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Einstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, Einstellung ...

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63<br />

10. Der Abschluss des Ermittlungsverfahrens: <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> <strong>rechtlichen</strong> <strong>oder</strong><br />

tatsächlichen Gründen, <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> Opportunitätsgründen, Anklage, Antrag<br />

auf Strafbefehl, Antrag im beschleunigten Verfahren<br />

10.1 Am Ende des Ermittlungsverfahrens steht die Entscheidung der Staatsanwaltschaft<br />

über die<br />

- Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO)<br />

- <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> tatsächlichen und/<strong>oder</strong> <strong>rechtlichen</strong> Gründen (§ 170 Abs. 2 Satz<br />

1 StPO)<br />

- <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> Opportunitätsgründen (§§ 153 ff. StPO, § 45 JGG)<br />

- Verweisung auf die Privatklage (§ 376 StPO; s. hierzu Kap. 7.4).<br />

Die Anklageerhebung kann neben der „normalen“ Anklage auch im Strafbefehlsverfahren<br />

sowie im beschleunigten Verfahren - bei Jugendlichen im vereinfachten<br />

Verfahren - erfolgen.<br />

Abschluss des Ermittlungsverfahrens<br />

Anklageerhebung <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> Verweisung auf<br />

(§ 170 Abs.1 StPO) zwingenden Opportunitäts- die Privatklage<br />

Gründen gründen (§ 376 StPO)<br />

(§ 170 Abs. 2 StPO) (§§ 153 ff. StPO,<br />

§ 45 JGG)<br />

Anklageerhebung<br />

Antrag auf Durchführung Strafbefehlsantrag Antrag im beschleunigeiner<br />

Hauptverhandlung (§§ 407 ff. StPO) ten Verfahren<br />

(§ 199 Abs. 2 StPO) (§§ 417 ff. StPO)<br />

10.2 Die <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> tatsächlichen und/<strong>oder</strong> <strong>rechtlichen</strong> Gründen hat Vorrang.<br />

Trotzdem wird in der Praxis auch <strong>aus</strong> Opportunitätsgründen eingestellt, obwohl<br />

die tatsächlichen und/<strong>oder</strong> <strong>rechtlichen</strong> Vor<strong>aus</strong>setzungen einer Straftat noch nicht<br />

geklärt sind. Die <strong>Einstellung</strong> <strong>aus</strong> Opportunitätsgründen ist auch im weiteren Ver-


64<br />

fahren mit Einschluss der Hauptverhandlung möglich. Die <strong>Einstellung</strong>svor<strong>aus</strong>setzungen<br />

„geringe Schuld“ und „kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung“<br />

sind höchst unbestimmt. Dem entsprechen die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen<br />

<strong>Einstellung</strong>squoten, obwohl zum Teil administrative Vorgaben<br />

(durch den Justizminister <strong>oder</strong> den Generalstaatsanwalt) gemacht werden, z. B.<br />

Wertgrenzen für die <strong>Einstellung</strong> bei einem Ladendiebstahl vorgegeben werden.<br />

Besonders problematisch ist der so genannte Deal zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft<br />

und Verteidigung: So wird beispielsweise von Seiten der Verteidigung<br />

die Zahlung einer relativ hohen Geldbuße (s. § 153 a Abs. 1 Nr. 2 StPO) angeboten,<br />

wenn die Staatsanwaltschaft von einer Anklageerhebung absieht. Noch problematischer<br />

ist die Absprache einer konkreten - relativ milden - Sanktion in der<br />

Hauptverhandlung unter der Bedingung, dass die Verteidigung keine weiteren<br />

Beweisanträge stellt.


Hierzu folgender Fall:<br />

65<br />

(zur Lösung s. BGHSt 36, 210)<br />

Besondere Bedeutung kommt im Rahmen eines Deals dem „<strong>aus</strong>gehandelten“ Rechtsmittelverzicht<br />

zu. Der 3. Senat des BGH für Strafsachen hat in einem Vorlagebeschluss eine<br />

solche verbindliche Urteilsabsprache für unwirksam erklärt, da damit die Gefahr begründet<br />

werde, dass die richterliche Aufklärungspflicht und das Gebot des schuldangemessenen<br />

Strafens verletzt werden (BGH NJW 2004, 2536). Zur Praxis des Deals hat der Senat<br />

deutliche Kritik geäußert: „Der Senat ist weiterhin der Auffassung, dass die gerichtliche


66<br />

Praxis zunehmend Anlass zu der Besorgnis gibt, die Grundprinzipien des Strafprozesses<br />

seien gefährdet. Zwar gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Grenzen zulässiger<br />

Verständigung in der täglichen Praxis der Strafgerichte regelmäßig überschritten werden.<br />

Indes ist ... der Bereich bedauerlicher Einzelfälle – quasi sporadischer „Ausreißer“ –<br />

deutlich überschritten. Dabei kommt es auf eine genaue Quantifizierung ebenso wenig an<br />

wie auf eine Festlegung, ob die kritischen Fälle eher dadurch zu charakterisieren sind,<br />

dass zur Vermeidung eines längeren Prozesses für ein Geständnis des Angeklagten vom<br />

