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Die Form der Paradoxie - Uboeschenstein.ch

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Felix Lau<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

Eine Einführung in die Mathematik und Philosophie <strong>der</strong> „Laws of <strong>Form</strong>“ von G. Spencer<br />

Brown<br />

Carl-Auer 2008<br />

Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />

Vorwort von Peter Fu<strong>ch</strong>s<br />

Einleitung<br />

Einführen<strong>der</strong> Überblick<br />

Zur Rezeptionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

<strong>Die</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung<br />

Teil I: Der Indikationenkalkül<br />

1. Vor dem Eintritt (entry)<br />

Grundlegende Ideen: Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige<br />

<strong>Die</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

<strong>Die</strong> Axiome<br />

2. Der Eintritt und die <strong>Form</strong><br />

<strong>Die</strong> Anweisung und die Markierung<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong><br />

Ausdruck und Wert<br />

<strong>Die</strong> Grundglei<strong>ch</strong>ungen<br />

Das cross<br />

Fundamentale Kanons<br />

Kalkulation und Kalkül<br />

3. Primäre Arithmetik und Primäre Algebra<br />

<strong>Die</strong> Primäre Arithmetik<br />

Variablen<br />

<strong>Die</strong> Primäre Algebra<br />

Vollständigkeit und Unabhängigkeit<br />

Beweis und Demonstration bzw. Theorem und Konsequenz<br />

4. Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades<br />

Unendli<strong>ch</strong>e Ausdrücke und selbstbezügli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

Der re-entry und <strong>der</strong> imaginäre Wert<br />

Das Bild des Tunnels<br />

Modulation und Anwendungen<br />

Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Booles<strong>ch</strong>er und Browns<strong>ch</strong>er Algebra<br />

5. Der re-entry <strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong><br />

Re-entry in die <strong>Form</strong><br />

<strong>Die</strong> Experimente<br />

<strong>Die</strong> Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters als erste Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

Entry und re-entry (Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit in Theorien)<br />

Teil II: Zu den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

Exkurs in den mathematik-ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zusammenhang<br />

1. Mathematik als Grundlage für Logik<br />

Eine Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Negation und cross<br />

<strong>Die</strong> Interpretationen für Logik und Zahlen<br />

2. Imaginärer Wert und komplexe Zahlen<br />

1


3. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

<strong>Die</strong> Russells<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong><br />

Weitere Beispiele und Gegenbeispiele für <strong>Paradoxie</strong>n<br />

Das Paradoxe je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

Allgemeine Charakteristika <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

Das Paradoxe je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung 81<br />

4. <strong>Die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> für die Mathematik<br />

Teil III: Eine formtheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie<br />

Exkurs in die Systemtheorie von Niklas Luhmann<br />

1. Beoba<strong>ch</strong>tungen des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

<strong>Die</strong> allgemeine Figur des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen erster und zweiter Ordnung<br />

<strong>Die</strong> <strong>Paradoxie</strong>n des Beoba<strong>ch</strong>ters und <strong>der</strong> Welt<br />

2. Von Existenz zu Leere<br />

Zeit und Raum<br />

Existenz und Wahrheit<br />

Wahrheit und Anzeige<br />

Anzeige und <strong>Form</strong><br />

<strong>Form</strong> und Leere<br />

3. Das Entstehen von Universen<br />

Kanon Null: Koproduktion 101<br />

Zirkularität und konditionierte Koproduktion<br />

Selektive Blindheit<br />

Das Dao und <strong>der</strong> empty space<br />

Yin-Yang und <strong>der</strong> re-entry<br />

Zen<br />

S<strong>ch</strong>lussbetra<strong>ch</strong>tung Na<strong>ch</strong>wort Glossar Zitierte Literatur<br />

Weiterführende Literatur<br />

2


Vorwort von Peter Fu<strong>ch</strong>s<br />

What is the odds?<br />

„Es zeigte si<strong>ch</strong>,<br />

daß hinter dem sogenannten Vorhang,<br />

wel<strong>ch</strong>er das Innere verdecken soll,<br />

ni<strong>ch</strong>ts zu sehen ist, wenn wir ni<strong>ch</strong>t selbst dahinter gehen,<br />

ebensosehr damit gesehen werde,<br />

als daß etwas dahinter sei,<br />

das gesehen werden kann.“<br />

Georg Wilhelm Friedri<strong>ch</strong> Hegel<br />

What is the odds? Was ma<strong>ch</strong>t es s<strong>ch</strong>on aus, wenn man an <strong>der</strong> Grenze <strong>der</strong><br />

Unverständli<strong>ch</strong>keit sagt, daß Kognition (und Kommunikation) auf unter¬s<strong>ch</strong>iedenen<br />

Unters<strong>ch</strong>ieden beruhen, die si<strong>ch</strong> ihrerseits unters<strong>ch</strong>eiden und bezei<strong>ch</strong>nen lassen, die also<br />

zum Einsatz kommen, wenn man irgendwie einen Unters<strong>ch</strong>ei<strong>der</strong> hat, <strong>der</strong> aber ni<strong>ch</strong>t min<strong>der</strong><br />

unters<strong>ch</strong>ieden werden muß, damit er vor die Kulissen treten kann: als Beoba<strong>ch</strong>ter, dem einst<br />

ein so gravitätis<strong>ch</strong>er Titel wie ‚Subjekt’ verliehen wurde, ein Titel, <strong>der</strong> heute nur no<strong>ch</strong> und<br />

allenfalls als Markierung einer <strong>Die</strong>nstuntaugli<strong>ch</strong>keit dienli<strong>ch</strong> zu sein s<strong>ch</strong>eint und ansonsten<br />

den Status einer epistemologis<strong>ch</strong>en Blockade einnimmt? –<br />

Es ma<strong>ch</strong>t prima vista wenig aus, könnte man sagen, denn Sinnsysteme, als die wir<br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e und soziale Systeme aufzufassen geneigt sind, arbeiten glei<strong>ch</strong>wohl robust und<br />

unbekümmert um sol<strong>ch</strong>e Zirkularitäten und Subtilitäten vor si<strong>ch</strong> hin. Erst <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t-alltägli<strong>ch</strong>e,<br />

<strong>der</strong> wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Versu<strong>ch</strong>, zu verstehen, wie diese Robustheit mögli<strong>ch</strong> ist, erst die<br />

Revitali¬sierung des alten Staunens über den mirakulösen Umstand, daß in einem<br />

ungeheuerli<strong>ch</strong>en Universum beoba<strong>ch</strong>tet, geda<strong>ch</strong>t und kommuniziert wird unter<br />

unausdenkbar komplexen Voraussetzungen, die exakt dur<strong>ch</strong> dieses Denken und<br />

Kommunizieren entstehen, führt auf die Frage, was si<strong>ch</strong> da wie und auf wel<strong>ch</strong>e Weise<br />

konditioniert so eindrucksvoll geordnet abspult, daß man gar ni<strong>ch</strong>t umhinkommt,<br />

ordnungsbefähigte Beoba<strong>ch</strong>ter zu unterstellen, zugrundeliegende Einheiten (hypokeimena,<br />

Subjekte), die si<strong>ch</strong> ihre Objekte (ihre Welt, ihre ‚Entgegengeworfenheiten’) konstruieren, und<br />

zwar so, daß wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>ter, die Teil dieser Welt sind, also dieselben<br />

Operationen <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung vollziehen, es unternehmen können, ebendiese<br />

beoba<strong>ch</strong>tungsgestützten Projektionen zu rekonstruieren.<br />

Und dabei s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> selbst stoßen, o<strong>der</strong> besser: darauf, daß ihre Beoba<strong>ch</strong>tungen<br />

ni<strong>ch</strong>t weniger an Kognition und Kommunikation geknüpft sind als die <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter, die sie<br />

beoba<strong>ch</strong>ten. Und das heißt au<strong>ch</strong>: Sie entdecken si<strong>ch</strong> als ni<strong>ch</strong>t-privilegierte Konstrukteure von<br />

Konstruktionen und damit zuglei<strong>ch</strong>: als eingewoben in ein never-ending game<br />

unters<strong>ch</strong>eiden<strong>der</strong>, bezei<strong>ch</strong>nen<strong>der</strong> Bezugnahmen, als – wenn man Bil<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en<br />

Kulturkreisen su<strong>ch</strong>t – eingebunden in das kristallene Netz <strong>der</strong> Gottheit Indra, in dem alles,<br />

was ist, irgendwie gespiegeltes Spiegelbild in Spiegeln ist. <strong>Die</strong> alte Metapher vom S<strong>ch</strong>leier<br />

<strong>der</strong> Maya gewinnt dann einen au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne jählings plausiblen Sinn.<br />

Es nimmt ni<strong>ch</strong>t Wun<strong>der</strong>, daß jene Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters, des Beoba<strong>ch</strong>tens, <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tungsabhängigkeit <strong>der</strong> Welt, die wir – beoba<strong>ch</strong>¬tend – instituieren, dana<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>reit,<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong> unterfüttert, logis<strong>ch</strong> reformuliert und damit <strong>der</strong> wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

3


‚Kontingenzabwehr’ (i.e. wissens<strong>ch</strong>aftsspezifis<strong>ch</strong>er Limitationalität) unterzogen o<strong>der</strong> gar<br />

unter¬worfen zu werden. Ob Psy<strong>ch</strong>ologie, Soziologie, Quantenphysik – <strong>der</strong> Kobold des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters sitzt irgendwie im System und läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t finden, er ist drin, und er ist ni<strong>ch</strong>t<br />

drin. Er wird unters<strong>ch</strong>ieden, aber vers<strong>ch</strong>windet mit je<strong>der</strong> Markierung, die ihn unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Er ist so etwas wie ein ‚Realphantasma’, das in jede Beoba<strong>ch</strong>tungsoperation hinein- und<br />

damit gewissermaßen hinauskalkuliert wird. Niemand, <strong>der</strong> das Ges<strong>ch</strong>äft des Denkens<br />

ernsthaft betreibt, kommt um die Virulenz (in jedem Sinne dieses Wortes) dieses<br />

observatoris<strong>ch</strong>en deus ex ma<strong>ch</strong>ina herum, <strong>der</strong> dann man<strong>ch</strong>en (ontologis<strong>ch</strong> gesonnenen)<br />

Beoba<strong>ch</strong>tern ‚most tricky’ ers<strong>ch</strong>eint, als (mitunter brillante) Inszenierung eines<br />

epistemologis<strong>ch</strong>en ‚thrilling effect’, eines McGuffins, <strong>der</strong> in den bizarren Ho<strong>ch</strong>abstraktionen<br />

si<strong>ch</strong> als universal gerieren<strong>der</strong> Großtheorien und ihrer Rhethorik residiert.<br />

Seit langem geht nun ein Geraune (heute s<strong>ch</strong>on: ein Lärm) um in den eins<strong>ch</strong>lägigen<br />

Wissens<strong>ch</strong>aften (insbeson<strong>der</strong>e aber in <strong>der</strong> systemtheoretis<strong>ch</strong> inspirierten Soziologie), daß<br />

ein Wissens<strong>ch</strong>aftsaußenseiter, <strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>e Fall eines Originalgenies, George Spencer<br />

Brown, eine Methode, einen Kalkül entwickelt habe, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lage sei, si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> neuartigen<br />

Situation einer beoba<strong>ch</strong>tungsabhängigen Welt anzus<strong>ch</strong>miegen. Viele beziehen si<strong>ch</strong><br />

mittlerweile auf die Laws of <strong>Form</strong>, auf die Gesetze <strong>der</strong> <strong>Form</strong>, wobei si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>aus <strong>der</strong><br />

Eindruck einstellt, daß diese Bezüge ‚Rosinen-pickende’ Bezüge sind: Ausgewählt wird, was<br />

paßt; ausgeblendet wird <strong>der</strong> ‚Apparatus’ <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, vor allem au<strong>ch</strong> die<br />

mathematis<strong>ch</strong>-logis<strong>ch</strong>e Komplexität, die erst im (Komplett)Dur<strong>ch</strong>gang dur<strong>ch</strong> den Kalkül ihre<br />

Mä<strong>ch</strong>tigkeit erweisen könnte.<br />

Das Dauerbombardement, dem man mit Ausdrücken wie re-entry, distinction, indication,<br />

unmarked space, empty space, Kanon Null etc. ausgesetzt wird, ist mehrfa<strong>ch</strong> fatal: Es<br />

stumpft ab, es läßt ni<strong>ch</strong>t selten dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ließen auf mangelnde Kenntnis <strong>der</strong> operativen<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Laws, und: <strong>Die</strong>se Begriffe werden auf Teufelkommraus auf beliebige<br />

Gegenstände angewandt. Sie mutieren zum Jargon, ni<strong>ch</strong>t zu dem <strong>der</strong> Eigentli<strong>ch</strong>keit, son<strong>der</strong>n<br />

zu dem einer Uneigentli<strong>ch</strong>keit, den jede akade-mis<strong>ch</strong>e Redli<strong>ch</strong>keit zu Re<strong>ch</strong>t verabs<strong>ch</strong>eut.<br />

<strong>Die</strong> Ursa<strong>ch</strong>e für diese Entwicklung liegt ni<strong>ch</strong>t darin, daß Spencer Brown fals<strong>ch</strong>, aber seltsam<br />

ans<strong>ch</strong>lußfähig geda<strong>ch</strong>t hat. I<strong>ch</strong> zumindest habe ni<strong>ch</strong>t den mindesten Zweifel an <strong>der</strong><br />

Bedeutung seines Werkes. Meine Vermutung geht dahin, daß si<strong>ch</strong> die Mathematik, die Logik<br />

des Kalküls auf Grund ihrer <strong>Form</strong>alität ni<strong>ch</strong>t formal denkenden Wissens<strong>ch</strong>aftlern und<br />

Intellektuellen entzieht, daß sie abs<strong>ch</strong>reckt und deswegen zur flü<strong>ch</strong>tigen Rezeption verleitet<br />

und dann viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> zu flü<strong>ch</strong>tigen (modis<strong>ch</strong>en) S<strong>ch</strong>lu߬folgerungen. Mir s<strong>ch</strong>eint, daß<br />

bislang ein Brückens<strong>ch</strong>lag gefehlt hat, <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>e Versu<strong>ch</strong>, den Kalkül – ohne seine<br />

Komplexität aufzugeben – denjenigen zu vermitteln, für die Mathematik (Logik<br />

einges<strong>ch</strong>lossen) eine vage S<strong>ch</strong>ulerinnerung ist.<br />

Unter diesen Voraussetzungen begegnete i<strong>ch</strong> vor Jahren dem jungen Hamburger<br />

Mathematiker Felix Lau, <strong>der</strong> genau an diesem Projekt arbeitete, eine kurze (klare, aber ni<strong>ch</strong>t<br />

unterkomplexe) Einführung in die Laws of <strong>Form</strong> zu entwickeln. I<strong>ch</strong> habe ihn dazu ermutigt,<br />

diese Arbeit weiter¬zutreiben, au<strong>ch</strong> dazu, sie auszustatten mit Verweisen auf das, was<br />

mittler¬weile etwa in <strong>der</strong> Systemtheorie mit Spencer Brown passiert ist, ferner mit Hinweisen<br />

darauf, daß das Werk dieses Denkers weltbildbedeutsame Konsequenzen hat, die ni<strong>ch</strong>t<br />

ignorabel sind. Und nun ist es glückli<strong>ch</strong>er¬weise dazu gekommen, daß das Bu<strong>ch</strong>, das dabei<br />

entstanden ist, publiziert wird. I<strong>ch</strong> freue mi<strong>ch</strong> sehr darüber und wiege mi<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Hoffnung,<br />

daß diejenigen, die kundig werden wollen in den Gesetzen <strong>der</strong> <strong>Form</strong>, nun über eine Brücke<br />

gehen können, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong>en Übers<strong>ch</strong>reiten die Originaltexte Spencer Browns ein ganz<br />

an<strong>der</strong>es Feuerwerk aufsprühen lassen, als es die matten Li<strong>ch</strong>ter sind, die si<strong>ch</strong> bei nur<br />

flü<strong>ch</strong>tiger Inaugens<strong>ch</strong>einnahme dieser Texte sehen lassen.<br />

4


Habent sua fata libelli, sagen die Lateiner: Bü<strong>ch</strong>er haben ihre S<strong>ch</strong>icksale. Sie streuen<br />

unkontrollierte Wirkungen. <strong>Die</strong>sem libellum wüns<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong>, daß es auslöst, weswegen es<br />

ges<strong>ch</strong>rieben wurde: Intensive Arbeit an und mit den Laws of <strong>Form</strong>.<br />

What is the odds? Was ma<strong>ch</strong>t es s<strong>ch</strong>on aus? – Das war die Eingangs¬frage dieses<br />

Vorwortes, die damit spielt, daß ‚odds’ au<strong>ch</strong> im Wortfeld <strong>der</strong> ‚Unters<strong>ch</strong>iede’, <strong>der</strong> differences,<br />

distinctions, <strong>der</strong> varieties semantis<strong>ch</strong> beheimatet ist.<br />

Meine in diesem Verständnis wie<strong>der</strong>um mehrdeutige Antwort:<br />

It may give somebody odds.<br />

Peter Fu<strong>ch</strong>s, Travenbrück im Sommer 2005<br />

5


Einleitung<br />

Das Beson<strong>der</strong>e an den Laws of <strong>Form</strong> ist, dass sie etwas ganz und gar Allgemeines, also<br />

gerade ni<strong>ch</strong>ts Beson<strong>der</strong>es, verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en. Ihr spezielles Thema ist das Allgemeine, das<br />

Alltägli<strong>ch</strong>e und deshalb lei<strong>ch</strong>t aus den Augen zu verlierende Immer-Gegenwärtige: das<br />

Treffen von Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Vor nunmehr dreieinhalb Jahrzehnten ist das Bu<strong>ch</strong> Laws of <strong>Form</strong> ers<strong>ch</strong>ienen. George<br />

Spencer Brown, <strong>der</strong> insgesamt fast zehn Jahre daran arbeitete, veröffentli<strong>ch</strong>te es Anfang<br />

1969 in dem Londoner Verlag Allen and Unwin Ltd. <strong>Die</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>e Idee, einen<br />

mathematis<strong>ch</strong>en Kalkül, den so genannten Indikationenkalkül zu erdenken, war ganz<br />

praktis<strong>ch</strong>er Natur. Als Ingenieur bei <strong>der</strong> British Railways war er Ende <strong>der</strong> 50er Jahre damit<br />

beauftragt, S<strong>ch</strong>altungen (Stromkreise) von An-/Aus-S<strong>ch</strong>altern zu ent-wickeln, <strong>der</strong>en eine<br />

zum Beispiel dafür eingesetzt wurde, die Anzahl <strong>der</strong> Wagons in einem Tunnel zu zählen und<br />

zu erinnern. Das war damals ans<strong>ch</strong>einend ein gravierendes Problem, denn <strong>der</strong> Zähler<br />

musste rückwärts und vorwärts zählen sowie simultan erinnern können, wie viele Wagons es<br />

waren, und sollte sehr einfa<strong>ch</strong> und zuverlässig sein. Es war wohl eine intuitive Idee, mit <strong>der</strong><br />

George Spencer Brown das Problem löste, die auf <strong>der</strong> Verwendung von bis dato<br />

unbekannten imaginären Booles<strong>ch</strong>en Werten basierte. Es muss an dieser Stelle no<strong>ch</strong> unklar<br />

sein, was mit imaginären Booles<strong>ch</strong>en Werten gemeint sein kann. Denn Booles<strong>ch</strong>e Werte, die<br />

zum Beispiel dur<strong>ch</strong> 1 und 0 dargestellt werden können, sind ja unter an<strong>der</strong>em dadur<strong>ch</strong><br />

ausgezei<strong>ch</strong>net, dass es keine weiteren Werte gibt, au<strong>ch</strong> keine imaginären. Insofern entstand<br />

zuglei<strong>ch</strong> ein neues Problem: Seine Idee funktionierte, aber es gab keine mathematis<strong>ch</strong>e<br />

Theorie, die diese Vorgehensweise re<strong>ch</strong>tfertigen konnte. <strong>Die</strong> Ausarbeitung eines<br />

mathe¬matis<strong>ch</strong>en Kalküls, <strong>der</strong> imaginäre Werte beinhaltet, bes<strong>ch</strong>reibt den pragmatis<strong>ch</strong>en<br />

Auslöser für das Entstehen <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>.<br />

Zu dieser Zeit, Anfang <strong>der</strong> 60er Jahre, konnte George Spencer Brown ni<strong>ch</strong>t ahnen, wel<strong>ch</strong>e<br />

Frü<strong>ch</strong>te dieses Vorhaben no<strong>ch</strong> hervorbringen würde. Wie er selbst (während <strong>der</strong> no<strong>ch</strong> zu<br />

erwähnenden AUM-Konferenz) sagt, konnte er erst gegen Ende seiner Arbeit erkennen, was<br />

er im Begriff war zu ers<strong>ch</strong>affen. Er entdeckte mit den Laws of <strong>Form</strong> das einfa<strong>ch</strong>ste<br />

Fundament, das heißt die einfa<strong>ch</strong>sten Aussagen über den mathematis<strong>ch</strong>en Anfang. Er<br />

erkannte, dass die gesamte mathematis<strong>ch</strong>e Welt – aber ni<strong>ch</strong>t nur diese – darauf basiert,<br />

dass jemand eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft.<br />

<strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> von George Spencer Brown stellen einen mathe¬matis<strong>ch</strong>en Kalkül dar, in<br />

dem das Treffen von Unters<strong>ch</strong>eidungen formal behandelt und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter,<br />

<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>eidet, als ständig implizit entdeckt wird. Insofern sind die Laws of <strong>Form</strong> ni<strong>ch</strong>t nur<br />

ein mathematis<strong>ch</strong>er son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> ein philosophis<strong>ch</strong>er o<strong>der</strong> genauer:<br />

erkennt¬nistheoretis<strong>ch</strong>er Text. Sie liefern ein sti<strong>ch</strong>haltiges mathematis<strong>ch</strong>es Argument, den<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter in Betra<strong>ch</strong>t zu ziehen, und stehen au<strong>ch</strong> für die Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters in<br />

<strong>der</strong> Mathematik. In diesem Sinne können wir die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem formalen<br />

Kalkül und seiner erkennt¬nistheoretis<strong>ch</strong>en Bedeutung repräsentieren dur<strong>ch</strong> die den<br />

vorliegenden Text strukturierende Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en einer expliziten mathematis<strong>ch</strong>en<br />

und einer impliziten philosophis<strong>ch</strong>en Perspektive auf die Laws of <strong>Form</strong>.<br />

So wie es bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> mathematis<strong>ch</strong>en Lesart no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal um Zahlen, Mengen o<strong>der</strong><br />

mathematis<strong>ch</strong>-logis<strong>ch</strong>e Zusammenhänge geht, so findet man in <strong>der</strong> philosophis<strong>ch</strong>en<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung keine bestimmten, konkreten Gesetze in <strong>Form</strong> von wahren Sätzen o<strong>der</strong><br />

Annahmen, wie die Wirkli<strong>ch</strong>keit denn nun wirkli<strong>ch</strong> ist. Es geht bei den Gesetzen <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

darum, wie einerseits mathematis<strong>ch</strong>e Konzepte fundiert werden und wie es an<strong>der</strong>erseits<br />

dazu kommt, dass uns ein Universum ers<strong>ch</strong>eint. Es geht ni<strong>ch</strong>t um Gesetze, wie etwas ist,<br />

son<strong>der</strong>n um die viel fundamentaleren Gesetze, die für das Erleben eines jeden Universums<br />

identis<strong>ch</strong> sind: wie es kommt, dass ist, was ist.<br />

6


Der berühmteste Anwen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Verwen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ist <strong>der</strong> Systemtheoretiker<br />

Niklas Luhmann. Er zieht die „Differenzlogik“ von George Spencer Brown für seine<br />

Systemtheorie heran, indem er einige wesentli<strong>ch</strong>e Ideen und Erkenntnisse gebrau<strong>ch</strong>t. Dabei<br />

bezieht si<strong>ch</strong> Niklas Luhmann jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf die streng mathematis<strong>ch</strong>en Inhalte. Er betreibt<br />

we<strong>der</strong> Mathematik no<strong>ch</strong> Logik. Einerseits sind die Laws of <strong>Form</strong>, als Differenzlogik, zentral<br />

für die Gesamtkonzeption <strong>der</strong> Systemtheorie, an<strong>der</strong>erseits liegen au<strong>ch</strong> die<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Implikationen von Niklas Luhmann und George Spencer Brown auf<br />

einer Linie.<br />

Aufgrund dieser bedeutenden Rezension ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> das vorliegende Bu<strong>ch</strong> in <strong>der</strong><br />

Hauptsa<strong>ch</strong>e an Leser und Leserinnen, die si<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> System¬theorie bes<strong>ch</strong>äftigen und<br />

genauer wissen wollen, was in den Laws of <strong>Form</strong> aufgezeigt wird, was damit implizit gemeint<br />

ist und warum dieses Bu<strong>ch</strong> Niklas Luhmann so faszinierte. Zudem dürfte diese Einführung<br />

für Mathe¬matiker von Interesse sein, die si<strong>ch</strong> mit den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik befassen<br />

und bereit sind, darüber zu reflektieren, ob es tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> notwendig ist, eine logis<strong>ch</strong>e<br />

Grundlage für Mathematik anzunehmen. Weiterhin werden in diesem Text die vagen und<br />

raren buddhistis<strong>ch</strong>en und daoistis<strong>ch</strong>en Andeutungen von George Spencer Brown<br />

aufgegriffen und ausgeführt, weshalb au<strong>ch</strong> an fernöstli<strong>ch</strong>en Philosophien Interessierte bei<br />

<strong>der</strong> Lektüre auf ihre Kosten kommen sollten.<br />

Da Beoba<strong>ch</strong>tung in dem hier darzustellenden Theoriezusammenhang auf <strong>der</strong> Operation des<br />

Unters<strong>ch</strong>eidens basiert, liegt<br />

„die am tiefsten eingreifende, für das Verständnis des Folgenden unentbehrli<strong>ch</strong>e Umstellung<br />

darin, dass ni<strong>ch</strong>t mehr von Objekten die Rede ist, son<strong>der</strong>n von Unters<strong>ch</strong>eidungen.“<br />

(LUHMANN 1997: 60)<br />

Dabei werden Unters<strong>ch</strong>eidungen ni<strong>ch</strong>t als Unters<strong>ch</strong>iede im Sinne von vorhandenen<br />

Sa<strong>ch</strong>verhalten begriffen, son<strong>der</strong>n als Auffor<strong>der</strong>ungen, sie zu treffen, weil wir an<strong>der</strong>nfalls<br />

ni<strong>ch</strong>ts anzeigen könnten, also ni<strong>ch</strong>ts zu beoba<strong>ch</strong>ten hätten. Im Vor<strong>der</strong>grund des Begriffes<br />

<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung steht ni<strong>ch</strong>t dessen Sortierleistung, son<strong>der</strong>n seine Konstruktionsleistung:<br />

jede Unters<strong>ch</strong>eidung ist deshalb erkennbar, weil sie von jemandem (einem Beoba<strong>ch</strong>ter)<br />

getroffen wird, und ni<strong>ch</strong>t, weil die Welt sie bereitstellt. <strong>Die</strong> Welt enthält keine Unters<strong>ch</strong>iede.<br />

Sowohl für Luhmann als au<strong>ch</strong> für Spencer Brown gilt also, dass die Radikalität ihrer Theorien<br />

darin begründet liegt, dass sie von Differenz statt von Einheit ausgehen – das heißt mit<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen beginnen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter trifft, und ni<strong>ch</strong>t etwa mit einer Substanz o<strong>der</strong><br />

Wesensannahmen o<strong>der</strong> einem feststehenden Prinzip. Für beide ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> die Welt über<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen statt über Dinge o<strong>der</strong> über vorhandene, grundlegende Ideen, die a priori<br />

gegeben wären.<br />

Von Objekten o<strong>der</strong> Gegenständen werden wir deshalb ni<strong>ch</strong>t mehr spre<strong>ch</strong>en, weil wir im<br />

Ans<strong>ch</strong>luss an den Kalkül von George Spencer Brown festhalten können, dass unser Erleben<br />

sol<strong>ch</strong>er Objekte ein Ergebnis des Unters<strong>ch</strong>eidens ist. Beispielsweise ist damit „Materie“ nur<br />

eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung, <strong>der</strong>en an<strong>der</strong>e (zum Beispiel „Geist“ o<strong>der</strong> „<strong>Form</strong>“) erst mitfestlegt,<br />

was mit „Materie“ gemeint ist, wenn jemand von „Materie“ spri<strong>ch</strong>t. Mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten: Das, was als Ausgangspunkt genommen wird, um Aussagen über Erkenntnis zu<br />

ma<strong>ch</strong>en, wird ni<strong>ch</strong>t mehr aufgefasst als eine zu entdeckende Wirkli<strong>ch</strong>keit, son<strong>der</strong>n liegt in<br />

dem Prozess (und <strong>der</strong> Faktizität) des Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Aber au<strong>ch</strong> wenn man an<strong>der</strong>en mo<strong>der</strong>nen Theorien (etwa <strong>der</strong> Relativi¬tätstheorie und <strong>der</strong><br />

Quantenme<strong>ch</strong>anik in <strong>der</strong> Physik o<strong>der</strong> <strong>der</strong> neuro¬logis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung in <strong>der</strong> Biologie) folgt,<br />

kann man seit einigen Jahrzehnten wissen, dass man für ein angemessenes Verständnis<br />

unserer Welt zweierlei berücksi<strong>ch</strong>tigen muss: ni<strong>ch</strong>t nur die Wirkli<strong>ch</strong>keit, wie sie ers<strong>ch</strong>eint,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> den Beoba<strong>ch</strong>ter, dem sie ers<strong>ch</strong>eint. Aus <strong>der</strong> Perspektive des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

kann man dann formulieren, ni<strong>ch</strong>t nur die äußere materielle Wirkli<strong>ch</strong>keit zu untersu<strong>ch</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> die innere, die Welt <strong>der</strong> Motive, Wertungen, Urteile o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> dessen, was wir<br />

7


unzweifel¬haft zu wissen meinen. Dem liegt <strong>der</strong> Gedanke zu Grunde, dass uns die<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit unserem eigenen Sein entspre<strong>ch</strong>end ers<strong>ch</strong>eint – das heißt, letztli<strong>ch</strong> abhängt von<br />

den Unters<strong>ch</strong>eidungen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter verwendet, <strong>der</strong> eine Wirkli<strong>ch</strong>keit erlebt.<br />

Man bea<strong>ch</strong>te, dass die <strong>Form</strong>ulierungen des vorhergehenden Absatzes eine grundlegende<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung „ontologisieren“, als vorhanden voraus¬setzen: die Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>tetem und Beoba<strong>ch</strong>tendem. In dem Teil zu einer Spencer Browns<strong>ch</strong>en<br />

Erkenntnistheorie werden wir einen Standpunkt errei<strong>ch</strong>en, <strong>der</strong> selbst diese Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

aufhebt und auf einen Beoba<strong>ch</strong>ter zurückführt – ausgegangen wird also auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> von<br />

<strong>der</strong> Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit des Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Neben <strong>der</strong> Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters und dem differenztheoretis<strong>ch</strong>en Fundament ist als<br />

drittes zentrales Thema dieses Einführungstextes die <strong>Form</strong>alisierung von Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />

zu nennen. Damit können paradoxe <strong>Form</strong>en, die in selbstbezügli<strong>ch</strong>en Strukturen<br />

unweigerli<strong>ch</strong> auftreten, in die mathematis<strong>ch</strong>e Theorie integriert werden. Und au<strong>ch</strong> für die<br />

korrespondierende formtheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie spielen Zirkularität und die Idee <strong>der</strong><br />

konditionierten Koproduktion eine wesentli<strong>ch</strong>e Rolle.<br />

Ausgehend von einem ausführli<strong>ch</strong> erläuternden Na<strong>ch</strong>vollzug des Indikationenkalküls (Teil I)<br />

enthält <strong>der</strong> vorliegende Text eine den Laws of <strong>Form</strong> immanente Begründung dafür, dass<br />

Mathematik <strong>der</strong> Logik zu Grunde liegt, womit <strong>Paradoxie</strong>n in die mathematis<strong>ch</strong>e Theorie<br />

integriert werden können (Teil II), und eine Darstellung einer „formtheoretis<strong>ch</strong>en<br />

Erkenntnistheorie“, womit eine Erläuterung <strong>der</strong> philosophis<strong>ch</strong>en Perspek¬tive auf die Laws of<br />

<strong>Form</strong> gemeint ist (Teil III).<br />

8


Danke!<br />

I<strong>ch</strong> danke zuallererst Herrn Prof. Dr. Peter Fu<strong>ch</strong>s, dass er die Idee, dieses Bu<strong>ch</strong> zu<br />

s<strong>ch</strong>reiben, an mi<strong>ch</strong> herantrug und in <strong>der</strong> Folge steter Unterstützer, Anspre<strong>ch</strong>partner und<br />

Fürspre<strong>ch</strong>er war. Zeitli<strong>ch</strong> gingen dem voraus Herr Prof. Dr. Hubert Wudtke, <strong>der</strong> als<br />

systemtheoretis<strong>ch</strong> versierter Pädagoge mi<strong>ch</strong>, als damaligen Studenten <strong>der</strong> Mathematik, bat,<br />

ihm einen „merk¬würdigen Text“ zu erklären, und Herr Prof. Dr. Werner <strong>Die</strong><strong>der</strong>i<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> meine<br />

Examensarbeit zur „Logik“ des radikalen Konstruktivismus begleitete. Au<strong>ch</strong> ihnen mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong><br />

an dieser Stelle sehr danken. Als die Rohform des Textes fertig war, gab mir Herr Prof. Dr.<br />

Matthias Varga von Kibéd einige sehr hilfrei<strong>ch</strong>e Anstöße, wofür i<strong>ch</strong> ihm danke.<br />

Ein großer Dank ganz an<strong>der</strong>er Qualität gebührt Mari-Annukka Le<strong>ch</strong>te, <strong>der</strong> Mutter unserer<br />

Kin<strong>der</strong> Taja Luna und Joona Milian, die ganz pragma¬tis<strong>ch</strong> mein Leben unterstützte und auf<br />

ihre liebevoll anspornende Weise zum Entstehen dieses Textes beitrug. Viele halfen dur<strong>ch</strong><br />

konstruktive Gesprä<strong>ch</strong>e und Kritik. Von diesen mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> Andreas Muth, Arne Wendtland<br />

und Knut Gollenbek hervorheben, die den Text am deutli<strong>ch</strong>sten mitprägten. Für die<br />

undankbare Aufgabe und uns<strong>ch</strong>ätzbare Hilfe, unfertige Texte zu lesen und „auf die Reihe“ zu<br />

bringen, danke i<strong>ch</strong> ganz herzli<strong>ch</strong> Sabina Welling, Helmar Galley und no<strong>ch</strong> einmal Andreas<br />

Muth. Für viele Anregungen und Korrekturen bedanke i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> bei Jendrik Rothstein,<br />

Thomas Piesbergen, Eike Jonas, Olli Ferreira und Lars S<strong>ch</strong>ultze.<br />

Einführen<strong>der</strong> Überblick<br />

Das Ziel dieser Einführung ist es, mögli<strong>ch</strong>st umfassend über die Laws of <strong>Form</strong> zu<br />

informieren. Ausgangspunkt für eine differenzierte Darstellung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ist die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem Indikationenkalkül als einem mathematis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>alismus<br />

und seinen erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Implikationen. Das entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en einem mathe¬matis<strong>ch</strong>en und einem philosophis<strong>ch</strong>en Zugang. Der auf <strong>der</strong> Hand<br />

liegende mathematis<strong>ch</strong>e wird in dem vorliegenden Text repräsentiert dur<strong>ch</strong> einerseits einen<br />

darstellenden und erläuternden Na<strong>ch</strong>vollzug des Indikatio-nenkalküls (Teil I) und<br />

an<strong>der</strong>erseits dur<strong>ch</strong> eine Präzisierung des Begriffs <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> und seiner Integration in die<br />

mathematis<strong>ch</strong>e Theorie (Teil II). Der philosophis<strong>ch</strong>e Zugang zu den Laws of <strong>Form</strong> betrifft<br />

Fragen na<strong>ch</strong> Erkenntnis und Realität, weshalb später au<strong>ch</strong> von Erkenntnistheorie die Rede<br />

sein wird, und findet Ausdruck in einer Interpretation <strong>der</strong> vers<strong>ch</strong>ie¬denen Ergebnisse und<br />

Erkenntnisse, die <strong>der</strong> Kalkül hervorbringt, sowie einiger damit zusammenhängende<br />

Anmerkungen von George Spencer Brown (Teil III). Um den mathematis<strong>ch</strong>en Kalkül von<br />

seiner philoso¬phis<strong>ch</strong>en Deutung zu unters<strong>ch</strong>eiden, spre<strong>ch</strong>en wir zum einen vom<br />

„Indikationenkalkül“ und zum an<strong>der</strong>en vom „Kalkül <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung“. Wenn auf <strong>der</strong>en<br />

Einheit, repräsentiert dur<strong>ch</strong> den Text von George Spencer Brown, rekurriert wird,<br />

gebrau<strong>ch</strong>en wir den Namen Laws of <strong>Form</strong>.<br />

Im vorliegenden Text wird kein Wissen als bekannt vorausgesetzt. Alles, was notwendig ist,<br />

um dem Text <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> gut folgen zu können, wird erläutert. Es sind au<strong>ch</strong> keine<br />

systemtheoretis<strong>ch</strong>en Vorkennt¬nisse nötig, wennglei<strong>ch</strong> sie das Verständnis an einigen<br />

relevanten Stellen si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> erlei<strong>ch</strong>tern. Ni<strong>ch</strong>tsdestotrotz ist das Thema dieses Textes<br />

einigen Leserinnen und Lesern vermutli<strong>ch</strong> fremd, weshalb i<strong>ch</strong> dem Text ein Glossar angefügt<br />

habe (S. 200ff.).<br />

Vorweg einige begriffli<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen zur Übersetzung des eng¬lis<strong>ch</strong>en Originaltextes:<br />

Dur<strong>ch</strong>gängig wurde die Übersetzung von Thomas Wolf verwendet, die in <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en<br />

Ausgabe <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> abgedruckt ist. Au<strong>ch</strong> wenn mir dessen Übersetzung<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> gelungen s<strong>ch</strong>eint, werden im Folgenden einige Begriffe an<strong>der</strong>s<br />

wie<strong>der</strong>gegeben, um eine größere inhaltli<strong>ch</strong>e Prägnanz zu errei<strong>ch</strong>en.<br />

9


Den wohl am häufigsten zitierten Begriff aus den Laws of <strong>Form</strong> – re-entry – habe i<strong>ch</strong><br />

unübersetzt gelassen, da er in <strong>der</strong> eins<strong>ch</strong>lägigen Literatur gängig ist. <strong>Die</strong> au<strong>ch</strong> vorkommende<br />

Übersetzung dur<strong>ch</strong> „Wie<strong>der</strong>-Eintritt“ halte i<strong>ch</strong> für mögli<strong>ch</strong>, insbeson<strong>der</strong>e angebra<strong>ch</strong>t zur<br />

Vermeidung von Anglizismen, wennglei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriff Wie<strong>der</strong>-Eintritt die Vorstellung evoziert,<br />

draußen gewesen zu sein. Da das ni<strong>ch</strong>t gemeint ist, könnte man in Betra<strong>ch</strong>t ziehen, ob ni<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> „Selbsteintritt“ eine hilfrei<strong>ch</strong>e Übersetzung ist. Denn das „wie<strong>der</strong>“ bezieht si<strong>ch</strong> darauf,<br />

dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung in si<strong>ch</strong> selbst wie<strong>der</strong> eingeführt wird (auf einer ihrer Seiten).<br />

Demgegenüber habe i<strong>ch</strong> entry aus spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gründen gelegentli<strong>ch</strong> mit „Eintritt“ übersetzt.<br />

(Für eine Erörterung dieser Übersetzung siehe au<strong>ch</strong> den ersten Absatz des Kapitels I. 1.<br />

„Vor dem Eintritt (entry)“, S. 32)<br />

<strong>Die</strong> Bezei<strong>ch</strong>nung cross bleibt in diesem Text unübersetzt, da es kein deuts<strong>ch</strong>es Wort gibt,<br />

das ebenso die beiden Bedeutungen als Substantiv und Verb (Imperativ) trägt. Also: „cross“<br />

im Sinne von „das Kreuz“ und „cross!“ im Sinne von „kreuze!“.<br />

Um einer andauernden Unklarheit entgegenzuwirken, habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>lossen, den<br />

Begriff indication ni<strong>ch</strong>t mit „Bezei<strong>ch</strong>nung“ zu über¬setzen, au<strong>ch</strong> wenn dies in <strong>der</strong> Literatur<br />

inzwis<strong>ch</strong>en übli<strong>ch</strong> geworden ist. Denn dieser Begriff legt nahe, dass es eines Zei<strong>ch</strong>ens<br />

bedürfte. Es geht jedo<strong>ch</strong> vielmehr um eine Hinwendung, eine Hervorhebung, die die zwei<br />

Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>eidet. Deshalb wird in diesem Text <strong>der</strong> Begriff<br />

„Anzeige“ verwendet. (Siehe für eine ausführli<strong>ch</strong>e Begründung dieser Ents<strong>ch</strong>eidung den<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt „Grundlegende Ideen: Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige“ in I. 1., S. 35f.)<br />

Weiterhin wird in dem hier präsentierten darstellenden Na<strong>ch</strong>vollzug des Indikationenkalküls<br />

im Gegensatz zu den Laws of <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter und <strong>der</strong> Begriff des Beoba<strong>ch</strong>tens s<strong>ch</strong>on<br />

zu Beginn eingeführt. Dort tau<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter erst im letzten, selbstbezügli<strong>ch</strong>en Kapitel<br />

auf. Hier ges<strong>ch</strong>ieht das s<strong>ch</strong>on am Anfang, no<strong>ch</strong> vor dem entry, als Hilfe, die Begriffe<br />

„Unters<strong>ch</strong>eiden“ und „Anzeigen“ umfassen<strong>der</strong> bes<strong>ch</strong>reiben zu können, indem au<strong>ch</strong> ihre<br />

Einheit benannt wird. Ein weiterer Grund, so vorzugehen, besteht darin, dass die meisten<br />

Lesenden dieses Begriffsverständnis vermutli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on mitbringen.<br />

Der folgende inhaltli<strong>ch</strong>e Leitfaden gibt einen Überblick über den Aufbau des vorliegenden<br />

Textes und die Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en den drei Teilen.<br />

I. Der erste Teil dieser Einführung zei<strong>ch</strong>net den formalen Aufbau <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

na<strong>ch</strong>, indem die wesentli<strong>ch</strong>en Ideen und Wendungen ausführli<strong>ch</strong> erläutert und in einen<br />

verständli<strong>ch</strong>en Zusammenhang gebra<strong>ch</strong>t werden. <strong>Die</strong> Darstellung des Indikationenkalküls<br />

hält si<strong>ch</strong> sehr nah an den Text <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, was au<strong>ch</strong> hervorgehoben wird dur<strong>ch</strong> die<br />

kursiven, re<strong>ch</strong>tsbündigen Übers<strong>ch</strong>riften, die die Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> markieren. Jene<br />

Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, die ledigli<strong>ch</strong> formale Konsequenzen und <strong>der</strong>en Demonstrationen<br />

enthalten – in denen also „gere<strong>ch</strong>net“ wird –, werden in dieser Darstellung nur am Rande<br />

behandelt, um ni<strong>ch</strong>t den Rahmen dieser Einführung zu sprengen. Ein Ziel des vorliegenden<br />

Textes ist also, dass er die Lesenden in die Lage versetzt, jene Kapitel selbständig<br />

na<strong>ch</strong>vollziehen zu können.<br />

Der Kalkül, den George Spencer Brown in den Laws of <strong>Form</strong> entfaltet und den er<br />

Indikationenkalkül nennt, beginnt mit den Ideen <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung und <strong>der</strong> Anzeige. <strong>Die</strong><br />

Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung als perfekte Be-Inhaltung bedeutet die Trennung eines<br />

Zustandes von einem an<strong>der</strong>en, so dass man von <strong>der</strong> einen auf die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung nur gelangt, wenn man die gemeinsame Grenze kreuzt. Dabei ist die<br />

Anzeige das von <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung Unters<strong>ch</strong>iedene; mit ihr wird ausgedrückt, dass man<br />

stets eine Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung auswählt. Das heißt: Man kann eine Unters<strong>ch</strong>eidung nur<br />

treffen, wenn man über die Anzeige eine Seite hervorhebt.<br />

Klassis<strong>ch</strong>erweise beginnt ein Kalkül mit <strong>der</strong> Annahme von bestimmten „Dingen“ wie Mengen<br />

o<strong>der</strong> Zahlen sowie Gesetzen und Relationen zwis<strong>ch</strong>en ihnen. <strong>Die</strong>s wird dann als gegeben<br />

angenommen und auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Weise gere<strong>ch</strong>tfertigt. Man muss etwas haben<br />

10


o<strong>der</strong> annehmen, um überhaupt etwas tun zu können. So ges<strong>ch</strong>ieht es au<strong>ch</strong> in den Laws of<br />

<strong>Form</strong>. Hier jedo<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Anweisung, eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen.<br />

<strong>Die</strong> Kalkulation des Indikationenkalküls wird in Gang gesetzt mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung: „Triff eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung!“ Das Fundament <strong>der</strong> Kalku¬lation sind dann zwei einfa<strong>ch</strong>e Axiome, die aus<br />

den Ideen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ei¬dung und Anzeige folgen. Aus o<strong>der</strong> mit diesen Axiomen können<br />

kompli¬ziertere Ausdrücke entwickelt werden, an denen dann Regelmäßigkeiten entdecken<br />

werden können, die so genannten Konsequenzen und Theoreme. <strong>Die</strong> Konsequenzen lassen<br />

si<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden in jene, die keine Variablen enthalten (Arithmetik), und jene, die<br />

Zusammenhänge au<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en variablen Ausdrücken herstellen (Algebra).<br />

<strong>Die</strong> Gesetzmäßigkeiten, die si<strong>ch</strong> aus den beiden Axiomen ergeben, werden in den Laws of<br />

<strong>Form</strong> zunä<strong>ch</strong>st so weit entfaltet, bis si<strong>ch</strong> die Vollständigkeit und die Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit des<br />

Indikationenkalküls beweisen lassen. Dann findet ein Übergang zu unendli<strong>ch</strong> langen<br />

Aus¬drücken statt, <strong>der</strong> die eigentli<strong>ch</strong>e Neuerung für die mathematis<strong>ch</strong>e Theorie darstellt.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Ausdrücke können dur<strong>ch</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit formalisiert werden und wir erhalten<br />

darüber ein neues (in <strong>der</strong> numeris<strong>ch</strong>en Mathe¬matik allerdings alt bekanntes) Kriterium,<br />

na<strong>ch</strong> dem Ausdrücke unter¬s<strong>ch</strong>ieden werden können: <strong>der</strong> Grad einer Glei<strong>ch</strong>ung, ihr Grad an<br />

Unbestimmtheit. <strong>Die</strong> bis dahin in <strong>der</strong> Primären Arithmetik und Algebra betra<strong>ch</strong>teten<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades lassen si<strong>ch</strong> stets bestimmen, da sie immer eindeutig entwe<strong>der</strong><br />

auf den angezeigten o<strong>der</strong> unangezeigten Zustand zurückführbar sind. Sie gestatten keine<br />

Unbestimmtheit. Aufgrund <strong>der</strong> Einfa<strong>ch</strong>heit des Indikationenkalküls ist es jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

mögli<strong>ch</strong>, Selbst-bezügli<strong>ch</strong>keit formal darzustellen und zu erkennen, dass Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihres Grades an Unbestimmtheit ni<strong>ch</strong>t bes<strong>ch</strong>ränkt sind. Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten<br />

Grades, mit denen dargestellt werden kann, dass ein Ausdruck in si<strong>ch</strong> selbst auftritt, können<br />

im Wert oszillieren. Im Abs<strong>ch</strong>nitt I. 4. „Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades“ werden wir sehen,<br />

wodur<strong>ch</strong> imaginäre, das heißt oszillierende Werte entstehen, warum sie notwendig sind und<br />

wie sie dargestellt werden können. Das führt uns dann zur <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>.<br />

Das Beson<strong>der</strong>e am Indikationenkalkül ist, dass er zum einen anweisend (praktis<strong>ch</strong>) statt<br />

annehmend (ontologis<strong>ch</strong>) ist und zudem so allgemein und einfa<strong>ch</strong> beginnt, dass das<br />

mathematis<strong>ch</strong>e Gebäude, das si<strong>ch</strong> aus den Annahmen entfaltet, die Mögli<strong>ch</strong>keit bereitstellt,<br />

den eigenen Anfang zu reflektieren. Das ges<strong>ch</strong>ieht im 12. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> auf <strong>der</strong><br />

formalen Grundlage aus dem 11. Kapitel: Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit. Mit <strong>der</strong> „experimentellen<br />

Reflexion“ über den eigenen Anfang bes<strong>ch</strong>ließt George Spencer Brown seine Darstellung<br />

und vollzieht den re-entry des Kalküls in seine eigenen Bedingungen – und die Bedeutung<br />

des Unters<strong>ch</strong>ei<strong>der</strong>s, des Beoba<strong>ch</strong>ters kommt zum Vors<strong>ch</strong>ein.<br />

II. In <strong>der</strong> vorliegenden Einführung folgt na<strong>ch</strong> dem darstellenden Na<strong>ch</strong>vollzug des<br />

Indikationenkalküls ein weiterer mathematis<strong>ch</strong>er Teil zur <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>. Dort wird <strong>der</strong><br />

Versu<strong>ch</strong> unternommen, Li<strong>ch</strong>t ins Dunkel <strong>der</strong> Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik zu bringen, indem<br />

die Mathematik von ihren logis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>ränkungen befreit wird. Anhand einiger<br />

beispiel¬hafter <strong>Paradoxie</strong>n wird die allgemeine <strong>Form</strong> von <strong>Paradoxie</strong>n dargestellt, sowie ihre<br />

Bedeutung und Notwendigkeit für die mathematis<strong>ch</strong>e Theorie erörtert. Dabei zeigt si<strong>ch</strong>, dass<br />

die Laws of <strong>Form</strong> das Problem lösen, das Auslöser <strong>der</strong> Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik war<br />

und ist, nämli<strong>ch</strong> das Problem <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>, weil <strong>der</strong> Indikationenkalkül ein tragfähiger und<br />

neuartiger, weil Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit eins<strong>ch</strong>ließen<strong>der</strong> Kalkül ist.<br />

III. <strong>Die</strong> Mathematik <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> stellt jedo<strong>ch</strong> nur die „äußere <strong>Form</strong>“ des Textes dar.<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> wird au<strong>ch</strong> etwas gänzli<strong>ch</strong> Unmathematis<strong>ch</strong>es zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t.<br />

Betra<strong>ch</strong>tet man die Laws of <strong>Form</strong> aus rein mathematis<strong>ch</strong>er Perspektive, bekommt man ni<strong>ch</strong>t<br />

in den Blick, wofür die Laws of <strong>Form</strong> exemplaris<strong>ch</strong> stehen, was es ist, das hier in <strong>der</strong><br />

Spra<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Mathematik formuliert wird. Wir nähern uns dem im dritten Teil, in dem eine<br />

formtheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie entwickelt wird.<br />

Eine im weitesten Sinne philosophis<strong>ch</strong>e Dimension erhalten die Laws of <strong>Form</strong> dur<strong>ch</strong> die<br />

anfängli<strong>ch</strong>e Interpretation des cross als Unters<strong>ch</strong>eidung und die finale Entdeckung des<br />

11


impliziten Beoba<strong>ch</strong>ters. Denn alles, was ist, ist nur (in wel<strong>ch</strong>er <strong>Form</strong> au<strong>ch</strong> immer) erkennbar,<br />

weil es dur<strong>ch</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden ist. Da die Idee <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dung so allgemein ist, können wir erkennen, dass wir s<strong>ch</strong>on immer unzählige<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen treffen; allein um die Anweisung verstehen und ausführen zu können.<br />

O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s formuliert: Erkennt irgendjemand irgendetwas, so lässt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Erkenntnisprozess über die Ideen <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung und Anzeige sehr allgemein<br />

bes<strong>ch</strong>reiben.<br />

Den Zusammenhang von Mathematik und Erkenntnistheorie, wie er hier dargestellt wird,<br />

bes<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown in den „Anmerkungen zum mathematis<strong>ch</strong>en Zugang“, mit<br />

dem die Originalausgabe <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> beginnt:<br />

„Obwohl alle <strong>Form</strong>en und somit alle Universen mögli<strong>ch</strong> sind, und jede beson<strong>der</strong>e <strong>Form</strong><br />

verän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist, wird es offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, dass die Gesetze, die sol<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>en in Beziehung<br />

bringen, die selben für jedes Universum sind. Es ist diese Selbigkeit, die Idee, dass wir eine<br />

Realität finden können, die unabhängig ist davon, wie das Universum tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint,<br />

die dem Studium <strong>der</strong> Mathematik sol<strong>ch</strong>e Faszination verleiht. Dass uns die Mathematik,<br />

gemeinsam mit an<strong>der</strong>en Kunstformen, über die gewöhnli<strong>ch</strong>e Existenz hinaus führen und uns<br />

etwas von <strong>der</strong> Struktur zeigen kann, in <strong>der</strong> alle S<strong>ch</strong>öpfung zusammenhängt, ist keine neue<br />

Idee. Aber mathematis<strong>ch</strong>e Texte beginnen die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te irgendwo in <strong>der</strong> Mitte und<br />

überlassen es dem Leser, den Faden aufzunehmen, so gut er kann. Hier wird die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

vom Anfang an verfolgt.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXV)<br />

Über die Begriffe <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und des Beoba<strong>ch</strong>ters wird von dem Indikationenkalkül<br />

ein Bogen zu erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Fragestellungen gespannt. Dabei werden die<br />

einzelnen Konsequenzen, Theoreme o<strong>der</strong> Kanons etc. des Kalküls ni<strong>ch</strong>t berücksi<strong>ch</strong>tigt,<br />

indem sie etwa „übersetzt“ würden in erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>e „Gesetze“, das hieße in <strong>Form</strong><br />

von wahren allgemeingültigen Aussagen. Der Kalkül steht ni<strong>ch</strong>t in einem sol<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhang zu einer Wirkli<strong>ch</strong>keit, wie sie uns Mens<strong>ch</strong>en ers<strong>ch</strong>eint. <strong>Die</strong> in dem Kalkül<br />

entdeckten <strong>Form</strong>en sind vielmehr Gesetze über das Zustan¬dekommen einer Realität o<strong>der</strong><br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit. Und diese Gesetze gipfeln in <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit, Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit formal<br />

darstellen zu können – und dadur<strong>ch</strong> den Beoba<strong>ch</strong>ter zu entdecken.<br />

In den Laws of <strong>Form</strong> kommt <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter ins Spiel, sobald <strong>der</strong> Indikationenkalkül bis zu<br />

einer gewissen Komplexität entfaltet worden ist, das heißt sobald Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />

dargestellt werden kann. Damit wird die Mögli<strong>ch</strong>keit bereitgestellt, über die Einheit von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige zu reflektieren. Letztli<strong>ch</strong> kann man erst dann wissen, was es<br />

ist, das man formalisiert und beoba<strong>ch</strong>tet hat. Inwiefern wir davon spre<strong>ch</strong>en können, dass die<br />

Einheit von Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige als Beoba<strong>ch</strong>tung verstanden werden kann, wird am<br />

Ende <strong>der</strong> Darstellung des Kalküls offen¬kundig und hier im erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil<br />

ausführli<strong>ch</strong> thematisiert. In dessen zweitem Kapitel wird die an<strong>der</strong>e Seite des Beoba<strong>ch</strong>ters:<br />

das Beoba<strong>ch</strong>tete, in den Blick genommen. Mit räumli<strong>ch</strong>er und zeitli<strong>ch</strong>er Existenz beginnend,<br />

werden Wahrheit, Anzeige und <strong>Form</strong> auf die Leere zurückgeführt. Der nullte Kanon, <strong>der</strong> erst<br />

für die deuts<strong>ch</strong>e Ausgabe ges<strong>ch</strong>rieben wurde und na<strong>ch</strong> dem „alles“ und „ni<strong>ch</strong>ts“ formal<br />

identis<strong>ch</strong> sind, wird ans<strong>ch</strong>ließend au<strong>ch</strong> anhand <strong>der</strong> buddhistis<strong>ch</strong>en Weisheit „<strong>Form</strong> ist Leere,<br />

Leere ist <strong>Form</strong>“ thematisiert. Das dritte, die beiden voran¬gehenden zusammenführende<br />

Kapitel des dritten Teils geht <strong>der</strong> Frage na<strong>ch</strong>, wie es überhaupt dazu kommt, dass es in<br />

einem Universum Bewusstsein über si<strong>ch</strong> selbst gibt, das heißt, wie ein Universum überhaupt<br />

erst ers<strong>ch</strong>ei¬nen kann. <strong>Die</strong>ses Kapitel beginnt mit einer Darstellung <strong>der</strong> Konzepte von<br />

Zirkularität und konditionierter Koproduktion, mit denen bes<strong>ch</strong>rieben werden kann, dass <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter und das Beoba<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> gegenseitig bedingen und formen. <strong>Die</strong> Darstellung<br />

s<strong>ch</strong>ließt das für die Spencer Brown¬s<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie zentrale Konzept <strong>der</strong> „selektiven<br />

Blindheit“ an, wona<strong>ch</strong> drei Abs<strong>ch</strong>nitte zu Daoismus und Zen-Buddhismus und <strong>der</strong>en<br />

Zusammenhang mit den Laws of <strong>Form</strong> diese Einführung beenden.<br />

12


Zur Rezeptionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

<strong>Die</strong> erste Bespre<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ers<strong>ch</strong>ien im Frühjahr 1969 im Whole Earth<br />

Catalogue und wurde von Heinz von Foerster verfasst. Seine Begeisterung, die si<strong>ch</strong> in einer<br />

euphoris<strong>ch</strong>en Rezension nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>lug, war Auslöser für eine <strong>der</strong> berühmt gewordenen<br />

Konferenzen <strong>der</strong> American University of Masters in Esalen. Im März 1973 nahm ni<strong>ch</strong>t nur<br />

Heinz von Foerster selbst an einem einwö<strong>ch</strong>igen Seminar unter Führung von George<br />

Spencer Brown teil, son<strong>der</strong>n unter an<strong>der</strong>em au<strong>ch</strong> Kurt von Meier, Cliff Barney, Gregory<br />

Bateson, Alan Watts, John Lilly, Douglas Kelly und Karl Pribram.<br />

Obwohl <strong>der</strong> Indikationenkalkül <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> einige Jahre für Aufsehen sorgte,<br />

ents<strong>ch</strong>wand er do<strong>ch</strong> zumindest aus dem mathematis<strong>ch</strong>en Blickfeld. Erst die<br />

Wie<strong>der</strong>entdeckung dur<strong>ch</strong> Niklas Luhmann Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre, die au<strong>ch</strong> die Konzeption<br />

<strong>der</strong> Systemtheorie mit <strong>der</strong> Veröffent¬li<strong>ch</strong>ung von Soziale Systeme (1984) maßgebli<strong>ch</strong><br />

verän<strong>der</strong>te, bra<strong>ch</strong>te die Laws of <strong>Form</strong> in den Rang eines Standardwerkes.<br />

Niklas Luhmann ist, wie erwähnt, <strong>der</strong> prominenteste Anwen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Verwen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong>. Zumindest betont er in allen umfang¬rei<strong>ch</strong>eren Texten, dass im Zentrum seiner<br />

differenztheoretis<strong>ch</strong>en System¬theorie <strong>der</strong> „Kalkül des Unters<strong>ch</strong>eidens und Bezei<strong>ch</strong>nens“<br />

stehe. Ausgangspunkt des Exkurses in die Systemtheorie von Niklas Luhmann am Anfang<br />

des dritten Teiles des vorliegenden Textes ist die Annahme, dass <strong>der</strong> Systemtheorie eine<br />

<strong>Form</strong>theorie zu Grunde liegt. Dort gehen wir den Fragen na<strong>ch</strong>, wie Niklas Luhmann die Laws<br />

of <strong>Form</strong> gebrau<strong>ch</strong>t und warum. <strong>Die</strong>ser Text soll diesbezügli<strong>ch</strong> aufzeigen, wie eng die<br />

Luhmanns<strong>ch</strong>e Systemtheorie mit den Erkenntnissen des Indikationenkalküls<br />

zusammen¬hängt. Wie Niklas Luhmann stets hervorhebt, hat er seinen<br />

differenz¬theoretis<strong>ch</strong>en Ansatz den Laws of <strong>Form</strong> entnommen. Er übernimmt den<br />

Indikationenkalkül aber ni<strong>ch</strong>t in einem mathematis<strong>ch</strong>en Sinne in seine soziologis<strong>ch</strong>e Theorie<br />

und befasst si<strong>ch</strong> allenfalls am Rande mit <strong>der</strong> impliziten Erkenntnistheorie. Beides hat er als<br />

Soziologe ni<strong>ch</strong>t im Sinn. Er verwendet ihn vielmehr als Logik des Unters<strong>ch</strong>eidens für seine<br />

funktio¬nalen Analysen gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Prozesse und Ereignisse. Das Differenz¬s<strong>ch</strong>ema<br />

ist die seinen Ausführungen zu Grunde liegende konzeptionelle Struktur, mit <strong>der</strong> er<br />

differenztheoretis<strong>ch</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft beoba<strong>ch</strong>tet. Aber ni<strong>ch</strong>t nur <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tungs- und<br />

<strong>Form</strong>begriff können fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t werden, au<strong>ch</strong> die Figur des re-entries, die die<br />

Platzierung einer Unter-s<strong>ch</strong>eidung auf einer <strong>der</strong> Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung bes<strong>ch</strong>reibt, und<br />

die damit zusammenhängende Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> verleihen Luhmanns<br />

Systemtheorie die nötige und Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit berücksi<strong>ch</strong>tigende Komplexität, um<br />

spezifis<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen und Beoba<strong>ch</strong>tung selbst angemessen bes<strong>ch</strong>reiben zu können.<br />

Als Sekundärliteratur zu den Laws of <strong>Form</strong> sind aus dem systemtheo¬retis<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhang – ausgenommen die zahlrei<strong>ch</strong>en Anmerkungen und Erläuterungen in den<br />

Texten von Niklas Luhmann – die beiden Aufsatzsammlungen hervorgegangen, die Dirk<br />

Baecker 1993 veröffentli<strong>ch</strong>t hat (Kalkül <strong>der</strong> <strong>Form</strong> und Probleme <strong>der</strong> <strong>Form</strong>). Sie beinhalten<br />

fa<strong>ch</strong>¬spezifis<strong>ch</strong>e Interpretationen des Kalküls bzw. Anwendungen für die Soziologie. So hat<br />

beispielsweise Fritz B. Simon den Kalkül für die systemis<strong>ch</strong>e Therapie fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t.<br />

Neben diesem gelten Matthias Varga von Kibéd und au<strong>ch</strong> Francisco J. Varela, <strong>der</strong> in<br />

Anlehnung an den (und dann natürli<strong>ch</strong> in Abgrenzung vom) Indikationenkalkül einen eigenen<br />

dreiwertigen Kalkül entwickelte, als ausgespro<strong>ch</strong>ene Kenner <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>. Zudem gibt<br />

es no<strong>ch</strong> die Aufsätze in <strong>Die</strong> Logik <strong>der</strong> Systeme, heraus¬gegeben von Peter-Ulri<strong>ch</strong> Merz-<br />

Benz und Gerhard Wagner, die si<strong>ch</strong> kritis<strong>ch</strong> mit Niklas Luhmanns Verwendung <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> auseinan<strong>der</strong> setzen. Erst kürzli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>ien von Holm von Egidy Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong><br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit, das einen Verglei<strong>ch</strong> von Differenztheorie mit zwei buddhis¬tis<strong>ch</strong>en Weisheiten<br />

zum Thema hat. Im November 2004 ers<strong>ch</strong>ien das erste Einführungsbu<strong>ch</strong> in die Laws of<br />

<strong>Form</strong> von S<strong>ch</strong>önwäl<strong>der</strong>, Wille und Höls<strong>ch</strong>er sowie im Februar 2005 ein knapper und<br />

lesenswerter einfüh¬ren<strong>der</strong> Beitrag von Louis Kauffmann in dem treffend betitelten, von Dirk<br />

Baecker herausgegebenen Band S<strong>ch</strong>lüsselwerke <strong>der</strong> Systemtheorie.<br />

13


No<strong>ch</strong> ein Wort zu dem wissens<strong>ch</strong>aftshistoris<strong>ch</strong>en Rahmen, in den die Laws of <strong>Form</strong> fallen:<br />

Zwei wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e bzw. wissens<strong>ch</strong>aftstheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnisse des letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts waren die Entdeckungen <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit und des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters, die beide in vielen Fors<strong>ch</strong>ungs¬berei<strong>ch</strong>en in den letzten Jahrzehnten<br />

zusehends an Relevanz gewannen.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Physik und <strong>der</strong> Biologie wurden und werden Theorien entwickelt, die die<br />

Gesetzmäßigkeiten unseres Lebensraumes zu erklären su<strong>ch</strong>en. Jedo<strong>ch</strong> legen einige<br />

Entwicklungen gerade in diesen Disziplinen seit Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts nahe, die<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung selbst als Element des Prozesses <strong>der</strong> Erzeugung von Erkenntnis über Realität<br />

einzubeziehen. Demna<strong>ch</strong> würde <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter das Beoba<strong>ch</strong>tete mitbestimmen. Dabei sei<br />

erneut an Quantenphysik und Neurobiologie erinnert. Auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Wissens<strong>ch</strong>aftstheorie und <strong>der</strong> Philosophie sei auf Thomas S. Kuhn und Paul K. Feyerabend<br />

verwiesen, die sinngemäß behaupten: Das, was man sieht, ist dur<strong>ch</strong> die Konzepte bedingt,<br />

die man hat. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> repräsentieren und präzisieren diese Einsi<strong>ch</strong>t mit<br />

mathematis<strong>ch</strong>er Genauigkeit.<br />

In den letzten Jahrzehnten hat si<strong>ch</strong> ein wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Habitus etabliert, si<strong>ch</strong> davor zu<br />

hüten, von einem neuen Paradigma zu spre<strong>ch</strong>en – als Reaktion auf den inflationären<br />

Gebrau<strong>ch</strong> des Begriffes in <strong>der</strong> Na<strong>ch</strong>folge seiner Einführung in <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftsphilosophie<br />

Thomas S. Kuhns. Und ein Paradigmenwe<strong>ch</strong>sel wäre ja au<strong>ch</strong> immer erst im Na<strong>ch</strong>hinein<br />

feststell¬bar; denn: Man weiß jetzt no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>e Theorien si<strong>ch</strong> evolutionär dur<strong>ch</strong>setzen<br />

werden.<br />

Ni<strong>ch</strong>tsdestoweniger kann man au<strong>ch</strong> heute s<strong>ch</strong>on konstatieren, dass, wie au<strong>ch</strong> immer si<strong>ch</strong><br />

Wissens<strong>ch</strong>aft weiterentwickelt, sie die Beoba<strong>ch</strong>terposition integrieren und einen radikal<br />

neuen Umgang mit <strong>Paradoxie</strong>n hervorbringen wird. Im Rahmen dieser Entwicklungen sind<br />

die Laws of <strong>Form</strong> ein Text, dessen Radikalität und Tiefe bis heute ni<strong>ch</strong>t ansatzweise erkannt<br />

und gewürdigt wurde. <strong>Die</strong>se Einführung versu<strong>ch</strong>t einen Beitrag zu leisten, diesen<br />

bedauerli<strong>ch</strong>en Mangel zu beheben. Denn: <strong>Paradoxie</strong>n sind Thema und Problem des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts (Vgl. LUHMANN 1994: 93) und die Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters liefert die<br />

o<strong>der</strong> besser: eine Lösung.<br />

<strong>Die</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung<br />

Der deuts<strong>ch</strong>en Auflage <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, die 1997 ers<strong>ch</strong>ien, stellt George Spencer Brown<br />

eine Diskussion <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en den Methoden „Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung“<br />

sowie „Gerede und Interpretation“ voran. Da die Darstellungsmethode einen inneren<br />

Zusammenhang mit dem Thema <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> aufweist, wird sie hier kurz dargestellt.<br />

Der Unters<strong>ch</strong>ied <strong>der</strong> beiden Methoden beruht auf einer unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>verwendung<br />

(anweisend – bes<strong>ch</strong>reibend), die mit einer Erkenntnis über Spra<strong>ch</strong>e korreliert: Gesagtes<br />

kann man glauben – aber ni<strong>ch</strong>t wissen.<br />

<strong>Die</strong> von George Spencer Brown verwendete Methode beruht darauf, dass <strong>der</strong> Lernende bzw.<br />

No<strong>ch</strong>-ni<strong>ch</strong>t-Wissende Auffor<strong>der</strong>ungen befolgt, bestimmte Operationen selbst dur<strong>ch</strong>zuführen<br />

und dann zu betra<strong>ch</strong>ten, wohin er mit ihnen gelangt. In herkömmli<strong>ch</strong>en mathematis<strong>ch</strong>en<br />

Texten findet man keine Auffor<strong>der</strong>ung, etwas selbst zu tun. <strong>Die</strong> dort verwendete<br />

<strong>Form</strong>ulierung „Es sei ...“ vers<strong>ch</strong>leiert die Herkunft einer Unters<strong>ch</strong>eidung. Es wird also<br />

unentwegt unterstellt, dass bestimmte Dinge so-und-so sind (tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> und von si<strong>ch</strong> aus).<br />

<strong>Die</strong> Spra<strong>ch</strong>form ist dann bes<strong>ch</strong>reibend und lässt insofern einen Spielraum für Meinungen<br />

und Interpretationen. Aber gerade die Mathematik kann sehr s<strong>ch</strong>ön zeigen, dass das, was<br />

wir (als wahr) erkennen, von dem abhängt, was wir tun (müssen), um dorthin zu gelangen.<br />

Dann ist sie anweisend, mithin unabhängig von Meinungen, und impliziert, dass<br />

Erkenntnisleistungen immer Konstruktionsleistungen sind. Das heißt, die Definitionen und<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen, die wir treffen, legen den Rahmen dessen fest, was wir erkennen<br />

können. <strong>Die</strong>se Auffassung wi<strong>der</strong>spri<strong>ch</strong>t dem Glauben an Tatsa<strong>ch</strong>en und lenkt die<br />

14


Aufmerksamkeit auf die Bedingungen und Vorannahmen, unter denen jemand etwas (als<br />

wahr) erkennen kann. Insofern wird mit <strong>der</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung au<strong>ch</strong><br />

herausgestellt, was wir unter <strong>der</strong> „<strong>Form</strong> von Gesetzen“ verstehen können.<br />

<strong>Die</strong>ser Vorgehensweise, bestimmte Konstruktionen, Benennungen und Bere<strong>ch</strong>nungen<br />

vorzus<strong>ch</strong>lagen und dann zu betra<strong>ch</strong>ten, was man erhält, und wel<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

vorliegen, bedient si<strong>ch</strong> George Spencer Brown für die Darstellung seines<br />

Indikationenkalküls. Wir können dies als Lenkung von Aufmerksamkeit verstehen und<br />

bemerken die Ähnli<strong>ch</strong>keit zur sokra¬tis<strong>ch</strong>en Methode <strong>der</strong> vermittelnden Gesprä<strong>ch</strong>sführung.<br />

<strong>Die</strong> didaktis<strong>ch</strong>e bzw. methodis<strong>ch</strong>e Vorgehensweise von George Spencer Brown in den Laws<br />

of <strong>Form</strong> basiert demna<strong>ch</strong> auf einem grundlegenden Wissen:<br />

„Überhaupt ni<strong>ch</strong>ts kann dur<strong>ch</strong> Erzählen gewusst werden.“ (SPENCER BROWN 1997: XII)<br />

Was man erzählt bekommt, kann man glauben o<strong>der</strong> lernen, aber ni<strong>ch</strong>t wissen. Wissen<br />

erlangt man allein dur<strong>ch</strong> eigene Erfahrung. Ohne Erfahrung ist „Wissen“ abstrakt und leer –<br />

und mithin kein Wissen, son<strong>der</strong>n eben Glaube o<strong>der</strong> Meinung. <strong>Die</strong>sen Erfahrungshorizont des<br />

Wissens kann <strong>der</strong> Lehrende nur dur<strong>ch</strong> die Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung öffnen. Auf<br />

diese Weise wird <strong>der</strong> Lernende angeleitet, selbst zu entdecken, was es ist, das er weiß – er<br />

wusste vorher ledigli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wie und wohin zu s<strong>ch</strong>auen.<br />

In diesen Zusammenhang fällt, dass George Spencer Brown auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Rhetorik den<br />

Imperativ verwendet. Damit stellt er unentwegt heraus, dass es die Lesenden selbst sind, die<br />

die Unters<strong>ch</strong>eidungen treffen, und ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Autor, <strong>der</strong> ledigli<strong>ch</strong> Vors<strong>ch</strong>läge für zu treffende<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen ma<strong>ch</strong>t. Da es au<strong>ch</strong> eines seiner inhaltli<strong>ch</strong>en Anliegen ist zu zeigen, dass<br />

wir selbst es sind, die unsere Welt dur<strong>ch</strong> die Beoba<strong>ch</strong>tung erzeugen, ist die Verwendung des<br />

Imperativs (als Auffor<strong>der</strong>ung) Ausdruck seines Verständnisses von Welt. Er vertritt und<br />

betreibt diese These, indem er die Lesenden, die Beoba<strong>ch</strong>ter seines Kalküls, anleitet, si<strong>ch</strong><br />

selbst als die S<strong>ch</strong>öpfer <strong>der</strong> <strong>Form</strong> zu erkennen. Aus <strong>der</strong> dem Kalkül inhärenten Absage an<br />

wahrheitsfähige Sa<strong>ch</strong>verhalte im herkömmli<strong>ch</strong>en Sinne ergibt si<strong>ch</strong> die Darstellung und<br />

Dur<strong>ch</strong>führung des Kalküls vermittels <strong>der</strong> <strong>Form</strong> des Imperativs.<br />

George Spencer Brown wendet si<strong>ch</strong> also gegen eine Methode zum Wissenserwerb, die<br />

Gesetze und Definitionen so verwendet, als vermittel¬ten diese etwas objektiv Wahres.<br />

Hinter dieser Vorgehensweise sieht er die irrige Doktrin, dass jemand etwas wissen könne,<br />

indem man es ihm bloß erzählt. Stattdessen ist sein Vors<strong>ch</strong>lag, gerade au<strong>ch</strong> Gesetze und<br />

Defini¬tionen ni<strong>ch</strong>t als Bes<strong>ch</strong>reibungen, son<strong>der</strong>n als Befehle o<strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ungen zu<br />

begreifen. Sie sind die Regeln von „Lasst uns so tun, als ob“-Spielen. Wenn wir also eine<br />

Definition gebrau<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> ein Gesetz befolgen, meint George Spencer Brown, tun wir<br />

ni<strong>ch</strong>ts, als diese zu gebrau<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> zu befolgen; sie repräsentieren keine objektive und<br />

allgemeingültige Wahrheit. Aus diesem Grunde können wir ni<strong>ch</strong>t von fals<strong>ch</strong>en Definitionen<br />

spre<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong> Definition <strong>der</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung könnte lauten: Nenne dies<br />

so-und-so, tue jenes und s<strong>ch</strong>aue, was es ist, das du erhältst.<br />

Als Beispiel für seine methodis<strong>ch</strong>e Vorgehensweise und dafür, wie man zu Wissen statt zu<br />

Glauben kommt, führt er einen (altbekannten) Beweis für die Unendli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Primzahlen<br />

an, in dem er das Augenmerk auf die anweisende Lehrform lenkt. Ausgangspunkt ist<br />

folgen<strong>der</strong>: I<strong>ch</strong> habe jetzt zwar ges<strong>ch</strong>rieben – und Sie haben es vermutli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>norts au<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on gehört –, dass es unendli<strong>ch</strong> viele Primzahlen gibt, nur: damit wissen Sie no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

dass das tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Fall ist. Sie können es mir o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en nur glauben – bis Sie es<br />

wissen. Und wenn Sie es wissen, können und brau<strong>ch</strong>en Sie es ni<strong>ch</strong>t mehr zu glauben. Um<br />

etwas zu wissen, muss man es „tiefer“ erfahren haben – das hängt mit eigener Tätigkeit<br />

zusammen – als es das bloße Hören o<strong>der</strong> Lesen bewirken kann. In diesem Fall muss man<br />

selber na<strong>ch</strong>- o<strong>der</strong> mitgeda<strong>ch</strong>t haben.<br />

Wir bringen den Beweis, <strong>der</strong> auf Euklid zurückgeht, ni<strong>ch</strong>t aufgrund seiner Originalität,<br />

son<strong>der</strong>n weil er si<strong>ch</strong> wegen seiner Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>keit und eleganten Einfa<strong>ch</strong>heit gerade für<br />

15


mathematis<strong>ch</strong>e Laien eignet, die Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung selbst<br />

na<strong>ch</strong>zuvollziehen. Mit <strong>der</strong> Darstellung von George Spencer Brown erkennt man ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong><br />

die allgemeine <strong>Form</strong> von Beweisen: Nenne dies so-und-so, bere<strong>ch</strong>ne dieses und jenes, und<br />

betra<strong>ch</strong>te, was es ist, das du erhältst. Es ist diese Beweisform, die au<strong>ch</strong> hinter <strong>der</strong> Methode<br />

von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung steht, die hier interessiert, denn <strong>der</strong> Beweis selbst ist geläufig,<br />

bietet ni<strong>ch</strong>ts Neues.<br />

Wenn man über einen Begriff <strong>der</strong> Primzahlen verfügt (Definition: Jede natürli<strong>ch</strong>e Zahl, die<br />

genau nur dur<strong>ch</strong> eins und si<strong>ch</strong> selbst ohne Rest teilbar ist, wird Primzahl genannt) und eine<br />

Vorstellung davon hat, dass Zahlenmengen dahingehend <strong>ch</strong>arakterisiert (unters<strong>ch</strong>ieden)<br />

werden können, ob sie endli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong> viele Zahlen umfassen, kann man si<strong>ch</strong> fragen,<br />

in wel<strong>ch</strong>e Kategorie denn nun die Menge <strong>der</strong> Primzahlen fällt. <strong>Die</strong> reine Ans<strong>ch</strong>auung hilft da<br />

ni<strong>ch</strong>t weiter, da klarerweise die Di<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Primzahlen mit <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> untersu<strong>ch</strong>ten<br />

Zahlenmenge abnimmt. Denn: Je größer eine Zahl ist, umso mehr mögli<strong>ch</strong>e Teiler gibt es.<br />

Viellei<strong>ch</strong>t mag man ni<strong>ch</strong>t glauben, dass sie ein Ende nehmen, denn nur die Ausdünnung<br />

allein liefert keinen zwingenden Grund dafür, dass sie ni<strong>ch</strong>t endlos auftreten könnten. Man<br />

kann si<strong>ch</strong> eine Meinung bilden, solange man ni<strong>ch</strong>t weiß, was <strong>der</strong> Fall ist. Also: Ist die Anzahl<br />

<strong>der</strong> Primzahlen endli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong>?<br />

Sobald jemand Interesse daran hat, diese Frage zu ents<strong>ch</strong>eiden, also ein Motiv verfolgt, wird<br />

er na<strong>ch</strong> einem Beweis bzw. einer Beweisidee su<strong>ch</strong>en. Das ist die <strong>Form</strong>, Fragen<br />

mathematis<strong>ch</strong>er Art zu ents<strong>ch</strong>eiden. Und es ist au<strong>ch</strong> klar, dass jede Zahlenmenge entwe<strong>der</strong><br />

endli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong> groß ist. Es kann ni<strong>ch</strong>t sein, dass sie beides, keines o<strong>der</strong> etwas<br />

„dazwis<strong>ch</strong>en“ ist.<br />

Eine Mögli<strong>ch</strong>keit, si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Mä<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Primzahlen zu nähern, ist anzunehmen,<br />

es gäbe endli<strong>ch</strong> viele und mithin eine größte, nennen wir sie m. <strong>Die</strong> Annahme <strong>der</strong> Endli<strong>ch</strong>keit<br />

ist <strong>der</strong> erste Befehl, <strong>der</strong> zu befolgen ist; dass es dann eine größte Primzahl geben muss, ist<br />

die erste Betra<strong>ch</strong>tung. Um den Beweis führen, verstehen und akzeptieren zu können, ist es<br />

ni<strong>ch</strong>t notwendig, diese größte Primzahl zu kennen. Es wird ledigli<strong>ch</strong> angenommen, es gäbe<br />

eine Zahl mit <strong>der</strong> Eigens<strong>ch</strong>aft, die größte aller Primzahlen zu sein, so dass <strong>der</strong>en Anzahl<br />

endli<strong>ch</strong> ist. Nehmen wir also an, es existiere m.<br />

<strong>Die</strong> Beweisidee enthält folgende Anweisungen und Betra<strong>ch</strong>tungen: Multipliziere alle<br />

Primzahlen bis zur größten (m) miteinan<strong>der</strong> und addiere dann 1. <strong>Die</strong>se so produzierte Zahl,<br />

nenne sie M+1, ist dur<strong>ch</strong> keine <strong>der</strong> miteinan<strong>der</strong> multiplizierten Primzahlen teilbar, wel<strong>ch</strong>e <strong>der</strong><br />

Annahme na<strong>ch</strong> alle sind. Betra<strong>ch</strong>te dazu folgende Überlegung: Wenn man M+1 dur<strong>ch</strong> eine<br />

beliebige <strong>der</strong> endli<strong>ch</strong> vielen Primzahlen teilt, dann bleibt stets <strong>der</strong> Rest eins, s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist<br />

jede Primzahl Teiler von M. Und wenn eine Zahl dur<strong>ch</strong> keine Primzahl teilbar ist, dann ist sie<br />

dur<strong>ch</strong> überhaupt gar keine Zahl teilbar – außer dur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst und dur<strong>ch</strong> 1.<br />

<strong>Die</strong> Konstruktion von M+1 erfolgte dur<strong>ch</strong> das Befolgen <strong>der</strong> Befehle, mit denen man sie<br />

bestimmen kann. Nun ist <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>luss aus <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung zu ziehen: M+1 ist entwe<strong>der</strong><br />

selbst eine Primzahl (und größer als m) o<strong>der</strong> aus Faktoren zusammengesetzt, die größere<br />

Primzahlen als m sind. Als Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ung dieses Unters<strong>ch</strong>iedes mögen folgende<br />

Beispiele dienen:<br />

Nehmen wir an, 11 wäre die größte Primzahl, dann ist M+1: 2•3•5•7•11+1 = 2311. <strong>Die</strong>se Zahl<br />

ist prim. Nehmen wir an, 13 wäre die größte Primzahl, dann ist M+1: 2•3•5•7•11•13+1 =<br />

30031. <strong>Die</strong>se Zahl ist selbst keine Primzahl, son<strong>der</strong>n das Produkt <strong>der</strong> Primzahlen 59 und<br />

509. In beiden Fällen muss es mindestens eine Primzahl geben, die größer als m ist.<br />

Damit wurde bewiesen, dass die Annahme, die Primzahlen seien endli<strong>ch</strong> und es gäbe mithin<br />

eine größte, zu dem S<strong>ch</strong>luss führt, dass es größere Primzahlen gibt und damit die Menge<br />

