Begleitbrief an Vernehmlassungsadressaten 1 - Kantonale ...
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Neues Erwachsenen- und Kindesschutzrecht<br />
Umsetzung im K<strong>an</strong>ton Bern<br />
„Modelle von Fachbehörden – Eckwerte“<br />
(Kommunale oder k<strong>an</strong>tonale Zuständigkeit)<br />
Bericht für die Vernehmlassung<br />
(vom Regierungsrat am 1. April 2009 für die Vernehmlassung<br />
freigegeben)
2<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Zusammenfassung................................................................................................................ 4<br />
2. Ausg<strong>an</strong>gslage ........................................................................................................................ 4<br />
3. Ergebnisse der Umfrage über die Arbeit und Org<strong>an</strong>isation der<br />
Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern ........................................................................ 6<br />
3.1 Zur Org<strong>an</strong>isation der Vormundschaftsbehörden .................................................................. 7<br />
3.2 Zum Vorgehen und Entscheidverhalten der Vormundschaftsbehörden............................... 7<br />
3.3 M<strong>an</strong>date................................................................................................................................ 8<br />
3.4 Folgerungen ......................................................................................................................... 8<br />
4. Bundesrechtliche Anforderungen <strong>an</strong> die Org<strong>an</strong>isation der neuen Erwachsenen- und<br />
Kindesschutzbehörde ............................................................................................................... 9<br />
5. Aufgaben der Fachbehörden.............................................................................................. 12<br />
6. Entscheidvorbereitung ....................................................................................................... 12<br />
7. Eckwerte einer kommunalen Fachbehörde ...................................................................... 14<br />
7.1 Einzugsgebiet..................................................................................................................... 14<br />
7.2 Org<strong>an</strong>isationsform .............................................................................................................. 16<br />
7.3 Spruchkörper/Mitglieder der Fachbehörde ......................................................................... 17<br />
7.4 Unterstützung durch einen internen Dienst (Fachdienst) ................................................... 18<br />
7.4.1 Vormundschaftssekretariat........................................................................................ 18<br />
7.4.2 Neues System Behördensekretariat.......................................................................... 19<br />
7.5 Abklärung (Sozialdienste)................................................................................................... 20<br />
7.5.1 Ist-Situation................................................................................................................ 20<br />
7.5.2 Neues System Abklärung .......................................................................................... 22<br />
7.6 M<strong>an</strong>datsführung.................................................................................................................. 23<br />
7.7 Aufsicht und Rechtsmittelinst<strong>an</strong>z........................................................................................ 24<br />
7.8 Evaluation ...................................................................................................................... 26<br />
8. Eckwerte einer k<strong>an</strong>tonalen Fachbehörde.......................................................................... 26<br />
8.1 Einzugsgebiet..................................................................................................................... 26<br />
8.2 Fachbehörde ..................................................................................................................... 28<br />
8.3 Behördensekretariat ........................................................................................................... 28<br />
8.4 Abklärung (Sozialdienste)................................................................................................... 29<br />
8.5 M<strong>an</strong>datsführung.................................................................................................................. 30<br />
8.6 Aufsicht und Rechtsmittelinst<strong>an</strong>z........................................................................................ 30
3<br />
9. Aus- und Weiterbildung ...................................................................................................... 33<br />
10. Fin<strong>an</strong>zielle Auswirkungen ................................................................................................ 32<br />
10.1 Annahmen zur Schätzung ................................................................................................ 32<br />
10.2 Ergebnisse der Schätzung ............................................................................................... 34<br />
10.3 Auswirkungen auf den Lastenausgleich........................................................................... 35<br />
11. Weiteres Vorgehen ............................................................................................................ 35
4<br />
1. Zusammenfassung<br />
Am 28. Juni 2006 verabschiedete der Bundesrat den Gesetzesentwurf mit Botschaft zur<br />
Totalrevision des Vormundschaftsrechts, und am 19. Dezember 2008 hat das Parlament die<br />
Änderungen des Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210) zum Erwachsenenschutz, Personenrecht<br />
und Kindesrecht <strong>an</strong>genommen. Die entsprechende Referendumsfrist läuft am 16. April 2009<br />
ab. Mit dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen ist frühestens 2012 zu rechnen.<br />
Mit Blick auf die Behördenorg<strong>an</strong>isation schreibt das Bundesrecht vor, dass die neue<br />
erstinst<strong>an</strong>zliche Erwachsenen- und Kindesschutzbehörde künftig eine mit drei Mitgliedern<br />
interdisziplinär zusammengesetzte Fachbehörde sein muss. Dass der politisch gewählte<br />
Gemeinderat zugleich Vormundschaftsbehörde ist, so wie das heute im K<strong>an</strong>ton Bern noch<br />
häufig der Fall ist, ist nach neuem Recht nicht mehr zulässig. Neu sollen die Mitglieder der<br />
Fachbehörde aufgrund ihres Fachwissens, das sie sich durch Ausbildung, Praxis oder<br />
Weiterbildung <strong>an</strong>geeignet haben, bestimmt werden.<br />
Vor diesem Hintergrund ist sowohl ein k<strong>an</strong>tonales als auch ein kommunales Modell einer<br />
künftigen Fachbehörde ausgearbeitet worden. Die beiden Modelle sind mittels Eckwerten in<br />
ihren Grundzügen und hinsichtlich deren fin<strong>an</strong>ziellen Auswirkungen so weit konkretisiert<br />
worden, dass ein Grundsatzentscheid, auf welcher Ebene die künftigen Fachbehörden<br />
<strong>an</strong>zusiedeln sind, ermöglicht werden soll.<br />
2. Ausg<strong>an</strong>gslage<br />
Der Bundesrat hat nach 13-jährigen Vorarbeiten am 28. Juni 2006 zuh<strong>an</strong>den der<br />
eidgenössischen Räte den Gesetzesentwurf mit Botschaft zur Totalrevision des<br />
Vormundschaftsrechts verabschiedet. 1 Am 19. Dezember 2008 hat die Vereinigte<br />
Bundesversammlung in der Schlussabstimmung die Änderungen des Zivilgesetzbuches (ZGB;<br />
SR 210) zum Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht <strong>an</strong>genommen; die<br />
entsprechende Referendumsfrist läuft am 16. April 2009 ab. Mit dem Inkrafttreten der neuen<br />
Bestimmungen ist nicht vor 2012 zu rechnen.<br />
Bereits im Winter 2006/2007 hat die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion (JGK) im<br />
Rahmen einer breit zusammengesetzten Arbeitsgruppe (Verein bernischer<br />
1 BBl 2006 7001
5<br />
Regierungsstatthalter und Regierungsstatthalterinnen, Verb<strong>an</strong>d bernischer Gemeinden,<br />
Verb<strong>an</strong>d bernischer Burgergemeinden und burgerlicher Korporationen, Berner Konferenz für<br />
Sozialhilfe und Vormundschaft, Obergericht, Gesundheits- und Fürsorgedirektion,<br />
Erziehungsdirektion, Fin<strong>an</strong>zdirektion) verschiedene k<strong>an</strong>tonale und kommunale Modelle<br />
diskutiert. Vorgesehen war damals, dem Regierungsrat im Sommer 2007 die Modellwahl zum<br />
Entscheid vorzulegen. Damit hätte der Anschluss <strong>an</strong> die Umsetzungsarbeiten der Justizreform<br />
und der Reform der dezentralen k<strong>an</strong>tonalen Verwaltung sichergestellt werden sollen. Dies<br />
wiederum hätte den Vorteil gehabt, dass die Ressourcenpl<strong>an</strong>ung hätte koordiniert werden<br />
können.<br />
Dieses Vorhaben konnte nicht realisiert werden: Im Gegensatz zur Vereinheitlichung der Strafund<br />
der Zivilprozessordnung hatten die eidgenössischen Räte im Sommer 2007 die<br />
Beratungen zum neuen Vormundschaftsrecht noch nicht aufgenommen. Es wäre nicht zu<br />
ver<strong>an</strong>tworten gewesen, ohne Vorliegen einer konsolidierten Vorlage des Bundes einen derart<br />
weit reichenden Grundsatzentscheid zu fällen. Mit Beschluss 1074 vom 20. Juni 2007 hat der<br />
Regierungsrat deshalb entschieden, das Vormundschaftswesen von den beiden<br />
Reformpaketen, Reform der dezentralen Verwaltung und Justizreform, abzukoppeln. In der<br />
Folge sind die Diskussionen in der Arbeitsgruppe bis zur Verabschiedung der Vorlage auf<br />
Bundesebene sistiert worden.<br />
Weiter vor<strong>an</strong>getrieben wurden im 2008 die Arbeiten auf Stufe der JGK, um die<br />
Entscheidfindung betreffend der künftigen Org<strong>an</strong>isation der Fachbehörden zu erleichtern: Im<br />
Frühling 2008 wurde bei den Gemeinden und den Regierungsstatthalterinnen und<br />
Regierungsstatthaltern eine Umfrage zur Analyse des Ist-Zust<strong>an</strong>ds betreffend Org<strong>an</strong>isation,<br />
Arbeit und Fallbelastung im Vormundschaftswesen im K<strong>an</strong>ton Bern vorgenommen. 2<br />
Zur Hochrechnung des Behördenaufw<strong>an</strong>ds auf der Basis von Expertinnen- und<br />
Expertengesprächen wurde im Rahmen von vier Workshops (September 2008) der mittlere<br />
Arbeitsaufw<strong>an</strong>d für typische Fälle geschätzt.<br />
2 Dr. Peter Voll, Die Arbeit der Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern, Ergebnisse einer Untersuchung im<br />
Auftrag der Justiz-, Gemeinde und Kirchendirektion des K<strong>an</strong>tons Bern, Oktober 2008<br />
Diese Studie k<strong>an</strong>n bei der JGK bei Bedarf bezogen werden.
6<br />
Schliesslich wurden auf der Basis dieser Hochrechnung eine Kostenschätzung des heutigen<br />
Behördenaufw<strong>an</strong>ds vorgenommen sowie die fin<strong>an</strong>ziellen Auswirkungen verschiedener, künftig<br />
möglicher Behördenmodelle dargestellt. 3<br />
Ausgenommen von der Erhebung sind die Burgergemeinden und die burgerlichen<br />
Korporationen: Den Burgergemeinden und burgerlichen Korporationen steht die<br />
Vormundschaftspflege über ihre im K<strong>an</strong>ton wohnenden Burger gemäss ihrer Org<strong>an</strong>isation zu,<br />
sofern und sol<strong>an</strong>ge sie auch ihre sozialhilferechtliche Zuständigkeit beibehalten. Diese vom<br />
Bundesrecht eingeräumte Ausnahmeregelung soll gemäss Art. 442 ZGB auch in Zukunft<br />
gelten. Der K<strong>an</strong>ton Bern hatte sich <strong>an</strong>lässlich des Vernehmlassungsverfahrens ebenfalls<br />
ausdrücklich für diese Ausnahmeregelung ausgesprochen.<br />
Im Rahmen von drei Sitzungen (November und Dezember 2008 und J<strong>an</strong>uar 2009) hat die oben<br />
gen<strong>an</strong>nte Arbeitsgruppe auf der Basis der erwähnten und weiteren Expertenberichte und des<br />
verabschiedeten Bundesrechts sowohl ein k<strong>an</strong>tonales als auch ein kommunales Modell einer<br />
künftigen Fachbehörde diskutiert sowie die Eckwerte der neuen Modelle definiert. Die<br />
einzelnen Modelle sind in ihren Grundzügen und hinsichtlich deren fin<strong>an</strong>ziellen Auswirkungen<br />
so weit konkretisiert worden, dass ein Grundsatzentscheid, auf welcher Ebene die künftigen<br />
Fachbehörden <strong>an</strong>zusiedeln sind, ermöglicht werden soll.<br />
3. Ergebnisse der Umfrage über die Arbeit und Org<strong>an</strong>isation der<br />
Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern<br />
Mit der im April 2008 durchgeführten Vollerhebung bei den Vorsitzenden aller<br />
Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern wurden zu folgenden Themen Daten erhoben:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Art der Behörde, Stellung in der gesamten Behördenorg<strong>an</strong>isation<br />
Zusammensetzung (Ausbildung, Beruf, Erfahrungshintergrund der Behördenmitglieder)<br />
Weiterbildung und Anbindung <strong>an</strong> den kindes- und erwachsenenschutzrechtlichen<br />
Fachdiskurs<br />
Interne Arbeitsteilung, Vorgehen bei Kindes- und Erwachsenenschutzfällen<br />
Arbeits- und Sitzungsrhythmus<br />
Fallbelastung: Art und Anzahl Fälle<br />
3 Bericht Ecopl<strong>an</strong> zur Schätzung der fin<strong>an</strong>ziellen Auswirkungen verschiedener Modellvorschläge, Februar 2009.<br />
Dieser Bericht k<strong>an</strong>n bei der JGK bei Bedarf bezogen werden; er ist nur in deutscher Sprache verfügbar.