Gericht eine Strafe an <strong>oder</strong> unterhalb der Grenze des Schuldangemessenen angeboten<br />

wird, <strong>oder</strong> dass durch die In<strong>aus</strong>sichtstellung einer gravierenden Sanktion für den Fall des<br />

Bestreitens ein Geständnis des Angeklagten erlangt wird. Die Verstöße sind gleichermaßen<br />

geeignet, das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung und deren Vertrauen in die Strafgerichtsbarkeit<br />

zu zerstören. Aufgabe der obergerichtlichen Rechtsprechung muss es sein,<br />

dieses Vertrauen zu erhalten und gleichzeitig den Tatrichtern die Möglichkeit zu belassen,<br />

in offener Verhandlungsführung mit den Beteiligten über die Aussichten des Verfahrens<br />

zu sprechen. Der Einschätzung von Rieß, dass dies nur gelingen könne, „wenn der<br />

Unsitte, den Inhalt der Urteilsabsprache durch Verzichtvereinbarungen einer Rechtsmittelkontrolle<br />

zu entziehen, nachdrücklich und wirksam begegnet wird“ (Rieß in Festschrift<br />

Meyer-Goßner, S. 645, 663), kann der Senat dem Inhalt nach nur beitreten.“<br />

Mittlerweile hat der Große Strafsenat seine Entscheidung getroffen:<br />

„1. Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines<br />

Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht<br />

hinwirken.<br />

2. Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte,<br />

der nach § 35 a Satz 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist,<br />

stets auch darüber zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung<br />

frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt<br />

auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand<br />

hatte.<br />

3. Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die Einlegung eines<br />

Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn erklärende Rechtsmittelberechtigte<br />

nicht qualifiziert belehrt worden ist.“<br />

(BGH NJW 2005, 1440)<br />

Ein Gesetzentwurf des BJM vom 19.5.2006 ist in der rechtpolitischen Diskussion.


67<br />

Zur unterschiedlichen <strong>Einstellung</strong>praxis in der Bundesrepublik Deutschland s.<br />

folgende Übersicht:<br />

Nach Allgemeinem Strafrecht informell und formell Sanktionierte<br />

BundesrepublikDeutschland 1981..2002 (alte Länder)<br />

Formell Sanktionierte, <strong>Einstellung</strong>en mit / ohne Auflagen in abs. Zahlen (in T<strong>aus</strong>end)<br />

1.400 Abs. Zahlen, in T<strong>aus</strong>end Formell Sanktionierte<br />

1.200<br />

1.000<br />

800<br />

600<br />

§ 153 StA<br />

ohne Auflagen<br />

§§ 153, 153 b Gericht<br />

ohne Auflagen<br />

§ 153a StA<br />

mit Auflagen<br />

§ 153a Gericht<br />

mit Auflagen<br />

400<br />

200<br />

0<br />

1981 85 90 95 2000 2002<br />

KONSTANZER<br />

INVENTAR<br />

SANKTIONSFORSCHUNG<br />

KIS#6:SXAB1.02.1 VUDIV<br />

(<strong>aus</strong>: Heinz, in Festschrift für Manfred Burgstaller, 2004, S. 516)


68<br />

10.3 Das Strafbefehlsverfahren hat eine große praktische Bedeutung. So wurden im<br />

Jahre 2002 neben 564.826 Anklagen 586.228 Strafbefehlsanträge gestellt (s.<br />

Kap. 2).<br />

Vorteile:<br />

Nachteile:<br />

- Entlastung der Justiz<br />

- geringere Belastung des Beschuldigten durch Wegfall der<br />

Hauptverhandlung<br />

- Unkenntnis, Gleichgültigkeit <strong>oder</strong> Ängstlichkeit erschweren<br />

die aktive Rechtswahrnehmung durch den Beschuldigten<br />

- p<strong>aus</strong>chalierte Sanktionierung ohne Berücksichtigung der<br />

konkreten Beschuldigungssituation<br />

Der Strafbefehlsantrag wird von der Staatsanwaltschaft gestellt (§ 408 StPO). Hat<br />

der Richter gegen den Erlass des Strafbefehls Bedenken, so gibt es zwei Möglichkeiten:<br />

1. Hauptverhandlung ohne Eröffnungsbeschluss (§ 408 Abs. 3 Satz 2<br />

StPO), 2. Ablehnung des Strafbefehlsantrages (§ 408 Abs. 2 StPO).<br />

Gegen den Strafbefehl kann innerhalb von 2 Wochen Einspruch eingelegt werden,<br />

wobei bei rechtzeitigem Einspruch Termin zur Hauptverhandlung anberaumt<br />

wird (§ 411 Abs. 1 Satz 2 StPO). Wird nicht rechtzeitig Einspruch erhoben, so<br />

steht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich (§ 410 Abs. 3 StPO).<br />