<strong>der</strong> Primzahlen unendli<strong>ch</strong> groß ist. Dabei wird für den Beweis keine Primzahl bere<strong>ch</strong>net o<strong>der</strong><br />

bestimmt, son<strong>der</strong>n nur die Gewissheit erlangt, dass es eine größere als die angenommene<br />

geben muss.<br />

16


Abgesehen von dieser s<strong>ch</strong>önen Beweisidee haben wir mitverfolgt, wie die Methode von<br />

Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung praktis<strong>ch</strong> aussieht: Anweisungen ausführen („Nimm ... an“,<br />

„Bere<strong>ch</strong>ne ...“) und zu überlegen, was es ist, das man so erhält, wel<strong>ch</strong>e Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

vorliegen und was das hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> zu klärenden Frage bedeutet.<br />

Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> „Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung“ ist au<strong>ch</strong> zu verstehen, dass<br />

George Spencer Brown in dem ersten Vorwort <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, <strong>der</strong> „Vorstellung <strong>der</strong><br />

internationalen Ausgabe“, betont,<br />

„dass es in diesem Text nirgendwo einen einzigen Satz gibt, wel<strong>ch</strong>er besagt, was o<strong>der</strong> wie<br />

irgend etwas ist.“ (SPENCER BROWN 1997: X)<br />

Außer diesem Satz selbst. Ironis<strong>ch</strong>erweise ist diese Feststellung die einzige Setzung, <strong>der</strong><br />

einzige Satz in den Laws of <strong>Form</strong>, <strong>der</strong> sagt, wie etwas ist, bzw. wie etwas ni<strong>ch</strong>t ist – das<br />

heißt, man kann das nur glauben o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t, bis man es dur<strong>ch</strong> den Na<strong>ch</strong>vollzug des Kalküls<br />

geprüft hat. Der zitierte Satz bleibt jedo<strong>ch</strong> ein Satz, <strong>der</strong> etwas darüber aussagt, was o<strong>der</strong> wie<br />

irgend etwas ist: Es ist so, dass es in den Laws of <strong>Form</strong> keinen Satz gibt, <strong>der</strong> besagt, was<br />

o<strong>der</strong> wie etwas ist. <strong>Die</strong>se Problematik wird ents<strong>ch</strong>ärft, wenn man „diesen Text“ (Zitat) auf die<br />

Darstellung des Kalküls bezieht, also auf die 12 Kapitel des Haupttextes <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>.<br />

Hier soll nur vorberei¬tend darauf hingewiesen werden, dass diese Problematik dadur<strong>ch</strong><br />

entsteht, dass <strong>der</strong> zitierte Satz au<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> selbst bezogen wird. Für den Haupttext gilt<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, dass er nur Sätze enthält, die auffor<strong>der</strong>n, etwas zu tun (zu benennen, zu<br />

unters<strong>ch</strong>eiden, Regeln anzuwenden etc.) und zu betra<strong>ch</strong>ten, was si<strong>ch</strong> daraus ergibt.<br />

Da es eine <strong>der</strong> Absi<strong>ch</strong>ten dieses Textes ist, anhand <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> zu zeigen, dass<br />

Objekte o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Manifestationen von Unters<strong>ch</strong>eidungen in diesem Sinne ni<strong>ch</strong>t wirkli<strong>ch</strong><br />

(objektiv, unabhängig) sind, da die Welt keine Unters<strong>ch</strong>eidungen enthält, son<strong>der</strong>n wir<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter es sind, die diese mit dem Prozess des Beoba<strong>ch</strong>tens mit-produzieren, geraten<br />

wir in das Problem,<br />

„dass wir in einem Bu<strong>ch</strong> Worte und an<strong>der</strong>e Symbole in einem Versu<strong>ch</strong> gebrau<strong>ch</strong>en müssen,<br />

das auszudrücken, was <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> von Worten und an<strong>der</strong>en Symbolen bislang<br />

vers<strong>ch</strong>leiert hat.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXIV)<br />

Denn Spra<strong>ch</strong>e ist, da sie auf den Gebrau<strong>ch</strong> von Unters<strong>ch</strong>eidungen ange¬wiesen ist,<br />

einerseits unfähig zu bes<strong>ch</strong>reiben, wie Realität entsteht, an<strong>der</strong>er¬seits ist sie aber gerade<br />

das Medium, das wir benötigen o<strong>der</strong> zumindest einsetzen, so dass Realität erzeugt und<br />

wahrgenommen werden kann. Erst indem die Aufmerksamkeit auf das Treffen von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen geri<strong>ch</strong>tet wird, können wir erkennen, wie Realität zu Existenz gelangt, und<br />

einen Versu<strong>ch</strong> unternehmen, dur<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>e das Unsagbare zu sagen. So benutzt die Lehro<strong>der</strong><br />

Darstellungsmethode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung Spra<strong>ch</strong>e, um zu einer letztli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>tspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Erfahrung, Erkenntnis o<strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t zu führen.<br />

Spra<strong>ch</strong>e ist nur vorstellbar, indem mit ihr abgegrenzt wird, beispiels¬weise indem jemand<br />

über etwas spri<strong>ch</strong>t, und indem sie (bzw. mit ihr) zwis<strong>ch</strong>en dem, über das jemand spri<strong>ch</strong>t, und<br />

an<strong>der</strong>em, über das er ni<strong>ch</strong>t spri<strong>ch</strong>t, zu unters<strong>ch</strong>eiden ermögli<strong>ch</strong>t. Spra<strong>ch</strong>e gebrau<strong>ch</strong>t<br />

notwendig Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen; und zwar in je<strong>der</strong> Wortverwendung, da jedes Wort von<br />

an<strong>der</strong>em Unters<strong>ch</strong>iedenes meint.<br />

Wie wir aus dem Kalkül ersehen, sind Worte o<strong>der</strong> Namen ni<strong>ch</strong>t als Verweise auf eine<br />

unabhängige Realität zu verstehen. Vielmehr markieren sie Grenzziehungen eines<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters, denn sie erhalten ihren Gehalt eben nur dur<strong>ch</strong> einen Beoba<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong> eine<br />

Anzeige verwendet, um eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung operativ brau<strong>ch</strong>bar zu ma<strong>ch</strong>en. Deshalb ist es<br />

unmögli<strong>ch</strong>, die Welt o<strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit, wie sie unabhängig von einem Beoba<strong>ch</strong>ter sein<br />

könnte, zu bes<strong>ch</strong>reiben. Jede Bes<strong>ch</strong>reibung ist die Bes<strong>ch</strong>reibung eines Beoba<strong>ch</strong>ters. Und<br />

jede Unters<strong>ch</strong>eidung ist eine Unters<strong>ch</strong>eidung eines Beoba<strong>ch</strong>ters. Das, was <strong>der</strong> Fall ist, ist<br />

immer für einen Beoba<strong>ch</strong>ter <strong>der</strong> Fall.<br />

17


Zudem s<strong>ch</strong>eint Spra<strong>ch</strong>e dafür verantwortli<strong>ch</strong> zu sein, dass wir die Unter-s<strong>ch</strong>eidungen, die sie<br />

trifft o<strong>der</strong> die wir in o<strong>der</strong> mit ihr treffen, für wahr halten. So, als dä<strong>ch</strong>ten wir, die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen und Bezei<strong>ch</strong>nungen fänden si<strong>ch</strong> in einer Wirkli<strong>ch</strong>keit als objektiv gegeben,<br />

spiegelten diese glei<strong>ch</strong>sam wi<strong>der</strong>. <strong>Die</strong>s zu realisieren, dass Worte ni<strong>ch</strong>ts Wirkli<strong>ch</strong>es<br />

bezei<strong>ch</strong>nen o<strong>der</strong> anzeigen, son<strong>der</strong>n von jemandem verwendet werden, um die Welt<br />

handhabbar zu gestalten, meint George Spencer Brown, wenn er von „Entlernen“ redet. In<br />

<strong>der</strong> „Einführung“ in die Laws of <strong>Form</strong> spri<strong>ch</strong>t er vom<br />

„Entlernen <strong>der</strong> geläufigen deskriptiven Superstruktur, wel<strong>ch</strong>e, bis sie abgelegt ist, irrtümli<strong>ch</strong><br />

für die Wirkli<strong>ch</strong>keit gehalten werden kann.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXIV)<br />

Für einen klaren Blick auf Realität wird es unerlässli<strong>ch</strong> sein, die Unter¬s<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Namen und dem Benannten ni<strong>ch</strong>t aus den Augen zu verlieren und in ihrer ganzen<br />

Tragweite zu erfassen. Hier soll die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, dass wir lei<strong>ch</strong>t<br />

die Realität verwe<strong>ch</strong>seln mit <strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>reibung von Realität, respektive mit unseren<br />

Gedanken über Realität, die beide Unters<strong>ch</strong>eidungen benötigen. Ein Beispiel ist <strong>der</strong> Begriff<br />

„Mens<strong>ch</strong>“. Für die moralis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> (straf-) re<strong>ch</strong>t¬li<strong>ch</strong>e Beurteilung von Abtreibung stellt si<strong>ch</strong><br />

unter an<strong>der</strong>en die Frage: Ab wann ist ein Fötus ein Mens<strong>ch</strong>? (O<strong>der</strong> au<strong>ch</strong>: Wofür wird eine<br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dung zwis<strong>ch</strong>en Fötus und Mens<strong>ch</strong> benötigt?) Man kann das ni<strong>ch</strong>t wissen. Man<br />

kann si<strong>ch</strong> nur ents<strong>ch</strong>eiden und es dann so (o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s) leben, indem man Abtreibung<br />

verbietet (o<strong>der</strong> gestattet). Am Beispiel des Begriffes „Mens<strong>ch</strong>“ wird au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>, dass<br />

Begriffe je na<strong>ch</strong> dem Zusammenhang, in dem sie gebrau<strong>ch</strong>t werden, Vers<strong>ch</strong>iedenes<br />

bezei<strong>ch</strong>nen: Je na<strong>ch</strong>dem, ob man von <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung Mens<strong>ch</strong>-Gott, Mens<strong>ch</strong>-Tier o<strong>der</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>-Mas<strong>ch</strong>ine ausgeht, erhält <strong>der</strong> Begriff „Mens<strong>ch</strong>“ eine an<strong>der</strong>e Bedeutung. <strong>Die</strong><br />

Bedeutung eines Begriffes hängt an dem, was mit dem Begriff ni<strong>ch</strong>t gemeint ist. Das heißt,<br />

Spra<strong>ch</strong>e vers<strong>ch</strong>leiert, dass die Dinge ni<strong>ch</strong>t so sind, wie wir sie benennen, son<strong>der</strong>n wir dur<strong>ch</strong><br />

die Benennung die Welt unter-teilen – und letztli<strong>ch</strong> die Freiheit haben, die Grenzen zu<br />

ziehen, wo es uns beliebt.<br />

Im vorliegenden Text wird die Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>gehalten. Er<br />

ist explizit bes<strong>ch</strong>reibend, erläuternd und interpretierend. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> wurden <strong>der</strong>art<br />

ges<strong>ch</strong>rieben, um die <strong>Form</strong> von Gesetzen demonstrieren zu können. Gesetze sind<br />

Auffor<strong>der</strong>ungen und keine Bes<strong>ch</strong>reibungen von Ist-Zuständen. Der vorliegende Text zieht<br />

si<strong>ch</strong> auf einen bes<strong>ch</strong>reibenden und erklärenden Standpunkt zurück, er bes<strong>ch</strong>reibt und<br />

erläutert die Anweisungen und Betra<strong>ch</strong>tungen, die in den Laws of <strong>Form</strong> vorgenommen<br />

werden.<br />

18


Teil I: Der Indikationenkalkül<br />

Vorab eine terminologis<strong>ch</strong>e Bemerkung: Als Namen für den in den Laws of <strong>Form</strong><br />

entwickelten Kalkül wird „Indikationenkalkül“ verwendet. Synonyme dafür, die si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong><br />

Sekundärliteratur finden, sind die Namen „<strong>Form</strong>enkalkül“, „Browns<strong>ch</strong>er Kalkül“ und „Kalkül<br />

<strong>der</strong> Bezei<strong>ch</strong>nungen“. Bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> den Laws of <strong>Form</strong> inhärenten Erkenntnistheorie werden<br />

wir später au<strong>ch</strong> vom „Kalkül <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung“ spre<strong>ch</strong>en. <strong>Die</strong>s alles sind (interpretative)<br />

Übersetzungen des von George Spencer Brown gewählten Namens Calculus of Indication.<br />

Zur Verortung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> in <strong>der</strong> Mathematik: Der Mathematiker versteht unter dem<br />

Begriff „Kalkül“ ein Verfahren zur Erzeugung von Sätzen o<strong>der</strong> Zei<strong>ch</strong>enreihen na<strong>ch</strong><br />

bestimmten festen Regeln. Dazu werden Grundsätze bzw. Axiome angenommen und<br />

vorausgesetzt ebenso wie Regeln, die angeben, wie diese grundlegenden Zei<strong>ch</strong>enreihen<br />

verän<strong>der</strong>t werden können. Das heißt, Kalküle sind Verfahren, aus „Grundfiguren“ o<strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>ungen weitere zu erzeugen. Ein Kalkül ist demna<strong>ch</strong> eine uninterpretierte Struktur, in<br />

<strong>der</strong> die Grundfiguren, die formalen Regeln zur Manipulation und die erzeugten Figuren<br />

wie<strong>der</strong>gegeben sind. Ein Kalkül liefert in diesem Sinne no<strong>ch</strong> keine Bedeutung; er gibt<br />

ledigli<strong>ch</strong> Regeln und Zusammenhänge in <strong>Form</strong> von Zei<strong>ch</strong>en an. Ziel ist es, genau die<br />

gültigen bzw. wahren Figuren o<strong>der</strong> Zei<strong>ch</strong>enreihen dur<strong>ch</strong> den Kalkül zu erzeugen. Ein Kalkül<br />

wird häufig au<strong>ch</strong> als „formales System“ bezei<strong>ch</strong>net. Ein Kalkül kann dann auf vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Weisen interpretiert werden, indem man den Zei<strong>ch</strong>en Bedeutung gibt. Zum Beispiel werden<br />

wir später sehen, dass <strong>der</strong> Indikationenkalkül als Prädikatenlogik ausgelegt werden kann,<br />

und au<strong>ch</strong>, dass es mögli<strong>ch</strong> ist, ihn auf eine Weise zu interpretieren, die es erlaubt, mit ihm<br />

numeris<strong>ch</strong> zu re<strong>ch</strong>nen (siehe in II. 1. den Abs<strong>ch</strong>nitt „<strong>Die</strong> Interpretationen für Logik und<br />

Zahlen“, S. 124ff.).<br />

Das Fundament <strong>der</strong> Mathematik ist aber ni<strong>ch</strong>t numeris<strong>ch</strong>er Natur, enthält also no<strong>ch</strong> kein<br />

explizites Konzept von Zahlen. Wenn man so will: <strong>Die</strong> fundamentalen mathematis<strong>ch</strong>en<br />

Beziehungen umfassen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t genügend Unters<strong>ch</strong>eidungen, sie sind no<strong>ch</strong> zu einfa<strong>ch</strong>,<br />

um so etwas verglei<strong>ch</strong>sweise Kompliziertes wie mit Zahlen re<strong>ch</strong>nen o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> Logik<br />

betreiben zu können. Übli<strong>ch</strong>erweise wird heutzutage eine <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Mengenlehre als<br />

Fundament <strong>der</strong> Mathematik angenommen. Wie die numeris<strong>ch</strong>e Arithmetik (man denke an<br />

die Peano-Axiome ) und au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Indikationenkalkül beinhaltet <strong>der</strong> Ansatz <strong>der</strong> Mengenlehre<br />

zunä<strong>ch</strong>st kein numeris<strong>ch</strong>es Konzept; das heißt, dass Zahlen ni<strong>ch</strong>t vorausgesetzt werden.<br />

Aber aus o<strong>der</strong> mit Hilfe <strong>der</strong> Mengenlehre wie au<strong>ch</strong> des Indikationenkalküls und <strong>der</strong><br />

numeris<strong>ch</strong>en Arithmetik kann <strong>der</strong> Begriff o<strong>der</strong> die Idee von Zahlen entwickelt werden.<br />

Während jedo<strong>ch</strong> Mengenlehre und Arithmetik unter <strong>der</strong> Prämisse konstruiert sind, zu einem<br />

Konzept von Zahlen zu gelangen, können wir den Indikationenkalkül als fundamentaleren<br />

Versu<strong>ch</strong> auffassen, die allgemeinsten mathematis<strong>ch</strong>en Beziehungen formal darzustellen, <strong>der</strong><br />

eben au<strong>ch</strong> – aber gewissermaßen nebenher – für Zahlen interpretiert werden kann.<br />

1. Vor dem Eintritt (entry)<br />

Im Folgenden wird unter „Eintritt“ (entry) das Treffen einer (ersten) Unter¬s<strong>ch</strong>eidung<br />

verstanden. Der Begriff verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t ein Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>reiten, eine Verän<strong>der</strong>ung, ein Losgehen<br />

o<strong>der</strong> Anfangen. Beim Eintreten wird eine Grenze übers<strong>ch</strong>ritten. Zudem verweist <strong>der</strong> Begriff<br />

auf eine Tätigkeit, da immer jemand eintritt, sowie auf jemanden, <strong>der</strong> die Grenze kreuzt, und<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf eine eigene Aktivität, da man ni<strong>ch</strong>t eingetreten werden kann. Dur<strong>ch</strong> die<br />

Verwendung dieses Begriffes soll vor allem aber au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Zusammenhang mit dem re-entry,<br />

dem Wie<strong>der</strong>-Eintritt, begriffli<strong>ch</strong> hervor-gehoben werden. An<strong>der</strong>e mögli<strong>ch</strong>e Namen wie<br />

„Einsatz“, „Anfang“ o<strong>der</strong> „Ursprung“ haben an<strong>der</strong>e Vorzüge, betonen an<strong>der</strong>e S<strong>ch</strong>werpunkte<br />

(haben ihre Bere<strong>ch</strong>tigung, wenn man an<strong>der</strong>e Motive verfolgt) und werden hier nur am Rande<br />

erwähnt.<br />

19


Dem ersten vorbereitenden Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> sind selbst no<strong>ch</strong> se<strong>ch</strong>s <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>riftzei<strong>ch</strong>en vorangestellt, die dem ersten Abs<strong>ch</strong>nitt des Dao De Jing von Lao-Zi (etwa 500<br />

v. Chr.) entnommen sind und wie folgt übersetzt werden können:<br />

Der Anfang von Himmel und Erde ist namenlos.<br />

<strong>Die</strong>se Voranstellung ist konzeptionell bedeutsam. Der Satz besagt, dass <strong>der</strong> Urgrund <strong>der</strong><br />

folgenden Ausführungen, also <strong>der</strong> „Zustand“ no<strong>ch</strong> vor dem Ausgangspunkt des Kalküls,<br />

Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit ist. Denn: Wir können den Anfang von Himmel und Erde als ein Bild für<br />

die anfängli<strong>ch</strong>e, grund¬legende Unters<strong>ch</strong>eidung für ein Universum, wie George Spencer<br />

Brown das nennt, identifizieren. Wenn <strong>der</strong> Anfang namenlos ist, gibt es kein Motiv für eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, er ist ununters<strong>ch</strong>ieden. Denn ein Name zeigt immer etwas in<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zu an<strong>der</strong>em an, was eben ni<strong>ch</strong>t mit dem Namen gemeint ist. Und<br />

umgekehrt: Wenn <strong>der</strong> Anfang von Himmel und Erde unters<strong>ch</strong>ieden wäre, müsste etwas auf<br />

diesen Unters<strong>ch</strong>ied hinwei¬sen; es bräu<strong>ch</strong>te einen Namen o<strong>der</strong> eine Anzeige (Bezei<strong>ch</strong>nung),<br />

um den Unters<strong>ch</strong>ied festzustellen. Wenn es diese(n) ni<strong>ch</strong>t gibt, kann <strong>der</strong> namenlose Ur-<br />

Anfang au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ieden sein.<br />

Für den mathematis<strong>ch</strong>en Zugang ist aber zunä<strong>ch</strong>st nur festzuhalten, dass es <strong>der</strong><br />

Voranstellung <strong>der</strong> <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftzei<strong>ch</strong>en zufolge keine Ideen o<strong>der</strong> Konzepte gibt, die<br />

vorausgesetzt wären. Au<strong>ch</strong> zum Beispiel Raum, Zeit und Spra<strong>ch</strong>e liegen „na<strong>ch</strong>“ dem<br />

namenlosen Anfang, wennglei<strong>ch</strong> sie für die Darstellung und Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> Gesetze <strong>der</strong><br />

<strong>Form</strong> benötigt werden.<br />

Wie in jedem Kalkül kann zwis<strong>ch</strong>en dem <strong>Form</strong>alismus und seiner Interpretation<br />

unters<strong>ch</strong>ieden werden. Ist Kalkulation einmal in Gang gesetzt – dur<strong>ch</strong> Zei<strong>ch</strong>en und Regeln<br />

ihrer Manipulation –, kann man die Erfors<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Konsequenzen o<strong>der</strong> Regelmäßigkeiten<br />

als ein Spiel auffassen, bei dem von <strong>der</strong> Bedeutung o<strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Zei<strong>ch</strong>en<br />

vollkommen abstrahiert wird. Im Falle des Indikationenkalküls ist die Interpretation des zu<br />

formalisierenden Symbols (das später eingeführte cross) das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Das Spiel besteht dann darin, na<strong>ch</strong> festgelegten Regeln so genannte Ausdrücke zu<br />

verän<strong>der</strong>n und Regel¬mäßigkeiten zu entdecken, das heißt weitere Regeln zu finden.<br />

In <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>e des Kalküls erhalten unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e „Sorten“ von Regeln unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Namen. <strong>Die</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en ersten Regeln werden „Axiome“ genannt. Sie können dur<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts als die Interpretation, <strong>der</strong> sie entspringen, gere<strong>ch</strong>tfertigt werden. Ihre Umsetzung in<br />

die mathematis<strong>ch</strong>e, symbolhafte Spra<strong>ch</strong>e werden „Initiale“ genannt. Regeln – wie die im<br />

folgenden Absatz –, die außerhalb des Kalküls stehen, weil sie dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts als ihre<br />

Plausibilität zu re<strong>ch</strong>tfertigen sind, erhalten die Bezei<strong>ch</strong>nung „Kanons“.<br />

Der Anfang <strong>der</strong> Mathematik ist <strong>der</strong> Ort, an dem no<strong>ch</strong> keine Gesetze, Definitionen, Regeln<br />

o<strong>der</strong> Operationen ins Leben gerufen wurden. Und von dort aus dürfen wir stets nur<br />

voraussetzen und verwenden, was wir vorher entdeckten. <strong>Die</strong>s selbst ist die erste Regel<br />

(später erster Kanon genannt), die wir finden, um die Präzision zu si<strong>ch</strong>ern; eine Regel über<br />

Regeln: Was ni<strong>ch</strong>t erlaubt ist, ist verboten.<br />

1. Kapitel: <strong>Die</strong> <strong>Form</strong><br />

<strong>Die</strong> Anweisung, eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen, erfolgt erst am Anfang des zweiten Kapitels<br />

<strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>. Das vorhergehende erste Kapitel hat vorbereitenden Charakter und<br />

beinhaltet Erläuterungen <strong>der</strong> Begriffe, die notwendig sind, um die Anweisung verstehen zu<br />

können, und Bes<strong>ch</strong>rei¬bungen des Ursprungs, das heißt des Bodens, auf dem si<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Kalkül entwickelt. Zunä<strong>ch</strong>st wird die Aufmerksamkeit auf bestimmte Annahmen und<br />

Wortverwendungen geri<strong>ch</strong>tet, die ohne weiteres einleu<strong>ch</strong>ten (sollen). Wesentli<strong>ch</strong>er Inhalt<br />

dieses Kapitels sind dementspre<strong>ch</strong>end die Ideen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige, die<br />

Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und die si<strong>ch</strong> daraus ergebenden Axiome, wel<strong>ch</strong>e später formal<br />

20


umgesetzt werden und als grundlegende Gesetze <strong>der</strong> Manipulation bzw. Verän<strong>der</strong>ung von<br />

Ausdrücken dienen.<br />

Grundlegende Ideen: Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige<br />

Mit dem ersten Satz des ersten Kapitels <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> werden die für den Kalkül<br />

grundlegende Unters<strong>ch</strong>eidung und die entspre<strong>ch</strong>enden Anzeigen (indication) in <strong>Form</strong> von<br />

Benennungen eingeführt:<br />

„Wir nehmen die Idee <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und die Idee <strong>der</strong> Bezei<strong>ch</strong>nung [Anzeige; F. L.] als<br />

gegeben an, und dass wir keine Bezei<strong>ch</strong>nung [Anzeige; F. L.] vornehmen können, ohne eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen.“ (SPENCER BROWN 1997: 1)<br />

Damit werden ni<strong>ch</strong>t nur zwei Ideen als gegeben angenommen, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> ein<br />

Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en ihnen gesehen. Mit <strong>der</strong> anfängli<strong>ch</strong>en Unter¬s<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige wird eine Asymmetrie in die ursprüngli<strong>ch</strong>e „Namenlosigkeit“<br />

o<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit gebra<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> totale Symmetrie <strong>der</strong> Leere des namenlosen<br />

Uranfanges (<strong>der</strong> Anfang von Himmel und Erde) wird gebro<strong>ch</strong>en. Es ist diese<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, mit denen die Laws of <strong>Form</strong> einsetzen, weil sie die allgemeinste ist. Jede<br />

an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung würde implizit die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unter-s<strong>ch</strong>eidung und<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung mitführen. Jede Idee und jedes Konzept ist ja einerseits von an<strong>der</strong>en Ideen und<br />

Konzepten unters<strong>ch</strong>ieden, und an<strong>der</strong>er¬seits führt au<strong>ch</strong> jede Idee und jedes Konzept seine<br />

an<strong>der</strong>e Seite mit, als das, was es ni<strong>ch</strong>t ist.<br />

<strong>Die</strong> Ideen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und <strong>der</strong> Anzeige werden voneinan<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>ieden und sie<br />

werden bezei<strong>ch</strong>net (ni<strong>ch</strong>t nur: angezeigt ). Der Gebrau<strong>ch</strong> dieser Unters<strong>ch</strong>eidung verdeckt<br />

ihre Einheit. Au<strong>ch</strong> dies könnte man als Eintritt, als Anfang des Kalküls betra<strong>ch</strong>ten. Es ist<br />

si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Anfang dessen, was George Spencer Brown in den Laws of <strong>Form</strong><br />

demonstriert, und es ist <strong>der</strong> Boden, aus dem wir die Axiome für den Indikationenkalkül<br />

gewinnen werden. <strong>Die</strong>ser Beginn ist notwendig um zu verstehen, was (später) mit <strong>der</strong><br />

konstruktiven Anweisung „Triff eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung!“ gemeint ist, die gemeinhin als Eintritt<br />

verstanden wird.<br />

Im englis<strong>ch</strong>en Original verwendet George Spencer Brown den Begriff indication, was in <strong>der</strong><br />

deuts<strong>ch</strong>en Sekundärliteratur zu den Laws of <strong>Form</strong> zumeist mit „Bezei<strong>ch</strong>nung“ übersetzt wird.<br />

Wie bereits im „Einführenden Überblick“ erwähnt, übersetzen wir diesen Begriff mit<br />

„Anzeige“. Zum Verständnis dieser Ents<strong>ch</strong>eidung ist es hilfrei<strong>ch</strong>, an<strong>der</strong>e Bedeutungen zu<br />

kennen, die mit indication mitgemeint sind: vor allem „Andeutung“ und „Hinweis“. <strong>Die</strong><br />

Anzeige hebt eben die eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung hervor, sie zeigt die eine an bzw.<br />

weist auf die eine <strong>der</strong> Seiten hin. Von den genannten Übersetzungsmögli<strong>ch</strong>keiten ist<br />

„Anzeige“ gerade wegen des darin enthaltenen „Zeigers“, <strong>der</strong> auf die eine o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e<br />

Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung zeigt, am prägnantesten. Im Zusammenhang mit einem<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong> eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, können wir au<strong>ch</strong> von einer Lenkung von<br />

Aufmerksamkeit spre<strong>ch</strong>en. Ein Beoba<strong>ch</strong>ter s<strong>ch</strong>enkt einer Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung mehr<br />

Aufmerksamkeit als <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Von daher leu<strong>ch</strong>tet au<strong>ch</strong> ein, dass mit einer Anzeige no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t unbedingt <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> eines Namens gemeint ist. Um anzuzeigen wird no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

einmal ein (S<strong>ch</strong>rift-) Zei<strong>ch</strong>en benötigt. Das heißt, um die Welt als unter¬s<strong>ch</strong>iedene zu<br />

erkennen, bedarf es ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise einer symbo¬lis<strong>ch</strong>en, die Welt<br />

repräsentierenden Ebene. (Das „Zei<strong>ch</strong>en“ markiert eben ni<strong>ch</strong>t außerhalb <strong>der</strong><br />

wahrgenommenen Welt, das „Zei<strong>ch</strong>en“ ist die Welt.) Hinter einer Anzeige steht ledigli<strong>ch</strong> ein<br />

Motiv dafür, etwas als unters<strong>ch</strong>ied¬li<strong>ch</strong> im Wert zu erkennen. Das kann dur<strong>ch</strong> eine<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung fixiert werden. <strong>Die</strong> Anzeige kann die <strong>Form</strong> einer Bezei<strong>ch</strong>nung o<strong>der</strong> eines<br />

Namens haben. Zum Beispiel merkt man zuerst, dass es kalt ist, bevor man es denken o<strong>der</strong><br />

sagen kann. Jedes Zei<strong>ch</strong>en und je<strong>der</strong> Name ist eine Anzeige, aber eine Anzeige muss kein<br />

Name sein. Mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Anzeige wird ausgedrückt, dass man eine Seite einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung dur<strong>ch</strong> ihre Hervor¬hebung von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en unters<strong>ch</strong>eidet. Mit einer Anzeige<br />

21


ist demna<strong>ch</strong> etwas Allgemeineres gemeint als mit einer Bezei<strong>ch</strong>nung o<strong>der</strong> einem Zei<strong>ch</strong>en,<br />

weshalb in diesem Text indication mit „Anzeige“ übersetzt wird.<br />

Es ist in dem Zusammenhang mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en „Zeiger“ und „Zei<strong>ch</strong>en“<br />

aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>, zwis<strong>ch</strong>en dem Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung und <strong>der</strong> Vorstellung einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zu unter¬s<strong>ch</strong>eiden. Wenn man eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, zeigt man eine<br />

ihrer Seiten an. Und die Unters<strong>ch</strong>eidung, das heißt die Einheit <strong>der</strong> beiden Seiten,<br />

vers<strong>ch</strong>windet aus dem Blickfeld. O<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en Worten: Das Treffen einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung kann nie bewusst, also gedankli<strong>ch</strong> miterlebt werden. Es ges<strong>ch</strong>ieht jetzt. Das<br />

kann man nur mit einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung beoba<strong>ch</strong>ten – und dass man beoba<strong>ch</strong>tet,<br />

kann wie<strong>der</strong>um nur mit einer weiteren Beoba<strong>ch</strong>tung, die eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, erkannt<br />

werden. Stellt man si<strong>ch</strong> hingegen eine Unters<strong>ch</strong>eidung vor, wie beispielsweise die zwis<strong>ch</strong>en<br />

gut und böse, ist die Unters<strong>ch</strong>eidung selbst angezeigt (und au<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net, da man beide<br />

Seiten kennt); die vorgestellte Unters<strong>ch</strong>eidung wird von an<strong>der</strong>en (unangezeigten)<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen unters<strong>ch</strong>ieden. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen meint ni<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung ins Bewusstsein zu rufen. Dann kennt man immer beide Seiten, aber man<br />

trifft die Unters<strong>ch</strong>eidung eben ni<strong>ch</strong>t, son<strong>der</strong>n stellt sie si<strong>ch</strong> vor und trifft dabei eine an<strong>der</strong>e<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, die mit <strong>der</strong> momentanen Aktivität des Bewusstseins einher geht: Man<br />

unters<strong>ch</strong>eidet Unters<strong>ch</strong>eidungen. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung treffen kann man nur (und immer<br />

wie<strong>der</strong>) jetzt. Insofern ist das Vorstellen einer Unters<strong>ch</strong>eidung au<strong>ch</strong> ein Treffen einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung – allerdings: einer an<strong>der</strong>en als <strong>der</strong> vorgestellten.<br />

Das heißt, das aktuelle Getroffensein einer Unters<strong>ch</strong>eidung kann ein Beoba<strong>ch</strong>ter nur mittels<br />

einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung, einer weiteren Beoba<strong>ch</strong>tung erkennen – und dann sieht er<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr die aktuelle, son<strong>der</strong>n eine vergangene Unters<strong>ch</strong>eidung. Davon setzt si<strong>ch</strong> das<br />

Vorstellen einer Unters<strong>ch</strong>eidung ab. In diesem Fall kennt man die Unters<strong>ch</strong>eidung und hat<br />

Namen für beide Seiten, so dass man sie bewusst einsetzen kann. Man trifft dann aber eben<br />

eine Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidungen. Über eine bestimmte Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

na<strong>ch</strong>zudenken, zu reden o<strong>der</strong> zu s<strong>ch</strong>reiben, ist immer die Vorstellung einer Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Wenn man eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, hebt man dur<strong>ch</strong> eine Anzeige eine <strong>der</strong> beiden Seiten<br />

hervor und asymmetrisiert so die Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong> Anzeige ma<strong>ch</strong>t erst den Unters<strong>ch</strong>ied<br />

aus, da die Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung ohne sie ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>ieden voneinan<strong>der</strong> wären. Wir<br />

hätten ledigli<strong>ch</strong> zwei Seiten, aber ni<strong>ch</strong>ts, was sie unters<strong>ch</strong>eidet. Eine Anzeige meint immer<br />

dieses, das Angezeigte, und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>es. Das heißt, wenn unters<strong>ch</strong>ieden wird, wird eine<br />

Anzeige herangezogen. Eine Anzeige kann ni<strong>ch</strong>t alles anzeigen – o<strong>der</strong> hö<strong>ch</strong>stens in<br />

Abgrenzung von ni<strong>ch</strong>ts. Deshalb ist eine Unters<strong>ch</strong>eidung Bedingung <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit für eine<br />

Anzeige. Umgekehrt formuliert, gehen aber au<strong>ch</strong> mit einer Anzeige zwei Seiten einher, eben<br />

die angezeigte und die unangezeigte, und von daher ist ebenso eine Anzeige die Bedingung<br />

<strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit für eine Unters<strong>ch</strong>eidung. Das heißt aber ni<strong>ch</strong>t, dass Unters<strong>ch</strong>eidung und<br />

Anzeige identis<strong>ch</strong> wären. Sie gehen zwar jeweils miteinan<strong>der</strong> einher, bleiben aber denno<strong>ch</strong><br />

klar unters<strong>ch</strong>ieden. Das Auftreten von Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige vollzieht si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong><br />

Logik des Na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n ist als gegenseitig bedingtes Entste-hungsverhältnis zu<br />

denken.<br />

Der Akt des Unters<strong>ch</strong>eidens allein erzeugt no<strong>ch</strong> keine Asymmetrie und setzt nur den<br />

Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iedenem und Ni<strong>ch</strong>t-Unter¬s<strong>ch</strong>iedenem. <strong>Die</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

ohne die Anwesenheit einer Anzeige trifft also no<strong>ch</strong> keine konkrete Unters<strong>ch</strong>eidung; wenn<br />

man so will, weiß man no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung es ist. <strong>Die</strong> Idee <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung für si<strong>ch</strong> erzeugt also keine Ordnung im Raum und gibt keine Präferenz für<br />

eine <strong>der</strong> Seiten an, solange ihr das Motiv für eine Hervorhebung, für eine Anzeige fehlt. (Und<br />

solange das Motiv fehlt, wird die Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t getroffen.) Deshalb ma<strong>ch</strong>t eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung nur dann einen Unter¬s<strong>ch</strong>ied, wenn au<strong>ch</strong> eine Anzeige auftritt. Dur<strong>ch</strong> diese<br />

wird die Unters<strong>ch</strong>ei¬dung asymmetrisiert, denn es wird nur eine Seite angezeigt, und an<br />

diese Seite kann mit weiteren Unters<strong>ch</strong>eidungen anges<strong>ch</strong>lossen werden. Wie au<strong>ch</strong> Dirk<br />

Baecker hervorhebt, ist<br />

22


„die Asymmetrie die Bedingung s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin für die Ans<strong>ch</strong>lussfähigkeit von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen.“ (BAECKER 1993b: 17)<br />

Erst die Asymmetrie ma<strong>ch</strong>t Erkenntnis (im weitesten Sinne) mögli<strong>ch</strong>, denn mit <strong>der</strong> Anzeige<br />

wird eine Ordnung in die Un-Ents<strong>ch</strong>iedenheit, die Symmetrie <strong>der</strong> „no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t“ indizierten<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung eingeführt. Das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung impliziert die Verwendung<br />

einer Anzeige, so dass man nun auf <strong>der</strong> einen und ni<strong>ch</strong>t auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong><br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidung steht. <strong>Die</strong>se Seite kann man nun weiter unters<strong>ch</strong>eiden, aber man kommt<br />

ni<strong>ch</strong>t zur Einheit <strong>der</strong> verwendeten Unters<strong>ch</strong>eidung zurück.<br />

Wenn keine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird, ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>ts, niemand kann einen<br />

Unters<strong>ch</strong>ied feststellen. Es kann keine Beoba<strong>ch</strong>tung, kein Gedanke und keine<br />

Kommunikation stattfinden bzw. ans<strong>ch</strong>ließen, und es ma<strong>ch</strong>t wenig Sinn, davon zu spre<strong>ch</strong>en,<br />

dass denno<strong>ch</strong> etwas passiert. Denn in einer „unters<strong>ch</strong>iedslosen Welt“ wäre ja jede<br />

Verän<strong>der</strong>ung einerseits die Verän<strong>der</strong>ung von „etwas“, also etwas von an<strong>der</strong>em<br />

Unters<strong>ch</strong>iedenem, und würde an<strong>der</strong>erseits den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den Zuständen vor<br />

und na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung implizieren.<br />

<strong>Die</strong> Einheit von Unters<strong>ch</strong>eidung/Anzeige ist Beoba<strong>ch</strong>tung; das, was immer gerade jetzt<br />

ges<strong>ch</strong>ieht. Denn wenn man beoba<strong>ch</strong>tet, trifft man Unters<strong>ch</strong>eidungen und bezieht si<strong>ch</strong> eben<br />

immer auf eine Seite einer Unter¬s<strong>ch</strong>eidung.<br />

Obwohl also die Ideen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und <strong>der</strong> Anzeige simultan und glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt<br />

zusammenhängen, fährt George Spencer Brown im zweiten Satz fort mit:<br />

„Wir nehmen daher die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung für die <strong>Form</strong>.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

1)<br />

Das ist ein Vorgriff auf den <strong>Form</strong>begriff, <strong>der</strong> im zweiten Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> eingeführt<br />

wird. <strong>Die</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung, die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung anstatt die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Anzeige als <strong>Form</strong><br />

zu wählen, ist an si<strong>ch</strong> willkürli<strong>ch</strong> und hat rein pragmatis<strong>ch</strong>e Gründe, denn wie wir sahen, liegt<br />

au<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung eine Anzeige zugrunde.<br />

In diesem Sinne merkt Ranulph Glanville an, dass wir au<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Anzeige für die<br />

<strong>Form</strong> nehmen könnten, da wir das, was wir unter¬s<strong>ch</strong>eiden wollen, au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on anzeigen<br />

müssen, um es zu unters<strong>ch</strong>eiden (vgl. GLANVILLE 1988: 167). <strong>Die</strong> ersten Sätze <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> könnten also au<strong>ch</strong> lauten:<br />

Wir nehmen die Idee <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und die Idee <strong>der</strong> Anzeige als gegeben an, und<br />

dass wir keine Unters<strong>ch</strong>eidung treffen können, ohne eine Anzeige vorzunehmen. Wir<br />

nehmen daher die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Anzeige für die <strong>Form</strong>. <br />

Dass George Spencer Brown die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung für die <strong>Form</strong> nimmt, und ni<strong>ch</strong>t die<br />

<strong>Form</strong> <strong>der</strong> Anzeige, meint, dass später ein Symbol eingeführt wird, wel<strong>ch</strong>es für eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung bzw. für das Getroffen¬sein o<strong>der</strong> das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung steht.<br />

Der Kalkül ist eine <strong>Form</strong>alisierung des Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen und er operiert mit<br />

Anzeigen. Für den Kalkül ist irrelevant, dass unters<strong>ch</strong>eiden und anzeigen gemeinsam<br />

auftreten. Es ist nur wi<strong>ch</strong>tig, die eine Ri<strong>ch</strong>tung des Zusammen¬hanges herzustellen: Um<br />

anzuzeigen, muss unters<strong>ch</strong>ieden sein.<br />

No<strong>ch</strong> einmal: Es geht also mit einer Unters<strong>ch</strong>eidung, die getroffen wird, unmittelbar eine<br />

Anzeige einher, die ja gewissermaßen erst anzeigt, wel<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung es denn ist.<br />

Glei<strong>ch</strong>zeitig ist eine Unters<strong>ch</strong>eidung nur brau<strong>ch</strong>bar, kann nur getroffen werden, wenn au<strong>ch</strong><br />

angezeigt wird. Eine Anzeige ist ni<strong>ch</strong>t zu verwe<strong>ch</strong>seln mit einem Namen, <strong>der</strong> eine elaborierte<br />

<strong>Form</strong> <strong>der</strong> Anzeige ist. Wir finden also in <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und <strong>der</strong> Anzeige zwei Aspekte<br />

einer Einheit, und diese Einheit, das heißt ihr gemeinsames, simultanes Auftreten ist<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung. Ni<strong>ch</strong>tsdestotrotz kann man die Funktion dieser beiden Aspekte für<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung getrennt betra<strong>ch</strong>ten – o<strong>der</strong> vielmehr: man kann sie nur beoba<strong>ch</strong>ten, indem<br />

23


man sie trennt. Mit <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> beiden Aspekte wird jedo<strong>ch</strong> verdeckt, dass sie si<strong>ch</strong><br />

gegenseitig bedingen und insofern mit jedem von ihnen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e vorausgesetzt ist.<br />

<strong>Die</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

Eine Definition ist eine Bestimmung aufgrund einer Grenzziehung, also einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Insofern legt die Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung au<strong>ch</strong> fest, was eine<br />

Definition ist. Unters<strong>ch</strong>eidung und Definition sind (letztli<strong>ch</strong> beliebige, nur von einem<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter abhängende) Setzungen, für die mit George Spencer Brown gilt:<br />

„Definition: Unters<strong>ch</strong>eidung ist perfekte Be-Inhaltung.“ (SPENCER BROWN 1997: 1)<br />

Wenn man si<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung als Kreis auf einem Blatt Papier verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t, ist mit<br />

<strong>der</strong> Definition ni<strong>ch</strong>t mehr gemeint, als dass das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung eine Grenze in<br />

einem Raum zieht, die zwei Seiten <strong>der</strong>art voneinan<strong>der</strong> trennt, dass ein Punkt von <strong>der</strong> einen<br />

Seite nur auf die an<strong>der</strong>e gelangt, indem er die gemeinsame Grenze kreuzt. Allerdings ist mit<br />

dem Kreis als Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ung ledigli<strong>ch</strong> einer Unters<strong>ch</strong>eidung (ohne Anzeige) no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

eine Innenseite von einer Außenseite ges<strong>ch</strong>ieden. Au<strong>ch</strong> wenn man gewohnt ist, das<br />

Kreisinnere beim Anblick eines Kreises sofort und eindeutig zu erkennen: streng genommen<br />

trennt ein Kreis nur zwei Seiten. Was Innen- und was Außenseite ist, hängt vom<br />

Standpunkt, also von <strong>der</strong> Anzeige ab.<br />

Wäre die Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t perfekt, würde sie ni<strong>ch</strong>t zwei Seiten perfekt voneinan<strong>der</strong><br />

trennen. In diesem Sinne können wir davon spre<strong>ch</strong>en, dass die Definition <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung eine <strong>Form</strong> <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ließung ist. Sie s<strong>ch</strong>ließt dieses ein und jenes aus. Ebenso<br />

zeigt eine Anzeige diese, die angezeigte Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung an, und ni<strong>ch</strong>t jene.<br />

Au<strong>ch</strong> die Anzeige ist in dem Sinne perfekt, als sie ni<strong>ch</strong>t für die unangezeigte Seite verwendet<br />

wird.<br />

Aus den Ideen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und <strong>der</strong> Anzeige sowie <strong>der</strong> Defini¬tion ergeben si<strong>ch</strong> zwei<br />

Aspekte: Eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen meint zum einen immer, eine Grenze so zu<br />

kreuzen, dass man von <strong>der</strong> Innenseite, <strong>der</strong> angezeigten Seite, in den Raum gelangt, <strong>der</strong><br />

dur<strong>ch</strong> die Markierung bezei<strong>ch</strong>net ist, und zum an<strong>der</strong>en, dur<strong>ch</strong> die Anzeige die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zu markieren. Das englis<strong>ch</strong>e, von George Spencer Brown für die Markierung<br />

einer Unters<strong>ch</strong>eidung verwendete Wort cross führt diese beiden Aspekte explizit mit. Man<br />

kann es als Substantiv wie als Verb lesen. Als Unter¬s<strong>ch</strong>eidung steht das cross für die<br />

Auffor<strong>der</strong>ung, die Grenze zu kreuzen. Als Anzeige steht das cross für die Anwesenheit einer<br />

Markierung <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, im Gegensatz zur Abwesenheit.<br />

Dass George Spencer Brown <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung einen operationalen Vorrang vor <strong>der</strong><br />

Anzeige einräumt, was ja s<strong>ch</strong>on die Wahl <strong>der</strong> <strong>Form</strong> als <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung bestimmte<br />

(siehe oben die ersten beiden Sätze <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>), findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> folgenden<br />

<strong>Form</strong>ulierung:<br />

„Wenn einmal eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wurde, können die Räume, Zustände o<strong>der</strong><br />

Inhalte auf je<strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Grenze, indem sie unters<strong>ch</strong>ieden sind, bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F.<br />

L.] werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 1)<br />

<strong>Die</strong> Mögli<strong>ch</strong>keitsform dieser <strong>Form</strong>ulierung („can be indicated“) ist ungenau und spiegelt die<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeit wie<strong>der</strong>, die Simultaneität von Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige in ein<br />

Na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong> zu überführen.<br />

<strong>Die</strong> Axiome<br />

Über den Begriff des Motivs ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong>, dass jemand eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung nur trifft, weil<br />

er s<strong>ch</strong>on einen Unters<strong>ch</strong>ied hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> eines Wertes sieht:<br />

24


„Es kann keine Unters<strong>ch</strong>eidung geben ohne Motiv, und es kann kein Motiv geben, wenn<br />

ni<strong>ch</strong>t Inhalte als unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> im Wert angesehen werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 1)<br />

Eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen verlangt also zunä<strong>ch</strong>st na<strong>ch</strong> einem Motiv, an<strong>der</strong>nfalls gäbe<br />

es keinen Anlass, eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen. Eine Absi<strong>ch</strong>t zu haben setzt voraus, dass<br />

man wertet, und zu werten beruht auf einem Unters<strong>ch</strong>ied hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> eines Wertes. Das<br />

heißt, man erkennt einen Sinn darin, eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen. Ein Motiv setzt voraus,<br />

dass man s<strong>ch</strong>on einen gewissen Unters<strong>ch</strong>ied sieht. <strong>Die</strong> beiden Seiten, die die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung hervorbringt, haben ni<strong>ch</strong>t den glei<strong>ch</strong>en Wert. Bezogen auf einen Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

heißt eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen immer: zu werten. Wenn aber ein Motiv für eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung notwendig ist, und im Wert unters<strong>ch</strong>iedene Inhalte notwendig für ein Motiv<br />

sind, dann geht je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung notwendig eine an<strong>der</strong>e voraus. Damit kann jede<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidung nur im Raum einer an<strong>der</strong>en (auf einer Seite <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en) getrof¬fen<br />

werden, und wir können niemals die erste Unters<strong>ch</strong>eidung treffen. <strong>Die</strong>s liefert uns ein erstes<br />

Indiz dafür, dass sie dur<strong>ch</strong> unsere Existenz als Beoba<strong>ch</strong>ter s<strong>ch</strong>on immer getroffen ist (vgl. im<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil das „unges<strong>ch</strong>riebene Kreuz“, S. 153).<br />

Über den Begriff des Motivs wird demna<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriff des Wertes eingeführt, <strong>der</strong><br />

wesentli<strong>ch</strong> für die Ableitung <strong>der</strong> Axiome ist. <strong>Die</strong> s<strong>ch</strong>on getroffene Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Werten liefert das Motiv, eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung eben aufgrund <strong>der</strong> Setzung vers<strong>ch</strong>iedener<br />

Werte zu treffen. Und wenn wir eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung anzeigen, können wir einen<br />

Namen verwenden, mit dem wir den Wert des Inhaltes anzeigen.<br />

„Wenn ein Inhalt einen Wert hat, kann ein Name herangezogen werden, diesen Wert zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen [anzuzeigen; F. L.].“ (SPENCER BROWN 1997: 1)<br />

Das heißt au<strong>ch</strong>, dass jede Verwendung des Namens mit dem zugehörigen Wert identifiziert<br />

werden kann. Der Name wird verwendet, um den Wert anzuzeigen. O<strong>der</strong> umgekehrt: Der<br />

Name verweist auf eine Anzeige, diese auf eine Unters<strong>ch</strong>eidung und die Unters<strong>ch</strong>eidung auf<br />

einen Wert.<br />

„Somit kann das Nennen des Namens mit dem Wert des Inhalts identifiziert werden.“<br />

(SPENCER BROWN 1997: 1)<br />

Das heißt also, dass man einen Bezug herstellen kann zwis<strong>ch</strong>en dem Namen und dem Wert.<br />

Den Seiten o<strong>der</strong> Inhalten werden Werte zugeordnet und sie werden benannt. Wert und<br />

Name sind ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong>, aber dieser Wert gehört zu dieser Seite und jener zu jener. Mit<br />

„Identifizieren“ ist nur oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gesehen ein Zuordnen gemeint. Das Nennen des<br />

Namens und <strong>der</strong> Wert des Inhalts sind ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n das Eine geht mit dem<br />

An<strong>der</strong>en einher. Der Zusammenhang ist ein an<strong>der</strong>er als beispielsweise <strong>der</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

Wahrheitswerten und Aussagenvariablen, <strong>der</strong> ein Zuordnen im Wortsinne darstellt. Jedes<br />

Nennen des Namens ist die Markierung einer Unters<strong>ch</strong>eidung, also <strong>der</strong> markierte Wert o<strong>der</strong><br />

Zustand. Deshalb können sie miteinan<strong>der</strong> identifiziert werden.<br />

Mit einer Unters<strong>ch</strong>eidung ist eine Grenze gezogen. Das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

beinhaltet einerseits eine Anzeige <strong>der</strong> einen und ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, woher die<br />

Asymmetrie rührt, und an<strong>der</strong>erseits das Kreuzen einer Grenze, womit man auf die an<strong>der</strong>e<br />

Seite gelangt bzw. den Wert än<strong>der</strong>t. <strong>Die</strong> beiden folgenden Axiome „Gesetz des Nennens“<br />

und „Gesetz des Kreuzens“ greifen diese unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Handhabungen <strong>der</strong><br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidung auf und regeln, wie zu verfahren ist, wenn das Nennen o<strong>der</strong> Kreuzen<br />

wie<strong>der</strong>holt auftreten. Vom mathematis<strong>ch</strong>en Standpunkt ist dabei <strong>der</strong> Übergang von den<br />

Begriffen Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige auf den Begriff des Wertes wesentli<strong>ch</strong>. In diesem<br />

vorbereitenden, begründenden Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> wird no<strong>ch</strong> mit den Begriffen<br />

„angezeigt“ und „unangezeigt“ gearbeitet bzw. später (im Vollzug des Kalküls) wird mit<br />

„markiert“ und „unmarkiert“ operiert, und deshalb muss gewährleistet sein, dass das Nennen<br />

eines Namens und das Kreuzen einer Grenze mit den Werten <strong>der</strong> Seiten einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung identifiziert werden können.<br />

25


Mit dem Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung sind <strong>der</strong> angezeigte und <strong>der</strong> unangezeigte Zustand<br />

gegeben, so dass, wenn ein markierter Zustand seinen Wert än<strong>der</strong>t, das Resultat mit dem<br />

unmarkierten glei<strong>ch</strong>gesetzt werden kann und umgekehrt: Wenn ein unmarkierter Zustand<br />

seinen Wert än<strong>der</strong>t, kann das Resultat mit dem markierten glei<strong>ch</strong>gesetzt werden. Da die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung perfekt ist, führt jedes Kreuzen <strong>der</strong> Grenze auf die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Wenn wir eine Unters<strong>ch</strong>eidung ein weiteres Mal treffen, gibt es die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten, dass die Wie<strong>der</strong>holung einen Unter-s<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>t o<strong>der</strong> dass sie keinen<br />

ma<strong>ch</strong>t. Das heißt es kann nur zwei Ans<strong>ch</strong>lussoperationen geben: die Bestätigung <strong>der</strong><br />

Asymmetrie dur<strong>ch</strong> eine weitere Anzeige o<strong>der</strong> die Aufhebung <strong>der</strong> Asymmetrie (und damit <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung) dur<strong>ch</strong> das Kreuzen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong>ser Unter¬s<strong>ch</strong>ied findet<br />

Ausdruck in den beiden folgenden Axiomen.<br />

Bei dem ersten Axiom geht es darum, dass jede Nennung die glei<strong>ch</strong>e Seite benennt und es<br />

ni<strong>ch</strong>t zu einem We<strong>ch</strong>sel des Wertes kommt. <strong>Die</strong>s findet Ausdruck in<br />

Axiom 1: „Der Wert einer no<strong>ch</strong>maligen Nennung ist <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> Nennung.“ (SPENCER<br />

BROWN 1997: 2)<br />

Das erste Axiom wird au<strong>ch</strong> „Gesetz des Nennens“ genannt. Einen Namen zwei- o<strong>der</strong><br />

mehrmals zu nennen, än<strong>der</strong>t ni<strong>ch</strong>ts an dem Wert. Das erste Axiom besagt: Wenn wir die<br />

Verwendung eines Namens mit dem Wert identifizieren können, dann än<strong>der</strong>t eine<br />

mehrmalige Verwendung ni<strong>ch</strong>ts. Eher würde man davon spre<strong>ch</strong>en, dass <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> des<br />

Namens seine Verwendung bekräftigt. Auf dieser Ebene <strong>der</strong> Allgemeinheit, auf <strong>der</strong> wir uns<br />

hier bewegen, kann man aber in einem strengen Sinne ni<strong>ch</strong>t von Bekräftigung reden.<br />

Genauso wenig ist damit gemeint, dass beispielsweise in <strong>der</strong> Lautstärke zunehmende<br />

Auffor<strong>der</strong>ungen ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sind. Und es bleibt damit natürli<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>, au<strong>ch</strong> einem<br />

mehrmaligen Auftreten eines Signals eine an<strong>der</strong>e Bedeutung zu geben als einem<br />

einmaligen, wie beispielsweise bei Klopf- o<strong>der</strong> Klingelzei<strong>ch</strong>en. Bezügli<strong>ch</strong> des Wertes, <strong>der</strong><br />

mathematis<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet mit keiner Bedeutung belegt ist, außer eben markiert o<strong>der</strong><br />

unmarkiert zu sein, än<strong>der</strong>t ein mehrmaliges Nennen aber ni<strong>ch</strong>ts.<br />

Wenn wir eine Unters<strong>ch</strong>eidung treffen, kreuzen wir die Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und<br />

gelangen auf die an<strong>der</strong>e Seite. Au<strong>ch</strong> das Kreuzen <strong>der</strong> Grenze kann mit dem Wert des<br />

Inhaltes identifiziert werden. Da nur zwei Seiten vorliegen, ist es mögli<strong>ch</strong>, den Wert au<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Kreuzen zuzuordnen.<br />

„Somit kann das Kreuzen <strong>der</strong> Grenze ebenfalls mit dem Wert des Inhalts identifiziert<br />

werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 2)<br />

Hier ist mit „Identifizieren“ das glei<strong>ch</strong>e gemeint wie beim Nennen des Namens, aber<br />

ges<strong>ch</strong>ieht in diesem Fall auf eine an<strong>der</strong>e Weise. Mit dem Nennen des Namens ging <strong>der</strong> Wert<br />

des Zustandes einher. Nun können das Kreuzen <strong>der</strong> Grenze und <strong>der</strong> Wert des Inhaltes<br />

miteinan<strong>der</strong> identifiziert werden, weil die Unters<strong>ch</strong>eidung genau zwei Seiten hervorbringt, so<br />

dass man die Seite und den Wert na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kreuzung kennt, wenn man den Wert des<br />

Zustandes vor <strong>der</strong> Kreuzung wusste. Wir gaben <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung au<strong>ch</strong> die Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

eine Anweisung zu sein, die Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ei¬dung zu kreuzen. Nun bedeutet die<br />

Wie<strong>der</strong>holung, dass si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Zustand än<strong>der</strong>t.<br />

Axiom 2: „Der Wert eines no<strong>ch</strong>maligen Kreuzens ist ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Wert des Kreuzens.“<br />

(SPENCER BROWN 1997: 2)<br />

Das zweite Axiom wird au<strong>ch</strong> als „Gesetz des Kreuzens“ bezei<strong>ch</strong>net. Jedes Kreuzen bringt<br />

einen auf die an<strong>der</strong>e Seite. No<strong>ch</strong>maliges Kreuzen heißt demna<strong>ch</strong> die Seite und damit den<br />

Wert zu än<strong>der</strong>n. <strong>Die</strong>se Axiome verdeut¬li<strong>ch</strong>en den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Nennung und<br />

Kreuzung. Sie können auf je ihre Weise mit einem Wert des Inhaltes identifiziert werden.<br />

26


Das Gesetz des Nennens versinnbildli<strong>ch</strong>t die Mögli<strong>ch</strong>keit, dass die Wie<strong>der</strong>holung keinen<br />

Unters<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>t, und so bleibt <strong>der</strong> Wert einer no<strong>ch</strong>maligen Nennung <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong><br />

Nennung. Im Gesetz des Kreuzens verän<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wert dur<strong>ch</strong> die Wie<strong>der</strong>holung: Der<br />

Wert vor dem Kreuzen ist ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Wert na<strong>ch</strong> dem Kreuzen.<br />

Somit gilt für jeden Namen:<br />

„Wie<strong>der</strong>-Nennen ist Nennen“,<br />

und für jede Grenze:<br />

„Wie<strong>der</strong>-Kreuzen ist ni<strong>ch</strong>t Kreuzen“. (SPENCER BROWN 1997: 2)<br />

George Spencer Brown bemerkt in den Anmerkungen zu den Laws of <strong>Form</strong>, dass es<br />

genüge, si<strong>ch</strong> aus dem ersten Kapitel die Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung als perfekte Be-<br />

Inhaltung und die beiden Axiome zu merken. Wir ergänzen, dass die Axiome als<br />

grundlegende <strong>Form</strong>en <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung von Ausdrücken für die Entfaltung und<br />

<strong>Form</strong>alisierung des Kalküls benötigt werden und dass si<strong>ch</strong> im 11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

die Definition verän<strong>der</strong>n wird (vgl. in diesem Text Kapitel I. 4.: „Der re-entry und <strong>der</strong><br />

imaginäre Wert“, S. 96).<br />

2. Der Eintritt in die <strong>Form</strong><br />

<strong>Die</strong>ser Abs<strong>ch</strong>nitt befasst si<strong>ch</strong> mit dem Eintritt (entry), also dem Treffen einer ersten<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und dem zentralen Begriff <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Zudem werden die Grundlagen für die<br />

Kalkulation bereit gestellt.<br />

George Spencer Brown s<strong>ch</strong>lägt in den Anmerkungen seinen Lesern vor, auf einem Blatt<br />

Papier anzufangen, Unters<strong>ch</strong>eidungen zu treffen und als Kreise darzustellen. Wenn man das<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> tut, wird man alsbald Unter¬s<strong>ch</strong>iede bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kreise ausma<strong>ch</strong>en können.<br />

Zum Beispiel ergibt si<strong>ch</strong>, dass man einen weiteren Kreis innerhalb eines an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong><br />

außerhalb von allen an<strong>der</strong>en einzei<strong>ch</strong>nen kann. Na<strong>ch</strong>dem man auf diese Weise eine<br />

Anordnung von Kreisen auf das Blatt Papier gezei<strong>ch</strong>net hat, drängt si<strong>ch</strong> die Frage auf, ob<br />

si<strong>ch</strong> Kreise au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>neiden dürfen. Wenn wir unseren eigenen Spielregeln folgen wollen,<br />

können wir sie selbstverständli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> als si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>neidend arrangieren. <strong>Die</strong> Definition <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung besagt jedo<strong>ch</strong>, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung perfekt beinhaltet. Also muss au<strong>ch</strong><br />

ein Kreis entwe<strong>der</strong> außerhalb o<strong>der</strong> innerhalb eines an<strong>der</strong>en Kreises stehen. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung als Zwei-Seiten-<strong>Form</strong> ist simpler als zum Beispiel Mengenlehre. Denn<br />

selbstverständli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>neiden si<strong>ch</strong> Mengen in <strong>der</strong> Mengenlehre, darin besteht gerade eine<br />

ihrer Funktionen. Au<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung wird die Mögli<strong>ch</strong>keit hervorbringen, si<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>nei¬dende Mengen zu repräsentieren. Wir sind aber no<strong>ch</strong> ganz am Anfang und haben<br />

zunä<strong>ch</strong>st nur die Mögli<strong>ch</strong>keit, Kreise ineinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> nebeneinan<strong>der</strong> zu stellen.<br />

<strong>Die</strong> Kreise auf dem Papier, die wir formbildend gezei<strong>ch</strong>net haben, werden in <strong>der</strong><br />

mathematis<strong>ch</strong>en Darstellung vereinfa<strong>ch</strong>t. Zum Beispiel wird die Größe eines Kreises ni<strong>ch</strong>t<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt – und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, ob es wirkli<strong>ch</strong> ein Kreis ist. Ents<strong>ch</strong>eidend ist ledigli<strong>ch</strong> die<br />

ges<strong>ch</strong>lossene Grenze zwis<strong>ch</strong>en zwei Seiten. Insofern spielt es für die formale Darstellung<br />

au<strong>ch</strong> keine Rolle, ob si<strong>ch</strong> die Kreise über- o<strong>der</strong> untereinan<strong>der</strong> befinden o<strong>der</strong> in wel<strong>ch</strong>er<br />

Reihenfolge sie auftreten. Für die mathematis<strong>ch</strong>e Darstellung des Indikationenkalküls wird<br />

dann später vereinfa<strong>ch</strong>end in Zeilenform ges<strong>ch</strong>rieben, denn damit kann die wesentli<strong>ch</strong>e<br />

innen/außen Unters<strong>ch</strong>eidung repräsentiert werden, ohne dass die Information <strong>der</strong><br />

Markierung verloren ginge.<br />

Na<strong>ch</strong> meiner Erfahrung ma<strong>ch</strong>t es einen erhebli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ied, ob man einfa<strong>ch</strong> weiter liest<br />

o<strong>der</strong> ob man <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> nä<strong>ch</strong>sten Seite folgt und selbst Kreise zei<strong>ch</strong>net.<br />

Später kann die Anordnung <strong>der</strong> Kreise in die Symbolik des Indikationenkalküls überführt und<br />

ans<strong>ch</strong>ließend <strong>der</strong>en Wert bestimmt werden. <strong>Die</strong>s als Motivation, trotz allem zum Stift zu<br />

greifen und die Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung ernst zu nehmen.<br />

27


Raum (empty space) für eigene Unters<strong>ch</strong>eidungen/Kreise:<br />

Zei<strong>ch</strong>nen Sie einfa<strong>ch</strong> nur die Kreisumfänge. Zei<strong>ch</strong>nen Sie sie na<strong>ch</strong> Belieben groß o<strong>der</strong> klein,<br />

ineinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> nebeneinan<strong>der</strong> – nur lassen sie es immer ges<strong>ch</strong>lossene Linien sein<br />

(kreisähnli<strong>ch</strong>e Figuren sind am übersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>sten).<br />

2. Kapitel: <strong>Form</strong>en, <strong>der</strong> <strong>Form</strong> entnommen<br />

<strong>Die</strong> Anweisung und die Markierung<br />

<strong>Die</strong> Darstellung des Indikationenkalküls begann George Spencer Brown mit <strong>der</strong> Einführung<br />

<strong>der</strong> Ideen <strong>der</strong> Anzeige und <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und er for<strong>der</strong>t nun konstruktiv anweisend die<br />

Lesenden auf:<br />

„Triff eine Unters<strong>ch</strong>eidung. Nenne sie die erste Unters<strong>ch</strong>eidung.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

3)<br />

Wie George Spencer Brown dur<strong>ch</strong> die Erwähnung <strong>der</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung<br />

hervorhebt, sind sowohl Unters<strong>ch</strong>eidung als au<strong>ch</strong> Anzeige ni<strong>ch</strong>ts, was an si<strong>ch</strong> vorhanden<br />

wäre, also ohne jemanden, <strong>der</strong> sie trifft und gebrau<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong>s betonend s<strong>ch</strong>reibt George<br />

Spencer Brown entgegen dem übli<strong>ch</strong>en mathematis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t „Es sei eine<br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dung“. Vielmehr manifestiert si<strong>ch</strong> in dem Gebrau<strong>ch</strong> des Imperativs, mit dem<br />

George Spencer Brown startet, au<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> die erkenntnistheore¬tis<strong>ch</strong>e Umstellung von<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung von Dingen auf Beoba<strong>ch</strong>tung von Differenzen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter gebrau<strong>ch</strong>t.<br />

Ni<strong>ch</strong>ts wird als unabhängig vom Beoba<strong>ch</strong>ter angesehen. Vom Standpunkt des Kalküls, also<br />

ohne Berücksi<strong>ch</strong>tigung des Vorwortes zur Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung, ist diese<br />

Einsi<strong>ch</strong>t hier allerdings no<strong>ch</strong> latent und wird erst im 12. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> explizit (vgl.<br />

den Abs<strong>ch</strong>nitt I. 5., S. 102ff.).<br />

Da wir etwas weiter unten feststellen werden, dass die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung für jede<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung identis<strong>ch</strong> ist, stellt si<strong>ch</strong> die Frage, warum die erste von allen an<strong>der</strong>en<br />

unters<strong>ch</strong>ieden wird, indem sie als einzige einen speziellen Namen bekommt. Was ist mit <strong>der</strong><br />

ersten Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, die allen an<strong>der</strong>en vorausgeht, gemeint? <strong>Die</strong>se Frage wird im 12.<br />

Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> wie<strong>der</strong> aufgegriffen. An dieser Stelle dient die Auszei<strong>ch</strong>nung<br />

ledigli<strong>ch</strong> als Bezugspunkt: man kann auf die erste Unter¬s<strong>ch</strong>eidung verweisen. Im<br />

Folgenden wird es die „erste Unters<strong>ch</strong>eidung“ sein, die den Wert hervorbringt, mit dem im<br />

Kalkül gere<strong>ch</strong>net wird (vgl. den Abs<strong>ch</strong>nitt „Ausdruck und Wert“, S. 55f.).<br />

In den folgenden Sätzen <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> werden die allgemeinen Begriffe Raum und<br />

Zweck bestimmt.<br />

„Nenne den Raum, in dem sie [die Unters<strong>ch</strong>eidung; F. L.] getroffen wird, den Raum, <strong>der</strong><br />

dur<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung geteilt o<strong>der</strong> gespalten wird.“ (SPENCER BROWN 1997: 3)<br />

Eine Unters<strong>ch</strong>eidung teilt immer eine Einheit, sie wird hier Raum genannt. Mit Raum ist ni<strong>ch</strong>t<br />

die alltägli<strong>ch</strong>e, umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bedeutung gemeint, die mit Dimension und Entfernung<br />

zusammenhängt. Raum ist dur<strong>ch</strong> das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung bestimmt:<br />

„Nenne die Teile des Raumes, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> die Teilung o<strong>der</strong> Spaltung gebildet wird, die Seiten<br />

<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung o<strong>der</strong> wahlweise die Räume, Zustände o<strong>der</strong> Inhalte, die dur<strong>ch</strong> die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>ieden werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 3) [Hervorhebung: F.<br />

L.]<br />

28


<strong>Die</strong> Teile o<strong>der</strong> Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung werden au<strong>ch</strong> wie<strong>der</strong> Räume genannt. Ein Raum ist<br />

also dadur<strong>ch</strong> gegeben, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung bringt<br />

zunä<strong>ch</strong>st einmal zwei Räume hervor: den angezeigten und den unangezeigten – eben die<br />

beiden Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung. Zudem wird die Unters<strong>ch</strong>eidung in einem weiteren<br />

Raum getroffen.<br />

Unter Vorgriff auf die Idee einer Markierung, die erst ein paar Sätze später als Markierung<br />

einer Unters<strong>ch</strong>eidung eingeführt wird, kommt George Spencer Brown zu dem Begriff des<br />

Zwecks, <strong>der</strong> für den ersten Kanon, den wir s<strong>ch</strong>on kennen gelernt haben, notwendig ist.<br />

„Lass jegli<strong>ch</strong>e Markierung, jegli<strong>ch</strong>es Token o<strong>der</strong> Zei<strong>ch</strong>en zusammen mit <strong>der</strong>, o<strong>der</strong> in Bezug<br />

auf die Unters<strong>ch</strong>eidung als ein Signal aufgefasst werden. Nenne die Verwendung eines<br />

jegli<strong>ch</strong>en Signals dessen Zweck.“ (SPENCER BROWN 1997: 3)<br />

Jedes Zei<strong>ch</strong>en ist ein Signal, wenn man seine Bedeutung kennt bzw. wenn man ihm<br />

Bedeutung zus<strong>ch</strong>reiben kann. Bu<strong>ch</strong>staben o<strong>der</strong> Wörter sind Beispiele für Signale, <strong>der</strong>en<br />

Verwendung selbstverständli<strong>ch</strong> für uns ist; wir wissen, was gemeint ist. <strong>Die</strong> Verwendung<br />

eines Signals ist <strong>der</strong> Zweck eines Signals. Mit diesem Zei<strong>ch</strong>en bezwecke i<strong>ch</strong> dies, mit einem<br />

an<strong>der</strong>en an<strong>der</strong>es. Und dann lässt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reiben, dass in bestimmten Situa¬tionen<br />

die Ni<strong>ch</strong>t-Verwendung eines Zei<strong>ch</strong>ens zweckhaft sein kann.<br />

Der Indikationenkalkül umfasst – wie jede mathematis<strong>ch</strong>e Theorie – au<strong>ch</strong> „Gesetze“, die<br />

außerhalb <strong>der</strong> Bere<strong>ch</strong>nung, also außerhalb eines Kalküls stehen. Dabei handelt es si<strong>ch</strong> um<br />

allgemeine Grundprinzipien, die die Kalkulation selbst regeln. George Spencer Brown nennt<br />

sol<strong>ch</strong>e Gesetze „Kanon“ . Der erste Kanon, die so genannte Vereinbarung über die Absi<strong>ch</strong>t,<br />

ist ein fundamentaler Kanon für jede mathematis<strong>ch</strong>e Darstellung:<br />

„Lass den Zweck eines Signals auf dessen erlaubte Verwendung bes<strong>ch</strong>ränkt sein. (...) Was<br />

ni<strong>ch</strong>t erlaubt ist, ist verboten.“ (SPENCER BROWN 1997: 3)<br />

<strong>Die</strong>ser Kanon wurde oben s<strong>ch</strong>on erwähnt. Im Grunde ist er trivial und selbstverständli<strong>ch</strong> für<br />

eine jede präzise mathematis<strong>ch</strong>e Abhandlung. Ein Signal darf nur für den Zweck gebrau<strong>ch</strong>t<br />

werden, für den es eingeführt und erlaubt wurde. Wir könnten den Kanon au<strong>ch</strong> „Gesetz <strong>der</strong><br />

Präzision“ nennen. Er ist fundamental für jede Mathematik, wennglei<strong>ch</strong> zumeist nur implizit,<br />

indem er unerwähnt verwandt wird. Er ist die Regel, die not¬wendig ist, um zu verhin<strong>der</strong>n,<br />

dass vage o<strong>der</strong> abhängig von Meinung wird, wel<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>en- und Beweiss<strong>ch</strong>ritte zulässig<br />

sind. Man wüsste ohne den ersten Kanon ni<strong>ch</strong>t, was mögli<strong>ch</strong>, was erlaubt ist – alles<br />

Mögli<strong>ch</strong>e und Unmögli<strong>ch</strong>e wäre erlaubt. Für uns, die wir den Kalkül erkunden, bedeutet das:<br />

Man darf nur tun, was eingeführt und erlaubt wurde. Solange etwas ni<strong>ch</strong>t erlaubt ist, weil<br />

man es (no<strong>ch</strong>) ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>tfertigen kann, ist es ver¬boten.<br />

Für die formale Darstellung benötigt <strong>der</strong> Kalkül ein Symbol für das Treffen einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Mit ihm soll angezeigt werden, dass zwei Seiten voneinan<strong>der</strong> getrennt<br />

wurden und dass die eine angezeigt wird. <strong>Die</strong> Markierung, die George Spencer Brown<br />

einführt, ist minimalistis<strong>ch</strong>: ein senkre<strong>ch</strong>ter Stri<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet zwei Seiten, also re<strong>ch</strong>ts und<br />

links vom Stri<strong>ch</strong>, ein waagere<strong>ch</strong>ter, oben an dem senkre<strong>ch</strong>ten ans<strong>ch</strong>ließen<strong>der</strong> und na<strong>ch</strong> links<br />

geri<strong>ch</strong>teter Stri<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net die angezeigte und ni<strong>ch</strong>t die an<strong>der</strong>e Seite.<br />

<strong>Die</strong> Markierung bzw. das cross, das gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> als „Token“ bezei<strong>ch</strong>net wird, ist eine<br />

abkürzende S<strong>ch</strong>reibweise für einen Kreis. Der senkre<strong>ch</strong>te Stri<strong>ch</strong> trennt die linke von <strong>der</strong><br />

re<strong>ch</strong>ten Seite; in einem ges<strong>ch</strong>rie¬benen Text trennt man damit zum Beispiel Worte o<strong>der</strong><br />

Bu<strong>ch</strong>staben vonein¬an<strong>der</strong>. Der waagere<strong>ch</strong>te Stri<strong>ch</strong> im cross markiert die angezeigte Seite<br />

einer Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong> Markierung <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung kennzei<strong>ch</strong>net einen Zustand o<strong>der</strong><br />

Raum, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>ieden wurde. Das heißt, ein cross markiert<br />

einen Raum: den Raum, in dem es steht. Um den Raum zu markieren, wird eine Grenze in<br />

ihm gezogen und eine <strong>der</strong> dadur<strong>ch</strong> bedingten Seiten angezeigt. Das Verhältnis von Raum<br />

29


und Seite ist analog zu <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Systemtheorie bekannten Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong><br />

und Medium, auf die wir glei<strong>ch</strong> zu spre<strong>ch</strong>en kommen.<br />

Den markierten Zustand o<strong>der</strong> Raum identifizieren wir mit dem Vorhan¬densein <strong>der</strong><br />

Markierung und damit mit dem Getroffensein <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ei¬dung, den unmarkierten mit <strong>der</strong><br />

Abwesenheit von beidem. Wir brau<strong>ch</strong>en also nur eines (die Markierung <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung),<br />

um in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>ali¬sierung zweierlei zu haben, die Anwesenheit o<strong>der</strong> die Abwesenheit einer<br />

Markierung. Deshalb benötigen wir nur ein Symbol, obwohl wir zwei Zustände voneinan<strong>der</strong><br />

unters<strong>ch</strong>ieden haben. Zudem wird au<strong>ch</strong> keine Unter-s<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Operator und<br />

Operand gema<strong>ch</strong>t. In diesem Zusam¬menhang deutet si<strong>ch</strong> an, dass das cross ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong><br />

Negation entspri<strong>ch</strong>t, denn eine Negation benötigt stets eine Position (vgl. in II. 1. den<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt zur Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en cross und Negation, S. 122f.). <strong>Die</strong> Markierung<br />

hingegen ist die eine Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung „markiert bzw. getroffen“ und „unmarkiert<br />

bzw. ni<strong>ch</strong>t getroffen“.<br />

Der Grund dafür, dass bisherige Mathematik ihren Ursprung ni<strong>ch</strong>t finden konnte (mehr dazu<br />

im „Exkurs in den mathematik-ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zusammenhang“ in Kapitel II., S. 114ff.),<br />

s<strong>ch</strong>eint in <strong>der</strong> Tat zu sein, dass bislang stets zwei Namen für die beiden (gegensätzli<strong>ch</strong>en)<br />

Zustände herangezogen wurden: a und non-a. In den Laws of <strong>Form</strong> ist eine Seite markiert<br />

(hat einen Namen), die an<strong>der</strong>e bleibt unmarkiert und hat zwar den Namen „unmar¬kiert“, so<br />

dass darüber geredet werden kann, hat jedo<strong>ch</strong> innerhalb des Kalküls kein Symbol. <strong>Die</strong><br />

Abwesenheit eines Symbols wird als <strong>der</strong> Name des unmarkierten Zustandes gebrau<strong>ch</strong>t.<br />

Wenn man (an einer Stelle) in einem Ausdruck keinen Namen findet, weiß man, dass dort<br />

<strong>der</strong> unmarkierte Zustand ist. Das heißt, man benötigt kein zweites Symbol.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong><br />

Da si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> <strong>Form</strong> in den Laws of <strong>Form</strong> über den Begriff <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

ers<strong>ch</strong>ließt, haben wir zunä<strong>ch</strong>st die Unters<strong>ch</strong>eidung betra<strong>ch</strong>tet. Nun wird <strong>der</strong> <strong>Form</strong>begriff<br />

bestimmt. Für ihn gilt: Haben wir eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen, können wir ihre „Struktur“<br />

als <strong>Form</strong> bezei<strong>ch</strong>nen:<br />

„Nenne den Raum, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> jedwede Unters<strong>ch</strong>eidung gespalten wurde, zusammen mit dem<br />

gesamten Inhalt des Raumes die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. Nenne die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> ersten<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung die <strong>Form</strong>.“ (SPENCER BROWN 1997: 4)<br />

Das heißt, dass von <strong>Form</strong> gespro<strong>ch</strong>en wird, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird. Im<br />

ersten Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> hatte George Spencer Brown die <strong>Form</strong> als die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung statt als <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Anzeige bestimmt. Nun findet diese Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

Ausdruck in <strong>der</strong> Benen¬nung <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Zudem wird als weitere Differenzierung angegeben,<br />

die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung als die <strong>Form</strong> zu bezei<strong>ch</strong>nen. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> wird in jede<br />

weitere Unters<strong>ch</strong>eidung kopiert, so dass neue <strong>Form</strong>en ent¬stehen, die mit <strong>der</strong><br />

ursprüngli<strong>ch</strong>en „<strong>der</strong> <strong>Form</strong> na<strong>ch</strong>“ identis<strong>ch</strong> sind. Es gibt nur eine <strong>Form</strong>: die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ei¬dung ist für jede Unters<strong>ch</strong>eidung dieselbe, sie ist<br />

immer Zwei-Seiten-<strong>Form</strong>, wobei die eine Seite angezeigt ist. Wenn wir vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen (vorstellend, ni<strong>ch</strong>t treffend) verglei<strong>ch</strong>en, so ist <strong>Form</strong> das allen<br />

Gemeinsame, und unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> sind sie, weil sie Vers<strong>ch</strong>iedenes anzeigen bzw.<br />

bezei<strong>ch</strong>nen. Das heißt, in dem, was eine Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>eidet, unters<strong>ch</strong>eidet sie<br />

si<strong>ch</strong> von allen an<strong>der</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidungen; und darin, in wel<strong>ch</strong>er <strong>Form</strong> sie unters<strong>ch</strong>eidet, ist<br />

sie mit allen Unters<strong>ch</strong>eidungen identis<strong>ch</strong> (vgl. BAECKER 2002: 70). Da also jede<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung die glei<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong> hat, ist es glei<strong>ch</strong>gültig, mit wel<strong>ch</strong>er Unters<strong>ch</strong>eidung wir<br />

beginnen. Sie ist nur die erste Unters<strong>ch</strong>eidung und unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> ansonsten von keiner<br />

an<strong>der</strong>en.<br />

30


<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> ist <strong>der</strong> Raum, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> jedwede Unters<strong>ch</strong>eidung gespalten wurde, zusammen mit<br />

dem gesamten Inhalt, den beiden Seiten und <strong>der</strong> Grenze zwis<strong>ch</strong>en ihnen. Der Spencer<br />

Browns<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>begriff bringt also s<strong>ch</strong>on insofern Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit mit si<strong>ch</strong>, als er beides,<br />

die beiden Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung und die Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung (Raum), in <strong>der</strong><br />

diese Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird, zusammenbringt. Je<strong>der</strong> Raum ist eine Seite einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und eine Unters<strong>ch</strong>eidung wird in einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung (einer ihrer<br />

Seiten) getroffen. Au<strong>ch</strong> oben hatten wir s<strong>ch</strong>on erkannt, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung in einem<br />

„Raum“ getroffen wird und diesen in „Räume“ unterteilt. Wenn man so will, umfasst <strong>der</strong><br />

<strong>Form</strong>-begriff alle drei Räume eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> einer Grenze. <strong>Die</strong>se vier „Elemente“ <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

bilden eine Zusammengehörigkeit in dem Sinne, dass aus ange¬zeigter Seite, unangezeigter<br />

Seite, ihrer Grenze und dem umfassenden Raum ni<strong>ch</strong>ts entfernt werden kann, ohne die<br />

<strong>Form</strong> zu zerstören. Mit <strong>der</strong> Elimination von einem dieser Vier vers<strong>ch</strong>winden au<strong>ch</strong> die<br />

an<strong>der</strong>en. Das führt insbeson<strong>der</strong>e zu dem S<strong>ch</strong>luss, dass etwas, eine Einheit, für si<strong>ch</strong> selbst –<br />

also unabhängig – ni<strong>ch</strong>t existieren kann (siehe dazu den erkenntnis¬theoretis<strong>ch</strong>en Teil<br />

dieses Textes). Denn sobald jemand etwas – das kann ein Ding, ein Gedanke, eine Idee wie<br />

die Idee einer Unters<strong>ch</strong>eidung etc. sein, eben etwas, was als ein Etwas erkannt wird – als<br />

das erkennt, als was er es erkennt, trifft er o<strong>der</strong> sie eine Unters<strong>ch</strong>eidung, indem eben eine<br />

Seite angezeigt wird, und damit ganz unbeoba<strong>ch</strong>tbar nebenher die ni<strong>ch</strong>t ange¬zeigte Seite<br />

sowie die Grenze zwis<strong>ch</strong>en den Seiten erzeugt o<strong>der</strong> mitbedingt wird. Den vierten o<strong>der</strong><br />

mithervorgerufenen Aspekt des umfassenden Raumes kann man au<strong>ch</strong> als Kontext des<br />

Standpunktes bezei<strong>ch</strong>nen. Es ist <strong>der</strong> Raum, in dem die Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung stehen<br />

