganzen Leben.<br />
Manchmal nehmen sich Jugendliche im „schwierigen Alter“ auch ärztliche Ratschläge hinsichtlich ihrer<br />
Lebensführung mehr zu Herzen als ständige elterliche Ermahnungen.<br />
Die begleitenden Eltern, insbesondere die Mütter, erfahren während des Klinikaufenthaltes eine ganz<br />
wesentliche Unterstützung durch die Anwesenheit anderer Eltern, mit denen sie ihre Sorgen, aber auch ihre<br />
Erfahrungen austauschen können im Sinne der alten römischen Weisheit: „Tröstlich ist es, im Unglück<br />
Leidensgenossen gleichen Geschickes zu haben“: Manche Eltern finden auch besonderen Rückhalt in einem<br />
Elternverein, der ihnen umfangreiche Möglichkeiten zur Aussprache mit ähnlich Betroffenen bietet.<br />
Auf gleiche Weise bekommen auch die Kinder und Jugendlichen eine starke Hilfestellung durch den Kontakt<br />
mit anderen Patienten im gleichen Alter, mit denen sie in ihrer Sprache reden und zusammen spielen können<br />
und einige merken da<strong>bei</strong>, dass es manchem anderen noch schlechter geht als ihnen selbst. Oft sieht man auch,<br />
wie die Älteren sich in rührender Weise mit den Jüngeren beschäftigen. Viel schneller als in der Stille eines<br />
Einzelzimmers unter alleiniger Obhut der Eltern erholen sich die Kinder nach einer Operation meistens auch in<br />
der munteren Gesellschaft mehrerer Kinder in einem großen Krankenzimmer, wo neben Tränen auch helles<br />
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HERZKIND e.V.<br />
<strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>angeborener</strong> <strong>Herzfehler</strong><br />
erklingt. – Neben den zahlreichen medizinischen Hilfsmöglichkeiten darf die Fröhlichkeit nicht vergessen<br />
werden, die gerade in einer Kinderklinik ihre heilsame und tröstliche Zauberkraft entfalten kann.<br />
Viele chronisch herzkranke Kinder und Jugendliche möchten an ihre Krankheit gar nicht erinnert werden. Sie<br />
suchen ihre Freunde oft unter Gesunden und Starken. Zwar brauchen sie Hilfe, aber sie bitten nicht darum. Sie<br />
mögen vor allem kein Mitleid, wollen jedoch teilnehmen am Leben, auch an den Freuden des Lebens – so<br />
lange sie es noch können...<br />
Literatur<br />
Hilgenberg, F. (1993),Spätprobleme nach im Kindesalter operierten angeborenen <strong>Herzfehler</strong>n. In:<br />
Bundesärztekammer (Hrsg.). Fortschritt und Fortbildung in der Medizin (Bd. 17, S. 51-55). Köln: Deutscher<br />
Ärzte-Verlag.<br />
Hilgenberg, F. (1990), Betreuung und Führung von herzkranken Kindern und ihren Eltern. In: Gutheil, H.<br />
(Hrsg.). Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Erlangen: perimed-Verlag<br />
Hilgenberg, F. (1989). <strong>Psychosoziale</strong> <strong>Aspekte</strong> <strong>bei</strong> der Betreuung chronisch herzkranker Kinder. In: Singer, H.<br />
(Hrsg.). Herzerkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Erlangen: perimed-Verlag<br />
Kahlert, G. & Hilgenberg, F. & Jochmus, I. (1987). Auswirkungen einer schweren Herzkrankheit auf das<br />
Selbstkonzept jugendlicher Patienten. Zeitschrift für personenzentrierte Psychologie und Psychotherapie, 6,<br />
251-259.<br />
Kamphuis, R.P. (1982). Youngsters with serious congenital heart disease, Link 1, 6-10<br />
Keck, E.W. (1984). Angeborene <strong>Herzfehler</strong>: operiert – geheilt? Postoperative Probleme herzoperierter<br />
Jugendlicher und junger Erwachsener. Herz/Kreislauf 4, 213 – 218, 5, 269 – 276.<br />
Meyendorf, R., Hänsch, G., Trändle, Ch., Tacke, E., Bühlmeyer, K. & Sebening, F. (1980). Psychische<br />
Auffälligkeiten <strong>bei</strong> herzoperierten Kindern. Prä- und postoperativer Vergleich <strong>bei</strong> 4-13jährigen. Zeitschrift für<br />
Kinder- und Jugendpsychiatrie, 8, 395-406.<br />
Schlange, H. (1962). Die körperliche und geistige Entwicklung <strong>bei</strong> Kindern mit angeborenen Herz- und<br />
Gefäßmißbildungen. Beihefte Archiv für Kinderheilkunde, 47, 1.<br />
Sohni, H. & Geiger, A. & Schmidt-Redemann, B. (1978). Psychische Bewätigung kinderkardiologischer<br />
Eingriffe. Klinische Pädiatrie, 199, 80-85.<br />
Sutherland, G.R. & Hess, J. & Roelandt, J. &Quaegebeur, J. (1990). The increasing problem of young adults<br />
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Quelle<br />
Kindheit und Jugend mit chronischer Erkrankung<br />
Hrsg. von Gustel M. Schmitt, Emil Kammerer, Erik Harms<br />
Hogrefe, Verlag für Psychologie, 1996<br />
ISBN 3-8017-0637-0<br />
veröffentlicht im HERZBLICK 2/2001<br />
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