7<br />
Alle 395 Gemeinden im K<strong>an</strong>ton Bern wurden brieflich <strong>an</strong>geschrieben und auf den Fragebogen<br />
hingewiesen, der d<strong>an</strong>n per Mail verschickt und in der Regel auch wieder elektronisch<br />
zurückges<strong>an</strong>dt wurde. Die Gesamtzahl der Behörden ist aufgrund widersprüchlicher Angaben<br />
schwierig festzustellen. Wir gehen davon aus, dass im K<strong>an</strong>ton Bern 319<br />
Vormundschaftsbehörden tätig sind. Von diesen haben 273 oder 86% die Umfrage<br />
be<strong>an</strong>twortet. Da kleinere Gemeinden eine Antwort häufiger unterlassen haben als grosse,<br />
repräsentieren die Antworten die Wohngemeinden von 92% der Einwohnerschaft des K<strong>an</strong>tons.<br />
3.1 Zur Org<strong>an</strong>isation der Vormundschaftsbehörden<br />
6% der Behörden sind solche von Sitzgemeinden oder Vormundschaftskreisen. In 59% aller<br />
Fälle, vor allem in den kleineren Gemeinden, fungiert der Einwohnergemeinderat als<br />
Vormundschaftsbehörde. In den übrigen Fällen wird dieser Aufgabe einer eigens dafür<br />
gebildeten Kommission übertragen, von denen jede dritte auch als Sozialhilfekommission<br />
amtet.<br />
Im System der Laienbehörden kommt dem Fachsekretariat eine zentrale Stellung zu. Allerdings<br />
verfügen gerade die generalistischen Einwohnergemeinderäte nur selten (3%) über ein<br />
derartiges Sekretariat, im Gegensatz zu den Spezialkommissionen oder<br />
Sitzgemeindebehörden (je rund 70%). In den übrigen Fällen stützt sich die Behörde in der<br />
Regel auf die allgemeine Verwaltung, insbesondere den Gemeindeschreiber oder die<br />
Gemeindeschreiberin, ab.<br />
Insgesamt geben 81 Behörden <strong>an</strong>, über ein Sekretariat zu verfügen, das Fachaufgaben wie die<br />
Abklärung bei Gefährdungsmeldungen, die Redaktion von Beschlüssen, Beratung oder<br />
Kontrolle von M<strong>an</strong>datsträger/-innen übernimmt. Allerdings verfügen weniger als die Hälfte<br />
dieser Sekretariate über Mitarbeiter/-innen mit einer Grundausbildung in Recht (9%) oder<br />
Sozialarbeit (37%). Die berufliche Ausrichtung des Sekretariats wie seine Grösse korrelieren in<br />
hohem Mass mit der Grösse des Einzugsgebiets.<br />
3.2 Zum Vorgehen und Entscheidverhalten der Vormundschaftsbehörden<br />
Die Behörde ist verpflichtet, Abklärungen selber vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, wenn<br />
ihr eine Gefährdungsmeldung zukommt. Dabei fällt auf, dass Behörden ohne eigenes<br />
Sekretariat die Abklärungen vielfach nicht nach aussen delegieren, sondern sie selber<br />
wahrnehmen. Das bedeutet, dass die Abklärungen häufig durch Personen durchgeführt
8<br />
werden, die nicht über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Da Behörden ohne<br />
Sekretariat teilweise sehr kleine Fallzahlen aufweisen, dürfte im Allgemeinen auch die<br />
Erfahrung aus vergleichbaren Fällen fehlen. Bei Behörden mit Fachsekretariaten kommen<br />
Erstabklärungen durch Behördenmitglieder selber kaum vor. Kommt ein Antrag zum Entscheid<br />
in die Behörde, so ist eine unveränderte Erhebung zum Beschluss nahezu gar<strong>an</strong>tiert (91% aller<br />
Fälle).<br />
3.3 M<strong>an</strong>date<br />
Insgesamt berichten die <strong>an</strong>twortenden Behörden von 9372 Erwachsenen- und 4295<br />
Kindesschutzm<strong>an</strong>daten. Sofern die M<strong>an</strong>date nicht Privaten (M<strong>an</strong>date im<br />
Erwachsenenschutzbereich: 41%; M<strong>an</strong>date im Kindesschutzbereich: 10%) erteilt werden,<br />
werden sie meistens den regionalen Diensten zugewiesen. Aufgrund der Umfrage ist<br />
<strong>an</strong>zunehmen, dass in kleineren Sozialräumen M<strong>an</strong>date bevorzugt auf privater statt auf<br />
professioneller Basis vergeben werden.<br />
3.4 Folgerungen<br />
In seiner aktuellen Org<strong>an</strong>isation ist das Vormundschaftswesen unübersichtlich. Vielfach fehlt<br />
bei kleinen Vormundschaftsbehörden aufgrund des geringen Mengengerüsts eine<br />
ausreichende Praxis: 95 % der Behörden im K<strong>an</strong>ton Bern haben weniger als einen neuen<br />
Kindesschutzfall pro Monat zu beurteilen, 92% weniger als einen Erwachsenenschutzfall.<br />
Behörden ohne Sekretariat sind bei der Vorbereitung der Massnahme in höherem Mass von<br />
den Sozialdiensten abhängig als solche, die über ein eigenes Sekretariat verfügen. Damit<br />
verkehrt sich die Hierarchie zwischen den Behörden als Auftraggebern und den Sozialdiensten<br />
als M<strong>an</strong>datnehmern. Wo kompetente, insbesondere juristisch geführte Sekretariate bestehen,<br />
lässt sich im Gegenzug feststellen, dass Entscheid<strong>an</strong>träge von der Behörde kaum je modifiziert<br />
werden. Damit delegiert die Behörde ihre Entscheide faktisch <strong>an</strong> das Sekretariat.<br />
Im Vergleich der Behörden erscheinen die Abläufe, die von einer Gefährdungsmeldung bis zum<br />
Massnahmenentscheid führen, wenig st<strong>an</strong>dardisiert. Zum Teil besteht die Praxis, einen Fall<br />
nur d<strong>an</strong>n formell zu beh<strong>an</strong>deln, wenn die Errichtung einer Massnahme praktisch sicher ist. Die<br />
Behörde verzichtet damit auf ihre Filter- (und Richter-) Funktion gegenüber den Sozialdiensten.
9<br />
4. Bundesrechtliche Anforderungen <strong>an</strong> die Org<strong>an</strong>isation der neuen<br />
Erwachsenen- und Kindesschutzbehörde<br />
Bei der neuen erstinst<strong>an</strong>zlichen Erwachsenen- und Kindesschutzbehörde muss es sich künftig<br />
um eine Fachbehörde h<strong>an</strong>deln. In der fr<strong>an</strong>zösischen Fassung wird sie als autorité<br />
interdisciplinaire bezeichnet, während sie der italienische Text als autorità specializzata<br />
umschreibt. 4<br />
In der Botschaft vom 28. Juni 2006 5 wird Folgendes zur Org<strong>an</strong>isation der Fachbehörde<br />
ausgeführt: „Wichtig ist, dass die Mitglieder der Behörde nach dem Sachverst<strong>an</strong>d, den sie für<br />
die Aufgabe mitbringen müssen, ausgewählt werden. Sachverst<strong>an</strong>d k<strong>an</strong>n indessen auch durch<br />
Weiterbildung und Praxis erworben werden. Auf jeden Fall muss ein Jurist oder eine Juristin für<br />
eine korrekte Rechts<strong>an</strong>wendung ver<strong>an</strong>twortlich sein. D<strong>an</strong>eben sollten je nach Situation, die es<br />
zu beurteilen gilt, Personen mit einer psychologischen, sozialen, pädagogischen,<br />
treuhänderischen, versicherungsrechtlichen oder medizinischen Ausbildung mitwirken. Bei<br />
vermögensrechtlichen Fragen oder bei der Abnahme der Rechnung sind beispielsweise auch<br />
Personen mit Kenntnissen in der Vermögensverwaltung oder der Rechnungslegung erwünscht.<br />
Ob die Behörde auf Gemeinde-, Bezirks-, Kreis- oder Regionsebene org<strong>an</strong>isiert wird,<br />
bestimmen die K<strong>an</strong>tone. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass es in kleineren Gemeinden<br />
kaum möglich ist, Fachbehörden zu org<strong>an</strong>isieren. Indessen können sich Gemeinden<br />
zusammenschliessen und eine gemeinsame Behörde schaffen.<br />
Die Frage, ob die Behördenmitglieder ihr Amt im Milizsystem oder berufsmässig ausüben oder<br />
ob ein gemischtes System gewählt wird, entscheiden ebenfalls die K<strong>an</strong>tone. Das Gleiche gilt<br />
für die Zahl der Mitglieder. Das Bundesrecht schreibt im Interesse einer gewissen<br />
Interdisziplinarität und im Hinblick auf die grosse Tragweite der zu treffenden Massnahmen<br />
lediglich vor, dass die Behörde in der Regel als Kollegialbehörde mit mindestens drei<br />
Mitgliedern entscheidet. Die K<strong>an</strong>tone können selbstverständlich auch eine grössere Zahl von<br />
4 Art.440 ZGB:<br />
1Die Erwachsenenschutzbehörde ist eine Fachbehörde. Sie wird von den K<strong>an</strong>tonen bestimmt.<br />
2Sie fällt ihre Entscheide mit mindestens drei Mitgliedern. Die K<strong>an</strong>tone können für bestimmte Geschäfte Ausnahmen<br />