(wenn wir es aufzei<strong>ch</strong>nen).<br />

In dieser grafis<strong>ch</strong>en Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ung erkennen wir den Innenraum des Kreises, den ihn<br />

umgebenden Raum und den gesamten Raum (innerhalb des Quadrats), <strong>der</strong> die beiden<br />

ersten Räume umfasst (und <strong>der</strong> seinerseits als Raum, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> eine weitere<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung von einem an<strong>der</strong>en Raum getrennt wurde, aufgefasst werden kann).<br />

Entspre<strong>ch</strong>end heißt es bei George Spencer Brown:<br />

„Lass jedes Token <strong>der</strong> Markierung so verstanden werden, dass es den Raum, in den es<br />

kopiert wird, spaltet. Das heißt, lass jedes Token eine Unters<strong>ch</strong>eidung in seiner eigenen<br />

<strong>Form</strong> sein.“ (SPENCER BROWN 1997: 5)<br />

Das meint, dass nur eine Art (<strong>Form</strong>) <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung angenommen wird, denn jede<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung hat na<strong>ch</strong> dieser Anweisung die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung. Des<br />

Weiteren ergibt si<strong>ch</strong>, dass wir zu dem Begriff <strong>der</strong> <strong>Form</strong> (zunä<strong>ch</strong>st) kein Gegenüber, keine<br />

an<strong>der</strong>e Seite finden können, da wir dazu eine Unters<strong>ch</strong>eidung gebrau<strong>ch</strong>en müssten und<br />

diese na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Definition wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> wäre. Jede Unters<strong>ch</strong>eidung ist eine Trennung<br />

<strong>der</strong> Welt in zwei Seiten und jedes Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung erzeugt <strong>Form</strong>. Mit je<strong>der</strong><br />

Gegenüberstellung würde man wie<strong>der</strong> eine <strong>Form</strong> s<strong>ch</strong>affen, die <strong>Form</strong> von <strong>Form</strong> und Ni<strong>ch</strong>t-<br />

<strong>Form</strong>, wie au<strong>ch</strong> immer Ni<strong>ch</strong>t-<strong>Form</strong> benannt würde.<br />

Im Gegensatz zur aristotelis<strong>ch</strong>en, s<strong>ch</strong>olastis<strong>ch</strong>en und ästhetis<strong>ch</strong>en Tradition, die dem<br />

<strong>Form</strong>begriff die Differenzbegriffe Materie, Substanz und Inhalt gaben, besitzt für den<br />

Spencer Browns<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>begriff ledig¬li<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriff des „Mediums“ von Fritz Hei<strong>der</strong><br />

(siehe HEIDER 1926: Ding und Medium) als Gegenbegriff (zu <strong>Form</strong>) Überzeugungskraft. Er<br />

bes<strong>ch</strong>reibt die unverfügbaren Voraussetzungen je<strong>der</strong> <strong>Form</strong>bildung, den Kontext <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Das Medium stellt den Hintergrund dar, auf dem <strong>Form</strong>en entstehen. Man<br />

denke an Fußabdrücke (<strong>Form</strong>) im Sand (Medium) o<strong>der</strong> an Worte (<strong>Form</strong>), die aus<br />

Bu<strong>ch</strong>staben (Medium) gebildet werden. In dieser Hinsi<strong>ch</strong>t ist <strong>der</strong> Begriff des Mediums ein<br />

Gegenbegriff zu <strong>Form</strong>. Wenn man so will, werden Unters<strong>ch</strong>eidungen formbildend getroffen in<br />

einem Medium, das dies zulässt. Der Unters<strong>ch</strong>ied ist jedo<strong>ch</strong> kein fester, gesetzter, absoluter,<br />

eher ein loser, operativer, relativer, da er den Stand¬punkt <strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>reibung betrifft, von<br />

dem aus unters<strong>ch</strong>ieden wird; das meint die Ebene, auf <strong>der</strong> man si<strong>ch</strong> befindet. Denn: Au<strong>ch</strong><br />

31


das Medium ist wie<strong>der</strong> eine Seite einer <strong>Form</strong> und ebenso kann jede <strong>Form</strong> ein Medium für<br />

weitere <strong>Form</strong>en sein. Man denke an S<strong>ch</strong>rittmuster (<strong>Form</strong>) am Strand, die aus Fußabdrücken<br />

(Medium) bestehen o<strong>der</strong> an Sätze (<strong>Form</strong>), die aus Worten (Medium) gebildet werden. Das<br />

zeigt ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>, dass <strong>der</strong> Begriff „Medium“ im strengen Wortsinne kein Gegenbegriff zu<br />

„<strong>Form</strong>“ ist, son<strong>der</strong>n „<strong>Form</strong>“ und „Medium“ dafür eingesetzt werden, Ebenen vonein¬an<strong>der</strong> zu<br />

unters<strong>ch</strong>eiden. Das Medium stellt im weitesten Sinne den Raum dar o<strong>der</strong> die Substanz, in<br />

o<strong>der</strong> aus o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> <strong>Form</strong>en gebildet werden können. Dabei ist das Medium ni<strong>ch</strong>t als eine<br />

o<strong>der</strong> als die Ursa<strong>ch</strong>e für <strong>Form</strong>en zu denken. Vielmehr stellt das Medium eine Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />

<strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>en dar. Medien bes<strong>ch</strong>ränken, wel<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>en „in ihnen“ o<strong>der</strong> „dur<strong>ch</strong> sie“<br />

entstehen können; als diese Eins<strong>ch</strong>ränkung ist ein Medium ni<strong>ch</strong>t Ursa<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> <strong>Form</strong>en<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en Voraussetzung (siehe BAECKER 1999: 175).<br />

Der <strong>Form</strong>begriff des Indikationenkalküls umfasst den Raum, in dem die beiden Seiten <strong>der</strong><br />

dort getroffenen Unters<strong>ch</strong>eidung stehen. Insofern ist <strong>der</strong> Begriff des Mediums als<br />

Ergänzungsbegriff – statt als Gegensatzbegriff – zu <strong>Form</strong> zu verstehen, <strong>der</strong> die<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung von <strong>Form</strong> und insbeson<strong>der</strong>e von konkreten <strong>Form</strong>en in ihrem Zusammenhang<br />

erlei<strong>ch</strong>tert (in dem erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil wird „Leere“ (empty space) als Gegenbegriff<br />

zu <strong>Form</strong> erprobt).<br />

Ausdruck und Wert<br />

Indem die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung kopiert wird, erhalten wir eine zweite <strong>Form</strong>, die<br />

unters<strong>ch</strong>ieden von <strong>der</strong> ersten ist. Sie ist nur unters<strong>ch</strong>ieden dadur<strong>ch</strong>, dass sie eine an<strong>der</strong>e,<br />

eine weitere ist, die jedo<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Form</strong> na<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> ersten identis<strong>ch</strong> ist. Es werden<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen unters<strong>ch</strong>ieden und wir befinden uns weiterhin in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Jede Kopie <strong>der</strong><br />

Markierung nehmen wir als Zei<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> Symbol für den markierten Zustand. Damit erhalten<br />

wir über die An- o<strong>der</strong> Abwesenheit einer Markierung die Unter-s<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

unmarkiertem und markiertem Zustand. Das Zei<strong>ch</strong>en kann als Name herangezogen werden,<br />

<strong>der</strong> den markierten Zustand anzeigt.<br />

Unter einem Arrangement verstehen wir die <strong>Form</strong> einer Anzahl von crosses, die <strong>der</strong><br />

Bedingung genügt, dass vers<strong>ch</strong>iedene crosses aufeinan<strong>der</strong> bezogen werden bzw.<br />

zusammen stehen. Das heißt, dass Markierungen ineinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> nebeneinan<strong>der</strong> stehen.<br />

Wenn wir also ein Blatt Papier mit Kreisen versehen haben und in die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Markierung<br />

<strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung ( ) bringen, nennen wir dies ein Arrangement.<br />

Raum für die Übersetzung <strong>der</strong> oben (Seite 47) gezei<strong>ch</strong>neten Kreise:<br />

Wenn ein Arrangement von Markierungen insgesamt als eine Anzeige gemeint ist, also<br />

entwe<strong>der</strong> den markierten o<strong>der</strong> unmarkierten Zustand anzeigt, nennt George Spencer Brown<br />

es Ausdruck.<br />

<strong>Die</strong>s führt zu einem zentralen Konzept eines jeden Kalküls, <strong>der</strong> Leit¬unters<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong><br />

Bere<strong>ch</strong>nungen: dem Wert. Den Wertbegriff hatten wir im Zusammenhang mit dem Nennen<br />

des Namens und dem Kreuzen <strong>der</strong> Grenze kennen gelernt (vgl. in I. 1. den Abs<strong>ch</strong>nitt „<strong>Die</strong><br />

Axiome“, S. 41f.). Nun wird die Verbindung des Wertes mit beliebigen Ausdrücken<br />

herge¬stellt.<br />

„Nenne einen Zustand, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> einen Ausdruck bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] wird, den<br />

Wert des Ausdrucks.“ (SPENCER BROWN 1997: 4)<br />

Der Wert eines Ausdruckes ist damit entwe<strong>der</strong> markiert o<strong>der</strong> unmarkiert. Das heißt für den<br />

Mathematiker o<strong>der</strong> Logiker vor allem: Der Indikationen¬kalkül startet zweiwertig. <strong>Die</strong> Anzeige<br />

eines Zustandes kann mit dem Wert des Zustandes identifiziert werden, und daher meint <strong>der</strong><br />

32


Begriff Ausdruck, dass das Arrangement in Bezug auf seinen Wert betra<strong>ch</strong>tet wird, also<br />

daraufhin, ob <strong>der</strong> Ausdruck mit dem markierten o<strong>der</strong> mit dem unmarkierten Zustand<br />

identifiziert werden kann. <strong>Die</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en „markiert“ und „unmarkiert“ geht<br />

einher mit <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung. Wäre die erste Unters<strong>ch</strong>eidung beispielsweise die<br />

zwis<strong>ch</strong>en „gut“ und „s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t“, würden alle folgenden im Li<strong>ch</strong>te dieser Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

betra<strong>ch</strong>tet, wobei soweit no<strong>ch</strong> unbestimmt wäre, wel<strong>ch</strong>e Seite mit wel<strong>ch</strong>em Wert identifiziert<br />

wird. Für den Indikationenkalkül unters<strong>ch</strong>eidet die erste Unters<strong>ch</strong>eidung ganz allgemein<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem markierten und unmar¬kierten Zustand o<strong>der</strong> Wert, weshalb wir im Folgenden<br />

bezügli<strong>ch</strong> des Wertes gelegentli<strong>ch</strong> auf die erste Unters<strong>ch</strong>eidung zurückkommen.<br />

Dass ein beliebiges Arrangement überhaupt mit einem <strong>der</strong> beiden Zustände identifiziert<br />

werden kann, ist bis zu dieser Stelle im Kalkül no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erwiesen. Zu diesem Zweck<br />

werden die Axiome herangezogen und in eine dem Kalkül angepasste <strong>Form</strong> gebra<strong>ch</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> Grundglei<strong>ch</strong>ungen<br />

Mit <strong>der</strong> Einführung einer Markierung für einen (dur<strong>ch</strong> eine Unters<strong>ch</strong>ei¬dung)<br />

unters<strong>ch</strong>iedenen Zustand und <strong>der</strong> Einführung von Ausdrücken, die wir als die <strong>Form</strong> einer<br />

Anzahl von zusammenstehenden Markierungen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung auffassen, die als<br />

Anzeige beabsi<strong>ch</strong>tigt sind, können die beiden Axiome, die im ersten Kapitel entdeckt wurden,<br />

formalisiert werden. Dabei wird <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Äquivalenz für Glei<strong>ch</strong>ungen benötigt, in denen<br />

die Ausdrücke auf beiden Seiten des Äquivalenzzei<strong>ch</strong>ens den glei<strong>ch</strong>en Wert haben. <strong>Die</strong> zwei<br />

Seiten einer Glei<strong>ch</strong>ung, die beiden äquiva¬lenten Ausdrücke, sind unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>, können<br />

aber miteinan<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong> gesetzt werden, weil sie den glei<strong>ch</strong>en Wert haben. Äquivalenz<br />

bezieht si<strong>ch</strong> auf den Wert eines Ausdruckes.<br />

Nun werden die beiden Axiome aus dem ersten Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> in die folgenden<br />

<strong>Form</strong>en <strong>der</strong> „Kondensation“ und <strong>der</strong> „Aufhebung“ gebra<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> damit bezei<strong>ch</strong>neten<br />

Äquivalenzen von zwei Ausdrücken sind allgemeingültige <strong>Form</strong>en, die <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung entnommen sind. Für die formale Darstellung <strong>der</strong> Axiome ist zu<br />

bea<strong>ch</strong>ten, dass das Nennen als Nebeneinan<strong>der</strong> und das Kreuzen als Ineinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> zwei<br />

crosses interpretiert werden.<br />

„Nun folgt aus Axiom 1: =<br />

Nenne dies die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Kondensation.“ (SPENCER BROWN 1997: 4)<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Kondensation ist das Resultat <strong>der</strong> formalen (und symbo¬lis<strong>ch</strong>en) Umsetzung<br />

von „Wie<strong>der</strong>-Nennen ist Nennen“.<br />

„Lass jedes Token als Anweisung beabsi<strong>ch</strong>tigt sein, die Grenze <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zu kreuzen.“ (SPENCER BROWN 1997: 5)<br />

Das Token, also das Zei<strong>ch</strong>en für die Markierung einer Unters<strong>ch</strong>eidung, steht einerseits als<br />

Name für den markierten Zustand und an<strong>der</strong>erseits als Anweisung für die Kreuzung <strong>der</strong><br />

Grenze <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung. Wir hatten diese doppelte Bedeutung des cross s<strong>ch</strong>on im<br />

Zusammenhang <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung <strong>der</strong> Axiome des ersten Kapitels <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

betra<strong>ch</strong>¬tet. Nun wird sie formal ausgedrückt. Es betrifft die Grenze <strong>der</strong> ersten<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, weil wir nur eine <strong>Form</strong> haben; jedes cross ist eine Kopie dieser <strong>Form</strong>.<br />

Das Kreuzen hat au<strong>ch</strong> eine Ri<strong>ch</strong>tung:<br />

„Lass die Kreuzung von dem Zustand weg erfolgen, <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Innenseite des Tokens<br />

bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] ist. Lass die Übers<strong>ch</strong>reitung in den Zustand erfolgen, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong><br />

das Token bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] wird.“ (SPENCER BROWN 1997: 5)<br />

Haben wir eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen und ein cross ges<strong>ch</strong>rieben, bedeutet das, dass wir<br />

die Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung in Ri<strong>ch</strong>tung auf den Raum kreuzen, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> den<br />

33


markierten Zustand angezeigt ist, das heißt von <strong>der</strong> Innenseite des cross auf seine<br />

Außenseite, das ist <strong>der</strong> Raum, in dem das cross steht. Steht auf <strong>der</strong> Innenseite eine weitere<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, wird dieselbe Grenze erneut gekreuzt. Nun sind wir wie<strong>der</strong> im unmarkierten<br />

Zustand, dem Raum, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> das o<strong>der</strong> mit dem ersten cross angezeigt wird. <strong>Form</strong>al<br />

verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t wird dies dur<strong>ch</strong>:<br />

„Nun folgt aus Axiom 2: = .<br />

Nenne dies die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Aufhebung.“ (SPENCER BROWN 1997: 5)<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Aufhebung ist das Resultat <strong>der</strong> formalen Umsetzung von: „Wie<strong>der</strong>-Kreuzen ist<br />

ni<strong>ch</strong>t Kreuzen.“ Im Allgemeinen meint eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung zu treffen (hier also: ein cross<br />

zum Zwecke <strong>der</strong> Anzeige zu gebrau<strong>ch</strong>en), die Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung in Ri<strong>ch</strong>tung auf<br />

die Außen¬seite zu kreuzen, so dass die Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen ist. Wird die Grenze<br />

erneut gekreuzt, ist sie ni<strong>ch</strong>t mehr getroffen; das meint, dass das wie<strong>der</strong>¬holte Kreuzen den<br />

Wert des Zustandes än<strong>der</strong>t. Dur<strong>ch</strong> die Wie<strong>der</strong>holung kommt man wie<strong>der</strong> in den unmarkierten<br />

Raum, in den das erste cross ges<strong>ch</strong>rieben wurde.<br />

In den Anmerkungen zum zweiten Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> gibt George Spencer Brown<br />

eine Ableitung des zweiten Axioms an, die sehr einleu<strong>ch</strong>tend ist, für die aber die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Substitution benötigt wird, die bisher no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gere<strong>ch</strong>tfertigt wurde (siehe SPENCER<br />

BROWN 1969: 71f.). Im Haupttext kommt diese Erläuterung deshalb ni<strong>ch</strong>t vor. Ganz<br />

allgemein gilt, dass immer eine Seite einer Grenze markiert und die an<strong>der</strong>e unmar¬kiert ist.<br />

Wenn wir das mit einer Markierung m verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en, ergeben si<strong>ch</strong> die beiden folgenden<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten: Wenn <strong>der</strong> Raum innerhalb eines crosses <strong>der</strong> markierte ist, so ist <strong>der</strong> Raum<br />

außerhalb <strong>der</strong> unmarkierte, und umgekehrt: Wenn <strong>der</strong> Raum außerhalb des cross markiert<br />

ist, ist <strong>der</strong> Raum innerhalb unmarkiert. Das heißt (indem wir m für markiert stehen lassen): m<br />

= . und = m. Aus dem Einsetzen <strong>der</strong> zweiten Glei<strong>ch</strong>ung in die erste folgt das zweite<br />

Axiom.<br />

<strong>Die</strong> beiden <strong>Form</strong>en <strong>der</strong> Kondensation und <strong>der</strong> Aufhebung ergeben si<strong>ch</strong> aus dem Treffen<br />

einer zweiten Unters<strong>ch</strong>eidung auf entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Außen- o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Innenseite einer ersten<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong>se <strong>Form</strong>en werden in dem Indikationenkalkül als primitive Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

bezei<strong>ch</strong>net, da sie ursprüngli<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung abgeleitet wurden und die<br />

grundlegendsten und einfa<strong>ch</strong>sten sind. In diesem Text werden sie „Grundglei<strong>ch</strong>ungen“<br />

genannt. Aus o<strong>der</strong> mit ihnen werden später kompli-ziertere Glei<strong>ch</strong>ungen gefunden.<br />

Der markierte und <strong>der</strong> unmarkierte Zustand werden als die beiden einzi¬gen einfa<strong>ch</strong>en (o<strong>der</strong><br />

primitiven) Ausdrücke bezei<strong>ch</strong>net. Da ein komplizier¬terer Ausdruck au<strong>ch</strong> eindeutig mit<br />

einem Wert identifiziert werden kann, können wir jeden beliebigen Ausdruck als eine<br />

(komplizierte) Unters<strong>ch</strong>ei¬dung auffassen.<br />

Das cross<br />

<strong>Die</strong> Markierung <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung erhält einen Namen, den wir in diesem Text s<strong>ch</strong>on<br />

verwendet haben und <strong>der</strong> wegen seiner Doppeldeutigkeit dem Umstand gere<strong>ch</strong>t wird, dass<br />

die Markierung au<strong>ch</strong> als Anweisung verstan¬den wird, die Grenze zu kreuzen.<br />

„Wir sehen nun, dass, wenn ein Zustand bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] werden kann, indem<br />

man ein Token als Namen gebrau<strong>ch</strong>t, er bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] werden kann, indem<br />

man das Token als Anweisung vereinbarungsgemäß gebrau<strong>ch</strong>t. Jedes Token kann daher als<br />

Anweisung für die Operation einer Absi<strong>ch</strong>t aufgefasst werden und ihm kann selbst ein Name<br />

gegeben werden, cross, um zu bezei<strong>ch</strong>nen [anzuzeigen; F. L.], was beabsi<strong>ch</strong>tigt ist.“<br />

(SPENCER BROWN 1997: 6)<br />

34


Das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung – und damit <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> einer Anzeige o<strong>der</strong> eines<br />

Namens und das Kreuzen einer Grenze – ist damit die einzige Operation, die im Kalkül<br />

verwendet wird. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung ist die einzig zugelassene, und innerhalb des<br />

Kalküls finden wir keinen Weg, die <strong>Form</strong> zu verlassen, wir stoßen immer wie<strong>der</strong> auf die<br />

<strong>Form</strong>. Deshalb ist Be-Inhaltung die einzige Relation, die <strong>der</strong> Kalkül benötigt:<br />

„Na<strong>ch</strong>dem wir ents<strong>ch</strong>ieden haben, dass die <strong>Form</strong> jedes Tokens, das cross genannt wird,<br />

vollkommen in si<strong>ch</strong> selbst enthalten sein muss, haben wir nur eine Art <strong>der</strong> Relation zwis<strong>ch</strong>en<br />

Kreuzen gestattet: Be-Inhaltung. Lass den Zweck dieser Relation so einges<strong>ch</strong>ränkt sein,<br />

dass es heißt, ein cross beinhalte das, was auf seiner Innenseite ist, und beinhalte das ni<strong>ch</strong>t,<br />

was auf seiner Außenseite ist.“ (SPENCER BROWN 1997: 6)<br />

Dur<strong>ch</strong> das Kopieren von crosses in und neben an<strong>der</strong>e werden komplizier¬tere Ausdrücke<br />

erzeugt. <strong>Die</strong> Markierung legt fest, was beinhaltet ist und was ni<strong>ch</strong>t.<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Tiefe eines Raumes wird in <strong>der</strong> Folge eine Hilfe sein, bestimmte<br />

Sa<strong>ch</strong>verhalte bes<strong>ch</strong>reiben zu können. Um die Tiefe des Raumes festzustellen, in dem ein<br />

beliebiger Ausdruck steht, zählt man von außen, wie viele Grenzen maximal übers<strong>ch</strong>ritten<br />

werden können (siehe SPENCER BROWN 1997: 17).<br />

4 4 3 3 2 3 2 1 0<br />

Der tiefste Raum dieses Ausdruckes hat die Tiefe vier, <strong>der</strong> sei<strong>ch</strong>teste Raum eines jeden<br />

Ausdruckes hat die Tiefe null. Der Raum <strong>der</strong> Tiefe Null ist <strong>der</strong> Raum, in dem <strong>der</strong> Ausdruck<br />

als ganzer steht.<br />

Mit Hilfe des Konzeptes <strong>der</strong> Tiefe kann au<strong>ch</strong> formuliert werden, was die ganze Zeit s<strong>ch</strong>on<br />

gewusst und benutzt wurde: Eine Unters<strong>ch</strong>eidung wird in einem Raum getroffen, <strong>der</strong><br />

wie<strong>der</strong>um eine Seite einer weiteren Unters<strong>ch</strong>ei¬dung darstellt. <strong>Die</strong>se ist ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar, weil<br />

sie ni<strong>ch</strong>t mitges<strong>ch</strong>rieben wird. Man könnte au<strong>ch</strong> nie alle mits<strong>ch</strong>reiben, weil jede<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung wie<strong>der</strong> in einem Raum stehen müsste etc. Insofern liegt jedem Ausdruck ein<br />

unges<strong>ch</strong>riebenes cross zugrunde. <strong>Die</strong> Frage, die si<strong>ch</strong> aufdrängt, ist dann aber: Was ist die<br />

erste Unters<strong>ch</strong>eidung? In wel<strong>ch</strong>em Raum wird sie getrof¬fen? (Vgl. I. 5. „Der re-entry <strong>der</strong><br />

<strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong>“, S. 102ff., bzw. das 12. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>).<br />

3. Kapitel: <strong>Die</strong> Konzeption <strong>der</strong> Kalkulation<br />

Das dritte Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> enthält vier weitere Kanons und einige begriffli<strong>ch</strong>e<br />

Bestimmungen. <strong>Die</strong>se sind nötig, um mit <strong>der</strong> Kalkulation und dem Su<strong>ch</strong>en und Finden von<br />

Regelmäßigkeiten, also <strong>der</strong> Primären Arithmetik, beginnen zu können. Bildli<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en<br />

stehen Axiome am Anfang des Kalküls und Kanons stehen außerhalb. Sie stecken beide die<br />

Grenze zwis<strong>ch</strong>en dem im Kalkül Erlaubten und ni<strong>ch</strong>t Erlaubten ab. Kanons müssen<br />

herangezogen werden, um das Vorgehen überhaupt erst zu ermög-li<strong>ch</strong>en, und sie werden<br />

anweisend formuliert. Insofern kann ni<strong>ch</strong>t zur Debatte stehen, einen Kanon zu beweisen.<br />

Man kann ihn verwerfen, wenn er einem unplausibel ers<strong>ch</strong>eint. Es liegt also in <strong>der</strong><br />

Verantwortung des Autors, die Kanons so zu wählen, dass sie unmittelbar einleu<strong>ch</strong>ten. Und<br />

deshalb halte i<strong>ch</strong> die Vorgehensweise von George Spencer Brown, die Kanons an Ort und<br />

Stelle ihres ersten Gebrau<strong>ch</strong>s einzuführen, statt sie – wie sonst au<strong>ch</strong> übli<strong>ch</strong> – am Anfang<br />

aufzulisten, für sehr hilfrei<strong>ch</strong> und einleu<strong>ch</strong>tend.<br />

Fundamentale Kanons<br />

Der erste Kanon (Vereinbarung über die Absi<strong>ch</strong>t) wurde bereits im 2. Kapitel <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> behandelt. Der zweite Kanon, genannt Kontrak¬tion <strong>der</strong> Referenz, dient <strong>der</strong><br />

Vereinfa<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Darstellung. Er erlaubt es, mehrere Befehle in dem Sinne zusammen zu<br />

35


ziehen, dass sie alle unter Benutzung nur eines Befehls gemeint sind, solange verständli<strong>ch</strong><br />

bleibt, was gemeint ist.<br />

„Im allgemeinen lass Befehle in jedem Maß zusammengezogen werden, in dem man ihnen<br />

no<strong>ch</strong> folgen kann.“ (SPENCER BROWN 1997: 8)<br />

So gebrau<strong>ch</strong>t George Spencer Brown den Befehl „Nimm ein beliebiges Kreuz c“, um vier<br />

Befehle abzukürzen: (1.) die Konstruktion eines cross (das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung),<br />

(2.) seine Markierung mit c, so dass (3.) c <strong>der</strong> Name ist, und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> (4.) die Bezei<strong>ch</strong>nung<br />

des cross dur<strong>ch</strong> den Namen c. Würde dieser Kanon ni<strong>ch</strong>t eingeführt, hätte man – streng<br />

genommen – keine Erlaubnis für diese Vereinfa<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Darstellung und müsste unnötig<br />

pedantis<strong>ch</strong> Detail für Detail stets aufführen.<br />

Der zweite Kanon enthält eine gewisse Vagheit in <strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t, ob man einem<br />

zusammengezogenen Befehl tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> folgen kann o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> Verständli<strong>ch</strong>keit liegt<br />

hier in <strong>der</strong> Verantwortung des Autors und bestimmt die Grenze <strong>der</strong> Zusammenziehung. <strong>Die</strong><br />

Kalkulation wird damit aber keinesfalls vage. Versteht jemand einen Befehl ni<strong>ch</strong>t, muss man<br />

ihn genauer ausführen.<br />

Ein Kanon, ohne den keine Bere<strong>ch</strong>nungen mögli<strong>ch</strong> wären, ist <strong>der</strong> dritte Kanon, <strong>der</strong><br />

Vereinbarung über Substitution genannt wird.<br />

„In jedem Ausdruck lass jedes Arrangement in ein äquivalentes Arrangement geän<strong>der</strong>t<br />

werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 8)<br />

Ohne diese Vereinbarung könnten Ausdrücke ni<strong>ch</strong>t verän<strong>der</strong>t werden. Man könnte einen<br />

gegebenen komplexen Ausdruck ni<strong>ch</strong>t vereinfa<strong>ch</strong>en und einen einfa<strong>ch</strong>en (primitiven) ni<strong>ch</strong>t<br />

komplexer werden lassen. Man hätte keine Mögli<strong>ch</strong>keit herauszufinden, ob ein<br />

komplizierterer Ausdruck den markierten o<strong>der</strong> den unmarkierten Zustand anzeigt. Nun<br />

können wir aber zum Beispiel s<strong>ch</strong>reiben, indem wir die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Kondensation benutzen:<br />

Jede sol<strong>ch</strong>e Än<strong>der</strong>ung nennen wir S<strong>ch</strong>ritt. In diesem Beispiel findet <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ritt in Ri<strong>ch</strong>tung<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>ung statt – wenn man die Lesereihenfolge von links na<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>ts als Ri<strong>ch</strong>tung<br />

nimmt, denn die Äquivalenz bzw. das Äquivalenzzei<strong>ch</strong>en gibt no<strong>ch</strong> keine Ri<strong>ch</strong>tung an. Das<br />

heißt, dass wir eine Verän<strong>der</strong>ung einerseits hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Art unters<strong>ch</strong>eiden können<br />

(wel<strong>ch</strong>e Äquivalenz gebrau<strong>ch</strong>t wird) und an<strong>der</strong>erseits hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Ri<strong>ch</strong>tung. <strong>Die</strong> Idee <strong>der</strong><br />

Substitution, Ersetzung von äquivalenten Ausdrücken, liefert die Idee eines S<strong>ch</strong>rittes und<br />

einer Ri<strong>ch</strong>tung des S<strong>ch</strong>rittes. Ein S<strong>ch</strong>ritt ist eine Verän<strong>der</strong>ung eines Ausdruckes in Ri<strong>ch</strong>tung<br />

Einfa<strong>ch</strong>heit o<strong>der</strong> in Ri<strong>ch</strong>tung Komplexität. Es gibt immer mehrere Mögli<strong>ch</strong>keiten, einen<br />

belie¬bigen gegebenen Ausdruck in Ri<strong>ch</strong>tung Komplexität zu än<strong>der</strong>n. In Ri<strong>ch</strong>tung Einfa<strong>ch</strong>heit<br />

gibt es bei einigen Ausdrücken nur eine Mögli<strong>ch</strong>keit. Damit aber jedem Ausdruck <strong>der</strong><br />

markierte o<strong>der</strong> unmarkierte Wert zuge¬ordnet werden kann, ist es notwendig, dass<br />

zumindest immer eine Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung besteht; ausgenommen die einfa<strong>ch</strong>en<br />

Ausdrücke, die per se ni<strong>ch</strong>t vereinfa<strong>ch</strong>t werden können und unmittelbar den markierten o<strong>der</strong><br />

unmarkierten Zustand anzeigen.<br />

Raum für die Bere<strong>ch</strong>nung des Wertes des Ausdruckes, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> selbst gezei<strong>ch</strong>neten<br />

Kreiskonstellation ergab (Seite 55):<br />

Der vierte Kanon ist zunä<strong>ch</strong>st einmal nur eine Hypothese <strong>der</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung:<br />

„Nimm an, <strong>der</strong> Wert eines Arrangements sei <strong>der</strong> Wert eines einfa<strong>ch</strong>en Ausdrucks, in wel<strong>ch</strong>en<br />

jenes dur<strong>ch</strong> geeignete S<strong>ch</strong>ritte geän<strong>der</strong>t werden kann.“ (SPENCER BROWN 1997: 9)<br />

=<br />

36


<strong>Die</strong> Hypothese besagt, dass man jedem Arrangement einen Wert zuordnen kann. Das heißt,<br />

dass jedes Arrangement als Ausdruck aufgefasst werden kann, da bestimmt werden kann,<br />

wel<strong>ch</strong>er Wert angezeigt wird. <strong>Die</strong> ein¬fa<strong>ch</strong>en Ausdrücke, die An- o<strong>der</strong> Abwesenheit einer<br />

Markierung, können den Werten „markiert“ und „unmarkiert“ zugeordnet werden. Somit kann<br />

je<strong>der</strong> Ausdruck dur<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende S<strong>ch</strong>ritte <strong>der</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung in eine An- o<strong>der</strong> eine<br />

Abwesenheit <strong>der</strong> Markierung überführt werden. Später wird das dritte Theorem<br />

(Übereinstimmung) bewiesen, wel<strong>ch</strong>es besagt, dass unabhängig von vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

mögli<strong>ch</strong>en Wegen <strong>der</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung ein gegebener Ausdruck stets auf nur einen <strong>der</strong> beiden<br />

einfa<strong>ch</strong>en Ausdrücke zurückgeführt werden kann. Das heißt, dass es keinen Unters<strong>ch</strong>ied<br />

ma<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>e vereinfa<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>ritte getan und in wel<strong>ch</strong>er Reihenfolge sie ausgeführt<br />

werden. <strong>Die</strong> damit einhergehende Konsistenz des Kalküls spielt hier no<strong>ch</strong> keine Rolle. Der<br />

vierte Kanon si<strong>ch</strong>ert ledigli<strong>ch</strong>, dass aus jedem gegebenen Ausdruck dur<strong>ch</strong> vereinfa<strong>ch</strong>ende<br />

S<strong>ch</strong>ritte einer <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Ausdrücke errei<strong>ch</strong>t wird. Er wird an dieser Stelle aufgrund seiner<br />

unmittel-baren Gewissheit aufgestellt. Er kann no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t bewiesen werden (und von einem<br />

Kanon wird Beweisbarkeit ja au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verlangt), da <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung zu<br />

allgemein ist, und er wird deshalb als Hypothese eingeführt. Erneut: Man bea<strong>ch</strong>te, dass ni<strong>ch</strong>t<br />

behauptet wird, dass die Vereinfa<strong>ch</strong>ung eindeutig ist. <strong>Die</strong>se stärkere These wird erst später<br />

bewiesen werden können.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> begrenzten Mögli<strong>ch</strong>keiten lässt si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t verans<strong>ch</strong>au¬li<strong>ch</strong>en, dass je<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>teinfa<strong>ch</strong>e<br />

Ausdruck vereinfa<strong>ch</strong>t werden kann: Wenn zwei Markierungen <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

ni<strong>ch</strong>t ineinan<strong>der</strong> stehen, dann stehen sie nebeneinan<strong>der</strong>. Mehr Mögli<strong>ch</strong>keiten gibt es ni<strong>ch</strong>t<br />

und in beiden Fällen kann eines <strong>der</strong> Axiome herangezogen werden, um ein bzw. zwei<br />

crosses dur<strong>ch</strong> Substitution verwendende Äquivalenzumformung zu elimi¬nieren. So kann<br />

man fortfahren, einen beliebig großen, aber endli<strong>ch</strong>en Ausdruck von innen her (seiner<br />

größten Tiefe) zu verkleinern, das heißt die Anzahl <strong>der</strong> crosses zu verringern. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

endet dies dadur<strong>ch</strong>, dass nur no<strong>ch</strong> ein cross o<strong>der</strong> gar keines übrig bleibt.<br />

Im Gegensatz zum zweiten bes<strong>ch</strong>reibt <strong>der</strong> fünfte Kanon eine Erweite¬rung <strong>der</strong> Referenz.<br />

Hier wird ni<strong>ch</strong>t das Zusammenziehen von Befehlen gestattet, son<strong>der</strong>n die Ausweitung von<br />

<strong>Form</strong>en. Wo ein Anlass zu weiterer Differenzierung gesehen wird, ist dem keine Grenze<br />

gesetzt. <strong>Die</strong> Erweite¬rung darf unbes<strong>ch</strong>ränkt fortgeführt werden.<br />

„Im allgemeinen also lass jede <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Referenz uneinges<strong>ch</strong>ränkt teilbar sein.“ (SPENCER<br />

BROWN 1997: 10)<br />

Dur<strong>ch</strong> die Erweiterung <strong>der</strong> Referenz, die wir gebrau<strong>ch</strong>en, um auszu¬drücken, dass die<br />

Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte ni<strong>ch</strong>t nur in die Ri<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Verein¬fa<strong>ch</strong>ung dur<strong>ch</strong>geführt werden können,<br />

erweitern wir die Anzahl <strong>der</strong> „Primären S<strong>ch</strong>ritte“ auf vier, indem wir die Ri<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong><br />

Anwendung <strong>der</strong> beiden Grundglei<strong>ch</strong>ungen unters<strong>ch</strong>eiden. Damit erhalten wir zu <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

<strong>der</strong> Kondensation die <strong>der</strong> Bestätigung und zu <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Aufhebung die <strong>der</strong> Kompensation<br />

(darauf kommen wir zurück in I. 3. „Primäre Arithmetik und Primäre Algebra“, S. 68).<br />

So nebensä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> die Erweiterung <strong>der</strong> Referenz an dieser Stelle ers<strong>ch</strong>ei¬nen mag (denn<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> sind die Seiten <strong>der</strong> Grundglei<strong>ch</strong>ungen äquiva¬lent), so bedeutsam wird sie, wenn<br />

wir über die Entstehung von Kom¬plexität reflektieren. Im Grunde ist die Erweiterung <strong>der</strong><br />

Referenz gar keine Regel, die wir einführen. Eine Regel würde darin bestehen, eine Grenze<br />

zu setzen. Hier stellen wir jedo<strong>ch</strong> fest, dass eine sol<strong>ch</strong>e Grenze die Bere<strong>ch</strong>¬nungen ni<strong>ch</strong>t<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt. Denno<strong>ch</strong> muss die Erweiterung <strong>der</strong> Referenz explizit erlaubt werden, um <strong>der</strong><br />

Vereinbarung über die Absi<strong>ch</strong>t (dem ersten Kanon) gere<strong>ch</strong>t zu werden. Im dritten<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil wird die Erweiterung <strong>der</strong> Referenz wie<strong>der</strong> auftreten als<br />

„konditionierte Koproduk¬tion“.<br />

37


Kalkulation und Kalkül<br />

Am Ende <strong>der</strong> einführenden Bereitstellung <strong>der</strong> Grundbegriffe und Grundannahmen für die<br />

eigentli<strong>ch</strong>en mathematis<strong>ch</strong>en Bere<strong>ch</strong>nungen und Ent¬deckungen von „Eigens<strong>ch</strong>aften des<br />

Systems“ (bzw. von Zei<strong>ch</strong>enreihen, die aus Grundzei<strong>ch</strong>en und Regeln hergeleitet werden),<br />

benennt George Spencer Brown, was Kalkulation, ein Kalkül und insbeson<strong>der</strong>e die primäre<br />

Arithmetik sind.<br />

„Nenne Kalkulation einen Vorgang, dur<strong>ch</strong> den si<strong>ch</strong> eine <strong>Form</strong> infolge von S<strong>ch</strong>ritten in eine<br />

an<strong>der</strong>e verwandelt, und nenne ein System von Konstruktionen und Vereinbarungen, wel<strong>ch</strong>es<br />

Kalkulation gestattet, ein Kalkül.“ (SPENCER BROWN 1997: 10)<br />

Mit Kalkulation ist also die Verän<strong>der</strong>ung eines Ausdruckes in einen äqui¬valenten Ausdruck<br />

gemeint, wobei si<strong>ch</strong> Äquivalenz auf den Wert von Ausdrücken bezieht. Eine Kalkulation ist<br />

eine Bere<strong>ch</strong>nung innerhalb des Systems: Zei<strong>ch</strong>enketten werden in Zei<strong>ch</strong>enketten überführt.<br />

Ein System von Regeln, das sol<strong>ch</strong>es hervorbringt, wird Kalkül genannt.<br />

„<strong>Die</strong> <strong>Form</strong>en <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ritte, die in einem Kalkül erlaubt sind, können definiert werden als alle<br />

<strong>Form</strong>en, die si<strong>ch</strong> aus einem Satz gegebener Glei<strong>ch</strong>ungen ableiten lassen. Nenne die<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen, die so gebrau<strong>ch</strong>t werden, um diese <strong>Form</strong>en zu bestimmen, die initialen<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen o<strong>der</strong> Initiale des Kalküls.“ (SPENCER BROWN 1997: 10)<br />

Dahinter steht die Idee, dass alle die S<strong>ch</strong>ritte, die dur<strong>ch</strong> den Kalkül gestattet werden, aus<br />

einigen wenigen S<strong>ch</strong>rittmustern hervorgebra<strong>ch</strong>t werden können. Nimmt man geeignete so<br />

genannte Initiale, lassen si<strong>ch</strong> alle S<strong>ch</strong>ritt¬muster o<strong>der</strong> <strong>Form</strong>en von S<strong>ch</strong>ritten ableiten.<br />

„Nenne das Kalkül, das dadur<strong>ch</strong> bestimmt wird, indem die beiden primitiven Glei<strong>ch</strong>ungen als<br />

Initiale herangezogen werden, das Kalkül <strong>der</strong> Bezei<strong>ch</strong>nung [Anzeige; F. L.].“ (SPENCER<br />

BROWN 1997: 10f.)<br />

In dem vorliegenden Text arbeiten wir mit dem naheliegenden Begriff „Indikationenkalkül“.<br />

Mit dem bisher Betra<strong>ch</strong>teten wird klar, warum si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Name des Kalküls auf die Anzeige<br />

und ni<strong>ch</strong>t auf die Unters<strong>ch</strong>eidung bezieht. Wir treffen eine Unters<strong>ch</strong>eidung und untersu<strong>ch</strong>en<br />

die Gesetz¬mäßigkeiten ihrer eigenen <strong>Form</strong>. <strong>Die</strong> zwei Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung können mit<br />

den Werten „markiert“ und „unmarkiert“ identifiziert werden. Auf dieser Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

basiert die Kalkulation, denn Ausdrücke werden hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihres Wertes betra<strong>ch</strong>tet und<br />

S<strong>ch</strong>ritte sind Verän<strong>der</strong>ungen von Ausdrücken in Ausdrücke desselben Wertes. Der<br />

Unters<strong>ch</strong>ied von markiert und unmarkiert rührt daher aus <strong>der</strong> Anzeige, mit <strong>der</strong> eben die<br />

markierte Seite angezeigt und die unmarkierte Seite ni<strong>ch</strong>t angezeigt wird. <strong>Die</strong> Kalkulation<br />

und <strong>der</strong> Kalkül beruhen also zwar na<strong>ch</strong> wie vor auf dem Treffen von Unters<strong>ch</strong>eidungen,<br />

Gegenstand <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung ist im Beson<strong>der</strong>en jedo<strong>ch</strong> die Anzeige, über die den<br />

Ausdrücken ein Wert zuge¬ordnet werden kann, mit dem dann kalkuliert wird. Der Kalkül <strong>der</strong><br />

Anzeige o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Indikationenkalkül benennt demna<strong>ch</strong> die Bere<strong>ch</strong>nungen, die mit <strong>der</strong><br />

dargelegten <strong>Form</strong>alisierung <strong>der</strong> beiden Axiome einhergehen.<br />

„Nenne das Kalkül, das bes<strong>ch</strong>ränkt ist auf die <strong>Form</strong>en, die dur<strong>ch</strong> direkte Konsequenzen aus<br />

diesen Initialen erzeugt werden, die primäre Arithmetik.“ (SPENCER BROWN 1997: 11)<br />

<strong>Die</strong> Eins<strong>ch</strong>ränkung dur<strong>ch</strong> die „direkten Konsequenzen“ verweist auf den Unters<strong>ch</strong>ied zu <strong>der</strong><br />

Primären Algebra. Arithmetik betreibt man mit Konstanten, Algebra mit Variablen (zu diesem<br />

Unters<strong>ch</strong>ied kommen wir im folgenden Kapitel in dem Abs<strong>ch</strong>nitt I. 3. „Variablen“, S. 74f.).<br />

38


3. Primäre Arithmetik und Primäre Algebra<br />

Mit dem vierten Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> beginnt <strong>der</strong> im eigentli<strong>ch</strong>en Sinne mathematis<strong>ch</strong>e,<br />

kalkulierende Teil des Indikationenkalküls. Das Vorhergehende war und ist notwendig als<br />

Vereinbarung über die Grund¬lagen; aber die bere<strong>ch</strong>nende Tätigkeit ist das Auffinden von<br />

Gesetzmäßig¬keiten o<strong>der</strong> allgemeinen Mustern, wie George Spencer Brown es nennt. Mit<br />

<strong>der</strong> Setzung <strong>der</strong> beiden Initiale wird dieser Prozess in Gang gesetzt. <strong>Die</strong> Anwesenheit und<br />

die Abwesenheit <strong>der</strong> Markierung, <strong>der</strong> marked state und <strong>der</strong> unmarked state, sind die<br />

Konstanten <strong>der</strong> Kalkulation <strong>der</strong> Primären Arithmetik. Auf Grundlage <strong>der</strong> Konstanten wird es<br />

dann mögli<strong>ch</strong>, au<strong>ch</strong> allgemeine Regeln o<strong>der</strong> Muster zu finden, die unabhängig davon sind,<br />

wel<strong>ch</strong>en Zustand bestimmte Teile eines Ausdruckes darstellen. Über die damit<br />

einhergehende Einführung von Variablen wird die Primäre Algebra begründet. Sie wird so<br />

weit dargestellt – in <strong>Form</strong> von Konsequenzen und Theoremen –, bis erkennbar und<br />

beweisbar wird, dass <strong>der</strong> Indikationen¬kalkül sowohl vollständig als au<strong>ch</strong> unabhängig ist.<br />

4. Kapitel: <strong>Die</strong> Primäre Arithmetik<br />

<strong>Die</strong> Primäre Arithmetik<br />

Der Ausgangspunkt <strong>der</strong> Kalkulation bzw. <strong>der</strong> Einstieg in die primäre Arithmetik sind die<br />

Initiale. Zunä<strong>ch</strong>st hatten wir die Gesetze des Nennens und Kreuzens gefunden, aus denen<br />

die Axiome gewonnen wurden. Der Begriff „Initial“ kennzei<strong>ch</strong>net den Einstieg in die<br />

Bere<strong>ch</strong>nungen; „Zahl“ und „Ordnung“ sind die Namen <strong>der</strong> Initiale. I1 und I2 sind au<strong>ch</strong><br />

Namen: Abkürzungen, die in den Demonstrationen und Beweisen im Folgenden verwendet<br />

werden, um kurz und präzise angeben zu können, worauf man si<strong>ch</strong> bezieht.<br />

Initial 1 (Zahl) I1: =<br />

Initial 2 (Ordnung) I2: =<br />

Das erste Initial erlaubt Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Markierungen, die nebeneinan<strong>der</strong><br />

stehen, weshalb es mit „Zahl“ bezei<strong>ch</strong>net wird. Das zweite Initial bes<strong>ch</strong>reibt, dass ineinan<strong>der</strong><br />

ges<strong>ch</strong>riebene Markierungen aufgehoben bzw. eingeführt werden können. Mit ihm können<br />

Markierungen eliminiert bzw. hervorgebra<strong>ch</strong>t – also Ebenen gestri<strong>ch</strong>en und eingesetzt –<br />

werden, weshalb es „Ordnung“ genannt wird. Alle Kalkulationen des Indikationen¬kalküls<br />

basieren auf diesen Initialen, und <strong>der</strong> Kalkül wird entwickelt, indem allgemeine Muster <strong>der</strong><br />

Kalkulation gefunden und unters<strong>ch</strong>ieden werden.<br />

Da wir die Ri<strong>ch</strong>tung, in <strong>der</strong> ein Äquivalenzzei<strong>ch</strong>en gelesen werden kann, unters<strong>ch</strong>ieden<br />

hatten, bes<strong>ch</strong>reiben die Initiale jeweils zwei Re<strong>ch</strong>en¬operationen: Man kann zwei<br />

nebeneinan<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>riebene crosses zu einem kondensieren bzw. ein cross bestätigen, so<br />

dass zwei nebeneinan<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>rieben werden; und man kann zwei ineinan<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>riebene<br />

crosses aufheben bzw. den unmarkierten Zustand mit zwei crosses kompensieren, so dass<br />

zwei ineinan<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>riebene crosses ers<strong>ch</strong>einen. Auf diesen vier <strong>Form</strong>en kann <strong>der</strong><br />

Indikationenkalkül aufgebaut werden.<br />

Das erste Ziel wird es sein zu zeigen, dass wir jedes Arrangement als Ausdruck verstehen<br />

können (Theorem 1) und dass je<strong>der</strong> Ausdruck ein¬deutig entwe<strong>der</strong> den markierten o<strong>der</strong> den<br />

unmarkierten Zustand anzeigt (Theorem 3). Damit ist <strong>der</strong> Kalkül dann konsistent,<br />

verwe<strong>ch</strong>selt also die Seiten <strong>der</strong> grundlegenden Unters<strong>ch</strong>eidung (markiert/unmarkiert) ni<strong>ch</strong>t.<br />

Das heißt, <strong>der</strong> Indikationenkalkül führt ni<strong>ch</strong>t zu Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>en.<br />

39


Das erste Theorem 1 (<strong>Form</strong>) lautet:<br />

„<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> je<strong>der</strong> endli<strong>ch</strong>en ganzen Zahl von Kreuzen kann als <strong>Form</strong> eines Ausdrucks<br />

aufgefasst werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 12)<br />

Jede <strong>Form</strong> einer beliebigen Anzahl von Kreuzen nennen wir Arrangement. Das Theorem<br />

besagt demna<strong>ch</strong>, dass wir jedes Arrangement als Ausdruck auffassen können, <strong>der</strong> aus einer<br />

endli<strong>ch</strong>en Anzahl von crosses besteht. Ein Ausdruck unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von einem<br />

Arrangement dadur<strong>ch</strong>, dass er als Anzeige beabsi<strong>ch</strong>tigt ist. Ein Ausdruck zeigt immer<br />

entwe<strong>der</strong> den markierten o<strong>der</strong> den unmarkierten Zustand an. Insofern beinhaltet das erste<br />

Theorem, dass ein beliebiges Arrangement einem <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en Ausdrücke zugeordnet<br />

werden kann. Dur<strong>ch</strong> Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte in Ri<strong>ch</strong>tung Vereinfa<strong>ch</strong>ung ist das Arrangement<br />

bestimmbar. Ebenso geht damit einher, dass je<strong>der</strong> Ausdruck aus den einfa<strong>ch</strong>en Zuständen<br />

heraus konstruiert werden kann. Einerseits ers<strong>ch</strong>affen o<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>öpfen wir alle mögli<strong>ch</strong>en<br />

Arrangements aus dem markierten o<strong>der</strong> unmarkierten Zustand heraus. Ist ein beliebiges<br />

Arrangement gegeben, können wir an<strong>der</strong>erseits S<strong>ch</strong>ritte <strong>der</strong> Verkürzung ausführen, so dass<br />

wir wie<strong>der</strong> entwe<strong>der</strong> den markierten o<strong>der</strong> den unmar¬kierten Zustand errei<strong>ch</strong>en.<br />

Der Grund für die Endli<strong>ch</strong>keitsbedingung liegt auf <strong>der</strong> Hand, wenn man einmal zu re<strong>ch</strong>nen<br />

begonnen hat. Man könnte zwar au<strong>ch</strong> einen unendli<strong>ch</strong>en Ausdruck vereinfa<strong>ch</strong>en, würde aber<br />

nie zu einem Ende kommen und wissen, wel<strong>ch</strong>en Zustand man errei<strong>ch</strong>t. Denn die<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>ung wäre nur in (abzählbar) unendli<strong>ch</strong> vielen S<strong>ch</strong>ritten auf einen <strong>der</strong> einfa<strong>ch</strong>en<br />

Zustände zurückführen. Das würde endlos dauern, da man nur endli<strong>ch</strong> viele Re<strong>ch</strong>en¬s<strong>ch</strong>ritte<br />

in einer gegebenen Zeit ausführen kann. Mit dem Theorem „<strong>Form</strong>“ ist die gesamte<br />

Kalkulation auf endli<strong>ch</strong>e Ausdrücke bes<strong>ch</strong>ränkt. Erst mit <strong>der</strong> Einführung von Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

höheren Grades als des ersten wird es dur<strong>ch</strong> eine <strong>Form</strong>alisierung von Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />

mögli<strong>ch</strong>, unendli<strong>ch</strong>e Ausdrücke in einer endli<strong>ch</strong>en Zahl von Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritten zu bestimmen<br />

(vgl. den Abs<strong>ch</strong>nitt in I. 4.: „Unendli<strong>ch</strong>e Ausdrücke und selbstbezügli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen“, S.<br />

89ff.).<br />

Der Beweis des Theorems gründet in <strong>der</strong> Idee, dass man jeden belie¬bigen Ausdruck von<br />

innen, also von seiner größten Tiefe her, mit den beiden Initialen Stück für Stück kürzen<br />

kann. Im tiefsten Raum steht per Definition kein cross, da von außen na<strong>ch</strong> innen alle<br />

Markierungen gekreuzt wurden, um den tiefsten Raum zu errei<strong>ch</strong>en. In dem Raum mit <strong>der</strong><br />

zweit¬größten Tiefe steht entwe<strong>der</strong> ein einzelnes cross o<strong>der</strong> mehrere nebenein¬an<strong>der</strong>.<br />

Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gibt es keine an<strong>der</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keiten. Wenn im zweittiefsten Raum (<strong>der</strong> tiefste<br />

Raum enthält ja per Definition kein cross) ein einzelnes cross steht, kann es na<strong>ch</strong> Initial 2 mit<br />

dem ihn bedeckenden cross gestri<strong>ch</strong>en werden; wenn dort zwei o<strong>der</strong> mehr crosses<br />

nebeneinan<strong>der</strong> stehen, können sie na<strong>ch</strong> Initial 1 auf ein einzelnes cross reduziert werden.<br />

<strong>Die</strong>ser Vorgang wird so lange die Tiefe des Ausdruckes verringernd fort¬gesetzt, bis eine<br />

einzelne Markierung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> unmarkierte Zustand übrig bleibt.<br />

Als Beispiel dient <strong>der</strong> Ausdruck, den wir im Zusammenhang mit dem Konzept <strong>der</strong> Tiefe des<br />

Raumes kennen gelernt haben:<br />

(links kondensieren, re<strong>ch</strong>ts aufheben)<br />

= (aufheben)<br />

= (aufheben)<br />

=<br />

Da also mit jedem S<strong>ch</strong>ritt ein o<strong>der</strong> mehr crosses eliminiert werden, muss die Bere<strong>ch</strong>nung<br />

eines (endli<strong>ch</strong>en) Ausdruckes damit enden, dass nur no<strong>ch</strong> eines o<strong>der</strong> aber keines mehr<br />

vorhanden ist. Wenn die <strong>Form</strong> je<strong>der</strong> endli<strong>ch</strong>en ganzen Anzahl von crosses auf einen <strong>der</strong><br />

einfa<strong>ch</strong>en Zustände zurückführbar ist, dann kann jede sol<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong> als Ausdruck aufgefasst<br />

werden.<br />

40


Na<strong>ch</strong>dem uns das erste Theorem und die damit verbundenen Überlegungen die Si<strong>ch</strong>erheit<br />

verliehen haben, dass je<strong>der</strong> denkbare Ausdruck tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> den markierten o<strong>der</strong><br />

unmarkierten Zustand anzeigt, finden wir mit Theorem 2 (Inhalt) eine allgemeine Regel zur<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Bere<strong>ch</strong>¬nung. Sie ist vereinfa<strong>ch</strong>end, weil man si<strong>ch</strong> viele Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte<br />

sparen kann, wenn man sie kennt:<br />

„Wenn ein beliebiger Raum ein leeres Kreuz dur<strong>ch</strong>dringt, dann ist <strong>der</strong> Wert, <strong>der</strong> in diesem<br />

Raum bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] wird, <strong>der</strong> markierte Zustand.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

13)<br />

Bildli<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en ist damit gemeint: Wenn wir einen Ausdruck c haben, <strong>der</strong> einen<br />

beliebigen Teilausdruck b („beliebiger Raum“) und daneben ein einzelnes cross umfasst,<br />

dann ist <strong>der</strong> Wert des Ausdruckes c <strong>der</strong> markierte Zustand. O<strong>der</strong> formal (und algebrais<strong>ch</strong>, da<br />

Variablen verwendend):<br />

c = b =<br />

<strong>Die</strong> beweisende Überlegung besteht darin, dass <strong>der</strong> beliebige Teil b des Ausdruckes c<br />

entwe<strong>der</strong> auf den markierten o<strong>der</strong> unmarkierten Zustand zurückgeführt werden kann. Ist b<br />

unmarkiert, bleibt nur das einzelne cross stehen und c ist <strong>der</strong> markierte Zustand; ist b<br />

markiert, kondensieren die beiden crosses zu einem. Was bleibt, ist also in beiden Fällen <strong>der</strong><br />

markierte Zustand.<br />

Ein wi<strong>ch</strong>tiges und notwendiges Merkmal eines jeden Kalküls ist, dass er die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen, die er trifft, konsistent dur<strong>ch</strong>hält. Das Theorem 3 (Übereinstimmung)<br />

sorgt dafür, dass die unters<strong>ch</strong>iedenen Zustände markiert und unmarkiert ni<strong>ch</strong>t verwe<strong>ch</strong>selt<br />

werden.<br />

„<strong>Die</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung eines Ausdrucks ist eindeutig.“ (SPENCER BROWN 1997: 14)<br />

Das heißt, wenn ein beliebiger Ausdruck c auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Wegen vereinfa<strong>ch</strong>t werden<br />

kann, dann werden alle diese Wege das glei<strong>ch</strong>e Ergeb¬nis haben: Er wird entwe<strong>der</strong> stets<br />

markiert o<strong>der</strong> stets unmarkiert sein. Es ist ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall, dass <strong>der</strong> Wert eines Ausdruckes<br />

von einer Wahlmögli<strong>ch</strong>keit des Weges abhängt.<br />

Zum Beweis des dritten Theorems benötigen wir eine Verallgemei¬nerung des zweiten<br />

Theorems, die als Se<strong>ch</strong>ster Kanon eingeführt wird, genannt die Regel <strong>der</strong> Dominanz. Wenn<br />

ein beliebiger Ausdruck c gegeben ist, kann er vers<strong>ch</strong>iedene Teilausdrücke im sei<strong>ch</strong>testen<br />

(äußersten) Raum beinhalten. Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Dominanz ist <strong>der</strong> Wert des<br />

Gesamtaus¬druckes markiert, wenn zumindest einer <strong>der</strong> Teilausdrücke markiert ist. Mit dem<br />

ersten Initial und dem zweiten Theorem ist das unmittelbar einleu<strong>ch</strong>¬tend.<br />

Der Beweis <strong>der</strong> (konsistenten) Unters<strong>ch</strong>iedenheit von markiert und unmarkiert beruht auf<br />

einem S<strong>ch</strong>ema, wie jedem cross des Ausdruckes c entwe<strong>der</strong> ein n für unmarkiert o<strong>der</strong> ein m<br />

für markiert zugeordnet werden kann; und zwar auf eine Weise, die den Wert von c ni<strong>ch</strong>t<br />

än<strong>der</strong>t. Als verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>endes Beispiel betra<strong>ch</strong>ten wir folgenden Ausdruck:<br />

Sodann beginnen wir im tiefsten Raum, unter jede Markierung ein m für markiert zu<br />

s<strong>ch</strong>reiben. Das zeigt uns an, dass ohne weitere, in sei<strong>ch</strong>teren Räumen stehende crosses <strong>der</strong><br />

Wert des Ausdruckes <strong>der</strong> markierte wäre.<br />

Wir notieren also:<br />

41


m<br />

m<br />

Im nä<strong>ch</strong>sten S<strong>ch</strong>ritt werden die Markierungen, die eine mit m gekenn¬zei<strong>ch</strong>nete Markierung<br />

beinhalten (auf <strong>der</strong> Ebene darunter), mit n markiert (na<strong>ch</strong> Initial 2 heben si<strong>ch</strong> diese<br />

Markierungen mit <strong>der</strong> o<strong>der</strong> den inneren auf) und die, die keine Markierung enthalten, wie im<br />

ersten S<strong>ch</strong>ritt mit m:<br />

m m n m n<br />

Nun können wir am sei<strong>ch</strong>testen, äußeren Raum ablesen, wel<strong>ch</strong>en Wert dieser Ausdruck<br />

anzeigt, in dem Beispiel also den unmarkierten Zustand. Da diese Zuordnung eindeutig ist,<br />

also ni<strong>ch</strong>t von vers<strong>ch</strong>iedenen Wegen abhängt, und eben den Wert ni<strong>ch</strong>t än<strong>der</strong>t, ist die<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Reihen¬folge <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte bzw. sind die vers<strong>ch</strong>iedenen Wege <strong>der</strong><br />

Verein¬fa<strong>ch</strong>ung irrelevant. Der Unters<strong>ch</strong>ied des Weges ma<strong>ch</strong>t keinen Unters<strong>ch</strong>ied für den<br />

Wert von c. Mit <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Dominanz haben wir eine weitere Vorgangsweise entdeckt,<br />

wie <strong>der</strong> Wert eines Ausdruckes bestimmt werden kann. Sie ist eindeutig, das heißt, sie<br />

stimmt mit jedem mögli<strong>ch</strong>en Weg dur<strong>ch</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung mit Hilfe <strong>der</strong> Initiale überein.<br />

Man kann au<strong>ch</strong> das folgende Theorem als Beweis des dritten ansehen. Es ist dessen<br />

Umkehrung. Wenn wir unsere Ri<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte än<strong>der</strong>n und ni<strong>ch</strong>t davon<br />

ausgehen, dass ein Ausdruck gegeben ist, <strong>der</strong> vereinfa<strong>ch</strong>t werden kann, son<strong>der</strong>n davon,<br />

dass wir von den einfa<strong>ch</strong>en Ausdrücken ausgehend mit Hilfe <strong>der</strong> Initiale komplexere<br />

Ausdrücke ent¬wickeln können, dann kommen wir auf das Theorem 4 (Unters<strong>ch</strong>eidung):<br />

„Der Wert jedes Ausdrucks, <strong>der</strong> konstruiert wird, indem S<strong>ch</strong>ritte von einem gegebenen<br />

einfa<strong>ch</strong>en Ausdruck aus getan werden, ist vers<strong>ch</strong>ieden von dem Wert jedes Ausdrucks, <strong>der</strong><br />

konstruiert wird, indem S<strong>ch</strong>ritte von einem unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en einfa<strong>ch</strong>en Ausdruck aus getan<br />

werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 18)<br />

So, wie die Vereinfa<strong>ch</strong>ung den Unters<strong>ch</strong>ied des Wertes beibehielt, halten au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ritte von<br />

<strong>der</strong> Einfa<strong>ch</strong>heit weg diesen Unters<strong>ch</strong>ied aufre<strong>ch</strong>t. Aus¬gehend von zwei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

einfa<strong>ch</strong>en Ausdrücken können nie zwei identis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> im Wert übereinstimmende<br />

Ausdrücke konstruiert werden. George Spencer Brown verwendet für den Beweis das dritte<br />

Theorem (Übereinstimmung), womit er trivial wird.<br />

Mit diesen beiden Theoremen ist nunmehr ausges<strong>ch</strong>lossen, dass ein S<strong>ch</strong>ritt im Kalkül<br />

erlaubt ist, mit dem die zwei Werte, die dur<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong>en des Kalküls angezeigt und<br />

bezei<strong>ch</strong>net werden sollen, verwe<strong>ch</strong>selt werden können. Ein Kalkül, <strong>der</strong> seine grundlegende<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t verwe<strong>ch</strong>selt, heißt konsistent.<br />

In Abgrenzung zu den folgenden Theoremen kann man diese ersten vier insofern als eine<br />

Einheit begreifen, als sie den Rahmen <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung abstecken und die Konsistenz <strong>der</strong><br />

Bere<strong>ch</strong>nungen si<strong>ch</strong>ern. Sie werden Theoreme <strong>der</strong> Darstellung genannt.<br />

Unmittelbar einleu<strong>ch</strong>tend sind die folgenden drei Theoreme, die hier ni<strong>ch</strong>t weiter bea<strong>ch</strong>tet<br />

werden. Ihre Anführung und ihre Beweise sind für einen sauber entwickelten Kalkül<br />

unerlässli<strong>ch</strong>, müssen uns aber in dieser Darstellung ni<strong>ch</strong>t weiter bes<strong>ch</strong>äftigen. Sie<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen den Gebrau<strong>ch</strong> bestimmter Vereinfa<strong>ch</strong>ungen des Re<strong>ch</strong>enweges, weshalb sie<br />

Theoreme <strong>der</strong> Vorgangsweise genannt werden.<br />

42


Theorem 5 (Identität)<br />

„Identis<strong>ch</strong>e Ausdrücke drücken den selben Wert aus.“ (SPENCER BROWN 1997: 19)<br />

Theorem 6 (Wert)<br />

„Ausdrücke des selben Wertes können miteinan<strong>der</strong> identifiziert werden.“ (SPENCER<br />

BROWN 1997: 19)<br />

Theorem 7 (Konsequenz)<br />

„Ausdrücke, die äquivalent mit einem identis<strong>ch</strong>en Ausdruck sind, sind äquivalent<br />

miteinan<strong>der</strong>.“ (SPENCER BROWN 1997: 20)<br />

Zum Verständnis ist <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ied identis<strong>ch</strong>/äquivalent von Bedeutung. Identis<strong>ch</strong>e<br />

Ausdrücke sind auf keine Weise unters<strong>ch</strong>eidbar, außer dass dies <strong>der</strong> eine und jenes <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e ist. Äquivalente Ausdrücke zeigen ledigli<strong>ch</strong> den glei<strong>ch</strong>en Wert an; das heißt,<br />

Äquivalenz betrifft nur den Wert eines Ausdruckes.<br />

Das siebte Theorem besagt demna<strong>ch</strong>, dass, wenn ein Ausdruck c mit v äquivalent ist und<br />

ebenso ein Ausdruck d mit v äquivalent ist, dann eben au<strong>ch</strong> c und d äquivalent sind, das<br />

heißt, den glei<strong>ch</strong>en Wert anzeigen.<br />

Variablen<br />

In seinem Text geht George Spencer Brown nun dazu über, au<strong>ch</strong> mit variablen, also<br />

unbestimmten Teilausdrücken zu kalkulieren, und findet und beweist die Theoreme <strong>der</strong><br />

Invarianz (<strong>Form</strong> <strong>der</strong> Position) und <strong>der</strong> Varianz (<strong>Form</strong> <strong>der</strong> Transposition), die <strong>der</strong> Primären<br />

Algebra als Initiale zu Grunde gelegt werden.<br />

S<strong>ch</strong>on in den letzten Theoremen haben wir die Idee von Variablen in Ausdrücken implizit<br />

verwendet, indem von beliebigen Ausdrücken gespro¬<strong>ch</strong>en wurde. Mit Zei<strong>ch</strong>en für Variablen<br />

(a, b, c, p, q, r etc.) kann dann formal dargestellt werden, dass ein beliebiger Ausdruck an<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Stellen eines größeren Ausdruckes vorkommt. <strong>Die</strong> beiden folgenden<br />

Theoreme führen in das Re<strong>ch</strong>nen mit Variablen ein, so dass wir im Allge¬meinen – das heißt<br />

ohne Festlegung <strong>der</strong> Variablen auf einen bestimmten Ausdruck (bzw. damit dann auf den<br />

markierten o<strong>der</strong> den unmarkierten Zustand) – ni<strong>ch</strong>t mehr ents<strong>ch</strong>eiden können, auf wel<strong>ch</strong>en<br />

Zustand <strong>der</strong> Ausdruck als ganzer zurückführbar ist. Da die Theoreme 8 und 9 von <strong>der</strong><br />

Arithmetik zur Algebra überleiten, werden sie Theoreme <strong>der</strong> Verbindung genannt.<br />

<strong>Die</strong> beiden Theoreme sind spezielle, allgemeine Aussagen über die <strong>Form</strong> von Ausdrücken.<br />

Es kann aufgrund <strong>der</strong> Identität von Teilen eines Ausdruckes mit an<strong>der</strong>en Teilen trotz <strong>der</strong><br />

Variablen ein Re<strong>ch</strong>enweg einge¬s<strong>ch</strong>lagen und dem Ausdruck ein Wert zugeordnet werden.<br />

<strong>Die</strong> beiden die Darstellung <strong>der</strong> Primären Arithmetik bes<strong>ch</strong>ließenden Theoreme sind<br />

Ausdruck <strong>der</strong> Gewissheit, in wel<strong>ch</strong>en Zustand bestimmte, Variablen enthaltende Ausdrücke<br />

überführt werden können. Für diese Glei<strong>ch</strong>ungen ma<strong>ch</strong>t es also keinen Unters<strong>ch</strong>ied, für<br />

wel<strong>ch</strong>en Ausdruck die Variablen p, q und r stehen bzw. auf wel<strong>ch</strong>e Zustände sie<br />

zurückgeführt werden können.<br />

Theorem 8 (Invarianz): p p =<br />

Indem man na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong> die beiden mögli<strong>ch</strong>en Fälle für p (den markierten und den<br />

unmarkierten Zustand) einsetzt, so dass man sieht, dass in jedem Fall <strong>der</strong> unmarkierte<br />

Zustand herauskommt, kann man dieses Theorem beweisen.<br />

Einen weiteren Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en variablen Ausdrücken bes<strong>ch</strong>reibt:<br />

43


Theorem 9 (Varianz): p r q r = p q r<br />

Hier ist es mögli<strong>ch</strong>, für alle a<strong>ch</strong>t Kombinationsmögli<strong>ch</strong>keiten die Identität <strong>der</strong> beiden Seiten<br />

<strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung na<strong>ch</strong>zuweisen. Sehr viel zeitsparen<strong>der</strong> ist hier eine Betra<strong>ch</strong>tung ledigli<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

mögli<strong>ch</strong>en Zustände von r. Setzt man für r den unmarkierten Zustand ein, hat man sofort die<br />

Identität <strong>der</strong> beiden Seiten <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung und mithin <strong>der</strong>en Äquivalenz. Ist r <strong>der</strong> markierte<br />

Zustand, ergeben die Teilausdrücke `p r´ und `q r´ auf <strong>der</strong> linken Seite na<strong>ch</strong> Theorem 2<br />

jeweils den markierten Zustand. Na<strong>ch</strong> Initial 2 heben si<strong>ch</strong> dann die inneren crosses auf, so<br />

dass nur das äußere cross, also <strong>der</strong> markierte Zustand, auf <strong>der</strong> linken Seite stehen bleibt.<br />

<strong>Die</strong> re<strong>ch</strong>te Seite des neunten Theorems ist na<strong>ch</strong> dem zweiten Theorem ohnehin <strong>der</strong><br />

markierte Zustand, wenn r markiert ist. Damit ist bewiesen, dass das neunte Theorem für<br />

jede mögli<strong>ch</strong>e Belegung <strong>der</strong> Variablen gültig ist.<br />

=<br />

5. Kapitel: Ein Kalkül, dem Kalkül entnommen<br />

Das fünfte Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> leitet zur Algebra über. Es werden nun explizit Variablen<br />

eingeführt, die Ausdrücke in <strong>der</strong> Primären Arith¬metik bezei<strong>ch</strong>nen, aber unbekannt sind, das<br />

heißt, <strong>der</strong>en Wert man ni<strong>ch</strong>t kennt. Der Kalkül, wel<strong>ch</strong>er dadur<strong>ch</strong> gewonnen wird, dass die<br />

Theoreme <strong>der</strong> Invarianz und <strong>der</strong> Varianz als Initiale gesetzt werden, kann als ein Kalkül für<br />

den Kalkül <strong>der</strong> Primären Arithmetik aufgefasst werden und wird Primäre Algebra genannt. Es<br />

ist ein neuer Kalkül, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Primären Arithmetik gewonnen wird.<br />

In <strong>der</strong> numeris<strong>ch</strong>en Algebra kennt man zum Beispiel (a+b)2 = a2+2ab+b2, wobei a und b als<br />

Variablen für Zahlen stehen, für die für jede Einsetzung die Glei<strong>ch</strong>ung erfüllt ist. O<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Geometrie gilt für den Umfang eines jeden Kreises U = 2r. 2 und sind konstant, U und r<br />

sind variabel und bestimmen si<strong>ch</strong> über die Kreisumfangsformel gegenseitig. Ebenso haben<br />

wir in <strong>der</strong> primären Arithmetik beispielsweise gefunden, dass unabhängig davon, ob p den<br />

markierten o<strong>der</strong> unmarkierten Zustand anzeigt, gilt: p p = .<br />

An dieser Stelle könnte man irrtümli<strong>ch</strong> annehmen, dass die crosses für Operatoren und die<br />

Variablen für Operanden stünden. <strong>Die</strong> Variablen stehen aber für (beliebige) Ausdrücke, also<br />

au<strong>ch</strong> für ein Arrangement von Markie¬rungen. Es wird also weiterhin keine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Operation und Operand getroffen.<br />

<strong>Die</strong> beiden ans<strong>ch</strong>ließend eingeführten Regeln <strong>der</strong> Substitution und des Ersetzens sagen<br />

ni<strong>ch</strong>ts Neues aus. Sie werden allgemein als Regeln für Algebren anerkannt, da sie als <strong>der</strong><br />

Äquivalenz implizit gelten. Sie sind Abkürzungen für die Theoreme fünf bis sieben, indem sie<br />

Befehle und Anweisungen zusammenfassen, die für die Primäre Algebra gebrau<strong>ch</strong>t werden.<br />

<strong>Die</strong> erste Regel <strong>der</strong> Substitution erlaubt das Einsetzen eines identis<strong>ch</strong>en Teilausdruckes in<br />

einen Ausdruck, und si<strong>ch</strong>ert die Äquivalenz <strong>der</strong> Aus¬drücke vor und na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Substitution.<br />

<strong>Die</strong> zweite Regel betrifft Glei<strong>ch</strong>un¬gen. Ist eine Glei<strong>ch</strong>ung äquivalenter Ausdrücke gegeben,<br />

und ersetzt man auf beiden Seiten einen Teilausdruck dur<strong>ch</strong> einen beliebigen an<strong>der</strong>en (<strong>der</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t äquivalent zum ersetzten Ausdruck sein muss), so gilt die Äquivalenz <strong>der</strong> entstandenen<br />

Ausdrücke – <strong>der</strong> Wert dieser Ausdrücke kann dann au<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ieden von dem Wert <strong>der</strong><br />

Ausdrücke <strong>der</strong> anfängli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>ung sein. <strong>Die</strong> zweite Regel besagt nur, dass die<br />

Äquivalenz na<strong>ch</strong> den Ersetzungen no<strong>ch</strong> stimmt, da weiterhin beide Ausdrücke den glei<strong>ch</strong>en<br />

Wert anzeigen. Wi<strong>ch</strong>tig zu bea<strong>ch</strong>ten ist dabei, dass man jedes Auftreten des zu ersetzenden<br />

Teilausdruckes au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ersetzt.<br />

Wenn wir mit den Konstanten <strong>der</strong> Arithmetik experimentieren, kann es ges<strong>ch</strong>ehen, dass wir<br />

eine Regelmäßigkeit finden, die unabhängig von den gewählten Konstanten ist. Das nennen<br />

wir ein Theorem über die Arith¬metik.<br />

44


Zum Verhältnis von Primärer Arithmetik und Primärer Algebra halten wir fest, dass die<br />

Algebra eine Meta-Theorie zur Arithmetik darstellt. Metaspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Einsi<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Arithmetik<br />

werden in metaspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>emata dargestellt, für die Variablen verwendet werden.<br />

Insofern ist die Aufgabe <strong>der</strong> Algebra, die gültigen S<strong>ch</strong>emata <strong>der</strong> Arithmetik zu<br />

axioma¬tisieren.<br />

6. Kapitel: <strong>Die</strong> Primäre Algebra<br />

<strong>Die</strong> Primäre Algebra<br />

<strong>Die</strong> Primäre o<strong>der</strong> Browns<strong>ch</strong>e Algebra ist ein Kalkül für die Primäre Arithmetik. Wie am Ende<br />

<strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Arithmetik gefunden, lauten die Initiale <strong>der</strong> Primären Algebra:<br />

Initial 1 (Position) J1: p p =<br />

Initial 2 (Transposition) J2: r p r q = p q r<br />

<strong>Die</strong>se Initiale hat George Spencer Brown ni<strong>ch</strong>t zufällig gewählt, denn ein Set von Initialen ist<br />

ni<strong>ch</strong>t unbedingt geeignet, einen Kalkül zu fundieren. Ob ein Set von Initialen brau<strong>ch</strong>bar ist,<br />

weiß man erst, wenn man heraus¬gefunden hat, wohin es führt. No<strong>ch</strong> in an<strong>der</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

kann man die Brau<strong>ch</strong>barkeit von Initialsystemen unters<strong>ch</strong>eiden, nämli<strong>ch</strong> dahingehend, ob sie<br />

einfa<strong>ch</strong>e Beweise gestatten. Der Indikationenkalkül hat in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t viele Stärken – wie<br />

zum Beispiel <strong>der</strong> Beweis des Vier-Farben-Theorems belegt. Für die Demonstration <strong>der</strong><br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Konsequenz 1 (Reflexion)<br />

C1: a = a<br />

benötigt George Spencer Brown jedo<strong>ch</strong> zwei volle Seiten. Ein Beweis in <strong>der</strong> Primären<br />

Arithmetik wäre sehr viel einfa<strong>ch</strong>er, indem man das Einset¬zungsverfahren verwendet, also<br />

für a die beiden Mögli<strong>ch</strong>keiten ausprobiert; wie oben s<strong>ch</strong>on vorgeführt. In <strong>der</strong> Algebra<br />

können und sollen die Konse¬quenzen jedo<strong>ch</strong> demonstriert werden, und das heißt, dass sie<br />

mittels <strong>der</strong> Initiale <strong>der</strong> Algebra abgeleitet werden. Man beginnt mit <strong>der</strong> linken Seite und führt<br />

Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte aus, so dass man die re<strong>ch</strong>te Seite erhält – o<strong>der</strong> umgekehrt. Dabei dürfen nur<br />

die beiden Initiale verwendet werden; später, na<strong>ch</strong>dem no<strong>ch</strong> weitere Konsequenzen<br />

gefunden und demonstriert wurden, darf man dann au<strong>ch</strong> diese Konsequenzen für S<strong>ch</strong>ritte in<br />

<strong>der</strong> Demonstration verwenden.<br />

Mit den Theoremen a<strong>ch</strong>t und neun <strong>der</strong> Primären Arithmetik als Initiale <strong>der</strong> Primären Algebra<br />

lassen si<strong>ch</strong> etli<strong>ch</strong>e Konsequenzen demonstrieren, die die S<strong>ch</strong>ritte <strong>der</strong> Vereinfa<strong>ch</strong>ung und <strong>der</strong><br />

Erweiterung im Umgang mit Aus¬drücken deshalb erlei<strong>ch</strong>tern, weil sie eine Anzahl von<br />

S<strong>ch</strong>ritten unter einen einzigen subsumieren. Auf <strong>der</strong> einen Seite decken sie<br />

Zusammenhänge auf, die das Gebäude bes<strong>ch</strong>reiben, das aus den anfängli<strong>ch</strong>en Axiomen<br />

ent¬wickelt werden kann. <strong>Die</strong> Konsequenzen sind allgemeingültige <strong>Form</strong>en. Und auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite kann man sie funktional als Vereinfa<strong>ch</strong>ung für spätere Re<strong>ch</strong>nungen begreifen,<br />

da sie jeweils mehrere Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte zusammenfassen. Statt also jedes Mal die ganzen<br />

Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte, die in <strong>der</strong> Demonstration <strong>der</strong> Konsequenzen dur<strong>ch</strong>laufen werden müssen,<br />

erneut für eine weitere Demonstration zu ma<strong>ch</strong>en, greift man auf eine Konsequenz zurück<br />

und benötigt damit nur einen S<strong>ch</strong>ritt.<br />

An einem mögli<strong>ch</strong>st einfa<strong>ch</strong>en Beispiel soll das Verfahren <strong>der</strong> Demonstra¬tion<br />

verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t werden. Neben <strong>der</strong> ersten soll au<strong>ch</strong> Konsequenz 2 (Generation)<br />

vorausgesetzt werden:<br />

C2: a b b = a b<br />

45


Man kann diese Glei<strong>ch</strong>ung aus zwei Ri<strong>ch</strong>tungen bes<strong>ch</strong>reiben. Von re<strong>ch</strong>ts na<strong>ch</strong> links: Steht<br />

ein Teilausdruck b außerhalb eines weiteren Teilaus¬druckes a, <strong>der</strong> unter einem cross steht,<br />

kann b au<strong>ch</strong> zusätzli<strong>ch</strong> unter das cross ges<strong>ch</strong>rieben werden. Von links na<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>ts: Enthält<br />

ein Ausdruck einen Teilausdruck einmal unter einem cross und einmal außerhalb<br />

des¬selben, kann man das Vorkommen unter dem cross eliminieren. <strong>Die</strong> Demonstration<br />

dieser Konsequenz kann zum Beispiel folgen<strong>der</strong>maßen aufges<strong>ch</strong>rieben werden:<br />

a b b = a b b Um diese Äquivalenz zu erhalten, wendet man auf das a und<br />

auf das b daneben die Konsequenz C1 an: Um einen beliebigen Ausdruck kann man zwei<br />

Kreuze s<strong>ch</strong>reiben.<br />

= a b b b Na<strong>ch</strong> Initial 2 <strong>der</strong> Algebra (J2) kann man das außerhalb stehende b unter die<br />

crosses und neben a sowie b stellen.<br />

= a b Der re<strong>ch</strong>te innere Teilausdruck kann mit Initial J1 dur<strong>ch</strong> die Abwesenheit einer<br />

Markierung ersetzt werden.<br />

= a b Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> oben angenommenen Konsequenz C1 können zwei crosses, die einen<br />

Teilausdruck beinhalten, weggelassen werden.<br />

<strong>Die</strong>se S<strong>ch</strong>rittfolge führt von <strong>der</strong> linken Seite <strong>der</strong> zweiten Konsequenz auf die re<strong>ch</strong>te, indem<br />

s<strong>ch</strong>on gefundene und erlaubte Regeln zur Verän<strong>der</strong>ung von Ausdrücken angewendet<br />

wurden. Damit ist die Konsequenz demonst¬riert und gültig. Sie kann au<strong>ch</strong> für weitere<br />

Demonstrationen verwendet werden.<br />

Mit <strong>der</strong> zweiten Konsequenz kann zum Beispiel eine weitere Konsequenz demonstriert<br />

werden, die wir s<strong>ch</strong>on als Theorem über die Arithmetik entdeckt hatten, nämli<strong>ch</strong> das zweite<br />

Theorem, Inhalt genannt. In <strong>der</strong> Algebra hat dies die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Konsequenz 3 (Integration):<br />

a =<br />

Man erkennt wie<strong>der</strong>, dass ein Ausdruck, <strong>der</strong> einen Teilausdruck umfasst, <strong>der</strong> nur aus einem<br />

leeren cross besteht, den glei<strong>ch</strong>en Wert anzeigt wie <strong>der</strong> markierte Zustand. <strong>Die</strong>s kann in <strong>der</strong><br />

Algebra folgen<strong>der</strong>maßen hergeleitet und damit mathematis<strong>ch</strong> per Demonstration<br />

gere<strong>ch</strong>tfertigt werden:<br />

a = a a Man setze in Konsequenz C2: a als unmarkiert und b als a. Man lese (in<br />

Konsequenz C2) von re<strong>ch</strong>ts na<strong>ch</strong> links: Was neben dem cross steht, kann au<strong>ch</strong> in das cross<br />

ges<strong>ch</strong>rieben werden.<br />

= a a Hier wurde Konsequenz C1 verwendet: Um einen beliebigen Ausdruck kann man<br />

zwei Kreuze s<strong>ch</strong>reiben.<br />

= Na<strong>ch</strong> Initial J1 <strong>der</strong> Algebra entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Ausdruck im Raum <strong>der</strong> Tiefe 1, also<br />

innerhalb des äußersten cross, dem unmarkierten Zustand. Deshalb entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Ausdruck<br />

als ganzer dem markierten Zustand.<br />

Damit wurde ein Weg gefunden, dur<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigte Äquivalenz¬umformungen von <strong>der</strong><br />

linken Seite <strong>der</strong> dritten Konsequenz die re<strong>ch</strong>te zu errei<strong>ch</strong>en. Damit gilt diese Konsequenz.<br />