10.4 Im Unterschied zum Strafbefehlsverfahren, das selbst eine beschleunigte Form der<br />

Verfahrenserledigung darstellt, wird das beschleunigte Verfahren (§§ 417 - 420<br />

StPO) relativ selten durchgeführt (im Jahr 2002 wurden 37.132 Anträge gestellt).<br />

Ein Hauptanwendungsfall sind Verkehrsdelikte von durchreisenden Ausländern.<br />

Während das Strafbefehlsverfahren ein schriftliches Verfahren darstellt, muss ü-<br />

ber den Anklagevorwurf im beschleunigten Verfahren in einer Hauptverhandlung<br />

entschieden werden. Zur erleichterten Durchführung hat der Gesetzgeber die<br />

Möglichkeit einer so genannten Hauptverhandlungshaft (§ 127 b StPO) geschaffen.<br />

Dem Vorteil der Verfahrensabkürzung (Ladungsfrist beträgt 24 Stunden, §<br />

418 Abs. 2 Satz 3 StPO) steht der Nachteil einer eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeit<br />

gegenüber. Hierbei kann in diesem Verfahren immerhin eine Freiheitsstrafe<br />

bis zu einem Jahr <strong>aus</strong>gesprochen werden (§ 419 Abs. 1 Satz 2 StPO).<br />

Dementsprechend ist das Wort „kurzen Prozess machen“ negativ besetzt.<br />

Frage:<br />

Muss der Beschuldigte im beschleunigten Verfahren einen Verteidiger haben?<br />

(s. § 418 Abs. 4 StPO)


69<br />

10.5<br />

Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren<br />

(Wer kontrolliert die Kontrolleure?)<br />

gegen die Einleitung/<br />

Fortführung eines<br />

Ermittlungsverfahrens<br />

gegen die Nichteinleitung/Unterlassung<br />

von Ermittlungsmaßnahmen<br />

gegen Zwangsmaßnahmen<br />

gegen Versagung<br />

der Akteneinsicht<br />

gegen sonstige<br />

Maßnahmen,<br />

z.B. Presseverlautbarungen<br />

kein Rechtsmittel,<br />

nur Dienstaufsichtsbeschwerde<br />

Beschwerde mit<br />

Klageerzwingungsverfahren<br />

(§ 172 StPO)<br />

Antrag auf gerichtliche<br />

Entscheidung (§ 147<br />

Abs. 5 S. 2 StPO)<br />

Verwaltungsrechtsweg<br />

angeordnet<br />

von der<br />

StA <strong>oder</strong><br />

der Polizei<br />

angeordnet<br />

durch das<br />

Gericht<br />

§ 98 Abs. 2 S. 2 - gegen die<br />

StPO, direkt und<br />

Anordnung als<br />

analog für andere<br />

solche: Beschwerde<br />

Zwangsmaß-<br />

(§§ 304, 305 StPO)<br />

nahmen<br />

- gegen die<br />

Art und Weise:<br />

entweder<br />

Rechtsweg gem.<br />

den §§ 23 ff. EGGVG<br />

<strong>oder</strong> § 98 Abs. 2 S. 2<br />

StPO analog<br />

(umstr.)<br />

Zusätzlich gibt es spezielle Rechtsmittel:<br />

• Haftprüfung (§ 117 StPO);<br />

• Überprüfung des „großen L<strong>aus</strong>changriffs“ (§ 100 d Abs. 10 StPO);<br />

• Anrufung des Gerichts gegen Maßregeln der StA (§ 161a Abs. 3 S. 1 StPO)<br />

10.6 Nach Anklageerhebung ist gem. den §§ 199 ff. StPO über die Eröffnung des<br />

Hauptverfahrens zu entscheiden. Vor<strong>aus</strong>setzung ist ein „hinreichender Tatverdacht“<br />

gem. § 203 StPO.


70<br />

11. Ablauf der Hauptverhandlung: Öffentlichkeit, Verhandlungsleitung, sitzungspolizeiliche<br />

Befugnisse, Ablehnung von Richtern und Staatsanwälten<br />

11.1 Der Ablauf der Hauptverhandlung ist in § 243 StPO geregelt. Die Hauptverhandlung<br />

beginnt mit dem Aufruf der Sache. Bereits hier ist entscheidend, ob die<br />

Hauptverhandlung öffentlich <strong>oder</strong> nichtöffentlich ist. Danach stellt der Vorsitzende<br />

fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel<br />

vorhanden sind. Eine Verhandlung ohne den Angeklagten kann nur ganz <strong>aus</strong>nahmsweise<br />

(s. § 232 StPO) durchgeführt werden. Bei Jugendlichen ist auch die<br />

Anwesenheit der gesetzlichen Vertreter sowie der Jugendgerichtshilfe (dies auch<br />

bei Heranwachsenden) festzustellen. Ist der Verteidiger nicht anwesend, so kann<br />

in Fällen der notwendigen Verteidigung ebenso nicht verhandelt werden (s. § 145<br />