vorsehen.<br />
3Sie hat auch die Aufgaben der Kindesschutzbehörde.<br />
5 BBl 7073 ff.
10<br />
Mitgliedern vorsehen und die Spruchbehörde je nach dem Fall, den es zu beurteilen gilt,<br />
zusammensetzen.<br />
Die Kompetenz einer Fachbehörde ist vor allem im Kernbereich des Kindes- und<br />
Erwachsenenschutzes, d.h. bei der Anordnung von Massnahmen, gefragt; hier ist die kollegiale<br />
Zuständigkeit für die Entscheidung unentbehrlich. D<strong>an</strong>eben existieren aber m<strong>an</strong>che Verfahren<br />
mit geringeren Ermessensspielräumen, in denen aus Gründen der Flexibilität und Spedititvität<br />
vom Erfordernis eines Kollegiums abgesehen werden k<strong>an</strong>n. Die K<strong>an</strong>tone können deshalb für<br />
bestimmte Geschäfte Ausnahmen, d.h. die Zuständigkeit eines einzelnen Mitglieds der<br />
Behörde vorsehen.“<br />
In Bezug auf die heutige Zuständigkeit des Gemeinderats im Vormundschaftswesen macht die<br />
Botschaft die folgenden Ausführungen: 6<br />
„Der Gemeinderat setzt sich aus Laien zusammen, die für politische Aufgaben demokratisch<br />
gewählt sind und keine fachlichen Vorgaben im Hinblick auf das Vormundschaftswesen erfüllen<br />
müssen. Das führt bei den schwierigen Entscheiden, die im Vormundschaftswesen zu treffen<br />
sind, fast zw<strong>an</strong>gsläufig zu einer starken Abhängigkeit vom Fachverst<strong>an</strong>d von Hilfskräften oder<br />
von der Beratung durch die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde. Dieser fehlt aber nicht selten<br />
der Praxisbezug. Zudem k<strong>an</strong>n sie durch ihre Beratungstätigkeit bei Beschwerden in ihrer<br />
Unabhängigkeit gefährdet sein. Aber auch beim Gemeinderat ist die Unabhängigkeit nicht<br />
immer gewährleistet. Die Nähe zur Bevölkerung mag zwar auf den ersten Blick ein Vorteil sein.<br />
Geht es indessen um Massnahmen, die sich insbesondere im Kindesschutz auch gegen gute<br />
Bek<strong>an</strong>nte, die lokale Prominenz, gute Steuerzahler oder wichtige Arbeitgeber richten können,<br />
so ist die Nähe einem sachlichen und juristisch einw<strong>an</strong>dfrei abgestützten Entscheid<br />
keineswegs zuträglich. Laienbehörden, die nicht über das erforderliche Fachwissen verfügen,<br />
sind zudem kaum in der Lage, eine grössere Zahl von M<strong>an</strong>datsträgern und –trägerinnen<br />
effektiv zu kontrollieren und zu steuern. Sie können in dringlichen Fallen auch nur sehr<br />
beschränkt innert nützlicher Frist h<strong>an</strong>deln. Neu kommt hinzu, dass das revidierte Recht<br />
Massnahmen nach Mass vorsieht, die <strong>an</strong> die Fachkompetenz der <strong>an</strong>ordnenden Behörde hohe<br />
Anforderungen stellen. (...)<br />
6 BBl 2006 7020
11<br />
Auf jeden Fall sollen mit dem Inkrafttreten des revidierten Rechts alle Entscheide im Bereich<br />
des Kindes- und Erwachsenenschutzes bei einer Behörde konzentriert werden, und diese<br />
Behörde muss eine Fachbehörde sein.“<br />
Zusammenfassend ergeben sich folgende bundesrechtliche Minimal<strong>an</strong>forderungen <strong>an</strong> die<br />
Org<strong>an</strong>isation der Fachbehörde, welche zwingend zu erfüllen sind:<br />
Bei der Fachbehörde muss es sich um eine interdisziplinär zusammengesetzte Fachbehörde<br />
h<strong>an</strong>deln, deren Mitglieder<br />
<br />
aufgrund ihres Sachverst<strong>an</strong>des, den sie sich durch Ausbildung, Praxis oder Weiterbildung<br />
<strong>an</strong>geeignet haben, bestimmt werden,<br />
<br />
aus Fachbereichen stammen, welche den Bedarf nach juristischer, psychologischer,<br />
sozialer, pädagogischer, treuhänderischer, (sozial-)<br />
versicherungsrechtlicher und medizinischer Kompetenz abdecken können,<br />
<br />
in der Regel im Kollegium entscheiden,<br />
<br />
in k<strong>an</strong>tonal festzulegenden Bereichen auch als Einzelbehörde verfügen können,<br />
<br />
die Erreichbarkeit zu Bürozeiten und in Bezug auf die fürsorgerische Unterbringung die<br />
ständige Erreichbarkeit (s. unten) sicherstellen müssen.<br />
Aus bundesrechtlicher Sicht ist zulässig, dass die Mitglieder<br />
<br />
ihr Amt entweder im Milizsystem oder berufsmässig im Haupt- oder Nebenamt ausüben und<br />
<br />
entweder in einem festen oder einem flexiblen Gremium entscheiden, das je nach<br />
konkretem Fall <strong>an</strong>ders zusammengesetzt sein k<strong>an</strong>n.<br />
Ebenfalls zulässig wäre es, die Fachbehörde als unabhängiges Gericht auszugestalten.<br />
Nicht zulässig dürfte es dagegen sein, dass die Fachbehörde den nötigen Sachverst<strong>an</strong>d bei<br />
spezialisierten Stellen einkauft; das Fachwissen muss in der Fachbehörde selber vorh<strong>an</strong>den
12<br />
sein. Die Fallführung und –ver<strong>an</strong>twortung liegt bei der Fachbehörde; die Fachbehörde ist Herrin<br />
des Verfahrens, pl<strong>an</strong>t und steuert die notwendigen Abklärungen und übt Kontrolltätigkeiten aus.<br />
Lediglich die Entscheidvorbereitung k<strong>an</strong>n durch Dritte sichergestellt werden, wobei sich aus<br />
den Materialien ergibt, dass je schwerer der Grundrechtseingriff wiegt, umso mehr die<br />
Fachbehörde auch selber mit der Entscheidvorbereitung befasst sein muss (Bsp:<br />
Fürsorgerische Unterbringung).<br />
5. Aufgaben der Fachbehörden<br />
Gestützt auf die bestehenden und neuen Aufgaben, die der Gesetzgeber der Fachbehörde<br />
zuweist, lässt sich der folgende Aufgabenkatalog aufzählen: 7<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Anordnung, Änderung, Aufhebung von behördlichen Massnahmen;<br />
Wahl und Entlassung, Instruktion und Begleitung von privaten und professionellen<br />
M<strong>an</strong>datsträgerinnen und –träger;<br />
Aufsichts- und Beschwerdeinst<strong>an</strong>z betreffend M<strong>an</strong>datsführung;<br />
Durchführung von rechtsstaatlich einw<strong>an</strong>dfreien Verfahren;<br />
Anordnung, Änderung, Aufhebung von nicht massnahmegebundenen Tätigkeiten wie<br />
Genehmigung von Rechtsakten, Auslegung und Ergänzung von Vorsorgeaufträgen,<br />
Einschreiten bei Gefährdung von persönlichen und/oder vermögensrechtlichen<br />
Interessen u.a.m. 8<br />
6. Entscheidvorbereitung<br />
Die Fachbehörde fällt als Entscheidbehörde die ihr zugewiesenen Entscheide im Bereich des<br />
Erwachsenen- und Kindesschutzes. Bundesrechtlich nur marginal geregelt ist die Frage, durch<br />
wen die Entscheide vorbereitet werden. Folgende Bestimmungen sind relev<strong>an</strong>t:<br />
7 Vgl. dazu im Einzelnen etwa Wider et al. 2007: Kindes und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde.<br />
Analyse und Modellvorschläge sowie Christoph Häfeli, Peter Voll, die Behördenorg<strong>an</strong>isation im Kindes- und<br />
Erwachsenenschutz aus rechtlicher und sozialwissenschaftlicher Sicht, ZVW 2/2007, S. 63<br />
8 An dieser Stelle ist <strong>an</strong> den RRB 0854 vom 9. Mai 2007 zu erinnern, wonach die JGK im Rahmen der Revision des<br />
Vormundschaftsrechts die Frage einer Regionalisierung der bevorschussenden Behörden zu prüfen hat. Namentlich<br />
im Bereich der Inkassotätigkeit soll eine grössere Professionalität und damit eine höhere Rücklaufquote erreicht<br />
werden. Im Verlauf der weiteren Arbeiten wird zu klären sein, ob die Inkassotätigkeit als neue Aufgabe bei der<br />
Fachbehörde <strong>an</strong>zusiedeln ist.
13<br />
Art.446 ZGB<br />
1 Die Erwachsenenschutzbehörde erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen.<br />
2 Sie zieht die erforderlichen Erkundigungen ein und erhebt die notwendigen Beweise. Sie k<strong>an</strong>n<br />
eine geeignete Person oder Stelle mit Abklärungen beauftragen. Nötigenfalls ordnet sie das<br />
Gutachten einer sachverständigen Person <strong>an</strong>.<br />
Art. 447 ZGB<br />
1 Die betroffene Person wird persönlich <strong>an</strong>gehört, soweit dies nicht als unverhältnismässig<br />
erscheint.<br />
2 Im Fall einer fürsorgerischen Unterbringung hört die Erwachsenen- und Kindesschutzbehörde die<br />
betroffene Person in der Regel als Kollegium <strong>an</strong>.<br />
Folgende Verfahrensh<strong>an</strong>dlungen muss die Fachbehörde des neuen Kindes- und<br />
Erwachsenenschutzrechts selbst tätigen:<br />
Leitung des Verfahrens, d.h. Anordnung von Beweismassnahmen, Anordnung von<br />
vorsorglichen Massnahmen, Treffen von Zwischenverfügungen (Art. 445 Abs. 1 und 446<br />
Abs. 1 ZGB).<br />
Anhörung im Falle einer fürsorgerischen Unterbringung (Art. 447 Abs. 2)<br />
Folgende Verfahrensh<strong>an</strong>dlungen k<strong>an</strong>n die Fachbehörde des neuen Erwachsenenschutzrechts<br />
delegieren (<strong>an</strong> eine "geeignete" interne Person bzw. <strong>an</strong> einen internen Dienst / <strong>an</strong> jem<strong>an</strong>d<br />
Aussenstehenden):<br />
<br />
Erhebung des Sachverhalts (Art. 446 Abs. 2 ZGB): Grundsätzlich sind sämtliche<br />
Beweismassnahmen delegierbar, 9 also z.B. Augenschein, Einvernahme,<br />
Expertengutachten, Fachbericht usw. Es ist Sache des k<strong>an</strong>tonalen Rechts festzulegen,<br />
welche Abklärungen nur von Behördenmitgliedern vorgenommen werden dürfen (z.B.<br />
Zeugeneinvernahmen oder Experteninstruktionen). Die Anordnung der jeweiligen<br />
Beweismassnahme muss aber zwingend durch die Fachbehörde selbst erfolgen. Sie<br />
führt das Verfahren und entscheidet über Beweis<strong>an</strong>träge. Lediglich die Durchführung<br />
9 BBl 2006 7078
14<br />
der Massnahme k<strong>an</strong>n delegiert werden (s. Wortlaut von Art. 446 Abs. 2 ZGB).<br />
Anhörung bei <strong>an</strong>deren Massnahmen als der fürsorgerischen Unterbringung (Art. 447<br />
Abs. 1 ZGB). Dass auch die Anhörung delegiert werden k<strong>an</strong>n, ergibt sich aus der<br />
Botschaft des Bundesrates. 10 Die Massnahme muss von einer geeigneten Person oder<br />
Stelle im Sinne von Art. 446 Abs. 2 ZGB durchgeführt werden, die über das nötige<br />
Fachwissen verfügt.<br />
Die bundesrechtlichen Vorgaben müssen für den konkreten Modellentscheid näher<br />
konkretisiert werden. Beim kommunalen Modell sollen die bundesrechtlichen Minimalst<strong>an</strong>dards<br />
umgesetzt werden. Die Vorschläge orientieren sich zudem am Grundsatz des<br />
Subsidiaritätsprinzips.<br />
7. Eckwerte einer kommunalen Fachbehörde<br />
7.1 Einzugsgebiet<br />
Die im Frühling 2008 durchgeführte Umfrage betreffend die Behördenorg<strong>an</strong>isation im K<strong>an</strong>ton<br />
Bern hat Hinweise auf die Grössenverhältnisse geliefert: In den 319 Vormundschaftsbehörden,<br />
die im K<strong>an</strong>ton Bern existieren, sind nur 6% der Behörden solche von Sitzgemeinden oder<br />
Vormundschaftskreisen. In 59% aller Fälle, vor allem in den kleineren Gemeinden, fungiert der<br />
Einwohnergemeinderat als Vormundschaftsbehörde, in den übrigen Fällen wird diese Aufgabe<br />
einer eigens dafür gebildeten Kommission übertragen. Gemeinden mit eigener Kommission<br />
sind – im Mittel – deutlich grösser als Gemeinden, in denen der Einwohnergemeinderat auch<br />
Vormundschaftsbehörde ist. Sitzgemeinden haben durchschnittlich ein nochmals<br />
bevölkerungsreicheres Einzugsgebiet, sind jedoch mit im Schnitt 10'000 Einwohnerinnen und<br />
Einwohnern immer noch sehr klein.<br />
Das Bundesrecht schreibt in Bezug auf das Einzugsgebiet einer Fachbehörde keine<br />
Mindestgrösse vor. Gefordert wird lediglich, aber immerhin eine ausreichende Praxis, für die es<br />
„von Vorteil ist, wenn mehr als ein Fall pro Jahr beh<strong>an</strong>delt wird“. 11<br />
10 BBl 2006 7079<br />