Zwei Konsequenzen, die wir später benötigen werden, sollen hier no<strong>ch</strong> erwähnt sein:<br />

Konsequenz 4 (Okkultation) C4:<br />

a b a = a<br />

46


Konsequenz 5 (Iteration)<br />

C5: a a = a<br />

<strong>Die</strong> Demonstrationen befinden si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Fußnote:<br />

Eine anspru<strong>ch</strong>svollere Übung stellt die Demonstration <strong>der</strong> folgenden Konsequenz dar. <strong>Die</strong><br />

Mühe lohnt si<strong>ch</strong> aber, da sie im folgenden Kapitel eine wi<strong>ch</strong>tige, von George Spencer<br />

Browns Darstellung abwei<strong>ch</strong>ende Rolle spielt. <strong>Die</strong> Konsequenz CL ähnelt Konsequenz C4,<br />

besagt aber etwas an<strong>der</strong>es:<br />

CL: a b b = b<br />

Na<strong>ch</strong>dem wir uns dur<strong>ch</strong> einige Bere<strong>ch</strong>nungen mit „<strong>der</strong> Natur von Re<strong>ch</strong>en¬s<strong>ch</strong>ritten“ vertraut<br />

gema<strong>ch</strong>t haben und bevor wir die bere<strong>ch</strong>nenden Kalku¬lationen beenden und uns<br />

Eigens<strong>ch</strong>aften des Kalküls zuwenden, bemerken wir die Inkonsistenz des „Kalküls <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>ritte“, die mit dem zweiten Theorem, Kontraktion <strong>der</strong> Referenz, zusammenhängt:<br />

Konsequenzen als Zusammenfassungen von Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritten zu einem einzigen<br />

aufzufassen, führt zu einer auf den ersten Blick merkwürdigen Erkenntnis über die Natur von<br />

S<strong>ch</strong>ritten: keinen S<strong>ch</strong>ritt zu ma<strong>ch</strong>en, ist au<strong>ch</strong> ein S<strong>ch</strong>ritt. Wenn zwei (o<strong>der</strong> mehr) S<strong>ch</strong>ritte<br />

na<strong>ch</strong> obigen Überlegungen als ein S<strong>ch</strong>ritt aufgefasst werden können und zuglei<strong>ch</strong><br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gilt, dass einen S<strong>ch</strong>ritt zu ma<strong>ch</strong>en und ihn dann umgekehrt auszuführen ergibt,<br />

dass man insgesamt keinen S<strong>ch</strong>ritt unternommen hat, dann führt das zu einer Situation, die<br />

man folgen<strong>der</strong>maßen notieren kann (> ist ein S<strong>ch</strong>ritt, < ist <strong>der</strong> umgekehrte S<strong>ch</strong>ritt):<br />

> > < = > < = .<br />

> > < = > .<br />

In <strong>der</strong> ersten Zeile wurden im ersten S<strong>ch</strong>ritt (wir gebrau<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ritte in <strong>der</strong> Anzeige von<br />

S<strong>ch</strong>ritten) zwei S<strong>ch</strong>ritte zu einem zusammengefasst und dann dieser S<strong>ch</strong>ritt rückgängig<br />

gema<strong>ch</strong>t, so dass die ursprüngli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>rittfolge äquivalent damit ist, keinen S<strong>ch</strong>ritt zu<br />

ma<strong>ch</strong>en. In <strong>der</strong> zweiten Zeile wurde <strong>der</strong> zweite S<strong>ch</strong>ritt rückgängig gema<strong>ch</strong>t (man bea<strong>ch</strong>te die<br />

Abstände zwis<strong>ch</strong>en den Zei<strong>ch</strong>en), so dass ein einzelner S<strong>ch</strong>ritt übrig bleibt. Also ist das<br />

Ergebnis <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>nung in S<strong>ch</strong>ritten abhängig von <strong>der</strong> Reihenfolge <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ritte, die man zur<br />

Bere<strong>ch</strong>nung unternimmt, und somit ist <strong>der</strong> „Kalkül <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ritte“ inkonsistent. Das beunruhigt<br />

jedo<strong>ch</strong> insofern ni<strong>ch</strong>t, als ein S<strong>ch</strong>ritt ni<strong>ch</strong>t dazu geda<strong>ch</strong>t ist, eine Grenze zu kreuzen. Der<br />

Wert eines Ausdruckes än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Ausführen eines S<strong>ch</strong>rittes ni<strong>ch</strong>t. Und<br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Wertes ist es unbedeutend, ob ein S<strong>ch</strong>ritt unternommen wird o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

7. Kapitel: Theoreme zweiter Ordnung<br />

<strong>Die</strong> Theoreme zehn bis dreizehn <strong>der</strong> Browns<strong>ch</strong>en Algebra betreffen Verall-gemeinerungen<br />

von einigen zuvor aufgestellten Konsequenzen, die für die vorliegende Einführung<br />

unerhebli<strong>ch</strong> sind. Interessant ist ledigli<strong>ch</strong>, dass die Verallgemeinerung darin besteht,<br />

bestimmte Glei<strong>ch</strong>ungen auf jede Anzahl von Teilausdrücken auszuweiten. Damit ist zwar<br />

no<strong>ch</strong> keine Unendli<strong>ch</strong>keit gemeint, aber die Beweise können au<strong>ch</strong> auf dieser ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

explizit darstellbaren Ebene geführt werden.<br />

Das Theorem 10 wird später für die Interpretation für Zahlen relevant sein und dort<br />

angeführt.<br />

47


Na<strong>ch</strong>dem mit <strong>der</strong> Algebra variable Ausdrücke eingeführt wurden, bes<strong>ch</strong>reiben Theoreme<br />

zweiter Ordnung, dass die Länge <strong>der</strong> Ausdrücke in bestimmten Konsequenzen ebenfalls<br />

variabel ist.<br />

Des Weiteren kann man zum Beispiel zeigen (Theoreme 14 und 15), dass je<strong>der</strong> Ausdruck in<br />

einen an<strong>der</strong>en überführt werden kann,<br />

„<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr als zwei Kreuze tief ist“ o<strong>der</strong> „in dem ni<strong>ch</strong>t mehr als zwei Ers<strong>ch</strong>einungen<br />

je<strong>der</strong> gegebenen Variablen enthalten sind.“ (SPENCER BROWN 1997: 35)<br />

<strong>Die</strong>se Theoreme sind interessant, weil sie Aussagen über die Verän<strong>der</strong>¬barkeit <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

von Ausdrücken treffen. Sie werden aber au<strong>ch</strong> angeführt, weil sie bei dem späteren Beweis<br />

<strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>der</strong> Browns<strong>ch</strong>en Algebra benötigt werden.<br />

8. Kapitel: Wie<strong>der</strong>vereinigung <strong>der</strong> zwei Ordnungen<br />

Das a<strong>ch</strong>te Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> soll die Primäre Arithmetik und die Primäre Algebra<br />

na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> verbinden. Für den mathematis<strong>ch</strong>en Fortgang liefert es ni<strong>ch</strong>ts Neues, weshalb<br />

hier nur ihre beiden zentralen Aussagen wie<strong>der</strong>gegeben werden.<br />

Der Siebte Kanon (Prinzip <strong>der</strong> Relevanz) lautet:<br />

„Ist eine Eigens<strong>ch</strong>aft je<strong>der</strong> Bezei<strong>ch</strong>nung [Anzeige; F. L.] gemeinsam, brau<strong>ch</strong>t sie ni<strong>ch</strong>t<br />

bezei<strong>ch</strong>net [angezeigt; F. L.] werden.“ (SPENCER BROWN 1997: 37)<br />

und das Theorem 16 (<strong>Die</strong> Brücke):<br />

„Wenn Ausdrücke in jedem Fall einer [ ihrer; F. L.] Variablen äquivalent sind, sind sie<br />

äquivalent.“ (SPENCER BROWN 1997: 41)<br />

Weiter geht es mit allgemeineren Charakteristika des Kalküls.<br />

9. und 10. Kapitel: Vollständigkeit und Unabhängigkeit<br />

Vollständigkeit und Unabhängigkeit<br />

Für ein Verstehen und Na<strong>ch</strong>vollziehen des Indikationenkalküls sind diese beiden Kapitel <strong>der</strong><br />

Laws of <strong>Form</strong> unwesentli<strong>ch</strong>. Deshalb geben wir hier ledigli<strong>ch</strong> in an<strong>der</strong>en Worten wie<strong>der</strong>, was<br />

mit den Theoremen „Vollständig¬keit“ und „Unabhängigkeit“ zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t wird.<br />

<strong>Die</strong> Eigens<strong>ch</strong>aften Vollständigkeit und Unabhängigkeit na<strong>ch</strong>zuweisen, ist eine formale<br />

Anfor<strong>der</strong>ung, die einen Kalkül klassifiziert, und die ihn au<strong>ch</strong> mit an<strong>der</strong>en in diesen Hinsi<strong>ch</strong>ten<br />

verglei<strong>ch</strong>bar ma<strong>ch</strong>t. Im 9. Kapitel „Vollständigkeit“ beweist George Spencer Brown, dass<br />

seine Algebra und Arithmetik si<strong>ch</strong> ganz überlappen, also angemessen füreinan<strong>der</strong> sind.<br />

„Theorem 17 (Vollständigkeit): <strong>Die</strong> primäre Algebra ist vollständig.“ (SPENCER BROWN<br />

1997: 43)<br />

Das bedeutet, dass jede Glei<strong>ch</strong>ung, die als Theorem über die Primäre Arithmetik beweisbar<br />

ist, als Konsequenz in <strong>der</strong> Primären Algebra demonstriert werden kann. Da dies auf alle<br />

48


zutrifft, bezei<strong>ch</strong>nen wir den Kalkül na<strong>ch</strong> übli<strong>ch</strong>em mathematis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> als<br />

vollständig. Vollständigkeit ist damit eine relationale Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Kalkülen<br />

(Arithmetik und Algebra) und keine Eigens<strong>ch</strong>aft eines einzelnen. Eine Algebra wird<br />

„vollständig“ genannt, wenn sie alle Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>der</strong> dazu¬gehörigen Arithmetik in <strong>Form</strong><br />

von Konsequenzen repräsentiert. Der Beweis bedarf einiges an mathematis<strong>ch</strong>en<br />

Fertigkeiten, weshalb er hier den Rahmen sprengen würde.<br />

Im Hinblick auf die Unvollständigkeitssätze von Kurt Gödel (siehe GÖDEL 1931) könnte die<br />

Feststellung, dass <strong>der</strong> Indikationenkalkül ni<strong>ch</strong>t nur kon¬sistent , also wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfrei ist,<br />

son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> vollständig, auf den ersten Blick Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> hervorrufen. Eine naheliegende<br />

Vermutung ist, dass die Sätze von Kurt Gödel hier keine Anwendung finden, weil die Laws of<br />

<strong>Form</strong> das Imaginäre zu repräsentieren erlauben (vgl. den Abs<strong>ch</strong>nitt in I. 4.: „Der re-entry und<br />

<strong>der</strong> imaginäre Wert“, S. 92ff.). Wenn das Imaginäre einem formalen System inhärent ist,<br />

lassen si<strong>ch</strong> die Sätze von Gödel ni<strong>ch</strong>t mehr auf dieses System applizieren.<br />

Zudem beweist George Spencer Brown im 10. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> die Unabhängigkeit<br />

<strong>der</strong> beiden Initiale <strong>der</strong> Primären Algebra. Das heißt, dass mit keinem von beiden das an<strong>der</strong>e<br />

Initial demonstriert werden kann. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s formuliert: Würde man auf eines verzi<strong>ch</strong>ten,<br />

könnte man ni<strong>ch</strong>t die glei<strong>ch</strong>en Konsequenzen demonstrieren und erhielte mithin ni<strong>ch</strong>t den<br />

Indikationenkalkül. Das sagt aber ni<strong>ch</strong>ts darüber aus, ob man ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> mit an<strong>der</strong>en<br />

Theoremen <strong>der</strong> Primären Arithmetik den Indikationenkalkül begründen könnte.<br />

Beweis und Demonstration bzw. Theorem und Konsequenz<br />

Für den geregelten Ablauf <strong>der</strong> Kalkulation und für seine Darstellung ist es ni<strong>ch</strong>t notwendig,<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Begründungs- o<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigungsformen zu unters<strong>ch</strong>eiden und begriffli<strong>ch</strong><br />

sauber zu trennen. Das gehört ni<strong>ch</strong>t zum Kalkül, son<strong>der</strong>n zu seinem Meta-Berei<strong>ch</strong>. In <strong>der</strong><br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Mathe¬matik wurde das au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t getan, obwohl die Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Beweis und Demonstration sehr einleu<strong>ch</strong>tend ist. Mit ihr gewinnen wir einige<br />

Erkenntnisse über die Struktur von Kalkülen.<br />

Eine Demonstration ist eine Anwendung <strong>der</strong> Regeln des Kalküls, die au<strong>ch</strong> beispielsweise ein<br />

Computer ausführen kann. Für den Beweis eines Theorems haben wir dagegen etwas zu<br />

finden, das ni<strong>ch</strong>t in den Regeln und Gesetzen des Kalküls vorkommt und das einen weiteren<br />

Zusammenhang bes<strong>ch</strong>reibt. Das Beispiel <strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong> vielen Primzahlen ma<strong>ch</strong>t den<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>ied deutli<strong>ch</strong> (vgl. S. 25f.). Für den Beweis wird zwar abstrakt auf die<br />

Grundre<strong>ch</strong>enarten zurückgegriffen, die den Anwendungen <strong>der</strong> Konsequen¬zen entspre<strong>ch</strong>en.<br />

Aber dies ist nur Hilfsmittel für eine Beweisidee. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kommt in dem Beweis keine<br />

einzige Demonstration vor. Au<strong>ch</strong> Beweisideen können die <strong>Form</strong> von anerkannten Mustern<br />

haben. In diesem Beispiel besteht es darin, die Endli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Primzahlen<br />

anzu¬nehmen, und dann einen Re<strong>ch</strong>enweg zu finden, mit dem man auf einen Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong><br />

stößt; es handelt si<strong>ch</strong> um einen so genannten Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>s¬beweis. Wenn wir eine größte<br />

Primzahl als gegeben annehmen und bestimmte Überlegungen vollziehen, die mit dieser<br />

49


Annahme einhergehen, so führt uns das zu <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, dass es größere Primzahlen geben<br />

muss.<br />

Eine Mögli<strong>ch</strong>keit, den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den Re<strong>ch</strong>tfertigungs¬formen Beweis und<br />

Demonstration genauer zu bes<strong>ch</strong>reiben, liegt in <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von Innen und Außen<br />

des Kalküls. Da eine Demonstration in <strong>der</strong> Befolgung von Anweisungen besteht, die dur<strong>ch</strong><br />

den Kalkül bereit¬gestellt werden, wohingegen wir in einem Beweis mit Begriffen operieren,<br />

die den Anweisungen des Kalküls ni<strong>ch</strong>t zugängli<strong>ch</strong> sind, besteht <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />

Beweis und Demonstration darin, dass<br />

„eine Demonstration innerhalb des Kalküls, ein Beweis außerhalb“ stattfindet. (SPENCER<br />

BROWN 1997: 81)<br />

<strong>Die</strong>s bedeutet, dass ein Beweis si<strong>ch</strong> niemals auf die glei<strong>ch</strong>e Art und Weise re<strong>ch</strong>tfertigen lässt<br />

wie eine Demonstration.<br />

Daraus folgt ein unüberwindli<strong>ch</strong>es Dilemma:<br />

„Je<strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, sol<strong>ch</strong>e Beweise [die den Anweisungen des Kalküls ni<strong>ch</strong>t zugängli<strong>ch</strong> sind; F.<br />

L.] selbst zum Gegenstand von Anweisungen zu ma<strong>ch</strong>en, gelingt nur um den Preis, ein<br />

an<strong>der</strong>es Kalkül zu ers<strong>ch</strong>affen, in dem das ursprüngli<strong>ch</strong>e Kalkül eingebettet ist, und außerhalb<br />

dessen wir wie<strong>der</strong> <strong>Form</strong>en erkennen werden, die einem Beweis zugängli<strong>ch</strong> sind, ni<strong>ch</strong>t aber<br />

einer Demonstration.“ (SPENCER BROWN 1997:80f.)<br />

<strong>Die</strong> Gewissheit über die Gültigkeit eines Beweises, die na<strong>ch</strong> obigen Aus¬führungen ni<strong>ch</strong>t auf<br />

<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>en Evidenz wie die einer Demonstration beruhen kann, sieht George Spencer<br />

Brown im Konzept <strong>der</strong> Erfahrung. Deshalb müsse unsere Gewissheit auf dieser Stufe als<br />

intuitiv angesehen werden. O<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>en Worten: Wenn wir die Struktur eines Beweises<br />

ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> unseres Kalküls kodifiziert haben (und dann würden wir einer Struktur ni<strong>ch</strong>t<br />

den Namen Beweis geben), müssen wir auf eine an<strong>der</strong>e Weise Gewissheit über die<br />

Gültigkeit erlangen. Wenn wir ni<strong>ch</strong>t aufgrund unserer Erfahrung mit dem vertraut wären, was<br />

wir als die Grundlage eines Beweises ansehen, könnten wir einen Beweis ni<strong>ch</strong>t als Beweis<br />

erkennen. Das Konzept <strong>der</strong> Erfahrung ist verwandt mit <strong>der</strong> Methode von Befehl und<br />

Betra<strong>ch</strong>tung, in <strong>der</strong> das Selber-Tun zu Wissen führt.<br />

Zudem wissen Mathematiker meistens s<strong>ch</strong>on, ob ein Theorem gültig ist, selbst wenn sie<br />

no<strong>ch</strong> keinen Beweis haben. Dass dies tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Fall ist, zeigt die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass<br />

Mathematiker fast immer Theoreme o<strong>der</strong> Sätze zu beweisen su<strong>ch</strong>en, bei denen es ihnen<br />

(o<strong>der</strong> einem an<strong>der</strong>en) s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> gelingt. In Anbetra<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> großen Anzahl mögli<strong>ch</strong>er<br />

Theoreme können wir s<strong>ch</strong>ließen, dass Mathematiker über ein intuitives Vorwissen verfügen,<br />

das aus ihren Kenntnissen <strong>der</strong> Materie rührt.<br />

Insofern spri<strong>ch</strong>t George Spencer Brown davon, dass Kalkül und Beweis in einem<br />

angemessenem Verhältnis zueinan<strong>der</strong> stehen müssen. Der Kalkül erweist si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> George<br />

Spencer Brown als die gemeinsame Grenze zwis<strong>ch</strong>en Beweis und Demonstration (siehe<br />

SPENCER BROWN 1997: 80ff.). In diesem Sinne können wir anhand <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Beweis und Demonstration den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Primärer Arithmetik und<br />

Primärer Algebra illustrieren. Na<strong>ch</strong>dem die Initiale <strong>der</strong> Primären Algebra selbst zum<br />

Zeitpunkt ihrer Herleitung Theoreme <strong>der</strong> Primären Arithmetik sind, können wir eine<br />

Glei<strong>ch</strong>ung mit Variablen je na<strong>ch</strong> unserem Standpunkt entwe<strong>der</strong> als Theorem in <strong>der</strong><br />

Arithmetik o<strong>der</strong> als Konsequenz in <strong>der</strong> Algebra auffassen. Da jede demonstrierbare<br />

Konsequenz in <strong>der</strong> Algebra ein beweisbares Theorem über die Arithmetik bezei<strong>ch</strong>net,<br />

können wir sagen, dass Konsequenzen in <strong>der</strong> Algebra Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>der</strong> Arithmetik<br />

repräsentieren.<br />

50


4. Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades<br />

Der Indikationenkalkül hat bislang bis auf seine einfa<strong>ch</strong>e, s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>te, gera¬dezu<br />

minimalistis<strong>ch</strong>e Darstellung ni<strong>ch</strong>ts grundsätzli<strong>ch</strong> Neues zu Tage gebra<strong>ch</strong>t, das heißt, bis hier<br />

unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> die Algebren Booles und Spencer Browns inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Aus <strong>der</strong><br />

Einfa<strong>ch</strong>heit und dem minimalis¬tis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>alismus resultiert aber gerade die Einsi<strong>ch</strong>t, dass<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen ni<strong>ch</strong>t auf den ersten Grad bes<strong>ch</strong>ränkt sind. Am Ende dieses Kapitels soll daher<br />

auf den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Booles<strong>ch</strong>er und Browns<strong>ch</strong>er Algebra eingegangen und<br />

herausgearbeitet werden, woher <strong>der</strong> Gewinn <strong>der</strong> Entde¬ckung von Glei<strong>ch</strong>ungen höheren<br />

Grades rührt und was sie für die mathe¬matis<strong>ch</strong>e Theorie leistet.<br />

In den vorangegangenen Abs<strong>ch</strong>nitten wurde <strong>der</strong> Indikationenkalkül bis zu einem Punkt<br />

entwickelt, von dem aus die wi<strong>ch</strong>tigen Eigens<strong>ch</strong>aften Voll¬ständigkeit und Unabhängigkeit<br />

gefunden werden konnten. Nun betreten wir Neuland, indem ein Verfahren entdeckt wird, mit<br />

dem gewisse unend¬li<strong>ch</strong>e Ausdrücke als endli<strong>ch</strong>e dargestellt werden können, so dass ihre<br />

zugehörigen Werte trotz <strong>der</strong> Unendli<strong>ch</strong>keit in einer endli<strong>ch</strong>en Bere<strong>ch</strong>nung gefunden werden<br />

können.<br />

Der Grad einer Glei<strong>ch</strong>ung gibt die Unbestimmtheit des Wertes (markiert o<strong>der</strong> unmarkiert) <strong>der</strong><br />

in ihr vorkommenden Ausdrücke an. Ausdrücke in Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades sind eindeutig<br />

bestimmt und es werden keine weiteren benötigt, um beispielsweise Logik zu betreiben. Von<br />

daher ist es ni<strong>ch</strong>t verwun<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>, dass es gelingen konnte, eine fundamentale Algebra (wie<br />

zum Beispiel die von George Boole) auf einem logis<strong>ch</strong>en Fundament zu entwickeln. Jedo<strong>ch</strong><br />

handelt man si<strong>ch</strong> damit unüberwindli<strong>ch</strong>e Probleme ein, da man die Mathematik von<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen höheren Grades abs<strong>ch</strong>neidet, wenn man sie mit Logik begründet; denn auf<br />

diese Weise werden (unnöti¬gerweise) logis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>ränkungen in die Mathematik<br />

importiert.<br />

Um den Zugang zu diesem wesentli<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>wer verständli<strong>ch</strong>en Kapitel zu erlei<strong>ch</strong>tern,<br />

wird eine kurze Skizze des Inhaltes vorangestellt: Na<strong>ch</strong> George Spencer Brown erhält man<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades, indem unendli<strong>ch</strong>e algebrais<strong>ch</strong>e Ausdrücke dur<strong>ch</strong><br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit als endli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen darstellt werden. Dazu muss ein Teilausdruck<br />

auf beiden Seiten <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung auf no<strong>ch</strong> zu spezifizierende Art und Weise vor¬kommen.<br />

<strong>Die</strong> so genannten Gedä<strong>ch</strong>tnis- und Oszillatorfunktionen liefern die einfa<strong>ch</strong>sten<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong>en Ausdrücke: entwe<strong>der</strong> wird immer <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>e Wert (selbstbestätigend)<br />

angenommen o<strong>der</strong> es findet ein perma¬nenter We<strong>ch</strong>sel des Wertes (selbstwi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>end)<br />

statt. Auf <strong>der</strong> Ebene von Aussagen entspre<strong>ch</strong>en diese Glei<strong>ch</strong>ungen <strong>der</strong> Tautologie und <strong>der</strong><br />

<strong>Paradoxie</strong>. Nun sind Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades nur dann stets einer Lösung zugängli<strong>ch</strong>,<br />

wenn man einen bisher ni<strong>ch</strong>t benötigten und betra<strong>ch</strong>¬teten Wert gebrau<strong>ch</strong>t. Als Lösung für<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades führt George Spencer Brown den so genannten imaginären<br />

Wert ein, den er bes<strong>ch</strong>reibt als Oszillation zwis<strong>ch</strong>en dem markierten und dem unmarkierten<br />

Zustand. <strong>Die</strong>se Oszillation, die Zeit benötigt, unterwan<strong>der</strong>t die Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung,<br />

was dur<strong>ch</strong> das Bild des Tunnels dargestellt wird.<br />

Für die mathematis<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> imaginäre Wert entdeckt wird, prägte George<br />

Spencer Brown den Begriff re-entry (Wie<strong>der</strong>-Eintritt): Eine Unters<strong>ch</strong>eidung wird auf ihrer<br />

bezei<strong>ch</strong>neten Seite in si<strong>ch</strong> selbst wie<strong>der</strong> eingeführt. Sie ist dann einerseits die getroffene,<br />

gerade verwendete Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, die Grundlage einer Beoba<strong>ch</strong>tung, aber au<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Gegenstand <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung. In <strong>der</strong> oben erwähnten Terminologie können wir formu¬lieren,<br />

dass die Unters<strong>ch</strong>eidung einerseits getroffen und an<strong>der</strong>erseits vor¬gestellt wird (siehe im<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt „Grundlegende Ideen: Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige“ in I. 1.: S. 36). Niklas<br />

51


Luhmann spri<strong>ch</strong>t dabei vom re-entry <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung in das Unters<strong>ch</strong>iedene. So führt ein<br />

re-entry beispielsweise zu Fragen wie: Ist die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en wahr und fals<strong>ch</strong><br />

selbst wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>? Ist die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en gere<strong>ch</strong>t und ungere<strong>ch</strong>t selbst denn<br />

überhaupt gere<strong>ch</strong>t?<br />

Nur mit <strong>der</strong> Figur des re-entry ist (Selbst-)Reflexion mögli<strong>ch</strong>, denn nur so ist es mögli<strong>ch</strong>, si<strong>ch</strong><br />

intern wie von außen zu beoba<strong>ch</strong>ten. Au<strong>ch</strong> Selbst¬referenzen wie die Erfors<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong><br />

Fors<strong>ch</strong>ung, die Liebe <strong>der</strong> Liebe o<strong>der</strong> das Erlernen des Lernens etc. sind dur<strong>ch</strong> einen re-entry<br />

bes<strong>ch</strong>reibbar. Im Kontext des vorliegenden Textes wird die Figur des re-entry aber vor allem<br />

für die ernsten wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Probleme in den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik fru<strong>ch</strong>tbar<br />

(siehe dazu den Teil II: „Zu den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik: <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“, S.<br />

112ff.).<br />

11. Kapitel: Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades<br />

Das 11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> leitet George Spencer Brown ein, indem er betont, dass<br />

die Anzahl <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>ritte in einer Demonstration endli<strong>ch</strong> ist. Hätten wir uns ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong>art<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt, hätten wir Demonstrationen ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>führen können; wir hätten in unendli<strong>ch</strong>en<br />

Ausdrücken keine Mögli<strong>ch</strong>keit, ihren Wert zu bestimmen. Der Kanon 9 (Regel <strong>der</strong><br />

Demonst¬ration) ist ein Prinzip, das wir die ganze Zeit befolgt haben und befolgen mussten.<br />

Es besagt, dass die Demonstration einer jeden Äquivalenz von Ausdrücken in endli<strong>ch</strong> vielen<br />

S<strong>ch</strong>ritten dur<strong>ch</strong>geführt werden kann (vgl. SPENCER BROWN 1997: 47; 1969: 54). Denn<br />

wenn sie ni<strong>ch</strong>t in endli<strong>ch</strong> vielen S<strong>ch</strong>ritten dur<strong>ch</strong>geführt werden kann, kommt man nie zu<br />

einem Ende, das heißt, man könnte die Demonstration ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>führen. Der neunte Kanon<br />

ist eine Wie<strong>der</strong>holung und Fixierung <strong>der</strong> Endli<strong>ch</strong>keit, die wir für Ausdrücke (ni<strong>ch</strong>t für<br />

Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte) s<strong>ch</strong>on im ersten Theorem („<strong>Form</strong>“) gefunden hatten.<br />

Unendli<strong>ch</strong>e Ausdrücke und selbstbezügli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

Wir können eine Folge von wie<strong>der</strong>kehrenden Befehlen beginnen, um einen Anfangsausdruck<br />

in an<strong>der</strong>e, äquivalente Ausdrücke zu än<strong>der</strong>n, die si<strong>ch</strong> nur in <strong>der</strong> Länge unters<strong>ch</strong>eiden:<br />

Abwe<strong>ch</strong>selnd sind a und b dur<strong>ch</strong> eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung getrennt. Mit <strong>der</strong> Darstellung einer<br />

S<strong>ch</strong>rittfolge von äquivalenten Ausdrücken zeigt George Spencer Brown, dass <strong>der</strong> Ausdruck<br />

S1: a b<br />

auf eine Weise umgeformt werden kann, so dass Ausdrücke entstehen, die na<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>er<br />

<strong>Form</strong> aufgebaut sind, so dass si<strong>ch</strong> a und b dur<strong>ch</strong> jeweils ein cross getrennt abwe<strong>ch</strong>seln. Wir<br />

erläutern die Demonstration wie folgt:<br />

a b = a b a b Hier wird C5 angewendet, wona<strong>ch</strong> ein beliebiger Ausdruck au<strong>ch</strong><br />

zweimal nebeneinan<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>rieben werden kann.<br />

= a b a b Mit Konsequenz C1 wird das b des ersten Teilausdrucks unter zwei<br />

Kreuze gestellt.<br />

= a b a a b b Na<strong>ch</strong> Initial J2 kann <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>te Teilausdruck unter die beiden Kreuze<br />

ges<strong>ch</strong>rieben werden, die innerhalb des linken Teilausdruckes stehen.<br />

= a b a b Mit CL wird <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>te Teilausdruck im äußersten Kreuz vereinfa<strong>ch</strong>t.<br />

= a b a b Na<strong>ch</strong> Konsequenz C1 können die beide Kreuze, die das b beinhalten,<br />

weggelassen werden. <strong>Die</strong>ser Ausdruck wird S2 genannt.<br />

52


Damit ist na<strong>ch</strong>vollziehbar, wie wir von dem Ausdruck S1 zu dem ähn¬li<strong>ch</strong>en, verlängerten S2<br />

gelangen. Indem wir die Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte erneut ausführen, erweitern bzw. verlängern wir zum<br />

Beispiel S2 zu S3 usw. Je<strong>der</strong> dieser Ausdrücke Si ist in Abhängigkeit <strong>der</strong> Werte von a und<br />

b selbstverständli<strong>ch</strong> auf einen <strong>der</strong> primären Zustände zurückführbar. Da wir<br />

Äquivalenzumformungen vornehmen, haben alle diese dur<strong>ch</strong> die wie<strong>der</strong>¬kehrende<br />

S<strong>ch</strong>rittfolge produzierten Ausdrücke die glei<strong>ch</strong>en Werte für die glei<strong>ch</strong>e Einsetzung von a und<br />

b. Sie sind für alle Si identis<strong>ch</strong>.<br />

Aufgrund des fünften Kanons <strong>der</strong> Erweiterung <strong>der</strong> Referenz können wir den Vorgang <strong>der</strong><br />

Verlängerung des Ausdruckes S1 uneinges<strong>ch</strong>ränkt, also endlos fortsetzen.<br />

Das ist <strong>der</strong> „Knackpunkt“, <strong>der</strong> den Indikationenkalkül von Booles Algebra u.ä. unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Denn nur über die unendli<strong>ch</strong>e Fortsetzung <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte kann <strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong>e Ausdruck<br />

konstruiert werden. Und nur ein unendli<strong>ch</strong>er Ausdruck kann in eine selbstbezügli<strong>ch</strong>e endli<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Form</strong> gebra<strong>ch</strong>t werden. Der Vorgang <strong>der</strong> Verlängerung setzt si<strong>ch</strong> zeitlos fort, ihm wird kein<br />

Ende gesetzt. Für jemanden, <strong>der</strong> ihn produzieren, also festlegen wollte, ist das ein<br />

unmögli<strong>ch</strong>es Unterfangen, weil es unendli<strong>ch</strong> viel Zeit bräu<strong>ch</strong>te.<br />

Weil wir den spezifis<strong>ch</strong>en wie<strong>der</strong>kehrenden Charakter <strong>der</strong> endlosen Folge von Ausdrücken<br />

erkennen, können wir in <strong>der</strong> Vorstellung zu einem unendli<strong>ch</strong>en Ausdruck gelangen. Mit Hilfe<br />

von Punkten (...) kann er vorläufig gekennzei<strong>ch</strong>net sein. Wir besitzen wegen des Weges<br />

über die Unendli<strong>ch</strong>keit jedo<strong>ch</strong> keine Gewissheit darüber, ob dieser no<strong>ch</strong> ungreifbare<br />

Ausdruck S au<strong>ch</strong> die glei<strong>ch</strong>en Werte annimmt wie die Si.<br />

S: ... a b a b ...<br />

Wegen seiner speziellen <strong>Form</strong> können wir den Ausdruck S mit einem endli<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>alismus<br />

als Glei<strong>ch</strong>ung ausdrücken:<br />

S: f = f a b<br />

Da <strong>der</strong> Teil f des Ausdruckes, indem er unendli<strong>ch</strong> fortgesetzt wird, in je<strong>der</strong> geradzahligen<br />

Tiefe identis<strong>ch</strong> mit dem ganzen Ausdruck ist, da er also in seinem eigenen Raum wie<strong>der</strong><br />

vorkommt, erhielt diese <strong>Form</strong> den Namen re-entry (Wie<strong>der</strong>-Eintritt). Hier ist es keine einzelne<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, die in si<strong>ch</strong> selbst eingeführt wird, son<strong>der</strong>n ein Ausdruck, <strong>der</strong> in si<strong>ch</strong> selbst<br />

vorkommt.<br />

Mit dem re-entry einer <strong>Form</strong> in sie selbst wird das Infinite in finiter Gestalt präsentiert. Das<br />

heißt, Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit ermögli<strong>ch</strong>t Endli<strong>ch</strong>keit in <strong>der</strong> Darstellung von Unendli<strong>ch</strong>keit. Dabei<br />

wird die Redundanz genutzt, die unendli<strong>ch</strong>e, aber regelmäßige Ausdrücke, das heißt<br />

Ausdrücke mit wie<strong>der</strong>kehrenden Teilausdrücken, mit si<strong>ch</strong> bringen. Ohne diese<br />

Regel¬mäßigkeit wäre die formale Vereinfa<strong>ch</strong>ung mittels Selbstbezug ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>.<br />

Über die Unendli<strong>ch</strong>keit sind die beiden f in <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung S tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong>. O<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>sherum: Damit S erfüllt sein kann, muss f ein unend¬li<strong>ch</strong>er Ausdruck sein. <strong>Die</strong>s ist als<br />

endli<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ung darstellbar, indem die beiden f auf einer an<strong>der</strong>en Ebene stehen: Das f<br />

auf <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>ten Seite steht in einem Ausdruck in <strong>der</strong> Tiefe zwei. Und insofern bezieht f si<strong>ch</strong><br />

auf si<strong>ch</strong> selbst. Wir halten also fest, dass mit Hilfe von Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit unend¬li<strong>ch</strong>e<br />

Ausdrücke in eine endli<strong>ch</strong>e Darstellung gebra<strong>ch</strong>t werden können. Denn die mögli<strong>ch</strong>en Werte<br />

<strong>der</strong> Variablen in <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung S sind nun in einer endli<strong>ch</strong>en Anzahl von S<strong>ch</strong>ritten<br />

bere<strong>ch</strong>enbar. Um f zu bestimmen, betra<strong>ch</strong>tet man, wel<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> beiden einfa<strong>ch</strong>en Zustände f<br />

unter einer bestimmten Belegung von a und b annimmt. Wir erhalten<br />

überras<strong>ch</strong>en¬<strong>der</strong>weise: Für a = b = n hängt das f auf <strong>der</strong> linken Seite davon ab, wel<strong>ch</strong>en<br />

Wert man für das f auf <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>ten Seite annimmt. Jede <strong>der</strong> beiden Annah¬men ist zwar<br />

selbstbestätigend, insofern das zunä<strong>ch</strong>st unbestimmte f im Wert dem zunä<strong>ch</strong>st festgelegten f<br />

entspre<strong>ch</strong>en muss, aber es sind eben beide Annahmen mögli<strong>ch</strong>. Und damit hat <strong>der</strong><br />

53


unendli<strong>ch</strong>e Ausdruck S ni<strong>ch</strong>t für jede Belegung von a und b die glei<strong>ch</strong>en Werte wie die Si.<br />

Für diese gilt, dass sie den unmarkierten Wert anzeigen, wenn a und b unmarkiert sind.<br />

<strong>Die</strong> Tatsa<strong>ch</strong>e, dass wir unendli<strong>ch</strong> viele S<strong>ch</strong>ritte unternehmen mussten (und weiterhin<br />

müssen), um S hervorzubringen, hat zur Folge, dass wir<br />

„...von einem gegebenen Ausdruck S1 aus einen Ausdruck S errei<strong>ch</strong>en können, <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

äquivalent mit S1 ist.“ (SPENCER BROWN, 1997: 49)<br />

Mathematis<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet wurde damit über Unendli<strong>ch</strong>keit und Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit<br />

Unbestimmtheit in die Kalkulation eingeführt. Bisher hatten wir in <strong>der</strong> Browns<strong>ch</strong>en Algebra<br />

Unbestimmtheit nur insofern zu berück¬si<strong>ch</strong>tigen, als ein Ausdruck unabhängige Variablen<br />

enthielt, so dass er im Allgemeinen nur mit <strong>der</strong> Kenntnis bestimmt werden konnte, wel<strong>ch</strong>e<br />

Zustände dur<strong>ch</strong> die Variablen angezeigt sind. Der Grad sol<strong>ch</strong>er Glei<strong>ch</strong>un¬gen ist eins. <strong>Die</strong><br />

hier betra<strong>ch</strong>tete Glei<strong>ch</strong>ung S ist jedo<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Festlegung von a und b ni<strong>ch</strong>t restlos bestimmt.<br />

Der Grad ihrer Unbestimmtheit ist daher: zwei.<br />

Der re-entry und <strong>der</strong> imaginäre Wert<br />

Wegen <strong>der</strong> Unendli<strong>ch</strong>keit von Ausdrücken ist es mögli<strong>ch</strong>, algebrais<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

aufzustellen, die in <strong>der</strong> Primären Arithmetik ni<strong>ch</strong>t dargestellt werden können. Der Abste<strong>ch</strong>er<br />

in die Unendli<strong>ch</strong>keit ma<strong>ch</strong>t es unmögli<strong>ch</strong>, bestimmte Glei<strong>ch</strong>ungen in <strong>der</strong> Arithmetik zu<br />

überprüfen. Sie können jedo<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Algebra bestimmt werden. Das einfa<strong>ch</strong>ste Beispiel ist:<br />

O : f = f<br />

<strong>Die</strong>se Glei<strong>ch</strong>ung ist erfüllt, wenn f mit dem Ausdruck o: ... ... glei<strong>ch</strong>gesetzt wird, <strong>der</strong> eine<br />

unendli<strong>ch</strong>e Anzahl ineinan<strong>der</strong> gestellter Markierungen repräsentiert. Sie wird<br />

Oszillatorfunktion genannt. Eine weitere Glei<strong>ch</strong>ung ist die Gedä<strong>ch</strong>tnisfunktion:<br />

G : f =<br />

f<br />

In G kann f den markierten und den unmarkierten Zustand annehmen, um die Glei<strong>ch</strong>ung zu<br />

erfüllen, und au<strong>ch</strong> o ist Lösung dieser Glei<strong>ch</strong>ung. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite steht f in <strong>der</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>ung O den arithmetis<strong>ch</strong>en Lösungen und ni<strong>ch</strong>t offen. Und wenn o die Glei<strong>ch</strong>ung<br />

O lösen soll, kann o kein feststehen<strong>der</strong> Ausdruck sein. Er muss si<strong>ch</strong> unentwegt verlängern.<br />

<strong>Die</strong>ser Zustand befindet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> George Spencer Brown ni<strong>ch</strong>t mehr im Raum – wie alle<br />

<strong>Form</strong>en und Ausdrücke zuvor –, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Zeit. Zeit ist ein vollkommen neues Konzept<br />

im Kalkül. Zeit ist au<strong>ch</strong> <strong>Form</strong>, aber sie stammt aus <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, während<br />

Raum, unser bisheriges Konzept, auf <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Konstanz, <strong>der</strong> Stabilität beruht.<br />

„Wir wei<strong>ch</strong>en aus in den Tunnel, und das heißt: in die Zeit.“ (BAECKER 1993b: 13)<br />

<strong>Die</strong> paradoxe, von <strong>der</strong> einen auf die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung verweisende Situation,<br />

wie sie die Oszillatorfunktion darstellt, kann mit den Mitteln, die <strong>der</strong> Kalkül mit den<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades bereitstellt, ni<strong>ch</strong>t gelöst werden. We<strong>der</strong> ist eine <strong>der</strong> Seiten die<br />

Lösung no<strong>ch</strong> beide o<strong>der</strong> keine. Deshalb wird ein völlig neues Konzept eingeführt, ein<br />

Konzept, das die paradoxe Situation in ein Na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zustände auflöst. In einer<br />

endlosen Oszillation we<strong>ch</strong>selt die Markierung zwis<strong>ch</strong>en den beiden Zuständen o<strong>der</strong> Werten.<br />

Der unendli<strong>ch</strong>e Ausdruck o muss unentwegt verlängert werden, um die Bedingung zu<br />

erfüllen, O zu lösen. Weil <strong>der</strong> Vorgang ohne Ende verläuft, setzt er si<strong>ch</strong> zeitlos fort. Auf <strong>der</strong><br />

einen Seite generiert er also Zeit, weil <strong>der</strong> imaginäre Zustand <strong>der</strong> <strong>Form</strong> ni<strong>ch</strong>t im Raum lösbar<br />

54


ist, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite tilgt er den Unters<strong>ch</strong>ied, den Zeit ma<strong>ch</strong>t, da si<strong>ch</strong> für ihn nie än<strong>der</strong>t,<br />

dass er si<strong>ch</strong> stets verän<strong>der</strong>t, und er wird zeitlos. Unendli<strong>ch</strong>keit und Zeit¬losigkeit entstehen<br />

zuglei<strong>ch</strong> als die Seiten <strong>der</strong> Grenze Zeit.<br />

In seiner Rezension <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> hat Heinz von Foerster auf die Entdeckung bzw.<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Zeit aus den Axiomen euphoris<strong>ch</strong> hingewiesen. I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te diesen Aspekt<br />

hier nur kurz ans<strong>ch</strong>neiden, um dann im erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil näher auf das<br />

„Entstehen“ von Zeit im Zusammenhang mit Raum einzugehen (siehe Seite 163ff.).<br />

<strong>Die</strong> hier mit <strong>der</strong> Oszillation gefundene Zeit ist <strong>der</strong> We<strong>ch</strong>sel zwis<strong>ch</strong>en den Zuständen unserer<br />

ersten Unters<strong>ch</strong>eidung. Der einzig mögli<strong>ch</strong>e We<strong>ch</strong>sel ist das Kreuzen von einem Zustand in<br />

den an<strong>der</strong>en. Au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Algebra <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades kreuzen wir<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen, aber dort sind wir es (von außen), die etwas tun – ansonsten ist das<br />

System statis<strong>ch</strong>. Wenn wir aber einen selbstbezügli<strong>ch</strong>en Ausdruck aufstellen, „bewegt“ er<br />

si<strong>ch</strong> von allein. Das ist <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ied.<br />

Das Konzept von Zeit, das wir mit dem imaginären Zustand o<strong>der</strong> Wert erhalten, entspri<strong>ch</strong>t<br />

jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem alltägli<strong>ch</strong>en Zeitkonzept. Mit <strong>der</strong> Oszillation geht kein Maß einher, was für<br />

unser gängiges Konzept von Zeit unentbehrli<strong>ch</strong> ist. <strong>Die</strong>se „erste Zeit“ hat keine Dauer, kein<br />

Maß; sie ist ledigli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> We<strong>ch</strong>sel, das Hin-und-her zwis<strong>ch</strong>en den Zuständen. <strong>Die</strong> Oszillation<br />

hat eben no<strong>ch</strong> keine Ges<strong>ch</strong>windigkeit, für die man Maßein-heiten von Raum und Zeit<br />

bräu<strong>ch</strong>te. Und erst wenn man Ges<strong>ch</strong>windig¬keiten unters<strong>ch</strong>eidet und so die Idee eines<br />

Maßes für Ges<strong>ch</strong>windigkeiten entwickeln kann, erhält man ein Konzept von Zeit, das auf <strong>der</strong><br />

Länge von Zeiteinheiten und <strong>der</strong>en Messbarkeit beruht. Für den hier intendierten Zeit¬begriff<br />

gilt aber no<strong>ch</strong> ganz abstrakt, dass er als si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>eidende Unent¬s<strong>ch</strong>iedenheit auftritt (vgl.<br />

BAECKER 2002: 77).<br />

Es ist einleu<strong>ch</strong>tend, dass eine Verän<strong>der</strong>ung nur erkannt werden kann, wenn ein „Medium“<br />

daran beteiligt ist, in dem die Verän<strong>der</strong>ung stattfindet: die Zeit. Das heißt ni<strong>ch</strong>t, dass das<br />

„Medium“ <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung ontologis<strong>ch</strong> vorgängig sein müsste, son<strong>der</strong>n vielmehr, dass<br />

beide Seiten einan<strong>der</strong> <strong>der</strong>art bedingen, dass sie wie die zwei Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

untrennbar verbunden sind: Der Begriff <strong>der</strong> Zeit ma<strong>ch</strong>t nur Sinn, wenn es Verän<strong>der</strong>un¬gen<br />

gibt. Än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts, können wir au<strong>ch</strong> keine Zeit feststellen, und umgekehrt sind<br />

Verän<strong>der</strong>ungen eines Zustandes nur in <strong>der</strong> Zeit auseinan<strong>der</strong> zu halten.<br />

Im Übrigen haben die Räume, die wir betra<strong>ch</strong>ten, au<strong>ch</strong> keine Größe. Am Anfang <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> haben wir keine Konzepte wie Abstand, Gestalt o<strong>der</strong> Größe eingeführt, nur das<br />

Konzept <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. Insofern stehen Räume au<strong>ch</strong> für keine Qualität, außer<br />

<strong>der</strong>jenigen, unters<strong>ch</strong>iedene Zustände zu kennzei<strong>ch</strong>nen. Ebenso finden wir in o<strong>der</strong> mit<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades eine Zeit, die ledigli<strong>ch</strong> den We<strong>ch</strong>sel zwis<strong>ch</strong>en den Zustän¬den<br />

darstellt, ohne weitere Eigens<strong>ch</strong>aften wie Dauer zu implizieren.<br />

Eine weitere Analogie stellen die Konzepte des positiven und negativen Feedbacks dar. Ein<br />

positives Feedback erinnert si<strong>ch</strong>, ein negatives oszil¬liert. Das heißt, mit den Laws of <strong>Form</strong><br />

haben wir eine Mathematik vorlie¬gen, die Feedback-Prozesse bes<strong>ch</strong>reiben kann.<br />

Mit dem re-entry bezei<strong>ch</strong>nen wir ganz allgemein die Wie<strong>der</strong>einführung einer Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

in den Berei<strong>ch</strong>, den sie zu unters<strong>ch</strong>eiden erlaubt. Ein Beispiel: Das Wissens<strong>ch</strong>aftssystem ist<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Systemtheorie von Niklas Luhmann auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

wahr/ni<strong>ch</strong>t-wahr aus¬differenziert. Wenn man eine Wissens<strong>ch</strong>aftstheorie erarbeitet, die die<br />

Verwendung dieser Unters<strong>ch</strong>eidung wie<strong>der</strong>um mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung wahr/ni<strong>ch</strong>t-wahr<br />

beoba<strong>ch</strong>tet, wird mit <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aftstheorie ein re-entry vollzogen. Bezügli<strong>ch</strong> des<br />

55


Wissens<strong>ch</strong>aftssystems befindet man si<strong>ch</strong> in einer sol<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aftstheorie auf einer<br />

Meta-Ebene, da man nun die Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wahrheit <strong>der</strong> Operation <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aft –<br />

also <strong>der</strong> Wahrheit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung wahr/ni<strong>ch</strong>t-wahr – stellen kann. Dadur<strong>ch</strong>, dass es die<br />

glei<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung ist, die auf si<strong>ch</strong> selbst angewendet wird, entsteht eine Situation,<br />

„in <strong>der</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung glei<strong>ch</strong>zeitig dieselbe (als die beson<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong><br />

Operationen dieses Systems) und eine an<strong>der</strong>e (als beoba<strong>ch</strong>tete Unters<strong>ch</strong>eidung) ist“.<br />

(BARALDI, CORSI, ESPOSITO 1998: 152)<br />

Im re-entry sind die systemeigene und die aktuelle Unters<strong>ch</strong>eidung, die beoba<strong>ch</strong>tete und die<br />

beoba<strong>ch</strong>tende identis<strong>ch</strong>. Dank des Rekurses auf die Zeit ist das System dazu fähig, die<br />

Operation <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung auf si<strong>ch</strong> selbst anzuwenden, die Unters<strong>ch</strong>eidung als Teil<br />

seiner selbst zu behandeln. So wird si<strong>ch</strong>tbar, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung auf zwei<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Ebenen vorkommt: als die aktuell beoba<strong>ch</strong>tende Operation und als <strong>der</strong><br />

Gegenstand <strong>der</strong> Operation.<br />

Das Bild des Tunnels<br />

Eine Mögli<strong>ch</strong>keit, si<strong>ch</strong> dieses Ges<strong>ch</strong>ehen, das heißt die Oszillation zwis<strong>ch</strong>en den Werten,<br />

o<strong>der</strong> diesen Un-Zustand, das heißt den imaginären Wert, räumli<strong>ch</strong> vorzustellen, liegt in dem<br />

Bild eines Tunnels, <strong>der</strong> die Grenze unterwan<strong>der</strong>t. Dur<strong>ch</strong> den Tunnel gelangt die Markierung<br />

von <strong>der</strong> einen Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung auf die an<strong>der</strong>e, ohne die Grenze zu kreuzen. Zu<br />

denken ist das als zeitli<strong>ch</strong>er Vorgang, <strong>der</strong> räumli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Unter¬tunnelung dargestellt<br />

wird. Da f im Raum unbestimmt ist, kann f imaginär in Bezug auf die <strong>Form</strong> genannt werden,<br />

ist aber in Bezug auf die Zeit real und<br />

„kann im Bezug auf si<strong>ch</strong> selbst im Raum bestimmt und somit real in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> werden.“<br />

(SPENCER BROWN 1997: 53)<br />

56


Wir befinden uns also weiterhin in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>, die dur<strong>ch</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit in eine zeitli<strong>ch</strong>e<br />

Dimension ausgedehnt wird. Im 11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ges<strong>ch</strong>ieht damit etwas<br />

vollkommen Neues. Zu Beginn des Kalküls wurde mit <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung als<br />

„perfekter Be-Inhaltung“ eine Grenze gezogen. Mit dem re-entry entdecken wir hier nun die<br />

an<strong>der</strong>e Seite dieser ursprüngli<strong>ch</strong> grundsätzli<strong>ch</strong>en Grenzziehung. Über die Einheit einer jeden<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung – mathematis<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Raum, in dem die Unter¬s<strong>ch</strong>eidung getroffen wurde –<br />

sind ihre Seiten (imaginär) verbunden. <strong>Die</strong> eine Seite ist ni<strong>ch</strong>ts ohne die an<strong>der</strong>e. <strong>Die</strong> Figur<br />

des re-entry verweist gerade auf die Einheit <strong>der</strong> zwei Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung und damit<br />

auf <strong>der</strong>en voneinan<strong>der</strong> abhängigem Bestehen. Sie haben ni<strong>ch</strong>t nur eine gemeinsame<br />

Grenze. Man gelangt von einer Seite auf die an<strong>der</strong>e trotz und wegen <strong>der</strong> Trennung.<br />

Damit än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> die Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. Mit dem imagi¬nären Wert wird die<br />

Grenze zwis<strong>ch</strong>en den Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung unterwan<strong>der</strong>t. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung, die<br />

in si<strong>ch</strong> selbst auf einer ihrer Seiten wie<strong>der</strong> vorkommt, trennt ihre beiden Seiten ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

perfekt, da man von einer Seite auf die an<strong>der</strong>e gelangt, ohne die Grenze zu kreuzen. Das<br />

Bild des Tunnels symbolisiert genau dies: auf die an<strong>der</strong>e Seite zu gelangen, ohne zu<br />

kreuzen, dafür aber Zeit in Anspru<strong>ch</strong> zu nehmen. Wir hatten ihre Perfektion bezügli<strong>ch</strong> Be-<br />

Inhaltung die ganze Zeit angenommen und finden nun, dass sie so ni<strong>ch</strong>t ist; perfekte Be-<br />

Inhaltung „beinhaltet“ Imperfektion.<br />

George Spencer Brown gibt jedo<strong>ch</strong> keine neue Definition an. Er stellt ledigli<strong>ch</strong><br />

verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>end heraus, dass die ursprüngli<strong>ch</strong>e Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung erweitert<br />

werden muss, da man mit <strong>der</strong> Zeit von einer Seite auf die an<strong>der</strong>e gelangt, ohne <strong>der</strong>en<br />

Grenze zu kreuzen.<br />

Au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Raum und Zeit kann verans<strong>ch</strong>au¬li<strong>ch</strong>t werden, was<br />

mit <strong>der</strong> Definition, wie wir sie ursprüngli<strong>ch</strong> kennen gelernt haben, hier ges<strong>ch</strong>ieht: Zu Beginn<br />

hatten wir die Unters<strong>ch</strong>eidung nur für ihre räumli<strong>ch</strong>e Hinsi<strong>ch</strong>t definiert. In <strong>der</strong> Zeit kann die<br />

Grenze <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung übers<strong>ch</strong>ritten werden, wobei die räumli<strong>ch</strong>e Trennung perfekt<br />

bleibt. Alles wandelt si<strong>ch</strong>, und denno<strong>ch</strong> können Beoba<strong>ch</strong>ter an bestehenden Identitäten<br />

festhalten.<br />

<strong>Die</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung können wir au<strong>ch</strong> lesen als: Mit Festlegung<br />

finden wir Verän<strong>der</strong>ung. Insofern sind die beiden Seiten ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>ieden. Sie gründen in<br />

einer Einheit (Verbundenheit), die man mit Zweiheit ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>en kann. Mit <strong>der</strong> Einführung<br />

von Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit kommt die Einheit in <strong>der</strong> hier vorliegenden <strong>Form</strong> wie<strong>der</strong> in den<br />

Blick. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist etwas so o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s, es ist festgelegt. Aber alles<br />

ist im Wandel, in Bewegung, und das können wir mit Hilfe <strong>der</strong> Idee von Zeit erkennen.<br />

Eine offenkundige und angesi<strong>ch</strong>ts <strong>der</strong> den Laws of <strong>Form</strong> vorangestellten <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>riftzei<strong>ch</strong>en naheliegende Analogie finden wir in dem Symbol von Yin-Yang, das aus <strong>der</strong><br />

daoistis<strong>ch</strong>en Tradition stammt.<br />

<br />

<strong>Die</strong> weiße und die s<strong>ch</strong>warze Flä<strong>ch</strong>e stehen für die <strong>Form</strong> einer Unters<strong>ch</strong>ei¬dung. <strong>Die</strong>se<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung steht auf einer Seite einer weiteren Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, die dur<strong>ch</strong> den Kreis<br />

angezeigt ist. Zusätzli<strong>ch</strong> zu <strong>der</strong> Grenze sind die Seiten über eine weitere Verbindung<br />

verknüpft: die Punkte <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en Farbe auf beiden Seiten (wir werden im<br />

57


erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil darauf zurück kommen: „Yin-Yang und <strong>der</strong> re-entry“ in III. 3., S.<br />

186).<br />

Modulation und Anwendungen<br />

<strong>Die</strong> letzten se<strong>ch</strong>s Seiten des 11. Kapitels <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> befassen si<strong>ch</strong> mit einigen<br />

Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ungen und Anwendungen: Impulse, die dur<strong>ch</strong> einen Ausdruck laufen; eine<br />

Markierung für selbstbezügli<strong>ch</strong>e Ausdrücke, so dass es mögli<strong>ch</strong> wird, einen<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong>en Ausdruck in einen größe¬ren Ausdruck zu stellen, ohne die Information zu<br />

verlieren, wel<strong>ch</strong>er Teil in si<strong>ch</strong> selbst wie<strong>der</strong> vorkommt (Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en cross und<br />

marker); und S<strong>ch</strong>altungen, die Abbildungen von Ausdrücken sind, anhand <strong>der</strong>er übersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

wird, wel<strong>ch</strong>e Wellenstruktur ein Ausdruck repräsentiert. <strong>Die</strong> beiden letzten<br />

Modulatorglei<strong>ch</strong>ungen im Text <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> sind insofern von Interesse, als mit diesen<br />

anhand von speziellen Computer¬s<strong>ch</strong>altkreisen zum ersten Mal in <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong><br />

Mathematik o<strong>der</strong> Te<strong>ch</strong>nik vorgeführt wird, wie <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> von imaginären Booles<strong>ch</strong>en ,<br />

also ni<strong>ch</strong>t-numeris<strong>ch</strong>en Werten zu realen Ergebnissen führt.<br />

Der so genannte marker wird benötigt, um kompliziertere selbstbezüg¬li<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

darzustellen zu können. Den bekannten Ausdruck S kann man mit Hilfe des markers zum<br />

Beispiel folgen<strong>der</strong>maßen notieren:<br />

S = a b<br />

Nun kann au<strong>ch</strong> dargestellt werden, dass in einem Ausdruck nur ein bestimmter Teilausdruck<br />

in si<strong>ch</strong> selbst wie<strong>der</strong> eingeführt wird:<br />

V = a b c d<br />

Und selbstbezügli<strong>ch</strong>e Teilausdrücke können au<strong>ch</strong> in einem weiteren, umfassenden<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong>en (Teil-)Ausdruck stehen o<strong>der</strong> zwei <strong>der</strong>artige Ausdrücken können ineinan<strong>der</strong><br />

vers<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>telt platziert werden. Dur<strong>ch</strong> die Einführung des markers können also au<strong>ch</strong><br />

erhebli<strong>ch</strong> komplexere Aus¬drücke und Glei<strong>ch</strong>ungen dargestellt werden als Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

zweiten Grades.<br />

In dem Abs<strong>ch</strong>nitt über die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> werden wir sehen, wie <strong>der</strong> imaginäre Wert <strong>der</strong><br />

(Browns<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t-numeris<strong>ch</strong>en) Algebra mit <strong>der</strong> imaginären Einheit in <strong>der</strong> numeris<strong>ch</strong>en<br />

Algebra (komplexe Zahlen) und wie diese beiden mit <strong>Paradoxie</strong>n zusammenhängen (siehe<br />

Seite 129ff.).<br />

Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Booles<strong>ch</strong>er und Browns<strong>ch</strong>er Algebra<br />

Au<strong>ch</strong> wenn man zur Browns<strong>ch</strong>en Algebra identis<strong>ch</strong>e Strukturen in Booles Konzeption findet,<br />

sind beide do<strong>ch</strong> grundlegend vers<strong>ch</strong>ieden. George Boole entwarf seine Algebra in The<br />

mathematical analysis of logic an die Logik angepasst, das heißt, er verstand Logik als<br />

Fundament seiner Algebra. Deshalb unterliegt seine Algebra logis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>ränkungen.<br />

Das hat zur Folge, dass eine zum re-entry äquivalente, also selbstbezügli<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

gefunden bzw. zugelassen werden kann. Ebenso kann die damit einhergehende <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Paradoxie</strong> ni<strong>ch</strong>t erkannt und entspre<strong>ch</strong>end berück-si<strong>ch</strong>tigt werden, was zu den<br />

fundamentalen Problemen in den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik geführt hat.<br />

58


<strong>Die</strong> <strong>Paradoxie</strong> „verstößt“ gegen die (in <strong>der</strong> Logik geltenden) Sätze vom ausges<strong>ch</strong>lossenen<br />

Dritten, vom Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> und von <strong>der</strong> Identität. Mit dem Satz vom ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten<br />

wird zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t, dass es nur die zwei zu Grunde gelegten Werte (in <strong>der</strong> Logik:<br />

wahr und fals<strong>ch</strong>) gibt, so dass jede Aussage entwe<strong>der</strong> dem einen o<strong>der</strong> dem an<strong>der</strong>en<br />

zugeord¬net werden muss. Eine dritte Mögli<strong>ch</strong>keit wäre eben ausges<strong>ch</strong>lossen. Der<br />

Indikationenkalkül basiert ni<strong>ch</strong>t auf diesem Satz, weil sonst Glei<strong>ch</strong>ungen höheren Grades<br />

ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> wären. Der Satz <strong>der</strong> Identität besagt, dass Einheiten identis<strong>ch</strong> gehalten werden<br />

müssen, und <strong>der</strong> Satz vom Wi<strong>der</strong>¬spru<strong>ch</strong>, dass etwas ni<strong>ch</strong>t sein Gegenteil sein kann.<br />

An<strong>der</strong>s formuliert: Etwas ist mit si<strong>ch</strong> selbst identis<strong>ch</strong>, A ist A; etwas ist ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> mit<br />

seinem Gegenteil, A ist ni<strong>ch</strong>t non-A. Au<strong>ch</strong> diese Sätze gelten nur für Glei<strong>ch</strong>ungen ersten<br />

Grades und bilden eine Bes<strong>ch</strong>ränkung, die eben dort gilt, bilden aber keine im eigentli<strong>ch</strong>en<br />

Sinne mathematis<strong>ch</strong>e Grenze.<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> erkennen wir, dass Logik ni<strong>ch</strong>t die zur Algebra gehörende Arithmetik<br />

ist, son<strong>der</strong>n nur eine ihrer Auslegungen. <strong>Die</strong> Arith¬metik, die zur ni<strong>ch</strong>t-numeris<strong>ch</strong>en Algebra<br />

gehört, ist die Primäre o<strong>der</strong> Browns<strong>ch</strong>e Arithmetik. Insofern können wir davon spre<strong>ch</strong>en,<br />

dass George Spencer Brown die Algebra Booles am Anfang um das Fundament erwei¬tert<br />

hat und sie dadur<strong>ch</strong> von logis<strong>ch</strong>en Bes<strong>ch</strong>ränkungen – insbeson<strong>der</strong>e vom Gesetz des<br />

ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten – befreit wurde, so dass Booles Algebra am Ende weiter geführt<br />

werden kann. Das heißt hier vor allem, dass <strong>der</strong> re-entry eine Figur des Wie<strong>der</strong>eins<strong>ch</strong>lusses<br />

des ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten ist.<br />

<strong>Die</strong> Problematisierung dieser drei für die klassis<strong>ch</strong>e Logik fundamen¬talen Gesetze kann<br />

no<strong>ch</strong> vertieft und vereinheitli<strong>ch</strong>t werden zu dem, was Niklas Luhmann als das „Problem <strong>der</strong><br />

Identität“ identifiziert hat (vgl. LUHMANN 1990a: 95). <strong>Die</strong> Logik postuliert einfa<strong>ch</strong> die<br />

Identität, und das ist auf <strong>der</strong> Ebene erster Ordnung au<strong>ch</strong> ohne weitere Bedenken mögli<strong>ch</strong>.<br />

Problematis<strong>ch</strong> wird dann aber, wie man den Identitätsbegriff aufre<strong>ch</strong>t erhalten kann, wenn<br />

eine Unters<strong>ch</strong>eidung in si<strong>ch</strong> selbst eingeführt wird – und dann ja zwar immer no<strong>ch</strong> die<br />

glei<strong>ch</strong>e, aber au<strong>ch</strong> eine an<strong>der</strong>e, eine wie<strong>der</strong> in si<strong>ch</strong> selbst eingeführte Unters<strong>ch</strong>eidung, und<br />

also au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die selbe ist. Für die Soziologie konstatiert Niklas Luhmann aufgrund des<br />

Problems <strong>der</strong> soziologis<strong>ch</strong>en Praxis, die au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst – ihre eigene Tat¬sä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit –<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen können müsse, dass die Prämissen einer zweiwertigen Logik gesprengt<br />

würden (vgl. LUHMANN 1997: 17). Letztli<strong>ch</strong> kann man heute aufgrund von<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit wissen, dass eine Logik, die ni<strong>ch</strong>t über Zweiwertigkeit und einen<br />

unreflektierten Identitätsbegriff hinausgeht, obsolet ist.<br />

<strong>Die</strong> Einfa<strong>ch</strong>heit und S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>theit des Indikationenkalküls rührt daher, dass in ihm – im<br />

Gegensatz zu an<strong>der</strong>en bekannten Versu<strong>ch</strong>en, ein geeig¬netes Fundament für Mathematik<br />

zu finden – nur einer Seite einer Unter¬s<strong>ch</strong>eidung ein Name gegeben wird. Im<br />

Indikationenkalkül wird das Problem über Ab- und Anwesenheit des cross gelöst.<br />

Das von George Spencer Brown entworfene System ist hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zweier Eigens<strong>ch</strong>aften<br />

von allen vorherigen unters<strong>ch</strong>ieden:<br />

„<strong>Die</strong> Anzahl <strong>der</strong> Elemente, auf die operiert wird, ist unbegrenzt und die Reihenfolge ihrer<br />

Darstellung irrelevant.“ (SPENCER BROWN 1997: XV)<br />

Das rührt daher, dass es nur eine Sorte von Konstanten gibt. Bislang waren<br />

<strong>Form</strong>alisierungen nur mit <strong>der</strong> s<strong>ch</strong>on getroffenen Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Operator<br />

(beispielsweise + und • o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Logik Aussageverknüpfungen wie „und“ o<strong>der</strong> „wenndann“)<br />

und Operand (dann z. B. 5 o<strong>der</strong> 6 bzw. Aussagen) mögli<strong>ch</strong>. In den Laws of <strong>Form</strong> gibt<br />

es nur das cross, das als beides fungiert bzw. wel<strong>ch</strong>es wir als eine fundamentalere<br />

<strong>Form</strong>alisierung verstehen können, da es diese o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

benötigt.<br />

In <strong>der</strong> Entwicklung des Indikationenkalküls führt das zu einer größeren Einfa<strong>ch</strong>heit und<br />

Offenheit. Dadur<strong>ch</strong> wird eine <strong>Form</strong>alisierung von selbst¬bezügli<strong>ch</strong>en Ausdrücken überhaupt<br />

59


erst mögli<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> damit verbundene Entdeckung des imaginären Wertes können wir<br />

auffassen als eine Erweite¬rung <strong>der</strong> Booles<strong>ch</strong>en Algebra an ihrem Ende.<br />

Alle Versu<strong>ch</strong>e, die Mathematik zufriedenstellend zu fundieren, mussten s<strong>ch</strong>eitern, weil stets<br />

Logik als Grundlage angesehen und ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong> unternommen wurde, die Algebra von<br />

Boole auf ihre Arithmetik hin zu untersu<strong>ch</strong>en. Insofern rücken die Laws of <strong>Form</strong> das Problem<br />

zure<strong>ch</strong>t, ob Mathematik die Logik fundiert o<strong>der</strong> umgekehrt, indem sie die Primäre Arithmetik<br />

zur ni<strong>ch</strong>t-numeris<strong>ch</strong>en Algebra präsentieren und eine Ableitung beispielsweise von<br />

klassis<strong>ch</strong>er Logik o<strong>der</strong> Booles<strong>ch</strong>er Algebra aus eben jener Primären Algebra erlauben (siehe<br />

in II. 1. „Mathematik als Grundlage für Logik“: S. 124ff.).<br />

George Spencer Brown fand die Arithmetik zur Booles<strong>ch</strong>en Algebra. Er fand ihre Konstanten<br />

und in wel<strong>ch</strong>er Beziehung sie zueinan<strong>der</strong> stehen. Damit konnte er die Postulate – also die<br />

unbewiesenen Grundannahmen – <strong>der</strong> Booles<strong>ch</strong>en Algebra herleiten, sie als Theoreme –<br />

also bewiesene Aussagen – seiner Arithmetik darstellen. <strong>Die</strong> primäre Arithmetik beginnt<br />

natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit anfängli<strong>ch</strong>en Setzungen, die aber wesentli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ter, einfa<strong>ch</strong>er und<br />

einleu<strong>ch</strong>ten<strong>der</strong> sind.<br />

5. Der re-entry <strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong><br />

Mit dem 12. Kapitel (<strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>) wird <strong>der</strong> Indikationenkalkül inhaltli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fortgeführt,<br />

und deshalb s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown am Ende des 11. Kapitels:<br />

„Bevor wir Abs<strong>ch</strong>ied nehmen, kehren wir zurück, um einen letzten Blick auf die Vereinbarung<br />

zu werfen, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Beri<strong>ch</strong>t begonnen wurde.“ (SPENCER BROWN 1997: 59)<br />

Im 11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> beoba<strong>ch</strong>teten wir Ausdrücke, die die Eigens<strong>ch</strong>aft haben,<br />

dass Teilausdrücke von ihnen mit dem Gesamtausdruck identis<strong>ch</strong> sind. <strong>Die</strong> Figur des reentry<br />

des 12. Kapitels symbolisiert diese Bes<strong>ch</strong>affenheit auf einer basalen, un-formalen<br />

Ebene, indem in ihr die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung auf <strong>der</strong> Innenseite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

beoba<strong>ch</strong>¬tet wird. Mit <strong>der</strong> Verwendung des re-entry im 12. Kapitel setzen wir auf einer<br />

beoba<strong>ch</strong>tenden Ebene die Bedingungen des Kalküls in ihn selbst ein. Der re-entry, wie er im<br />

vorangehenden Abs<strong>ch</strong>nitt dargestellt wurde, bezieht si<strong>ch</strong> auf eine Unters<strong>ch</strong>eidung bzw. auf<br />

eine bestimmte <strong>Form</strong>. Der re-entry, wie er nun vorgeführt wird, bezieht si<strong>ch</strong> auf die <strong>Form</strong> als<br />

sol<strong>ch</strong>e. Es ist ein spezieller re-entry: <strong>der</strong> re-entry <strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong>. Wie wir im<br />

Fol¬genden sehen werden, können wir davon spre<strong>ch</strong>en, dass mit dem Wie<strong>der</strong>-Eintritt eine<br />

Beoba<strong>ch</strong>terposition eingenommen wird, mit <strong>der</strong> wir hinter den Eintritt zurückgehen und von<br />

dort die Legitimität des Eintrittes begründen können.<br />

So s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown in den Anmerkungen zum 12. Kapitel:<br />

„Was i<strong>ch</strong> im letzten Kapitel zu zeigen versu<strong>ch</strong>e, ist die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass wir wirkli<strong>ch</strong> die ganze<br />

Zeit über wussten, dass die zwei Axiome, an denen wir unseren Kurs ausri<strong>ch</strong>teten,<br />

gegenseitig zulässig und übereinstimmend waren.“ (SPENCER BROWN 1997: 92)<br />

O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s formuliert: Dur<strong>ch</strong> das 12. Kapitel erlangen wir Gewissheit darüber, dass die<br />

beiden Axiome geeignet sind. <strong>Die</strong>se Gewissheit ist eine äußere („experimentell“ gefundene),<br />

die das vorangehende innere Wissen bestätigt, gewissermaßen die Intuition ihrer<br />

Adäquatheit. <strong>Die</strong> Bestätigung ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> die Einführung und Entdeckung des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters. Denn dur<strong>ch</strong> den Beoba<strong>ch</strong>ter kann die <strong>Form</strong> (<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung) gesehen<br />

werden, kann die <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong> eintreten. Das heißt, dass die Unter-s<strong>ch</strong>eidung in si<strong>ch</strong><br />

selbst eintritt. Und <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter hat die <strong>Form</strong> des re-entry. In den Anmerkungen zum<br />

60


Haupttext <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> wird bildli<strong>ch</strong> verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t (siehe SPENCER BROWN 1997:<br />

88f. bzw. 1969: 102f.), warum es wi<strong>ch</strong>tig ist, die Beoba<strong>ch</strong>terposition mit einzubeziehen. Wir<br />

müssen anzeigen, wo <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter in Beziehung zu einem Ausdruck stehen soll, damit<br />

<strong>der</strong> Ausdruck eindeutig ist. Es zeigt si<strong>ch</strong>: Wenn wir zwei Seiten in einem Raum<br />

unters<strong>ch</strong>eiden und den Beoba<strong>ch</strong>ter zu diesen in Bezug setzen, erhalten wir die Gesetze, die<br />

die anfängli<strong>ch</strong>en Axiome des Kalküls darstellen. Nur mit Hilfe des re-entry <strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die<br />

<strong>Form</strong> kann <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter erkennen, wie er die Welt sieht.<br />

12. Kapitel: Wie<strong>der</strong>eintritt in die <strong>Form</strong><br />

Wir wenden uns also ein zweites Mal dem Eintritt zu und betra<strong>ch</strong>ten ihn unter einem an<strong>der</strong>en<br />

Gesi<strong>ch</strong>tspunkt, einem ni<strong>ch</strong>t-mathematis<strong>ch</strong>en. Der mathematis<strong>ch</strong>e hatte in <strong>der</strong><br />

Herausarbeitung <strong>der</strong> <strong>Form</strong> einer einzigen Konstruktion bestanden, <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong><br />

ersten Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong> Darstellung <strong>der</strong> Gesetzmäßigkeiten, die damit einhergehen,<br />

führte bis zur Entdeckung von selbstbezügli<strong>ch</strong>en Ausdrücken bzw. Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten<br />

Grades. Und eben mit dieser <strong>Form</strong> können wir nun einen erneuten Blick darauf werfen,<br />

womit wir die Untersu<strong>ch</strong>ung begonnen haben. Mittels <strong>der</strong> Figur des re-entry kann si<strong>ch</strong> das<br />

formale System bzw. <strong>der</strong> Kalkül auf si<strong>ch</strong> selbst als Ganzes beziehen. Das ist es, was im 12.<br />

Kapitel vorgeführt wird. Der re-entry des in diesem Abs<strong>ch</strong>nitt behandelten 12. Kapitels <strong>der</strong><br />

Laws of <strong>Form</strong> führt also auf eine Weise aus dem Kalkül heraus. <strong>Die</strong>s ist aber nur eine –<br />

wennglei<strong>ch</strong> bedeutende – Anwendung o<strong>der</strong> Auslegung einer Figur, die s<strong>ch</strong>on innerhalb des<br />

Kalküls gefunden wurde. Der re-entry stellt eine <strong>der</strong> zentralen Entdeckungen dar, die <strong>der</strong><br />

Indikationenkalkül repräsentiert. Nun wird <strong>der</strong> re-entry auf die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

angewendet.<br />

Re-entry in die <strong>Form</strong><br />

Mit dem ersten Satz des 12. Kapitels <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> wird rekapituliert:<br />

„<strong>Die</strong> Konzeption <strong>der</strong> <strong>Form</strong> liegt im Verlangen zu unters<strong>ch</strong>eiden.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

60)<br />

Wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird, folgt <strong>der</strong> ganze Rest unaus¬wei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>. Ohne das<br />

Verlangen – und das heißt au<strong>ch</strong>: ohne ein Motiv – zu unters<strong>ch</strong>eiden, kommt es ni<strong>ch</strong>t zu <strong>Form</strong><br />

und ebenso ni<strong>ch</strong>t zur vorliegenden Kalkulation, mit <strong>der</strong> au<strong>ch</strong> bestimmte Unters<strong>ch</strong>eidungen<br />

getroffen und bestimmte Motive verfolgt werden. <strong>Die</strong>ses Verlangen ist Voraussetzung für<br />

alles. Und wie jedes Verlangen ist es ein Verlangen von jemandem. Wenn es ein Verlangen<br />

gibt zu unters<strong>ch</strong>eiden, entsteht unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> <strong>Form</strong>. Wie dann die <strong>Form</strong> selbst betra<strong>ch</strong>tet<br />

werden kann, ist dur<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>iede bedingt, mit denen beoba<strong>ch</strong>tet wird. Für den Kalkül<br />

ergibt si<strong>ch</strong>, dass wir mit den folgenden Experimenten<br />

„das Kalkül dur<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong> sehen und die <strong>Form</strong> im Kalkül“ (SPENCER BROWN 1997: 60)<br />

erkennen können. Dazu benötigen wir keinen mathematis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>alis¬mus, son<strong>der</strong>n eine<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit, den Kalkül auf seine Bedingungen hin zu beoba<strong>ch</strong>ten. Das ges<strong>ch</strong>ieht dur<strong>ch</strong> den<br />

Bezug <strong>der</strong> Markierungen auf einen Beoba<strong>ch</strong>ter, wie er in den Experimenten hergestellt wird.<br />

61


<strong>Die</strong> Experimente<br />

<strong>Die</strong> Tatsa<strong>ch</strong>e, dass George Spencer Brown Experimente verwendet, um den Kalkül dur<strong>ch</strong><br />

den Kalkül zu sehen, verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong> darstellen¬den Ebene die Bedeutung des<br />

re-entry: Um ein Experiment dur<strong>ch</strong>zuführen, muss <strong>der</strong> Experimentator implizit s<strong>ch</strong>on<br />

gegeben sein. Experimente führen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst dur<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> Experimente des 12. Kapitels,<br />

die die Axiome des Kalküls wie<strong>der</strong>-entdecken, ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass in einer <strong>der</strong> ersten<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung vorgängigen Unters<strong>ch</strong>eidung s<strong>ch</strong>on <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter generiert sein muss.<br />

Wenn ein Ausdruck gegeben ist, hat er nur eine Bedeutung, weil vorher festgelegt wurde,<br />

„wo <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter in Beziehung zu dem Ausdruck stehen soll.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

89)<br />

Bei <strong>der</strong> Betra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> <strong>Form</strong>en und Ausdrücke in den ersten 11 Kapiteln <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

wurde vereinbarungsgemäß die Position außerhalb ihrer eingenommen. Der Ausdruck ist<br />

aber ein an<strong>der</strong>er und kann au<strong>ch</strong> einen an<strong>der</strong>en Wert haben, wenn ein Beoba<strong>ch</strong>ter in einem<br />

Raum innerhalb des Ausdruckes steht und von dort den Ausdruck betra<strong>ch</strong>tet.<br />

<strong>Form</strong>alistis<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>rieben ges<strong>ch</strong>ieht in den Experimenten folgendes: Wir nehmen o<strong>der</strong><br />

treffen eine Unters<strong>ch</strong>eidung – dargestellt dur<strong>ch</strong> einen Kreis –, so dass wir zwei Seiten haben.<br />

<strong>Die</strong>se Seiten können wir markieren o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> vier Experimente stellen die vier<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Mögli<strong>ch</strong>¬keiten vor, die zwei Räume jeweils zu markieren o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Dabei<br />

können immer zwei Arten des Bezuges zu den Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung herge-stellt<br />

werden. <strong>Die</strong> erste Bedeutung, die wir in Bezug auf die Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

feststellen können, betrifft den Wert <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. <strong>Die</strong>sem Bezug wurde in dem<br />

Indikationenkalkül na<strong>ch</strong>gegangen.<br />

„Der erste o<strong>der</strong> explizite Bezug ist auf den Wert seiner Seite, entspre<strong>ch</strong>end seiner<br />

Markierung. Der zweite o<strong>der</strong> implizite Bezug ist auf einen äußeren Beoba<strong>ch</strong>ter. Das heißt,<br />

das Äußere ist die Seite, von <strong>der</strong> aus eine Unters<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> Annahme na<strong>ch</strong> gesehen<br />

wird.“ (SPENCER BROWN 1997: 60)<br />

Der zweite Bezug rührt daher, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung von jemandem gesehen wird.<br />

Wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen ist, kann <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>¬ter sie mit weiteren<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen (die auf weiteren Unters<strong>ch</strong>eidungen beruhen) sehen. <strong>Die</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung ist<br />

dann außerhalb des Beoba<strong>ch</strong>ters, weshalb er sie von außen betra<strong>ch</strong>ten kann. Beim Treffen<br />

einer Unters<strong>ch</strong>ei¬dung wird die Grenze in den markierten Raum hinein gekreuzt. Beim<br />

Sehen (wie beim Vorstellen) einer Unters<strong>ch</strong>eidung ges<strong>ch</strong>ieht mit ihr ni<strong>ch</strong>ts. Der Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

sieht ledigli<strong>ch</strong>, dass die Unters<strong>ch</strong>eidung etwas ein- und an<strong>der</strong>es auss<strong>ch</strong>ließt.<br />

62


Mit <strong>der</strong> Markierung, die innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb des Kreises stehen kann, wird <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter zu einer Unters<strong>ch</strong>eidung in Beziehung gesetzt. Damit bes<strong>ch</strong>reiben die<br />

Experimente, was ein Beoba<strong>ch</strong>ter sieht, wenn er eine Unters<strong>ch</strong>eidung sieht. Es wird also<br />

angenommen, dass<br />

„eine in irgendeinem Raum getroffene Unters<strong>ch</strong>eidung eine Markierung ist, die den Raum<br />

unters<strong>ch</strong>eidet. Glei<strong>ch</strong>ermaßen und umgekehrt trifft jede Markierung in einem Raum eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung.“ (SPENCER BROWN, 1997: 66)<br />

Sowohl diese Identität, als au<strong>ch</strong> die folgende werden in den Experimenten verwendet.<br />

George Spencer Brown stellt sie an das Ende des 12. Kapitels, womit <strong>der</strong> Eindruck erweckt<br />

werden könnte, sie seien Resultate. Man könnte meinen, mit den Experimenten würde <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter entdeckt. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter aber vor den Experimenten angeführt.<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Experimente sind die beiden Axiome des Kalküls. Insofern bestätigt die<br />

Einführung des Beoba<strong>ch</strong>ters den Kalkül.<br />

„Ein Beoba<strong>ch</strong>ter ist ebenfalls eine Markierung, da er den Raum unters<strong>ch</strong>eidet, den er<br />

innehat.“ (SPENCER BROWN, 1997: 66)<br />

So können wir in den Experimenten den Beoba<strong>ch</strong>ter als Markierung einführen.<br />

Mit dem ersten Experiment wird <strong>der</strong> Fall dur<strong>ch</strong>gespielt, bei dem in die Außenseite einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung bzw. eines Kreises eine Markierung ges<strong>ch</strong>rieben wird und in die Innenseite<br />

ni<strong>ch</strong>t. Wenn die Markierung au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einen Kreis dargestellt wird, können vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Markierungen ni<strong>ch</strong>t mehr voneinan<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>ieden werden. Sie sind zwar vers<strong>ch</strong>ieden,<br />

aber hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Eigens<strong>ch</strong>aft, eine Innen- von einer Außenseite zu unters<strong>ch</strong>eiden,<br />

identis<strong>ch</strong>.<br />

Deshalb ma<strong>ch</strong>en sie keinen Unters<strong>ch</strong>ied, so dass wir finden, dass zwei nebeneinan<strong>der</strong><br />

stehende Kreise mit einem einzelnen verwe<strong>ch</strong>selt werden können. Das entspri<strong>ch</strong>t dem<br />

ersten Axiom des Indikationenkalküls. Für den Bezug auf einen äußeren Beoba<strong>ch</strong>ter können<br />

wir das Experiment au<strong>ch</strong> interpretieren als: Das Beoba<strong>ch</strong>ten einer Unters<strong>ch</strong>eidung (von<br />

außen) än<strong>der</strong>t die (Markierung dieser) Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t.<br />