StPO). Auch ansonsten kann bei unverschuldetem Ausbleiben des Verteidigers<br />

<strong>aus</strong> Fairnessgründen die Aussetzung der Verhandlung geboten sein (s. § 228 Abs.<br />

2 StPO).<br />

Nach der Präsenzfeststellung haben die Zeugen den Sitzungssaal zu verlassen,<br />

damit sie später unbeeinflusst von der Vernehmung des Angeklagten ihre Aussagen<br />

machen können. Vorher werden sie belehrt. Sodann wird der Angeklagte über<br />

seine persönlichen Verhältnisse vernommen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang<br />

die vielfach noch anzutreffende Praxis, dass an dieser Stelle mögliche<br />

Vorstrafen erörtert werden. Bei dem Angeklagten kann sich der Eindruck der Voreingenommmenheit<br />

des Gerichts her<strong>aus</strong>stellen.<br />

Danach verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Der Angeklagte wird darauf<br />

hingewiesen, dass es ihm freisteht, sich zu der Anklage zu äußern <strong>oder</strong> nicht zur<br />

Sache <strong>aus</strong>zusagen. Wenn er zur Aussage bereit ist, wird er anschließend vernommen.<br />

Soweit eine Beweisaufnahme erforderlich ist (nicht notwendig bei einem<br />

glaubhaften Geständnis), wird anschließend diese Beweisaufnahme durchgeführt.<br />

Nach Abschluss der Beweisaufnahme hält der Staatsanwalt sein Plädoyer, anschließend<br />

der Verteidiger, sofern vorhanden. Im Jugendstrafverfahren erstattet<br />

vorher die Jugendgerichtshilfe ihren Bericht. Der Angeklagte erhält das so genannte<br />

letzte Wort (§ 258 StPO). Danach zieht das Gericht sich zur Beratung zurück<br />

und verkündet anschließend das Urteil.


71<br />

Gang der Hauptverhandlung<br />

I. Eröffnung (§ 243 Abs. 1, 2 StPO)<br />

- Aufruf der Verhandlung<br />

- Prüfung der Öffentlichkeit bzw. Nichtöffentlichkeit<br />

- Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten (auch gesetzlichen<br />

Vertreter sowie Jugendgerichthilfe im Jugendstrafverfahren)<br />

- Belehrung der Zeugen<br />

- Zeugen verlassen den Sitzungssaal (s. aber § 397 Abs. 1 Satz 1 StPO für<br />

Zeugen als Nebenkläger)<br />

- Vernehmung des Angeklagten zur Person<br />

II.<br />

Verlesung der Anklage durch den Staatsanwalt ( 243 Abs. 3 Satz 1 StPO)<br />

III.<br />

Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 4 StPO)<br />

- Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht<br />

- eventuelle Vernehmung<br />

IV.<br />

Beweisaufnahme (§ 244 StPO)<br />

- Zeugenvernehmung<br />

- Anhörung von Sachverständigen<br />

- Urkundenverlesung<br />

- Augenscheinseinnahme<br />

- Erklärungsrecht des Angeklagten sowie im Jugendstrafverfahren der gesetzlichen<br />

Vertreter (umstr.) nach jeder Beweiserhebung<br />

V. Schlussvorträge (§ 258 StPO)<br />

- Bericht der Jugendgerichtshilfe (im Jugendstrafverfahren)<br />

- Plädoyer des Staatsanwalts<br />

- Plädoyer des Verteidigers<br />

- „letztes Wort“ des Angeklagten<br />

(bei jugendl. Angeklagten auch der ges. Vertreter)<br />

VI.<br />

Urteil (§ 260 StPO)<br />

- Beratung des Gerichts (§ 263 StPO, §§ 192 ff. GVG)<br />

- Urteilsverkündung mit Rechtsmittelbelehrung (§§ 268, 35 a StPO)


72<br />

11.2 Das Öffentlichkeitsprinzip dient der Kontrolle des Verfahrens und der Generalprävention.<br />

Vergleiche zu den Einzelheiten des Prinzips und zu seinen Ausnahmen<br />

die §§ 169 ff. GVG, §§ 48, 109 Abs. 1 Satz 4 JGG.<br />

Es gelten folgende Grundsätze (BVerfG NJW 1973, 1226):<br />

- Ermittlungsverfahren - nichtöffentlich,<br />

- Hauptverhandlung - öffentlich,<br />

- Vollstreckung - nichtöffentlich.<br />

Frage:<br />

Ist in der Bundesrepublik Deutschland ein Court-TV erlaubt? (s. § 169 Satz 2 GVG,<br />

BVerfG NJW 2001, 1633)<br />

11.3 Die Verhandlungsleitung liegt bei dem Vorsitzenden (§ 238 Abs. 1 StPO). Hierzu<br />

gehört, wann eine P<strong>aus</strong>e eingelegt wird, in welcher Abfolge die Zeugen vernommen<br />

werden. Davon zu unterscheiden ist die Sachleitung gemäß § 238 Abs. 2<br />

StPO, die zwar grundsätzlich auch dem Vorsitzenden obliegt, über die aber bei<br />