11 Votum BR Widmer-Schlumpf, NR, 3.10.08
15<br />
Die Konferenz der k<strong>an</strong>tonalen Vormundschaftsbehörden (VBK) betrachtet die Grössenordnung<br />
von 50'000 Einwohnerinnen und Einwohner als unterste Grenze. 12 Andere Fachmeinungen<br />
besagen, dass eine Behörde im Interesse der Qualitätssicherung pro Jahr mindestens je 20-30<br />
Kindes- und Erwachsenenschutzmassnahmen <strong>an</strong>ordnen können muss, was bei einem<br />
Einzugsgebiet von mindestens 20'000 Einwohnerinnen und Einwohnern knapp erreicht werden<br />
dürfte 13 .<br />
Da sich das Bundesrecht wie gesagt nicht zur Mindestfallbelastung respektive einem sich<br />
daraus abzuleitenden Einzugsgebiet äussert, ist es am k<strong>an</strong>tonalen Recht, gegebenenfalls eine<br />
untere Grenze festzulegen.<br />
Das von der VBK geforderte Einzugsgebiet von 50'000 bis 100'000 Einwohnerinnen und<br />
Einwohnern kommt für ein kommunales Modell nicht in Frage. Der Bezug zu den Gemeinden<br />
wäre bei einem solchen Perimeter tatsächlich nicht mehr gegeben. Der Verb<strong>an</strong>d Bernischer<br />
Gemeinden (VBG) bzw. sein in der Arbeitsgruppe vertretener Geschäftsführer stellt sich auf<br />
den St<strong>an</strong>dpunkt, dass der K<strong>an</strong>ton in Respektierung des Subsidiaritätsprinzips den Gemeinden<br />
hinsichtlich des Einzugsgebiets keine Vorgaben machen, sondern lediglich Empfehlungen<br />
abgeben soll. Er geht davon aus, dass sich die Gemeinden aufgrund der neuen fachlichen<br />
Anforderungen <strong>an</strong> die Mitglieder der Fachbehörde aus eigenem Antrieb zusammen schliessen<br />
werden, so dass es in Zukunft automatisch keine Vormundschaftsbehörden kleiner Gemeinden<br />
mehr geben werde, die diese Aufgabe erfüllen. Für den VBG ist zudem wünschbar, dass die<br />
Perimeter der Fachbehörde im Erwachsenen- und Kindesschutz sowie die Perimeter der<br />
Sozialdienste möglichst deckungsgleich sind, was bei einem Einzugsgebiet, das in jedem Fall<br />
mehr als 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner umfassen muss, nicht realistisch sei.<br />
Das Subsidiaritätsprinzip als eines der wichtigsten Grundsätze der Gemeindeautonomie räumt<br />
den Gemeinden bei der Aufgabenerfüllung einen möglichst weiten H<strong>an</strong>dlungsspielraum bei der<br />
Aufgabenerfüllung ein. Demnach soll der K<strong>an</strong>ton lediglich Minimalst<strong>an</strong>dards vorgegeben, so<br />
dass die Gemeinden das „Wie“ der Aufgabenerfüllung selber bestimmen können. Insbesondere<br />
gilt das Prinzip des möglichst grossen H<strong>an</strong>dlungsspielraums in Bezug auf org<strong>an</strong>isatorische<br />
Fragestellungen. Die Minimalst<strong>an</strong>dards müssen somit einerseits die Qualität der<br />
Aufgabenerfüllung sicherstellen, dürfen aber <strong>an</strong>dererseits nicht in die Gestaltungsfreiheit der<br />
12 Wider et al. 2007: Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde. Analyse und Modellvorschläge.<br />
13 Vgl. Christoph Häfeli, Peter Voll, die Behördenorg<strong>an</strong>isation im Kindes- und Erwachsenenschutz aus rechtlicher<br />
und sozialwissenschaftlicher Sicht, ZVW 2/2007, S. 63
16<br />
Gemeinden einwirken. Gestützt auf diesen Grundsatz, zu welchem sich der K<strong>an</strong>ton im Projekt<br />
Aufgabenteilung K<strong>an</strong>ton - Gemeinden 14 ausdrücklich verpflichtet hat, wird auf die rechtlich<br />
verbindliche Definition eines Einzugsgebiets verzichtet. Der K<strong>an</strong>ton wird den Gemeinden aber<br />
eine untere Grenze von 20'000 Einwohnerinnen und Einwohnern (aus Sicht von Dr. P. Voll<br />
knapp genügend) empfehlen, um den geforderten fachlichen Aspekten zu genügen.<br />
Der K<strong>an</strong>ton empfiehlt den Gemeinden eine untere Grenze eines Einzugsgebiets von 20'000<br />
Einwohnerinnen und Einwohnern, verzichtet aber auf eine rechtlich verbindliche Vorgabe.<br />
7.2 Org<strong>an</strong>isationsform<br />
Die Gemeinden sind in der Wahl der Form der interkommunalen Zusammenarbeit<br />
grundsätzlich frei. Tatsächlich werden gestützt auf Artikel 7 des Gemeindegesetzes entweder<br />
der Gemeindeverb<strong>an</strong>d (Abs. 1) oder ein Vertragsverhältnis (Abs. 2) in Frage kommen.<br />
Heute sind die Gemeinden, dort wo sie zusammengeschlossen sind, im Sitzgemeindemodell<br />
org<strong>an</strong>isiert. Im Gegensatz zum Gemeindeverb<strong>an</strong>d entsteht beim Sitzgemeindemodell keine<br />
gemeinsame Körperschaft; die Kooperation kommt vielmehr durch Delegation der<br />
vormundschaftlichen Aufgaben zu St<strong>an</strong>de (die abgebende [kleinere oder mittlere] Gemeinde<br />
delegiert ihre Kompetenzen <strong>an</strong> eine übernehmende [grössere] Sitzgemeinde, welche sich zur<br />
Erfüllung der Aufgaben im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes mit der eigenen<br />
Fachbehörde zur Verfügung stellt). Es h<strong>an</strong>delt sich dabei um ein Vertragsverhältnis, in denen<br />
sich eine Gemeinde verpflichtet, gegen Entgelt für eine oder mehrere <strong>an</strong>dere Gemeinden (sog.<br />
Anschlussgemeinden) die Leistung der Vormundschaftsbehörde zu erbringen. Die Umfrage<br />
Voll hat allerdings aufgezeigt, dass bis heute meistens keine eigentliche Delegation <strong>an</strong> die<br />
Sitzgemeinde stattfindet, sondern vielfach eine gemeinsame Behörde mit Delegierten aus allen<br />
oder doch mehreren beteiligten Gemeinden gebildet wird.<br />
Was das so gen<strong>an</strong>nte Tessiner Modell betrifft, so k<strong>an</strong>n dieses Modell nach den neuen<br />
Vorgaben nur bedingt umgesetzt werden. In diesem Modell setzt sich die Fachbehörde<br />
zusammen aus je zwei ständigen Mitgliedern sowie einem Vertreter jener Gemeinde, in der die<br />
Person, über die zu entscheiden ist, wohnt. Das „Entsenden“ eines Gemeinderates als<br />
Exekutivorg<strong>an</strong> erscheint unter dem Lichte der neuen bundesrechtlichen Vorgaben aber nicht<br />
14 B<strong>an</strong>d 1: Das Gesamtprojekt Aufgabenteilung K<strong>an</strong>ton – Gemeinden; Bericht des Regierungsrates <strong>an</strong> den Grossen<br />
Rat vom 17. Juni 1998
17<br />
mehr als konform. Wenn die Vertretung der Gemeinden unter fachlichen Aspekten ausgewählt<br />
und delegiert wird, ist dies aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu be<strong>an</strong>st<strong>an</strong>den.<br />
In der Wahl der Org<strong>an</strong>isationsform – d.h. der Frage, in welcher Form sich die Gemeinden<br />
zusammenschliessen – sind die Gemeinden frei.<br />
7.3 Spruchkörper/Mitglieder der Fachbehörde<br />
Mit Spruchkörper werden die im Einzelfall mitwirkenden Behördenmitglieder bezeichnet. Art.<br />
440 Abs. 2 ZGB sieht vor, dass der Spruchkörper mindestens drei Mitglieder umfasst.<br />
Spruchkörper und Fachbehörde können, müssen aber nicht identisch sein: Nach Bundesrecht<br />
k<strong>an</strong>n die Fachbehörde auch eine grössere Zahl von Mitgliedern vorsehen und die<br />
Spruchbehörde je nach dem Fall, den es zu beurteilen gilt, zusammensetzen.<br />
Die Fachbehörde muss sich gemäss den Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates<br />
vornehmlich mit Fragen ausein<strong>an</strong>dersetzen, welche juristischen, psychologischen, sozialen,<br />
pädagogischen, treuhänderischen, versicherungsrechtlichen oder medizinischen Sachverst<strong>an</strong>d<br />
erfordern. Von Fachleuten wurde deshalb gefordert, dass sich die Fachbehörde mit 9-12<br />
Mitgliedern aus diesen Fachbereichen zusammensetzt. Aus diesem Pool von Mitgliedern<br />
liessen sich problembezogene interdisziplinäre Spruchkörper von drei oder mehr Mitgliedern<br />
bilden. 15 Im Bericht VBK wird dem entgegengehalten, dass eine so grosse Fachbehörde<br />
überdimensioniert und schwerfällig sowie mit Sachverst<strong>an</strong>d ausgerüstet sei, der gar nicht<br />
durchgehend benötigt werde. 16<br />
Auf jeden Fall muss eine Juristin oder ein Jurist in der Fachbehörde vertreten sein, welche(r)<br />
für eine korrekte Rechts<strong>an</strong>wendung ver<strong>an</strong>twortlich ist: Die Verfahrensleitung und -steuerung<br />
sowie die inhaltliche Entscheidfindung in den verschiedenen Bereichen des Kindes- und<br />
Erwachsenenschutzes setzt Vertrautheit mit dem formellen und materiellen Recht voraus. 17<br />
Eine Behörde mit ausschliesslich Juristen und Juristinnen würde dem in der Vernehmlassung<br />
grossmehrheitlich unbestrittenen Erfordernis der Interdisziplinarität jedoch nicht gerecht,<br />
weshalb in der Behörde noch weiterer Sachverst<strong>an</strong>d vertreten sein muss. Die <strong>an</strong>spruchsvollen<br />
15 Vgl. Christoph Häfeli, Peter Voll, die Behördenorg<strong>an</strong>isation im Kindes- und Erwachsenenschutz aus rechtlicher<br />
und sozialwissenschaftlicher Sicht, ZVW 2/2007<br />
16 Wider et al. 2007: Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde. Analyse und Modellvorschläge, S.<br />
16.
18<br />
massnahmengebundenen Tätigkeiten legen es nahe, dass auch sozialarbeiterische und<br />
psychologische/pädagogische/medizinische Kompetenzen in der Fachbehörde selber vertreten<br />
sind. Gleich lässt sich aufgrund der fin<strong>an</strong>z- und vermögensrechtlichen (Controlling) Aufgaben<br />
der Fachbehörde argumentieren.<br />
Bei einem Einzugsgebiet von ca. 10'000 Einwohnerinnen und Einwohnern macht es aber wohl<br />
tatsächlich wenig Sinn, eine Fachbehörde mit 9-12 Mitgliedern auszurüsten: Die Auslastung<br />
und damit die Möglichkeit, die nötige Erfahrung aufzubauen oder das Erfahrungswissen zu<br />
behalten, ist im kommunalen Modell ohnehin schon schwierig sicherzustellen; bei einer<br />
flexiblen Zusammensetzung der Spruchbehörde je nach Fall dürfte sich dieses Problem noch<br />
verschärfen. Das Problem der im Einzelfall fehlenden Fachlichkeit lässt sich etwas entschärfen,<br />
indem einzelne Kompetenzen extern via Leistungsauftrag oder bei einem internen<br />
Behördensekretariat abgerufen werden.<br />
Es soll den Gemeinden aufgrund der Org<strong>an</strong>isationsautonomie im Rahmen des bundesrechtlich<br />
Vorgeschriebenen aber selber überlassen bleiben, wie sie ihre Fachbehörde ausstatten.<br />
Die Fachbehörde ist mit mindestens drei Mitgliedern interdisziplinär zusammengesetzt. Das<br />
Präsidium mit Ver<strong>an</strong>twortlichkeit der Verfahrensleitung und –steuerung wird durch eine<br />
Juristin/einen Juristen wahrgenommen. Mindestens zwei weitere Mitglieder 18 stellen die<br />
Stellvertretung des Präsidiums sicher.<br />
7.4 Unterstützung durch einen internen Dienst (Fachdienst)<br />
7.4.1 Vormundschaftssekretariat<br />
Wie oben bereits ausgeführt, können zur Entlastung und fachlichen Ergänzung der<br />
Fachbehörde verschiedene Verfahrensh<strong>an</strong>dlungen delegiert werden. Schon im heutigen<br />
System der Laienbehörden kommt dem Behördensekretariat eine zentrale Stellung zu.<br />
Allerdings verfügen gerade die generalistischen Einwohnergemeinderäte 19 nur selten (5%)<br />
über ein derartiges Sekretariat, im Gegensatz zu den Spezialkommissionen oder<br />
Sitzgemeindebehörden (je rund 70%). In den übrigen Fällen stützt sich die Behörde in der<br />
Regel auf die allgemeine Verwaltung, insbesondere den Gemeindeschreiber oder die<br />
17 BBl. 2006, 7073<br />
18 Diese Mitglieder müssen Ausbildung und/oder Erfahrung im Aufgabenbereich des Erwachsenen- und<br />
Kindesschutzwesens ausweisen: Sozialarbeiterische, psychologische/pädagogische, treuhänderische,<br />
sozialversicherungsrechtliche, medizinische Kompetenzen.