Bei dem zweiten Experiment wird die Markierung in den Kreis hinein¬gestellt und die<br />

Außenseite bleibt unmarkiert. Da si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wert einer Markierung auf den Raum bezieht, in<br />

dem die Markierung steht, können wir vom Standpunkt <strong>der</strong> Markierung (o<strong>der</strong> des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters) aus erkennen, dass <strong>der</strong> äußere Raum unmarkiert ist. Deshalb können wir<br />

einen auf <strong>der</strong> Innenseite markierten Kreis mit <strong>der</strong> Abwesenheit eines Kreises verwe<strong>ch</strong>¬seln,<br />

was dem zweiten Axiom bzw. Gesetz entspri<strong>ch</strong>t. Im Verglei<strong>ch</strong> zum ersten Experiment hat <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter hier die Grenze des Kreises gekreuzt. Er trifft die Unters<strong>ch</strong>eidung und kann sie<br />

deshalb ni<strong>ch</strong>t mehr sehen. Für den Bezug zum Beoba<strong>ch</strong>ter gilt: Wenn ein Beoba<strong>ch</strong>ter eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung von innen betra<strong>ch</strong>tet, sieht er keine Unters<strong>ch</strong>eidung, er sieht nur einen<br />

Raum, und nur ein weiterer Beoba<strong>ch</strong>ter kann sehen, dass <strong>der</strong> erste Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t den<br />

Kreis bzw. die Unters<strong>ch</strong>eidung sieht, son<strong>der</strong>n nur die Innenseite.<br />

Für das dritte Experiment werden beide Seiten des Kreises markiert. Somit können die<br />

Außen- und die Innenseite hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des Wertes ni<strong>ch</strong>t voneinan<strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>ieden werden.<br />

Der Kreis ma<strong>ch</strong>t also keinen Unter¬s<strong>ch</strong>ied mehr (in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t), weshalb er<br />

weggelassen werden kann, so dass wir zwei nebeneinan<strong>der</strong> stehende Kreise haben. Na<strong>ch</strong><br />

dem ersten Experiment können diese mit nur einem Kreis glei<strong>ch</strong>gesetzt werden. Das<br />

bestätigt au<strong>ch</strong> das Ergebnis des zweiten Experimentes, wo zwei ineinan<strong>der</strong> stehende Kreise<br />

zu keinem Kreis wurden.<br />

Im vierten Experiment wird gar keine Markierung eingefügt. Da ein einzelner Kreis na<strong>ch</strong> dem<br />

ersten Experiment mit zwei nebeneinan<strong>der</strong> stehenden Kreisen verwe<strong>ch</strong>selt werden darf,<br />

63


entspri<strong>ch</strong>t ein einzelner Kreis einem auf <strong>der</strong> Außenseite markierten Kreis. Insofern bestätigt<br />

dieses Experiment, dass jede Unters<strong>ch</strong>eidung von außen gesehen wird.<br />

Was wir also aus den Experimenten ersehen: Setzen wir für einen Beoba<strong>ch</strong>ter eine<br />

Markierung ein, so finden wir die anfängli<strong>ch</strong>en Axiome bestätigt. Sie sind das Resultat <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung eines Beoba<strong>ch</strong>ters in Bezug auf die <strong>Form</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters als erste Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

<strong>Die</strong> erste Unters<strong>ch</strong>eidung war die Unters<strong>ch</strong>eidung, mit <strong>der</strong>en Treffen <strong>der</strong> Kalkül in Gang<br />

gesetzt wurde. Wir können sehen, dass jede Unters<strong>ch</strong>ei¬dung, die wir getroffen hätten, dies<br />

geleistet hätte, da jede Unters<strong>ch</strong>eidung zwei Seiten hervorgebra<strong>ch</strong>t, uns also zur <strong>Form</strong><br />

geführt hätte. Je<strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung wohnt inne, dass sie zwei Zustände unters<strong>ch</strong>eidet und<br />

dass die Zustände vers<strong>ch</strong>ieden gewertet werden. Dem Kalkül liegt jedo<strong>ch</strong> – wie wir<br />

anfängli<strong>ch</strong> sahen – eine ganz bestimmte Unters<strong>ch</strong>eidung zu Grunde: die Unters<strong>ch</strong>eidung,<br />

<strong>der</strong>en eine Seite selbst wie<strong>der</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung ist, das heißt die Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige. <strong>Die</strong>se Unters<strong>ch</strong>eidung, so <strong>der</strong> Ausgang <strong>der</strong><br />

Experimente, ist <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter selbst – o<strong>der</strong> genauer: Unters<strong>ch</strong>eiden-und-Anzeigen ist<br />

Beoba<strong>ch</strong>ten. <strong>Die</strong>s heißt, dass, um überhaupt eine Unters<strong>ch</strong>eidung treffen zu können, immer<br />

s<strong>ch</strong>on „jemand“ gegeben sein muss, <strong>der</strong> sie trifft: <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter.<br />

„Nun sehen wir, dass die erste Unters<strong>ch</strong>eidung, die Markierung und <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t nur<br />

austaus<strong>ch</strong>bar sind, son<strong>der</strong>n, in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>, identis<strong>ch</strong>.“ (SPENCER BROWN 1997: 66)<br />

<strong>Die</strong>ser letzte Satz des Spencer Browns<strong>ch</strong>en Kalküls enthält eine wi<strong>ch</strong>tige Entdeckung, die<br />

den Zugang zu dem Kalkül und seiner <strong>Form</strong> (im Na<strong>ch</strong>¬hinein) erlei<strong>ch</strong>tert. <strong>Die</strong> erste<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, die s<strong>ch</strong>on immer getroffen ist, ist <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter selbst. <strong>Die</strong>se erste<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en selbst (Beoba<strong>ch</strong>ter) und an<strong>der</strong>em (Beoba<strong>ch</strong>tetem).<br />

Anhand dessen können wir die erste konstruktive Anweisung:<br />

„Triff eine Unters<strong>ch</strong>eidung“<br />

au<strong>ch</strong> begreifen als:<br />

„Sei ein Beoba<strong>ch</strong>ter“.<br />

Dabei ist augens<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, dass wir beide Auffor<strong>der</strong>ungen s<strong>ch</strong>on (immer) befolgen. Deshalb<br />

können wir im Kalkül erkennen, was wir s<strong>ch</strong>on immer tun und wel<strong>ch</strong>en Gesetzen wir folgen.<br />

Eine <strong>Form</strong>ulierung, die die philo¬sophis<strong>ch</strong>en Konsequenzen vorbereitet, lautet: <strong>Form</strong> ist<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung, Beoba<strong>ch</strong>tung ist <strong>Form</strong>.<br />

Da es zur Konstitution eines Beoba<strong>ch</strong>ters gehört, Unters<strong>ch</strong>eidungen zu treffen, existiert er<br />

vor dem Akt des Unters<strong>ch</strong>eidens ni<strong>ch</strong>t. Im Vollzug des Unters<strong>ch</strong>eidens erzeugt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidende. Der Beoba<strong>ch</strong>ter „entsteht“, indem er simultan vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen trifft und zuglei<strong>ch</strong> sein Verhalten zu und mit diesen bestimmt. Das<br />

„zuglei<strong>ch</strong>“ drückt aus, dass das Leben und das Unters<strong>ch</strong>eidungen-Treffen ni<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>ieden<br />

voneinan<strong>der</strong> sind. Ein Beoba<strong>ch</strong>ter kann als ein Unters<strong>ch</strong>eidungen treffen<strong>der</strong> „Ort“<br />

<strong>ch</strong>arakterisiert werden, wenn bea<strong>ch</strong>tet wird, dass <strong>der</strong> „Ort“ kein räumli<strong>ch</strong>er ist, da <strong>der</strong> Raum<br />

ebenso wie die Zeit Konstruktion dieses Ortes sind; Raum und Zeit sind nur in <strong>der</strong> Existenz<br />

eines Beoba<strong>ch</strong>ters gegen¬wärtig. Ebenso haben wir Unters<strong>ch</strong>eidungen das Charakteristikum<br />

zuge¬ordnet, dass sie in einem die zwei Seiten und si<strong>ch</strong> selbst ers<strong>ch</strong>affen. Der „Ort“, in dem<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen getroffen werden, ist dann ein (selbst¬reflexives) Wesen, wenn es immer<br />

64


au<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> und an<strong>der</strong>em unter¬s<strong>ch</strong>eidet. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> gibt es keinen Beoba<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong><br />

nur bisweilen Unter-s<strong>ch</strong>eidungen trifft und si<strong>ch</strong> nur dann zu ihnen verhält, wenn er will. Da<br />

ein Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t existent ist, ohne Unters<strong>ch</strong>eidungen zu treffen, ist ihm <strong>der</strong><br />

unters<strong>ch</strong>iedslose empty space verborgen. Erst dur<strong>ch</strong> den Akt <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung wird ihm<br />

<strong>der</strong> Raum seiner Unters<strong>ch</strong>eidungen zugängli<strong>ch</strong>, und zwar auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> als unters<strong>ch</strong>iedener<br />

Raum.<br />

Entry und re-entry (Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit in Theorien)<br />

Einer <strong>der</strong> interessantesten formalen Aspekte <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ist, dass in ihnen am Ende ihr<br />

Anfang reflektiert wird. Wenn wir mit irgend etwas beginnen – wie Musik, Psy<strong>ch</strong>ologie,<br />

Philosophie, Naturwissens<strong>ch</strong>aft o<strong>der</strong> eben au<strong>ch</strong> Mathematik –, müssen wir s<strong>ch</strong>on immer<br />

etwas vorausgesetzt haben; sei es, dass wir diese Grundlagen als evident betra<strong>ch</strong>ten, da sie<br />

mit unserer Erfahrung übereinstimmen, sei es, dass sie uns dur<strong>ch</strong> unser Ziel vorgegeben<br />

werden, um <strong>der</strong>art unsere Erfahrung zu stützen. Somit ist je<strong>der</strong> Anfang notwendig von<br />

Motiven, Annahmen und Zielen bestimmt. In <strong>der</strong> Mathematik zeigt si<strong>ch</strong> dieser Umstand sehr<br />

deutli<strong>ch</strong> in den Axiomen und Definitionen, die nötig sind, damit Sätze und Theoreme<br />

entwickelt werden können. Axiome ziehen ihre Bere<strong>ch</strong>tigung und Gültigkeit daraus, dass sie<br />

entwe<strong>der</strong> einleu<strong>ch</strong>tend ers<strong>ch</strong>einen o<strong>der</strong> für bestimmte Sätze, die ihrerseits als evident<br />

betra<strong>ch</strong>tet werden (bzw. aus an<strong>der</strong>en Gründen gelten sollen), notwendig sind. Und beginnen<br />

wir an<strong>der</strong>s, so erhalten wir An<strong>der</strong>es. Abge¬sehen von diesen Motiven ist na<strong>ch</strong> George<br />

Spencer Brown die Annahme von bestimmten Axiomen o<strong>der</strong> Definitionen willkürli<strong>ch</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> beginnen mit einer Unters<strong>ch</strong>eidung sowohl explizit (eben mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung) als au<strong>ch</strong> implizit (mit <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidung und<br />

Anzeige). Deshalb s<strong>ch</strong>ließen sie si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t aus dem Gegenstandsberei<strong>ch</strong> ihrer<br />

Darstellung aus. Na<strong>ch</strong>dem wir die Konstruktion begonnen haben („Triff eine<br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dung!“), erhalten wir mathematis<strong>ch</strong>e Ausdrücke (<strong>Form</strong>en), die si<strong>ch</strong> später au<strong>ch</strong><br />

selbst enthalten, die si<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> selbst beziehen. Sobald wir Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit entdeckt<br />

haben, reflektiert George Spencer Brown im 12. Kapitel „Wie<strong>der</strong>eintritt in die <strong>Form</strong>“ den<br />

Eintritt. Dadur<strong>ch</strong> verliert dieser seinen Stellenwert als Voraussetzung – im Sinne von als<br />

wahr erkannte Tatsa<strong>ch</strong>e. Mit den gefundenen <strong>Form</strong>en finden wir au<strong>ch</strong> wie<strong>der</strong> die<br />

Begrün¬detheit des Ausgangspunktes. Das heißt, ni<strong>ch</strong>t nur begründet <strong>der</strong> Anfang das, was<br />

wir erhalten, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong> Ergebnisse re<strong>ch</strong>tfertigen den Eintritt.<br />

Aufgrund dessen können wir davon spre<strong>ch</strong>en, dass in den Laws of <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong><br />

unternommen wird, die Grundlagen des Beoba<strong>ch</strong>tens (au<strong>ch</strong> Denkens) mit eben diesem<br />

Beoba<strong>ch</strong>ten (Denken) zu erkunden: daher <strong>der</strong> Stellenwert <strong>der</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit.<br />

Wir erkennen nun, dass die Argumente, die herangezogen wurden, um die Theoreme <strong>der</strong><br />

Laws of <strong>Form</strong> zu beweisen, selbst dur<strong>ch</strong> den Kalkül bewie¬sen werden, von dem sie<br />

abhängen. Nirgends als in <strong>der</strong> ursprüngli<strong>ch</strong>sten Mathematik wird offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er, dass das<br />

(mathematis<strong>ch</strong>e) System aus ni<strong>ch</strong>ts kommt und si<strong>ch</strong> selbst aus seinen eigenen Fußstapfen<br />

produziert: <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> sind <strong>der</strong> Ausgangspunkt für ein System, das die Regeln des<br />

Argumentierens und Beweisens hervorbringt, mit denen die Gültigkeit des Kalküls überprüft<br />

werden kann. Wir produzieren ein System, das seine späteren Abs<strong>ch</strong>nitte wahrma<strong>ch</strong>t, und<br />

gebrau<strong>ch</strong>en diese, um die ersteren Abs<strong>ch</strong>nitte zu überprüfen. Wir sehen also,<br />

„... dass die Argumente, die wir heranzogen, um die kalkulierenden <strong>Form</strong>en zu re<strong>ch</strong>tfertigen<br />

(d. h. in den Beweisen <strong>der</strong> Theoreme), selbst gere<strong>ch</strong>tfertigt werden können, indem man sie<br />

in die <strong>Form</strong> des Kalküls einsetzt.“ (SPENCER BROWN 1969: 88)<br />

65


Das heißt: Über die Figur des re-entry, die im 11. Kapitel gefunden wurde, kann die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Theorie und Gegenstand <strong>der</strong> Theorie unterwan<strong>der</strong>t werden: <strong>Die</strong><br />

Theorie ist Gegenstand ihrer selbst. Wir können daraufhin Theorien dana<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden,<br />

ob sie selbst in ihrem Gegenstandsberei<strong>ch</strong> auftreten o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

Wollen wir über den Anfang reflektieren, den etwa die Axiome in mathematis<strong>ch</strong>en Systemen<br />

wi<strong>der</strong>spiegeln, benötigen wir entwe<strong>der</strong> eine weitere Theorie – und in gewissem Sinne<br />

mä<strong>ch</strong>tigere, weil die ursprüng¬li<strong>ch</strong>e Theorie umfassende bzw. begründende –, o<strong>der</strong> die<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit, selbstbezügli<strong>ch</strong>e Aussagen zuzulassen, so dass wir den Anfang dur<strong>ch</strong> sie selbst<br />

beoba<strong>ch</strong>ten können. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass eine Theorie, die<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit ni<strong>ch</strong>t zulässt, immer in irgendeiner <strong>Form</strong> Gegebenes annimmt, nämli<strong>ch</strong><br />

das, womit sie beginnt. In <strong>der</strong> Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Erkenntnistheorien sind das beispielsweise<br />

Ideen, Kategorien o<strong>der</strong> Materie, in <strong>der</strong> Mathematik zumeist logis<strong>ch</strong>e Grundannahmen. Mit<br />

den Laws of <strong>Form</strong> wird angenommen, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen werden kann, und<br />

herausgearbeitet, was daraus folgt, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getrof¬fen wird. Damit wird<br />

die Aufmerksamkeit von äußeren „Dingen“, <strong>der</strong>en Vorhanden- o<strong>der</strong> Wahrsein angenommen<br />

werden muss, auf die innere Gewissheit gelenkt, dass wir tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> unentwegt<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen treffen und gebrau<strong>ch</strong>en – und uns das in <strong>Form</strong> von Gefühlen, Gedanken,<br />

Wahrnehmungen etc. „begegnet“.<br />

Es ist bedenkenswert, ob man in selbstbezügli<strong>ch</strong>en Theorien überhaupt von einem Anfang<br />

spre<strong>ch</strong>en kann. Denn: Wir können so weit gehen zu sagen, dass si<strong>ch</strong> die Frage o<strong>der</strong> das<br />

Problem des Anfanges nur stellt, wenn wir von einer Wirkli<strong>ch</strong>keit ausgehen, die dur<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong><br />

ist, da nur eine un-bedingte – also voraussetzungslose – Tatsa<strong>ch</strong>e einen Anfang (im<br />

Wort¬sinne) markieren kann. Wenn wir hingegen die Beoba<strong>ch</strong>tung selbst beoba<strong>ch</strong>ten,<br />

gelangen wir zur Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit; wir geraten in einen Zirkel. Au<strong>ch</strong> in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

sollten wir bezügli<strong>ch</strong> des Browns<strong>ch</strong>en Kalküls statt von Anfang von Eintritt spre<strong>ch</strong>en; und <strong>der</strong><br />

besteht – wie wir gesehen haben – in <strong>der</strong> Annahme, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen<br />

werden kann bzw. dass wir beoba<strong>ch</strong>ten. Aber selbst diese reduzierte Annahme stellt im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> keine Tatsa<strong>ch</strong>e dar, vielmehr wird mit ihnen gezeigt: Wenn wir<br />

eine Unters<strong>ch</strong>eidung treffen, dann folgen die dargestellten Gesetze – und wir sehen am<br />

Ende, dass wir beoba<strong>ch</strong>tet haben. Auf diese Weise umgeht George Spencer Brown das<br />

Dilemma, etwas als Anfang deklarieren zu müssen. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> sind zirkulär und<br />

selbstbestätigend.<br />

Teil II: Zu den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

Vor über 100 Jahren geriet die Mathematik in eine Krise über ihre eigenen Grundlagen. Das<br />

war ein überaus brisantes Problem, denn <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, ein brau<strong>ch</strong>bares Fundament für<br />

Mathematik zu finden bzw. zu s<strong>ch</strong>affen, war in weiten Mathematiker-Kreisen ein<br />

bedeutendes Thema. Seit etwa 50 Jahren gibt es kaum mehr Forts<strong>ch</strong>ritte auf diesem Gebiet,<br />

so dass <strong>der</strong> Zweig <strong>der</strong> Mathematik, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> damit bes<strong>ch</strong>äftigt, wel<strong>ch</strong>e anfängli<strong>ch</strong>en<br />

Setzungen benötigt werden, damit alle an<strong>der</strong>en Zweige angemessen entwickelt werden<br />

können, also das Fundament <strong>der</strong> Mathematik, seitdem ein S<strong>ch</strong>attendasein führt.<br />

Es geht in diesem Kapitel um einen Beitrag zur Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik aus<br />

indikationslogis<strong>ch</strong>er Perspektive. Zunä<strong>ch</strong>st wird aufge¬zeigt, dass eine fundamentale<br />

Mathematik wie die Primäre Arithmetik und Algebra allgemeiner ist als jegli<strong>ch</strong>e Logik.<br />

66


Insofern wird behauptet, dass das die Krise verursa<strong>ch</strong>ende Problem dur<strong>ch</strong> den Versu<strong>ch</strong><br />

entstand, Mathe¬matik dur<strong>ch</strong> Logik zu begründen. Der Indikationenkalkül wirft dagegen ein<br />

ganz an<strong>der</strong>es Li<strong>ch</strong>t auf die zentrale Problematik <strong>der</strong> Grundlagenkrise: die <strong>Paradoxie</strong>. <strong>Die</strong>ses<br />

„Problem“ wird genauer identifiziert, indem die <strong>Form</strong> von <strong>Paradoxie</strong>n herausgestellt und ihre<br />

Notwendigkeit für und Kohärenz mit mathematis<strong>ch</strong>en Kalkülen verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t wird.<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit und Negation werden hier als die konstitutiven Elemente <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Paradoxie</strong> herausgestellt ebenso wie die <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>e Oszillation zwis<strong>ch</strong>en zwei<br />

Zuständen, den zwei Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Sowohl umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> als au<strong>ch</strong> in wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Texten wird <strong>der</strong> Begriff<br />

„<strong>Paradoxie</strong>“ sehr uneinheitli<strong>ch</strong> und oft au<strong>ch</strong> vage verwandt. Im Allgemeinen wird die<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung „paradox“ herangezogen, wenn etwas absurd ers<strong>ch</strong>eint o<strong>der</strong> bestimmten<br />

Ansi<strong>ch</strong>ten und Erwartungen wi<strong>der</strong>¬spri<strong>ch</strong>t. Oft ist das Gefühl, das eine <strong>Paradoxie</strong> auslöst,<br />

Verwirrung. Strengere Charakterisierungen enthalten einen Bezug auf einen (Selbst-)<br />

Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>. In <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Logik zum Beispiel Aussagen wie „p genau dann wenn<br />

ni<strong>ch</strong>t-p“ o<strong>der</strong> „p und ni<strong>ch</strong>t-p“. Es sind wohl sol<strong>ch</strong>e Zusammenhänge mit <strong>der</strong> Logik, die<br />

<strong>Paradoxie</strong>n den Ruf verliehen, unbedingt vermieden werden zu müssen. Entspre<strong>ch</strong>end findet<br />

man in <strong>der</strong> eins<strong>ch</strong>lägigen Literatur zur Fundierung von Mathematik dur<strong>ch</strong>gängig die Strategie<br />

<strong>der</strong> Vermeidung. Als wären <strong>Paradoxie</strong>n Probleme, die gelöst werden müssen, indem ihr<br />

Auftreten verhin<strong>der</strong>t und ausges<strong>ch</strong>lossen wird. Dahinter steht die Überzeugung, dass es zu<br />

<strong>Paradoxie</strong>n dur<strong>ch</strong> Fehler in den Annahmen bzw. Voraussetzungen o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>en<br />

Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>lussregeln kommt, die man nur erkennen und vermeiden müsse. Was man<br />

also übli<strong>ch</strong>erweise in <strong>der</strong> Literatur zu <strong>Paradoxie</strong>n, Logik und Grund¬lagen <strong>der</strong> Mathematik<br />

findet, ist eine Überzeugung, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>n aus versteckten Wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>en und<br />

Fehlern resultieren. In diesem Sinne kann man eine <strong>Paradoxie</strong> nur lösen, indem man sie<br />

wie<strong>der</strong> los wird, indem man also zeigt, was s<strong>ch</strong>ief gelaufen ist, als es zur <strong>Paradoxie</strong> kam.<br />

Daraus resultiert, dass <strong>Paradoxie</strong>n selbst ni<strong>ch</strong>t in den Blick kommen, im Sinne von: Wenn sie<br />

erst einmal verboten sind, brau<strong>ch</strong>t man si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t länger mit ihnen zu bes<strong>ch</strong>äftigen.<br />

Unter Bezugnahme auf die Laws of <strong>Form</strong> wird hier ganz im Gegenteil aufgezeigt, dass die<br />

Vermeidungsstrategien bezügli<strong>ch</strong> <strong>Paradoxie</strong>n auf einem grundlegenden Miss- o<strong>der</strong><br />

Unverständnis beruhen, und dass sie insbeson<strong>der</strong>e die Konsequenzen aus den<br />

Entdeckungen von Kurt Gödel ni<strong>ch</strong>t ernst nehmen.<br />

Hier werden für den <strong>Paradoxie</strong>begriff keine weiteren Klassifizierungen in logis<strong>ch</strong>,<br />

epistemologis<strong>ch</strong>, mengentheoretis<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> semantis<strong>ch</strong> vorge¬nommen. Man kann sol<strong>ch</strong>e<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Unterteilungen zu bestimmten Zwecken gebrau<strong>ch</strong>en, hier soll jedo<strong>ch</strong> die allen<br />

gemeinsame „Struktur“ beleu<strong>ch</strong>tet werden.<br />

Um die Bedeutung <strong>der</strong> Rehabilitation <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> für die Mathematik in einen<br />

angemessenen Rahmen zu stellen, wird in einem vorangestellten Exkurs zunä<strong>ch</strong>st <strong>der</strong><br />

mathematik-ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zusam¬menhang, in dem die Laws of <strong>Form</strong> stehen, kurz<br />

dargestellt. Das läuft vor allem auf eine klare Abgrenzung und Hierar<strong>ch</strong>isierung von<br />

Mathematik und Logik heraus (erster Abs<strong>ch</strong>nitt). Bevor dann die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> au<strong>ch</strong><br />

anhand von einigen Beispielen präzisiert wird (dritter Abs<strong>ch</strong>nitt), zeigt <strong>der</strong> zweite Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

ein beson<strong>der</strong>s ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>es Beispiel: <strong>Die</strong> funk-tionale Äquivalenz von imaginärem Wert des<br />

Indikationenkalküls und imaginärer Einheit <strong>der</strong> numeris<strong>ch</strong>en Mathematik wird au<strong>ch</strong> als ein<br />

Argument herangezogen, das <strong>der</strong> Figur des re-entry, die <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> zu Grunde<br />

liegt, mathematis<strong>ch</strong>es Gewi<strong>ch</strong>t verleiht und ein Umdenken im Umgang mit und in <strong>der</strong><br />

Beurteilung von <strong>Paradoxie</strong>n for<strong>der</strong>t. Es ist das Ziel dieses Kapitels, das den mathematis<strong>ch</strong>en<br />

Gewinn darstellt, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> die Laws of <strong>Form</strong> errei<strong>ch</strong>t werden kann, insbeson<strong>der</strong>e die<br />

formale Struktur von <strong>Paradoxie</strong>n zu rehabilitieren.<br />

67


Exkurs in den mathematik-ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zusammenhang<br />

In diesem Exkurs werden einige relevante Entwicklungen in <strong>der</strong> Diskussion um die<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik vom Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts bis zur Mitte des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts dargestellt und in einen Zusammenhang mit den Entdeckungen und<br />

Einsi<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> gebra<strong>ch</strong>t. Zentral sind dabei die Typentheorie von Bertrand<br />

Russell und Alfred North Whitehead, die Unvollständigkeitssätze von Kurt Gödel und <strong>der</strong><br />

Begriff <strong>der</strong> Para¬doxie.<br />

Bertrand Russell stieß Anfang des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts bei dem Versu<strong>ch</strong> einer logis<strong>ch</strong>en<br />

Fundierung <strong>der</strong> Mathematik auf ein Problem, das die Grundlagen seiner Theorie<br />

ers<strong>ch</strong>ütterte; und das bis heute Rätsel aufgibt. Es war die Fortsetzung bzw. Wie<strong>der</strong>holung<br />

des Problems, das Bertrand Russell s<strong>ch</strong>on in dem formalen System von Gottlob Frege<br />

festgestellt hatte. Damals entdeckte er sowohl in Freges als au<strong>ch</strong> seinen eigenen Versu<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> Fundierung <strong>der</strong> Mathematik die enorme Tragweite des Problems <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>, über<br />

das si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on seit <strong>der</strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Antike viele Philo-sophen und Logiker die Köpfe<br />

zerbra<strong>ch</strong>en. Und das seit Russells Ent¬deckung au<strong>ch</strong> Mathematikern, die si<strong>ch</strong> mit Fragen<br />

na<strong>ch</strong> den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik bes<strong>ch</strong>äftigen, s<strong>ch</strong>werwiegende, weil grundlegende<br />

Probleme bereitet.<br />

In den Jahren 1901-02 s<strong>ch</strong>rieb Bertrand Russell an den Prinzipien <strong>der</strong> Mathematik, in denen<br />

er si<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Mengenlehre bes<strong>ch</strong>äftigte, die <strong>der</strong> Mathematiker Georg Cantor erda<strong>ch</strong>t hatte,<br />

denn diese s<strong>ch</strong>ien aus mehreren Gründen wie ges<strong>ch</strong>affen als logis<strong>ch</strong>e Grundlage <strong>der</strong><br />

Mathematik. Zu dieser Zeit stand ni<strong>ch</strong>t in Frage, dass Mathematik logis<strong>ch</strong> fundiert sein<br />

müsse. <strong>Die</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit, dass stattdessen Logik ein Zweig o<strong>der</strong> Teilgebiet <strong>der</strong> Mathe¬matik<br />

sein könnte, wurde kaum in Betra<strong>ch</strong>t gezogen. Mit <strong>der</strong> Mengenlehre konnten so viele<br />

zentrale Probleme in den Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik erklärt und gelöst werden, dass au<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> Bertrand Russells Entdeckung auf sie als Grundlage ni<strong>ch</strong>t mehr verzi<strong>ch</strong>tet werden<br />

konnte. Sie gründet in <strong>der</strong> Idee, vers<strong>ch</strong>iedene Dinge hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer Eigens<strong>ch</strong>aften zu<br />

Mengen zusammenfassen zu können. Für die von Bertrand Russell entdeckte <strong>Paradoxie</strong> ist<br />

relevant, dass es zum einen mögli<strong>ch</strong> ist, Mengen von Mengen (im Gegensatz zu Mengen<br />

von „Dingen“) zu bilden, also beispielsweise die Menge aller Mengen, die Albert Einstein<br />

enthalten. Zum an<strong>der</strong>en können si<strong>ch</strong> Mengen au<strong>ch</strong> selbst enthalten, wie zum Beispiel die<br />

Menge aller Mengen, die Albert Einstein ni<strong>ch</strong>t enthalten o<strong>der</strong> die Menge aller abstrak¬ten<br />

Dinge, die ja selbst abstrakt ist, o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> die Menge aller Mengen.<br />

<strong>Die</strong>s berücksi<strong>ch</strong>tigend wollte Bertrand Russell die so genannte „normale Menge“ definieren<br />

als die Menge aller Mengen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten. <strong>Die</strong>se Menge wurde na<strong>ch</strong><br />

seinem Namen R genannt. In einer konsistenten, also au<strong>ch</strong> wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreien Theorie<br />

müsse nun ents<strong>ch</strong>eidbar sein, ob si<strong>ch</strong> die normale Menge selbst enthält o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t.<br />

Selbstbe¬inhaltung und Selbstauss<strong>ch</strong>luss sind die beiden Seiten einer Unters<strong>ch</strong>ei¬dung, die<br />

in <strong>der</strong> Theorie getroffen wurde, und jede Menge soll nun au<strong>ch</strong> entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite zugeordnet werden können. Im Falle <strong>der</strong> normalen Menge R ist das<br />

ers<strong>ch</strong>üttern<strong>der</strong> Weise ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall. Selbstbeinhaltung verweist auf Selbstauss<strong>ch</strong>luss und<br />

umgekehrt. In dem Versu<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Zuordnung gerät man in eine Oszillation: Wenn sie si<strong>ch</strong><br />

selbst enthält, dann enthält sie si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t und umgekehrt ad infinitum. Man bea<strong>ch</strong>te,<br />

dass die Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Definition von R zu dieser unlös¬baren Situation führt. Wir<br />

werden später (in dem entspre<strong>ch</strong>enden Abs<strong>ch</strong>nitt in: II. 3. „<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“, S.<br />

132f.) no<strong>ch</strong> einmal ausführli<strong>ch</strong> auf die <strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> Menge R zurückkommen, um die<br />

konstitutiven Merkmale <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> genauer herauszuarbeiten.<br />

In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts haben viele Mathe¬matiker auf<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Wegen versu<strong>ch</strong>t, die mathematis<strong>ch</strong>e Theorie so zu konstruieren, dass sie<br />

keine <strong>Paradoxie</strong>n hervorbringen kann. Den meisten und bekanntesten Versu<strong>ch</strong>en ist<br />

gemeinsam, dass das Fundament logis<strong>ch</strong>er Natur sein müsse. Als das au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong><br />

68


prominenteste Beispiel konstruierte Bertrand Russell mit seinem Mentor Alfred North<br />

Whitehead in den Principia Mathematica eine Theorie, die auf <strong>der</strong> Mengenlehre und einer<br />

Hierar<strong>ch</strong>ie logis<strong>ch</strong>er Klassen basiert. Damit konnten sie das Verbot einführen, na<strong>ch</strong> dem eine<br />

Menge kein Element enthalten dürfe, das vom glei<strong>ch</strong>en Typ wie die Menge selbst ist: Auf<br />

diese Weise wurden Mengen ausges<strong>ch</strong>lossen, die si<strong>ch</strong> selbst enthalten, und mithin au<strong>ch</strong> die<br />

Russells<strong>ch</strong>e und ähnli<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong>n.<br />

<strong>Die</strong>se in den Principia Mathematica ausgearbeitete so genannte „Theorie <strong>der</strong> Typen“, die<br />

Aussagen, Aussageverknüpfungen und Aussagefunktionen in eine bestimmte Stufenfolge<br />

stellt, und darüber hinaus die Aussage¬verknüpfungen na<strong>ch</strong> „Typen“ unters<strong>ch</strong>eidet, s<strong>ch</strong>ien<br />

zunä<strong>ch</strong>st die Eliminie¬rung je<strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit von <strong>Paradoxie</strong>n aus formalen Systemen zu<br />

leisten. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist es irreführend, von „leisten“ zu spre<strong>ch</strong>en, da die Typen¬theorie<br />

ledigli<strong>ch</strong> ein Verbot ausspri<strong>ch</strong>t, logis<strong>ch</strong>e Ebenen (ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> zum Beispiel Objekt, Menge<br />

von Objekten, Mengen von Mengen usw.) zu verwe<strong>ch</strong>seln. Es wird in den Principia<br />

Mathematica eine Regel aufgestellt, die bestimmte unliebsame Aussagen aus <strong>der</strong><br />

Mathematik und <strong>der</strong> Logik verbannt. <strong>Die</strong>se Regel wird dem Kalkül hinzugefügt, ohne dass sie<br />

si<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tfertigen ließe – außer im Hinblick auf ihren Erfolg, etwas Un- o<strong>der</strong><br />

Missverstandenes zu unterdrücken.<br />

In seiner Autobiografie bekennt Bertrand Russell rückblickend seine Unzufriedenheit mit<br />

seiner Typentheorie und an<strong>der</strong>en verwandten Versu<strong>ch</strong>en, da sie den Ansprü<strong>ch</strong>en an eine<br />

elegante Theorie ni<strong>ch</strong>t genügen (vgl. RUSSELL 1967: 232). Wie im Anhang <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>t, hat er George Spencer Brown zu seinem Kalkül sogar gratuliert (siehe<br />

SPENCER BROWN 1997: 127f.). Denn das Verbot ist nur ein Vehikel, das außerhalb des<br />

Systems steht und das aus <strong>der</strong> Theorie ni<strong>ch</strong>t begründet werden kann. Neben dieser<br />

ästhetis<strong>ch</strong>-theoretis<strong>ch</strong>en Unzulängli<strong>ch</strong>keit ist vor allem <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Fähigkeit,<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit darzustellen, gerade heutzutage nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>metternd. Nähmen wir die<br />

Typentheorie konsequent ernst, so dürften wir beispielsweise ni<strong>ch</strong>t über Spra<strong>ch</strong>e spre<strong>ch</strong>en;<br />

und au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> komplexer Zahlen, die in vielen Zweigen <strong>der</strong> Mathematik<br />

unverzi<strong>ch</strong>tbar sind, müsste, streng genommen, untersagt werden, wie wir unten ausführen<br />

(siehe II. 2. „Imaginärer Wert und komplexe Zahlen“, S. 129ff.). Es ist offenkundig, dass<br />

unsere Welt ohne Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit unvorstellbar ist, ni<strong>ch</strong>t zuletzt vor dem Hintergrund<br />

diverser Fors<strong>ch</strong>ungsansätze und -ergebnisse aus den letzten Jahrzehnten.<br />

Im Jahre 1931 veröffentli<strong>ch</strong>te Kurt Gödel seine bedeutenden Unvollstän-digkeitssätze , na<strong>ch</strong><br />

denen alle wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreien axiomatis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>u¬lierungen <strong>der</strong> Zahlentheorie (spri<strong>ch</strong>:<br />

Kalküle, die komplex genug sind, um Zahlen zu produzieren) unents<strong>ch</strong>eidbare Aussagen<br />

enthalten müssen. O<strong>der</strong> umgekehrt formuliert: Jedes axiomatis<strong>ch</strong>e System kann nur dann<br />

alle wahren Aussagen (Vollständigkeit) <strong>der</strong> Zahlentheorie produzieren, wenn es au<strong>ch</strong><br />

wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e (mit <strong>der</strong> hier entwickelten Wortverwendung genauer: paradoxe) Aussagen<br />

hervorbringt. Indem er zeigte, dass si<strong>ch</strong> in jedem sol<strong>ch</strong>en formalen System wahre Aussagen<br />

nie<strong>der</strong>s<strong>ch</strong>reiben und in zahlentheoretis<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>ulierungen umwandeln lassen, die ni<strong>ch</strong>t<br />

abgeleitet – also ni<strong>ch</strong>t bewiesen – werden können, entdeckte er, dass die Principia<br />

Mathematica (und verwandte Systeme) unvollständig sein müssen.<br />

Ganz knapp kann man die Unvollständigkeitssätze zusammenfassen mit <strong>der</strong> <strong>Form</strong>ulierung:<br />

Jedes hinrei<strong>ch</strong>end mä<strong>ch</strong>tige formale System ist entwe<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> unvollständig.<br />

<strong>Die</strong> Unvollständigkeitssätze von Kurt Gödel ma<strong>ch</strong>en deutli<strong>ch</strong>, dass mathematis<strong>ch</strong>e Systeme,<br />

die genügend kompliziert sind, si<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> selbst beziehen können, indem die Sätze<br />

Aussagen über si<strong>ch</strong> selbst ma<strong>ch</strong>en. Mit dieser Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit können paradoxe<br />

Strukturen erzeugt werden. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> integrieren diese Strukturen. Sie stehen ni<strong>ch</strong>t<br />

im Wi<strong>der</strong>¬spru<strong>ch</strong> zu Kurt Gödels Einsi<strong>ch</strong>ten, son<strong>der</strong>n bestätigen sie.<br />

69


Au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts gab es vers<strong>ch</strong>iedene Versu<strong>ch</strong>e, <strong>der</strong><br />

<strong>Paradoxie</strong> bzw. ihrer Eliminierung auf die S<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e zu kommen. Als am bedeutsamsten<br />

haben si<strong>ch</strong> die Theorien von Alfred Tarski und Saul Kripke erwiesen sowie die Axiomatis<strong>ch</strong>e<br />

Mengenlehre. Sehr knapp dargestellt errei<strong>ch</strong>te Alfred Tarski mit einer Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Objekt- und Metaspra<strong>ch</strong>e, die zu einer Hierar<strong>ch</strong>ie von Spra<strong>ch</strong>en führt, dass<br />

Ableitungen von <strong>Paradoxie</strong>n in seinem System verhin<strong>der</strong>t werden. Neben diesem Weg <strong>der</strong><br />

Hierar<strong>ch</strong>isierung besteht <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Weg im Umgang mit <strong>Paradoxie</strong>n darin,<br />

Wahrheitswertlücken anzunehmen. Darauf basiert zum Beispiel <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong> von Saul<br />

Kripke, <strong>der</strong> behauptet, dass ni<strong>ch</strong>t je<strong>der</strong> Satz o<strong>der</strong> jede Aussage wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong> ist. Sätzen<br />

könne zum Beispiel dann kein Wahrheitswert zugeordnet werden, wenn bestimmte<br />

Voraussetzungen, die für den Satz getroffen werden, ni<strong>ch</strong>t erfüllt seien. Aber <strong>Paradoxie</strong>n<br />

hängen eben ni<strong>ch</strong>t von empiris<strong>ch</strong>en Fakten (den so genannten kontext-unabhängigen<br />

Voraussetzungen) ab.<br />

Au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Axiomatis<strong>ch</strong>en Mengenlehre, <strong>der</strong>en erste Darstellung von Zermelo und Fränklin<br />

1908 vorgelegt wurde, werden <strong>Paradoxie</strong>n dur<strong>ch</strong> eine Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Mengen<br />

und Klassen vermieden: Eine Klasse ist nur dann eine Menge, wenn sie selbst wie<strong>der</strong>um<br />

Element einer neuen Klasse ist. Indem gezeigt wird, dass R eine e<strong>ch</strong>te Klasse ist, es also<br />

keine Klasse gibt, die R als Element enthält, wird die Oszillation zwis<strong>ch</strong>en Selbstbeinhaltung<br />

und Selbstauss<strong>ch</strong>luss aufgelöst.<br />

Mir s<strong>ch</strong>eint, dass nahezu allen populären aktuellen Versu<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> den Veröffentli<strong>ch</strong>ungen<br />

von Kurt Gödel weiterhin gemeinsam ist, <strong>Paradoxie</strong>n aus <strong>der</strong> Theorie zu eliminieren. <strong>Die</strong><br />

Erwartung hinter dieser Haltung verkennt die Bedeutung und <strong>Form</strong>alisierbarkeit von<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit. <strong>Die</strong> Fur<strong>ch</strong>t besteht darin, dass man aus einem Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> alles<br />

ableiten könne, weshalb als Voraussetzung akzeptiert wurde, dass alle Wi<strong>der</strong>¬sprü<strong>ch</strong>e<br />

unannehmbar seien.<br />

1. Mathematik als Grundlage für Logik<br />

<strong>Die</strong> Ursa<strong>ch</strong>e für die Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik, die seit über hun<strong>der</strong>t Jahren weniger<br />

gelöst als vielmehr vergessen und verdrängt wurde, sieht George Spencer Brown in <strong>der</strong><br />

Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Grundlage für die mathe¬matis<strong>ch</strong>e Theorie: Logik o<strong>der</strong> Mathematik? <strong>Die</strong><br />

These, die in den Laws of <strong>Form</strong> und im vorliegenden Text vertreten wird, lautet, dass Logik<br />

eine Interpretation eines bestimmten Zweiges <strong>der</strong> Mathematik, nämli<strong>ch</strong> ihrer Grundlagen,<br />

und ni<strong>ch</strong>t selbst Fundament für Mathematik ist. Als Belege für diese These dienen die<br />

Interpretation des Indikationenkalküls für die Prädikatenlogik erster Stufe, die eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en cross und Negation beinhaltet, und die Interpretation für Zahlen,<br />

die beide am Ende dieses Abs<strong>ch</strong>nittes skizziert werden.<br />

Mit dem Indikationenkalkül von George Spencer Brown lässt si<strong>ch</strong> zeigen, dass Logik aus <strong>der</strong><br />

Mathematik ableitbar ist, wenn man mit Mathematik ursprüngli<strong>ch</strong> beginnt, das heißt, wenn<br />

man das Einfa<strong>ch</strong>ste formalisiert. Insofern kann man mit George Spencer Brown behaupten,<br />

dass die Beziehung <strong>der</strong> Logik zur Mathematik <strong>der</strong> Beziehung einer angewandten<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft zu ihrem Ursprung entspri<strong>ch</strong>t.<br />

„Ein grundsätzli<strong>ch</strong>es Anliegen dieser Abhandlung ist es, das, was als Algebren <strong>der</strong> Logik<br />

bekannt ist, vom Gegenstand <strong>der</strong> Logik zu trennen, und sie wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Mathematik zu<br />

verbinden“. (SPENCER BROWN 1997: XXVI)<br />

<strong>Die</strong>se Fragestellung hängt mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Arithmetik, mit <strong>der</strong> man auf<br />

Konstanten operiert, und Algebra, mit <strong>der</strong> Regeln <strong>der</strong> (dazugehörigen) Arithmetik mittels<br />

70


Variablen formalisiert werden, zusammen. Man nimmt an, dass jede Algebra eine<br />

zugehörige Arithmetik besitzt. Was heute unter Algebren <strong>der</strong> Logik bekannt ist – im<br />

allgemeinen Booles<strong>ch</strong>e Algebren –, wurde jedo<strong>ch</strong> fast auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Logik ange-passt<br />

entworfen. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> liefern die bislang unentdeckte Arith¬metik zur Booles<strong>ch</strong>en<br />

Algebra. Aufgrund des Satzes vom ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten, <strong>der</strong> ein fundamentales,<br />

axiomatis<strong>ch</strong>es Gesetz darstellt, ist zum Beispiel Booles Algebra ni<strong>ch</strong>t rei<strong>ch</strong>haltig genug bzw.<br />

zu einges<strong>ch</strong>ränkt, um das Problem <strong>der</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit zu lösen. Deshalb s<strong>ch</strong>lägt<br />

George Spencer Brown vor, die primäre, also ni<strong>ch</strong>t-numeris<strong>ch</strong>e Arithmetik <strong>der</strong> Algebra zu<br />

untersu<strong>ch</strong>en, die für unser Erfahren und Beoba<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> Welt angemessen ist (vgl.<br />

SPENCER BROWN 1997: XXVI; 1969: XI). In dem Text <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> heißt es<br />

entspre<strong>ch</strong>end, dass<br />

„wir (erstmals) eine Arithmetik betra<strong>ch</strong>ten, <strong>der</strong>en Geometrie no<strong>ch</strong> kein numeris<strong>ch</strong>es Maß hat:<br />

Und so erstaunli<strong>ch</strong> es s<strong>ch</strong>einen mag, zeigt es si<strong>ch</strong>, dass die Propositionen <strong>der</strong> Logik ebenso<br />

wie jene weiterer und mä<strong>ch</strong>tigerer Anwendungen zur Gänze aus sol<strong>ch</strong>erart konstruierten<br />

Kalkülen ableitbar sind.“ (SPENCER BROWN 1997: XIX)<br />

Deshalb ist Logik ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> ri<strong>ch</strong>tige Begriff für den Indikationenkalkül, denn Logik handelt<br />

immer s<strong>ch</strong>on von variablen Ausdrücken. Logik betrifft die Struktur von Spra<strong>ch</strong>e und ni<strong>ch</strong>t<br />

ihren Inhalt. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> um¬fassen aber gerade au<strong>ch</strong> den von Variablen freien Boden<br />

von Logik, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mathematik zuzure<strong>ch</strong>nen ist. Wie George Spencer Brown betont, wird <strong>der</strong><br />

Mathematik damit wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> ihr angemessene Ort zugewiesen: als funda¬mentale Disziplin<br />

au<strong>ch</strong> für Logik.<br />

Es s<strong>ch</strong>eint, als stünden die S<strong>ch</strong>wierigkeiten, Mathematik und Logik in ein angemessenes<br />

Verhältnis zu bringen, in einem Zusammenhang mit <strong>der</strong> oben erwähnten Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Beweis und Demonstration. Wie festgestellt wurde, sind Beweise ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

des Kalküls kodifiziert. Von daher liegt es nahe anzunehmen, dass die Regeln des<br />

Argumentierens und Re<strong>ch</strong>tfertigens aus einem allgemeineren Zusammenhang stammen<br />

könnten, und zwar dem <strong>der</strong> Logik. Dass dem ni<strong>ch</strong>t so ist, demonstriert <strong>der</strong> Indikationenkalkül.<br />

<strong>Die</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Demonstration und Beweis führt zu einer präzisen Grenze<br />

zwis<strong>ch</strong>en Innen und Außen des Kalküls. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für diese Unters<strong>ch</strong>eidung gilt, dass die<br />

Seiten zwar getrennt aber si<strong>ch</strong> gegenseitig bedingend sind. In diesem Sinne werden die<br />

<strong>Form</strong>en des Beweisens gemeinsam mit den <strong>Form</strong>en des Demonstrierens gefunden. Beweis<br />

und Demonstration müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. SPENCER<br />

BROWN 1997: 80 ff., 1969: 93 ff.).<br />

Nimmt man an, die <strong>Form</strong>en des Beweisens stammten aus <strong>der</strong> Logik, importiert man logis<strong>ch</strong>e<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkungen in die Mathematik, die an dieser Stelle ni<strong>ch</strong>t notwendig o<strong>der</strong> angebra<strong>ch</strong>t<br />

sein müssen. Das gilt im beson¬<strong>der</strong>en für den Satz vom ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten. Mit dem<br />

Indikationen¬kalkül wird erkenntli<strong>ch</strong>, dass dieser Satz für bestimmte Strukturen gilt, nämli<strong>ch</strong><br />

dann, wenn man zum Beispiel weiß, dass eine Aussage entwe<strong>der</strong> wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong> ist. Liegt<br />

jedo<strong>ch</strong> eine <strong>Form</strong> vor, die ein re-entry enthält (Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit), ist <strong>der</strong> Satz ni<strong>ch</strong>t<br />

hilfrei<strong>ch</strong>.<br />

Es ist klar, dass <strong>der</strong> Satz vom ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten zu den S<strong>ch</strong>wie¬rigkeiten mit<br />

<strong>Paradoxie</strong>n geführt hat, die in <strong>der</strong> Grundlagenkrise Ausdruck finden, weil <strong>Paradoxie</strong>n ja<br />

gerade eigen ist, dass sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf einen <strong>der</strong> Werte o<strong>der</strong> eine <strong>der</strong> Seiten festlegen<br />

lassen. Ein logis<strong>ch</strong> einwandfreier Begriff <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> könnte gar ni<strong>ch</strong>t gewonnen werden,<br />

weil Logik ein von <strong>Paradoxie</strong>n freier Kalkül zu sein beanspru<strong>ch</strong>t. Jede zweiwertige Logik<br />

s<strong>ch</strong>ließt <strong>Paradoxie</strong>n aus, weil es nur die beiden Werte geben kann, beispielsweise „wahr“<br />

und „fals<strong>ch</strong>“. Jede Aussage ist entwe<strong>der</strong> „wahr“ o<strong>der</strong> „fals<strong>ch</strong>“ (in <strong>der</strong> Regel wird dann no<strong>ch</strong><br />

eingeräumt, dass eine Aussage au<strong>ch</strong> sinnlos o<strong>der</strong> frei von einem Wahrheitswert sein kann),<br />

und jedem „Ding“ kommt eine Eigens<strong>ch</strong>aft entwe<strong>der</strong> zu o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Zumindest für<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong>e Zusammenhänge handelt man si<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>nfalls unüber¬brückbare<br />

Probleme ein. Denn wie kann man mit Aussagen umgehen, die etwas über ihre eigene<br />

Wahrheit o<strong>der</strong> Fals<strong>ch</strong>heit behaupten? In <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades zeigt<br />

71


dagegen <strong>der</strong> Indikationenkalkül, dass die Mathematik ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> einen Satz vom<br />

ausges<strong>ch</strong>lossenen Dritten einge¬s<strong>ch</strong>ränkt ist. <strong>Die</strong> Primäre Arithmetik und Algebra bringen<br />

diese Regel zwar hervor (Konsequenz 1: Reflexion), gestatten aber die <strong>Form</strong>alisierung von<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit, so dass diese Regel für Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades gilt, jedo<strong>ch</strong><br />

Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades ni<strong>ch</strong>t tangiert.<br />

Au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> „Satz <strong>der</strong> Identität“, <strong>der</strong> besagt, dass etwas zu si<strong>ch</strong> selbst identis<strong>ch</strong> ist, und <strong>der</strong> in<br />

allen gängigen Logiken vorausgesetzt wird, lässt si<strong>ch</strong> mit dem Konzept von<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit ni<strong>ch</strong>t vereinbaren. Man denke an ein abges<strong>ch</strong>lossenes System, etwa<br />

einen Beoba<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong> im Modus Bewusstsein operiert. Für einen Beoba<strong>ch</strong>ter dieses ersten<br />

Beoba<strong>ch</strong>¬ters stellt er eine Einheit dar. Er ist, was er ist; er ist mit si<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong>; au<strong>ch</strong> wenn<br />

er mal so und mal an<strong>der</strong>s ist, bleibt er <strong>der</strong>, <strong>der</strong> er ist. Dur<strong>ch</strong> seine Operationen s<strong>ch</strong>afft und<br />

erhält er eine Grenze zu seiner Umwelt. Für diesen ersten Beoba<strong>ch</strong>ter selbst gilt das au<strong>ch</strong>,<br />

solange er ni<strong>ch</strong>t selbstbe¬zügli<strong>ch</strong> operiert, solange er si<strong>ch</strong> etwa die Frage na<strong>ch</strong> seiner<br />

Identität ni<strong>ch</strong>t stellt. Do<strong>ch</strong> wenn er si<strong>ch</strong> selbst beoba<strong>ch</strong>tet, ist er ni<strong>ch</strong>t mehr mit si<strong>ch</strong> selbst<br />

identis<strong>ch</strong>: er hat si<strong>ch</strong> (die Einheit, die er war) in Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>¬tetes unterteilt.<br />

Operational bleibt er natürli<strong>ch</strong> eine Einheit, das heißt er wird ni<strong>ch</strong>t zu zwei Systemen, aber<br />

für si<strong>ch</strong> ist er ni<strong>ch</strong>t mehr eines. Er sieht si<strong>ch</strong> als <strong>der</strong>-und-<strong>der</strong> an, ist aber zuglei<strong>ch</strong> <strong>der</strong>, <strong>der</strong><br />

si<strong>ch</strong> so sieht. Er kann ni<strong>ch</strong>t mehr ents<strong>ch</strong>eiden, ob er Einheit o<strong>der</strong> Zweiheit ist: Wenn er si<strong>ch</strong><br />

als Einheit betra<strong>ch</strong>tet, s<strong>ch</strong>afft er dur<strong>ch</strong> die Differenz, die die (Selbst-)Betra<strong>ch</strong>¬tung ma<strong>ch</strong>t,<br />

eine Zweiheit. <strong>Die</strong>se Zweiheit operiert aber als ein System.<br />

Soweit zu einigen Unvereinbarkeiten, die auftreten, wollte man logis<strong>ch</strong>e Grundsätze au<strong>ch</strong> als<br />

Fundament einer Mathematik nehmen, die Selbstbe¬zügli<strong>ch</strong>keit eins<strong>ch</strong>ließt.<br />

In den Laws of <strong>Form</strong> führt George Spencer Brown in zwei Anhängen vor, dass <strong>der</strong><br />

<strong>Form</strong>alismus des Indikationenkalküls sowohl interpretiert werden kann als klassis<strong>ch</strong>e<br />

Logik (und damit au<strong>ch</strong> als Booles<strong>ch</strong>e Algebra) als au<strong>ch</strong> für Zahlen. Bevor diese<br />

Interpretationen des Kalküls skizziert werden, wird die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem<br />

cross des Kalküls und <strong>der</strong> Negation <strong>der</strong> Logik dargestellt.<br />

Eine Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Negation und cross<br />

Für die Interpretation des Kalküls als Logik ist die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en cross und<br />

Negation wesentli<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> Zustände, die mit <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung einhergehen, haben<br />

die glei<strong>ch</strong>e „Struktur“ wie die Wahr¬heitswerte von Aussagen. Na<strong>ch</strong> den Laws of <strong>Form</strong> ist<br />

je<strong>der</strong> Ausdruck von Unters<strong>ch</strong>eidungen entwe<strong>der</strong> auf den markierten o<strong>der</strong> den unmarkierten<br />

Zustand zurückführbar. <strong>Die</strong>s ist die grundlegende Unters<strong>ch</strong>eidung, mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Kalkül<br />

operiert. <strong>Die</strong> Logik ordnet Aussagen die Werte „wahr“ und „fals<strong>ch</strong>“ zu, wobei gilt: Wenn eine<br />

Aussage A wahr ist, dann ist ihre Negation fals<strong>ch</strong>. Insofern, als in beiden Fällen zwei Werte<br />

zu Grunde gelegt werden, besteht eine Ähnli<strong>ch</strong>keit zwis<strong>ch</strong>en cross und Negation.<br />

Mit dem cross ist jedo<strong>ch</strong> eine allgemeinere Idee zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t. Eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung ist entwe<strong>der</strong> getroffen o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t und entspre<strong>ch</strong>end ist ein Zustand markiert<br />

o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Um diesen Umstand zu kennzei<strong>ch</strong>nen, bedarf es jedo<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> einer einzigen<br />

Markierung, eben das cross – und seine Abwesenheit. <strong>Die</strong> Negation dagegen funktioniert<br />

an<strong>der</strong>s: sie bezieht si<strong>ch</strong> immer auf etwas, auf eine Position. Wird eine Aussage negiert,<br />

kreuzt man die Grenze zwis<strong>ch</strong>en Position und Negation, da die Negation die an<strong>der</strong>e Seite<br />

<strong>der</strong> Position ist. Das cross bezieht si<strong>ch</strong> dagegen auf den Raum, in dem es steht. Zudem ist<br />

das cross zuglei<strong>ch</strong> Operation und Operand: Wir treffen mit dem cross diese Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

(no<strong>ch</strong>) ni<strong>ch</strong>t. Demgegenüber benötigt die Negation in <strong>der</strong> Logik sogar s<strong>ch</strong>on die Idee von<br />

Variablen, auf die sie si<strong>ch</strong> beziehen kann.<br />

Insofern hat die Negation in <strong>der</strong> Logik eine an<strong>der</strong>e Stellung als das cross, da ihr das An<strong>der</strong>e,<br />

das, worauf sie si<strong>ch</strong> bezieht, gegeben sein muss. Eine Aussage und ihre Negation stellen<br />

72


au<strong>ch</strong> zwei si<strong>ch</strong> gegenüberstehende Zustände dar, denn jede Aussage ist in <strong>der</strong> zweiwertigen<br />

Logik entwe<strong>der</strong> wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>. Zwar sind die zwei Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung o<strong>der</strong> die<br />

beiden primären Zustände des Calculus of Indication au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t losgelöst voneinan<strong>der</strong><br />

denkbar, aber sie sind in dem Sinne glei<strong>ch</strong>wertig, dass keine Seite und kein Zustand dem<br />

an<strong>der</strong>en vorgängig ist; beide sind gemeinsam gegeben o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. George Spencer Brown<br />

hebt die formale Identität <strong>der</strong> beiden Seiten hervor. <strong>Die</strong> Negation hingegen wird als Funktion<br />

<strong>der</strong> Aussage behandelt. So, wie Logik immer s<strong>ch</strong>on von Aussagenvariablen handelt, auf die<br />

die Negation si<strong>ch</strong> beziehen kann, so bes<strong>ch</strong>reibt <strong>der</strong> Indika¬tionenkalkül den von Variablen<br />

freien Boden von Logik unter Verwendung des cross.<br />

<strong>Die</strong>sen Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en cross und Negation finden wir in Appendix 2 <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

(„Das Kalkül interpretiert für die Logik“) ausgedrückt, da die freie Wahl <strong>der</strong> Markierung o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Leerstelle (Abwe¬senheit <strong>der</strong> Markierung) für die Negation betont wird. Denn die ni<strong>ch</strong>t<br />

angezeigte Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung ist ni<strong>ch</strong>t die Negation <strong>der</strong> ange¬zeigten, es ist die<br />

an<strong>der</strong>e Seite, die unangezeigte. Nur wenn es zwei bestimmte Seiten gibt, entspri<strong>ch</strong>t<br />

glei<strong>ch</strong>wohl die Negation <strong>der</strong> einen Seite <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Das heißt, wenn man über das<br />

Konzept <strong>der</strong> Negation verfügt, findet man es unwillkürli<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Zwei-Seiten-<strong>Form</strong>, aber die<br />

<strong>Form</strong> ist ursprüngli<strong>ch</strong>er als die Negation. Da sie ursprüngli<strong>ch</strong>er ist, ist sie weniger<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt, das meint, dass sie allgemeiner ist. Wir können das cross aber, wenn wir die<br />

Absi<strong>ch</strong>t haben, Logik zu betreiben, als Negation inter¬pretieren, und, wenn wir die Absi<strong>ch</strong>t<br />

haben, mit Zahlen zu re<strong>ch</strong>nen, können wir es als die Ziffer „1“ deuten.<br />

<strong>Die</strong> Interpretationen für Logik und Zahlen<br />

Wenn <strong>der</strong> Indikationenkalkül als Logik interpretiert werden kann, ist klar, dass er<br />

fundamentaler als Logik ist. <strong>Die</strong> Vorgängigkeit von Mathematik zur Logik zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong><br />

darin, dass<br />

„die Argumente, die wir heranzogen, um die kalkulierenden <strong>Form</strong>en zu re<strong>ch</strong>tfertigen (d. h. in<br />

den Beweisen <strong>der</strong> Theoreme), selbst gere<strong>ch</strong>tfertigt werden können, indem man sie in die<br />

<strong>Form</strong> des Kalküls einsetzt.“ (SPENCER BROWN 1997: 88)<br />

Das heißt, wir können die <strong>Form</strong>en des Kalküls als Logik interpretieren; bzw. eine<br />

Interpretation des Kalküls liefert die (logis<strong>ch</strong>en) Annahmen, auf denen wir die Argumente <strong>der</strong><br />

Beweise aufgebaut haben.<br />

Einen Kalkül zu interpretieren meint, die in ihm vorkommenden Werte o<strong>der</strong> Zustände in<br />

Übereinstimmung zu bringen mit einer ähnli<strong>ch</strong>en Menge von Werten o<strong>der</strong> Zuständen. Das<br />

heißt, <strong>der</strong> Primären Algebra kann <strong>der</strong>art Bedeutung gegeben werden, um etwa Logik zu<br />

betreiben o<strong>der</strong> mit Zahlen zu re<strong>ch</strong>nen.<br />

Es gibt zwei Mögli<strong>ch</strong>keiten, die Markierung und die Leerestelle mit den Wahrheitswerten<br />

„wahr“ und „fals<strong>ch</strong>“ zu kombinieren.<br />

„Wir haben also die Wahl, ob wir den unmarkierten Zustand mit Wahrheit und den markierten<br />

Zustand mit Unwahrheit verbinden wollen o<strong>der</strong> den markierten Zustand mit Wahrheit und<br />

den unmarkierten Zustand mit Unwahrheit. Obwohl es vom Standpunkt <strong>der</strong> Kalkulation völlig<br />

unerhebli<strong>ch</strong> ist, was wir tun, ist tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> letzterer Anordnung im Sinne <strong>der</strong> Interpretation<br />

lei<strong>ch</strong>ter zu folgen.“ (SPENCER BROWN 1997: 98)<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end setzen wir:<br />

non-a entspri<strong>ch</strong>t a<br />

73


Das heißt, wenn a „wahr” ist, ist die linke Seite („non-a“) „fals<strong>ch</strong>“; und auf <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>ten Seite<br />

setzen wir für a das ein und erhalten na<strong>ch</strong> Axiom 2 den unmarkierten Zustand, also<br />

ebenfalls „fals<strong>ch</strong>“. Des Weiteren ergibt si<strong>ch</strong> daraus:<br />

a o<strong>der</strong> b entspri<strong>ch</strong>t a b<br />

a und b entspri<strong>ch</strong>t a b<br />

wenn a dann b entspri<strong>ch</strong>t<br />

a b<br />

Für ein besseres Verständnis empfiehlt es si<strong>ch</strong>, si<strong>ch</strong> von diesen Entspre¬<strong>ch</strong>ungen zu<br />

überzeugen, indem man sie si<strong>ch</strong> anhand von Beispielen veran¬s<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t. Zum Beispiel<br />

weiß man aus <strong>der</strong> Logik, dass „wenn a dann b“ immer dann wahr ist, wenn ni<strong>ch</strong>t aus etwas<br />

Wahrem (a) etwas Fals<strong>ch</strong>es (b) folgt. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ergibt <strong>der</strong> indikationslogis<strong>ch</strong>e Ausdruck<br />

auf <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>ten Seite stets eine Markierung (entspri<strong>ch</strong>t Wahrheit), es sei denn, a ist markiert<br />

und b unmarkiert (also a ist wahr und b ist fals<strong>ch</strong>).<br />

Es zeigt si<strong>ch</strong> nun, dass diese Interpretation des Kalküls ni<strong>ch</strong>t nur eine Spielerei ist.<br />

„Indikationenlogik“ ist viel übersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er, direkter und einfa<strong>ch</strong>er als das Arbeiten mit<br />

Wahrheitstafeln o<strong>der</strong> Venn-Diagrammen (bzw. mo<strong>der</strong>nen Äquivalenten).<br />

Damit wird ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, warum si<strong>ch</strong> George Spencer Brown weigert, den Indikationenkalkül<br />

als Logik zu bezei<strong>ch</strong>nen. Er lehnt eine Charakteri¬sierung seines Kalküls als Logik vor allem<br />

deshalb ab, weil es um ein Prozessieren von Zei<strong>ch</strong>en geht und ni<strong>ch</strong>t um ein Prozessieren<br />

von Wahr¬heitswerten. Zudem ist <strong>der</strong> Kalkül ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> traditionellen, in <strong>der</strong> Logik<br />

betriebenen Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en wahr und fals<strong>ch</strong> begründet, die mit einer<br />

Weltans<strong>ch</strong>auung verknüpft ist, die von einer objektiven, vom Beoba<strong>ch</strong>ter unabhängigen Welt<br />

ausgeht. Mit dieser Tradition will George Spencer Brown explizit bre<strong>ch</strong>en.<br />

Für die Interpretation des Indikationenkalküls für Zahlen setzt George Spencer Brown:<br />

=: 1,<br />

=: 2,<br />

=: 3, etc.<br />

Dann kann man die Addition und die Multiplikation definieren als:<br />

a + b : = a b<br />

a • b : = a b<br />

Für die Addition entspri<strong>ch</strong>t die Definition offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> den vertrauten Re<strong>ch</strong>nungen, denn die<br />

Anzahl <strong>der</strong> Markierungen werden einfa<strong>ch</strong> nebenein¬an<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>rieben. Wi<strong>ch</strong>tig ist zu<br />

bea<strong>ch</strong>ten, dass ni<strong>ch</strong>t kondensiert werden darf. Sol<strong>ch</strong>erart vereinfa<strong>ch</strong>ende Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritte,<br />

wie sie im Indikationen¬kalkül vorkommen, sind in <strong>der</strong> Interpretation für Zahlen ni<strong>ch</strong>t<br />

gestattet.<br />

Für die Multiplikation muss man sehen, was mit dem „indikations¬numeris<strong>ch</strong>en“ Ausdruck<br />

auf <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>ten Seite gemeint ist bzw. auf wel<strong>ch</strong>e Weise er umges<strong>ch</strong>rieben werden kann.<br />

Benötigt werden dazu das zweite Initial <strong>der</strong> Primären Algebra, Transposition, und dessen<br />

Erweiterung auf jede Anzahl von Unterteilungen, spri<strong>ch</strong> Theorem 10. Hier, für das Re<strong>ch</strong>nen<br />

in <strong>der</strong> Interpretation für Zahlen, wird eine Vereinfa<strong>ch</strong>ung des Theorems gebrau<strong>ch</strong>t: p, q, a, b<br />

etc. werden als unmarkierter Zustand gesetzt und r ist variabel, abhängig von <strong>der</strong> konkreten<br />

Multiplikation, die ausge-re<strong>ch</strong>net werden soll. <strong>Form</strong>al sieht <strong>der</strong> Spezialfall folgen<strong>der</strong>maßen<br />

aus:<br />

... r = r r ...<br />

74


In <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Multiplikation erkennt man dieses „Muster“ im Raum s1, das heißt<br />

innerhalb <strong>der</strong> äußersten Markierung. <strong>Die</strong> erste (linke) <strong>der</strong> beiden Markierungen in s1 enthält<br />

a Markierungen, die zweite (re<strong>ch</strong>te) wird als r gesetzt, das heißt r hat die <strong>Form</strong> einer<br />

Markierung, die b nebenein¬an<strong>der</strong> stehende und keine weiteren Markierungen enthält. <strong>Die</strong><br />

„Überset¬zung“ <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Multiplikation mittels des zehnten Theorems sieht also<br />

zunä<strong>ch</strong>st so aus:<br />

a b =<br />

... r<br />

Mit unserem Spezialfall des Theorems 10 sehen wir, dass das r in jede <strong>der</strong> a Markierungen<br />

hineinpositioniert werden darf. Das heißt ganz konkret und ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>, dass b<br />

Markierungen a mal ges<strong>ch</strong>rieben werden müssen. Der Ausdruck hat nun au<strong>ch</strong> immer eine<br />

alles umfassende Markierung, die mit <strong>der</strong> äußersten Markierung aufgehoben werden kann,<br />

so dass tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> genau a • b Markierungen stehen bleiben.<br />

Während es sehr erlei<strong>ch</strong>ternd ist, gerade kompliziertere logis<strong>ch</strong>e Zusam¬menhänge<br />

„indikationslogis<strong>ch</strong>“ zu analysieren, ma<strong>ch</strong>t es wohl kaum einen Sinn, „indikationsnumeris<strong>ch</strong>“<br />

zu re<strong>ch</strong>nen. Das ist zum einen komplizierter und vor allem zum an<strong>der</strong>en gerade dann<br />

aufwendig, wenn größere Zahlen bere<strong>ch</strong>net werden sollen. Man muss am Ende ja alle<br />

Markierungen zählen. Insofern dient die Demonstration <strong>der</strong> Interpretation für Zahlen weniger<br />

als Beleg für die sinnvolle Anwendbarkeit <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, als vielmehr als<br />

Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ung ihrer Tiefe und Mä<strong>ch</strong>tigkeit: Selbst die numeris<strong>ch</strong>e Mathematik lässt si<strong>ch</strong><br />

aus den Laws of <strong>Form</strong> ableiten.<br />

Wie au<strong>ch</strong> für die Interpretation für Logik findet man no<strong>ch</strong> erhebli<strong>ch</strong> mehr Beispiele, Sätze und<br />

Anwendungen in dem entspre<strong>ch</strong>enden Appendix in den Laws of <strong>Form</strong>. Beides konnte hier<br />

nur angedeutet werden – als erlei<strong>ch</strong>tern<strong>der</strong> Einstieg und als Motivation für eigene Studien.<br />

Ein großer Erfolg <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ist ihre Anwendung zum Beweis des berühmten Vier-<br />

Farben-Theorems. Vor dem Beweis, den George Spencer Brown 1979 auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

des Indikationenkalküls lieferte (siehe Appendix 5: „Two proofs of the four-colour map<br />

theorem“, in SPENCER BROWN 1997: 141-188), gab es ledigli<strong>ch</strong> einen mehrere tausend<br />

Seiten langen, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> auf Computerbere<strong>ch</strong>nungen stützt. <strong>Die</strong>s alles gibt Grund zur<br />

Annahme, dass weitere unbewiesene Sätze (nur) mit Hilfe sol<strong>ch</strong>er primärer Kalküle<br />

beweisbar sowie etli<strong>ch</strong>e Beweise mit ihnen eleganter, kürzer und einsi<strong>ch</strong>tiger zu führen sind.<br />

Wir fassen zusammen: <strong>Die</strong> Primäre Arithmetik unterliegt ni<strong>ch</strong>t den Bes<strong>ch</strong>ränkungen, die<br />

Boole seiner Algebra auferlegte und wel<strong>ch</strong>e logis<strong>ch</strong>er Natur sind. <strong>Die</strong> Primäre Algebra kann<br />

zum Beispiel als Booles<strong>ch</strong>e Algebra o<strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>e Logik interpretiert werden. Dur<strong>ch</strong> den<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Ansatz und <strong>der</strong> daraus resultierenden unters<strong>ch</strong>iedenen<br />

<strong>Form</strong>alisierung kann man jedo<strong>ch</strong> nur auf Basis <strong>der</strong> Primären Algebra erkennen und<br />

darstellen, dass George Boole nur Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades zulassen konnte,<br />

während George Spencer Brown au<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades, die<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong> sein können, formal bearbeiten kann. Nun wird <strong>der</strong> Blick für<br />

<strong>Paradoxie</strong>n frei. Und man erkennt die <strong>Paradoxie</strong> als eine notwendig mögli<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong>,<br />

die si<strong>ch</strong> ganz natürli<strong>ch</strong> und ohne „äußere“ Eingriffe ergibt, und die si<strong>ch</strong> wie jede<br />

an<strong>der</strong>e <strong>Form</strong> formal darstellen lässt. Es gibt keinen Anlass mehr, sie vermeiden zu<br />

wollen. Wenn man eine Unters<strong>ch</strong>eidung auf bestimmte Art und Weise in sie selbst<br />

einführt, hat man es mit einer <strong>Paradoxie</strong> zu tun. Eine <strong>der</strong> berühmtesten und<br />

wissens<strong>ch</strong>aftshistoris<strong>ch</strong> relevantesten – aber vor George Spencer Browns Entdeckung ni<strong>ch</strong>t<br />

als sol<strong>ch</strong>e erkannte – wird im folgenden Kapitel dargestellt.<br />

75


2. Imaginärer Wert und komplexe Zahlen<br />

Es wurde oben s<strong>ch</strong>on auf den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Booles<strong>ch</strong>er und Browns<strong>ch</strong>er Algebra<br />

eingegangen. <strong>Die</strong>ser führte zur Si<strong>ch</strong>tbarkeit von Glei<strong>ch</strong>ungen höheren Grades, o<strong>der</strong> mit<br />

an<strong>der</strong>en Worten: <strong>Die</strong> Primäre o<strong>der</strong> Browns<strong>ch</strong>e Arithmetik erlaubt,„komplexe Werte in <strong>der</strong><br />

Algebra zu verwenden. <strong>Die</strong>se sind Analogien zu den komplexen Zahlen in <strong>der</strong> gewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

(numeris<strong>ch</strong>en) Algebra.“ (SPENCER BROWN 1997: XXI)<br />

<strong>Die</strong>ser Zusammenhang mag zunä<strong>ch</strong>st überras<strong>ch</strong>en, erweist si<strong>ch</strong> aber als sehr nützli<strong>ch</strong>, die<br />

<strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> zu präzisieren.<br />

Ausgangspunkt <strong>der</strong> Überlegungen ist folgen<strong>der</strong>: Bestimmte quadratis<strong>ch</strong>e Glei<strong>ch</strong>ungen sind<br />

in <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> reellen Zahlen ni<strong>ch</strong>t lösbar, da das Quadrat einer reellen Zahl ni<strong>ch</strong>t negativ<br />

sein kann. Dur<strong>ch</strong> die Erweiterung des Zahlraumes auf die Menge <strong>der</strong> komplexen Zahlen, die<br />

auf <strong>der</strong> Einfüh¬rung <strong>der</strong> imaginären Einheit i beruht, kann man au<strong>ch</strong> diesen Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

Lösungen zuordnen. <strong>Die</strong>se sind aber keine Zahlen im herkömmli<strong>ch</strong>en Sinne mehr. Mit <strong>der</strong><br />

übli<strong>ch</strong>en räumli<strong>ch</strong>en Verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> kom¬plexen Zahlen (als Koordinatenkreuz)<br />

gelangt man vielmehr zu <strong>der</strong> Ansi<strong>ch</strong>t, dass <strong>der</strong> Zahlenstrahl <strong>der</strong> reellen Zahlen einen<br />

winzigen Auss<strong>ch</strong>nitt <strong>der</strong> komplexen Zahlen darstellt.<br />

In <strong>der</strong> numeris<strong>ch</strong>en gewöhnli<strong>ch</strong>en Algebra werden diese „komplexen Werte“, das heißt<br />

imaginäre Zahlen, ganz selbstverständli<strong>ch</strong> gebrau<strong>ch</strong>t, vor allem aufgrund ihres<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagenden Erfolges – sowohl innerhalb <strong>der</strong> Mathematik als Element des<br />

Theoriegebäudes als au<strong>ch</strong> in ihren Anwen¬dungen wie beispielsweise in <strong>der</strong> Theorie des<br />

Elektromagnetismus o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Phasentheorie in <strong>der</strong> Elektrizitätslehre. Weil ihre Struktur und<br />

daraufhin ihre Verbindung zu <strong>Paradoxie</strong>n bisher ni<strong>ch</strong>t erkannt wurden, konnten theoretis<strong>ch</strong>e<br />

und praktis<strong>ch</strong>e Mathematiker die imaginäre Einheit viel lei<strong>ch</strong>ter als Werkzeug akzeptieren als<br />

einen imaginären Wert, <strong>der</strong> den logis<strong>ch</strong>en Grundannahmen wi<strong>der</strong>spra<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong><br />

ist im Grunde unklar, was komplexe Zahlen sind, und bisweilen führt ihre Unerklärbar¬keit zu<br />

Ablehnung selbst unter Mathematikern. <strong>Die</strong> Unfähigkeit, diese Struktur angemessen<br />

bes<strong>ch</strong>reiben zu können, rührt jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus <strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>e selbst, son<strong>der</strong>n hat ihre Ursa<strong>ch</strong>e<br />

darin, dass eben <strong>der</strong> Zusammenhang zu <strong>Paradoxie</strong>n und ihrer speziellen <strong>Form</strong> bisher ni<strong>ch</strong>t<br />

erkannt und bes<strong>ch</strong>rie¬ben wurde.<br />

Im Folgenden wird angedeutet, inwiefern wir die imaginäre Einheit als zwar imaginäre, aber<br />

praktis<strong>ch</strong>e Lösung einer „paradoxen Glei<strong>ch</strong>ung“ begreifen können. Wie wir gesehen haben,<br />

gibt es unter den Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades zwei vers<strong>ch</strong>iedene Typen: die<br />

Gedä<strong>ch</strong>tnisfunktion, die entwe<strong>der</strong> den markierten o<strong>der</strong> den unmarkierten Zustand<br />

hervorbringt, und die Oszillatorfunktion, wel<strong>ch</strong>e den imaginären Wert zur Lösung hat. Um<br />

das Argument mögli<strong>ch</strong>st ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> vortragen zu können, identifizieren wir sie mit den<br />

speziellen quadratis<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>ungen<br />

a: x2 = 1 und b: x2 = – 1,<br />

wobei a und b ledigli<strong>ch</strong> die Namen <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ungen sind. Dur<strong>ch</strong> Division je bei<strong>der</strong> Seiten<br />

dur<strong>ch</strong> x erhalten wir<br />

a: x = 1/x und b: x = -1/x.<br />

Da die Glei<strong>ch</strong>ungen numeris<strong>ch</strong> ausgewogen sein müssen, kommen als Lösungen nur die<br />

Einheiten (+1 und –1) in Betra<strong>ch</strong>t, denn an<strong>der</strong>nfalls wäre immer eine Seite <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung<br />

größer und die an<strong>der</strong>e kleiner als eins. Glei<strong>ch</strong>ung a bereitet uns keine Probleme, denn<br />

setzen wir auf einer ihrer Seiten eine <strong>der</strong> Einheiten für x ein, bestätigt die an<strong>der</strong>e Seite den<br />

gewählten Wert. In <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>ung b, die wir mit <strong>der</strong> Oszillatorfunktion identifizieren, kommen<br />

wir auf diese Weise zu keinem Ergebnis, wie si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Ausprobieren herausfinden<br />

lässt. Deshalb wurde <strong>der</strong> imaginäre Wert i, <strong>der</strong> die Wurzel aus –1 symbolisiert, in die<br />

Glei<strong>ch</strong>ungstheorie eingeführt. Setzt man auf <strong>der</strong> einen Seite +1 ein, ergibt si<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong><br />

76


an<strong>der</strong>en –1 für x und umgekehrt. Wir erkennen eine zur Russells<strong>ch</strong>en <strong>Paradoxie</strong> identis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>Form</strong>, wenn wir +1 und –1 mit den beiden Seiten identifizieren, zwis<strong>ch</strong>en denen <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong><br />

gewählten Glei<strong>ch</strong>ung oszilliert (dort waren die Seiten: selbstbeinhaltend o<strong>der</strong> -<br />

auss<strong>ch</strong>ließend; im Indikationenkalkül markiert und unmarkiert). <strong>Die</strong> Annahme <strong>der</strong> einen<br />

Lösung – und Einsetzung für x auf einer <strong>der</strong> Seiten – verweist auf die an<strong>der</strong>e Lösung – das<br />

(no<strong>ch</strong>) ni<strong>ch</strong>t fest¬gelegte x auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite nimmt den ni<strong>ch</strong>t angenommenen Wert an.<br />

<strong>Die</strong>s liefert uns eine formale Ans<strong>ch</strong>auung dessen, was wir <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> genannt<br />

haben.<br />

<strong>Die</strong> Ähnli<strong>ch</strong>keiten zwis<strong>ch</strong>en diesen Glei<strong>ch</strong>ungen und selbstbezügli<strong>ch</strong>en Aussagen sind<br />

augens<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>: So, wie eine Zahl entwe<strong>der</strong> positiv, negativ o<strong>der</strong> die Null sein muss, gibt es<br />

für Aussagen die Kategorien wahr, fals<strong>ch</strong> und „bedeutungslos“; so, wie selbstbezügli<strong>ch</strong>e<br />

Aussagen auf zwei vers<strong>ch</strong>iedenen Ebenen betra<strong>ch</strong>tet werden, steht das x in den<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen einmal im Nenner und einmal im Zähler; und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong>: so, wie<br />

selbst¬bezügli<strong>ch</strong>e Aussagen, die wir für problematis<strong>ch</strong> (paradox) halten, eine Negation<br />

enthalten müssen, steht in Glei<strong>ch</strong>ung b ein Minuszei<strong>ch</strong>en.<br />

Wenn man demna<strong>ch</strong> die Theorie <strong>der</strong> Typen von Bertrand Russell und Alfred North<br />

Whitehead konsequent verfolgen würde, müsste man die gesamte Mathematik eliminieren,<br />

die mit komplexen Zahlen arbeitet. Aber je<strong>der</strong> Mathematiker und Physiker weiß, dass es<br />

ohne diese Zahlen ni<strong>ch</strong>t mehr geht und dass man mit ihnen arbeiten kann – und damit auf<br />

ganz reale Ergebnisse kommt. Denn ohne den (ganz praktis<strong>ch</strong>en) Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> imaginären<br />

Einheit ist die Welt, te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong> wie sie heute ist, ni<strong>ch</strong>t vorstell-bar. <strong>Die</strong>se Argumentation bringt<br />

George Spencer Brown auf den Punkt:<br />

„<strong>Die</strong> Tatsa<strong>ch</strong>e, dass imaginäre Werte gebrau<strong>ch</strong>t werden können, um auf eine reale und<br />

bestimmte Antwort zu s<strong>ch</strong>ließen, gepaart mit <strong>der</strong> Tatsa<strong>ch</strong>e, dass dies in <strong>der</strong> heutigen<br />

mathematis<strong>ch</strong>en Praxis ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ieht, und ebenso gepaart mit <strong>der</strong> Tatsa<strong>ch</strong>e, dass<br />

bestimmte Glei<strong>ch</strong>ungen offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ohne den Gebrau<strong>ch</strong> imaginärer Werte gelöst<br />

werden können, bedeutet, dass es mathematis<strong>ch</strong>e Aussagen geben muss (<strong>der</strong>en Wahrheit<br />

o<strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>twahrheit tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> perfekt ents<strong>ch</strong>ieden werden kann), die mit den Methoden <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>lussfolgerung, auf die wir uns bislang bes<strong>ch</strong>ränkt haben, ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>ieden werden<br />

können.“ (SPENCER BROWN 1997: 86)<br />

Das heißt au<strong>ch</strong>, dass es erwartbar ers<strong>ch</strong>eint, dass wir Theoreme finden werden, <strong>der</strong>en<br />

Wahrheit (im Sinne von Beweisbarkeit) ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>ieden werden kann, solange wir auf<br />

Glei<strong>ch</strong>ungen ersten Grades bes<strong>ch</strong>ränkt sind. Bei den meisten unbewiesenen und von daher<br />

problematis<strong>ch</strong>en Sätzen, die es in <strong>der</strong> Mathematik gibt, wurde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong><br />

unternommen, sie auf Grundlage des Indikationenkalküls zu re<strong>ch</strong>tfertigen. Ledigli<strong>ch</strong> das Vier-<br />