Beanstandung das gesamte Gericht zu entscheiden hat. Hierzu gehören insbesondere<br />

die Entscheidungen im Rahmen der Beweisaufnahme.<br />

11.4 Neben der Verhandlungsleitung hat der Vorsitzende zur Aufrechterhaltung der<br />

Ordnung in der Sitzung die so genannten sitzungspolizeilichen Befugnisse (§ 176<br />

GVG). Zur Durchsetzung können Personen <strong>aus</strong> der Hauptverhandlung entfernt<br />

sowie Ordnungsmittel (Ordnungsgeld, Ordnungshaft) angeordnet werden (§§ 177,<br />

178 GVG).<br />

Siehe hierzu folgenden Fall: „Dass ein Richter <strong>oder</strong> StA in einer laufenden<br />

Hauptverhandlung vor einer StrK ohne Jacke erscheint, ist, soweit ersichtlich, ein<br />

bisher einmaliger Fall. Zwar gibt es auch dafür, welche Kleidung vor Gericht angemessen<br />

ist, heute keine allgemein gültigen Regeln mehr. Für den, der von der<br />

Arbeitsstelle weg seiner Zeugenpflicht genügt, kann noch angemessen sein, was<br />

für den müßigen Zuhörer unangemessen <strong>oder</strong> etwa für den, der ersichtlich dem<br />

Gericht seine Aufmüpfigkeit zu demonstrieren bestrebt ist, ungebührlich sein<br />

kann. Eines allerdings hat angesichts heutiger Vorgänge in deutschen Gerichtssälen<br />

mehr denn je zu gelten, dass nämlich ein Richter <strong>oder</strong> StA, der - in welcher<br />

Eigenschaft auch immer - sich vor Gericht begibt, sich dort kraft seines Amtes in<br />

jeder Hinsicht als Vorbild zu verhalten hat. Es ist - von denkbaren extremen Aus-


73<br />

nahmesituationen abgesehen - nicht vorbildlich, wenn an einer Hauptverhandlung<br />

vor der StrK gerade ein StA <strong>oder</strong> Richter ohne Jacke teilnimmt. Es ist hier um so<br />

weniger vorbildlich, als nicht der geringste Grund geltend gemacht <strong>oder</strong> ersichtlich<br />

wäre, warum der StA jene Wartezeit im Gerichtssaal nicht in der äußeren<br />

Form verbracht hat, in der das angemessen und deshalb allgemein üblich ist, nämlich<br />

bereits in der Robe.“ (s. OLG Karlsruhe NJW 1977, 311; zur Unzulässigkeit<br />

einer Zurückweisung eines Verteidigers, wenn dieser sich weigert, eine Krawatte<br />

anzulegen, s. jetzt aber OLG Celle StraFo 2002, 355).<br />

Zur Entlarvung von überhöhten Förmlichkeiten hat der vormals bekannte Berliner<br />

Kommunade Fritz Teufel beigetragen: Als er als Angeklagter von dem Vorsitzenden<br />

des Gerichts im Rahmen der Vernehmung aufgefordert wurde, aufzustehen,<br />

folgte er dem mit der Bemerkung: „Wenn es der Gerechtigkeit dient“.<br />

Frage:<br />

Dürfen Ordnungsmaßnahmen gem. dem §§ 177, 178 GVG gegen einen Verteidiger angeordnet<br />

werden? (s. OLG Hamm JZ 2004, 205)<br />

11.5 Ablehnungsanträge gegenüber Richtern und Staatsanwälten haben in den letzten<br />

Jahren im Zuge einer so genannten Konfliktverteidigung größere Bedeutung gewonnen.<br />

Damit kann ein Richter, kann ein Staatsanwalt <strong>aus</strong> der Hauptverhandlung<br />

„her<strong>aus</strong>geschossen“ werden. Hierbei ist zunächst zu bedenken, dass es einen natürlichen<br />

Interessenkonflikt zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht auf der einen<br />

Seite sowie Strafverteidigung auf der anderen Seite gibt. Die Auseinandersetzung<br />

ist im Gerichtssaal etwas normales, ja sie dient letztlich der Gerechtigkeit.<br />

Der Ausschluss von Richtern ist in den §§ 22 ff. StPO abschließend geregelt. Besondere<br />

Bedeutung hat die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit<br />

(§ 24 Abs. 2 StPO), wobei nicht eine tatsächliche Befangenheit Vor<strong>aus</strong>setzung ist,<br />

sondern ein Umstand, der das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit rechtfertigt.<br />

Die Ablehnung von Staatsanwälten ist in ihrer <strong>rechtlichen</strong> Handhabung umstritten.<br />

Es fehlt abweichend von der Richterablehnung eine <strong>aus</strong>drückliche gesetzliche<br />

Regelung. Dementsprechend wird ein Ausschluss des Staatsanwalts von Seiten<br />

des Gerichts ganz überwiegend als unzulässig abgelehnt. Stattdessen kann der<br />

Dienstvorgesetzte einen Staatsanwalt gemäß § 145 GVG <strong>aus</strong> der Hauptverhandlung<br />

her<strong>aus</strong>nehmen.