19<br />
Gemeindeschreiberin, ab. Der Grund dafür liegt in der Gemeindegrösse: Erst in Gemeinden mit<br />
mehr als 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern k<strong>an</strong>n ein eigenes, wenn auch kleines<br />
Vormundschaftssekretariat kostengünstig eingerichtet und ausgelastet werden. 20<br />
Im K<strong>an</strong>ton Bern verfügen heute laut Umfrage 81 Behörden über ein eigenes Sekretariat, das<br />
Fachaufgaben – wie die Abklärung bei Gefährdungsmeldungen, die Redaktion von<br />
Beschlüssen, Beratung oder Kontrolle von M<strong>an</strong>datstragenden – übernimmt. Allerdings haben<br />
nur rund die Hälfte dieser Sekretariate Mitarbeiter/innen mit einer Ausbildung in Recht (9%),<br />
Sozialarbeit (36%) oder als Gemeindeschreiber (7%). Die berufliche Ausrichtung des<br />
Sekretariats und seine Grösse korrelieren in hohem Mass mitein<strong>an</strong>der und ebenso mit der<br />
Grösse des Einzugsgebiets.<br />
7.4.2 Neues System Behördensekretariat<br />
Je nachdem, ob die Fachbehörde hauptamtlich oder nebenamtlich (Teilpensum zulässig) oder<br />
im Milizprinzip arbeitet, ist sie auf mehr oder weniger unterstützende Dienste <strong>an</strong>gewiesen.<br />
Insbesondere dort, wo sich die Fachbehörde nach dem Milizprinzip org<strong>an</strong>isiert, kommt den<br />
Behördensekretariaten eine sehr wichtige Rolle zu. Zudem dürfte ein solches<br />
Behördensekretariat auch hinsichtlich der Erreichbarkeit der Behörde sowie der Stellvertretung<br />
eine wichtige Rolle spielen 21 .<br />
In Anbetracht der Breite der Aufgaben sollten auch in diesen Behördensekretariaten<br />
verschiedene Kompetenzen (Recht, Sozialarbeit, Administration, Sozialversicherungsrecht,<br />
Treuh<strong>an</strong>d) vorh<strong>an</strong>den sein.<br />
19 Dies sind 59% der Behörden, welche aber nur für 14% der Bevölkerung ver<strong>an</strong>twortlich sind.<br />
20 Dr. Peter Voll, Die Arbeit der Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern, Ergebnisse einer Untersuchung im<br />
Auftrag der Justiz-, Gemeinde und Kirchendirektion des K<strong>an</strong>tons Bern, Oktober 2008<br />
21 Namentlich im Bereich der fürsorgerischen Unterbringung und der ausschliesslichen Zuständigkeit in<br />
Kindesschutzbel<strong>an</strong>gen ist die Erreichbarkeit wichtig. Tendenziell ist die Behörde sogar auf eine Rund-um-die-Uhr-<br />
Erreichbarkeit ausgerichtet, wobei diese auch durch die Bezeichnung von <strong>an</strong>deren Stellen (Polizei, Kinderklinik etc.)<br />
sichergestellt werden k<strong>an</strong>n.
20<br />
Je nach Einzugsgebiet und Ausgestaltung der Fachbehörde – Hauptamt, Nebenamt oder<br />
Milizamt – sind die behördeeigenen Behördensekretariate grösser oder kleiner. Wenn sich eine<br />
Fachbehörde nach dem Milizprinzip oder nebenamtlich org<strong>an</strong>isiert, muss ein behördeeigenes<br />
Behördensekretariat Fachkompetenz und die Erreichbarkeit zu Bürozeiten sicherstellen.<br />
Org<strong>an</strong>isiert sich eine Fachbehörde hauptamtlich, k<strong>an</strong>n sich das Behördensekretariat auf die<br />
Administration beschränken.<br />
Das Behördensekretariat muss auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Fachbehörde in der<br />
gleichen Art fin<strong>an</strong>ziert werden wie diese. Im Gemeindemodell erfolgt die Fin<strong>an</strong>zierung wie<br />
heute schon durch die als Trägerschaft auftretende(n) Gemeinde(n). Dabei k<strong>an</strong>n es offen<br />
bleiben, in welcher Form sie die <strong>an</strong>deren Gemeinden des Kreises partizipieren lässt (z.B. nach<br />
Fallzahlen, nach Beschlüssen, nach Einwohnerinnen und Einwohnern).<br />
7.5 Abklärung (Sozialdienste)<br />
7.5.1 Ist-Situation<br />
Vormundschaftswesen und Sozialhilfewesen sind eng mitein<strong>an</strong>der verknüpft. Die Sozialdienste<br />
haben im Rahmen der Entscheidvorbereitung sowie bei der M<strong>an</strong>datsführung eine zentrale<br />
Bedeutung für die Aufgabenerfüllung einer Vormundschaftsbehörde. Die Aufgaben der<br />
Sozialdienste reichen von Abklärungen bei Erwachsenen und Kindern über<br />
Massnahmenpl<strong>an</strong>ung hin zu Platzierungen etc. Die Sozialdienste sind sowohl die<br />
vorgelagerten als auch die ausführenden Dienste der Vormundschaftsbehörden. Die<br />
Sozialdienste sind in kommunaler Ver<strong>an</strong>twortung, haben sich aber im Zuge des neuen<br />
Sozialhilfegesetzes vermehrt regionalisiert. Zurzeit werden 66 kommunale und regionale<br />
Sozialdienste geführt, welche neben den gesetzlichen Sozialhilfeaufgaben auch weitere<br />
Aufgaben gemäss besonderer Gesetzgebung erfüllen (Aufgaben im Bereich der<br />
Vormundschaft, der Jugendarbeit, des Pflegekinderwesens oder der<br />
Alimentenbevorschussung).<br />
In einigen grösseren Gemeinden und Städten ist dem Vormundschaftssekretariat ein eigenes<br />
Intake (Sozialdienst) zugeordnet. Das Intake ist Anlaufstelle, nimmt Gefährdungsmeldungen<br />
entgegen und hat die Aufgabe, den Problemsachverhalt abzuklären, Vernetzungsmöglichkeiten<br />
zu prüfen (Verw<strong>an</strong>dte, Pro Senectute etc.) und, sofern nötig, eine Vormundschaftsmassnahme<br />
zu be<strong>an</strong>tragen.
21<br />
In den meisten Gemeinden werden die Aufgaben des Intake aber durch Mitarbeitende des mit<br />
der Vormundschaftsbehörde verbundenen Sozialdienstes wahrgenommen. Teilweise,<br />
namentlich in kleinen Gemeinden, werden erste Abklärungen auch durch die<br />
Behördenmitglieder wahrgenommen.<br />
Auch im bisherigen Recht sind die vormundschaftlichen Behörden als Entscheidungs- und<br />
Aufsichtsinst<strong>an</strong>z konzipiert, die den Sozialdiensten gegenüber als Auftraggeber in Erscheinung<br />
treten. Das setzt voraus, dass die Behörden die Fälle in eigener (Fach)Kompetenz beurteilen.<br />
Mit der Bezeichnung als „Fachbehörde“ wird dieser Aspekt im künftigen Recht verstärkt<br />
hervorgehoben. Die Behörde ist verpflichtet, Abklärungen selber vorzunehmen oder in Auftrag<br />
zu geben, wenn ihr eine Gefährdungsmeldung zukommt.<br />
Heute übertragen Behörden, die über ein eigenes Behördensekretariat – mit oder ohne Intake<br />
– verfügen, diesem vielfach die Abklärung. Auffällig ist, dass in nahezu allen Fällen, in denen<br />
Sozialarbeitende das Behördensekretariat führen, auch der regionale oder kommunale<br />
Sozialdienst in die Abklärungen einbezogen wird. Bei den Sekretariaten ohne Fachpersonal<br />
(mit Ausnahme der von einem Gemeindeschreiber (mit-)betreuten Sekretariate) oder bei<br />
Juristen ist dieser Anteil offenbar deutlich kleiner.<br />
Die kommunalen oder regionalen Sozialdienste werden heute somit unterschiedlich stark in die<br />
Aufgabenerfüllung im Vormundschaftswesen einbezogen: Die Sp<strong>an</strong>nweite reicht von keinem<br />
Einbezug bis hin zur Redaktion des Entscheids, was nicht der eigentlichen Rolle entspricht.<br />
In org<strong>an</strong>isatorischer Hinsicht sind die Sozialdienste sehr unterschiedlich ausgestaltet:<br />
Gemeinde als Trägerin (z.B. in Städten)<br />
Vereine oder Gemeindeverbände als Trägerschaften<br />
Sitzgemeindemodelle<br />
Eine erkennbare Linie gibt es nicht. Auch die Grösse variiert ausserordentlich stark. Die<br />
Anforderungen der k<strong>an</strong>tonalen Sozialgesetzgebung legen nur die Mindestgrösse fest (1.5<br />
Stellen, entspricht einer Fallbelastung von ca. 120-150 laufenden Dossiers im Sozialhilfe- und<br />
Vormundschaftsbereich).<br />
Was die Fin<strong>an</strong>zierung betrifft, sind die Besoldungskosten für das Fachpersonal im<br />
Vormundschaftsbereich (Massstab: Ausbildung in Sozialarbeit) gemäss Art. 34 der Verordnung<br />
vom 24. Oktober 2001 über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV)
22<br />
lastenverteilungsberechtigt. Pro Sozialarbeitsstelle ist zusätzlich eine Pauschale<br />
lastenverteilungsberechtigt für Sekretariat (Basis: 30% Sekretariat auf 100% Sozialarbeit, ab<br />
2009: 50%).<br />
7.5.2 Neues System Abklärung<br />
Es ist unerlässlich, dass im neuen System eine klare Rollenteilung zwischen Fachbehörde,<br />
Behördensekretariat und allenfalls kommunalen/regionalen Sozialdiensten vorgenommen wird.<br />
Zwei Vari<strong>an</strong>ten (die heute schon existieren) sind denkbar:<br />
Grundsätzlich k<strong>an</strong>n die Abklärung org<strong>an</strong>isatorisch wie die Behördensekretariate bei den<br />
Fachbhörden <strong>an</strong>gesiedelt werden (Vari<strong>an</strong>te 1) oder sie k<strong>an</strong>n <strong>an</strong> die Sozialdienste delegiert<br />
werden (Vari<strong>an</strong>te 2).<br />
Im Übrigen ist <strong>an</strong>zustreben, dass die Einzugsgebiete der Fachbehörden und der Sozialdienste<br />
identisch sein werden: Die Grösse der Sozialdienste variiert wie gesagt sehr stark und es<br />
bestehen unterschiedliche Gesetzgebungen und Anforderungen im Sozial- und<br />
Vormundschaftsbereich. Dies bedeutet, dass in jedem Fall, bei dem die Abklärung gemäss<br />
Vari<strong>an</strong>te 1 nicht „intern“ stattfindet, das gegenseitige Verhältnis geregelt werden muss<br />
(Vari<strong>an</strong>te 2).<br />
Vari<strong>an</strong>te 1<br />
Grundsätzlich können die Fachbehörde/Behördensekretariate mit Abklärungsdiensten (Intake)<br />
ergänzt werden, die in der Lage sind, alle heute von den Sozialdiensten erledigten Aufgaben zu<br />
übernehmen. Das käme faktisch einerseits einer starken Zentralisation der Aufgaben und<br />
<strong>an</strong>dererseits einer Aufteilung der Aufgaben zwischen Sozialdiensten und<br />
Fachbehörden/Fachdiensten gleich, wie dies zum Teil in grösseren Gemeinden und Städten<br />
bereits heute der Fall ist. Bei dieser Lösung müssten die bestehenden Sozialdienste personelle<br />
Ressourcen im Bereich Abklärung in der Grössenordnung von rund 15% zuh<strong>an</strong>den der<br />
Fachbehörde abbauen. 22 Faktisch hätte das eine grundlegende Umgestaltung des heutigen<br />
Sozialwesens im K<strong>an</strong>ton zur Folge.<br />
22 Laut GEF machen die Vormundschaftsfälle 37% der gesamten Fälle aus. Vormundschaftliche M<strong>an</strong>date: 22%,<br />
Gefährdungsmeldungen: 9%, Berichte/Gutachten: 1%, Pflegekinderaufsicht: 2%, Vaterschaftsabklärungen: 3% =<br />
total 37%.