Farben-Theorem, das wegen seiner Ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>keit, Einfa<strong>ch</strong>heit und vor allem wohl dur<strong>ch</strong><br />

die S<strong>ch</strong>wierigkeit, es zu beweisen, berühmt wurde, hat George Spencer Brown bewiesen<br />

(Vgl. SPENCER BROWN 1997: 141-191).<br />

3. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

Der erste Satz dieses Kapitels fehlt.<br />

Ein grundsätzli<strong>ch</strong>es Anliegen dieses Textes ist es, den <strong>Paradoxie</strong>begriff zu präzisieren. Dazu<br />

wird im Folgenden an einigen Beispielen und Gegen¬beispielen für <strong>Paradoxie</strong>n die Grenze<br />

zwis<strong>ch</strong>en paradoxen und an<strong>der</strong>en formalen Strukturen ges<strong>ch</strong>ärft und die gemeinsame<br />

formale Struktur von <strong>Paradoxie</strong>n dargestellt, hier „<strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“ genannt. Zunä<strong>ch</strong>st<br />

kommen wir aber auf die die Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik auslösende <strong>Paradoxie</strong> von<br />

Bertrand Russell zurück.<br />

<strong>Die</strong> Russells<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong><br />

77


Der Auslöser für die Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik besteht in <strong>der</strong> von Bertrand Russell<br />

entdeckten und na<strong>ch</strong> ihm benannten <strong>Paradoxie</strong>, die zu Beginn dieses Teils im Abs<strong>ch</strong>nitt zum<br />

mathematik-historis<strong>ch</strong>en Zusam¬menhang skizziert wurde. Im zweiten Kapitel wurde<br />

dargestellt, wel<strong>ch</strong>es Missverständnis dazu führte. Im vorliegenden Abs<strong>ch</strong>nitt wird die<br />

Russell¬s<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong> detaillierter betra<strong>ch</strong>tet.<br />

Eine erste Ans<strong>ch</strong>auung dessen, was bisher und im Folgenden die „<strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“<br />

genannt wird, gewinnen wir dur<strong>ch</strong> die Betra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Konstruktion <strong>der</strong> „normalen Menge“ R.<br />

In <strong>der</strong> Mengenlehre können „Dinge“ (zum Beispiel Objekte, Eigens<strong>ch</strong>aften o<strong>der</strong> Mengen)<br />

aufgrund ihrer Eigens<strong>ch</strong>aften zu Mengen zusammengefasst werden. Eine Menge enthält<br />

„Dinge“ – und s<strong>ch</strong>ließt an<strong>der</strong>e aus. Wenden wir dies auf sie selbst an, kann eine Menge<br />

entwe<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> selbst enthalten o<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> selbst auss<strong>ch</strong>ließen. Si<strong>ch</strong> selbst auss<strong>ch</strong>ließende<br />

Mengen sind ganz normale Mengen – daher au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Name, den Bertrand Russell seiner<br />

berühmt gewordenen, paradoxen Menge gab. Beispiele für normale Mengen sind die Menge<br />

aller Vögel; die Menge aller Mens<strong>ch</strong>en, die Taja Luna kennen; o<strong>der</strong> die Menge aller Mengen,<br />

die Albert Einstein enthalten. „Normal“ meint hier, dass die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong><br />

Menge und den Elementen <strong>der</strong> Menge aufre<strong>ch</strong>t erhalten bleibt. Normale Mengen sind nie<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong> in dem Sinne, dass die Definition <strong>der</strong> Menge auf die Menge selbst<br />

angewendet werden kann. <strong>Die</strong>s unters<strong>ch</strong>eidet gewöhnli<strong>ch</strong>e, selbstaus¬s<strong>ch</strong>ließende Mengen<br />

von selbstenthaltenden Mengen. Sol<strong>ch</strong>e Mengen haben die merkwürdige Eigens<strong>ch</strong>aft, dass<br />

die Grenze zwis<strong>ch</strong>en Menge und Element vers<strong>ch</strong>wimmt. Eine selbstenthaltende Menge ist<br />

eine Menge und enthält si<strong>ch</strong> selbst, ist also au<strong>ch</strong> ihr eigenes Element. Beispielsweise sind<br />

die Menge aller Mengen o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> die Menge all <strong>der</strong>jenigen Mengen, die Albert Einstein<br />

ni<strong>ch</strong>t enthalten, selbstenthaltend. Eine weitere ist eben die na<strong>ch</strong> Bertrand Russell benannte<br />

Normale Menge R: Menge aller Mengen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten.<br />

Mit <strong>der</strong> Definition führen wir die eine Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Selbsteins<strong>ch</strong>luss<br />

und Selbstauss<strong>ch</strong>luss (nämli<strong>ch</strong> Selbstauss<strong>ch</strong>luss: Mengen, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten) in<br />

die glei<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung wie<strong>der</strong> ein (und erhalten die Menge, die alle Mengen enthält, die<br />

si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t enthalten) und können nun fragen, auf wel<strong>ch</strong>er Seite dieser Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

si<strong>ch</strong> die <strong>der</strong>art konstruierte Menge R selbst befindet. Enthält die Menge aller Mengen, die<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten, si<strong>ch</strong> selbst?<br />

<strong>Die</strong> Strategie, eine Antwort auf diese Frage zu finden, besteht darin, zunä<strong>ch</strong>st die eine und<br />

später die an<strong>der</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keit als zutreffend anzunehmen, und jeweils anhand <strong>der</strong> Definition<br />

von R zu überprüfen, was aus <strong>der</strong> Annahme folgt.<br />

Also angenommen, R sei selbstenthaltend. <strong>Die</strong> Menge R wurde dur<strong>ch</strong> den<br />

Zusammens<strong>ch</strong>luss aller <strong>der</strong> Mengen gebildet, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthalten, also normal<br />

sind. Wenn R si<strong>ch</strong> aber selbst enthält, enthält R (indem sie si<strong>ch</strong> selbst enthält) eine<br />

selbstenthaltende Menge. Das heißt, dass die Annahme, R enthalte si<strong>ch</strong> selbst, gegen die<br />

Definition von R verstößt, da R ja keine selbstenthaltenden Mengen enthält. Da es nur die<br />

beiden Mögli<strong>ch</strong>keiten selbstenthaltend und selbstauss<strong>ch</strong>ließend gibt, führt die Annahme, R<br />

enthalte si<strong>ch</strong> selbst, zu dem S<strong>ch</strong>luss, dass R si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst enthält.<br />

Angenommen also, R enthalte si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t. Wenn R auf diese Weise eine<br />

selbstauss<strong>ch</strong>ließende Menge ist, dann muss sie laut Definition in R enthalten sein, denn R<br />

enthält ja gerade alle Mengen, die si<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t enthalten. In diesem zweiten Fall führt die<br />

Annahme des Selbstaus¬s<strong>ch</strong>lusses auf Selbstbeinhaltung. In beiden Fällen führt die<br />

Annahme <strong>der</strong> einen Seite auf die an<strong>der</strong>e. Es kommt zu einer Oszillation zwis<strong>ch</strong>en den<br />

Seiten, Werten o<strong>der</strong> Zuständen, die <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> für <strong>Paradoxie</strong>n – in dem hier<br />

vorges<strong>ch</strong>lagenen Sinne – ist.<br />

Negation und Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit, die vers<strong>ch</strong>iedene Ebenen impliziert, sind die Merkmale,<br />

die zur <strong>Paradoxie</strong> und <strong>der</strong> für sie <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>en Oszillation zwis<strong>ch</strong>en zwei Seiten führen.<br />

Sie dienen uns als vorläufiger Leitfaden zur <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>. Mit Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />

78


geht notwendig <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Ebenen einher: bei <strong>der</strong> Menge aller Mengen ist<br />

das offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> Annahme bzw. <strong>der</strong> Gebrau<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Ebenen ist notwendig für<br />

die formale Darstellung von Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit. <strong>Die</strong> Negation ist notwendig, um von einer<br />

Seite auf die an<strong>der</strong>e zu kommen.<br />

Weitere Beispiele und Gegenbeispiele für <strong>Paradoxie</strong>n<br />

Wenn Probleme auftreten, die ni<strong>ch</strong>t die hier skizzierte <strong>Form</strong> haben und denno<strong>ch</strong> als paradox<br />

bezei<strong>ch</strong>net wurden, wie etwa Zenons <strong>Paradoxie</strong>n o<strong>der</strong> – mo<strong>der</strong>ner – das Einstein-Podolsky-<br />

Rosen-Paradoxon, das Zwillings¬paradoxon <strong>der</strong> Relativitätstheorie o<strong>der</strong> das Kleins<strong>ch</strong>e<br />

Paradoxon, dann sind diese auf Theorie- o<strong>der</strong> Wissenslücken zurückzuführen und haben mit<br />

einer oszillierenden Struktur, die in Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit gründet, ni<strong>ch</strong>ts zu tun. <strong>Die</strong> ungenaue<br />

Wortverwendung mag mit dem übli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>mack des Ni<strong>ch</strong>tmögli<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong><br />

Unvorstellbaren zusammenhängen, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>äftigung mit <strong>Paradoxie</strong>n einstellen<br />

kann. Mit <strong>der</strong> hier gelieferten klaren Bestimmung und Abgrenzung sollte es jedo<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong><br />

sein, einen s<strong>ch</strong>ärferen Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> zu etablieren.<br />

Ein beson<strong>der</strong>s ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>es Beispiel für die <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> ist:<br />

<strong>Die</strong>se Aussage ist fals<strong>ch</strong>.<br />

Wäre die Aussage wahr, so sagt sie über si<strong>ch</strong> selbst aus, dass sie fals<strong>ch</strong> ist. Nimmt man<br />

also an, sie wäre fals<strong>ch</strong>, so ist das gerade, was sie über si<strong>ch</strong> selbst aussagt – ein Umstand,<br />

<strong>der</strong> sie wahr ma<strong>ch</strong>t. Wir finden die Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit und die vers<strong>ch</strong>iedenen Ebenen<br />

darin, dass wir eine Aussage betra<strong>ch</strong>ten, die etwas über si<strong>ch</strong> selbst aussagt. Dadur<strong>ch</strong>, dass<br />

sie si<strong>ch</strong> auf si<strong>ch</strong> selbst bezieht, können wir zwei Aussageebenen unters<strong>ch</strong>eiden: als normale<br />

Aussage über etwas und als Aussage über eine Aussage. <strong>Die</strong> Negation liegt darin, dass die<br />

Aussage ihre Fals<strong>ch</strong>heit postuliert. So wie Enthaltung ein Charakteristikum für Mengen ist,<br />

so ist Wahrheit das Charakteristikum für Aussagen. In diesem Beispiel wird die an<strong>der</strong>e Seite<br />

von Wahrheit in die Unters<strong>ch</strong>eidung wahr/fals<strong>ch</strong> eingeführt.<br />

Eine <strong>der</strong> obigen Aussage s<strong>ch</strong>einbar sehr ähnli<strong>ch</strong>e ist:<br />

Ein Kreter: „Alle Kreter lügen (immer).“<br />

<strong>Die</strong>s ist jedo<strong>ch</strong> keine e<strong>ch</strong>te <strong>Paradoxie</strong>: Wenn er die Wahrheit sagt, dann lügt er. Aber wenn<br />

er mit dem Satz lügt, heißt das ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong>, dass alle an<strong>der</strong>en Kreter lügen – und nur damit<br />

würde die Aussage des Kreters wie<strong>der</strong> wahr werden. Er könnte also mit diesem Satz lügen<br />

und „trotzdem“ ein Lügner sein. Seine Aussage wird ni<strong>ch</strong>t wahr, wenn man annimmt, dass er<br />

lügt.<br />

Demgegenüber ist<br />

„I<strong>ch</strong> lüge mit diesem Satz.“<br />

na<strong>ch</strong> formalen Gesi<strong>ch</strong>tspunkten eine <strong>Paradoxie</strong>. <strong>Die</strong> Aussage ist ja, dass i<strong>ch</strong> mit dem<br />

Statement meiner Lüge lüge. <strong>Die</strong> auftretende Oszillation ist gebunden daran, dass es die<br />

selbe Unters<strong>ch</strong>eidung ist, die in si<strong>ch</strong> eingeführt wird.<br />

Nehmen wir als Gegenbeispiel<br />

„I<strong>ch</strong> sage ni<strong>ch</strong>ts.“<br />

Ein sol<strong>ch</strong>er Ausspru<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t paradox. Es ist ein Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>, denn i<strong>ch</strong> sage etwas, wenn<br />

i<strong>ch</strong> dies sage. Es ist ni<strong>ch</strong>t die identis<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung, die in si<strong>ch</strong> selbst eingeführt wird.<br />

(O<strong>der</strong> bedeutet meine Wertung nur, dass i<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit des Spre<strong>ch</strong>ens mehr<br />

Bedeutung beimesse als dem Inhalt <strong>der</strong> Aussage?)<br />

79


Ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Auffor<strong>der</strong>ungen wie<br />

„Glaube niemandem!“ o<strong>der</strong> „Folge keiner Auffor<strong>der</strong>ung!“<br />

Würde <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die Angespro<strong>ch</strong>ene die Auffor<strong>der</strong>ung konsequent ernst nehmen, befände er<br />

o<strong>der</strong> sie si<strong>ch</strong> in dem Dilemma, wie er o<strong>der</strong> sie denn dann mit dieser Auffor<strong>der</strong>ung selbst<br />

umgehen soll. Abgesehen davon, dass sol<strong>ch</strong>e Aussagen wohl meistens ni<strong>ch</strong>t<br />

selbstreferenziell behandelt werden, also ganz unproblematis<strong>ch</strong> verstanden werden können,<br />

kommt es aber in diesen Fällen ni<strong>ch</strong>t zur Oszillation, weil daraus, dass jemand eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Auffor<strong>der</strong>ung ablehnt, ni<strong>ch</strong>t zwingend folgt, an<strong>der</strong>e Auffor<strong>der</strong>ungen zu akzeptieren.<br />

Ein weiteres bekanntes Beispiel ist die <strong>Paradoxie</strong> vom Barbier: Der Barbier bekommt den<br />

Auftrag, allen (genau denen) die Haare zu s<strong>ch</strong>neiden, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t selbst die Haare<br />

s<strong>ch</strong>neiden. <strong>Die</strong>ser harmlos anmutenden Auffor<strong>der</strong>ung kann <strong>der</strong> Barbier ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>kommen.<br />

Bei allen an<strong>der</strong>en liegt <strong>der</strong> Fall klar, denn entwe<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>neidet si<strong>ch</strong> jemand die Haare selbst<br />

o<strong>der</strong> eben ni<strong>ch</strong>t. Wie aber verhält es si<strong>ch</strong> mit dem Barbier selbst? Wenn er si<strong>ch</strong> die Haare<br />

ni<strong>ch</strong>t selbst s<strong>ch</strong>neidet, so soll es <strong>der</strong> Barbier tun; wenn er es aber selbst tut, soll er es ni<strong>ch</strong>t.<br />

<strong>Die</strong> Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit kann au<strong>ch</strong> als Bes<strong>ch</strong>reibung auftreten. Davon ma<strong>ch</strong>t die<br />

Grellings<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong> Gebrau<strong>ch</strong>. Ein Eigens<strong>ch</strong>aftswort wird autolog genannt, wenn ihm die<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft zukommt, die es bezei<strong>ch</strong>net (zum Beispiel: „selbstbes<strong>ch</strong>reibend“), ansonsten<br />

heißt es heterolog. In diesem Sinne ist zum Beispiel „deuts<strong>ch</strong>“ autolog, da es ein deuts<strong>ch</strong>es<br />

Wort ist, „französis<strong>ch</strong>“ ist jedo<strong>ch</strong> heterolog. <strong>Die</strong> Frage, was denn „heterolog“ selbst sei, bringt<br />

eine <strong>Paradoxie</strong> hervor: Wäre „heterolog“ selbst heterolog, dann hat es die Eigens<strong>ch</strong>aft, die<br />

es bezei<strong>ch</strong>net und wäre na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wort¬definition also autolog (selbstbes<strong>ch</strong>reibend). Wäre<br />

„heterolog“ also selbst autolog, dann käme ihm die Eigens<strong>ch</strong>aft zu, die es bezei<strong>ch</strong>net und<br />

mithin wäre „heterolog“ heterolog (ni<strong>ch</strong>t-selbstbes<strong>ch</strong>reibend). <strong>Die</strong> Grellings<strong>ch</strong>e <strong>Paradoxie</strong> ist<br />

zwar ni<strong>ch</strong>t mehr als ein Gedankenspiel, aber geradezu ein klassis<strong>ch</strong>es Beispiel einer<br />

<strong>Paradoxie</strong>.<br />

Weitere unkommentierte Beispiele:<br />

Regel: Alle Regeln haben Ausnahmen.<br />

Hat diese Regel eine Ausnahme o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t?<br />

Alle Verallgemeinerungen sind fals<strong>ch</strong>.<br />

Ist diese Verallgemeinerung wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>?<br />

„I<strong>ch</strong> weiß, dass i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts weiß.“<br />

Weiß man damit etwas o<strong>der</strong> weiß man ni<strong>ch</strong>ts? Auf dieses Beispiel kommen wir im<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil zurück (siehe Seite 189).<br />

Es sei an dieser Stelle an den ersten Satz dieses Kapitels erinnert. Er ist keine <strong>Paradoxie</strong>:<br />

Denn das Kapitel hat einen ersten Satz. Der erste Satz sagt ledigli<strong>ch</strong>, dass es keinen gäbe.<br />

Eine ähnli<strong>ch</strong>e Idee fand i<strong>ch</strong> bei Francois Jullien, <strong>der</strong> dem ersten Kapitel in Der Weise hängt<br />

an keiner Idee den Namen „Ohne etwas voranzustellen“ gibt – und dann damit beginnt, die<br />

Aussage des Titels „von Anfang an zu setzen“ (JULLIEN 2001: 13).<br />

Zu den „so genannten“ <strong>Paradoxie</strong>n:<br />

Zenons <strong>Paradoxie</strong>n sollen die Lehre des Parmenides stützen, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> das Seiende eines<br />

und unverän<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist, indem sie aus <strong>der</strong> Annahme, dass Vielheit und Bewegung real seien,<br />

absurde Konsequenzen ableiten. <strong>Die</strong> bekannteste ist A<strong>ch</strong>illes und die S<strong>ch</strong>ildkröte:<br />

Der s<strong>ch</strong>nelle A<strong>ch</strong>illes kann die langsame S<strong>ch</strong>ildkröte, die einen Vorsprung beim Wettlauf hat,<br />

nie einholen, denn wenn A<strong>ch</strong>illes an dem Ort ist, an dem die S<strong>ch</strong>ildkröte startete, ist sie<br />

80


s<strong>ch</strong>on ein Stück weiter, usw. Das s<strong>ch</strong>eint zumindest wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, wenn ni<strong>ch</strong>t gar paradox<br />

zu sein, da je<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Erfahrung weiß, dass A<strong>ch</strong>illes die S<strong>ch</strong>ildkröte na<strong>ch</strong> einiger Zeit<br />

einholen wird. Da die in dem Gedankenexperiment vorkommenden Zeitintervalle jedo<strong>ch</strong> sehr<br />

s<strong>ch</strong>nell sehr klein werden, sieht man den Gedan¬kenfehler. In <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Differentialre<strong>ch</strong>nung<br />

hat die Mathematik dieses Problem gelöst.<br />

<strong>Die</strong> Zwillingsparadoxie stammt aus <strong>der</strong> Überlegung, dass Zwillinge unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> alt wären,<br />

na<strong>ch</strong>dem einer von ihnen eine Reise mit sehr hoher, relativistis<strong>ch</strong> relevanter Ges<strong>ch</strong>windigkeit<br />

in einem Raums<strong>ch</strong>iff unternommen hätte. <strong>Die</strong> Relativitätstheorie bes<strong>ch</strong>reibt und erklärt aber<br />

gerade, dass sol<strong>ch</strong>e Effekte wie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> laufende Uhren auftreten, weshalb das<br />

Phänomen von unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> alten und zur glei<strong>ch</strong>en Zeit geborenen Zwillingen ni<strong>ch</strong>t als<br />

<strong>Paradoxie</strong> bezei<strong>ch</strong>net werden sollte. Im Übrigen wäre es au<strong>ch</strong> keine <strong>Paradoxie</strong>, wenn<br />

umgekehrt gelten würde, dass sie gewissermaßen trotz <strong>der</strong> Relativitätstheorie glei<strong>ch</strong> alt<br />

blieben. In beiden Fällen ist ni<strong>ch</strong>t zu erkennen, wie eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung in die<br />

selbe Unters<strong>ch</strong>eidung eingeführt würde, ges<strong>ch</strong>weige denn, wie die <strong>ch</strong>arak¬teristis<strong>ch</strong>e<br />

Oszillation auftritt.<br />

Das Paradoxe je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

Für jede Unters<strong>ch</strong>eidung gilt, dass sie eine Einheit trennt, so dass zwei Seiten<br />

entstehen. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung produziert immer eine Zweiheit, eine Zwei-Seiten-<br />

<strong>Form</strong>. Und die Zweiheit verdeckt die Einheit, die ihr zu Grunde liegt. Beide Seiten sind<br />

„anwesend“, jedo<strong>ch</strong> nur na<strong>ch</strong>einan<strong>der</strong> aktualisierbar.<br />

Wir können mit Niklas Luhmann au<strong>ch</strong> von <strong>der</strong> „<strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> <strong>Form</strong>“ spre<strong>ch</strong>en (siehe den<br />

glei<strong>ch</strong>namigen Aufsatz in BAECKER 1993a), um zu bezei<strong>ch</strong>nen, dass jede Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

und damit jede Beoba<strong>ch</strong>tung auf einer <strong>Paradoxie</strong> gegründet ist (LUHMANN 1993: 198).<br />

„Beoba<strong>ch</strong>ten ist eine paradoxe Operation. Sie aktualisiert eine Zweiheit als Einheit, in<br />

einem Zuge sozusagen. Und sie beruht auf <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

und Bezei<strong>ch</strong>nung, aktualisiert also eine Unters<strong>ch</strong>eidung, die in si<strong>ch</strong> selbst wie<strong>der</strong><br />

vorkommt.“ (LUHMANN 1994: 95)<br />

Das, was unters<strong>ch</strong>ieden wird, ist vers<strong>ch</strong>ieden von <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. Deshalb muss die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung von Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige in die Unters<strong>ch</strong>eidung hineinkopiert<br />

werden (LUHMANN 1993: 200). Und dann kann ni<strong>ch</strong>t mehr ents<strong>ch</strong>ieden werden, ob die<br />

kopierte Unters<strong>ch</strong>eidung die selbe o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidung ist als die, in die<br />

sie kopiert wird. <strong>Die</strong> wie<strong>der</strong>eintretende Unters<strong>ch</strong>eidung ist die selbe und eine an<strong>der</strong>e<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Deshalb ist gerade au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> erste Satz <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> ein Beispiel<br />

eines re-entries: Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige werden unters<strong>ch</strong>ieden und angezeigt<br />

(vgl. KAUFFMAN 1987: 58).<br />

Jede Unters<strong>ch</strong>eidung führt die <strong>Paradoxie</strong> von Einheit und Differenz mit si<strong>ch</strong>. Insofern<br />

verweist die <strong>Paradoxie</strong> auf den „Anfang von Himmel und Erde“, auf das Ungeteilte, auf<br />

die All-Einheit. <strong>Die</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> ist so das Tor zum unmarked space, <strong>der</strong><br />

grundsätzli<strong>ch</strong> unbes<strong>ch</strong>reibbar und unerkennbar ist. Hierin liegt verborgen, dass die<br />

<strong>Paradoxie</strong> im Anfang von allem steckt, Grundlage je<strong>der</strong> Existenz ist.<br />

Allgemeine Charakteristika <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong><br />

In den Laws of <strong>Form</strong> wurde <strong>Form</strong> als <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung, als Zwei-Seiten-mit-einer-<br />

Grenze-<strong>Form</strong> bestimmt. Ebenso können wir nun von <strong>der</strong> „<strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>“ spre<strong>ch</strong>en.<br />

Gemeint ist damit das allen <strong>Paradoxie</strong>n Gemeinsame, eben ihre <strong>Form</strong>. <strong>Die</strong> angeführten<br />

Beispiele erlei<strong>ch</strong>tern, sie zu erkennen und zu bes<strong>ch</strong>reiben, wennglei<strong>ch</strong> ihre Allgemeinheit im<br />

11. Kapitel <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> dur<strong>ch</strong> die Einführung des markers am deut¬li<strong>ch</strong>sten wird. <strong>Die</strong><br />

imaginäre Einheit <strong>der</strong> komplexen Zahlen stellt ni<strong>ch</strong>t nur das prägnanteste Beispiel dar,<br />

son<strong>der</strong>n ist für die Mathematik am s<strong>ch</strong>werwiegendsten.<br />

81


Jede <strong>Paradoxie</strong> lässt si<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reiben als das (Wie<strong>der</strong>-)Auftreten einer Unters<strong>ch</strong>eidung in<br />

ihrem eigenen Raum, auf einer Seite eben dieser Unter¬s<strong>ch</strong>eidung. Einerseits haben wir es<br />

dann mit nur einer Unters<strong>ch</strong>eidung zu tun, an<strong>der</strong>erseits können wir anhand <strong>der</strong><br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Ebenen (sie kommt als Ganze, das heißt mit beiden Seiten, auf einer ihrer<br />

Seiten wie<strong>der</strong> vor) ni<strong>ch</strong>t von <strong>der</strong>selben Unters<strong>ch</strong>eidung spre<strong>ch</strong>en. Obwohl wir nur eine<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidung treffen, können wir zwis<strong>ch</strong>en zwei Unters<strong>ch</strong>eidungen we<strong>ch</strong>seln, also<br />

dieselbe Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>eiden.<br />

Wenn wir eine Unters<strong>ch</strong>eidung treffen, benutzen und erhalten wir unmittelbar eine<br />

angezeigte und eine unangezeigte Seite. Wir können eine Unters<strong>ch</strong>eidung, die wir in ihren<br />

eigenen Raum wie<strong>der</strong>-einführen, demna<strong>ch</strong> entwe<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> angezeigten o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

unangezeigten Seite placieren. In letzterem Fall wird die angezeigte Seite unentwegt<br />

bestätigt. <strong>Die</strong>s wird Tautologie genannt. Wird die Unters<strong>ch</strong>eidung aber auf <strong>der</strong> angezeigten<br />

Seite ihrer selbst eingeführt, verweist die angezeigte Seite stets auf die ni<strong>ch</strong>t angezeigte und<br />

umgekehrt. In diesem Fall spre<strong>ch</strong>en wir von einer <strong>Paradoxie</strong>. Ihr <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>es Merkmal<br />

ist die Oszillation zwis<strong>ch</strong>en den beiden Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung. In spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Zusammenhängen findet man die unangezeigte Seite als Negation <strong>der</strong> angezeigten vor.<br />

4. <strong>Die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> für die Mathematik<br />

<strong>Die</strong>ses Kapitel verfolgte den Zweck, den Begriff <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> zu präzisie¬ren und <strong>der</strong>gestalt<br />

aufzuzeigen, dass <strong>der</strong> übli<strong>ch</strong>e rigide Umgang mit <strong>Paradoxie</strong>n, spri<strong>ch</strong> ihr Verbot, ni<strong>ch</strong>t<br />

aufre<strong>ch</strong>t zu halten ist. <strong>Die</strong> <strong>Paradoxie</strong> ist eine notwendig auftretende <strong>Form</strong>, die si<strong>ch</strong> eben au<strong>ch</strong><br />

mathematis<strong>ch</strong> fassen lässt. Insofern wird hier davon gespro<strong>ch</strong>en und gefor<strong>der</strong>t, die<br />

<strong>Paradoxie</strong> zu rehabilitieren. Im Folgenden werden die zentralen Motive <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

sowie <strong>der</strong>en mathematis<strong>ch</strong>e Relevanz zusammengefasst.<br />

Von Ununters<strong>ch</strong>iedenheit ausgehend ist mit <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> beiden Ideen <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige eine Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en ihnen gesetzt, sie sind getrennt.<br />

Zu unters<strong>ch</strong>eiden ist etwas an<strong>der</strong>es als anzuzeigen. <strong>Die</strong>se Trennung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige teilt den Raum, in dem diese Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird, in<br />

zwei Seiten. Für diese Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige gilt, dass ihre<br />

Einheit, ihr gemeinsames Auftreten als Beoba<strong>ch</strong>tung bes<strong>ch</strong>rieben werden kann. Mit einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung verhält es si<strong>ch</strong> immer so, dass mit ihr zwei Seiten einhergehen, von denen<br />

zumindest die eine, die angezeigte Seite, als Einheit aufgefasst wird. Zudem unterteilt jede<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung eine Einheit, die wie<strong>der</strong>um eine Seite einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

darstellt.<br />

Mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en In- und Nebeneinan<strong>der</strong> von zwei crosses und <strong>der</strong> Idee<br />

einer Wie<strong>der</strong>holung können zwei Axiome aus <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung abgeleitet<br />

und formal dargestellt werden. Aus diesen entwickeln si<strong>ch</strong> dann die so genannte Primäre<br />

Arithmetik und Algebra: ein fundamentaler mathematis<strong>ch</strong>er Kalkül, <strong>der</strong> als Prädikatenlogik<br />

o<strong>der</strong> Booles<strong>ch</strong>e Algebra und au<strong>ch</strong> für Zahlen interpretiert werden kann. Der<br />

Indikationenkalkül ist aber ni<strong>ch</strong>t auf die Primäre Arithmetik und Algebra bes<strong>ch</strong>ränkt. Zentral<br />

ist <strong>der</strong> <strong>Form</strong>begriff, <strong>der</strong> im Kalkül eine gänzli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Bedeutung erhält als gewöhnli<strong>ch</strong>. Ihm<br />

wird keine an<strong>der</strong>e Seite gegenüber gestellt, und das hat seine Ursa<strong>ch</strong>e darin, dass es ni<strong>ch</strong>ts<br />

gibt, was ni<strong>ch</strong>t in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> wäre. Eine jede Unters<strong>ch</strong>eidung bringt eine <strong>Form</strong> hervor bzw.<br />

je<strong>der</strong> <strong>Form</strong> liegt eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu Grunde, und <strong>Form</strong> ist immer Zwei-Seiten-<strong>Form</strong>.<br />

<strong>Die</strong>ser <strong>Form</strong>begriff bringt also s<strong>ch</strong>on insofern Selbst¬bezügli<strong>ch</strong>keit mit si<strong>ch</strong>, als er beides, die<br />

beiden Seiten einer Unters<strong>ch</strong>ei-dung und die Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung (Raum), in <strong>der</strong><br />

diese Unters<strong>ch</strong>ei¬dung getroffen wird, zusammenbringt. Am Ende dessen, was George<br />

Spencer Brown mit dem Indikationenkalkül präsentiert, wird erkennbar, dass man<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit formal behandeln kann, dass unendli<strong>ch</strong>e Ausdrücke mit<br />

selbstbezügli<strong>ch</strong>en Glei<strong>ch</strong>ungen dargestellt werden können. Dadur<strong>ch</strong> verlieren die<br />

anfängli<strong>ch</strong>en Setzungen ihren Stellenwert als grund¬legende Bedingungen, denn die<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit findet si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur auf <strong>der</strong> inhaltli<strong>ch</strong>en Ebene des Kalküls. Der Kalkül ist<br />

selber selbstbezüg¬li<strong>ch</strong>, indem am Ende reflektiert wird, was es war, womit er begann. Der<br />

82


Kalkül ist selbstbestätigend insofern, als das „Experimentieren mit Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen“ die<br />

anfängli<strong>ch</strong>en Axiome liefert. Und in diesem Sinne ist au<strong>ch</strong> zu verstehen, dass <strong>der</strong> Eintritt<br />

o<strong>der</strong> Einsatz ni<strong>ch</strong>t die Annahme von etwas Gegebenen ist. Im Kalkül wird ledigli<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong>vollzogen, was man erkennen kann, wenn es mögli<strong>ch</strong> ist, dass eine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

getroffen wird. Deshalb ges<strong>ch</strong>ieht <strong>der</strong> Eintritt ni<strong>ch</strong>t als Setzung, son<strong>der</strong>n als Anwei¬sung. Es<br />

gibt keinen Anfang – nur Wie<strong>der</strong>eintritte.<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> hat George Spencer Brown die Arithmetik zu <strong>der</strong> bisher unentdeckten<br />

Algebra von George Boole gefunden. <strong>Die</strong>se Arith¬metik führt aber zu einer allgemeineren,<br />

weniger einges<strong>ch</strong>ränkten Algebra, mit <strong>der</strong> die <strong>Form</strong> von <strong>Paradoxie</strong>n in das formale System<br />

integriert werden kann.<br />

Der Kalkül wird mit den Glei<strong>ch</strong>ungen zweiten Grades auf eine Weise erweitert, die ein neues<br />

Li<strong>ch</strong>t auf die Probleme wirft, die <strong>der</strong> so genannten Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik zu<br />

Grunde liegen. In <strong>der</strong> Hauptsa<strong>ch</strong>e wird deutli<strong>ch</strong>, dass es mathematis<strong>ch</strong>e statt logis<strong>ch</strong>e<br />

Strukturen sind, mit denen Mathematik fundiert wird, und dass <strong>Paradoxie</strong>n in die<br />

mathematis<strong>ch</strong>e Theorie integriert werden können.<br />

Wie oben im mathematik-ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Exkurs skizziert, bestand <strong>der</strong> Umgang mit<br />

<strong>Paradoxie</strong>n, <strong>der</strong> zur Grundlagenkrise <strong>der</strong> Mathematik führte, darin, sie aus <strong>der</strong><br />

mathematis<strong>ch</strong>en Theorie zu entfernen. Insbeson<strong>der</strong>e die Typentheorie kann das Verbot, das<br />

zur Eliminierung von <strong>Paradoxie</strong>n führen sollte, ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> selbst o<strong>der</strong> aus den<br />

mathematis<strong>ch</strong>en Grund¬lagen begründen, ohne selbst selbstbezügli<strong>ch</strong>e Aussagen<br />

zuzulassen. Deshalb war Bertrand Russell selbst ni<strong>ch</strong>t gänzli<strong>ch</strong> zufrieden damit und ließ si<strong>ch</strong><br />

in seinen letzten Lebensjahren von George Spencer Brown über¬zeugen, wie es besser zu<br />

ma<strong>ch</strong>en sei; denn jener sah si<strong>ch</strong><br />

„(...) in <strong>der</strong> Lage, die formale Struktur, die bisher mittels <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Typen abgetan<br />

wurde, zu rehabilitieren.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXI)<br />

Unter Vorgriff auf den erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teil dieses Textes kann weiterhin festgestellt<br />

werden:<br />

„Im Augenblick, in dem dann die Welt nur no<strong>ch</strong> als Beoba<strong>ch</strong>tungswelt beoba<strong>ch</strong>tet werden<br />

kann, wird ein logis<strong>ch</strong>er Strukturrei<strong>ch</strong>tum erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> den <strong>Paradoxie</strong>n stellen kann,<br />

die <strong>der</strong> Begriff des Beoba<strong>ch</strong>tens impliziert.“ (FUCHS 2003a: 76)<br />

<strong>Die</strong>s leistet <strong>der</strong> Indikationenkalkül, aufgefasst als <strong>Form</strong>alisierung des Treffens von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen bzw. <strong>Form</strong>alisierung von Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />

Jede Beoba<strong>ch</strong>tung beruht auf einer Unters<strong>ch</strong>eidung. Und: Jede Unter¬s<strong>ch</strong>eidung beruht auf<br />

einer <strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> Identität des Differenten. Denn jede Unters<strong>ch</strong>eidung teilt eine Einheit. In<br />

<strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung, während des Treffens einer Unters<strong>ch</strong>eidung, entzieht si<strong>ch</strong> ihre Einheit <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>t¬barkeit. Nur mit einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung kann die erste Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

beoba<strong>ch</strong>tet werden. So folgt auf eine Beoba<strong>ch</strong>tung eine weitere. An die Stelle <strong>der</strong> für den<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter unsi<strong>ch</strong>tbaren, weil paradoxen Einheit tritt die Rekursivität <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tungen.<br />

<strong>Die</strong> Anweisung „Triff eine Unters<strong>ch</strong>eidung!“ ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass alles Erkennen letztli<strong>ch</strong> im<br />

Unters<strong>ch</strong>eiden besteht, also letzten Endes auf Para¬doxien beruht.<br />

„<strong>Paradoxie</strong>n sind unvermeidli<strong>ch</strong>, sobald die Welt (<strong>der</strong> `unmarked space´ Spencer Browns)<br />

dur<strong>ch</strong> irgendeine Unters<strong>ch</strong>eidung verletzt wird.“ (LUHMANN 1992: 129)<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end kann es ni<strong>ch</strong>t darum gehen, <strong>Paradoxie</strong>n vermeiden zu wollen. Viel eher<br />

führen <strong>Paradoxie</strong>n zu <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, dass unser rationales, zweiwertiges Denken ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong><br />

„Weisheit letzter S<strong>ch</strong>luss“ sein kann. <strong>Die</strong> „letzten Fragen“ führen uns immer wie<strong>der</strong> in<br />

<strong>Paradoxie</strong>n.<br />

83


Teil III: Eine formtheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie<br />

Der dritte und letzte Teil dieser Einführung entwickelt aus den knappen Andeutungen von<br />

George Spencer Brown zu im weitesten Sinne philoso¬phis<strong>ch</strong>en Implikationen <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> Grundzüge einer Erkenntnis¬theorie. Im Folgenden wird überdies deutli<strong>ch</strong> werden,<br />

dass wir uns auf einem Terrain bewegen, in dem ni<strong>ch</strong>t zwis<strong>ch</strong>en Erkenntnistheorie und<br />

Ontologie unters<strong>ch</strong>ieden ist.<br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> stellt dieser Teil einen Antwort¬versu<strong>ch</strong> auf Fragen dar,<br />

wie es (ganz allgemein) zu all dem kommt, was wir erkennen, wer wir selbst sind und<br />

wel<strong>ch</strong>en Zusammenhang es zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>tetem und Beoba<strong>ch</strong>tendem gibt.<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung interessiert als Prozess des Unters<strong>ch</strong>eidens, und daran ans<strong>ch</strong>ließend rücken<br />

Fragen in den Mittelpunkt, wie Erkenntnis mögli<strong>ch</strong> ist und worüber und für wen. <strong>Die</strong>s ergibt<br />

si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung o<strong>der</strong> mit den Worten von Humberto R.<br />

Maturana: aus dem Stellen <strong>der</strong> „Beoba<strong>ch</strong>ter-Frage“, die die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters in<br />

dem Prozess <strong>der</strong> Entstehung von Erkenntnis über Realität thematisiert (vgl. MATURANA<br />

1997: 37f.)<br />

<strong>Die</strong> philosophis<strong>ch</strong> relevanten Aspekte <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> lassen si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus dem<br />

Indikationenkalkül ablesen. <strong>Die</strong> folgenden Ausführungen beziehen si<strong>ch</strong> deshalb<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf Anmerkungen von George Spencer Brown, die erläuternd neben dem<br />

Indikationenkalkül stehen. Das sind hauptsä<strong>ch</strong>¬li<strong>ch</strong> die Vor- und Na<strong>ch</strong>worte <strong>der</strong> Gesetze <strong>der</strong><br />

<strong>Form</strong> sowie die Anmerkun¬gen zum Kalkül; die vereinzelten Kommentare zu den Laws of<br />

<strong>Form</strong> in A Lions teeth und Only two can play this game; und einige Erläuterungen auf <strong>der</strong><br />

oben in <strong>der</strong> Einleitung erwähnten AUM-Konferenz. Dabei werden in diesem Text au<strong>ch</strong> die<br />

buddhistis<strong>ch</strong>en und daoistis<strong>ch</strong>en „Spuren“ verfolgt, die George Spencer Brown gelegt hat.<br />

Dass überhaupt die Mögli<strong>ch</strong>keit besteht, aus den Laws of <strong>Form</strong> ganz unmathematis<strong>ch</strong>e<br />

Einsi<strong>ch</strong>ten zu gewinnen, begründet George Spencer Brown mit <strong>der</strong> Mä<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>e<br />

<strong>der</strong> Mathematik. In dieser Dis¬ziplin lässt si<strong>ch</strong> das Einfa<strong>ch</strong>ste und Fundamentalste<br />

formalisieren. Mit den Laws of <strong>Form</strong> wird<br />

„die Disziplin <strong>der</strong> Mathematik als Weg erkannt, <strong>der</strong>, ma<strong>ch</strong>tvoll im Verglei<strong>ch</strong> zu an<strong>der</strong>en, uns<br />

Aufs<strong>ch</strong>luss gibt über unser inneres Wissen von <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong> Welt und nur nebenbei mit<br />

<strong>der</strong> uns gemeinen Fähigkeit zu denken und zu re<strong>ch</strong>nen assoziiert ist.“ (SPENCER BROWN<br />

1997: XXVII)<br />

<strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> sind ein grundlegendes Mathematikbu<strong>ch</strong>, weil sie ni<strong>ch</strong>t mit einer<br />

bestimmten (beliebigen) Unters<strong>ch</strong>eidung beginnen, son<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Da alles erkennbar und bes<strong>ch</strong>reib¬bar ist dur<strong>ch</strong> das Treffen von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen, indem Anzeigen verwen¬det werden – das heißt, weil alles <strong>Form</strong> ist –,<br />

kann man mit den Laws of <strong>Form</strong> aber au<strong>ch</strong> etwas über die Struktur <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> wir leben,<br />

erkennen. Insofern handelt es si<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>ermaßen um ein grundlegendes philosophis<strong>ch</strong>es<br />

Bu<strong>ch</strong>. Das heißt, die formtheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie ist ni<strong>ch</strong>t eine weitere Interpretation<br />

des Indikationenkalküls, so wie für Logik und Zahlen. Vielmehr sind die Laws of <strong>Form</strong><br />

glei<strong>ch</strong>ermaßen ein mathe¬matis<strong>ch</strong>er und philosophis<strong>ch</strong>er Text.<br />

„Der Erfolg des Rezeptes „unters<strong>ch</strong>eide!“ ma<strong>ch</strong>t nur deutli<strong>ch</strong>, dass alles Erkennen letztli<strong>ch</strong> im<br />

Unters<strong>ch</strong>eiden besteht, also letztli<strong>ch</strong> auf <strong>Paradoxie</strong>n gegründet werden muss. Das gibt <strong>der</strong><br />

Logik von George Spencer Brown ihre no<strong>ch</strong> kaum erkannte Bedeutung für die<br />

Erkenntnistheorie.“ (LUHMANN 1992: 122 f.)<br />

Insofern es in <strong>der</strong> Erkenntnistheorie darum geht, in wel<strong>ch</strong>em Verhältnis Mens<strong>ch</strong> und<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit (bzw. Beoba<strong>ch</strong>ter und Welt) zueinan<strong>der</strong> stehen, gewinnt <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung (und damit: Unters<strong>ch</strong>eidung) an Bedeutung. Denn die Beoba<strong>ch</strong>tung stellt das<br />

Bindeglied dar; dur<strong>ch</strong> sie ers<strong>ch</strong>einen Subjekt und Objekt miteinan<strong>der</strong> verbunden – na<strong>ch</strong>dem<br />

sie getrennt wurden. Setzen wir für einen Moment die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Welt und<br />

84


Beoba<strong>ch</strong>ter als gewiss voraus: Aus dem Eindruck einer objektiven Wirkli<strong>ch</strong>keit können wir<br />

ni<strong>ch</strong>t zwingend s<strong>ch</strong>ließen, dass die Welt unabhängig vom Beoba<strong>ch</strong>ter ist. Das hieße, dass<br />

die Welt fest stünde, wie sie halt ist, und <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter offen wäre, empfängli<strong>ch</strong> für die<br />

Eindrücke von „außen“, die er mehr o<strong>der</strong> weniger genau wahrnimmt. Es ist aber au<strong>ch</strong><br />

umgekehrt denkbar, dass die Welt offen ist für Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter an sie<br />

anlegt. Dann wäre <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter <strong>der</strong> feste Aspekt, indem er keine Wahl hätte, kein<br />

Bewusstsein über die Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen, die er unentwegt trifft. Und au<strong>ch</strong> in diesem Fall<br />

s<strong>ch</strong>iene die Welt unabhängig zu sein von <strong>der</strong> Art und Weise, wie sie behandelt wird. Denn<br />

man würde ni<strong>ch</strong>t wissen, woher es kommt, dass die Welt ist, wie sie ist, bzw. warum man sie<br />

so und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s erlebt. Wäre es in dem einen o<strong>der</strong> dem an<strong>der</strong>en Fall mögli<strong>ch</strong>, dass ein<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter erkennt, dass er die Unters<strong>ch</strong>eidungen, die er in seiner Welt wie<strong>der</strong>findet, selbst<br />

trifft?<br />

<strong>Die</strong> folgenden erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Ausführungen laufen auf die These hinaus, dass<br />

we<strong>der</strong> das eine no<strong>ch</strong> das an<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Fall ist. Wir werden das mit dem Begriff <strong>der</strong><br />

„konditionierten Koproduktion“ bes<strong>ch</strong>reiben, demzufolge Welt und Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

„koevoluieren“. Demna<strong>ch</strong> geht keines dem an<strong>der</strong>en voraus bzw. sind we<strong>der</strong> Welt no<strong>ch</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter „fest“. Hier wird die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Welt und Beoba<strong>ch</strong>ter vielmehr<br />

unter¬wan<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Blick ges<strong>ch</strong>ärft für die Trivialität, dass eine Welt einem Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

ganz genau gemäß seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen, seinem (Be-wusst-)Sein ers<strong>ch</strong>eint, und seine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen wie<strong>der</strong>um von <strong>der</strong> Welt abhängen.<br />

Um diese These darzustellen, ist das Kapitel in drei Abs<strong>ch</strong>nitte unterteilt. Es hat die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>¬tetem. So beinhaltet <strong>der</strong> erste Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

eine Vertiefung des Begriffes des Beoba<strong>ch</strong>ters, <strong>der</strong> zweite eine Bes<strong>ch</strong>reibung von Welt und<br />

<strong>der</strong> dritte die Zurückführung bei<strong>der</strong> auf eine Einheit.<br />

Der erste Abs<strong>ch</strong>nitt III. 1. „Beoba<strong>ch</strong>tungen des Beoba<strong>ch</strong>ters“ beinhaltet weiterführende<br />

Ausführungen zu den Begriffen <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung und des Beoba<strong>ch</strong>ters. <strong>Die</strong> dort vertretene<br />

These kann verdi<strong>ch</strong>tet werden zu <strong>der</strong> Aussage, dass Erkenntnis immer Erkenntnis von<br />

jemandem über etwas ist. Aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> lässt si<strong>ch</strong> das folgen<strong>der</strong>maßen<br />

reformu¬lieren: <strong>Die</strong> in ihnen dargestellten Gesetze sind ni<strong>ch</strong>ts dem Beoba<strong>ch</strong>ter Äußeres in<br />

dem Sinne, dass <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter ihnen unterworfen wäre. Vielmehr sind es seine eigenen<br />

Gesetze, die eben mit seinem Bewusstsein und seinem Verlangen zu unters<strong>ch</strong>eiden<br />

einhergehen. <strong>Die</strong> Gesetze folgen aus dem Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung: Es sind ni<strong>ch</strong>t nur<br />

die Gesetze <strong>der</strong> <strong>Form</strong>, son<strong>der</strong>n damit eben au<strong>ch</strong> die Gesetze des Beoba<strong>ch</strong>ters.<br />

Der zweite Abs<strong>ch</strong>nitt III. 2. „Von Existenz zu Leere“ thematisiert, was <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter mit<br />

o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> seine Beoba<strong>ch</strong>tung konstruiert. Es geht vorrangig um die Begriffe Existenz und<br />

Wahrheit und ihren Zusammen¬hang mit dem <strong>Form</strong>begriff. Es ist ni<strong>ch</strong>t das Anliegen, die<br />

„Wahrheit“ über die Welt zu verkünden, denn Wahrheit hängt eben ni<strong>ch</strong>t mit Verkündbar¬keit<br />

zusammen (siehe „<strong>Die</strong> Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung“ in <strong>der</strong> Einleitung, S. 23ff.),<br />

son<strong>der</strong>n einen Vors<strong>ch</strong>lag <strong>der</strong> Weltbes<strong>ch</strong>reibung zu wie<strong>der</strong>holen, <strong>der</strong> besagt, dass die Welt<br />

an und für si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts ist und nur einem Beoba<strong>ch</strong>ter entspre<strong>ch</strong>end seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen<br />

ers<strong>ch</strong>eint. So, wie Welt ers<strong>ch</strong>eint, ist sie wahr – sie ist ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>s als das, was jemand<br />

erlebt.<br />

Im dritten Abs<strong>ch</strong>nitt III. 3. „Das Entstehen von Universen“ wird die Einheit von Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

und Beoba<strong>ch</strong>tetem reflektiert. <strong>Die</strong> zentralen Frage¬stellungen sind, wel<strong>ch</strong>e<br />

erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Implikationen mit <strong>der</strong> Erkenntnis verbunden sind, dass au<strong>ch</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter/Beoba<strong>ch</strong>tetes eine <strong>Form</strong> darstellt. Was lässt si<strong>ch</strong> dann no<strong>ch</strong> mit Gewissheit über<br />

Welt sagen? Wie gelangt, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Form</strong>ulierung von George Spencer Brown, ein<br />

Univer¬sum ins Dasein? Zur Annäherung an Antworten auf sol<strong>ch</strong>e Fragen wird neben dem<br />

Prinzip <strong>der</strong> konditionierten Koproduktion au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> „nullte Kanon“ und die Idee <strong>der</strong> selektiven<br />

Blindheit dargestellt. <strong>Die</strong> letzten drei Abs<strong>ch</strong>nitte beinhalten daoistis<strong>ch</strong>e und buddhistis<strong>ch</strong>e<br />

Ans<strong>ch</strong>auungen, <strong>der</strong>en Ausführung die hier dargestellte Erkenntnistheorie vertiefen und<br />

abrunden.<br />

85


Um dem (vermuteten) Interesse eines Großteils <strong>der</strong> Lesenden entgegen¬zukommen, steht<br />

den erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Kapiteln ein Exkurs in die Systemtheorie von Niklas Luhmann<br />

voran. Dabei handelt es si<strong>ch</strong> um eine knappe Darstellung dessen, was er den Laws of <strong>Form</strong><br />

entnimmt, worauf er si<strong>ch</strong> stützt. Der Exkurs kann au<strong>ch</strong> als formtheoretis<strong>ch</strong>e Hinführung zur<br />

Differenztheorie Niklas Luhmanns gelesen werden. Auf die vielen an<strong>der</strong>en miteinan<strong>der</strong><br />

vernetzten Konzepte und Begriffe <strong>der</strong> Systemtheorie – wie Autopoiesis, strukturelle<br />

Kopplung, operationale Ges<strong>ch</strong>lossenheit etc. – wird hier ni<strong>ch</strong>t eingegangen.<br />

Exkurs in die Systemtheorie von Niklas Luhmann<br />

In diesem Exkurs geht es um den (Begründungs-)Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong><br />

Luhmanns<strong>ch</strong>en Systemtheorie und den Laws of <strong>Form</strong>; das erfor<strong>der</strong>t eine kurze, sehr<br />

spezifis<strong>ch</strong>e und einseitig gewi<strong>ch</strong>tete Einführung in die Systemtheorie.<br />

Niklas Luhmann bezieht si<strong>ch</strong> fast auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf die ersten und letzten beiden Kapitel <strong>der</strong><br />

Laws of <strong>Form</strong>. In diesen findet er die no<strong>ch</strong> unmathematis<strong>ch</strong>en Voraussetzungen des Kalküls<br />

(1. Kapitel), das heißt, dass no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t demonstriert und bewiesen wird, sowie den ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr streng mathematis<strong>ch</strong>en Selbstbezug (12. Kapitel) des Indikationenkalküls auf si<strong>ch</strong><br />

selbst (re-entry).<br />

Für Niklas Luhmann steht zunä<strong>ch</strong>st außer Frage, dass Beoba<strong>ch</strong>tungen statt¬finden:<br />

„Der Ausgangspunkt liegt in <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Faktizität des Beoba<strong>ch</strong>tens.“ (LUHMANN<br />

1990a: 77)<br />

<strong>Die</strong>s wird au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> bekannten Floskel „Es gibt Systeme!“ zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t. Das ist<br />

eine Erkenntnis. Für jede Erkenntnis kommt die System¬theorie aber zu dem S<strong>ch</strong>luss:<br />

„Wenn Erkenntnis ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es ist als eine Konstruktion, dann gilt dies natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für<br />

eben diesen Satz.“ (LUHMANN 1990a: 512)<br />

Und ebenso für die Feststellung, dass es Systeme gibt. Au<strong>ch</strong> das ist eine konstruierte<br />

Erkenntnis, die si<strong>ch</strong> für bestimmte Zwecke eignet. Deshalb halten wir es mit Dirk Baecker für<br />

angemessener, ni<strong>ch</strong>t davon auszugehen, dass Systeme tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> existieren, son<strong>der</strong>n<br />

davon, dass es sinnvoll ist, Überlegungen anzustellen, die davon ausgehen, dass es<br />

Systeme gibt (vgl. den S<strong>ch</strong>utzums<strong>ch</strong>lag von BAECKER 2002). In diesem zurückhalten<strong>der</strong>en<br />

Sinne geht es Niklas Luhmann um den Entwurf einer auf dem Beoba<strong>ch</strong>ter gegründeten<br />

Theorie, die es erlaubt einzusehen, inwiefern jede Beoba<strong>ch</strong>¬tung auf einer <strong>Paradoxie</strong> beruht,<br />

ohne dass dies zur Folge hätte, dass Beoba<strong>ch</strong>tung unmögli<strong>ch</strong> würde.<br />

„Jede Beoba<strong>ch</strong>tung brau<strong>ch</strong>t ihre Unters<strong>ch</strong>eidung und also ihr Paradox <strong>der</strong> Identität des<br />

Differenten als ihren blinden Fleck, mit dessen Hilfe sie beoba<strong>ch</strong>ten kann.“ (LUHMANN<br />

1992: 123)<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end werden in <strong>der</strong> Soziologie die Rufe na<strong>ch</strong> einer Logik, die <strong>Paradoxie</strong>n<br />

zulässt und handhaben kann, lauter. Man verglei<strong>ch</strong>e zum Beispiel REESE-SCHÄFER 2001:<br />

66; LUHMANN 1994: 72; o<strong>der</strong> BAECKER 2002: 68.<br />

Was aber ist mit dem Beoba<strong>ch</strong>ter gemeint? Und was mit dem Begriff eines Systems, dem<br />

die fortlaufende Aktualisierung von Beoba<strong>ch</strong>tungen zuge¬s<strong>ch</strong>rieben wird?<br />

Der Begriff des Systems meint die Vernetzung und Fortsetzung von selbstreferentiellen<br />

Operationen, das heißt ganz allgemein: Beoba<strong>ch</strong>tungen auf <strong>der</strong> Grundlage von<br />

Unters<strong>ch</strong>eiden und Anzeigen, dur<strong>ch</strong> die alles, was als Einheit ers<strong>ch</strong>eint eigendynamis<strong>ch</strong> und<br />

selbstreferentiell konstruiert wird. Und: Jede Konstruktion einer Einheit ges<strong>ch</strong>ieht über eine<br />

Abgren¬zung von einer Umwelt.<br />

86


„Demna<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reibt das System die Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Setzung des Unters<strong>ch</strong>ieds, die<br />

Umwelt das Ausges<strong>ch</strong>lossene dieses Unters<strong>ch</strong>ieds und die Unters<strong>ch</strong>eidung den<br />

Bezug des Systems auf die Umwelt.“ (BAECKER 2002: 9)<br />

Das heißt, das Fundament <strong>der</strong> Systemtheorie sind letztli<strong>ch</strong> Operationen, die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> als<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen ges<strong>ch</strong>ehen.<br />

<strong>Die</strong> systemtheoretis<strong>ch</strong>e Auffassung, die gar ni<strong>ch</strong>t genug hervorgehoben und betont werden<br />

kann, ist, dass Systeme (Beoba<strong>ch</strong>ter) keine selbst¬identis<strong>ch</strong>en „Dinge“ o<strong>der</strong> Objekte o<strong>der</strong><br />

Subjekte sind, son<strong>der</strong>n: Differen¬zen. System wird geda<strong>ch</strong>t als die Differenz von System und<br />

Umwelt, kommt also als eine Seite <strong>der</strong> Differenz wie<strong>der</strong> vor.<br />

„Das Problem ist, dass die Einheit, <strong>der</strong> die Funktion <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung unterstellt und <strong>der</strong><br />

Name System gegeben wird, als Einheit einer Differenz zu begreifen ist.“ (FUCHS 2004:<br />

Punkt 0.6)<br />

<strong>Die</strong> Einheit <strong>der</strong> Differenz von System und Umwelt ist die eine Seite eben dieser Differenz.<br />

Das kann elegant unter Ans<strong>ch</strong>luss an George Spencer Brown au<strong>ch</strong> so formuliert werden:<br />

„Da die Einheit <strong>der</strong> Differenz System/Umwelt im Wege des re-entry <strong>der</strong> Differenz selbst<br />

entnommen wird (System = System/Umwelt), ist die Selbsterre<strong>ch</strong>nung des Systems (des<br />

Beoba<strong>ch</strong>ters) die Erre<strong>ch</strong>nung eines imaginären Wertes. Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist: imaginär.“<br />

(FUCHS 2004: 0.6.1)<br />

Deshalb ist <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter aber ni<strong>ch</strong>t irreal o<strong>der</strong> folgenlos. Er ist jedo<strong>ch</strong> keine feststehende<br />

Identität, son<strong>der</strong>n bere<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> in Bezug auf seine Umwelt unentwegt neu – wennglei<strong>ch</strong> es<br />

verlockend ers<strong>ch</strong>eint, si<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>en (und si<strong>ch</strong> selbst) als jemand Bestimmtes zu präsentieren.<br />

„Systeme können einen Wie<strong>der</strong>eintritt <strong>der</strong> Differenz von System und Umwelt in das System<br />

vollziehen. Sie können si<strong>ch</strong> intern an <strong>der</strong> Differenz von System und Umwelt orientieren. Sie<br />

erzeugen diese Differenz allein dadur<strong>ch</strong>, dass sie operieren und eine Operation an an<strong>der</strong>e<br />

ans<strong>ch</strong>ließen. Sie orientieren ihre eigenen Operationen, indem sie sie als eigene<br />

identifizieren, an dieser Differenz, indem sie si<strong>ch</strong> von dem unters<strong>ch</strong>eiden, was sie für ihre<br />

Umwelt halten. Es ist dieselbe und ni<strong>ch</strong>t dieselbe Differenz. Es ist eine in <strong>Form</strong> gebra<strong>ch</strong>te<br />

<strong>Paradoxie</strong>, weil das System als Einheit operiert.“ (LUHMANN 1988b: 296; zitiert na<strong>ch</strong><br />

GRIPP-HAGELSTANGE 1997: 34)<br />

<strong>Die</strong> Systemtheorie ist also von den Laws of <strong>Form</strong> in mehreren Hinsi<strong>ch</strong>ten fasziniert: Vor<br />

allem vom Operationsverständnis (statt Ontologie), das die Systemtheorie im<br />

Indikationenkalkül findet: je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ied beruht auf einer Unters<strong>ch</strong>eidung, die jemand<br />

trifft; aber au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Umgang mit dem Problem <strong>der</strong> Selbstreferenz ma<strong>ch</strong>t die Laws of <strong>Form</strong><br />

(sogar soziologis<strong>ch</strong>) interessant.<br />

Dirk Baecker hebt als die für die Systemtheorie zentralen Motive <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> hervor:<br />

Selbstreferenz, Zeit und Zweideutigkeit. Aber au<strong>ch</strong>:<br />

„Das soziologis<strong>ch</strong>e Interesse am Indikationenkalkül Spencer Browns beruht hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

auf <strong>der</strong> Dynamik des Wie<strong>der</strong>eins<strong>ch</strong>lusses des Ausges<strong>ch</strong>lossenen und dem Wissen darum,<br />

dass dieser Wie<strong>der</strong>eins<strong>ch</strong>luss seinerseits Auss<strong>ch</strong>lussqualitäten hat.“ (BAECKER 2002: 72)<br />

Mit dem Dargestellten wird au<strong>ch</strong> klar, was die Systemtheorie dur<strong>ch</strong> die Referenz auf die<br />

Laws of <strong>Form</strong> ni<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>t: Sie brau<strong>ch</strong>t keine logis<strong>ch</strong>e Absi<strong>ch</strong>erung, da für sie die Logik ein<br />

mögli<strong>ch</strong>er Spiegel des Denkens ist und ni<strong>ch</strong>t umgekehrt das Denken ein Spiegel <strong>der</strong> Logik.<br />

Sie würde ni<strong>ch</strong>t wahrer, wenn sie si<strong>ch</strong> mit einer Logik in Übereinstimmung brä<strong>ch</strong>te. Vielmehr<br />

sind es, um no<strong>ch</strong> einmal Dirk Baecker zu bemühen,<br />

„die inhaltli<strong>ch</strong>en Momente des Indikationenkalküls, die sie [die Systemtheorie; F. L.]<br />

faszinieren. Es ist die Mögli<strong>ch</strong>keit, ein Operationsverständnis zu entwickeln, das über<br />

87


Bes<strong>ch</strong>ränkungen auf Zweiwertigkeit hinausgeht, das sie interessiert. Und es ist <strong>der</strong> Umgang<br />

mit dem Problem <strong>der</strong> Selbstreferenz, das sie dazu bringt, si<strong>ch</strong> mit einer Mathematik und<br />

Logik zu bes<strong>ch</strong>äftigen, die erstmals wie<strong>der</strong> den Eindruck erweckt, ähnli<strong>ch</strong><br />

komplexitätstaugli<strong>ch</strong> zu sein, wie es die Soziologie zur Bes<strong>ch</strong>reibung sozialer Verhältnisse<br />

immer s<strong>ch</strong>on für erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> gehalten hat.“ (BAECKER 2002: 68)<br />

<strong>Die</strong> denkeris<strong>ch</strong>e Nähe zwis<strong>ch</strong>en George Spencer Brown und Niklas Luhmann, die in <strong>der</strong><br />

Differenzlogik gegeben sei, hebt au<strong>ch</strong> Walter Reese-S<strong>ch</strong>äfer hervor. Allerdings reduziert er<br />

die Bedeutung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> für die Systemtheorie auf ihre „Erkenntniskonzeption“,<br />

dabei verna<strong>ch</strong>läs¬sigend, dass die Differenzlogik für die gesamte konzeptionelle Anlage <strong>der</strong><br />

Systemtheorie – Differenz statt Einheit – von Bedeutung ist. Unbestritten bleibt, dass Niklas<br />

Luhmann ni<strong>ch</strong>t die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Indikationenkalküls voraussetzen muss (vgl. REESE-<br />

SCHÄFER 2001: 66). Der Luhmanns<strong>ch</strong>e Standpunkt ist eher folgen<strong>der</strong>maßen zu verstehen:<br />

Man kann auf Differen¬zen statt auf Einheiten a<strong>ch</strong>ten und beispielsweise mit <strong>der</strong> Differenz<br />

von System und Umwelt starten. Und: Es gibt einen Mathematiker, <strong>der</strong> versu<strong>ch</strong>t hat, dies<br />

formal und mathematis<strong>ch</strong> korrekt darzustellen. Aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t von Niklas Luhmann ist es<br />

offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> hilfrei<strong>ch</strong> für ein Verständnis seiner Systemtheorie – sonst würde er George<br />

Spencer Brown ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong>art oft zitieren –, si<strong>ch</strong> mit den Laws of <strong>Form</strong> auseinan<strong>der</strong> zu setzen.<br />

Zusammenfassen (und verkürzen) kann man den Grund für die Positio¬nierung <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> im Zentrum <strong>der</strong> Systemtheorie mit <strong>der</strong> Bedeu¬tung von Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit. Es ist im<br />

Wesentli<strong>ch</strong>en die Fähigkeit des Indikationenkalküls, Selbstreferenz formalisiert zu haben, die<br />

Niklas Luhmann überzeugte – wohl au<strong>ch</strong> deshalb, weil es keinen an<strong>der</strong>en gab, <strong>der</strong> dies zu<br />

leisten fähig und ähnli<strong>ch</strong> erfolgverspre<strong>ch</strong>end (in den ersten Jahren na<strong>ch</strong> Ers<strong>ch</strong>einen) rezipiert<br />

worden war. <strong>Die</strong> Systemtheorie zeigt ja unter an<strong>der</strong>em sehr klar, wie wesentli<strong>ch</strong> das Konzept<br />

<strong>der</strong> Selbstreferenz für eine Theorie des Sozialen, das heißt <strong>der</strong> Kommunikation, wie au<strong>ch</strong> für<br />

Theorien des Bewusstseins, <strong>der</strong> Wahrnehmung u. a. ist.<br />

Da die Systemtheorie ein Subsystem des sozialen Systems <strong>der</strong> Wissen¬s<strong>ch</strong>aft ist, kennt sie<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit ni<strong>ch</strong>t bloß als Merkmal <strong>der</strong> Theorie o<strong>der</strong> ihres Gegenstandes, son<strong>der</strong>n<br />

das Konzept <strong>der</strong> Selbstreferenz ist in den Konstruktionstypus <strong>der</strong> Systemtheorie selbst<br />

integriert. Das heißt, die soziologis<strong>ch</strong>e Theorie muss als Teil dessen, was sie bes<strong>ch</strong>reibt,<br />

si<strong>ch</strong> selbst erfassen.<br />

<strong>Die</strong> in diesem Exkurs entwickelten Feststellungen zum Beoba<strong>ch</strong>ter entspre<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Lesart,<br />

mit <strong>der</strong> Niklas Luhmann das für ihn „Wesentli<strong>ch</strong>e“ <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> formuliert – zumindest<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Lesart des Autors des vorliegenden Textes. Das heißt: Niklas Luhmann verwendet<br />

die Laws of <strong>Form</strong> – also vor allem die Begriffe Unters<strong>ch</strong>eidung, Anzeige (bei Luhmann:<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung) und <strong>Form</strong>, sowie die Figur des re-entries und eben die des Beoba<strong>ch</strong>ters – in<br />

angemessener Weise.<br />

Den Exkurs in die Systemtheorie von Niklas Luhmann abs<strong>ch</strong>ließend weisen wir darauf hin,<br />

dass si<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>tetem wie<strong>der</strong> eine<br />

<strong>Form</strong> ergibt. In ihrer Einführung in die Systemtheorie s<strong>ch</strong>reibt Helga Gripp-Hagelstange,<br />

dass<br />

„das Ergebnis des Luhmanns<strong>ch</strong>en Denkens au<strong>ch</strong> so zusammenzufassen ist: Dass wir etwas<br />

als so o<strong>der</strong> so erfahren, liegt in uns selbst begründet.“ (GRIPP-HAGELSTANGE 1997: 120)<br />

Auf den damit angespro<strong>ch</strong>enen Zusammenhang von Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>tetem<br />

kommen wir im Abs<strong>ch</strong>nitt zu „Zen“ zurück – o<strong>der</strong> vielmehr läuft die „<strong>Form</strong>theorie“ darauf<br />

hinaus. Zuvor beginnen wir mit <strong>der</strong> erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Lesart <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Kohärenz mit <strong>der</strong> Luhmanns<strong>ch</strong>en Systemtheorie kann das Folgende au<strong>ch</strong> als<br />

„systemtheoretis<strong>ch</strong>e Erkenntnistheorie“ gelesen werden, wennglei<strong>ch</strong> wir hier weiter o<strong>der</strong><br />

tiefer gehen. Das liegt daran, dass die <strong>Form</strong>theorie <strong>der</strong> Systemtheorie in dem Sinne<br />

vorgelagert ist, als sie allgemeiner angelegt ist (vgl. LUHMANN 1997: 62). Wir gehen hier<br />

88


ni<strong>ch</strong>t von Systemen aus, son<strong>der</strong>n untersu<strong>ch</strong>en, was ers<strong>ch</strong>iene, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

getroffen würde.<br />

1. Beoba<strong>ch</strong>tungen des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

Im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t wurde in mehreren Naturwissens<strong>ch</strong>aften eine episte¬mologis<strong>ch</strong>e<br />

Entdeckung gema<strong>ch</strong>t, die das bisher vorherrs<strong>ch</strong>ende wissen¬s<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Paradigma ins<br />

Wanken bra<strong>ch</strong>te: Es wurde die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters für das Beoba<strong>ch</strong>tete entdeckt.<br />

Von <strong>der</strong> Entdeckung des Beoba<strong>ch</strong>ters wird gespro<strong>ch</strong>en, um zu kennzei<strong>ch</strong>nen, dass das<br />

Beoba<strong>ch</strong>tete ni<strong>ch</strong>t unabhängig vom Beoba<strong>ch</strong>ter ist: Der Beoba<strong>ch</strong>ter bedingt das von ihm<br />

Beoba<strong>ch</strong>tete (mit). Für die Neurobiologie hat Humberto Maturana gemeinsam mit Francesco<br />

Varela die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters und seiner Maßstäbe und Wertungen für jegli<strong>ch</strong>es<br />

Wahrnehmen und Erkennen herausgearbeitet. Wie au<strong>ch</strong> in konstruktivistis<strong>ch</strong>en<br />

Erkenntnistheorien ist hier mit dem „Beoba<strong>ch</strong>ter“ gemeint, dass ein System o<strong>der</strong><br />

Bewusstsein (jedenfalls: eine Differenz, die als Einheit beoba<strong>ch</strong>tbar ist) eine Welt erfährt und<br />

wahrnimmt, indem diese „Einheit“ die Welt strukturiert, und zwar mit eigenen Mustern,<br />

Gewohnheiten, Wertvorstellungen etc. Neben dieser Entdeckung in <strong>der</strong> Biologie liefert die<br />

mo<strong>der</strong>ne Physik ein prominentes und fundamentales Beispiel für die Bedeutung des<br />

Beoba<strong>ch</strong>¬ters: In quantenme<strong>ch</strong>anis<strong>ch</strong>en Experimenten wurde deutli<strong>ch</strong>, dass die<br />

Versu<strong>ch</strong>sanordnung (und damit die Absi<strong>ch</strong>t des Experimentators) bestimmt, wel<strong>ch</strong>e<br />

Phänomene ers<strong>ch</strong>einen. Es liegen somit experimentelle Bestätigungen für die These vor,<br />

dass je na<strong>ch</strong> den Unters<strong>ch</strong>eidungen, die ein Beoba<strong>ch</strong>ter verwendet, ihm die Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />

ers<strong>ch</strong>eint. Zum Beispiel tritt das Phänomen Li<strong>ch</strong>t je na<strong>ch</strong> Versu<strong>ch</strong>saufbau als Welle o<strong>der</strong> als<br />

Teil<strong>ch</strong>en auf. Au<strong>ch</strong> die Uns<strong>ch</strong>ärferelation von Werner Heisenberg verweist auf den<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter. In eben diesem Sinne s<strong>ch</strong>afft <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter die Welt, wie er sie erlebt, mit<br />

seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen. Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist in dieser Konzeption eben ni<strong>ch</strong>t (nur) ein Teil<br />

<strong>der</strong> Welt, son<strong>der</strong>n die an<strong>der</strong>e Seite dessen, was er als Welt erfährt.<br />

<strong>Die</strong>ses Kapitel erläutert die Entdeckung <strong>der</strong> Figur des Beoba<strong>ch</strong>ters, wie sie si<strong>ch</strong> in den Laws<br />

of <strong>Form</strong> darstellt. Dazu kommen wir zunä<strong>ch</strong>st no<strong>ch</strong> einmal auf das letzte Kapitel des<br />

Indikationenkalküls zurück, in dem <strong>der</strong> die ganze Zeit implizite Beoba<strong>ch</strong>ter dur<strong>ch</strong> den reentry<br />

<strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong> explizit gefunden wurde. Von dort aus wird eine Definition <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung si<strong>ch</strong>tbar, die au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Systemtheorie von Niklas Luhmann zugrunde liegt. Für<br />

die Darstellung des Beoba<strong>ch</strong>tungsbegriffes wurde die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung erster und zweiter Ordnung gewählt, die au<strong>ch</strong> Niklas Luhmann gebrau<strong>ch</strong>t und<br />

die ursprüngli<strong>ch</strong> von Heinz von Foerster mit <strong>der</strong> second or<strong>der</strong> cybernetics formuliert wurde.<br />

<strong>Die</strong> allgemeine <strong>Form</strong> des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

Den Ausgangspunkt <strong>der</strong> folgenden Überlegungen fanden wir s<strong>ch</strong>on im zweiten Kapitel <strong>der</strong><br />

Laws of <strong>Form</strong>. Er führte zu <strong>der</strong> Frage, was denn die erste Unters<strong>ch</strong>eidung sei bzw. in<br />

wel<strong>ch</strong>em Raum sie getroffen wird. Dass wir uns s<strong>ch</strong>on immer auf <strong>der</strong> Innenseite eines<br />

crosses befinden, bes<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Nimm an, je<strong>der</strong> s0 [<strong>der</strong> sei<strong>ch</strong>teste Raum, also <strong>der</strong> Raum, in dem <strong>der</strong> Ausdruck als ganzer<br />

steht; F. L.] werde von einem unges<strong>ch</strong>riebenen Kreuz umgeben.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

7)<br />

<strong>Die</strong>se Aussage entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Feststellung, dass jede Unters<strong>ch</strong>eidung, die getroffen wird,<br />

eine Einheit teilt. Wenn es tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine erste Unter¬s<strong>ch</strong>eidung gäbe, müsste sie allen<br />

an<strong>der</strong>en vorangehen und dürfte selbst keinen Raum teilen, da dieser wie<strong>der</strong> eine Seite einer<br />

an<strong>der</strong>en Unters<strong>ch</strong>ei¬dung wäre. Denn alles, was ist, ist, was es ist, weil es entspre<strong>ch</strong>end<br />

unter¬s<strong>ch</strong>ieden ist – und ni<strong>ch</strong>t ist, was es ni<strong>ch</strong>t ist. Das heißt: Jede Einheit ist eine Seite<br />

einer Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Der re-entry ist die Beoba<strong>ch</strong>tung o<strong>der</strong> das Gewahrwerden des unserem Standpunkt<br />

ums<strong>ch</strong>riebenen Kreuzes, des unges<strong>ch</strong>riebenen Kreuzes. Zum Beispiel: Wenn wir etwas mit<br />

89


unseren Sinnen wahrnehmen, befindet si<strong>ch</strong> die Wahrnehmung in unserem aktuellen<br />

Bewusstsein bzw. ist diese Wahrnehmung unser Bewusstsein, das heißt, die<br />

Aufmerksamkeit ist bei dem Gegenstand unserer Wahrnehmung. <strong>Die</strong>s kann alles sein: ein<br />

Gedanke, eine körperli<strong>ch</strong>e Empfindung o<strong>der</strong> ein Gefühl etc. Nun kann ein (weiterer)<br />

Gedanke auftreten, dass wir mit <strong>der</strong> Aufmerksamkeit „wo-au<strong>ch</strong>-immer“ gewesen sind. Wir<br />

sehen uns selbst als Beoba<strong>ch</strong>ter. Wir könnten beliebig lange fortfahren zu beoba<strong>ch</strong>ten, dass<br />

wir gerade beoba<strong>ch</strong>teten, das heißt unges<strong>ch</strong>riebene Kreuze aufspüren, und erkennen, dass<br />

au<strong>ch</strong> sie in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> sind. Re-entry <strong>der</strong> <strong>Form</strong> in die <strong>Form</strong> heißt deshalb, den Beoba<strong>ch</strong>ter zu<br />

entdecken; wahrzunehmen, dass man permanent Zeuge dessen ist, was man erlebt.<br />

Wir können zum Beispiel die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige<br />

beoba<strong>ch</strong>ten , und zwar mit dieser Unters<strong>ch</strong>eidung selbst. Das heißt, wir beoba<strong>ch</strong>ten diese<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und können erkennen, dass wir für die Beoba<strong>ch</strong>tung unters<strong>ch</strong>eiden und<br />

anzeigen: Wir beoba<strong>ch</strong>ten diese Unters<strong>ch</strong>eidung und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>e und wir zeigen ihre Seiten<br />

sogar mit Namen an. Wir erkennen mit Beoba<strong>ch</strong>tung die Beoba<strong>ch</strong>tung. Insofern, als es für<br />

die Beoba<strong>ch</strong>tung keine Vorrangigkeit von Unters<strong>ch</strong>eiden o<strong>der</strong> Anzeige gibt, da sie zuglei<strong>ch</strong><br />

stattfinden, kann man davon spre<strong>ch</strong>en, dass Beoba<strong>ch</strong>tung die Einheit <strong>der</strong> Differenz von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige ist. Sie treten als Beoba<strong>ch</strong>tung nur zusammen und zuglei<strong>ch</strong><br />

auf.<br />

Es lässt si<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>ten, dass <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter immer gegenwärtig ist. Solange ein System<br />

seine Operationen fortsetzt, das heißt au<strong>ch</strong>: solange es bes<strong>ch</strong>rieben werden kann als in o<strong>der</strong><br />

mit einer Umwelt agierend, ist sein Bewusstsein jetzt. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Wir leben in <strong>der</strong><br />

Gegenwart. Wir können aber no<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden, ob das Bewusstsein mit dem Hier-Jetzt<br />

befasst ist, o<strong>der</strong> ob es denkt – und im Denken auf Vergangenheit o<strong>der</strong> Zukunft bezogen ist.<br />

Man mag denken, dass Denken au<strong>ch</strong> im Hier-Jetzt stattfindet, und zweifelsohne ist das<br />

Gehirn unentwegt jetzt aktiv. Mit <strong>der</strong> <strong>Form</strong>ulierung <strong>der</strong> Distinktheit von Hier-Jetzt und Denken<br />

soll darauf hingewiesen werden, dass ein Sein im Hier-Jetzt frei ist von Wertungen, Motiven<br />

und Zielen. Und also au<strong>ch</strong> frei von einem darauf bezogenen Denken.<br />

<strong>Die</strong>se minimalistis<strong>ch</strong>en Anfor<strong>der</strong>ungen an den Beoba<strong>ch</strong>tungsbegriff impli¬zieren, dass<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung notwendigerweise nur ges<strong>ch</strong>ehen kann, wenn unters<strong>ch</strong>ieden wird. Was au<strong>ch</strong><br />

immer i<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>te, kann i<strong>ch</strong> nur beoba<strong>ch</strong>ten, indem i<strong>ch</strong> es von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>eide –<br />

unter Verwendung ganz vers<strong>ch</strong>iedener (und vers<strong>ch</strong>ieden ausdifferenzierter)<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen in Farben, <strong>Form</strong>en, Klängen o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>er Unters<strong>ch</strong>eidungen wie<br />

ri<strong>ch</strong>tig/fals<strong>ch</strong>, bedeutungsvoll/sinnlos, gut/böse etc. Wenn i<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>te, unters<strong>ch</strong>eide i<strong>ch</strong>.<br />

Da i<strong>ch</strong> aber etwas Bestimmtes beoba<strong>ch</strong>te – und ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>es –, muss i<strong>ch</strong> mehr tun, i<strong>ch</strong><br />

muss ein Unglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t in die Unter¬s<strong>ch</strong>eidung bringen. Dafür wird hier <strong>der</strong> Begriff<br />

Anzeige verwendet. Wenn i<strong>ch</strong> etwas beoba<strong>ch</strong>te, hebe i<strong>ch</strong> eine Seite hervor.<br />

Wir verallgemeinern diese Einsi<strong>ch</strong>t und erkennen, dass das allgemeinste<br />

Bes<strong>ch</strong>reibungsmuster, das je<strong>der</strong> Wahrnehmung, Erfahrung, Bes<strong>ch</strong>reibung, Erklärung etc. zu<br />

Grunde liegt, die Idee <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung ist. Jedwede Einheit entsteht aus o<strong>der</strong> mit einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung; eine Einheit ist, was sie ist, weil sie ni<strong>ch</strong>t ist, was sie ni<strong>ch</strong>t ist. Je<strong>der</strong><br />

„Gegenstand“ – ob Ding o<strong>der</strong> Gedanke o<strong>der</strong> Gefühl etc. – ist nur als Einheit erfahrbar, er<br />

wird als „Etwas“ erfahren; und er ist „Gegenstand“ eines Bewusstseins. Dass er ein „Etwas“<br />

ist, und eben ni<strong>ch</strong>t an<strong>der</strong>es, ma<strong>ch</strong>t seine Einheit aus.<br />

Vergli<strong>ch</strong>en mit dem Alltagsgebrau<strong>ch</strong> des Begriffes Beoba<strong>ch</strong>tung ist <strong>der</strong> hier verwendete sehr<br />

allgemein; mit ihm gilt, dass man immer irgendetwas beoba<strong>ch</strong>tet. Man kann ni<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />

beoba<strong>ch</strong>ten; Aufmerksamkeit ist immer auf etwas geri<strong>ch</strong>tet. Beoba<strong>ch</strong>tung findet in einem<br />

o<strong>der</strong> für einen o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> einen Beoba<strong>ch</strong>ter immer statt, und zwar: immer jetzt.<br />

Eine spezielle, aber für uns als Beoba<strong>ch</strong>ter grundlegende, weil je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en vorangehende<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung ist die zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>tetem bzw. Selbst und An<strong>der</strong>em.<br />

90


Man erfährt si<strong>ch</strong> stets selbst als den Handelnden, Spre<strong>ch</strong>enden und Denkenden, Fühlenden.<br />

Au<strong>ch</strong> wenn man si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t immer im glei<strong>ch</strong>en Maße dieser grundlegenden Unters<strong>ch</strong>ei¬dung<br />

bewusst ist, so kann man sie do<strong>ch</strong> stets und unzweifelhaft erkennen.<br />

Wir gehen hier also davon aus, dass wir als Mens<strong>ch</strong>en, o<strong>der</strong> differen¬zierter: lebende und<br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Systeme, notwendig eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen haben: die zwis<strong>ch</strong>en uns und<br />

dem An<strong>der</strong>en, dem Text, dem Gegenüber, dem Objekt. Das meint, dass wir uns bewusst<br />

ma<strong>ch</strong>en können, dass wir es sind, die die Dinge so sehen, wie wir sie sehen. <strong>Die</strong>se<br />

Selbst¬reflexion ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t permanent, ist aber stets mögli<strong>ch</strong>. Das heißt: Wir können<br />

uns <strong>der</strong> Anweisung, eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen, ni<strong>ch</strong>t entziehen, weil wir ihr au<strong>ch</strong> folgen,<br />

wenn wir ihr ni<strong>ch</strong>t folgen wollten. Wir treffen eine Ents<strong>ch</strong>eidung – auf Grundlage einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Mit dem Verweis auf den Beoba<strong>ch</strong>ter ist immer mitgemeint, dass ein Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t eine<br />

Welt vorfindet, weil sie etwas an<strong>der</strong>es als er ist und er die in ihr enthaltenen o<strong>der</strong><br />

vorhandenen Unters<strong>ch</strong>iede erkennen kann – und das dann besser o<strong>der</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter, also<br />

wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>. Der Wahrheits¬begriff hat einen dezentraleren Ort (siehe III .2. „Von<br />

Existenz zu Leere“, vor allem Seite 168). Vielmehr ist mit <strong>der</strong> Figur des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

intendiert, darauf hinzuweisen, dass er selbst die Unters<strong>ch</strong>eidungen trifft, um ein<br />

ungeformtes Medium (Welt) für si<strong>ch</strong> selbst handhabbar zu ma<strong>ch</strong>en. Das ungeformte Medium<br />

ist ni<strong>ch</strong>t (von si<strong>ch</strong> aus) vers<strong>ch</strong>ieden vom Beoba<strong>ch</strong>ter.<br />