(Kieler Nachrichten 15.05.2003)<br />

74


75<br />

12. Das Beweisverfahren, Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote<br />

12.1 Im Strafprozess muss die Unschuldsvermutung widerlegt werden. Hierbei lautet<br />

der oberste Grundsatz des Beweisverfahrens ‚im Zweifel für den Angeklagten’<br />

(abgeleitet <strong>aus</strong> Art. 6 Abs. 2 MRK). Gemäß § 261 StPO müssen die Richter persönlich<br />

von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein. Hierbei gibt es keine festen<br />

Beweisregeln, dass z. B. einem Zeugen eher geglaubt werden dürfe als dem<br />

Angeklagten. Wichtig ist aber die Unterscheidung zwischen dem Streng- und<br />

Freibeweisverfahren. Das Strengbeweisverfahren gilt für die Beantwortung der<br />

Schuld- und Straffrage:<br />

- Es dürfen nur die in der StPO vorgesehenen gesetzlichen Beweismittel benutzt<br />

werden (numerus cl<strong>aus</strong>us),<br />

- diese Beweismittel dürfen nur nach den in den §§ 244 - 257 StPO festgelegten<br />

Regeln eingeführt und verwertet werden.<br />

Das Freibeweisverfahren gilt für die Feststellung der Verfahrensvor<strong>aus</strong>setzungen<br />

sowie zur Beantwortung sonstiger prozessualer Fragen (z.B. für das Absehen<br />

von Vereidigung gemäß den §§ 60, 61 StPO):<br />

- keine abschließende Auflistung der Beweismittel,<br />

- keine abschließenden Regeln für Beweiserhebung und Beweisverwertung.<br />

So kann z. B. telefonisch beim Verletzten angefragt werden, ob er einen Strafantrag<br />

stellen wolle. Bei doppelrelevanten Tatsachen, d.h. Tatsachen, die sowohl<br />

die Schuld- <strong>oder</strong> Straffrage als auch die Verfahrensvor<strong>aus</strong>setzungen betreffen<br />

(ob z. B. der Beschuldigte zur Tatzeit 13 <strong>oder</strong> 14 Jahre alt war, s. § 19 StGB), ist<br />

nach dem Strengbeweisverfahren zu entscheiden.<br />

Ein weiterer Grundsatz des Beweisverfahrens ist das Prinzip der Mündlichkeit<br />

und der Unmittelbarkeit, d.h., es soll grundsätzlich die Beweisführung in der<br />

Hauptverhandlung selbst erfolgen (s. § 250 StPO).<br />

12.2 Im Strafverfahren gibt es folgende Beweismittel:<br />

- Geständnis / Einlassung des Angeklagten (§ 243 Abs. 4 StPO),<br />

- Zeugen (§ 48 - 71 StPO),<br />

- Sachverständiger (§§ 72 - 84 StPO),<br />

- richterlicher Augenschein (§ 86 StPO),<br />

- Urkunden (§§ 249 - 256 StPO).<br />

12.3 Neben dem Amtsaufklärungsgrundsatz gemäß § 244 Abs. 2 StPO besteht ein Beweisantragsrecht<br />

des Angeklagten / der Verteidigung gemäß § 244 Abs. 3, Abs. 4


76<br />

StPO). Das Beweisantragsrecht ist für die Verteidigung das wichtigste Mittel, an<br />

der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken. Einem Beweisantrag ist grundsätzlich<br />

stattzugeben, es sei denn, es liegt ein Ablehnungsgrund gemäß § 244 Abs. 3, Abs.<br />

4 StPO vor. Mit dem Beweiserhebungsanspruch ist das Verbot einer vorweggenommenen<br />

Beweiswürdigung (Beweisantizipation) verknüpft. Zusätzlich können<br />

Angeklagter / Verteidiger sowie die Staatsanwaltschaft selbst Zeugen und<br />

Sachverständige zur Hauptverhandlung bestellen (§ 245, Abs. 2 StPO). Diese so<br />

genannten präsenten Beweismittel sind grundsätzlich zu nutzen.<br />

Wegen der Bedeutung des Beweisantragsrechts müssen bestimmte formelle Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

hierfür eingehalten werden:<br />

- Die zu beweisende Tatsache muss bestimmt behauptet werden,<br />

- es muss ein konkretes Beweismittel benannt werden,<br />

- der Beweisantrag muss mündlich gestellt werden, wobei auf einen Schriftsatz<br />