23<br />
Dies könnte Auswirkungen auch auf die Fin<strong>an</strong>zierung haben: Nicht <strong>an</strong>strebenswert ist eine<br />
unterschiedliche Fin<strong>an</strong>zierung von Fachbehörde und Fachdiensten einerseits und<br />
Abklärungsdienst <strong>an</strong>dererseits, wenn diese Funktionen alle unter der gleichen<br />
org<strong>an</strong>isatorischen Einheit stehen.<br />
Vari<strong>an</strong>te 2<br />
Wie nach heutigem System wird eine Kooperation der Fachbehörde/Fachdienste mit den<br />
bestehenden Sozialdiensten <strong>an</strong>gestrebt, wobei neu eine klare Rollenzuweisung vorgenommen<br />
werden muss. Anstelle der Vormundschaftsbehörden treten die<br />
Fachbehörden/Behördensekretariate als Auftraggeberinnen auf. Da die<br />
Fachbehörden/Behördensekretariate geografisch und führungsmässig in vielen Fällen nicht mit<br />
den Sozialdiensten übereinstimmen, muss das Verhältnis von Fachbehörde/Fachdiensten zu<br />
den Sozialdiensten in Leistungsverträgen umschrieben werden.<br />
Es ist den Gemeinden zu überlassen, wie die Zusammenarbeit zwischen Fachbehörde,<br />
Behördensekretariat (mit oder ohne Intake) und Sozialdienst ausgestaltet wird. Auf jeden Fall<br />
ist eine klare Rollenzuschreibung nötig.<br />
7.6 M<strong>an</strong>datsführung<br />
Die M<strong>an</strong>datsführung liegt heute bei den Sozialdiensten beziehungsweise den eingesetzten<br />
Privatpersonen. In der Umfrage Voll berichten die <strong>an</strong>twortenden Behörden von 9372<br />
Erwachsenen- und 4295 Kindesschutzm<strong>an</strong>daten. Sofern die M<strong>an</strong>date nicht Privaten (M<strong>an</strong>date<br />
im Erwachsenenschutzbereich: 41%; M<strong>an</strong>date im Kindesschutzbereich: 10%) erteilt werden,<br />
werden sie meistens den Sozialdiensten zugewiesen. Das heisst, häufig ist die für die<br />
Abklärung zuständige Person im Sozialdienst <strong>an</strong>schliessend auch für die M<strong>an</strong>datsführung<br />
zuständig. Aufgrund der Umfrage ist <strong>an</strong>zunehmen, dass in kleineren Sozialräumen M<strong>an</strong>date<br />
bevorzugt auf privater statt auf professioneller Basis vergeben werden. 23<br />
Aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben 24 ist davon auszugehen, dass die Instruktion,<br />
Beratung und Kontrolle der M<strong>an</strong>datsträgerinnen und –träger eine wichtige Aufgabe der<br />
Fachbehörde bildet. Ansonsten sind keine grundsätzlichen Änderungen zu erwarten.<br />
23 Dr. Peter Voll, Die Arbeit der Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern, Ergebnisse einer Untersuchung im<br />
Auftrag der Justiz-, Gemeinde und Kirchendirektion des K<strong>an</strong>tons Bern, Oktober 2008<br />
24 Art. 400 ZGB
24<br />
7.7 Aufsicht und Rechtsmittelinst<strong>an</strong>z<br />
Die Aufsichtsbehörde hat im Rahmen der allgemeinen Aufsicht die Aufgabe, für eine korrekte,<br />
einheitliche Rechts<strong>an</strong>wendung zu sorgen. Der K<strong>an</strong>ton Bern weist im Bereich der<br />
Vormundschaftspflege das System einer zweistufigen Aufsichtsorg<strong>an</strong>isation auf: Gemäss Art.<br />
30 EG ZGB ist die Regierungsstatthalterin oder der Regierungsstatthalter die erstinst<strong>an</strong>zliche,<br />
der Regierungsrat die oberinst<strong>an</strong>zliche Aufsichtsbehörde. Der Regierungsrat hat seine<br />
Aufsichtskompetenz gestützt auf das Gesetz über die Org<strong>an</strong>isation des Regierungsrates und<br />
der Verwaltung <strong>an</strong> die JGK delegiert 25 .<br />
In der Wahl der Aufsichtsbehörde sind die K<strong>an</strong>tone auch nach neuem Recht 26 frei, sie können<br />
eine oder zwei, eine gerichtliche oder eine administrative Aufsichtsbehörde bestimmen 27 .<br />
Allerdings k<strong>an</strong>n eine Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Aufsicht einen Entscheid der<br />
Erwachsenenschutzbehörde nicht korrigieren, weil hierzu nur die gerichtliche<br />
Beschwerdeinst<strong>an</strong>z zuständig ist.<br />
Mit der Totalrevision entfallen die administrativen Rekursbehörden, also sowohl die<br />
Regierungsstatthalterinnen und Regierungsstatthalter als auch die JGK, weil gegen sämtliche<br />
Entscheide der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde direkt eine gerichtliche<br />
Beschwerdeinst<strong>an</strong>z <strong>an</strong>gerufen werden k<strong>an</strong>n 28 . Deren Entscheide unterliegen ohne<br />
Einschränkung der Beschwerde in Zivilsachen <strong>an</strong> das Bundesgericht 29 . Nicht in Frage gestellt<br />
werden mit der neuen bundesrechtlichen Regelung die heutigen gerichtlichen<br />
Beschwerdeinst<strong>an</strong>zen im K<strong>an</strong>ton Bern (eingeschlossen die FFE-Rekurskommission 30 ).<br />
1 Die Erwachsenenschutzbehörde ernennt als Beist<strong>an</strong>d oder Beiständin eine natürliche Person, die für die<br />
vorgesehenen Aufgaben persönlich und fachlich geeignet ist, die dafür erforderliche Zeit einsetzen k<strong>an</strong>n und die<br />
Aufgaben selber wahrnimmt. Bei besonderen Umständen können mehrere Personen ern<strong>an</strong>nt werden.<br />
2 ...<br />
3 Die Erwachsenenschutzbehörde sorgt dafür, dass der Beist<strong>an</strong>d oder die Beiständin die erforderliche Instruktion,<br />
Beratung und Unterstützung erhält<br />
25 Art. 21, 25, 29, 50 lit.b Org<strong>an</strong>isationsgesetz (BSG 152.01); Art. 1 Abs. 1 lit. h und Abs. 2 lit. a<br />
Org<strong>an</strong>isationsverordnung JGK (BSG 152.221.131)<br />
26 Art. 441 ZGB<br />
1Die K<strong>an</strong>tone bestimmen die Aufsichtsbehörden.<br />
2Der Bundesrat k<strong>an</strong>n Bestimmungen über die Aufsicht erlassen.<br />
27 BBl S. 7074)<br />
28 Art. 450 ZGB<br />
29 Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 5-7 des Bundesgerichtsgesetzes<br />
30 Die Beschwerdeinst<strong>an</strong>z muss nicht zwingend ein formelles Gericht sein, muss aber den Anforderungen von Art. 6<br />
EMRK genügen.
25<br />
Das Bundesrecht schliesst zwar aus, die Regierungsstatthalterämter weiterhin als Beschwerdeinst<strong>an</strong>z<br />
vorzusehen, weil sie nicht Gerichte sind. Dagegen ist ein zweistufiges gerichtliches<br />
Beschwerdeverfahren nicht ausgeschlossen. Somit wäre es möglich, bei Beschwerden gegen<br />
Entscheide der Fachbehörden die erstinst<strong>an</strong>zlichen Gerichte als erste Beschwerdeinst<strong>an</strong>z<br />
vorzusehen und das Obergericht als zweite Beschwerdeinst<strong>an</strong>z. Der gravierende Nachteil<br />
eines zweistufigen gerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist die Verlängerung des<br />
Inst<strong>an</strong>zenzuges und damit verbunden der zeitliche Verzug (obwohl gerade in diesem<br />
Sachbereich häufig beschleunigt zu entscheiden ist) sowie die möglichen Mehrkosten<br />
(Unentgeltliche Prozessführung).<br />
Einzig das Obergericht als Rechtsmittelinst<strong>an</strong>z vorzusehen, ist eine weitere Möglichkeit. Sie<br />
führt aber dazu, dass bei einem kommunalen Modell von ca. 60 Fachbehörden direkt <strong>an</strong> das<br />
Obergericht gel<strong>an</strong>gt wird. Es ist also für das Obergericht eine bedeutende zusätzliche<br />
Belastung zu erwarten.<br />
Schliesslich könnte für den g<strong>an</strong>zen Bereich des Erwachsenen- und Kindesschutzrechts eine<br />
neue unabhängige und gerichtlich ausgestaltete Rekurskommission eingeführt werden (ähnlich<br />
wie die Steuerrekurskommission des K<strong>an</strong>tons Bern, deren Mitglieder vom Grossen Rat gewählt<br />
werden). Mit dieser Lösung würde das Obergericht nicht nur entlastet, auch die<br />
erstinst<strong>an</strong>zlichen Gerichte müssten nicht mit zusätzlichen Aufgaben betraut werden. Bei der<br />
konkreten Ausgestaltung müsste darauf geachtet werden, dass die Rekurskommission als<br />
„oberes Gericht“ gemäss Art. 75 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG, SR 173.110) gilt.<br />
Für diese Lösung spricht zusätzlich, dass diese Rekurkommission auch mit Aufsichtsaufgaben<br />
betraut werden könnte, da aus Gründen der Qualitätssicherung und der Effizienz grundsätzlich<br />
<strong>an</strong>zustreben ist, dass die Rechtsmittelaufsicht bei der Beschwerdeinst<strong>an</strong>z liegt: Aus<br />
Rechtsmittelverfahren resultieren Erkenntnisse, welche sinnvollerweise in die Aufsicht fliessen<br />
sollten (z.B. Verfahrensmängel, rechtliche St<strong>an</strong>dards).<br />
Nach dem Verständnis der wirkungsorientierten Verwaltung werden die Steuerungsaufgaben<br />
zunehmend wichtiger. Zu den Kernprozessen der Steuerung gehören in diesem Fall neben der<br />
Vorbereitung und dem Verfügbarmachen von Verwaltungsorg<strong>an</strong>isations- und<br />
M<strong>an</strong>agementinstrumenten, das Einführen von Qualitätszirkeln sowie eine einheitliche<br />
Geschäftskontrolle und Vorgaben betreffend statistischer Daten, damit eine Qualitätskontrolle<br />
möglich ist (s. auch unten Evaluation). Diese Aufgabe ist eine Aufgabe, die der Verwaltung
26<br />
näher liegt als der Justiz, auch wenn die Justiz mit der Einführung von NEF-Grundsätzen im<br />
Zusammenh<strong>an</strong>g mit der Justizreform ebenfalls zunehmend mit Führungs- und<br />
Steuerungsaufgaben betraut wird. Die Aufsicht sollte daher org<strong>an</strong>isatorisch nach wie vor bei<br />
der JGK <strong>an</strong>gegliedert sein, wobei die Rechtsmittelaufsicht Sache der neuen Rekurskommission<br />
ist. Diese Lösung würde auch erlauben, nach wie vor die Regierungsstatthalterinnen und<br />
Regierungsstatthalter für gewisse Bereiche der Aufsicht beizuziehen. Die<br />
Regierungsstatthalterinnen und Regierungsstatthalter sind heute die k<strong>an</strong>tonalen Org<strong>an</strong>e der<br />
Aufsicht über die Gemeinden respektive die Vormundschaftsbehörden und mit dieser Aufgabe<br />
aufgrund ihrer Praxiserfahrung vertraut. Dieses Wissen könnte nach wie vor genutzt werden.<br />
Immerhin ist festzustellen, dass den Regierungsstatthalterämtern im neuen Recht keine<br />
materiellen Zuständigkeiten mehr zukommen, so dass der Praxisbezug in Zukunft nicht mehr<br />
bestehen wird.<br />
Es wird eine neue unabhängige gerichtliche Rekurskommission im Erwachsenen- und<br />
Kindesschutzrecht geschaffen. Die Aufsicht und Steuerung wird durch die JGK<br />
wahrgenommen.<br />
7.8 Evaluation<br />
Die Einführung des neuen Erwachsenen- und Kindesschutzrechts bringt für alle Akteure einen<br />
erheblichen Struktur<strong>an</strong>passungsbedarf mit sich. Die Auswirkungen können noch nicht<br />
vollständig abgeschätzt werden. Deshalb müssen spätestes nach vier Jahren die Wirkungen<br />
der Neuregelungen überprüft werden. Zentral wird die Frage sein, ob die mit dem neuen Recht<br />
erhoffte Qualitätssteigerung im Erwachsenen- und Kindesschutzwesen erfolgt ist. Die<br />
Evaluation wird zeigen, ob und gegebenenfalls welche der Eckwerte <strong>an</strong>gepasst werden<br />
müssen.<br />
Es wird eine gesetzliche Evaluationsklausel statuiert.<br />
8. Eckwerte einer k<strong>an</strong>tonalen Fachbehörde<br />
8.1 Einzugsgebiet<br />
Wie bereits mehrfach festgestellt, hängt die Professionalität einer Behörde nicht nur von ihrer<br />
Zusammensetzung ab, sondern insbesondere auch vom Mengengerüst der zu bewältigenden<br />
Aufgaben. Damit die Fachbehörde die erforderliche Qualität erreichen und halten k<strong>an</strong>n, braucht<br />
es neben spezifischem Fachwissen auch eine bestimmte Auslastung. Diese wiederum bedingt
27<br />
ein genügend grosses Einzugsgebiet, welches bei 50'000 bis 100'000 Einwohnerinnen und<br />
Einwohnern liegen soll. 31 Bei einem k<strong>an</strong>tonalen Modell k<strong>an</strong>n diesen Anforderungen voll<br />
entsprochen werden.<br />
Im K<strong>an</strong>ton Bern kommen dafür sowohl die Verwaltungsregion als auch der Verwaltungskreis<br />
als Gebietskörperschaft in Frage.<br />
Verwaltungsregion<br />
Bevölkerung<br />
Jura bernois 51’450<br />
Seel<strong>an</strong>d 154’800<br />
Bern-Mittell<strong>an</strong>d 379’750<br />
Emmental-Oberaargau 167’500<br />
Oberl<strong>an</strong>d 201’850<br />
Verwaltungskreis<br />
Bevölkerung<br />
Jura bernois 51’450<br />
Biel/Bienne 89’300<br />
Seel<strong>an</strong>d 65’500<br />
Bern-Mittell<strong>an</strong>d 379’750<br />
Emmental 91’650<br />
Oberaargau 75’850<br />
Thun 100’350<br />
Obersimmental-Sa<strong>an</strong>en 16’600<br />
Frutigen-Niedersimmental 38’900<br />
Interlaken 46’000<br />
Werden die Fachbehörden nicht mit einem eigenen Abklärungsdienst versehen, was aus<br />
verschiedenen Gründen abzulehnen ist (s. unten), kommen als Einzugsgebiet aus<br />
org<strong>an</strong>isatorischen Gründen nur die Verwaltungskreise in Frage.<br />
Bei einem Einzugsgebiet entsprechend den Verwaltungskreisen müssen aufgrund der<br />
unterschiedlichen Grössenverhältnisse und der topographischen Verhältnisse im<br />
Verwaltungskreis Bern-Mittell<strong>an</strong>d eine Aufteilung in drei Vormundschaftskreise (gleich wie die<br />
Wahlkreise für den Grossen Rat) und bei den Verwaltungskreisen Obersimmental-Sa<strong>an</strong>en und<br />
Frutigen-Niedersimmental eine Zusammenlegung vorgenommen werden, womit sich 11<br />