<strong>Die</strong>ser Abs<strong>ch</strong>nitt zum Beoba<strong>ch</strong>ter spiegelt die S<strong>ch</strong>wierigkeit <strong>der</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Produktion<br />

einer Figur, die ni<strong>ch</strong>t im Subjekt-Objekt-Dualismus situiert ist. Der Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

repräsentiert eine Welt und entsteht selbst im Prozess des Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Er ist ni<strong>ch</strong>t zu denken als jemand, <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidungen willkürli<strong>ch</strong> trifft, er geht den<br />

Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen zeitli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t voran. Er ist na<strong>ch</strong> dieser Konzeption ledigli<strong>ch</strong> die Instanz, in<br />

<strong>der</strong> wir als Beoba<strong>ch</strong>ter den Prozess <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung feststellen können. Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist<br />

das selbstreflexive, selbstbezügli<strong>ch</strong>e Moment „innerhalb“ <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Der Beoba<strong>ch</strong>ter kann<br />

beoba<strong>ch</strong>ten, dass er in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> ist, dass er mit <strong>Form</strong>en/Grenzen „spielt“ – wie au<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong><br />

Grenze zwis<strong>ch</strong>en ihm als Beoba<strong>ch</strong>ter und ihm als Beoba<strong>ch</strong>tetem.<br />

Der Neurobiologe und Kognitionsfors<strong>ch</strong>er Humberto R. Maturana war einer <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong><br />

die Bedeutung des Beoba<strong>ch</strong>ters für jede Erkenntnis über die Welt, die Realität o<strong>der</strong> das<br />

Universum wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> klar herausstellte. Eine seiner bedeutsamsten und radikalsten<br />

Aussagen ist:<br />

„Alles, was gesagt wird, wird von jemandem gesagt.“ (MATURANA; VARELA 1987: 32)<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> kann man diesen Satz umformulieren in:<br />

„Alles, was unters<strong>ch</strong>ieden wird, wird von einem Beoba<strong>ch</strong>ter unters<strong>ch</strong>ieden.“ (LAU 2005: 156)<br />

Mit beiden Sätzen wird ein Unters<strong>ch</strong>ied zu einer, man muss es wohl so sagen: obsoleten<br />

Auffassung von Welt hervorgehoben. Von einer objek¬tiven, also Beoba<strong>ch</strong>ter unabhängigen<br />

Welt ausgehend, muss <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter aus <strong>der</strong> Welt heraus gehalten werden. Spielte <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter <strong>der</strong> Welt eine Rolle für das „Dasein“ <strong>der</strong> Welt, würde zumindest <strong>der</strong> Zugang zur<br />

Welt in Frage gestellt sein, wenn ni<strong>ch</strong>t eine objektive Realität überhaupt. Mit den Laws of<br />

<strong>Form</strong> wird wie bei Humberto R. Maturana die These vertreten, dass jedes Erkennen einer<br />

Realität, einer Welt, die Leistung eines Beoba<strong>ch</strong>ters mit seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen, das heißt<br />

Wertungen, Erwar¬tungen, Präferenzen etc., ist.<br />

Das heißt also, dass die Berücksi<strong>ch</strong>tigung des Beoba<strong>ch</strong>ters und seine Integration in das<br />

Erkannte zu einer fundamentalen erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Umstellung führt: Ausgangspunkt<br />

aller Erkenntnis ist ni<strong>ch</strong>t etwas ist so-und-so, son<strong>der</strong>n etwas ist für jemanden so-undso.<br />

Damit än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die an Erkenntnis orientierte Frageri<strong>ch</strong>tung:<br />

An Stelle von:<br />

Wie erkennt ein Beoba<strong>ch</strong>ter die Welt ri<strong>ch</strong>tig?<br />

91


Fragen wir:<br />

Wie ers<strong>ch</strong>afft ein Beoba<strong>ch</strong>ter eine Welt?<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen erster und zweiter Ordnung<br />

Wir unters<strong>ch</strong>eiden in und mit <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung zwis<strong>ch</strong>en dem Beoba<strong>ch</strong>¬teten (<strong>der</strong><br />

angezeigten Seite) und dem dadur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Beoba<strong>ch</strong>teten (<strong>der</strong> unangezeigten Seite). <strong>Die</strong> si<strong>ch</strong><br />

daraus ergebende Unsi<strong>ch</strong>tbarkeit <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung selbst, setzen wir mit dem<br />

unges<strong>ch</strong>riebenen cross glei<strong>ch</strong>. Das heißt, die momentane Beoba<strong>ch</strong>tung ist unsi<strong>ch</strong>tbar.<br />

Prinzipiell kann ein Beoba<strong>ch</strong>ter alles beoba<strong>ch</strong>ten, was er unters<strong>ch</strong>eiden kann,<br />

gegebenenfalls au<strong>ch</strong> seine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen (Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen). Ein<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter kann also beoba<strong>ch</strong>ten, wel<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen an<strong>der</strong>e Beoba<strong>ch</strong>ter (o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong><br />

er selbst) treffen. Nur die eine Beoba<strong>ch</strong>tung, die er gerade ma<strong>ch</strong>t, kann er ni<strong>ch</strong>t zuglei<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>ten. Um die gerade verwendete Unters<strong>ch</strong>eidung beoba<strong>ch</strong>ten zu können,<br />

brau<strong>ch</strong>t er eine weitere Unters<strong>ch</strong>eidung, für die dann das glei<strong>ch</strong>e gilt. <strong>Die</strong>s wird in <strong>der</strong><br />

Systemtheorie als blin<strong>der</strong> Fleck bezei<strong>ch</strong>net. Wenn wir eine Unters<strong>ch</strong>ei¬dung operational<br />

verwenden, ist diese für uns unsi<strong>ch</strong>tbar; wir können nie zuglei<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung treffen<br />

und beoba<strong>ch</strong>ten. Um die Unters<strong>ch</strong>ei¬dung, die wir gerade bei <strong>der</strong> momentanen Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

verwenden, beoba<strong>ch</strong>ten zu können, müssten wir zur glei<strong>ch</strong>en Zeit zwei vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen ausführen: Das Beoba<strong>ch</strong>tete und <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tende sind aber im<br />

unters<strong>ch</strong>eidenden Beoba<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t zeitglei<strong>ch</strong> denkbar. Das heißt, dass das Treffen einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung stets blind für si<strong>ch</strong> selbst ist. Der blinde Fleck ist die Unters<strong>ch</strong>eidung, die wir<br />

für die jetzt stattfindende Beoba<strong>ch</strong>tung treffen. Der blinde Fleck ist das, was man ni<strong>ch</strong>t sieht,<br />

wenn man sieht, was man sieht. Für George Spencer Brown spielt diese<br />

Unbeob¬a<strong>ch</strong>tbarkeit <strong>der</strong> gerade stattfindenden Beoba<strong>ch</strong>tung keine wi<strong>ch</strong>tige Rolle. Einen<br />

ähnli<strong>ch</strong>en Gedanken findet man bei ihm aber in dem Begriff <strong>der</strong> selektiven Blindheit. Im<br />

Zusammenhang des Konzeptes <strong>der</strong> selektiven Blindheit wird erörtert, inwiefern au<strong>ch</strong> gesagt<br />

werden kann, dass <strong>der</strong> blinde Fleck gerade das Sehen ermögli<strong>ch</strong>t – und ni<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>ränkt<br />

(siehe den entspre<strong>ch</strong>enden Abs<strong>ch</strong>nitt in III. 3.: S. 180f.).<br />

Mit dem Indikationenkalkül können gerade au<strong>ch</strong> diese vers<strong>ch</strong>iedenen Beoba<strong>ch</strong>tungsebenen<br />

ausgema<strong>ch</strong>t werden: Ein Beoba<strong>ch</strong>ter trifft eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung, und sieht dabei nur eine<br />

<strong>der</strong> beiden dur<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung hervorgerufenen Seiten. Auf einer an<strong>der</strong>en Ebene<br />

kann ein zweiter Beoba<strong>ch</strong>ter die vom ersten getroffene Unters<strong>ch</strong>eidung von an<strong>der</strong>en<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen unters<strong>ch</strong>eiden. Der erste Beoba<strong>ch</strong>ter sieht eine Identität, wenn er eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, denn er bezieht si<strong>ch</strong> auf eine Seite <strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung (für ihn die<br />

Einheit) und ni<strong>ch</strong>t die an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> die Unters<strong>ch</strong>ei-dung selbst; <strong>der</strong> zweite sieht darin eine<br />

Differenz (genauer: die Identität einer Differenz; o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Differenz eine Identität bzw.<br />

Einheit), indem er au<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>e, die vom ersten Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t angezeigte Seite <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung sehen kann. Eine Beoba<strong>ch</strong>tung zu beoba<strong>ch</strong>ten meint, die vom ersten<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter getroffene Unters<strong>ch</strong>eidung zu sehen; das heißt zu sehen, wie ein Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

beoba<strong>ch</strong>tet. Ein zweiter Beoba<strong>ch</strong>ter kann die Unters<strong>ch</strong>eidung des ersten von an<strong>der</strong>en<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen differenzieren. Ein zweiter Beoba<strong>ch</strong>ter kann sehen, was <strong>der</strong> erste ni<strong>ch</strong>t<br />

sehen kann, aber au<strong>ch</strong> seine Operation erzeugt einen blinden Fleck.<br />

„Der S<strong>ch</strong>ritt von <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung erster zur Beoba<strong>ch</strong>tung zweiter Ordnung löst eine ganze<br />

Kaskade von Folgen aus. Nur eines errei<strong>ch</strong>t er ni<strong>ch</strong>t: die Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> ihn selbst<br />

eins<strong>ch</strong>ließenden Einheit, die Rückkehr in den unmarked space.“ (LUHMANN 1992: 127)<br />

Vom Standpunkt <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung zweiter Ordnung, das meint, wenn beoba<strong>ch</strong>tet wird, wie<br />

(mit wel<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidungen) ein an<strong>der</strong>er Beoba<strong>ch</strong>ter beoba<strong>ch</strong>tet, sieht <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter,<br />

dass Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t sehen, was sie ni<strong>ch</strong>t sehen. Das s<strong>ch</strong>eint trivial, führt aber<br />

beispielsweise zu <strong>der</strong> weit weniger trivialen Einsi<strong>ch</strong>t, dass au<strong>ch</strong> die Beoba<strong>ch</strong>ter selbst zu<br />

dem gehören, was sie ni<strong>ch</strong>t sehen können. <strong>Die</strong> eigene Materialität des Beoba<strong>ch</strong>tens, das<br />

sehen, wie man selbst gerade sieht, entzieht si<strong>ch</strong> dem Beoba<strong>ch</strong>ter notwendig. Oben hatten<br />

wir entspre<strong>ch</strong>end formuliert, dass <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter für si<strong>ch</strong> selbst imaginär ist (siehe den<br />

„Exkurs in die System¬theorie von Niklas Luhmann“: S. 147ff.).<br />

92


Grundsätzli<strong>ch</strong> gibt es beliebig viele Beoba<strong>ch</strong>tungsebenen: Beoba<strong>ch</strong>tung von Dingen,<br />

Definitionen, Ideen etc. (Beoba<strong>ch</strong>tung erster Ordnung), Beoba<strong>ch</strong>tung von Beoba<strong>ch</strong>tung von<br />

Dingen (Beoba<strong>ch</strong>tung zweiter Ordnung) usw. Da Beoba<strong>ch</strong>tung immer ein Treffen von<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen impliziert, hat jede Beoba<strong>ch</strong>tung aber zuglei<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong> des Beoba<strong>ch</strong>tens<br />

erster Ordnung. Als qualitativ unters<strong>ch</strong>ieden werden ledigli<strong>ch</strong> die Ebenen <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

von Dingen und <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung von Beoba<strong>ch</strong>tung verstanden.<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung erster Ordnung ermögli<strong>ch</strong>t in jedem Fall eine Beoba<strong>ch</strong>tung zweiter Ordnung.<br />

Wir können je<strong>der</strong>zeit unsere Aufmerksamkeit darauf ri<strong>ch</strong>ten, wie wir selbst o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

gerade beoba<strong>ch</strong>teten. <strong>Die</strong>s spiegelt si<strong>ch</strong> darin, dass das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung einem<br />

zweiten Beoba<strong>ch</strong>ter in jedem Fall erlaubt, die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>tendem und<br />

Beoba<strong>ch</strong>tetem zu treffen.<br />

<strong>Die</strong> beiden Ebenen <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung können wir in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> wie<strong>der</strong>finden:<br />

Der Spencer Browns<strong>ch</strong>e „Kalkül <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung“ ma<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>, dass Unters<strong>ch</strong>eidungen<br />

ni<strong>ch</strong>t nur das An<strong>der</strong>e des Bezei<strong>ch</strong>¬neten (die an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung), son<strong>der</strong>n<br />

au<strong>ch</strong> das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung immer mit si<strong>ch</strong> führen. Das heißt beispielsweise für die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung des Kalküls, dass er eine Grenze zieht, die Mögli<strong>ch</strong>keiten bes<strong>ch</strong>ränkt,<br />

auswählt. Wir können davon spre<strong>ch</strong>en, dass die <strong>Form</strong> des Kalküls au<strong>ch</strong> immer mitführt, was<br />

<strong>der</strong> Kalkül ni<strong>ch</strong>t ist. Deshalb ermögli<strong>ch</strong>t er Bere<strong>ch</strong>nungen, in denen er selbst no<strong>ch</strong> einmal<br />

vorkommt als das, was er (zunä<strong>ch</strong>st) ni<strong>ch</strong>t erfasste. <strong>Die</strong>ses Unbezei<strong>ch</strong>nete, die an<strong>der</strong>e Seite<br />

dessen, was wir im und mit dem Kalkül unters<strong>ch</strong>eiden und anzeigen, ist das „An<strong>der</strong>e“ <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung und <strong>der</strong> Verknüpfung von Beoba<strong>ch</strong>tung, also das „An<strong>der</strong>e“ <strong>der</strong> Erkenntnis. Es<br />

entzieht si<strong>ch</strong> unseren Versu<strong>ch</strong>en einer begriffli<strong>ch</strong>en Annäherung dur<strong>ch</strong> Rationalität und<br />

bestimmendes Denken.<br />

Also: Das auf Unters<strong>ch</strong>eidungen beruhende Bes<strong>ch</strong>reibungs- und Erklä¬rungsmuster lässt<br />

si<strong>ch</strong> wie<strong>der</strong> auf Unters<strong>ch</strong>eidungen selbst anwenden, das heißt, wie gesagt, dass wir<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen unters<strong>ch</strong>eiden können. Dann ist eine Unters<strong>ch</strong>eidung die bezei<strong>ch</strong>nete<br />

Einheit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung, die wir (gerade) treffen. Wir unters<strong>ch</strong>eiden „diese“<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung von an<strong>der</strong>en Unters<strong>ch</strong>eidungen. Des Weiteren kann dieses<br />

Bes<strong>ch</strong>reibungs¬muster, diese <strong>Form</strong>theorie si<strong>ch</strong> selbst als vers<strong>ch</strong>ieden von an<strong>der</strong>en<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten betra<strong>ch</strong>ten, zu bes<strong>ch</strong>reiben und zu erklären, was ist. Von daher kann es au<strong>ch</strong><br />

keinen Vorrang beanspru<strong>ch</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s mit „Theorien“ in Konkurrenz treten. In Frage<br />

steht ni<strong>ch</strong>t mehr die Wahrheit einer Theorie, son<strong>der</strong>n was man mit ihr erkennen kann.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Paradoxie</strong>n des Beoba<strong>ch</strong>ters und <strong>der</strong> Welt<br />

Wir führen zwei <strong>Paradoxie</strong>n an, die mit selbstbeoba<strong>ch</strong>tenden Systemen einhergehen. Der<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter ist ein beoba<strong>ch</strong>tendes System, das fähig ist, si<strong>ch</strong> selbst zu beoba<strong>ch</strong>ten. Im Sinne<br />

<strong>der</strong> vorangegangenen Überlegungen zu Unters<strong>ch</strong>eidungs- und <strong>Paradoxie</strong>begriffen treffen wir<br />

au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Selbst¬beoba<strong>ch</strong>tung eines Beoba<strong>ch</strong>ters, das heißt eines Systems, auf<br />

<strong>Paradoxie</strong>n.<br />

Bei dem Versu<strong>ch</strong> eines Beoba<strong>ch</strong>ters, si<strong>ch</strong> selbst vollständig zu beoba<strong>ch</strong>ten, das heißt si<strong>ch</strong><br />

selbst als Ganzheit o<strong>der</strong> Einheit o<strong>der</strong> Aktualität in den Blick zu bekommen, unterwan<strong>der</strong>t er<br />

eine Grenze. <strong>Die</strong> entstehende Oszillation wird hier mit <strong>Paradoxie</strong> des Beoba<strong>ch</strong>ters<br />

bezei<strong>ch</strong>net. Wenn i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> selbst beoba<strong>ch</strong>te, kann i<strong>ch</strong> zum Beispiel sehen, ob i<strong>ch</strong> glückli<strong>ch</strong><br />

o<strong>der</strong> traurig, aufgeregt o<strong>der</strong> ruhig, krank o<strong>der</strong> gesund etc. bin, worauf au<strong>ch</strong> immer i<strong>ch</strong> gerade<br />

a<strong>ch</strong>te. Was i<strong>ch</strong> aber in dem Augenblick <strong>der</strong> (Selbst-) Beoba<strong>ch</strong>tung prinzipiell ni<strong>ch</strong>t sehen<br />

kann, ist die Ganzheit o<strong>der</strong> Einheit meiner selbst. In <strong>der</strong> Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung muss si<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>ter selbst in zwei Zustände unterteilen: den beoba<strong>ch</strong>teten und den beoba<strong>ch</strong>tenden.<br />

Wenn i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> selbst beoba<strong>ch</strong>te, unterteile i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> – dessen bewusst o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t – in zwei<br />

Aspekte, weil i<strong>ch</strong> dann zuglei<strong>ch</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>¬teter bin. Damit bin i<strong>ch</strong> als<br />

einheitli<strong>ch</strong>es Ganzes ni<strong>ch</strong>t mehr fassbar, gerade weil i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> (als Ganzes) in den Blick zu<br />

nehmen versu<strong>ch</strong>e. I<strong>ch</strong> muss mi<strong>ch</strong> getrennt haben, um mi<strong>ch</strong> sehen zu können. <strong>Die</strong> Ganzheit<br />

kann i<strong>ch</strong> also niemals <strong>der</strong>art in den Fokus bekommen. Das glei<strong>ch</strong>e gilt für die Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

93


meiner Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung. I<strong>ch</strong> kann den Versu<strong>ch</strong> meiner Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung beoba<strong>ch</strong>ten,<br />

dabei eine weitere Unters<strong>ch</strong>eidung treffend. I<strong>ch</strong> sehe jetzt, dass i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> als mi<strong>ch</strong>-selbstbeoba<strong>ch</strong>tend<br />

beoba<strong>ch</strong>te. Und nun sehe i<strong>ch</strong>, dass i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> als jemanden beoba<strong>ch</strong>te, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong><br />

selbst als si<strong>ch</strong>-selbst-beoba<strong>ch</strong>tend beoba<strong>ch</strong>tet etc. Man sieht das eigene aktuelle Denken,<br />

indem man einen weiteren Gedanken ans<strong>ch</strong>ließt, <strong>der</strong> dann <strong>der</strong> aktuelle ist. Man oszilliert<br />

zwis<strong>ch</strong>en: si<strong>ch</strong> als aktuelle Tätigkeit zu sehen und si<strong>ch</strong> selbst dabei in eine weitere<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en dem Beoba<strong>ch</strong>ter und dem Beoba<strong>ch</strong>teten getrennt zu haben.<br />

<strong>Die</strong>se paradoxe Figur wird auf den Punkt gebra<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> die <strong>Form</strong>u¬lierung: I<strong>ch</strong> kann (mi<strong>ch</strong>)<br />

nur dadur<strong>ch</strong> sehen, indem i<strong>ch</strong> es unmögli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>e, (mi<strong>ch</strong>) zu sehen; indem i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> als<br />

Einheit zu gewinnen su<strong>ch</strong>e, trenne i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>. Zuglei<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint es ganz unproblematis<strong>ch</strong> zu<br />

sein, mi<strong>ch</strong> selbst zu beoba<strong>ch</strong>ten, da „i<strong>ch</strong>“ diese <strong>Paradoxie</strong> in einem zeitli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>¬einan<strong>der</strong><br />

auflöse mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Teil und Ganzem.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Paradoxie</strong> des Beoba<strong>ch</strong>ters hängt zusammen mit folgen<strong>der</strong> Überlegung, die uns auf die<br />

<strong>Paradoxie</strong> <strong>der</strong> Welt führt: <strong>Die</strong> Welt, das Universum, „Alles“ (wie au<strong>ch</strong> immer wir es benennen<br />

wollen) ist eine Ganzheit, eine Einheit. Offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint es unters<strong>ch</strong>ieden (für einen<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter), aber als Ganzes ist die Welt o<strong>der</strong> das Universum eine Einheit. Zu dieser<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung und Bes<strong>ch</strong>reibung kann es aber nur kommen, weil Welt (auf wel<strong>ch</strong>e Weise<br />

au<strong>ch</strong> immer) beoba<strong>ch</strong>tet wird. Wenn si<strong>ch</strong> Welt aber selbst beoba<strong>ch</strong>tet, bekommt sie si<strong>ch</strong> als<br />

Ganzheit ni<strong>ch</strong>t mehr in den Blick, denn sie muss si<strong>ch</strong> unterteilen in einen beoba<strong>ch</strong>tenden<br />

und einen beoba<strong>ch</strong>teten Zustand. Was die Welt also sieht (wenn wir so formulieren wollen,<br />

dass <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter die Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Welt repräsentiert) , ist nur zum Teil sie selbst, da<br />

sie si<strong>ch</strong> in ihrer Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung verhalten muss, als wäre sie von si<strong>ch</strong> selbst<br />

unters<strong>ch</strong>ieden. Eben dur<strong>ch</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung entzieht si<strong>ch</strong> die Welt in ihrer Ganzheit <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung, denn die Beoba<strong>ch</strong>tung und ihr Einfluss auf das Beoba<strong>ch</strong>tete sind Welt. <strong>Die</strong><br />

Welt verän<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> mit unserer Beoba<strong>ch</strong>tung, und ein Beoba<strong>ch</strong>ter kann sie nie als das<br />

erkennen, was o<strong>der</strong> wie sie (ohne ihn) ist. Würde das gelingen, träfen wir bei <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung keine Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Das Universum ist auf eine Art und Weise bes<strong>ch</strong>affen, die es befähigt, si<strong>ch</strong> selbst zu sehen,<br />

ohne dabei je alles – die ungetrennte Einheit, die den Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Universum und<br />

Erkennendem übersteigt – sehen zu können. Und es ist weiterhin in <strong>der</strong> Lage zu erkennen,<br />

dass es dies ist, was es kann.<br />

Letztli<strong>ch</strong> heißt das in beiden Fällen: Jede Absi<strong>ch</strong>t auf vollständige Bes<strong>ch</strong>reibung, die nur<br />

vollständig ist, wenn sie si<strong>ch</strong> selbst einbezieht, läuft auf das Problem <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> auf.<br />

Aber: <strong>Die</strong> unmittelbare Erfahrung von Welt kann nie paradox sein, denn alles ist, wie es ist.<br />

Auf dieser Ebene – die Dinge sind, wie sie sind – kann keine <strong>Paradoxie</strong> auftreten, da es nur<br />

diese eine Ebene gibt, ni<strong>ch</strong>ts könnte an<strong>der</strong>s sein; daher kann keine Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit<br />

vorgefunden werden. Nur die Beoba<strong>ch</strong>tung und Bes<strong>ch</strong>reibung (<strong>der</strong> Erfahrung) von Welt kann<br />

paradox sein. Wir finden au<strong>ch</strong> bei Niklas Luhmann:<br />

„Ein Paradox ist ja immer ein Problem eines Beoba<strong>ch</strong>ters. Wollte man behaupten, das Sein<br />

selbst wäre paradox, wäre eben diese Behauptung paradox.“ (LUHMANN 1990: 123)<br />

<strong>Die</strong> Behauptung wäre paradox, weil sie selbst dem „Sein“ zugere<strong>ch</strong>net werden muss.<br />

Als Einheit muss Beoba<strong>ch</strong>tung bereits von etwas an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden (und markiert)<br />

sein: Man kann ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>eiden, ohne bereits unter¬s<strong>ch</strong>ieden zu haben. Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

können demna<strong>ch</strong> die Welt per se nie sehen. Sie können nur si<strong>ch</strong> selbst in <strong>der</strong> Welt sehen<br />

(siehe III. 3. den Abs<strong>ch</strong>nitt „Zen“, S. 190ff.).<br />

94


2. Von Existenz zu Leere<br />

Na<strong>ch</strong>dem <strong>der</strong> erste Abs<strong>ch</strong>nitt dieses erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>en Teils den Prozess <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung und den Beoba<strong>ch</strong>ter thematisierte, handelt dieser zweite Abs<strong>ch</strong>nitt von <strong>der</strong><br />

Realität, die einem Beoba<strong>ch</strong>ter ers<strong>ch</strong>eint. Dabei geht es ni<strong>ch</strong>t darum zu skizzieren, wie eine<br />

Welt ohne Beoba<strong>ch</strong>ter aussehen könnte (von einer sol<strong>ch</strong>en Vorstellung soll hier ja ganz im<br />

Gegenteil Abstand genommen werden), son<strong>der</strong>n zunä<strong>ch</strong>st um die Begriffe Existenz und<br />

Wahrheit und ans<strong>ch</strong>ließend darum, wie sie im Sinne einer Differenz¬theorie und einer<br />

Theorie, die vom Beoba<strong>ch</strong>ter ausgeht, verstanden werden können.<br />

Das folgende Zitat dient als Leitfaden für diesen Abs<strong>ch</strong>nitt:<br />

„Wir müssen, um die Welt klar zu erfahren, Existenz auf Wahrheit reduzieren, Wahrheit<br />

auf Bezei<strong>ch</strong>nung [Anzeige; F. L.], Bezei<strong>ch</strong>nung auf <strong>Form</strong> und <strong>Form</strong> auf die Leere.“<br />

(SPENCER BROWN 1997: 88)<br />

Im Folgenden sollen diese S<strong>ch</strong>ritte na<strong>ch</strong>vollzogen werden. Zusammen¬fassend: Mit Existenz<br />

wird auf das Bezug genommen, was ist, was ein Beoba<strong>ch</strong>ter von Augenblick zu Augenblick<br />

erlebt. Wahrheit bezieht si<strong>ch</strong> auf Aussagen über Existenz. <strong>Die</strong> Aussagen, die man wahr<br />

nennt, hängen vom Standpunkt ab, von den Unters<strong>ch</strong>eidungen und den Werten, die man mit<br />

ihnen verknüpft. Je<strong>der</strong> Standpunkt, jede Unters<strong>ch</strong>eidung ist eine <strong>Form</strong>, die au<strong>ch</strong> immer<br />

an<strong>der</strong>s mögli<strong>ch</strong> ist. <strong>Form</strong> entsteht mit Leere und Leere mit <strong>Form</strong>. <strong>Die</strong>s ist die erste bzw. letzte<br />

<strong>Form</strong>.<br />

Zeit und Raum<br />

<strong>Die</strong> Vorstellungen von Zeit und Raum sind eng mit den Begriffen <strong>der</strong> Realität und <strong>der</strong><br />

Existenz verknüpft. Das Beoba<strong>ch</strong>ten und Erleben von Welt ges<strong>ch</strong>ieht ni<strong>ch</strong>t getrennt von<br />

Raum und Zeit. Deshalb wird eine Erörterung ihrer „Entstehung“ im Li<strong>ch</strong>te des<br />

Indikationenkalküls vorangestellt.<br />

Übli<strong>ch</strong>erweise geht man davon aus, dass alles, was existiert, in Raum und Zeit bzw. in <strong>der</strong><br />

Raum-Zeit existiert und dass die Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Existenzen unabhängig von Raum und<br />

Zeit ges<strong>ch</strong>ieht. Als wären Raum und Zeit gegebene Voraussetzungen für Beoba<strong>ch</strong>tung. <strong>Die</strong><br />

differenztheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption ermögli<strong>ch</strong>t dagegen eine Bes<strong>ch</strong>reibung, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Zeit und<br />

Raum Produkte <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung von Welt sind. Wenn etwas beoba<strong>ch</strong>tet wird, muss es<br />

an<strong>der</strong>s ers<strong>ch</strong>einen als an<strong>der</strong>es. <strong>Die</strong>ses An<strong>der</strong>ssein kann si<strong>ch</strong> verän<strong>der</strong>n (Zeit) und verän<strong>der</strong>t<br />

si<strong>ch</strong> in einem erkennbaren Raum.<br />

<strong>Die</strong> Welt enthält we<strong>der</strong> diese no<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen. Am Anfang <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong><br />

definiert George Spencer Brown „Zustände“, ohne dass er auf Konzepte wie Distanz, Größe<br />

o<strong>der</strong> Dauer etc. zurück¬greifen müsste. Das einzige Konzept, das er einführt, ist das des<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>iedes. An<strong>der</strong>e Qualitäten sind ni<strong>ch</strong>t notwendig, um alle Qualitäten zu erhalten.<br />

Raum und Zeit sind Ers<strong>ch</strong>einungen bzw. <strong>Form</strong>en von o<strong>der</strong> für Ers<strong>ch</strong>ei¬nungen. Au<strong>ch</strong> sie<br />

sind, was ers<strong>ch</strong>iene, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen würde. In den Laws of <strong>Form</strong> wird<br />

anfängli<strong>ch</strong> kein Konzept eines sol<strong>ch</strong>en Raumes (in dem „Dinge“, das heißt Gegenstände,<br />

Lebewesen etc. vorkommen können) verwendet. Was dort „Raum“ genannt wird, ist die Seite<br />

einer Unters<strong>ch</strong>eidung und impliziert für die Darstellung s<strong>ch</strong>on eine mehrdimensionale<br />

physikalis<strong>ch</strong>e Raumvorstellung. Aber als mathe-matis<strong>ch</strong>es Konzept trägt „Raum“ ledigli<strong>ch</strong> die<br />

Qualität, Zustände vonein¬an<strong>der</strong> zu trennen. Ebenso ist Zeit, was wäre, wenn eine<br />

Oszillation zwis<strong>ch</strong>en Zuständen stattfinden könnte. Das Maß <strong>der</strong> Zeit ist <strong>der</strong> We<strong>ch</strong>sel, die<br />

Verän<strong>der</strong>ung. <strong>Die</strong> einzige Verän<strong>der</strong>ung, die wir mit zwei unters<strong>ch</strong>ied¬li<strong>ch</strong>en Zuständen<br />

bewirken können, ist das We<strong>ch</strong>seln von einem Zustand o<strong>der</strong> Raum in den an<strong>der</strong>en. <strong>Die</strong>se<br />

Zeit ist die einfa<strong>ch</strong>ste denkbare Zeit, da die Oszillation zwis<strong>ch</strong>en den Zuständen keine Dauer<br />

hat.<br />

95


Mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einführung von Ausdrücken, also Unters<strong>ch</strong>eidungen, in ihren eigenen Raum,<br />

gelangen wir zu den Ideen von Raum und Zeit, wie sie unserer alltägli<strong>ch</strong>en Erfahrung<br />

entspre<strong>ch</strong>en.<br />

„Was wir aus den <strong>Form</strong>en o<strong>der</strong> Ausdrücken auf dieser Stufe ersehen, könnte, obwohl<br />

erkennbar, als vereinfa<strong>ch</strong>te Vorläufer dessen angesehen werden, was wir in den<br />

physikalis<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aften für die Wirkli<strong>ch</strong>keit halten.“ (SPENCER BROWN 1997: 87)<br />

<strong>Die</strong> Oszillation des imaginären Wertes definiert den Ursprung unseres Konzeptes von Zeit.<br />

<strong>Die</strong> Oszillation ist selbst ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on Zeit (im Sinne des Alltagsverständnisses), weil ihr ein<br />

Maß fehlt. <strong>Die</strong>se ursprüngli<strong>ch</strong>e Zeit hat no<strong>ch</strong> keine Dauer, ihre Intervalle sind we<strong>der</strong> kurz<br />

no<strong>ch</strong> lang, sie ist ledigli<strong>ch</strong> das We<strong>ch</strong>seln <strong>der</strong> Zustände. Sie wird dur<strong>ch</strong> bzw. als Oszillation<br />

zwis<strong>ch</strong>en zwei Zuständen gemessen. Da die Oszillation keine Dauer hat, können wir sie uns<br />

beliebig s<strong>ch</strong>nell o<strong>der</strong> langsam vorstellen. <strong>Die</strong> Oszil¬lation hat keine Frequenz. Sie ist das<br />

Hin-und-her, die Zeit ohne Zeit¬gebrau<strong>ch</strong>. <strong>Die</strong> Oszillation unterwan<strong>der</strong>t die Unters<strong>ch</strong>eidung,<br />

die die Seiten hervorbringt, zwis<strong>ch</strong>en denen die Oszillation stattfindet – und insofern hält die<br />

Oszillation die Unters<strong>ch</strong>eidung aufre<strong>ch</strong>t und hebt sie auf. In <strong>der</strong> Zeit werden die beiden<br />

Seiten einer oszillierenden Unters<strong>ch</strong>eidung unters<strong>ch</strong>ieden und verweisen aufeinan<strong>der</strong>.<br />

Raum und Zeit im Sinne des Alltagsverständnisses sind, was ges<strong>ch</strong>ieht, wenn man die Ideen<br />

einer Unters<strong>ch</strong>eidung bzw. des We<strong>ch</strong>selns <strong>der</strong> Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung häufig genug in<br />

sie selbst einführt. Das alltägli<strong>ch</strong>e Konzept von Zeit, die ein Maß, eine Dauer hat, das o<strong>der</strong><br />

die gemessen werden kann, kommt nur zustande, indem die Dauer mit einer an<strong>der</strong>en Zeit<br />

gemessen wird. Ebenso bedarf es für unsere räumli<strong>ch</strong>en Vorstellungen eines Maßes, einer<br />

Einheit, die als Bezugspunkt dient. Um die Zeit zu erleben, um also das Konzept von Dauer<br />

zu erhalten, muss man das Konzept <strong>der</strong> Zeit in si<strong>ch</strong> selbst einführen. Man kann Dauer nur<br />

mit einer an<strong>der</strong>en Zeit messen. Zeit als sol<strong>ch</strong>e ist ni<strong>ch</strong>t erfahrbar o<strong>der</strong> beoba<strong>ch</strong>tbar. Zeit<br />

„zeigt“ si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung von Zuständen. Das heißt aber au<strong>ch</strong>, dass Zeit eine<br />

notwendige <strong>Form</strong> für die Wahrnehmung von Verän<strong>der</strong>ungen ist.<br />

Ebenso verhält es si<strong>ch</strong> mit Raum. Alle Konzepte von Raum, Zeit, Größe usw. erhält man<br />

dadur<strong>ch</strong>, dass man das Konzept des Unters<strong>ch</strong>iedes häufig genug in si<strong>ch</strong> selbst einführt.<br />

Man kann das Entstehen von Raum und Zeit lei<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> textli<strong>ch</strong> vorführen<br />

bzw. darstellen und damit ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, da die Spra<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> Theorie ni<strong>ch</strong>t Raum<br />

und Zeit hervorbringen kann. Nur indem wir Unters<strong>ch</strong>eidungen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> treffen, wie wir es<br />

als Lebewesen unent¬wegt tun, bringen wir Raum und Zeit hervor. Das heißt, jetzt, wenn<br />

dieser Text ges<strong>ch</strong>rieben o<strong>der</strong> gelesen wird, sind Raum und Zeit s<strong>ch</strong>on da. Man kann ni<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong> Kalkulationen mit <strong>Form</strong>en etwas finden o<strong>der</strong> erzeugen und dann feststellen: „das ist ja<br />

Zeit“ o<strong>der</strong> „das ist ja Raum“. Es ist ledig¬li<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong> zu erkennen, dass den Konzepten von<br />

Raum und Zeit die Idee <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zugrunde liegt. Über die Idee <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung kann man Zeit und Raum verstehen.<br />

Wir finden also: Zeit ist imaginär, Hier-Jetzt ist real.<br />

Existenz und Wahrheit<br />

Mit dem Begriff <strong>der</strong> Existenz wird übli<strong>ch</strong>erweise auf den Umstand Bezug genommen, dass<br />

wir Mens<strong>ch</strong>en in einer Realität leben, <strong>der</strong>en (äußere) Ers<strong>ch</strong>einung unserer Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

zugängli<strong>ch</strong> und <strong>der</strong>en Ers<strong>ch</strong>einung objektiv, also unabhängig von uns ist. Wir s<strong>ch</strong>einen ni<strong>ch</strong>t<br />

umhin zu können, unsere Lebenspraxis in <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong>art zu vollziehen, als wenn<br />

da etwas wäre, mit dem wir psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> und physis<strong>ch</strong> umgehen. Somit untermauert <strong>der</strong> Begriff<br />

<strong>der</strong> Existenz eine Unters<strong>ch</strong>eidung als gegeben – als wirkli<strong>ch</strong> vor aller Beoba<strong>ch</strong>tung: Der<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter und das Beoba<strong>ch</strong>tete seien grundvers<strong>ch</strong>ieden. O<strong>der</strong> in einer älteren<br />

Terminologie: Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Subjekt und Objekt ist. <strong>Die</strong>se Si<strong>ch</strong>t versperrt die<br />

Einsi<strong>ch</strong>t, dass das Beoba<strong>ch</strong>tete ni<strong>ch</strong>t das Beoba<strong>ch</strong>tete ist, wenn es ni<strong>ch</strong>t beoba<strong>ch</strong>tet wird;<br />

96


und dass zwei Wesen mit vers<strong>ch</strong>iedenen Sinnesapparaten vers<strong>ch</strong>iedene Realitäten<br />

ers<strong>ch</strong>einen.<br />

In dem Vorwort zur Auflage von 1994 s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown:<br />

„Was existiert, ist formell konstruiert dur<strong>ch</strong> die Postulierung eines hypothetis<strong>ch</strong>en Wesens,<br />

von dem angenommen wird, es nehme es wahr, und unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Wesen werden die<br />

Konstruktion unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Existenzen hervorbringen.“ (SPENCER BROWN 1997: XVIII)<br />

Was existiert, tut dies auf die jeweils beoba<strong>ch</strong>tete Art und Weise; also ni<strong>ch</strong>t von si<strong>ch</strong> aus,<br />

son<strong>der</strong>n nur im „Blick“ eines Beoba<strong>ch</strong>ters, wel<strong>ch</strong>er eine Existenz auf seine Weise<br />

wahrnimmt. Da so das Existierende von dem unters<strong>ch</strong>eidenden Beoba<strong>ch</strong>ter abhängt – also<br />

keine objektive Wirkli<strong>ch</strong>keit repräsentiert –, nehmen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Existenzen wahr. Und das ni<strong>ch</strong>t nur hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>iedener Sinnesorgane,<br />

die ja mit dem entspre<strong>ch</strong>enden „Auss<strong>ch</strong>nitt <strong>der</strong> Realität“ korres¬pondieren könnten,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem au<strong>ch</strong> in Bezug auf unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Wertungen,<br />

Bedeutungszus<strong>ch</strong>reibungen bzw. Ausri<strong>ch</strong>tungen von Aufmerk¬samkeit. Wir können deshalb<br />

im Allgemeinen ni<strong>ch</strong>t davon spre<strong>ch</strong>en, dass die eine Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> Welt wahrer als die<br />

an<strong>der</strong>e ist. <strong>Die</strong>s könnten wir ledigli<strong>ch</strong> im Hinblick auf bestimmte Voraussetzungen.<br />

Mit dem Begriff <strong>der</strong> Wahrheit wird auf eine Übereinstimmung <strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit mit Aussagen<br />

über diese Wirkli<strong>ch</strong>keit rekurriert . Wahr ist eine Aussage, wenn die Wirkli<strong>ch</strong>keit tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

so ist, wie es die Aussage behauptet. Somit untermauert dieser Begriff (in dieser Deutung)<br />

eine Unters<strong>ch</strong>eidung als gegeben: <strong>Die</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit und Aussagen über sie seien<br />

grundvers<strong>ch</strong>ieden.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Aussagen über Aussagen (statt: Aussagen über die Wirkli<strong>ch</strong>keit o<strong>der</strong><br />

Realität) können wir dagegen vorläufig formulieren: „Es gibt keine objektive Wahrheit!“ Wir<br />

geraten aber offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> in eine <strong>Paradoxie</strong>, wenn wir diese Aussage auf si<strong>ch</strong> selbst<br />

anwenden, indem wir sie auf ihre Wahrheit hin überprüfen. <strong>Die</strong> Aussage hat ja selbst die<br />

<strong>Form</strong> einer „objektiven Wahrheit“.<br />

Insofern, als wir Existenz und Wahrheit als Konstrukte und Resultate des Prozesses des<br />

Unters<strong>ch</strong>eidens erkennen können, nehmen wir ihnen ihre zentrale Stellung und erkennen sie<br />

als peripher (vgl. SPENCER BROWN 1997: 87f.; 1969: 101).<br />

„Wenn die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e heutiger Wissens<strong>ch</strong>aft darin liegt, dass sie um Existenz zentriert ist, ist<br />

die S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e heutiger Logik, dass sie um Wahrheit zentriert ist.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

88)<br />

Das wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Universum, die objektive <strong>Form</strong>, die wir mit Teleskopen und<br />

Mikroskopen untersu<strong>ch</strong>en und entdecken, ist ni<strong>ch</strong>t die <strong>Form</strong>, die unsere individuellen<br />

Unters<strong>ch</strong>iede unters<strong>ch</strong>eidet. <strong>Die</strong> objektive <strong>Form</strong> ist die <strong>Form</strong>, in <strong>der</strong> wir unsere grundlegende<br />

Einheit erkennen können, unsere Vielheit kondensiert zu eins: ... = . Wir<br />

betra<strong>ch</strong>ten dabei den Teil, <strong>der</strong> identis<strong>ch</strong> für uns alle ist; daher rührt seine Objektivität, die nur<br />

aufgrund des glei<strong>ch</strong>en Sinnesapparates diesen Ans<strong>ch</strong>ein erweckt.<br />

<strong>Die</strong> Sinnesorgane bestimmen die Welt, die wahrgenommen werden kann. Wie könnte ein<br />

Lebewesen mit an<strong>der</strong>en Sinnesorganen die glei<strong>ch</strong>e Realität erleben? Das Universum<br />

ers<strong>ch</strong>eint in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Sinne, denen es ers<strong>ch</strong>eint. Verän<strong>der</strong>t man<br />

die Sinne, ers<strong>ch</strong>eint ein an<strong>der</strong>es Universum. Wie könnte also ein Universum unabhängig<br />

vom Sinnesapparat (und letztli<strong>ch</strong> vom Beoba<strong>ch</strong>ter) sein? So ein Universum kann es ni<strong>ch</strong>t<br />

geben, weil es in Übereinstimmung mit den wahrnehmenden Sinnen ers<strong>ch</strong>eint. <strong>Die</strong>ser<br />

Argumentation zufolge kann es kein objektives Universum geben.<br />

Zuglei<strong>ch</strong> ist <strong>der</strong> Sinnesapparat au<strong>ch</strong> eine Eins<strong>ch</strong>ränkung, denn um über¬haupt etwas<br />

wahrzunehmen, kann man ni<strong>ch</strong>t alles wahrnehmen (siehe den Abs<strong>ch</strong>nitt „Selektive Blindheit,<br />

S. 180f.).<br />

97


Wir haben hier mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Universum und Sinnesapparat gearbeitet<br />

(die wie alle Unters<strong>ch</strong>eidungen nur „existiert“, wenn sie getroffen wird). Denn da das<br />

Universum si<strong>ch</strong> än<strong>der</strong>t in Abhängig¬keit und in Übereinstimmung mit den Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> es<br />

wahrnehmenden Sinne, haben wir Universum und Sinnesapparat ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ieden. Welt<br />

und Sinnesapparat gehören dann zusammen und wir gebrau<strong>ch</strong>en nur vers<strong>ch</strong>iedene Namen.<br />

Es spielen no<strong>ch</strong> sehr viel mehr „Faktoren“ als nur <strong>der</strong> bloße Sinnesap¬parat eine Rolle für<br />

die Realität, die wir wahrnehmen. In diesem Sinne spri<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Ludwig Wittgenstein, wenn<br />

er sagt, die Welt des Glückli<strong>ch</strong>en ist eine an<strong>der</strong>e als die des Unglückli<strong>ch</strong>en (siehe<br />

WITTGENSTEIN 1997: 83 (Proposition 6.43)). Wir erleben ni<strong>ch</strong>t die glei<strong>ch</strong>e Realität. Je<strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>¬ter erfährt die je eigene.<br />

Wir sehen, dass selbst dann, wenn wir das „Spiel“ <strong>der</strong> Wissens<strong>ch</strong>aft spielen und von einer<br />

objektiven Realität ausgehen, wir an den Punkt gelangen, dass es keine Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en uns und <strong>der</strong> Realität gibt – es sei denn, wir treffen sie.<br />

Wahrheit und Anzeige<br />

Was wir für die Existenz einer unabhängigen/absoluten Realität halten, ist ein Ergebnis <strong>der</strong><br />

Art und Weise, wie wir beoba<strong>ch</strong>ten und bes<strong>ch</strong>reiben (genauer: <strong>der</strong>jenigen Bes<strong>ch</strong>reibungen,<br />

die wir für wahr halten). Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> diese wahren Bes<strong>ch</strong>reibungen sind letztli<strong>ch</strong> nur:<br />

Bezei<strong>ch</strong>nungen im Rahmen einer <strong>Form</strong>, die wir vorausgesetzt haben. Ni<strong>ch</strong>t die existente<br />

Realität ist damit die voraussetzungslose Voraussetzung, son<strong>der</strong>n die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />

Wenn es keine objektive Realität gibt, wenn nur Ers<strong>ch</strong>einungen ers<strong>ch</strong>ei¬nen, die<br />

gewissermaßen mit dem Wahrnehmenden ko-existieren und ko-evoluieren, dann können<br />

Ers<strong>ch</strong>einungen auf jede mögli<strong>ch</strong>e Weise ers<strong>ch</strong>ei¬nen. Wie eine Realität ers<strong>ch</strong>eint, hängt<br />

dann von dem Standpunkt bzw. <strong>der</strong> Anzeige ab. Was einem Beoba<strong>ch</strong>ter ers<strong>ch</strong>eint, also als<br />

Realität erkannt wird, ist ni<strong>ch</strong>t wahr o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>. Nur: Wenn i<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen<br />

träfe, erlebte i<strong>ch</strong> eine an<strong>der</strong>e Realität.<br />

Da es keinen privilegierten Außenstandpunkt gibt, können wir das, was uns jeweils ers<strong>ch</strong>eint<br />

und was wir für wahr halten, ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> einen Abglei<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> vermeintli<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Realität absi<strong>ch</strong>ern. Wir können die Wahrheit dessen, was wir erleben aber auf unseren<br />

Standpunkt zurück¬führen. Deshalb s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown in den Anmerkungen<br />

zu den Laws of <strong>Form</strong>:<br />

„<strong>Die</strong>se <strong>Form</strong>en [des Kalküls; F. L.] sind somit ni<strong>ch</strong>t nur Vorläufer <strong>der</strong> Existenz, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong><br />

Vorläufer <strong>der</strong> Wahrheit.“ (SPENCER BROWN 1997: 88)<br />

Wahr ist, was einem Beoba<strong>ch</strong>ter ers<strong>ch</strong>eint; und was ers<strong>ch</strong>eint, hängt vom Standpunkt, von<br />

Wertungen und Unters<strong>ch</strong>eidungen ab, worauf <strong>der</strong> folgende Abs<strong>ch</strong>nitt hinaus läuft.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Frage na<strong>ch</strong> Wahrheit s<strong>ch</strong>eint mir die Anmerkung von Dirk Baecker zutreffend,<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> George Spencer Brown ni<strong>ch</strong>t an irgend¬einer Tugend des Kontrafaktis<strong>ch</strong>en<br />

gelegen ist (vgl. BAECKER 1993b: 9). Es geht ni<strong>ch</strong>t um irgend etwas, das unabhängig von<br />

dem beoba<strong>ch</strong>tet werden könnte, was si<strong>ch</strong> jeweils realisiert.<br />

Anzeige und <strong>Form</strong><br />

Der Beoba<strong>ch</strong>ter erzeugt eine Existenz, indem er eine Unters<strong>ch</strong>eidung trifft. Mit den Laws of<br />

<strong>Form</strong> finden wir zunä<strong>ch</strong>st eine erste Identität: Etwas wird angezeigt. Wir können jedo<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts produzieren, ohne zuglei<strong>ch</strong> mitzu¬produzieren, was es ni<strong>ch</strong>t ist. Jede Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

können wir in dieser Hinsi<strong>ch</strong>t als Aufspaltung einer Einheit ansehen. Des Weiteren<br />

produzieren wir zuglei<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung <strong>der</strong> beiden Seiten die Grenze<br />

zwis<strong>ch</strong>en ihnen. <strong>Die</strong> dreifa<strong>ch</strong>e Identität besteht aus dem Ding (<strong>der</strong> ange¬zeigten Seite),<br />

aus dem, was es ni<strong>ch</strong>t ist, und aus <strong>der</strong> Grenze dazwis<strong>ch</strong>en.<br />

98


„Wir erzeugen eine Existenz, indem wir die Elemente einer dreifa<strong>ch</strong>en Identität<br />

auseinan<strong>der</strong>nehmen. <strong>Die</strong> Existenz erlis<strong>ch</strong>t, wenn wir sie wie<strong>der</strong> zusammenfügen. Jede<br />

Kennzei<strong>ch</strong>nung impliziert Dualität, wir können kein Ding produzieren, ohne Koproduktion<br />

dessen, was es ni<strong>ch</strong>t ist, und jede Dualität impliziert Triplizität: Was das Ding ist, was es<br />

ni<strong>ch</strong>t ist, und die Grenze dazwis<strong>ch</strong>en. Wie im Kapitel 1 <strong>der</strong> Laws dargelegt, können wir ni<strong>ch</strong>t<br />

irgend etwas kennzei<strong>ch</strong>nen, ohne zwei Zustände zu definieren, und wir können ni<strong>ch</strong>t zwei<br />

Zustände definieren, ohne drei Elemente zu ers<strong>ch</strong>affen. Ni<strong>ch</strong>ts davon existiert in <strong>der</strong> Realität<br />

o<strong>der</strong> getrennt von den an<strong>der</strong>en.“ (SPENCER BROWN 1997: XVIII)<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Differenz liegt dem Konzept von Einheit zu Grunde: Ein Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

erkennt etwas als Einheit, weil er die Einheit von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>eidet. Ohne den<br />

Gebrau<strong>ch</strong> von Differenz kann keine Einheit beoba<strong>ch</strong>tet werden. <strong>Die</strong> Zweiheit geht <strong>der</strong> Einheit<br />

voraus, denn eine Einheit (das, was wahrgenommen wird) ist nur in Abgrenzung zu dem,<br />

was sie ni<strong>ch</strong>t ist, erfassbar.<br />

Aber als Differenz ist die Differenz eine Einheit. Sie unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von an<strong>der</strong>en<br />

Differenzen. Einheiten sind in <strong>Form</strong> von Differenz hand¬habbar. Und insofern geht <strong>der</strong><br />

Zweiheit immer eine Einheit voraus, denn Zweiheit kommt nur zustande, indem eine Einheit<br />

geteilt, unters<strong>ch</strong>ieden wurde.<br />

<strong>Die</strong> Welt enthält keine Einheiten. Sie ist die All-Einheit, in <strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>ieht, was ges<strong>ch</strong>ieht. Nur<br />

ein Beoba<strong>ch</strong>ter konstruiert Einheiten. Der Beoba<strong>ch</strong>ter gebrau<strong>ch</strong>t Differenzen, um mit<br />

Einheiten (vermittels Bezei<strong>ch</strong>¬nungen) operieren zu können.<br />

Das heißt also, dass je<strong>der</strong> Standpunkt (jede Anzeige) auf eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung (<strong>Form</strong>)<br />

zurückführbar ist. Jede Welt ist eine beoba<strong>ch</strong>tete Welt.<br />

<strong>Form</strong> und Leere<br />

<strong>Die</strong> für Lebewesen erfahrbare Welt ist vollkommen in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>. Dadur<strong>ch</strong>, dass sie <strong>Form</strong> ist,<br />

ist sie erfahrbar. Lebewesen können etwas nur wahr¬nehmen o<strong>der</strong> erkennen, weil sie es von<br />

an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden haben. Wäre es ni<strong>ch</strong>t von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden – in wel<strong>ch</strong>er <strong>Form</strong><br />

au<strong>ch</strong> immer –, dann wäre es ni<strong>ch</strong>t wahrnehmbar. Wäre es ni<strong>ch</strong>t von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>ieden,<br />

würde es keinen Unters<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>en. Nur so kann es erkannt werden. <strong>Die</strong>s gilt für<br />

Gegenstände, den eigenen Körper, Gedanken, Gefühle und alles an<strong>der</strong>e. Also ist alles, was<br />

auf irgend eine Art und Weise ist, also von einem Beoba<strong>ch</strong>ter wahrgenommen o<strong>der</strong> erkannt<br />

wird, <strong>Form</strong>. Alles ist, wie au<strong>ch</strong> immer es ist – jedenfalls vers<strong>ch</strong>ieden von an<strong>der</strong>em.<br />

Der „Logik“ <strong>der</strong> <strong>Form</strong> entspri<strong>ch</strong>t, dass mit <strong>Form</strong> au<strong>ch</strong> eine an<strong>der</strong>e Seite <strong>der</strong> <strong>Form</strong> koproduziert<br />

wird. Wenn wir über das spre<strong>ch</strong>en, was den Rahmen o<strong>der</strong> die Grundlage für die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen symbolisiert, benötigen wir einen Namen, <strong>der</strong> (für dieses „Unding“) jedo<strong>ch</strong><br />

keinen erläuternden Charakter haben kann, da er als Name s<strong>ch</strong>on Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen trägt.<br />

Unter diesem Vorbehalt nennen wir ihn in Anlehnung an George Spencer Brown empty<br />

space. Der Name und das Spre<strong>ch</strong>en über etwas suggerieren s<strong>ch</strong>on, dass da etwas wäre.<br />

Das ist das Dilemma, in das wir uns begeben, wenn wir über das spre<strong>ch</strong>en, in dem<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen getroffen werden und das selbst unters<strong>ch</strong>iedslos ist. Wir gebrau<strong>ch</strong>en eine<br />

buddhistis<strong>ch</strong>e Ans<strong>ch</strong>auung, um zu formulieren: Das Medium <strong>der</strong> <strong>Form</strong> ist die Leere.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Leere bezei<strong>ch</strong>net die „völlige“ Abwesenheit jedes Unters<strong>ch</strong>iedes. Das Bild<br />

des leeren Raumes geht also fehl, da Leere we<strong>der</strong> auf einer <strong>der</strong> Seiten <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

leer/ni<strong>ch</strong>t-leer ist no<strong>ch</strong> die Unter¬s<strong>ch</strong>eidungen beinhaltet, die benötigt werden, um die Idee<br />

eines Raumes (im umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sinne) zu haben. Nimmt man den ersten Satz des<br />

Absatzes als Bes<strong>ch</strong>reibung von Leere, so gilt selbiges für Anwesen¬heit/Abwesenheit und<br />

Unters<strong>ch</strong>iedenheit/Identität. Keine Bes<strong>ch</strong>reibung kann Leere wie<strong>der</strong>geben. <strong>Die</strong> Leere „ist“,<br />

wie das Universum ohne wahr¬nehmenden Beoba<strong>ch</strong>ter/Sinnesapparat ist. Leere meint:<br />

keine Etwas-heit, die Abwesenheit jegli<strong>ch</strong>er Dinghaftigkeit; in <strong>der</strong> Leere kann auf ni<strong>ch</strong>ts<br />

zugegriffen werden, weil ni<strong>ch</strong>ts angezeigt ist, weil ni<strong>ch</strong>ts unters<strong>ch</strong>ieden ist. Leere ist<br />

99


Offenheit für jede Verletzung dur<strong>ch</strong> einen Beoba<strong>ch</strong>ter, dur<strong>ch</strong> eine Unters<strong>ch</strong>eidung. Leere ist<br />

das Medium für <strong>Form</strong>. Wie bei allen Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen (man denke beispielsweise an<br />

Bewegung und Ruhe): Es gibt ni<strong>ch</strong>t das eine ohne das an<strong>der</strong>e.<br />

Daher kommt die buddhistis<strong>ch</strong>e Weisheit:<br />

„<strong>Form</strong> ist Leere, Leere ist <strong>Form</strong>.“ ,<br />

die im folgenden Kapitel in <strong>Form</strong> einer Erörterung des „nullten Kanons“, <strong>der</strong> den Laws of<br />

<strong>Form</strong> na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> vorangestellt wurde, vertieft wird.<br />

In Bezug auf den Ursprung aller Dinge, den empty space, und die Entstehung von allem aus<br />

ihm wäre keine Unters<strong>ch</strong>eidung wahrer als eine an<strong>der</strong>e. Wahrheit ist ein Ergebnis des<br />

Treffens von Unters<strong>ch</strong>eidungen. Deshalb lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr sagen, als dass die Dinge so<br />

sind, wie sie sind, o<strong>der</strong> mit Humberto R. Maturana: erlaubt ist, was erlaubt ist. Daher rührt<br />

au<strong>ch</strong> die Rhetorik, die George Spencer Brown gebrau<strong>ch</strong>t: „Triff eine Unters<strong>ch</strong>eidung!“ Mit<br />

dem auffor<strong>der</strong>nden Imperativ umgeht er, (stets implizit) von Wahrheit reden zu müssen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong> ist das Wandelbare – die Leere ist unwandelbar, ewig mit si<strong>ch</strong> selbst<br />

identis<strong>ch</strong>.<br />

Peter Fu<strong>ch</strong>s sieht in <strong>der</strong> Leere das Versteck einer weiteren Ontologie; als wäre die Leere<br />

die wirkli<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit und die <strong>Form</strong>en eine s<strong>ch</strong>einbare Wirkli<strong>ch</strong>keit.<br />

„Wirkli<strong>ch</strong>keiten sind Beoba<strong>ch</strong>tungsresultate. Wenn gesagt wird, hinter diesen Realitäten<br />

sei etwas wirkli<strong>ch</strong> Wirkli<strong>ch</strong>es o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> nur eine Leere, ein All-Eines etc., s<strong>ch</strong>nappt erneut<br />

die Falle <strong>der</strong> Ontologie zu.“ (FUCHS 2004: 0.4.6.1)<br />

Im vorliegenden Text wird aber keineswegs die These vertreten, dass die Leere wahrer o<strong>der</strong><br />

realer sei als die <strong>Form</strong>en. Vielmehr geht es darum zu erkennen, dass <strong>Form</strong> und Leere<br />

untrennbar verbunden sind. <strong>Die</strong> Leere ist ja eben auf keine Weise beoba<strong>ch</strong>tbar. Würde sie<br />

jemand beoba<strong>ch</strong>ten, das heißt unters<strong>ch</strong>eiden und bezei<strong>ch</strong>nen (o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> nur anzeigen,<br />

indem an<strong>der</strong>es ungezeigt bliebe), wäre sie ni<strong>ch</strong>t mehr die Leere. Zudem etabliert jede<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>-tetem. Ein praktis<strong>ch</strong>er<br />

Umgang mit dieser S<strong>ch</strong>wierigkeit, die Leere in den <strong>Form</strong>en zu sehen wird im Abs<strong>ch</strong>nitt zu<br />

Zen angedeutet. (S. 193f.)<br />

3. Das Entstehen von Universen<br />

Abs<strong>ch</strong>ließend wenden wir uns <strong>der</strong> Frage zu, wie es in dieser Theorie¬konzeption<br />

bes<strong>ch</strong>reibbar o<strong>der</strong> erklärbar ist, dass wir überhaupt eine Wirk¬li<strong>ch</strong>keit erleben bzw. dass ein<br />

Universum entsteht.<br />

Na<strong>ch</strong>dem mit den ersten beiden Abs<strong>ch</strong>nitten die Welt unterteilt wurde in Beoba<strong>ch</strong>ter und<br />

Beoba<strong>ch</strong>tetes, soll nun <strong>der</strong>en Einheit in den Blick ge¬nommen werden. Aus daoistis<strong>ch</strong>er<br />

o<strong>der</strong> buddhistis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist das Interessante an den Laws of <strong>Form</strong> und au<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

Systemtheorie, dass in ihnen hervorgehoben wird, dass es immer ein Beoba<strong>ch</strong>ter ist, <strong>der</strong><br />

eine Wirkli<strong>ch</strong>keit auf seine Weise, mit seinen Unters<strong>ch</strong>eidungen und Wertungen wahrnimmt.<br />

Man wird auf si<strong>ch</strong> selbst aufmerksam gema<strong>ch</strong>t. Es geht weiterhin um Beoba<strong>ch</strong>tungen, die<br />

na<strong>ch</strong> außen geri<strong>ch</strong>tet sind, aber eben au<strong>ch</strong> stets darum, si<strong>ch</strong> selbst als denjenigen zu<br />

erfahren, <strong>der</strong> diese eigene Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Dinge wahr-nimmt und wahr-ma<strong>ch</strong>t – und damit si<strong>ch</strong><br />

selbst als die Welt zu erleben, die man sieht. Darin liegt die Einheit von allem, die All-Einheit,<br />

die identis<strong>ch</strong> mit Leere ist.<br />

100


<strong>Die</strong> „Anmerkungen zum mathematis<strong>ch</strong>en Zugang“, das ist die erste Vorbemerkung des<br />

Originaltextes <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, beginnen mit:<br />

„Das Thema dieses Bu<strong>ch</strong>es ist, dass ein Universum zum Dasein gelangt, wenn ein Raum<br />

getrennt o<strong>der</strong> geteilt wird. <strong>Die</strong> Haut eines lebenden Organismus trennt eine Außenseite von<br />

einer Innenseite. Das glei<strong>ch</strong>e tut <strong>der</strong> Umfang eines Kreises in einer Ebene. Indem wir mit<br />

unserer Darstellungsweise einer sol<strong>ch</strong>en Trennung na<strong>ch</strong>spüren, können wir damit beginnen,<br />

die <strong>Form</strong>en, die <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft wie <strong>der</strong> mathematis<strong>ch</strong>en, physikalis<strong>ch</strong>en und<br />

biologis<strong>ch</strong>en zugrunde liegen, mit einer Genauigkeit und in einem Umfang, die fast<br />

unheimli<strong>ch</strong> wirken, zu rekonstruieren, und können anfangen zu erkennen, wie die vertrauten<br />

Gesetze unserer eigenen Erfahrung unweigerli<strong>ch</strong> aus dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Akt <strong>der</strong> Trennung<br />

folgen. Der Akt selbst bleibt, wenn au<strong>ch</strong> unbewusst, im Gedä<strong>ch</strong>tnis als unser erster Versu<strong>ch</strong>,<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Dinge in einer Welt zu unters<strong>ch</strong>eiden, in <strong>der</strong> anfängli<strong>ch</strong> die Grenzen gezogen<br />

werden können, wo immer es uns beliebt. Auf dieser Stufe kann das Universum ni<strong>ch</strong>t<br />

unters<strong>ch</strong>ieden werden von <strong>der</strong> Art, wie wir es behandeln, und die Welt mag ers<strong>ch</strong>einen wie<br />

zerrinnen<strong>der</strong> Sand unter unseren Füssen.“ (SPENCER BROWN 1997: XXXV)<br />

<strong>Die</strong> übli<strong>ch</strong>e Methode, Wissen über die Welt o<strong>der</strong> das Universum zu erhalten, kritisiert George<br />

Spencer Brown mit einem Verweis darauf, dass sie es unterlässt, die Frage zu klären, wie es<br />

zu all dem, was man unter¬su<strong>ch</strong>t, überhaupt erst kommt und wel<strong>ch</strong>e Rolle man selbst und<br />

die eigenen Erwartungen dabei spielen.<br />

„Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Erkenntnis, die dur<strong>ch</strong> Studieren <strong>der</strong> Ers<strong>ch</strong>einung dessen erlangt wird,<br />

was wir Dinge nennen, liefert uns keine Darstellung <strong>der</strong>en grundlegenden Natur, sagt ni<strong>ch</strong>ts<br />

über <strong>der</strong>en Herkunft und ni<strong>ch</strong>ts darüber, wie sie zum Existieren kamen und was sie wirkli<strong>ch</strong><br />

sind.“ (SPENCER BROWN 1995: 19)<br />

In diesem Satz verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t George Spencer Brown die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Frageri<strong>ch</strong>tung<br />

(„Wie“ statt „Was“). Indem er vorgibt zu wissen und mit den Laws of <strong>Form</strong> mitteilen zu<br />

können, was die Ursa<strong>ch</strong>e dessen ist, was wir Realität o<strong>der</strong> Universum nennen, nimmt er die<br />

Konstruiertheit dessen an, was wir „Dinge“ nennen. Seine Absi<strong>ch</strong>t ist demna<strong>ch</strong>, uns darüber<br />

aufzu¬klären, was wir taten und tun, um diese Realität zu erzeugen. Aufgrund <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

seiner Darstellung kann man sagen, dass ni<strong>ch</strong>ts aus si<strong>ch</strong> heraus besteht. Alles basiert auf<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen, die jemand trifft.<br />

Kanon Null: Koproduktion<br />

Wir kommen zunä<strong>ch</strong>st auf den Zusammenhang von <strong>Form</strong> und Leere zurück: Der Anfang<br />

von allem (die Leere) ist unters<strong>ch</strong>iedslos; so unter¬s<strong>ch</strong>iedslos, dass er selbst die<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>iedenheit und Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit umfasst. Lao-<br />

Zi nannte ihn Dao (wir kommen auf diesen Zusammenhang explizit zu spre<strong>ch</strong>en in Kapitel III.<br />

3. im Abs<strong>ch</strong>nitt „Das Dao und <strong>der</strong> empty space“, S. 182ff.). <strong>Die</strong>s können wir als an<strong>der</strong>e Seite<br />

<strong>der</strong> <strong>Form</strong> ansehen. Na<strong>ch</strong> George Spencer Browns Kalkül <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung ist das, was ein<br />

Ding ist, und das, was es ni<strong>ch</strong>t ist, <strong>der</strong> <strong>Form</strong> na<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong>, denn sie sind die beiden<br />

Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung mit einer gemeinsamen Grenze, wodur<strong>ch</strong> sie si<strong>ch</strong><br />

gegenseitig bedingen.<br />

Das Äquivalent zu <strong>der</strong> oben erwähnten, aus dem Buddhismus kommen¬den <strong>Form</strong>ulierung<br />

<strong>der</strong> „Identität“ von <strong>Form</strong> und Leere findet si<strong>ch</strong> bei George Spencer Brown erst in <strong>der</strong><br />

deuts<strong>ch</strong>en Auflage. Es wird dem Text als Beginn <strong>der</strong> ersten Einleitung vorangestellt und als<br />

Kanon Null bezei<strong>ch</strong>net:<br />

„Der gesamte Text <strong>der</strong> Laws kann auf ein Prinzip reduziert werden, wel<strong>ch</strong>es wie folgt<br />

aufgezei<strong>ch</strong>net werden könnte.<br />

Kanon Null (Koproduktion): Was ein Ding ist, und was es ni<strong>ch</strong>t ist, sind, in <strong>der</strong> <strong>Form</strong>,<br />

identis<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>.“ (SPENCER BROWN 1997: IX)<br />

101


Das heißt: Um festzulegen, was ein Ding ist, benötigt man eine Grenze o<strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, die mit festlegt, was die an<strong>der</strong>e Seite ist, das, was das Ding ni<strong>ch</strong>t ist.<br />

Damit sind au<strong>ch</strong> Alles (<strong>Form</strong>) und Ni<strong>ch</strong>ts ( ) <strong>der</strong> <strong>Form</strong> na<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong>.<br />

Das Ni<strong>ch</strong>ts – bzw. die Leere – repräsentiert den Zustand, in dem alle Unters<strong>ch</strong>eidungen<br />

aufgehoben sind; dieser Raum enthielte keine Unter¬s<strong>ch</strong>iede, hätte keinerlei Eigens<strong>ch</strong>aft –<br />

ni<strong>ch</strong>t einmal die, ein Raum o<strong>der</strong> eigens<strong>ch</strong>aftslos zu sein. Und er hätte ebenso ni<strong>ch</strong>t die<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft, diese Eigens<strong>ch</strong>aften ni<strong>ch</strong>t zu besitzen usw. <strong>Die</strong>ser Zustand wäre<br />

bewegungslos, weil jede Bewegung o<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung anzeigen würde, dass dort etwas<br />

wäre, was si<strong>ch</strong> verän<strong>der</strong>t, und damit ni<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>ts.<br />

Das Alles steht für den Zustand, in dem alle Unters<strong>ch</strong>eidungen getroffen sind. <strong>Die</strong>sem<br />

könnte ni<strong>ch</strong>ts hinzugefügt werden, was er ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on enthielte, da er jede Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

s<strong>ch</strong>on getroffen hat; au<strong>ch</strong> er wäre deshalb bewegungslos, weil er s<strong>ch</strong>on alles enthält. Er<br />

kann si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr verän<strong>der</strong>n, weil er jede Verän<strong>der</strong>ung s<strong>ch</strong>on enthält. Ihm kann ni<strong>ch</strong>ts<br />

hinzu¬gefügt werden, ohne dass er vorher ni<strong>ch</strong>t alles gewesen wäre.<br />

<strong>Die</strong> Struktur <strong>der</strong> formalen Identität zwis<strong>ch</strong>en Allem und Ni<strong>ch</strong>ts können wir au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Zeit-<br />

Diskussion finden (siehe die entspre<strong>ch</strong>enden Abs<strong>ch</strong>nitte in I. 4.: „Der re-entry und <strong>der</strong><br />

imaginäre Wert“, S. 93f., und III. 2.: „Zeit und Raum“, S. 163ff.). Da Unendli<strong>ch</strong>keit (in <strong>der</strong> Zeit)<br />

kein Ende findet, ist sie aus <strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t zu unters<strong>ch</strong>eiden<br />

von Zeitlosigkeit, die ebenfalls keinen Unters<strong>ch</strong>ied in <strong>der</strong> Zeit ma<strong>ch</strong>t.<br />

Auf <strong>der</strong> Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> dem Außerhalb <strong>der</strong> <strong>Form</strong> stoßen wir an eine Grenze: Aus <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

heraustreten zu wollen, würde erfor<strong>der</strong>n, eine Unter¬s<strong>ch</strong>eidung zu treffen, die das Treffen<br />

von Unters<strong>ch</strong>eidungen von an<strong>der</strong>em unters<strong>ch</strong>eidet, und das heißt immer s<strong>ch</strong>on, in eine neue<br />

<strong>Form</strong> einzutreten, eben eine Unters<strong>ch</strong>eidung zu treffen. Alles, was unsere Welt war und ist<br />

und sein wird, ist <strong>Form</strong>. Der Gegensatz ist dann das Undenkbare o<strong>der</strong> das Ni<strong>ch</strong>t-Denken.<br />

Ni<strong>ch</strong>ts ist unabhängig von dem Bewusstsein, das es wahrnimmt.<br />

<strong>Die</strong> Doppeldeutigkeit dieser These liegt in <strong>der</strong> Lesart des „ni<strong>ch</strong>ts“ als Substantiv (groß<br />

ges<strong>ch</strong>rieben) o<strong>der</strong> Indefinitpronomen (klein ges<strong>ch</strong>rieben). Als Bes<strong>ch</strong>reibung des Ni<strong>ch</strong>ts trifft<br />

die Aussage zu, denn nur Ni<strong>ch</strong>ts ist unabhängig von einem Beoba<strong>ch</strong>ter: wenn es von einem<br />

Bewusstsein abhinge, müsste es etwas sein, also ni<strong>ch</strong>t Ni<strong>ch</strong>ts. Eben darauf, dass<br />

Wahr¬nehmung immer auf Trennung/Unters<strong>ch</strong>eidung, was niemals ni<strong>ch</strong>ts ist, beruht, basiert<br />

die zweite Lesart <strong>der</strong> Aussage: Was au<strong>ch</strong> immer (von jemandem) wahrgenommen wird, ist<br />

abhängig von dem wahrnehmenden Bewusstsein/Beoba<strong>ch</strong>ter. O<strong>der</strong> mit Niklas Luhmann:<br />

„<strong>Die</strong> Erkenntnis projiziert Unters<strong>ch</strong>iede in eine Realität, die keine Unters<strong>ch</strong>iede kennt.“<br />

(LUHMANN 1988a: 38)<br />

In den Laws of <strong>Form</strong> geht es um den Na<strong>ch</strong>weis, dass die Welt dur<strong>ch</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

konstruiert wird. Damit ist ni<strong>ch</strong>t beabsi<strong>ch</strong>tigt, dem, was wir wahrnehmen, die Gültigkeit<br />

abzuspre<strong>ch</strong>en, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Erkenntnis Ausdruck zu verleihen, dass wir Beoba<strong>ch</strong>ter dur<strong>ch</strong><br />

die Unters<strong>ch</strong>eidungen, die wir treffen, das Beoba<strong>ch</strong>tete konstruieren und strukturieren. Damit<br />

ist ni<strong>ch</strong>t die Behauptung einer Vorgängigkeit von Beoba<strong>ch</strong>ter o<strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>¬tetem intendiert,<br />

son<strong>der</strong>n ledigli<strong>ch</strong> das Hervorheben bestimmter Erkennt¬nisse, die si<strong>ch</strong> aus <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

<strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung ergeben. Das können wir au<strong>ch</strong> als Ziel von George Spencer Brown in den<br />

Laws of <strong>Form</strong> identifi¬zieren, wenn er s<strong>ch</strong>reibt,<br />

„(...) unser Verständnis eines sol<strong>ch</strong>en Universums kommt ni<strong>ch</strong>t daher, dass wir seine<br />

gegenwärtige Ers<strong>ch</strong>einung entdecken, son<strong>der</strong>n von unserer Erinnerung an das, was wir<br />

ursprüngli<strong>ch</strong> taten, um es hervorzubringen.“ (SPENCER BROWN 1997: 90)<br />

In diesem Zusammenhang bes<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown seine Lehre als<br />

Ri<strong>ch</strong>tigstellung eines alten Irrglaubens, <strong>der</strong> besagt: Da Ni<strong>ch</strong>ts keine <strong>Form</strong> hat, kann Ni<strong>ch</strong>ts<br />

102


keine konditionierte Struktur besitzen und mithin ni<strong>ch</strong>t die Basis von beoba<strong>ch</strong>teten<br />

Phänomenen sein, da diese sehr wohl eine konditionierte Struktur haben.<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> wird gezeigt, dass Ni<strong>ch</strong>ts in <strong>der</strong> Tat eine kondi¬tionierte Struktur hat:<br />

„(...) wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung in ni<strong>ch</strong>ts getroffen werden könnte, dann (würde) das Ganze<br />

<strong>der</strong> konditionierten Koproduktion, <strong>der</strong>en Operation unentrinnbar ist und vollständig si<strong>ch</strong>tbar,<br />

unvermeidli<strong>ch</strong> stattfinden, und das erkennbare Universum würde unvermeidli<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>einen,<br />

ganz genau gemäß den Gesetzen „seiner“ <strong>Form</strong> (in <strong>der</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Gesetze <strong>der</strong> <strong>Form</strong><br />

<strong>der</strong> Dinge, die „darin“ ers<strong>ch</strong>einen, da es selbst keine <strong>Form</strong> hat) (...).“ (SPENCER BROWN<br />

1997: X)<br />

Somit würde das erkennbare Universum gemäß <strong>der</strong> Gesetze <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Dinge<br />

ers<strong>ch</strong>einen, die im aus ni<strong>ch</strong>ts produzierten Universum auftreten. Es sind genau diese<br />

Gesetze, die anfängli<strong>ch</strong> in den Laws of <strong>Form</strong> dargestellt sind.<br />

<strong>Die</strong> zentrale Aussage, die si<strong>ch</strong> hinter den Laws of <strong>Form</strong> für die Erkennt¬nistheorie zu<br />

erkennen gibt, ist dass die Leere – <strong>der</strong> empty space – Ausgangspunkt von allem ist. So<br />

s<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown in A Lions Teeth:<br />

„Ein Buddha ist jemand, <strong>der</strong> erleu<strong>ch</strong>tet ist, das heißt <strong>der</strong> weiß, dass das, was ers<strong>ch</strong>eint,<br />

überhaupt ni<strong>ch</strong>ts ist.“ (SPENCER BROWN 1995: 15)<br />

Was wir beoba<strong>ch</strong>ten, sind Dinge, die in <strong>der</strong> <strong>Form</strong> gründen, die <strong>Form</strong> sind, und die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung ist Leere. Insofern ist Erleu<strong>ch</strong>tung au<strong>ch</strong> kein Zustand. Erleu<strong>ch</strong>tet zu sein<br />

heißt vielmehr zu wissen, dass Selbst und An<strong>der</strong>es identis<strong>ch</strong> sind. Au<strong>ch</strong> das ist eine <strong>Form</strong>.<br />

Aber wer kann das dann no<strong>ch</strong> wissen?<br />

Wenn das Universum bzw. die <strong>Form</strong> „Ni<strong>ch</strong>ts“ ist, stellt si<strong>ch</strong> die Frage, wie es dann zu <strong>der</strong><br />

Ers<strong>ch</strong>einung von „Allem“ kommen kann.<br />

Zentral ist die Idee des Von-selbst-Losgehens. Alles hat eine Ursa<strong>ch</strong>e, nur DAS hat keine!<br />

Wir kommen damit auf den Ausgangspunkt <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, den empty space, zurück: Wie<br />

ist dasjenige vorstellbar, das zulässt, die Unters<strong>ch</strong>eidungen zu treffen (und da es ni<strong>ch</strong>ts<br />

außer ihm gibt, trifft es sie selbst?), aber selbst keine enthält? Und vor allem, wie kann die<br />

Welt, wie wir sie erleben, dem empty space, dem Ni<strong>ch</strong>ts, entspringen? O<strong>der</strong> allgemeiner:<br />

„Wenn man mit überhaupt ni<strong>ch</strong>ts beginnt, wie kann dann aus diesem heraus etwas<br />

ers<strong>ch</strong>einen?“ (SPENCER BROWN 1995: 149)<br />

<strong>Die</strong> Antwort, die George Spencer Brown auf sol<strong>ch</strong>e Fragen vors<strong>ch</strong>lägt, lautet, dass nur das<br />

Ni<strong>ch</strong>ts gewissermaßen sensibel genug ist, um dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts angestoßen zu werden und Alles<br />

zu produzieren.<br />

„I<strong>ch</strong> erkannte, dass das einzige Ding (d. h. Ni<strong>ch</strong>tding), das empfindli<strong>ch</strong> genug wäre, um von<br />

einem Reiz, <strong>der</strong> so s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> ist, dass er gar ni<strong>ch</strong>t existiert, beeinflusst zu werden, das Ni<strong>ch</strong>ts<br />

selbst war.“ (SPENCER BROWN 1995: 151)<br />

Das Gesetz, das er angibt, das Universum zu produzieren, ist die Erweite¬rung <strong>der</strong> Referenz<br />

, die unbegrenzt stattfinde. Denn na<strong>ch</strong>dem <strong>der</strong> Ent¬stehungsprozess erst einmal begann<br />

(und immer wie<strong>der</strong> von Augenblick zu Augenblick beginnt), erlaubt dieser Kanon die<br />

unaufhörli<strong>ch</strong>e Aufspaltung von Unters<strong>ch</strong>eidungen, so dass das Entstehende zunehmend<br />

komplexer wird.<br />

103


Zirkularität und konditionierte Koproduktion<br />

Das Konzept <strong>der</strong> konditionierten Koproduktion , von dem George Spencer Brown in den<br />

Anmerkungen spri<strong>ch</strong>t, bes<strong>ch</strong>reibt, dass we<strong>der</strong> die Welt no<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter einen Vorrang<br />

vor dem an<strong>der</strong>en haben. Im Umgang mit einer Umwelt entwickelt ein System Strukturen, mit<br />

denen es mit <strong>der</strong> Umwelt umgehen kann. Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist ni<strong>ch</strong>t nur <strong>der</strong> „Erzeu¬ger“ von<br />

Welt, son<strong>der</strong>n glei<strong>ch</strong>ermaßen <strong>der</strong> „Erzeugte“. Peter Fu<strong>ch</strong>s bes<strong>ch</strong>reibt diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt<br />

und kommt zu dem S<strong>ch</strong>luss:<br />

„<strong>Die</strong> Figur <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung als (...) erzeugend Erzeugtes ist erhebli<strong>ch</strong> vitalisiert worden,<br />

seitdem George Spencer Browns Kalkül auf sie appliziert werden kann.“ (FUCHS 2003a: 75)<br />

Au<strong>ch</strong> Humberto R. Maturana formuliert, was wir s<strong>ch</strong>on aus den Laws of <strong>Form</strong> ersehen<br />

haben:<br />

„Ohne den Beoba<strong>ch</strong>ter gibt es ni<strong>ch</strong>ts!“ (MATURANA 2003: 109)<br />

Das heißt, jedem „Sein“ (als Gegensatz des „ni<strong>ch</strong>ts“ aus dem Zitat) liegt ein Beoba<strong>ch</strong>ter zu<br />

Grunde. Beoba<strong>ch</strong>ter und Welt kommen und gehen gemeinsam. In <strong>der</strong> Erfors<strong>ch</strong>ung und<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung von Beoba<strong>ch</strong>tung geraten wir in eine zirkuläre Position, die für Humberto R.<br />

Maturana <strong>der</strong> Ausgangspunkt für obige Feststellung ist:<br />

„Es ist <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter, dessen Operation i<strong>ch</strong> – operierend als ein Beoba<strong>ch</strong>ter – verstehen<br />

mö<strong>ch</strong>te; es ist die Spra<strong>ch</strong>e, die i<strong>ch</strong> – in <strong>der</strong> Spra<strong>ch</strong>e lebend – erklären will; es ist das<br />

Spre<strong>ch</strong>en, das i<strong>ch</strong> – spre<strong>ch</strong>end – genauer bes<strong>ch</strong>reiben mö<strong>ch</strong>te. Kurzum: Es gibt keine<br />

Außensi<strong>ch</strong>t dessen, was es zu erklären gilt.“ (MATURANA 2003: 109)<br />

O<strong>der</strong> in einer etwas an<strong>der</strong>en <strong>Form</strong>ulierung:<br />

„Der Beoba<strong>ch</strong>ter ist das Fors<strong>ch</strong>ungsthema, das i<strong>ch</strong> habe, er ist das Fors<strong>ch</strong>ungsziel und<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig unvermeidli<strong>ch</strong> das Instrument <strong>der</strong> Erfors<strong>ch</strong>ung.“ (MATURANA 2003: 109)<br />

Das verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t die Position des Wissens<strong>ch</strong>aftlers, <strong>der</strong> beoba<strong>ch</strong>tend die Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

erfors<strong>ch</strong>t und damit unweigerli<strong>ch</strong> in einen selbstbezügli<strong>ch</strong>en Zirkel gerät. George Spencer<br />

Brown meint mit <strong>der</strong> konditionierten Ko¬produktion jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> etwas Allgemeineres.<br />