Bezug genommen werden darf,<br />

- der Beweisantrag kann vom Beginn der Hauptverhandlung bis zum Beginn<br />

der Urteilsverkündung gestellt werden.<br />

Damit ist auch ein Hilfsbeweisantrag im Schlussplädoyer erlaubt: „Wenn das Gericht<br />

nicht auf Freispruch erkennen sollte, dann beantrage ich zum Beweise dafür,<br />

dass der Angeklagte zur Tatzeit ortsabwesend war, zusätzlich folgende Zeugen ...<br />

zu vernehmen.“<br />

Von dem Beweisantrag ist der so genannte Beweisermittlungsantrag zu unterscheiden.<br />

Von einem Beweisermittlungsantrag spricht man dann, wenn die Beweistatsachen<br />

nicht genau benannt werden <strong>oder</strong> das Beweismittel unbestimmt<br />

bleibt: „Es wird beantragt, die Polizei mit weiteren Nachforschungen zu beauftragen,<br />

ob Tatzeugen vorhanden sind.“ Im Unterschied zum „echten“ Beweisantrag<br />

muss die Ablehnung des Beweisermittlungsantrages sich nicht auf die Gründe<br />

gemäß § 244 Abs. 3, Abs. 4 StPO erstrecken. Es kann hierin aber ein Hinweis auf<br />

die Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO liegen (angeregte Beweisaufnahme).<br />

12.4 Die Ablehnungsgründe sind abschließend in § 244 Abs. 3, Abs. 4 StPO formuliert;<br />

d.h., ein Beweisantrag darf nur mit einer hier<strong>aus</strong> entnommenen Begründung<br />

abgelehnt werden (zu Einschränkungen im beschleunigten Verfahren sowie im<br />

Strafbefehlsverfahren s. §§ 420 Abs. 4, 411 Abs. 2 Satz 2 StPO).


77<br />

- Unzulässigkeit der Beweiserhebung<br />

Die Beweiserhebung ist unzulässig, wenn sie <strong>aus</strong> Rechtsgründen verboten ist<br />

(Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden gem. § 136 a; Protokollverlesung<br />

anstelle einer Vernehmung in der Hauptverhandlung, s. § 250 Satz 2;<br />

Vernehmung eines Beamten ohne Aussagegenehmigung gem. § 54 StPO; Verlesung<br />

eines früheren Vernehmungsprotokolls eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung<br />

von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, s. §<br />

252 StPO).<br />

- Offenkundige Überflüssigkeit<br />

Offenkundig sind die allgemein bekannten Tatsachen <strong>aus</strong> Lexika, Landkarten<br />

sowie gerichtskundige Tatsachen. So hat die Rechtsprechung darauf verwiesen,<br />

dass die Massenvernichtung von Juden während des „Dritten Reiches“ offenkundig<br />

und keines weiteren Beweises bedürftig ist (OLG Düsseldorf StV<br />

1992, 314).<br />

- Bedeutungslosigkeit der zu beweisenden Tatsache<br />

Die Beweiserhebung darf wegen Bedeutungslosigkeit der zu beweisenden<br />

Tatsache abgelehnt werden, wenn dadurch die Wahrheitsfindung schlechterdings<br />

nicht gefördert werden kann.<br />

- Bereits erwiesene Tatsache<br />

Wenn eine Tatsache nach Überzeugung des Gerichts bereits erwiesen ist, ist<br />

eine weitere Beweisaufnahme überflüssig. Damit dürfen jedoch nicht Beweismittel<br />

abgelehnt werden, die gegen die bisherige Beweiswürdigung sprechen.<br />

- Ungeeignetheit des Beweismittels<br />

Ein Beweismittel ist ungeeignet, wenn das beabsichtigte Beweisergebnis nach<br />

sicherer Lebenserfahrung sich damit nicht erzielen lässt.<br />

- Unerreichbarkeit des Beweismittels<br />

Bevor die Unerreichbarkeit des Beweismittels angenommen werden darf, müssen<br />

alle Erfolg versprechenden Versuche unternommen werden, das Beweismittel<br />

herbeizuschaffen, also z.B. Zeugen aufzuspüren. Der im Ausland woh-


78<br />

nende Zeuge ist nicht unerreichbar, da er kommissarisch vernommen werden<br />

kann. Unerreichbar ist der V-Mann, wenn sich die oberste Dienstbehörde weigert,<br />

dem Gericht Namen und Anschrift mitzuteilen, und wenn die Entscheidung<br />

der Behörde gerechtfertigt ist.<br />

- Antrag zum Zwecke der Prozessverschleppung<br />

Dieser Ablehnungsgrund lädt in der Praxis zu einem Missbrauch ein. Die Absicht<br />

einer Prozessverschleppung darf nur dann angenommen werden, wenn<br />

<strong>aus</strong>schließlich eine Verzögerung des Verfahrensabschlusses beabsichtigt ist<br />

und die beantragte Beweiserhebung die Wahrheitsfindung in keiner Weise<br />

mehr fördern kann. Verspätete Anträge gibt es nicht (s. § 246 StPO)!<br />

- Wahrunterstellung<br />

Aus wahr unterstellten Tatsachen dürfen keine Schlüsse zuungunsten des Angeklagten<br />

gezogen werden. Insbesondere hinter diesem Ablehnungsgrund stehen<br />

auch prozessökonomische Gründe.<br />

Für die Ablehnung eines Sachverständigen gibt es gem. § 244 Abs. 4 StPO weitere<br />