k<strong>an</strong>tonale Fachbehörden ergeben.<br />
31 Wider et al. 2007: Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde. Analyse und Modellvorschläge.
28<br />
8.2 Fachbehörde<br />
Auch im k<strong>an</strong>tonalen Modell soll die Fachbehörde zugleich den Spruchkörper bilden. Eine<br />
Fachbehörde mit einer grösseren Anzahl Mitglieder und einer flexiblen Zusammensetzung des<br />
Spruchkörpers je nach zu bearbeitenden Themen ist laut der Empfehlung der VBK auch im Fall<br />
des k<strong>an</strong>tonalen Modells zu schwerfällig. Je nach Grösse des Einzugsgebiets respektive der<br />
Auslastung könnten allerdings auch zwei Spruchkörper, zusammengesetzt aus<br />
unterschiedlichen Fachrichtungen gebildet werden.<br />
Die Fachbehörde ist mit drei Mitgliedern interdisziplinär zusammengesetzt. Das Präsidium mit<br />
Ver<strong>an</strong>twortlichkeit der Verfahrensleitung und –steuerung wird durch eine Juristin/einen Juristen<br />
im Vollamt wahrgenommen. Zwei weitere Mitglieder mit sozialarbeiterischer, pädagogischer<br />
oder psychologischer Ausbildung stellen die Stellvertretung des Präsidiums sicher. 32<br />
8.3 Behördensekretariat<br />
Auch im k<strong>an</strong>tonalen Modell ist die Fachbehörde auf ein vorgelagertes Behördensekretariat<br />
<strong>an</strong>gewiesen, welches die Behörde von Aufgaben entlastet und sie zugleich fachlich unterstützt.<br />
Von der Breite des Aufgabengebietes her ist erwünscht, dass in einem Behördensekretariat die<br />
folgenden Kompetenzen vorh<strong>an</strong>den sind:<br />
zur Entgegennahme von Gefährdungsmeldungen, Abklärung des Sachverhalts,<br />
Vornahme von Augenscheinen, Anhörungen (sozialarbeiterische Kompetenz);<br />
zur Bewältigung der Administration, der Geschäftskontrollen, der Registerführung, der<br />
Protokollführung, betriebliches Fin<strong>an</strong>zm<strong>an</strong>agement: Gebühreninkasso und Statistik<br />
(kaufmännische Kompetenz);<br />
für juristische Abklärungen, Verfahrensinstruktionen und Beratungen (juristische<br />
Kompetenz);<br />
für Vermögensinventarisationen, Rechnungsrevisionsarbeiten, Sicherung der<br />
Vermögensverwahrung und Geschäftsverkehr mit Geldinstituten (treuhänderische und<br />
sozialversicherungsrechtliche Kompetenz).<br />
32 Die Konferenz der K<strong>an</strong>tonalen Vormundschaftsbehörden empfiehlt auch für ein Einzugsgebiet von 50'000 bis<br />
100'000 Einwohnerinnen und Einwohnern einen Spruchkörper in Form eines 3-er Kollegiums in konst<strong>an</strong>ter<br />
Besetzung (Wider et al. 2007: Kindes und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde. Analyse und<br />
Modellvorschläge).
29<br />
Ein behördeeigenes Behördensekretariat unterstützt die Fachbehörde in der<br />
Aufgabenerfüllung.<br />
8.4 Abklärung (Sozialdienste)<br />
Die Abklärungen sind Aufgabe der im Modell zuständigen Org<strong>an</strong>isationseinheiten. Diese<br />
können die Aufgabe selber wahrnehmen (Vari<strong>an</strong>te 1) oder diese <strong>an</strong> die Sozialdienste<br />
delegieren (Vari<strong>an</strong>te 2).<br />
Vari<strong>an</strong>te 1<br />
Grundsätzlich könnten die Fachbehörde/Fachdienste im k<strong>an</strong>tonalen Modell mit<br />
Abklärungsdiensten ergänzt werden, die in der Lage sind, alle heute von den Sozialdiensten<br />
erledigten Aufgaben zu übernehmen (s. Vari<strong>an</strong>te 1 kommunales Modell).<br />
Sollte es zu einer solchen Neuverteilung der Aufgaben zwischen Abklärungsdiensten der<br />
Fachbehörde/Fachdienste und der Sozialdienste kommen, so könnte das auch Auswirkungen<br />
auf die Fin<strong>an</strong>zierung haben. Nicht <strong>an</strong>strebenswert ist eine unterschiedliche Fin<strong>an</strong>zierung von<br />
Fachbehörde und Fachdiensten einerseits und Abklärungsdienst <strong>an</strong>dererseits, wenn diese<br />
Funktionen alle unter der gleichen org<strong>an</strong>isatorischen Einheit stehen.<br />
Vari<strong>an</strong>te 2<br />
Es besteht die Möglichkeit einer Kooperation der Fachbehörde und Fachdienste mit den<br />
bestehenden Sozialdiensten (s. Vari<strong>an</strong>te 2 kommunales Modell).<br />
Im Falle einer K<strong>an</strong>tonalisierung der Fachbehörde ist die Schaffung eigener Sozialdienste aus<br />
mehreren Gründen allerdings nicht sinnvoll:<br />
Es werden Zuständigkeitsprobleme geschaffen, welche sowohl aus Sicht der Klienten als auch<br />
der kommunalen und regionalen sowie der behördeneigenen Sozialdienste nicht zu begrüssen<br />
sind. Die vielen Schnittstellen, Überschneidungen und Doppelzuständigkeiten hätten einerseits<br />
für die Sozialdienste einen grossen Abstimmungsaufw<strong>an</strong>d zur Folge. Dieser steht einer<br />
effizienten Aufgabenerfüllung im Weg. Für die Klienten selber k<strong>an</strong>n es verwirrlich sein, wenn<br />
verschiedene soziale Dienste zuständig sind. Dies gilt insbesondere bei schwierigen Fällen, wo<br />
ein Vertrauensverhältnis hergestellt werden muss. Andererseits darf nicht vergessen werden,<br />
dass die regionalen und kommunalen Sozialdienste bereits heute im Bereich des<br />
Vormundschaftswesens tätig sind und auf diesem Gebiet ein Know-how aufweisen, welches
30<br />
durch die Schaffung eigener Abklärungsdienste verloren ginge. Schliesslich ist auch der<br />
fin<strong>an</strong>zielle Aufw<strong>an</strong>d, der durch die gleichzeitige Führung von kommunalen/regionalen und<br />
behördeneigenen Sozialdiensten entsteht, fast sicher höher. Nicht unerwähnt darf allerdings<br />
bleiben, dass ein eigener Abklärungsdienst im Hause kürzere Kommunikationswege bedeutet.<br />
Die Nachteile, die mit einem eigenen Sozialdienst einhergehen, überwiegen jedoch die<br />
Vorteile.<br />
Für eine optimale Aufgabenerfüllung ist ein einheitlicher Perimeter von Fachbehörde und<br />
Sozialdienst <strong>an</strong>zustreben. Zurzeit ist diese Lösung aber nicht realisierbar.<br />
Vor dem Hintergrund der erwähnten Probleme, die durch die Schaffung behördeneigener<br />
Sozialdienste entstünden, sollen die Abklärungen durch die kommunalen und regionalen<br />
Sozialdienste via Leistungsauftrag erfolgen. Gesetzlich ist die Verpflichtung der Sozialdienste<br />
zur Vornahme der Abklärungen zu ver<strong>an</strong>kern<br />
8.5 M<strong>an</strong>datsführung<br />
Aufgrund der Umfrage ist <strong>an</strong>zunehmen, dass in kleineren Sozialräumen M<strong>an</strong>date bevorzugt auf<br />
privater statt auf professioneller Basis vergeben werden. 33 Eine Herausforderung im<br />
k<strong>an</strong>tonalen Modell besteht darin, auch weiterhin private M<strong>an</strong>datsträgerinnen und –träger für die<br />
Aufgabe zu gewinnen.<br />
Sofern die Abklärung <strong>an</strong> die Sozialdienste delegiert wird (d.h. kein behördeneigener<br />
Sozialdienst aufgebaut wird), k<strong>an</strong>n die Rekrutierung von privaten M<strong>an</strong>datstragenden durch<br />
diese erfolgen, womit sich keine wesentliche Änderung zu heute ergibt.<br />
8.6 Aufsicht und Rechtsmittelinst<strong>an</strong>z<br />
Die unter Ziff. 7.7 erwähnten Argumente für eine einstufige Aufsichts- und Rechtsmittelinst<strong>an</strong>z<br />
für das kommunale Modell gelten nicht weniger für das k<strong>an</strong>tonale Modell. Im Gegensatz zum<br />
kommunalen Modell k<strong>an</strong>n bei elf Fachbehörden davon ausgeg<strong>an</strong>gen werden, dass eine einzige<br />
33 Dr. Peter Voll, Die Arbeit der Vormundschaftsbehörden im K<strong>an</strong>ton Bern, Ergebnisse einer Untersuchung im<br />
Auftrag der Justiz-, Gemeinde und Kirchendirektion des K<strong>an</strong>tons Bern, Oktober 2008
31<br />
Kammer des Obergerichts als Rekursinst<strong>an</strong>z genügt. Die Aufsicht und Steuerung verbleibt aus<br />
den gleichen Gründen wie im kommunalen Modell bei der JGK.<br />
Das Rechtsmittelverfahren ist einstufig auszugestalten und org<strong>an</strong>isatorisch beim Obergericht<br />
<strong>an</strong>zugliedern. Die Aufsicht und Steuerung wird durch die JGK wahrgenommen.<br />
Es wird eine gesetzliche Evaluationsklausel statuiert.<br />
9. Aus- und Weiterbildung<br />
Nur relativ knapp wurde in der nationalrätlichen Debatte 34 ein Antrag abgelehnt, wonach die<br />
K<strong>an</strong>tone für geeignete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten der Behördenmitglieder sowie<br />
der Personen, die Massnahmen des Erwachsenenschutzes durchführen, zu sorgen haben. Zu<br />
Recht wurde eingewendet, es sei nicht Sache des Bundes, die K<strong>an</strong>tone zur Aus- und<br />
Weiterbildung von Behördenmitgliedern und M<strong>an</strong>datsträgern zu verpflichten. Auch der<br />
bundesrätliche Entwurf verzichtete auf eine Bestimmung über die Aus- und Weiterbildung.<br />
Tatsächlich hat der K<strong>an</strong>ton aber aufgrund der neu eingeführten Kausalhaftung alles Interesse<br />
dar<strong>an</strong>, dass die Fachbehörden aus- und weitergebildet werden: Art. 440 ZGB sieht<br />
ausdrücklich eine Fachbehörde vor, und jedes Fachorg<strong>an</strong> hat selbstständig für die<br />
Weiterbildung seiner Mitglieder zu sorgen. Zudem müssen Beistände nach Artikel 400 Abs. 1<br />
ZGB für ihre Aufgabe persönlich und fachlich geeignet sein. Ferner verpflichtet Absatz 3 von<br />
Artikel 400 die Erwachsenen- und Kindesschutzbehörde, dafür besorgt zu sein, dass ein<br />
Beist<strong>an</strong>d oder eine Beiständin die erforderliche Instruktion, Beratung und Unterstützung erhält.<br />
Diese Vorgaben sind für den Vollzug zentral. Darin sind Aus- und Weiterbildungen<br />
eingeschlossen. 35<br />
Im vorliegenden Zusammenh<strong>an</strong>g ist darauf hinzuweisen, dass die Konferenz der k<strong>an</strong>tonalen<br />
Vormundschaftsbehörden (VBK) schon heute Weiterbildungstagungen und Fachtagungen<br />