Ausgangspunkt ist die „Erweiterung <strong>der</strong> Referenz“, die na<strong>ch</strong> dem fünf¬ten Kanon<br />

uneinges<strong>ch</strong>ränkt fortgesetzt werden kann. Für den Indikationen¬kalkül bedeutet das, dass<br />

je<strong>der</strong> Raum, jede Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung weiter unters<strong>ch</strong>ieden werden kann. Für die<br />

Erkenntnistheorie können wir dies interpretieren: Wenn wir eine Seite weiter<br />

ausdifferenzieren, bezei<strong>ch</strong>¬nen wir etwas an<strong>der</strong>es als zuvor. Und damit än<strong>der</strong>t si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die<br />

unbezei<strong>ch</strong>nete Seite. Wenn Beoba<strong>ch</strong>ter unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ausdifferenziert beoba<strong>ch</strong>ten,<br />

erzeugen sie unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Welten. Das heißt, dass die eine Seite mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

koproduziert wird; sie bedingen einan<strong>der</strong> und können ni<strong>ch</strong>t als unabhängig voneinan<strong>der</strong><br />

betra<strong>ch</strong>tet werden. <strong>Die</strong>ses Verknüpftsein ist konditioniert, da es ni<strong>ch</strong>t beliebig ist. Eine<br />

Ausdifferenzierung <strong>der</strong> einen Seite bedingt die Än<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.<br />

Das Konzept <strong>der</strong> konditionierten Koproduktion wird ergänzt dur<strong>ch</strong> das folgende Konzept <strong>der</strong><br />

selektiven Blindheit.<br />

Selektive Blindheit<br />

In Appendix 6, dem letzten Anhang <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong>, dem<br />

S<strong>ch</strong>lusswort, bes<strong>ch</strong>reibt George Spencer Brown das Konzept <strong>der</strong> selektiven Blindheit. Es<br />

bringt zum Ausdruck, dass und wie Erkennen und Ni<strong>ch</strong>t-erkennen-können (Blindheit)<br />

zusammen hängen. Das S<strong>ch</strong>luss¬wort beginnt mit:<br />

104


„Existenz ist eine selektive Blindheit.“ (SPENCER BROWN 1997: 191)<br />

Wona<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st klargestellt wird, dass <strong>der</strong> Begriff „Blindheit“ ni<strong>ch</strong>t als einges<strong>ch</strong>ränkt auf<br />

Sehfähigkeit bzw. -unfähigkeit gemeint ist. „Blindheit“ steht paradigmatis<strong>ch</strong> für jeden Sinn.<br />

Dass Existieren immer selektiv blind ist, meint, dass ein Erkennen immer ein Ni<strong>ch</strong>t-erkennen<br />

mitproduziert.<br />

„Wir bemerken eine Seite einer Ding-Grenze um den Preis, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite weniger<br />

Aufmerksamkeit zu widmen.“ (SPENCER BROWN 1997: 191)<br />

Würden wir beide Seiten glei<strong>ch</strong>ermaßen berücksi<strong>ch</strong>tigen (können), würden wir ihnen keinen<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Wert zuordnen und die Unters<strong>ch</strong>eidung würde vers<strong>ch</strong>winden, denn mit ihr<br />

würde ja ni<strong>ch</strong>ts mehr unters<strong>ch</strong>ieden. Und umgekehrt hatten wir ja als den Ideen <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige implizit festgestellt:<br />

„Jede Unters<strong>ch</strong>eidung verteilt Aufmerksamkeit asymmetris<strong>ch</strong>.“ (FUCHS 2000: 70)<br />

Solange die Unters<strong>ch</strong>eidung aufre<strong>ch</strong>t erhalten wird, indem den Seiten unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Werte zugeordnet werden, infolge <strong>der</strong>er sie unters<strong>ch</strong>ied¬li<strong>ch</strong> aufmerksam behandelt werden,<br />

solange ist <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter blind für die unbeoba<strong>ch</strong>tete Seite und für an<strong>der</strong>e<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen. Und ni<strong>ch</strong>t nur das – er könnte es ja immerhin na<strong>ch</strong>holen –, er ist vor<br />

allem blind dafür, dass er die Unters<strong>ch</strong>eidung trifft, die er trifft.<br />

Dabei hat <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter keinen „Defekt“, weil er mit je<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>t Blindheit s<strong>ch</strong>afft, son<strong>der</strong>n<br />

die Blindheit ist seine Te<strong>ch</strong>nik, die Si<strong>ch</strong>t erst ermögli<strong>ch</strong>t. Er ist ni<strong>ch</strong>t blind im Sinne einer<br />

Behin<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n vielmehr ein „Blindseher“. Um etwas zu sehen, muss <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

ni<strong>ch</strong>t nur alles an<strong>der</strong>e unberücksi<strong>ch</strong>tigt lassen; er kann prinzipiell ni<strong>ch</strong>t sehen, wie er es<br />

ma<strong>ch</strong>t, dass er sieht, was er sieht.<br />

Vor dem Hintergrund des Konzeptes <strong>der</strong> selektiven Blindheit meint „Existenz“, dass ein<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter existiert, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> seine Beoba<strong>ch</strong>tung „Existenz“ hervorbringt. Nur ein<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter kann überhaupt selektiv blind sein. Und sobald ein Beoba<strong>ch</strong>ter existiert, also<br />

beoba<strong>ch</strong>tet, existiert die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>tetem. <strong>Die</strong>se<br />

Unter¬s<strong>ch</strong>eidung ist dann „in Gebrau<strong>ch</strong>“ und ko-produziert das Ni<strong>ch</strong>t-erkennen, das heißt,<br />

dass und wie sie in Gebrau<strong>ch</strong> ist. Sie vers<strong>ch</strong>ließt die Mögli<strong>ch</strong>keit, die Einheit <strong>der</strong> Seiten zu<br />

sehen; zu erleben, dass Seher und Gesehenes keinen Unters<strong>ch</strong>ied ma<strong>ch</strong>en.<br />

Eine Existenz bringt immer ein Universum zum Vors<strong>ch</strong>ein. Entspre¬<strong>ch</strong>end lautet die<br />

Definition von Universum bei George Spencer Brown:<br />

„... das, was als Resultat eines Vollzuges einer Wendung gesehen wird, und somit die<br />

Ers<strong>ch</strong>einung einer jeden ersten Unters<strong>ch</strong>eidung ist und bloß ein kleiner Aspekt alles<br />

ers<strong>ch</strong>einenden und ni<strong>ch</strong>t-ers<strong>ch</strong>einenden Seins. Seine Partikularität ist <strong>der</strong> Preis, den wir für<br />

seine Si<strong>ch</strong>tbarkeit bezahlen.“ (SPENCER BROWN 1997: 92 (Fußnote))<br />

Ein Universum ist Resultat <strong>der</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit, dass ein Zustand einen unter¬s<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Wert<br />

als ein an<strong>der</strong>er Zustand hat. Das genau ist <strong>der</strong> Eintritt des Kalküls. Und insofern sind die<br />

Laws of <strong>Form</strong> ein Vehikel zu <strong>der</strong> Erkennt¬nis, wie ein Universum ins Dasein gelangt (und<br />

wer wir selbst sind, die wir zum Beispiel ein Universum <strong>der</strong>art betra<strong>ch</strong>ten).<br />

Das Dao und <strong>der</strong> empty space<br />

<strong>Die</strong>ser Abs<strong>ch</strong>nitt stellt den Daoismus, wie er von Lao-Zi im Dao De Jing dargestellt wird, in<br />

einen Zusammenhang mit den Laws of <strong>Form</strong>. Dabei geht es hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> um einen<br />

Verglei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriffe „Dao“ und „empty space“ sowie im folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt um eine<br />

Gegenüberstellung des Prinzips von Yin-Yang und dem re-entry bzw. dem Bild des Tunnels.<br />

105


Das Namenlose und damit Unters<strong>ch</strong>iedslose, wie wir mit dem „Kalkül <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung“<br />

folgern können, das den Laws of <strong>Form</strong> in <strong>Form</strong> von <strong>ch</strong>inesi¬s<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riftzei<strong>ch</strong>en voran<br />

gestellt ist (siehe I. 1. „Vor dem Eintritt“, S. 32), <strong>der</strong> „Anfang von Himmel und Erde“, wird in<br />

<strong>der</strong> daoistis<strong>ch</strong>en Tradition mit Dao bezei<strong>ch</strong>net. Den Begriff Dao übersetzt die Literatur<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>: Weg, Sinn, universelles Prinzip, Weltgesetz, Gott, S<strong>ch</strong>icksal o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> das<br />

Sein. <strong>Die</strong>se Bezei<strong>ch</strong>nungen vermitteln eine vage Vorstellung davon, was mit Dao zum<br />

Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t wird. Den <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>en Begriff ni<strong>ch</strong>t zu übersetzen – und au<strong>ch</strong> auf die<br />

Angabe von Übersetzungsvors<strong>ch</strong>lägen zu verzi<strong>ch</strong>ten –, ist wohl <strong>der</strong> angemessenste Weg;<br />

denn dann bes<strong>ch</strong>reibt man ni<strong>ch</strong>ts, gibt kein Bild, löst keine Vorstellung aus. So bliebe Dao<br />

eine „Worthülse“; man weiß ni<strong>ch</strong>t (genau), was gemeint ist. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />

Festlegbares gemeint. Das Dao wird au<strong>ch</strong> „ungreifbar“ genannt und als unbestimmtes Wort<br />

erfüllt o<strong>der</strong> bestätigt es diese Bes<strong>ch</strong>reibung.<br />

Das heißt, dass das Dao ni<strong>ch</strong>t definiert werden kann. Es ist ohne Grenze, da es alle Grenzen<br />

<strong>der</strong> Festlegung übers<strong>ch</strong>reitet. O<strong>der</strong> paradox formuliert: Per Definitionem ist das Dao<br />

undefinierbar.<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end beginnt das Dao De Jing:<br />

„sagbar das Dau do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das ewige Dau<br />

nennbar <strong>der</strong> name do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> ewige name<br />

namenlos des himmels, <strong>der</strong> erde beginn<br />

namhaft erst <strong>der</strong> zahllosen dinge urmutter<br />

darum: immer begehrlos und s<strong>ch</strong>aubar wird <strong>der</strong> dinge geheimnis<br />

immer begehrli<strong>ch</strong> und s<strong>ch</strong>aubar wird <strong>der</strong> dinge umrandung<br />

beide gemeinsam entsprungen dem einen<br />

sind sie nur an<strong>der</strong>s im namen<br />

gemeinsam gehören sie dem tiefen<br />

dort, wo am tiefsten das tiefe<br />

liegt aller geheimnisse pforte“ (LAUDSE: Abs<strong>ch</strong>nitt 1)<br />

Der Anfang von Himmel und Erde bes<strong>ch</strong>reibt das Entstehen <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung, das<br />

„im“ empty space ges<strong>ch</strong>ieht. Das Namenlose (o<strong>der</strong> das „Ni<strong>ch</strong>tsein“ bei Ri<strong>ch</strong>ard Wilhelm) ist<br />

<strong>der</strong> Zustand, bevor etwas ges<strong>ch</strong>ieht, bevor Zeit und Raum zur Existenz gelangen, bevor die<br />

erste Unters<strong>ch</strong>ei¬dung getroffen wird; und ohne Unters<strong>ch</strong>eidung kann es we<strong>der</strong> Anzeige<br />

no<strong>ch</strong> Namen geben. Der empty space, die Leere o<strong>der</strong> das Ni<strong>ch</strong>tsein ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal<br />

ni<strong>ch</strong>ts, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal leer. Es enthält keine Unters<strong>ch</strong>ei¬dung bzw. ist dur<strong>ch</strong> keine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung festlegbar, und von es zu spre<strong>ch</strong>en ist wie jede Aussage darüber<br />

irreführend, da es si<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Unter¬s<strong>ch</strong>eidung – au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> von existent/ni<strong>ch</strong>t existent –<br />

entzieht.<br />

„dem seienden entsprangen alle dinge <strong>der</strong> welt<br />

das seiende – es entsprang dem ni<strong>ch</strong>tseienden.“ (LAUDSE: Abs<strong>ch</strong>nitt 40)<br />

Somit ist das Sein, das, was si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem Anfang manifestiert und als unters<strong>ch</strong>ieden vom<br />

Ni<strong>ch</strong>ts wahrnehmbar wird, mit den unters<strong>ch</strong>iedenen Dingen identifizierbar, mit „allen Dingen<br />

<strong>der</strong> Welt“. Es ers<strong>ch</strong>eint als „Etwas“, das dur<strong>ch</strong> die Asymmetrie <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung, eben<br />

dur<strong>ch</strong> die Anzeige, als Einheit geformt ist.<br />

Ausgangspunkt ist also unauslotbare Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit o<strong>der</strong> Leere. Wir können nun<br />

fragen: Was ges<strong>ch</strong>ieht, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird? Und wir sehen: Es<br />

entsteht ein Universum. Wenn man das systemtheoretis<strong>ch</strong> formulieren mö<strong>ch</strong>te: Wenn eine<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung getrof¬fen wird, an <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> weitere ans<strong>ch</strong>ließen, so dass fortlaufend<br />

beoba<strong>ch</strong>tet wird, entsteht eine System-Umwelt-Differenz. In und mit dieser Differenz wird<br />

(von jemandem) wahrgenommen, was wir Welt o<strong>der</strong> ein Universum nennen können.<br />

106


Wenn wir von Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit spre<strong>ch</strong>en, beinhaltet das eine Vorstellung von<br />

Unters<strong>ch</strong>iedenheit. Wir können sagen, dass <strong>der</strong> unter¬s<strong>ch</strong>iedslose Raum die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

bereit stellt, Unters<strong>ch</strong>eidungen zu treffen, und dies können wir – da es keine Vorgaben, keine<br />

Grenzen gibt – tun, wo es uns beliebt (aber eben ni<strong>ch</strong>t wie es uns beliebt, deshalb die<br />

Gesetze <strong>der</strong> <strong>Form</strong>!).<br />

Wenn im Daoismus von Dao gespro<strong>ch</strong>en wird, ist damit <strong>der</strong> Gang <strong>der</strong> Dinge, wie er halt ist,<br />

gemeint. Alan Watts hat es in und mit seinem letzten Bu<strong>ch</strong> Lauf des Wassers genannt. Es ist<br />

das ewig fortwährende Jetzt. Es ges<strong>ch</strong>ieht, was ges<strong>ch</strong>ieht. Au<strong>ch</strong> unsere Gedanken – über<br />

Vergangenes und Zukünftiges – ges<strong>ch</strong>ehen, wenn es so ist.<br />

Das Dao ist das Unwandelbare, in und mit dem si<strong>ch</strong> unentwegt alles wandelt. Der ewige<br />

Name findet si<strong>ch</strong> im Hin-und-her von <strong>der</strong> einen zur an<strong>der</strong>en Seite. Aber halten wir das für<br />

den ewigen Namen, so irren wir. Er ist s<strong>ch</strong>on wie<strong>der</strong> fort. Der Oszillation steht Stillstand<br />

gegenüber und <strong>der</strong> ewige Name zei<strong>ch</strong>net au<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t das eine vor dem an<strong>der</strong>en aus.<br />

Wenn jemand den „Weg“ bzw. das Dao benennen könnte, dann würde mit <strong>der</strong> Benennung<br />

eine Grenze gezogen, so dass es den „Weg“ bzw. das Dao mit einem Namen gäbe und<br />

etwas, das ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Weg bzw. das Dao ist. Somit könnte dies ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Weg sein. Und au<strong>ch</strong><br />

diese altkluge Verneinung ist ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Weg.<br />

Aber au<strong>ch</strong> das Abwei<strong>ch</strong>en vom Dao ist Dao; es ist allumfassend.<br />

„Das Dao ist das, von dem man ni<strong>ch</strong>t abwei<strong>ch</strong>en kann; das, von dem man abwei<strong>ch</strong>en kann,<br />

ist ni<strong>ch</strong>t das Dao.“ (WATTS 1983: 69)<br />

Von je<strong>der</strong> Bestimmung kann abgewi<strong>ch</strong>en werden, da jede Bestimmung eine an<strong>der</strong>e Seite mit<br />

hervorbringt. Das Dao ist, was ist. In mir, um mi<strong>ch</strong>, jetzt!, das ist <strong>der</strong> Weg; erkennbar dur<strong>ch</strong><br />

unbewegte Stille des Geistes.<br />

Der empty space ist ni<strong>ch</strong>t als „Ding“ o<strong>der</strong> „Zustand“ zu verstehen. Er ist das<br />

Unters<strong>ch</strong>iedslose und deshalb das Eigens<strong>ch</strong>aftslose. Er ist das Unsag¬bare. Um das Bild<br />

des Knotens zu gebrau<strong>ch</strong>en, in dem <strong>der</strong> Knoten das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung darstellt:<br />

Zeige jemandem, dass das Seil keinen Knoten hat, indem du einen Knoten gebrau<strong>ch</strong>st und<br />

ihn deinem Gegenüber vorhältst. Das entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Situation, jemandem den empty space<br />

bes<strong>ch</strong>reiben zu wollen, da wir dazu – wie den Knoten – ans<strong>ch</strong>einend Spra<strong>ch</strong>e und Namen in<br />

irgendeiner <strong>Form</strong> beanspru<strong>ch</strong>en müssen. In Analo¬gie zur Bedingtheit unserer Welt können<br />

wir davon spre<strong>ch</strong>en, dass <strong>der</strong> empty space das Unbedingte repräsentiert; ihm geht ni<strong>ch</strong>ts<br />

voraus; er ist das die Unters<strong>ch</strong>eidungen Transzendierende, das Über- o<strong>der</strong> Vor-<br />

Gegensätz¬li<strong>ch</strong>e.<br />

Wenn wir das Dao mit dem Unters<strong>ch</strong>iedslosen o<strong>der</strong> Namenlosen bezei<strong>ch</strong>nen, treffen wir<br />

ebenso eine Unters<strong>ch</strong>eidung. Und wenn wir glauben, mit dieser den Kern zu treffen und nun<br />

zu wissen, was das Dao ist, gehen wir fehl. Denn au<strong>ch</strong> mit dieser Festlegung treffen wir<br />

ni<strong>ch</strong>t, was gemeint ist. Das Dao ist frei bewegli<strong>ch</strong>, völlig uneinges<strong>ch</strong>ränkt und<br />

unter¬s<strong>ch</strong>iedslos. Wenn wir meinen, das Dao sei so, wie bes<strong>ch</strong>rieben, so wei<strong>ch</strong>en wir ab<br />

vom Dao. Denn in dem Augenblick <strong>der</strong> Festlegung und Gewissheit ziehen wir eine Grenze<br />

und s<strong>ch</strong>ränken damit ein. Der „Weise“ redet über das Dao in <strong>der</strong> Gewissheit, dass er bloß<br />

Worte benutzt; er glaubt ni<strong>ch</strong>t seinen Worten, son<strong>der</strong>n weiß, dass seine Worte jemand<br />

an<strong>der</strong>em den Weg weisen können.<br />

Im Indikationenkalkül kommt konzeptuell natürli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Begriff des Dao ni<strong>ch</strong>t vor. Aber er setzt<br />

mit Unters<strong>ch</strong>iedslosigkeit an, worauf eine Darstel¬lung dessen folgt, was ges<strong>ch</strong>ieht, wenn<br />

eine erste Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird. In den Laws of <strong>Form</strong> wird diesem „Anfang von<br />

Himmel und Erde” <strong>der</strong> Begriff empty space zugewiesen. Und ni<strong>ch</strong>t einmal das ges<strong>ch</strong>ieht<br />

direkt. George Spencer Brown verliert kein Wort über den „unbenennbaren Anfang“. Wir<br />

bre<strong>ch</strong>en hier mit dieser konsequenten Vorgehensweise; wie wir au<strong>ch</strong> mit diesem<br />

107


Einführungstext seine wohlbegründeten Vorbe¬halte gegen die Methode von „Gerede und<br />

Interpretation“ naiv missa<strong>ch</strong>ten, indem wir überhaupt darüber s<strong>ch</strong>reiben.<br />

Das Dao ist nie, was wir darüber denken, was es sei. Unser Denken, was au<strong>ch</strong> immer wir<br />

denken, ist dann zwar <strong>der</strong> Gang <strong>der</strong> Dinge, ist ni<strong>ch</strong>t außer¬halb des Dao. Aber wenn wir<br />

meinten, wir wüssten es, wir könnten es sagen o<strong>der</strong> zeigen, ist es ni<strong>ch</strong>t das Dao. Es ist ni<strong>ch</strong>t<br />

festlegbar auf eine Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung, wel<strong>ch</strong>er au<strong>ch</strong> immer. Jede Benennung geht<br />

einher mit einer Unters<strong>ch</strong>eidung, bezei<strong>ch</strong>net eben eine ihrer Seiten. Das Dao hingegen<br />

bezei<strong>ch</strong>net die Einheit aller Differenzen.<br />

Jeden Augenblick können wir füllen, wie es uns beliebt. Und das immer wie<strong>der</strong>, ni<strong>ch</strong>ts wird<br />

fest gestellt. An<strong>der</strong>erseits ist das Dao das, was von selbst ges<strong>ch</strong>ieht.<br />

Yin-Yang und <strong>der</strong> re-entry<br />

<strong>Die</strong> Bewegung des Dao ist Polarität, die im Daoismus mit dem Prinzip von Yin-Yang<br />

dargestellt wird. Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> steht das Yin-Yang-Symbol als Bild<br />

für eine Unters<strong>ch</strong>eidung bzw. <strong>Form</strong>. Es steht paradigmatis<strong>ch</strong> für jede beliebige<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. In <strong>der</strong> daoistis<strong>ch</strong>en Tradition wurden den beiden „Polen“, wie sie au<strong>ch</strong><br />

genannt werden, diverse Unters<strong>ch</strong>eidungen wie weibli<strong>ch</strong> – männli<strong>ch</strong>, dunkel – hell, Mond –<br />

Sonne, Leere – <strong>Form</strong>, passiv – aktiv, tot – lebendig, negativer Pol – posi¬tiver Pol, Leid –<br />

Freude, krank – gesund etc. zugeordnet. Yin-Yang symbolisiert die <strong>Form</strong> <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, wie sie si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung ihrer Definition im elften Kapitel <strong>der</strong> Laws of<br />

<strong>Form</strong> darstellt. Si<strong>ch</strong> unter Yin und Yang Gegensätze vorzustellen, die einan<strong>der</strong><br />

auss<strong>ch</strong>ließen, ist wohl einer westli<strong>ch</strong>en Denkgewohnheit zuzus<strong>ch</strong>reiben, wohingegen eine<br />

östli<strong>ch</strong>e si<strong>ch</strong> ergänzende Polaritäten statt Gegensätze sieht. Für den Daoisten gehören die<br />

Pole Yin-Yang zusammen, wie bei je<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung die beiden Seiten, und zwar in dem<br />

Sinne, dass sie si<strong>ch</strong> ergänzen. Das finden wir au<strong>ch</strong> in dem Yin-Yang-Symbol:<br />

<strong>Die</strong> beiden Seiten, die dur<strong>ch</strong> die Spaltung des Dao entstehen, werden dur<strong>ch</strong> eine Kreisfigur<br />

symbolisiert, die si<strong>ch</strong> in einer Wellenbewegung in eine s<strong>ch</strong>warze und eine weiße Hälfte teilt.<br />

Und jede Seite birgt das jeweils an<strong>der</strong>e Prinzip in <strong>Form</strong> eines Punktes in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Farbe<br />

in si<strong>ch</strong>. In vertiefenden daoistis<strong>ch</strong>en Darstellungen werden die beiden Punkte au<strong>ch</strong> wie<strong>der</strong><br />

als Kreise mit zwei Seiten gezei<strong>ch</strong>net, entspre<strong>ch</strong>end dem Yin-Yang-Symbol.<br />

<strong>Die</strong> Verwandts<strong>ch</strong>aft, wenn ni<strong>ch</strong>t funktionale Äquivalenz, zum re-entry und dem Bild des<br />

Tunnels ist offenkundig. Eine Unters<strong>ch</strong>eidung besteht immer aus zwei voneinan<strong>der</strong><br />

abhängigen Seiten. Man gelangt, ohne die Grenze zu kreuzen, von <strong>der</strong> einen auf die an<strong>der</strong>e<br />

Seite. Jede Seite führt die an<strong>der</strong>e mit si<strong>ch</strong>.<br />

Dem Symbol liegt das Wissen zu Grunde, dass, wenn eine <strong>der</strong> beiden Seiten vers<strong>ch</strong>wände<br />

o<strong>der</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen würde – wenn das überhaupt mögli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> wüns<strong>ch</strong>enswert wäre –,<br />

damit die gesamte Unters<strong>ch</strong>eidung vers<strong>ch</strong>wände. Unters<strong>ch</strong>eidungen als Polaritäten<br />

aufzufassen meint, sie wie Seiten einer Münze o<strong>der</strong> Pole eines Magneten zu sehen.<br />

Wie in den Laws of <strong>Form</strong> finden wir au<strong>ch</strong> im Dao De Jing die Zusammen-gehörigkeit und das<br />

gegenseitige Bedingen <strong>der</strong> beiden Pole einer jeden Unters<strong>ch</strong>eidung:<br />

„alle wissen, daß s<strong>ch</strong>ön das s<strong>ch</strong>öne, so gibt es das häßli<strong>ch</strong>e<br />

alle wissen, dass gut das gute, so gibt es das böse<br />

denn: voll und leer gebären einan<strong>der</strong><br />

lei<strong>ch</strong>t und s<strong>ch</strong>wer vollbringen einan<strong>der</strong><br />

lang und kurz bedingen einan<strong>der</strong><br />

ho<strong>ch</strong> und niedrig bezwingen einan<strong>der</strong><br />

klang und ton stimmen einan<strong>der</strong><br />

Vorher und na<strong>ch</strong>her folgen einan<strong>der</strong>.“ (LAUDSE: Abs<strong>ch</strong>nitt 2 Anfang)<br />

108


<strong>Die</strong> beiden polaren Kräfte wandeln si<strong>ch</strong> ineinan<strong>der</strong>, lösen si<strong>ch</strong> gegenseitig ab und bringen<br />

dur<strong>ch</strong> ihr Zusammen- und Gegeneinan<strong>der</strong>wirken alle Ers<strong>ch</strong>einungen des Kosmos hervor.<br />

Es liegt eher im Bestreben eines Daoisten, die beiden Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung, letztli<strong>ch</strong><br />

Yin-Yang, in Harmonie zu bringen (o<strong>der</strong> si<strong>ch</strong> selbst in Harmonie mit dem Wandel), ohne eine<br />

<strong>der</strong> Seiten höher o<strong>der</strong> besser zu bewerten.<br />

„darum tut <strong>der</strong> weise ohne taten<br />

bringt belehrung ohne worte<br />

so gedeihen die dinge ohne wi<strong>der</strong>stand<br />

so lässt er sie wa<strong>ch</strong>sen und besitzt sie ni<strong>ch</strong>t<br />

tut und verlangt ni<strong>ch</strong>ts für si<strong>ch</strong><br />

nimmt ni<strong>ch</strong>ts für si<strong>ch</strong>, was er vollbra<strong>ch</strong>t<br />

und da er ni<strong>ch</strong>ts nimmt<br />

verliert er ni<strong>ch</strong>ts.“ (LAO-ZI: Abs<strong>ch</strong>nitt 2 Ende)<br />

Der Mens<strong>ch</strong> ist ein Teil des Ganzen: Sein Denken, Spre<strong>ch</strong>en, Handeln ist ein Teil des<br />

Gesamtges<strong>ch</strong>ehens. Etwas errei<strong>ch</strong>en und also etwas än<strong>der</strong>n zu wollen, etwas – au<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong><br />

selbst – ni<strong>ch</strong>t dem Gang <strong>der</strong> Dinge zu überlassen, bringt einen S<strong>ch</strong>nitt ins Dao. Aber wertet<br />

<strong>der</strong> Daoist dann ni<strong>ch</strong>t Einklang bzw. Harmonie höher als ihr Gegenteil? Jedo<strong>ch</strong>: <strong>Die</strong>ser<br />

„S<strong>ch</strong>nitt“ ist selbst wie<strong>der</strong> Dao. Au<strong>ch</strong> an dieser Stelle müssen wir ni<strong>ch</strong>t werten.<br />

Man versu<strong>ch</strong>t nur dann, etwas zu verän<strong>der</strong>n und zu errei<strong>ch</strong>en, wenn man ni<strong>ch</strong>t verstanden<br />

hat, dass es ni<strong>ch</strong>t geht, dass man vom Gang <strong>der</strong> Dinge ni<strong>ch</strong>t abwei<strong>ch</strong>en kann. Der „Weise“<br />

ist deshalb aber ni<strong>ch</strong>t passiv. Er erkennt den Gang <strong>der</strong> Dinge und fügt si<strong>ch</strong> harmonis<strong>ch</strong> ein,<br />

er wirkt im Kleinen und erzielt große Effekte.<br />

<strong>Die</strong> Leere ist s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>. Yin-Yang ist die Bewegung des Dao.<br />

„<strong>Die</strong> Weltans<strong>ch</strong>auung von Yin und Yang ist zyklis<strong>ch</strong> und heiter. Glück und Unglück, Leben<br />

und Tod, im kleinen und im großen, kommen und gehen ewig fort ohne Anfang o<strong>der</strong> Ende.“<br />

(WATTS 1983: 59)<br />

Kein Ding, keine konkrete <strong>Form</strong> hat Dauer. Alles wandelt si<strong>ch</strong>. Es existiert keine Identität von<br />

si<strong>ch</strong> aus. Wenn Identitäten festgestellt also beoba<strong>ch</strong>tet werden, dann eben nur von einem<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter; aber es sind (von si<strong>ch</strong> aus) keine Identitäten. Nur die <strong>Form</strong>, in <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> alles<br />

wandelt, hat Bestand: Verän<strong>der</strong>ung ist die einzige Konstante.<br />

Das trifft ni<strong>ch</strong>t nur auf alle einem Beoba<strong>ch</strong>ter äußeren Unters<strong>ch</strong>eidungen zu, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong><br />

auf die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ter und Beoba<strong>ch</strong>tetem. Angenommen: Für si<strong>ch</strong><br />

selbst sei ein Beoba<strong>ch</strong>ter eine Identität. An<strong>der</strong>e Beoba<strong>ch</strong>ter sehen au<strong>ch</strong> eine Identität in dem<br />

ersten Beoba<strong>ch</strong>ter – es ist jedo<strong>ch</strong> extrem unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, dass sie tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> die glei<strong>ch</strong>e<br />

sehen, denn sie beoba<strong>ch</strong>ten mit vers<strong>ch</strong>iedener Gewi<strong>ch</strong>tung unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ster<br />

Unters<strong>ch</strong>eidungen.<br />

Wenn si<strong>ch</strong> ein Beoba<strong>ch</strong>ter auf die innere Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> selbst ma<strong>ch</strong>t, so wird er letztli<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts finden. Er kann keine festhaltbare Identität finden, weil er dann s<strong>ch</strong>on immer<br />

unters<strong>ch</strong>eidet zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Identität, die er findet bzw. gefunden hat, und dem, <strong>der</strong> sie<br />

gefunden und festgehalten hat. Er ist immer jetzt, in diesem Augenblick gegenwärtig und<br />

kann deshalb ni<strong>ch</strong>t fest-gestellt werden. Weil jede Festlegung Zeit benötigt, ist das Jetzt<br />

bereits vergangen. An<strong>der</strong>erseits findet man sehr wohl etwas, wenn man die Leere in si<strong>ch</strong><br />

entdeckt (vgl. das einführende Zitat des Vorwortes, S. 5).<br />

Eine Frage, die hier nur kurz angedeutet werden soll, betrifft, wie diese Vorstellungen denn<br />

ganz praktis<strong>ch</strong> umgesetzt werden können o<strong>der</strong> sollen. Na<strong>ch</strong> all dem erkennen wir nun<br />

viellei<strong>ch</strong>t, dass Fragen na<strong>ch</strong> allgemeinen Ri<strong>ch</strong>tlinien, die aus <strong>der</strong> „Theorie“ folgen, in o<strong>der</strong> mit<br />

dieser „Theorie“ ni<strong>ch</strong>t beantwortet werden können. O<strong>der</strong> aus Spencer Browns<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t<br />

formu¬liert: Eines <strong>der</strong> Prinzipien, das die Laws of <strong>Form</strong> exemplifizieren, besagt, dass ni<strong>ch</strong>t<br />

109


gesagt werden kann, wie es ist, die Laws of <strong>Form</strong> im tägli<strong>ch</strong>en Leben anzuwenden (vgl. dazu<br />

die vierte Session <strong>der</strong> erwähnten AUM-Konferenz).<br />

„Befolger des Dao su<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Erfüllung.<br />

Da sie keine Erfüllung su<strong>ch</strong>en, werden sie dur<strong>ch</strong> kein Verlangen na<strong>ch</strong> Än<strong>der</strong>ung vom Wege<br />

abgebra<strong>ch</strong>t.“ (LAO-ZI: Abs<strong>ch</strong>nitt 15)<br />

Jedes Än<strong>der</strong>n-Wollen und au<strong>ch</strong> das Än<strong>der</strong>n än<strong>der</strong>n wollen ist ein Verletzen <strong>der</strong> Realität, wie<br />

sie ist. Und es ist das allumfassende Dao.<br />

„wer dem lernen ergeben, gewinnt tägli<strong>ch</strong><br />

wer dem Dau ergeben, verliert tägli<strong>ch</strong><br />

verlierend, verlernend gelangt er<br />

mähli<strong>ch</strong> dahin, ni<strong>ch</strong>t mehr tätig zu sein<br />

ni<strong>ch</strong>ts bleibt ungetan<br />

wo ni<strong>ch</strong>ts überflüssiges getan wird.“ (LAUDSE: Abs<strong>ch</strong>nitt 48)<br />

Mit diesem Zitat kommen wir no<strong>ch</strong> einmal auf die Laws of <strong>Form</strong> zurück. Je weniger man<br />

weiß, um so offener kann man für jeden Augenblick sein. Man muss ni<strong>ch</strong>t denken und zu<br />

verstehen su<strong>ch</strong>en. Vielmehr „weiß“ man ohne jedes Konzept, intuitiv und spontan, was zu<br />

tun ist. Das drückt au<strong>ch</strong> George Spencer Brown mit seiner Rede vom „Entlernen“ aus (vgl.<br />

das Zitat aus dem einleitenden Abs<strong>ch</strong>nitt zur „Methode von Befehl und Betra<strong>ch</strong>tung“, S. 28).<br />

Mit dem „Ni<strong>ch</strong>t-Tun“ (wu wei) ist ein Ni<strong>ch</strong>t-Wissen verknüpft. Wir sind oben (siehe Seite<br />

168f.) s<strong>ch</strong>on darauf gekommen, dass jedes Wissen eines Standpunktes bedarf und dass es<br />

keinen objektiven Standpunkt gibt, an dem man si<strong>ch</strong> orientieren könnte. Au<strong>ch</strong> bei Lao-Zi<br />

finden wir, dass man si<strong>ch</strong> stets bewusst sein soll, dass man nur ein bedingtes Wissen hat.<br />

„wer sein ni<strong>ch</strong>t wissen weiß, ist erhaben<br />

wer es für wissen hält, ist leidend<br />

nur <strong>der</strong> gesundet von seinem leiden<br />

<strong>der</strong> sein leiden erkannt hat als leiden.“ (LAUDSE: Abs<strong>ch</strong>nitt 71)<br />

Ohne einen Standpunkt sieht man die Bedingtheit des Wissens dur<strong>ch</strong> den Standpunkt. Eine<br />

ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>e Darstellung dieses Gedankens gibt Francois Jullien in Der Weise hängt an<br />

keiner Idee. Er benutzt Ideen, Worte und Gedanken ohne an ihnen in dem Sinne zu hängen,<br />

als er ihre Wahrheit annähme und festhielte. Der Gebrau<strong>ch</strong> von Ideen liegt vielmehr in ihrem<br />

praktis<strong>ch</strong>en Nutzen statt in ihrer Wahrheit.<br />

Zen<br />

Heutzutage in angemessener, das heißt unverfäls<strong>ch</strong>ter und zuglei<strong>ch</strong> verständli<strong>ch</strong>er Weise<br />

vom Zen-Buddhismus (<strong>der</strong> Essenz <strong>der</strong> Lehre Buddhas) zu spre<strong>ch</strong>en, erfor<strong>der</strong>t Einsi<strong>ch</strong>ten<br />

und Fähigkeiten, die i<strong>ch</strong> mir ni<strong>ch</strong>t zus<strong>ch</strong>reiben kann. Im Zen können wir aber einen ganz<br />

praktis<strong>ch</strong>en Weg finden, um zu erkunden, was mit Leere gemeint ist und wie Leere und <strong>Form</strong><br />

si<strong>ch</strong> gegenseitig bedingen. Deshalb endet dieser Text damit, Zen in einen Zusammenhang<br />

mit den Laws of <strong>Form</strong> zu bringen – soweit mir dies mögli<strong>ch</strong> ist.<br />

I. Zunä<strong>ch</strong>st ein instruktives Zitat von Dogen Zenji, einem <strong>der</strong> einfluss¬rei<strong>ch</strong>sten Zen-<br />

Meister, <strong>der</strong> um 800 n. Chr. lebte.<br />

„Dur<strong>ch</strong> Körper und Geist können wir <strong>Form</strong> und Klang <strong>der</strong> Dinge verstehen. Sie wirken<br />

zusammen als eins. Jedo<strong>ch</strong> ist es ni<strong>ch</strong>t wie das Reflektieren eines S<strong>ch</strong>attens in einem<br />

Spiegel, o<strong>der</strong> wie <strong>der</strong> Mond, <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> im Wasser spiegelt. Wenn Du nur auf eine Seite<br />

s<strong>ch</strong>aust, ist die an<strong>der</strong>e dunkel. Den Buddha-Weg zu erfahren, bedeutet, si<strong>ch</strong> selbst erfahren.<br />

Si<strong>ch</strong> selbst erfahren heißt si<strong>ch</strong> selbst vergessen. Si<strong>ch</strong> selbst vergessen heißt, si<strong>ch</strong> selbst<br />

wahrnehmen – in allen Dingen.“ (DOGEN ZENJI 1989: 24)<br />

110


Für den Versu<strong>ch</strong>, dieses Zitat zu kommentieren, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st vergegenwärtigen,<br />

wovon i<strong>ch</strong> annehme, dass es je<strong>der</strong> und jedem als unmittelbar evident ers<strong>ch</strong>eint. Wir denken<br />

viellei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t oft daran, aber es ist selbstverständli<strong>ch</strong>, dass wir immer in <strong>der</strong> Gegenwart sind<br />

und dass wir uns als getrennt von an<strong>der</strong>em erleben. Wir können uns sehr verbunden mit<br />

An<strong>der</strong>en und An<strong>der</strong>em fühlen, aber wir sind wir und alles an<strong>der</strong>e ist das An<strong>der</strong>e. Wir<br />

haben unseren Körper, unsere Gefühle und unsere Gedanken. Von dem Äußeren getrennt<br />

sind wir insofern, als wir es wahrnehmen und erleben. Das Etwas-jetzt-wahrnehmen zieht die<br />

Grenze zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em. Das betrifft sowohl die materielle (und meinetwegen<br />

au<strong>ch</strong> spirituelle o<strong>der</strong> energetis<strong>ch</strong>e) äußere Wirkli<strong>ch</strong>keit als au<strong>ch</strong> uns selbst, insofern wir uns<br />

selbst wahrnehmen. Wenn i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> selbst beoba<strong>ch</strong>te, das heißt auf meinen Körper, meine<br />

Gefühle und Gedanken aufmerksam bin, sind sie ni<strong>ch</strong>t i<strong>ch</strong>, <strong>der</strong> sie ja wahrnimmt. I<strong>ch</strong><br />

kann mi<strong>ch</strong> mit ihnen identi¬fizieren, i<strong>ch</strong> kann denken, i<strong>ch</strong> sei mein Körper, meine Gefühle<br />

und o<strong>der</strong> meine Gedanken; aber unter <strong>der</strong> begriffli<strong>ch</strong>en Voraussetzung, dass mit i<strong>ch</strong><br />

immer die gegenwärtige Aktivität gemeint ist, ist klar, dass i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mein Körper, meine<br />

Gedanken und o<strong>der</strong> meine Gefühle sein kann. Sie alle sind denno<strong>ch</strong> notwendig, um zu sein,<br />

um jemand zu sein und um si<strong>ch</strong> selbst zu erkennen. Als voraussetzungslos und evident<br />

gesetzt wird hier also <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em, Beoba<strong>ch</strong>ter und<br />

Beoba<strong>ch</strong>tetem. <strong>Die</strong>se Unters<strong>ch</strong>eidung wird ni<strong>ch</strong>t etwa deshalb als Start¬punkt genommen,<br />

weil es so ist, son<strong>der</strong>n weil anzunehmen ist, dass voraus-gesetzt werden kann, dass sie bei<br />

den Lesern und Leserinnen bekannt ist.<br />

Unter i<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> dem Selbst bzw. dem Beoba<strong>ch</strong>ter verstehen wir also das, was unentwegt<br />

gegenwärtig und anwesend ist. Was immer i<strong>ch</strong> sage, tue o<strong>der</strong> empfinde, es ges<strong>ch</strong>ieht jetzt.<br />

An wel<strong>ch</strong>en Ort, in wel<strong>ch</strong>e Zeit o<strong>der</strong> in wel<strong>ch</strong>en Zustand i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> immer denke, i<strong>ch</strong><br />

denke jetzt. Und wie gesagt, man muss ni<strong>ch</strong>t (permanent) daran denken, um zu wissen,<br />

dass es so ist, dass wir in o<strong>der</strong> mit dieser Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em<br />

leben.<br />

Körper und Geist sind die Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung, die mit <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>der</strong> wahrgenommenen Welt und <strong>der</strong> wahrneh¬menden Welt illustriert werden kann. Deshalb<br />

kann diese Unters<strong>ch</strong>eidung erst mit <strong>der</strong> Fähigkeit zu Selbstbeoba<strong>ch</strong>tung getroffen werden.<br />

Sie unterteilt den Beoba<strong>ch</strong>ter. Dur<strong>ch</strong> diese Unters<strong>ch</strong>eidung können wir „<strong>Form</strong> und Klang <strong>der</strong><br />

Dinge verstehen“, wel<strong>ch</strong>e wir als Symbol für die uns wahrnehmbare Wirkli<strong>ch</strong>keit auffassen<br />

können.<br />

Da Beoba<strong>ch</strong>tung notwendig sowohl das Beoba<strong>ch</strong>tete als au<strong>ch</strong> das Beoba<strong>ch</strong>tende<br />

voraussetzt, können wir Körper und Geist – wie Wahrge¬nommenes und Wahrnehmendes –<br />

ni<strong>ch</strong>t getrennt entdecken. „Sie wirken zusammen als eins.“ Sie sind die Seiten einer<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung. Und dabei ist keines von beiden dem an<strong>der</strong>en vorgängig, wie das<br />

verworfenene Spiegel-Beispiele aus dem Zitat verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t. Sie existieren nur<br />

zusammen.<br />

Wenn wir den „Buddha-Weg“ als das Transzendieren aller Unters<strong>ch</strong>ei¬dungen begreifen,<br />

und das heißt, das bedingte Entstehen vollständig zu erfassen, dann bedeutet<br />

Selbsterfahrung, seine Aufmerksamkeit ni<strong>ch</strong>t mehr nur auf eine Seite <strong>der</strong> Körper-Geist- und<br />

<strong>der</strong> Selbst-An<strong>der</strong>es-Unters<strong>ch</strong>ei¬dung zu ri<strong>ch</strong>ten. Damit bezieht si<strong>ch</strong> das Si<strong>ch</strong>-Selbst-<br />

Vergessen auf den Verlust des Si<strong>ch</strong>-von-an<strong>der</strong>em-getrennt-Fühlens. Denn alles geht aus<br />

dem Einen hervor, und ni<strong>ch</strong>ts ist getrennt von an<strong>der</strong>em. Das führt zu <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> selbst<br />

in allen Dingen wahrnehmen zu können.<br />

So findet man au<strong>ch</strong> beispielsweise bei dem französis<strong>ch</strong>en Zen-Meister Stéphane Thibaut:<br />

„Um Buddha zu entdecken, brau<strong>ch</strong>t man nur sein Ego zu beoba<strong>ch</strong>ten.“ (THIBAUT 1999:<br />

129)<br />

<strong>Die</strong> erstaunli<strong>ch</strong>e Wendung in dem Anfangszitat von Dogen Zenji liegt in <strong>der</strong> Einsi<strong>ch</strong>t, dass<br />

wir uns selbst erkennen, wenn wir uns ni<strong>ch</strong>t su<strong>ch</strong>en, ni<strong>ch</strong>t beoba<strong>ch</strong>ten. Mit <strong>der</strong> Terminologie,<br />

111


die wir bezügli<strong>ch</strong> des Begriffes <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung oben eingeführt haben, können wir das<br />

au<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>reiben als ein Ni<strong>ch</strong>t-Identifizieren, als ein im Hier-Jetzt sein. Ohne zu werten tun,<br />

was zu tun ist.<br />

<strong>Die</strong> Grenze zwis<strong>ch</strong>en Selbst und An<strong>der</strong>em ist eine Grenze mit eben diesen beiden Seiten.<br />

Das heißt: Selbst und An<strong>der</strong>es bedingen si<strong>ch</strong>, gehören zusammen; man erlebt die<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit genau so, wie man sie ma<strong>ch</strong>t.<br />

Es ist wohl au<strong>ch</strong> klar, dass si<strong>ch</strong> diese Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Dinge ni<strong>ch</strong>t von selbst einstellt o<strong>der</strong> dadur<strong>ch</strong>,<br />

dass man darüber na<strong>ch</strong>denkt. Dur<strong>ch</strong> Na<strong>ch</strong>denken kann man nur glauben, dass da etwas<br />

dran sein könnte.<br />

II.<br />

Wir kommen nun auf <strong>Paradoxie</strong>n zurück und bringen sie in einen Zusam¬menhang mit Zen:<br />

Wenn man Zen in einem Dogma fassen wollte, dann müsste es lauten: Habe kein Ideal;<br />

indem du ni<strong>ch</strong>t wertest, son<strong>der</strong>n alles, was in dir und um di<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>ieht, als sol<strong>ch</strong>es (vor-<br />

)urteilsfrei beoba<strong>ch</strong>test. Man kann si<strong>ch</strong> das sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> vorstellen, hat man aber<br />

eine Vorstellung und versu<strong>ch</strong>t, sie zu realisieren, folgt man einem Ideal. Man hat zwis<strong>ch</strong>en<br />

ri<strong>ch</strong>tig und fals<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden. Allerdings ist au<strong>ch</strong> kein Ideal haben zu wollen ein Ideal.<br />

Ebenso würde es si<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung verhalten, kein Ziel zu errei<strong>ch</strong>en. Das Kein-Ziel-<br />

Errei<strong>ch</strong>en ist dann das Ziel. Entspre<strong>ch</strong>end können wir die bedingungslose Wertfreiheit des<br />

Zen in ganz angemessener Weise formulieren als: Zen legt Wert auf Wertfreiheit!<br />

Au<strong>ch</strong> Niklas Luhmann und Peter Fu<strong>ch</strong>s sehen eine Verbindung zwis<strong>ch</strong>en Differenztheorie<br />

und Zen-Buddhismus. Und ihre Vorliebe in diesem Zusammenhang gilt in „Vom Zweitlosen:<br />

Paradoxe Kommuni¬kation im Zen-Buddhismus“ <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong>. Für sie zeigt si<strong>ch</strong> die<br />

Para¬doxie in <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung (Differenzgebrau<strong>ch</strong> und Selbstbezug) von<br />

Diffe¬renzlosigkeit (Negation von Differenz):<br />

„<strong>Die</strong> Zen-<strong>Paradoxie</strong> liegt darin, dass je<strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, Differenzlosigkeit zu beoba<strong>ch</strong>ten, im<br />

Moment des Versu<strong>ch</strong>s Differenzlosigkeit aufhebt.“ (LUHMANN/FUCHS 1997: 54)<br />

Obwohl die Leere demna<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t beoba<strong>ch</strong>tet werden kann, gibt es aber ans<strong>ch</strong>einend<br />

Mögli<strong>ch</strong>keiten, sie zu erfahren. Im Zen wird Zazen gelehrt. Niklas Luhmann und Peter Fu<strong>ch</strong>s<br />

formulieren zwar keine Mögli<strong>ch</strong>keit in <strong>Form</strong> einer Anweisung, unterstellen aber die Existenz<br />

und die Erfahrbarkeit <strong>der</strong> Leere, <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Zweiheit.<br />

„Der Zen-Buddhismus will die immanente Erfahrung <strong>der</strong> primordialen Differenzlosigkeit, das<br />

Erleben <strong>der</strong> Ni<strong>ch</strong>t-Zweiheit, den Direktkontakt mit dem Zweitlosen.“ (LUHMANN/FUCHS<br />

1997: 51)<br />

Nur die zielorientierte <strong>Form</strong>ulierung unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> von dem im vorlie¬genden Text<br />

angestrebten Verständnis des Zen.<br />

„Zen setzt voraus, dass jede Beoba<strong>ch</strong>tung, weil sie Differenz benötigt, verfehlen muss, was<br />

Zen meint.“ (LUHMANN/FUCHS 1997: 46)<br />

Das könnte dazu führen anzunehmen, dass die Zen-Haltung unerrei<strong>ch</strong>bar und dass <strong>der</strong><br />

Versu<strong>ch</strong> deshalb fru<strong>ch</strong>tlos ist. Mögli<strong>ch</strong>erweise lohnt aber <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, selbst wenn das Ziel<br />

gar ni<strong>ch</strong>t errei<strong>ch</strong>t werden kann: Der Weg ist das Ziel.<br />

III.<br />

Abs<strong>ch</strong>ließend soll eine Mögli<strong>ch</strong>keit skizziert werden, ganz praktis<strong>ch</strong>e Konsequenzen aus<br />

dem Bes<strong>ch</strong>riebenen zu ziehen. Es soll <strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong> unternommen werden, die theoretis<strong>ch</strong><br />

betra<strong>ch</strong>teten Erkenntnisse über den Beoba<strong>ch</strong>ter ganz praktis<strong>ch</strong> erfahrbar zu ma<strong>ch</strong>en, indem<br />

die zen-buddhis¬tis<strong>ch</strong>e Praxis – das Sitzen vor <strong>der</strong> Wand, Zazen genannt – beleu<strong>ch</strong>tet wird.<br />

112


Um auf den ersten Satz des 12. Kapitels <strong>der</strong> Laws of <strong>Form</strong> zurück¬zukommen:<br />

„<strong>Die</strong> Konzeption <strong>der</strong> <strong>Form</strong> liegt im Verlangen zu unters<strong>ch</strong>eiden.“ (SPENCER BROWN 1997:<br />

60)<br />

Da wir diesem Verlangen unentwegt na<strong>ch</strong>gehen, kennen wir nur die eine Seite <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung <strong>Form</strong>/Leere. Um die an<strong>der</strong>e Seite kennen lernen zu können, müssen wir uns<br />

darin üben, das Denken zu beruhigen. Das heißt, das Denken als sol<strong>ch</strong>es zu erfahren, den<br />

Gedanken selbst ni<strong>ch</strong>t anzuhaften, na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> das Denken loszulassen. Dazu kann man<br />

die eigenen Wüns<strong>ch</strong>e und Vorstellungen beoba<strong>ch</strong>ten, an denen man haftet. Überwunden<br />

werden sie ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ihr verurteilen, son<strong>der</strong>n s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ihr wahrnehmen, dur<strong>ch</strong><br />

Selbsterkenntnis.<br />

<strong>Die</strong> Verwandts<strong>ch</strong>aft (funktionale Äquivalenz) des differenztheoretis<strong>ch</strong>en und den Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

eins<strong>ch</strong>ließenden Ansatzes mit zen-buddhistis<strong>ch</strong>en Ans<strong>ch</strong>auungen zeigt si<strong>ch</strong> in folgendem<br />

Zitat:<br />

„Um die Dinge klar zu sehen, müssen wir sie akzeptieren, so wie sie sind – wir müssen den<br />

Seher und das Gesehene als eine Handlung zusammenbringen.“ (DOGEN ZENJI 1998: 34)<br />

Eine Mögli<strong>ch</strong>keit, si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> eigenen unentwegten Denktätigkeit bewusst zu sein, besteht in<br />

<strong>der</strong> Praxis des Zazen. In <strong>der</strong> Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> Ausübung von Zazen, <strong>der</strong> zentralen Praxis<br />

im Zen-Buddhismus, können wir unters<strong>ch</strong>eiden zwis<strong>ch</strong>en einer inneren und einer äußeren<br />

Haltung.<br />

<strong>Die</strong> äußere, körperli<strong>ch</strong>e Haltung ist aufre<strong>ch</strong>t und entspannt. <strong>Die</strong> Atmung geht in den<br />

Unterbau<strong>ch</strong> (Zwer<strong>ch</strong>fellatmung) und man bewegt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. <strong>Die</strong> innere, geistige (mentale<br />

und emotionale) Haltung ist dur<strong>ch</strong> Wa<strong>ch</strong>sam¬keit ausgezei<strong>ch</strong>net. Ni<strong>ch</strong>t bloß wa<strong>ch</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

im hö<strong>ch</strong>sten Maße aufmerk¬sam – sowohl versunken in den eigenen Körper und die Atmung<br />

bewusst begleitend als au<strong>ch</strong> die Umgebung wahrnehmend. Idealerweise (sic!) ist dieser<br />

Zustand von totaler geistiger Leere gekennzei<strong>ch</strong>net, von Ruhe <strong>der</strong> Gedanken.<br />

Ni<strong>ch</strong>tsdestotrotz ist es irreführend, einem Praktizierenden zu raten, ni<strong>ch</strong>t zu denken. Das<br />

s<strong>ch</strong>eint mir in den ersten Jahren eine frustrie¬rende Unmögli<strong>ch</strong>keit. Denn wir sind gewohnt,<br />

permanent zu denken, wir kennen ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es. Wenn zu denken entspri<strong>ch</strong>t, na<strong>ch</strong> etwas<br />

zu greifen, dann können wir sagen, dass wir keine an<strong>der</strong>e Mögli<strong>ch</strong>keit kennen, mit etwas<br />

umzugehen, als dana<strong>ch</strong> zu greifen.<br />

Mit <strong>der</strong> Zeit, wenn wir uns (wie<strong>der</strong>) daran gewöhnt haben, einfa<strong>ch</strong> nur aufmerksam und<br />

vorurteilslos mit allem zu sein, was unserer Aufmerksam¬keit „begegnet“, wird unser Sein in<br />

<strong>der</strong> Welt einfa<strong>ch</strong>, s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t, unbes<strong>ch</strong>wert und harmonis<strong>ch</strong> sein. Wie ein Fluss, <strong>der</strong> aus si<strong>ch</strong><br />

heraus, ohne geplante Steuerung, si<strong>ch</strong> je<strong>der</strong> Gegebenheit perfekt anpasst.<br />

Zu einer letzten Unters<strong>ch</strong>eidung: In <strong>der</strong> heutigen Welt s<strong>ch</strong>eint es Konsens zu sein, dass die<br />

Erfüllung von Wüns<strong>ch</strong>en zu einem glückli<strong>ch</strong>en Leben führt. Buddha erkannte demgegenüber<br />

gerade in Wüns<strong>ch</strong>en die Ursa<strong>ch</strong>e für Leid. Wüns<strong>ch</strong>e halten einen gerade davon ab, jetzt<br />

glückli<strong>ch</strong> und zufrieden zu sein, wertfrei alles zu nehmen, wie es kommt, und total in dem<br />

Umgang mit <strong>der</strong> Welt aufzugehen. Dazu bedarf es ni<strong>ch</strong>ts als <strong>der</strong> Fähigkeit, in Stille<br />

(gedankli<strong>ch</strong>er: Abwesenheit von Geräus<strong>ch</strong>en ist ni<strong>ch</strong>t gemeint) im Hier-Jetzt zu verweilen.<br />

Deshalb beruht Zen au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf S<strong>ch</strong>riften, kennt keine Dogmen o<strong>der</strong> wahre Sätze.<br />

Wahrheit ist gelebte Wahrheit. Zen basiert darauf, Stille o<strong>der</strong> Leere in si<strong>ch</strong> zu finden, das<br />

heißt: Zazen zu praktizieren.<br />

Wir können die Laws of <strong>Form</strong> zusammenfassen als:<br />

> Triff eine Unters<strong>ch</strong>eidung und Du ers<strong>ch</strong>affst ein Universum. <<br />

Bei Linji fand i<strong>ch</strong> den verblüffend ähnli<strong>ch</strong>en Ausspru<strong>ch</strong>:<br />

113


„<strong>Die</strong> kleinste Bewegung des Geistes erzeugt die drei Welten.“ (LINJI 1996: 84)<br />

Was wir erfahren, liegt in uns selbst begründet – und wir können darauf a<strong>ch</strong>ten, was wir tun,<br />

wel<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>eidungen wir treffen, um die Dinge so ers<strong>ch</strong>einen zu lassen, wie sie<br />

ers<strong>ch</strong>einen.<br />

S<strong>ch</strong>lussbetra<strong>ch</strong>tung<br />

In diesem Text wurde die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Mathematik und <strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong><br />

Laws of <strong>Form</strong> von George Spencer Brown verfolgt. <strong>Die</strong>se Unters<strong>ch</strong>eidung entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong><br />

Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en einerseits dem Indikationenkalkül in seiner mathematis<strong>ch</strong>en <strong>Form</strong>,<br />

Präzision sowie Bedeutung für die Grundlagen <strong>der</strong> Mathematik und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong><br />

Anwendung <strong>der</strong> <strong>Form</strong> des re-entries auf den Unters<strong>ch</strong>ei<strong>der</strong>: den Beob¬a<strong>ch</strong>ter. Es wurde mit<br />

diesem Text versu<strong>ch</strong>t, beide Seiten <strong>der</strong> „Medaille“ Laws of <strong>Form</strong> verständli<strong>ch</strong> darzustellen.<br />

Dabei lagen die Ziele in <strong>der</strong> mathematis<strong>ch</strong>en Rehabilitation <strong>der</strong> <strong>Form</strong> <strong>der</strong> <strong>Paradoxie</strong> und <strong>der</strong><br />

Darstellung einer auf den Laws of <strong>Form</strong> aufbauenden Erkenntnistheorie, die darin mündet,<br />

einen Weg aufzuzeigen, keiner <strong>der</strong> beiden Seiten Beoba<strong>ch</strong>¬ter/Beoba<strong>ch</strong>tetes einen Vorrang<br />

einzuräumen.<br />

Alan Watts weist den Laws of <strong>Form</strong> sogar eine über die Mathematik und Philosophie<br />

hinausrei<strong>ch</strong>ende Bedeutung zu:<br />

„Aber sobald au<strong>ch</strong> nur eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen ist, wie zwis<strong>ch</strong>en Yin und Yang o<strong>der</strong> 0<br />

und 1, dann ist alles, was wir die Gesetze o<strong>der</strong> Grundsätze <strong>der</strong> Mathematik, Physik und<br />

Biologie nennen, eine notwendige Folge, wie G. Spencer mit seinem Kalkül bewiesen hat.“<br />

(WATTS 1983: 79)<br />

Das bes<strong>ch</strong>reibt au<strong>ch</strong> eine dritte zentrale Zielsetzung dieses Textes: Plau¬sibel und<br />

verständli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en, dass jedes Universum aufgrund des ursprüngli<strong>ch</strong>en Aktes einer<br />

Trennung, einer Unters<strong>ch</strong>eidung zustande kommt. Man findet diesen Anfang au<strong>ch</strong> in allen<br />

großen Religionen und S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />

Es ist ein weiteres Anliegen dieser Arbeit gewesen, dem Gedanken Ausdruck zu verleihen,<br />

dass Bedeutung ni<strong>ch</strong>t in den Dingen steckt, die wir für bedeutend halten, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />

zu verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en, dass es <strong>der</strong> jeweilige Beoba<strong>ch</strong>ter ist, <strong>der</strong> Bedeutungen bewusst o<strong>der</strong><br />

unbewusst zus<strong>ch</strong>reibt.<br />

Wir haben als lebende und denkende Wesen/Systeme gelernt, bestimmte Dinge so-und-so<br />

zu bewerten, ihnen diese o<strong>der</strong> jene Bedeutung zu geben. <strong>Die</strong>s ges<strong>ch</strong>ieht individuell, ist aber<br />

au<strong>ch</strong> kulturell bedingt, also von <strong>der</strong> Umwelt geprägt. Ein beliebtes Bild für den Gedanken,<br />

dass wir es sind, die den Dingen Bedeutungen zus<strong>ch</strong>reiben, ist das <strong>der</strong> Brille (selektive<br />

Blindheit), die jedes Wesen/System trägt und dur<strong>ch</strong> die es die Umwelt sieht. <strong>Die</strong> Brille steht<br />

dann für unser Wertungssystem, mit dem <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter die Leere strukturiert, um eine<br />

Welt zu erleben. Dabei kommt <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t zu <strong>der</strong> Leere hinzu, wie es die<br />

<strong>Form</strong>ulierung des letzten Satzes nahe legt, son<strong>der</strong>n ist die Seite <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Welt und Beoba<strong>ch</strong>ter, <strong>der</strong> das Strukturieren und Konstruieren zugere<strong>ch</strong>net wird –<br />

in einem koproduzierenden Prozess <strong>der</strong> evolutionären Ausdifferen-zierung. <strong>Die</strong> Welt selbst<br />

enthält keine Unters<strong>ch</strong>iede – und ist dadur<strong>ch</strong> offen und frei für jede mögli<strong>ch</strong>e<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung, lässt si<strong>ch</strong> mit je<strong>der</strong> Brille betra<strong>ch</strong>ten. <strong>Die</strong> Welt ist leer. In diesem Sinne ist<br />

letztli<strong>ch</strong> alles bedeutungs-los. An<strong>der</strong>erseits ist die Welt, die wir erleben, jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />

an<strong>der</strong>es als Bedeutung (die wir ihr geben). Hier zeigt si<strong>ch</strong>, dass bedeutungsvoll und<br />

bedeutungslos letztli<strong>ch</strong> identis<strong>ch</strong> – zwei Seiten einer <strong>Form</strong> – sind.<br />

<strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> wie au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> vorliegende Text sind – zunä<strong>ch</strong>st fraglos – wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Texte. Sie sind beide in dem Themenkreis thematis<strong>ch</strong> angesiedelt, wo Mathematik, Logik<br />

und Philosophie ineinan<strong>der</strong> übergehen. Wenn es si<strong>ch</strong> hier also um Wissens<strong>ch</strong>aft handelt,<br />

kann man erwarten, dass die Frage na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wahrheit zu Grunde liegt. Zum Beispiel fanden<br />

114


wir, dass Mathematik grundlegen<strong>der</strong> als Logik ist; dass <strong>Paradoxie</strong>n eine mögli<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong><br />

darstellen, die ni<strong>ch</strong>t eliminiert werden muss; dass jede Unters<strong>ch</strong>eidung von einem<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter getroffen wird; und dass <strong>Form</strong> und Leere si<strong>ch</strong> gegenseitig bedingen und<br />

produzieren. <strong>Die</strong>s sind einige <strong>der</strong> „Wahrheiten“ dieses Textes. Zumindest kann man diesen<br />

und jenen Text so lesen.<br />

Mit den Laws of <strong>Form</strong> haben wir demna<strong>ch</strong> wie<strong>der</strong> ein Instrument in <strong>der</strong> Hand, Realität<br />

dingfest zu ma<strong>ch</strong>en, das heißt zu wissen, wie und was Realität ist. Wir können „na<strong>ch</strong> all<br />

dem“ aber au<strong>ch</strong> sehen, dass ein Beoba<strong>ch</strong>ten unter dem S<strong>ch</strong>ema wahr/fals<strong>ch</strong> selbst ni<strong>ch</strong>t<br />

wahr (o<strong>der</strong> fals<strong>ch</strong>) ist. In dem vorliegenden Text wird ja gerade au<strong>ch</strong> thematisiert, dass wie<br />

jede Unters<strong>ch</strong>eidung au<strong>ch</strong> die zwis<strong>ch</strong>en wahr und fals<strong>ch</strong> die „Welt verletzt“ und nur eine<br />

mögli<strong>ch</strong>e <strong>Form</strong> <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung (und Verletzung) <strong>der</strong> Welt ist. Es ist also die Integration von<br />

Selbstbezügli<strong>ch</strong>keit in das Theorie-gebäude, die eine engstirnige Si<strong>ch</strong>t auf die Welt an ihre<br />

Grenzen führt. Viellei<strong>ch</strong>t kann man sagen, dass dieser und jener Text hinter Wahrheit<br />

zurückführen und insofern au<strong>ch</strong> keine wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Texte darstellen. Wenn dem so<br />

wäre, dann müsste si<strong>ch</strong> die Wissens<strong>ch</strong>aft zugestehen, dass dies kein Mangel, son<strong>der</strong>n ein<br />

Forts<strong>ch</strong>ritt wäre.<br />

<strong>Die</strong> Polarität zwis<strong>ch</strong>en Wissen und Ni<strong>ch</strong>t-Wissen ist das Dilemma dieser Bes<strong>ch</strong>reibung<br />

einer Si<strong>ch</strong>tweise von Realität, die gerade hervorhebt, dass alles in Bewegung und<br />

Verän<strong>der</strong>ung ist, dass man lieber in <strong>der</strong> Gegenwart sein und mit dem Lauf <strong>der</strong> Dinge gehen<br />

als mit und in vorgefassten Urteilen und Meinungen leben sollte, die stets von<br />

vergangenheits- und zukunftsbedingten Ängsten und Wüns<strong>ch</strong>en rühren. Man kann<br />

aufmerksam und ehrli<strong>ch</strong> mit dem sein, was gerade ist, und si<strong>ch</strong> selbst in dem sehen, was<br />

man sieht. In diesem Sinne sind die Laws of <strong>Form</strong> gerade <strong>der</strong> Weisheit letzter S<strong>ch</strong>luss, den<br />

es ni<strong>ch</strong>t geben kann. Mit ihnen wird ni<strong>ch</strong>ts fest gestellt, son<strong>der</strong>n die Aufmerksamkeit darauf<br />

geri<strong>ch</strong>tet, dass alles, was ist, dur<strong>ch</strong> das Treffen von Unters<strong>ch</strong>eidungen erzeugt wird, und<br />

dass es immer jemand ist, <strong>der</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidungen trifft. <strong>Die</strong> hier dargestellte „Si<strong>ch</strong>t auf die<br />

Dinge“ ist eben ni<strong>ch</strong>t „wahrer“ als an<strong>der</strong>e Si<strong>ch</strong>tweisen.<br />

Fragli<strong>ch</strong> ist aus fehlenden Wahrheitsanspru<strong>ch</strong>smotiven die Motivation, auf diese an<strong>der</strong>e<br />

Si<strong>ch</strong>t auf die Welt aufmerksam zu ma<strong>ch</strong>en. Denn sie hat auf einer philosophis<strong>ch</strong>en Ebene<br />

keine Konsequenzen, da sie ni<strong>ch</strong>t in Konkurrenz zu an<strong>der</strong>en Auffassungen treten kann. Sie<br />

leugnet ni<strong>ch</strong>t die Wahrnehmung einer Welt. Der Beoba<strong>ch</strong>ter <strong>der</strong> Beoba<strong>ch</strong>tung erkennt in<br />

dem Wahrgenommenen den Wahrnehmenden. <strong>Die</strong> einzige Angriffsflä<strong>ch</strong>e, die er bietet, ist<br />

seine Ni<strong>ch</strong>t-Angreifbarkeit.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Form</strong>theorie führte uns zu dem Gedanken, dass das, was wir wahrnehmen, uns<br />

Auskunft gibt über die Unters<strong>ch</strong>eidungen, die wir treffen, und ni<strong>ch</strong>t über eine Welt, die<br />

uns gegenübersteht, und deshalb können wir uns selbst in allen Dingen finden.<br />

Vor diesem Hintergrund gewinnt die verbotene Fru<strong>ch</strong>t, die Erkenntnis, eine interessante<br />

Bedeutung: Das Treffen <strong>der</strong> ersten Unters<strong>ch</strong>eidung führt uns aus dem Paradies in diese<br />

Welt, die wir zu erkennen tra<strong>ch</strong>ten. <strong>Die</strong> Laws of <strong>Form</strong> sind deshalb so relevant, weil sie einen<br />

Weg aus dem Erkenntnis¬dilemma weisen, indem sie dur<strong>ch</strong> Selbstreflexion entlarven, dass<br />

<strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> erkannten Welt <strong>der</strong> leere Zustand ist.<br />

Na<strong>ch</strong>wort<br />

Nun s<strong>ch</strong>reibt also jemand ein Bu<strong>ch</strong>, das unter an<strong>der</strong>em <strong>Form</strong> auf Leere zurückführt, und<br />

kann den Begriff <strong>der</strong> Leere ni<strong>ch</strong>t definieren, ni<strong>ch</strong>t greifbar o<strong>der</strong> begreifbar ma<strong>ch</strong>en. Es bleibt<br />

vage. Und wir verstehen viellei<strong>ch</strong>t, dass das so sein muss, da Leere eben ni<strong>ch</strong>t als<br />

Unters<strong>ch</strong>ied zu etwas an<strong>der</strong>em gefasst werden kann. Je<strong>der</strong> Versu<strong>ch</strong>, Leere auf<br />

intellektuellem Wege zu be-greifen und zu erfassen, muss daran s<strong>ch</strong>eitern, dass jedes<br />

Begreifen und Er-fassen etwas begreift und etwas erfasst – also: immer im Unters<strong>ch</strong>ied zu<br />

an<strong>der</strong>em, immer als <strong>Form</strong>. <strong>Die</strong> Leere ist aber gerade ni<strong>ch</strong>t: dieses und ni<strong>ch</strong>t jenes.<br />

115


Nun basiert ein Text auf dem Gebrau<strong>ch</strong> von Spra<strong>ch</strong>e. Und je<strong>der</strong> ges<strong>ch</strong>riebenen Spra<strong>ch</strong>e ist<br />

notwendigerweise zu eigen, dass ihr Unters<strong>ch</strong>eidungen innewohnen. Spra<strong>ch</strong>e ist dualistis<strong>ch</strong>,<br />

da je<strong>der</strong> Begriff dieses und ni<strong>ch</strong>t jenes bezei<strong>ch</strong>net. Spra<strong>ch</strong>e kann also ni<strong>ch</strong>t hinter die<br />

Kulissen <strong>der</strong> <strong>Form</strong> – auf die an<strong>der</strong>e Seite – führen, da sie auf <strong>Form</strong> beruht.<br />

Viellei<strong>ch</strong>t kann und sollte man deshalb ni<strong>ch</strong>t darüber spre<strong>ch</strong>en.<br />

Es gibt aber an<strong>der</strong>e Wege, si<strong>ch</strong> die Leere wie<strong>der</strong>-bewusst zu ma<strong>ch</strong>en. Soweit es mir mögli<strong>ch</strong><br />

ist, habe i<strong>ch</strong> mit Worten darzustellen versu<strong>ch</strong>t, was <strong>Form</strong> ist und dass ein „An<strong>der</strong>es“ „koexistiert“.<br />

Da i<strong>ch</strong> die Leere in einem Text ni<strong>ch</strong>t zeigen kann, so mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> do<strong>ch</strong> wenigstens<br />

einen gangbaren Weg <strong>der</strong> Annäherung an die Leere vors<strong>ch</strong>lagen – <strong>der</strong> natürli<strong>ch</strong> auf eigenem<br />

Tun und Erfahren beruht, ni<strong>ch</strong>t auf Lesen.<br />

Es ist <strong>der</strong> Weg, dem Zen-Buddhisten seit Shakyamuni Buddha folgen und <strong>der</strong> ganz<br />

undogmatis<strong>ch</strong>, unreligiös und praktis<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong> Praxis des Zazen, dem Sitzen vor <strong>der</strong> weißen<br />

Wand basiert.<br />

Auf eine ziellose Art und Weise können wir das Ziel errei<strong>ch</strong>en, die Leere finden.<br />

Na<strong>ch</strong>dem i<strong>ch</strong> viereinhalb Jahre lang „nebenher“ an diesem Text arbeitete, habe i<strong>ch</strong> ein<br />

großes Interesse daran zu erfahren, ob <strong>der</strong> Text für an<strong>der</strong>e verständli<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong>vollziehbar<br />

geworden ist. I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te Sie also ermuntern, mir Ihre Anmerkungen, Kritiken, Denkanstösse<br />

mitzuteilen. Au<strong>ch</strong> für Na<strong>ch</strong>fragen und jegli<strong>ch</strong>en an<strong>der</strong>en Start in einen Austaus<strong>ch</strong> über die<br />

Laws of <strong>Form</strong> habe i<strong>ch</strong> ein offenes Ohr.<br />

Bitte an:<br />

Felix Lau<br />

Galgenberg 57<br />

22880 Wedel<br />

mail: felixlau@gmx.de<br />

Felix Lau, Hamburg am 25.09.2005<br />

Glossar<br />

Anzeige – Wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung getroffen wird, ist immer eine Seite angezeigt. <strong>Die</strong><br />

Anzeige unters<strong>ch</strong>eidet die Seiten einer Unters<strong>ch</strong>eidung. Dazu ist kein Zei<strong>ch</strong>en notwendig,<br />

nur ein Werten, ein Ri<strong>ch</strong>ten von Aufmerksamkeit.<br />

Algebra – Teilgebiet <strong>der</strong> Mathematik, in dem die Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en mathematis<strong>ch</strong>en<br />

Größen und den ihnen zu Grunde liegenden Regeln mit Hilfe von Variablen ausgedrückt<br />

werden.<br />

Arithmetik – bezei<strong>ch</strong>net das <strong>der</strong> Algebra vorgelagerte Gebiet <strong>der</strong> Mathe¬matik, das no<strong>ch</strong> von<br />

Variablen frei ist, in dem also nur mit Konstanten gere<strong>ch</strong>net wird.<br />

Ausdruck – eine als Anzeige beabsi<strong>ch</strong>tigte Zusammenstellung von crosses.<br />

Axiom – anfängli<strong>ch</strong>e Setzung in einem formalen System bzw. Kalkül.<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter – ist das ausges<strong>ch</strong>lossene Dritte einer jeden aktuellen Beoba<strong>ch</strong>tung. <strong>Die</strong><br />

Metapher des Beoba<strong>ch</strong>ters hebt hervor, dass Beoba<strong>ch</strong>tungen als die Produkte eines<br />

beoba<strong>ch</strong>tenden Systems betra<strong>ch</strong>tet werden können.<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung – ist die Einheit von Unters<strong>ch</strong>eidung und Anzeige. Es wird immer etwas<br />

beoba<strong>ch</strong>tet (angezeigt) und dadur<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>e, unange¬zeigte Seite ni<strong>ch</strong>t gesehen.<br />

116


Beweis – nennen wir hier ganz allgemein eine Abfolge von Konstruktionen und<br />

Betra<strong>ch</strong>tungen, die ni<strong>ch</strong>t innerhalb <strong>der</strong> Regeln des Kalküls ange¬geben sind, die zu dem<br />

Wissen führen, dass <strong>der</strong> zu beweisende Zusammenhang, das Theorem, gültig ist.<br />

Bezei<strong>ch</strong>nung – ist die in <strong>der</strong> Literatur übli<strong>ch</strong>e Übersetzung von indication; in diesem Text wird<br />

dieser Ausdruck mit „Anzeige“ wie<strong>der</strong>gegeben.<br />

Buddha – Begriff für die undefinierbare und unbenennbare Leere, aus <strong>der</strong> heraus einem<br />

Lebewesen eine Welt ers<strong>ch</strong>eint, und Titel für die histori¬s<strong>ch</strong>e Figur namens Shakyamuni.<br />

Cross – ist <strong>der</strong> Name für das Symbol <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung und für die Anweisung, die Grenze<br />

zu kreuzen. Jedes cross und je<strong>der</strong> Ausdruck stehen in einem unwritten cross.<br />

Dao – Begriff für den undefinierbaren Gang <strong>der</strong> Dinge; All-Einheit, aus <strong>der</strong> heraus si<strong>ch</strong> die<br />

Polaritäten manifestieren; Urgrund des Seins.<br />

Demonstration – nennen wir hier eine Abfolge von Re<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>ritten, die innerhalb des<br />

Kalküls gegeben o<strong>der</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt sind, die zu dem Wissen führen, dass <strong>der</strong> zu<br />

demonstrierende Zusammenhang, die Konsequenz, gültig ist.<br />

Entry/Eintritt – bezei<strong>ch</strong>net das Treffen einer (immer wie<strong>der</strong> ersten) Unter¬s<strong>ch</strong>eidung.<br />

Erkenntnis – fixierte Ansi<strong>ch</strong>t über die Realität.<br />

Existenz – ist das, was man zu sehen bekommt, wenn man mittels <strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung von<br />

Sein und Ni<strong>ch</strong>ts beoba<strong>ch</strong>tet.<br />

<strong>Form</strong> – (<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung) bezei<strong>ch</strong>net das allen Unters<strong>ch</strong>eidungen Gemeinsame: zwei<br />

Seiten, die dur<strong>ch</strong> eine Grenze getrennt sind und die selbst wie<strong>der</strong> in einem Raum, das heißt<br />

einer Seite einer weiteren Unters<strong>ch</strong>eidung stehen.<br />

Indikationenkalkül – die in dem vorliegenden Text verwendete Überset¬zung von calculus of<br />

indication, dem Originalnamen des Spencer Browns<strong>ch</strong>en Kalküls.<br />

Initial – bezei<strong>ch</strong>net den Ausgangspunkt <strong>der</strong> Kalkulation, also des Re<strong>ch</strong>nens, Demonstrierens<br />

und Beweisens.<br />

Kalkül, <strong>der</strong> (ni<strong>ch</strong>t: das) – Der Begriff „Kalkül“ bezei<strong>ch</strong>net ein Verfahren zur Erzeugung von<br />

Zei<strong>ch</strong>enreihen o<strong>der</strong> mathematis<strong>ch</strong>en Sätzen na<strong>ch</strong> bestimmten Regeln, die dem Kalkül als<br />

Grundsätze o<strong>der</strong> „Axiome“ voranstehen.<br />

Koproduktion, konditionierte – bezei<strong>ch</strong>net das erkenntnistheoretis<strong>ch</strong>e Äquivalent zur<br />

indikationslogis<strong>ch</strong>en „Erweiterung <strong>der</strong> Referenz“. Ganz allgemein: Das Ausdifferenzieren <strong>der</strong><br />

einen Seite einer Unters<strong>ch</strong>eidung verän<strong>der</strong>t au<strong>ch</strong> die an<strong>der</strong>e Seite.<br />

Leere –<br />

Marker – ist <strong>der</strong> Ausdruck für eine <strong>Form</strong>, die in ihrem eigenen Raum wie<strong>der</strong> vorkommt;<br />

Symbol für den re-entry.<br />

Operand – das, worauf eine Operation angewandt wird; im Indikationen¬kalkül<br />

ununters<strong>ch</strong>ieden von „Operator“.<br />

Operation – hier: das Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung.<br />

Operator – Symbol für die Anweisung, eine Operation auszuführen.<br />

Oszillation – das zeitlose We<strong>ch</strong>seln zwis<strong>ch</strong>en zwei Zuständen.<br />

117


<strong>Paradoxie</strong>n – treten auf, wenn eine Unters<strong>ch</strong>eidung auf <strong>der</strong> unangezeigten Seite eben dieser<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung wie<strong>der</strong> eingeführt wird.<br />

Raum – Jede Unters<strong>ch</strong>eidung wird in einem Raum getroffen, diesen in zwei Seiten (die<br />

wie<strong>der</strong> Räume sind) trennend.<br />

Realität – meint, was einem Beoba<strong>ch</strong>ter ers<strong>ch</strong>eint. Realität und Beoba<strong>ch</strong>ter stehen in einem<br />

Verhältnis <strong>der</strong> „konditionierten Koproduktion“.<br />

Re-entry – heißt die <strong>Form</strong>, in <strong>der</strong> eine Unters<strong>ch</strong>eidung auf einer Seite <strong>der</strong> selben<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung eingeführt wird.<br />

System – Dass zwis<strong>ch</strong>en System und Umwelt unters<strong>ch</strong>ieden wird, zeigt für einen Beoba<strong>ch</strong>ter<br />

an, dass er ein System beoba<strong>ch</strong>tet.<br />

System, formales – siehe „Kalkül“.<br />

Token – Name für das Symbol <strong>der</strong> Markierung einer Unters<strong>ch</strong>eidung = cross.<br />

Tunnel – ist das Bild, das in dem Text verwendet wird, um das We<strong>ch</strong>seln <strong>der</strong> Seiten zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen, das bei <strong>der</strong> Oszillation auftritt; an<strong>der</strong>s als bei gewöhnli<strong>ch</strong>en Anzeigen findet hier<br />

das We<strong>ch</strong>seln <strong>der</strong> Seiten ohne Kreuzen <strong>der</strong> Grenze statt.<br />

Typentheorie – von Bertrand Russell und Alfred North Whitehead in ihren Principia<br />

Mathematica zur Vermeidung von <strong>Paradoxie</strong>n aufgestelltes formales System.<br />

Universum – bes<strong>ch</strong>reibt die Gesamtheit des Existierenden, Seienden; es wird mit einem<br />

Lebewesen, das es wahrnimmt, koproduziert.<br />

Unters<strong>ch</strong>eidung – meint die Trennung eines „Raumes“ in zwei Zustände, Seiten o<strong>der</strong><br />

Räume, die ni<strong>ch</strong>t verwe<strong>ch</strong>selt werden und <strong>der</strong>en eine ange¬zeigt ist.<br />

Vollständigkeit – Wenn si<strong>ch</strong> aus den Grundaussagen (Axiomen) und den Ableitungsregeln<br />

eines formalen Systems alle wahren Aussagen ableiten lassen, also bewiesen werden<br />

können, nennt man das System vollständig.<br />

Welt – entsteht mit dem Treffen einer Unters<strong>ch</strong>eidung und entzieht si<strong>ch</strong> prinzipiell <strong>der</strong><br />

Beoba<strong>ch</strong>tbarkeit. Jede Unters<strong>ch</strong>eidung trennt die Welt in zwei Seiten, so dass man si<strong>ch</strong> auf<br />

einer <strong>der</strong> Seiten befindet und ihre Einheit ni<strong>ch</strong>t mehr sehen kann.<br />

Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfreiheit – Eine formale Theorie heißt wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong>sfrei, wenn es in ihr ni<strong>ch</strong>t<br />

mögli<strong>ch</strong> ist, sowohl eine Aussage als au<strong>ch</strong> <strong>der</strong>en Negation abzuleiten/zu beweisen.<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit – Mit diesem Begriff wird auf den Zusammenhang des Wahr¬genommenen mit<br />

den Sinnen Bezug genommen. <strong>Die</strong> Wirkli<strong>ch</strong>keit ist abhängig vom Sinnesapparat und damit<br />

zum Beispiel für Mens<strong>ch</strong>en sehr ähnli<strong>ch</strong>.<br />

Zeit – meint hier etwas Allgemeineres als ein Maß <strong>der</strong> Zeit (Sekunden, Jahre etc.). Zeit geht<br />

einher mit <strong>der</strong> Wahrnehmung einer Verän<strong>der</strong>ung. <strong>Die</strong>se ursprüngli<strong>ch</strong>e Zeit wird<br />

hervorgerufen dur<strong>ch</strong> eine „Oszillation“ zwis<strong>ch</strong>en zwei Zuständen (re-entry).<br />

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