Ablehnungsgründe.<br />

Der Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann gem. § 244 Abs. 5<br />

StPO nach pflichtgemäßem Ermessen abgelehnt werden.<br />

Die Ablehnung von präsenten Beweismitteln ist nur unter den Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

des § 245 StPO erlaubt.<br />

Während die Ablehnungsgründe für einen Beweisantrag heute abschließend aufgezählt<br />

sind, konnte nach dem Verfahrensrecht <strong>aus</strong> der Zeit des „Dritten Reiches“<br />

ein Beweisantrag nach freiem Ermessen abgelehnt werden: „Das Gericht kann einen<br />

Beweisantrag ablehnen, wenn es nach seinem freien Ermessen die Erhebung<br />

des Beweises zur Erforschung der Wahrheit nicht für erforderlich hält“ (§ 24 der<br />

Verordnung vom 01.09.1936). Diese freie Beweiswürdigung, die nicht selten in<br />

eine willkürliche umgemünzt wurde, galt für die Sondergerichte schon ab 1933.<br />

12.5 Das Gebot zur Wahrheitsermittlung besteht nicht absolut, die strafprozessuale<br />

Aufklärungspflicht gilt nicht uneingeschränkt: „Es ist kein Grundsatz der StPO,<br />

dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste“ (BGHSt 14, 365).<br />

Insbesondere der Schutz der Menschenwürde, der Schutz höchstpersönlicher, familiärer<br />

Beziehungen, der Schutz von Berufssphären stehen einer absoluten Auf-


79<br />

klärung entgegen. Die strafprozessualen Einschränkungen sind somit Ausführungsbestimmungen<br />

zu den Grundrechten.<br />

Im einzelnen wird zwischen Beweiserhebungsverboten und Beweisverwertungsverboten<br />

unterschieden. Für Beweiserhebungsverbote gilt:<br />

- Bestimmte Tatsachen dürfen nicht zum Gegenstand der Beweisführung gemacht<br />

werden - Beweisthemenverbote (s. § 54 StPO),<br />

- bestimmte Beweismittel dürfen nicht verwendet werden - Beweismittelverbote<br />

(§§ 52 bis 55, 81 c Abs. 3 StPO),<br />

- bei der Beweiserhebung dürfen bestimmte Methoden nicht angewendet werden<br />

- Beweismethodenverbote (§ 136 a StPO),<br />

- die Beweisgewinnung darf nur von bestimmten Personen angeordnet <strong>oder</strong><br />

durchgeführt werden - relative Beweisverbote (§§ 81 a, 98, 100, 105, 111 e,<br />

111 n StPO).<br />

Für Beweisverwertungsverbote gilt:<br />

- Aus einem Beweiserhebungsverbot folgt nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot,<br />

- <strong>aus</strong>drückliche Verwertungsverbote stehen in § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO sowie<br />

in § 51 BZRG,<br />

- im Übrigen entscheidet die h. M. nach der sog. Rechtskreistheorie, d. h. danach,<br />

ob die „Verletzung den Rechtskreis des Beschwerdeführers wesentlich<br />

berührt <strong>oder</strong> ob sie für ihn nur von untergeordneter <strong>oder</strong> von keiner Bedeutung<br />

ist. Bei dieser Untersuchung sind vor allem der Rechtfertigungsgrund der Bestimmung<br />

<strong>oder</strong> die Frage, in wessen Interesse sie geschaffen ist, zu berücksichtigen“<br />

(BGHSt 11, 215). Im Weiteren wurde diese Rechtskreistheorie<br />

mehr zu einer Güterabwägungstheorie umgewandelt (BGHSt 14, 358; BVerf-<br />

GE 34, 238). Allgemein wird ein Verwertungsverbot angenommen, wenn die<br />

strafjustiziellen Ermittlungsbehörden absichtlich gegen ein Beweiserhebungsverbot<br />

verstoßen – Verstoß gegen das Prinzip „fair trial“.


80<br />

Fragen:<br />

Gibt es das Beweismittel „Zeuge vom Hörensagen“? Hierzu folgender Fall:<br />

(zur Lösung s. BVerfG NJW 1996, 448)<br />

Anmerkung: Im vorstehenden Text: „...die in ihnen aufgezeigten minderen<br />

Vernehmungsmöglichkeiten...“ muss es wohl heißen Verwertungsmöglichkeiten.


81<br />

Dürfen Tagebücher als Beweismittel verwendet werden? Hierzu folgender Fall:<br />

(zur Lösung s. BVerfG MDR 1990, 307; s. auch OLG Schleswig StV 2000, 11).

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