durchführt. Aus- und Weiterbildungs<strong>an</strong>gebote werden zudem <strong>an</strong> den Fachhochschulen<br />
<strong>an</strong>geboten.<br />
34 Mit 100 zu 74 Stimmen<br />
35 Vgl. dazu das Votum von BR Widmer-Schlumpf, AB 2008 N 1539
32<br />
Die Fachbehörden sorgen für die Aus- und Weiterbildung ihre Mitglieder und ihres<br />
Fachpersonals. Die Kosten der Aus- und Weiterbildung sind von derjenigen Staatsebene zu<br />
tragen, welche für die Aufgabenerfüllung zuständig ist.<br />
10. Fin<strong>an</strong>zielle Auswirkungen<br />
Im Auftrag der JGK hat Ecopl<strong>an</strong> auf der Basis der Workshops von September 2008 und auf der<br />
Basis von Datenerhebungen von P. Voll eine Schätzung der fin<strong>an</strong>ziellen Auswirkungen<br />
verschiedener Modellvorschläge vorgenommen. 36 Die Schätzung von Ecopl<strong>an</strong> wurde mit einer<br />
Schätzung des Geschäftsführers des VBG (Dr. D<strong>an</strong>iel Arn) plausiblisiert, welche auf einem<br />
völlig <strong>an</strong>deren Ansatz basiert. Bemerkenswert ist, dass die beiden Schätzungen nur 6%<br />
vonein<strong>an</strong>der abweichen. Angesichts der bestehenden Unsicherheiten und der beiden völlig<br />
unterschiedlichen Ansätze für die Erfassung des „Mengengerüsts“ ist diese Abweichung<br />
äusserst gering und ist ein Indiz dafür, dass die Schätzungen die korrekten Grössenordnungen<br />
wiedergeben.<br />
Nicht einbezogen in diese Kostenschätzung ist der künftige Aufw<strong>an</strong>d des K<strong>an</strong>tons betreffend<br />
Aufsicht und Rekursinst<strong>an</strong>z. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass der Aufw<strong>an</strong>d im Falle des<br />
kommunalen Modells höher ist als im k<strong>an</strong>tonalen Modell.<br />
10.1 Annahmen zur Schätzung<br />
Kommunale Fachbehörde:<br />
Es wird von folgenden Grund<strong>an</strong>nahmen ausgeg<strong>an</strong>gen:<br />
– Die Anzahl Fälle bezieht sich auf den Best<strong>an</strong>d Frühjahr 2008 (für die Schätzung der<br />
Fallführungskosten) bzw. die Inzidenz (neue Fälle) 2007 (für die Schätzung der Kosten<br />
Behördenaufw<strong>an</strong>d). Weil die Mengen<strong>an</strong>gaben (d.h. Anzahl Fälle) nur für Gemeinden<br />
bek<strong>an</strong>nt sind, die insgesamt 93% der Wohnbevölkerung abdecken, wird der Aufw<strong>an</strong>d<br />
über die Wohnbevölkerung auf 100% hochgerechnet.<br />
36 Bericht von Ecopl<strong>an</strong>, Vormundschaftswesen: Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde;<br />
Schätzung der fin<strong>an</strong>ziellen Auswirkungen verschiedener Modellvorschläge, Februar 2009
33<br />
– Der Aufw<strong>an</strong>d (Stunden) pro Fall entspricht für sämtliche Gemeinden dem heutigen<br />
Aufw<strong>an</strong>d in Gemeinden mit Vormundschaftskommission. Eine Ausnahme bilden die<br />
Städte, ihr Aufw<strong>an</strong>d bleibt gegenüber heute unverändert. 37<br />
– Als Stunden<strong>an</strong>satz wird 75 CHF verwendet. Die Fachbehörden fungieren in diesem<br />
Modell primär als Milizbehörden und 75 CHF entspricht somit der Stundenentschädigung.<br />
Für die Angestellten der Gemeinde im Sekretariat wird 75 CHF pro Stunde als<br />
Personalkosten <strong>an</strong>genommen.<br />
– Der Aufw<strong>an</strong>d für die Fallführung bleibt gegenüber heute unverändert.<br />
K<strong>an</strong>tonale Fachbehörde:<br />
Es wird von folgenden Grund<strong>an</strong>nahmen ausgeg<strong>an</strong>gen:<br />
– Die Anzahl Fälle bezieht sich auf den Best<strong>an</strong>d Frühjahr 2008 (für die Schätzung der<br />
Fallführungskosten) bzw. die Inzidenz (neue Fälle) 2007 (für die Schätzung der Kosten<br />
Behördenaufw<strong>an</strong>d). Weil die Mengen<strong>an</strong>gaben (d.h. Anzahl Fälle) nur für Gemeinden<br />
bek<strong>an</strong>nt sind, die insgesamt 93% der Wohnbevölkerung abdecken, wird der Aufw<strong>an</strong>d<br />
über die Wohnbevölkerung auf 100% hochgerechnet.<br />
– Der Aufw<strong>an</strong>d (Stunden) für sämtliche Fälle entspricht dem heutigen Aufw<strong>an</strong>d der Städte.<br />
– Der Stunden<strong>an</strong>satz beträgt 87 CHF. Dieser Wert setzt sich aus 75 CHF Personalkosten<br />
(vgl. Annahmen zur kommunalen Fachbehörde) und 12 CHF Infrastrukturkosten<br />
zusammen. Im Unterschied zum kommunalen Modell fallen beim k<strong>an</strong>tonalen Modell<br />
Infrastrukturkosten für fest <strong>an</strong>gestellte Mitglieder der Fachbehörden <strong>an</strong> (bspw. für Büros).<br />
Beim kommunalen Modell wird aufgrund der geringeren zeitlichen Belastung davon<br />
ausgeg<strong>an</strong>gen, dass die Behörden weiterhin im Milizsystem arbeiten<br />
(Stundenentschädigungen). Beim k<strong>an</strong>tonalen Modell wird jedoch <strong>an</strong>genommen, dass die<br />
Behördenmitglieder beim K<strong>an</strong>ton als Teilzeitmitarbeitende <strong>an</strong>gestellt werden.<br />
– Der Aufw<strong>an</strong>d für die Fallführung bleibt gegenüber heute unverändert.<br />
Weitere mögliche Effekte auf die Kosten werden im Bericht von Ecopl<strong>an</strong> qualitativ diskutiert,<br />
jedoch nicht qu<strong>an</strong>tifiziert.<br />
37 Die Workshops zur Erhebung des durchschnittlichen Zeitaufw<strong>an</strong>ds pro Falltyp haben gezeigt, dass die<br />
Gemeinden mit Vormundschaftskommission einen geringeren mittleren Zeitaufw<strong>an</strong>d für die Errichtung von<br />
Massnahmen aufweisen als die vier grössten Städte des K<strong>an</strong>tons.
34<br />
10.2 Ergebnisse der Schätzung<br />
Kommunales Modell<br />
K<strong>an</strong>tonales Modell<br />
Gemeinden<br />
kleiner 20'000<br />
Gemeinden<br />
grösser 20'000<br />
(Städte)<br />
alle Gemeinden<br />
Bevölkerung (alle Gemeinden) 709'034 249'863 958'897<br />
Bevölkerung (nur Gemeinden mit Daten) 642'871 249'863 892'734<br />
Personalkosten bzw. Stundenentschädigung CHF 75 75 87<br />
Aufw<strong>an</strong>d h total (ohne FFE, ohne Fallführung) 94'383 50'183 179'298<br />
Aufw<strong>an</strong>d h pro Kopf 0.15 0.20 0.20<br />
Aufw<strong>an</strong>d CHF pro Kopf 11.0 15.1 17.5<br />
Aufw<strong>an</strong>d CHF 7'078'726 3'763'707 15'598'898<br />
Hochrechnung Aufw<strong>an</strong>d CHF 7'807'254 3'763'707 16'754'976<br />
Zwischentotal Aufw<strong>an</strong>d CHF (gerundet)<br />
16'800'000<br />
Anzahl FFE 748<br />
748<br />
Aufw<strong>an</strong>d h pro FFE 16<br />
16<br />
Aufw<strong>an</strong>d h total 11'968<br />
11'968<br />
Zwischentotal Aufw<strong>an</strong>d CHF (gerundet)<br />
11'600'000<br />
900'000<br />
1'040'000<br />
Zwischentotal Aufw<strong>an</strong>d Fallführung CHF<br />
(unverändert zu Benchmark, gerundet)<br />
Total CHF (gerundet)<br />
Benchmark CHF (ohne Aufw<strong>an</strong>d FFE, gerundet)<br />
34'300'000<br />
46'800'000<br />
45'600'000<br />
34'300'000<br />
52'100'000<br />
45'600'000<br />
Veränderung gegenüber Benchmark CHF<br />
(davon 0.9 Mio. CHF wegen FFE, die nicht in<br />
Benchmark enthalten sind)<br />
6'500'000<br />
Veränderung gegenüber Benchmark in Prozent 3%<br />
14%<br />
Mehrkosten k<strong>an</strong>tonales Modell gegenüber kommunalem Modell (CHF)<br />
Mehrkosten k<strong>an</strong>tonales Modell in Prozent<br />
1'200'000<br />
5'300'000<br />
11%<br />
Die Kosten der Fachbehörde (inkl. Aufgabenverschiebung FFE) betragen beim kommunalen<br />
Modell rund 12.5 Mio. CHF, beim k<strong>an</strong>tonalen Modell ca. 17.8 Mio. CHF. Das k<strong>an</strong>tonale Modell<br />
ist ca. 5.3 Mio. CHF teurer als das kommunale Modell. In Bezug auf die Gesamtkosten von<br />
46.8 Mio. CHF bzw. 52.1 Mio. CHF betragen die Mehrkosten 11%. Dieser Kostenunterschied<br />
ist darauf zurückzuführen, dass beim k<strong>an</strong>tonalen Modell die Mitglieder der Fachbehörde fest<br />
<strong>an</strong>gestellt werden (Teilzeit) und als Angestellte somit auch Büroinfrastruktur benötigen. Beim<br />
kommunalen Modell mit Milizbehörden entfallen diese Kosten.
35<br />
10.3 Auswirkungen auf den Lastenausgleich<br />
Zu den möglichen Auswirkungen der neuen Modelle auf die Globalbil<strong>an</strong>z des Lastenausgleichs<br />
lässt sich folgendes festhalten: Die Gesamtkosten von 46,8 Mio. CHF (kommunales Modell)<br />
bzw. 51,2 Mio. CHF (k<strong>an</strong>tonales Modell) verteilen sich wie folgt:<br />
<br />
<br />
<br />
Ca. 34.3 Mio. CHF entfallen auf die Fallführung (66 bzw. 73% der Gesamtkosten).<br />
Diese Kosten sind schon heute im Lastenverteiler Sozialhilfe enthalten.<br />
Rund 1 Mio. CHF betreffen die Aufgabenverschiebung, weil FFE nicht mehr in den<br />
Zuständigkeitsbereich der Regierungsstatthalter fallen, sondern die Fachbehörde zuständig<br />
sein wird. Die Kosten für die Regierungsstatthalter werden heute vom K<strong>an</strong>ton getragen.<br />
Die Kosten der Fachbehörde (inkl. Aufgabenverschiebung FFE, vgl. obiger Punkt)<br />
betragen beim kommunalen Modell rund 12.5 Mio. CHF, beim k<strong>an</strong>tonalen Modell ca.<br />
17.8 Mio. CHF. Dies entspricht 27 bzw. 34% der Gesamtkosten des<br />
Vormundschaftswesens. Die heutigen Kosten auf kommunaler Ebene (Ist-Kosten nicht<br />
bek<strong>an</strong>nt) werden von den Gemeinden getragen.<br />
Die Lastenverschiebungen als Folge einer allfälligen neuen Aufgabenteilung im Erwachsenen-<br />
und Kindesschutz werden in der Globalbil<strong>an</strong>z FILAG 2012 berücksichtigt. Die<br />
bundesrechtlichen Minimalst<strong>an</strong>dards gelten als Massstab für die <strong>an</strong>rechenbaren Kosten.<br />
11. Weiteres Vorgehen<br />
Nach dem Vernehmlassungsverfahren soll sich der Grosse Rat Anf<strong>an</strong>g 2010 mit der<br />
Grundsatzfrage befassen und einen Richtungsentscheid treffen. Gestützt darauf sollen die<br />
gesetzlichen Anpassungen vorgenommen werden.