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Vermutliche Intoxikation mit Ethylen- glykol – eine ... - GTFCh

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<strong>Vermutliche</strong> <strong>Intoxikation</strong> <strong>mit</strong> <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

<strong>–</strong> <strong>eine</strong> systematische Analyse?<br />

H. Wollersen, F. Musshoff, B. Madea<br />

Abstract<br />

In the case of a supposed poisoning the identification of the consumed or given substances<br />

or substance-mixtures frequently poses a challenge. Due to the fact that the administration<br />

of a possible antidote should take place as fast as possible, the co-operation of physicians and<br />

toxicologists is of utmost importance. The structured proceeding of an exemplary clinical toxicological<br />

analysis at the Institute of Forensic Medicine of the University of Bonn is presented on the<br />

basis of a case of a supposed intoxication.<br />

In the presented case, a 47 year old woman with known alcohol habit was presumed to<br />

have ingested antifreeze or a disinfection-solution and featured symptoms of an alcohol intoxication<br />

(shaky gait etc., loss of consciousness). First of all, blood was subjected to routine immunological<br />

investigations to test for amphetamines, barbiturates, benzodiazepines, cocaine, opiates,<br />

cannabinoids, methadone and antidepressants. In blood barbiturates and benzodiazepines were<br />

detected, these drugs however had been administered in the hospital. Ethanol concentration was<br />

determined to be 0.08 ‰. Headspace GC/FID-analysis was negative for propan-1-ol or propan-2ol,<br />

the chief ingredients of the disinfection solution, and for ethyl glycol, the chief ingredient of<br />

antifreeze. During the toxicological analysis, the state of health of the patient deteriorated continuously.<br />

Further toxicological investigations did not produce any evidence for administration of<br />

a toxic substance. The patient finally died, and the subsequently performed autopsy determined<br />

that a brain edema of unknown origin but not as result of an acute intoxication, was the underlying<br />

disease and cause of death.<br />

The progression of this case emphasizes the importance of communication between attending<br />

physician and toxicologist: as the observable symptoms in this case can be attributed to an<br />

intoxication as well as other causes, a differential diagnosis is essential.<br />

1. Einleitung<br />

<strong>Intoxikation</strong>en <strong>mit</strong> Alkoholen wie z.B. Methanol, <strong>Ethylen</strong>glycol und Propanolen<br />

werden in der Literatur häufig beschrieben [1-4], da diese Alkohole sehr<br />

verbreitete Inhaltsstoffe von z.B. Haushaltsprodukten sind. <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong> wird<br />

sowohl als Frostschutz<strong>mit</strong>tel als auch als Bestandteil von Polier- und Reinigungs<strong>mit</strong>teln<br />

eingesetzt. Die Substanz ist als solche nicht sehr toxisch, wird aber<br />

im Organismus, v.a. in der Leber zu toxischen Produkten metabolisiert, was die<br />

Latenzzeit von 4-12 Stunden zwischen Ingestion und klinischer Symptomatik bei<br />

<strong>eine</strong>r <strong>Intoxikation</strong> erklärt [1]. In Abb. 1 ist der Metabolismus von <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

dargestellt. Im ersten Schritt wird <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong> zu Glykolaldehyd oxidiert, welcher<br />

dann durch Aldehyddehydrogenase zu Glykolsäure weiter oxidiert wird. Die<br />

244


Glykolsäure wird im nächsten Schritt zu Glyoxylsäure oxidiert, welche dann u.a.<br />

zu Glycin, Oxalsäure, Ameisensäure und 4-Ketovaleriansäure umgewandelt wird.<br />

<strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

Glycolaldehyd<br />

Glykolsäure<br />

Alkoholdehydrogenase<br />

Aldehyddehydrogenase<br />

Lactatdehydrogenase / Glycolsäureoxidase<br />

Glyoxylsäure Glycin<br />

Oxalsäure<br />

Ameisensäure<br />

4-Ketovaleriansäure<br />

Abb. 1: Vereinfachter Metabolismus von <strong>Ethylen</strong>glycol [1, 5]<br />

Akute <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong>-Vergiftungen gliedern sich in drei Stufen, wobei es<br />

auch zu Überlagerungen kommen kann [5]. Die erste Phase ist charakterisiert<br />

durch <strong>eine</strong>n Rauschzustand wie bei Ethanol, darüber hinaus können Ataxie, Übelkeit,<br />

Schläfrigkeit und Krämpfe auftreten. In der zweiten Phase tritt <strong>eine</strong> Azidose<br />

auf und es kann zu Tachykardie, Cyanose, Lungenödemen und <strong>eine</strong>m Herzstillstand<br />

kommen. In verschiedenen Organen kann Kalciumoxalat auskristallisieren.<br />

Die dritte Phase ist durch <strong>eine</strong> Polyurie, gefolgt von Oligo- und Anurie gekennzeichnet<br />

und es kann sich ein terminales Nierenversagen entwickeln.<br />

In dem hier vorgestellten Fall sollte <strong>eine</strong> Frau <strong>mit</strong> bekanntem chronischen<br />

Alkoholabusus Frostschutz<strong>mit</strong>tel oder Sterillium ® aufgenommen haben.<br />

Die Hauptbestandteile von Sterillium ® sind 1- und 2-Propanol. <strong>Intoxikation</strong>en<br />

<strong>mit</strong> 2-Propanol sind in der Literatur häufig beschrieben [6-9]. 2-Propanol<br />

wird im Körper zu Aceton metabolisiert. Das beteiligte Enzym ist wie bei Ethanol<br />

die Alkoholdehydrogenase (ADH). Der Unterschied zum Ethanol liegt aber in der<br />

geringeren Aktivität der ADH für das Substrat 2-Propanol. Daraus könnten sich<br />

im Vergleich zu Ethanol etwas längere Eliminationszeiten für 2-Propanol ergeben.<br />

1-Propanol wird im menschlichen Körper durch die Alkoholdehydrogenase<br />

zu 1-Propanaldehyd und dann zu Propionsäure metabolisiert. In <strong>eine</strong>m weiteren<br />

245


Schritt entstehen dann Acetaldehyde und Essigsäure. Die Symptome <strong>eine</strong>r <strong>Intoxikation</strong><br />

sind ähnlich wie beim Ethanol [10]. Bei leichten Vergiftungen werden<br />

Übelkeit, Erbrechen und Somnolenz beobachtet. Bei schweren <strong>Intoxikation</strong>en<br />

stehen ein Kreislaufversagen <strong>mit</strong> massiver Hypotonie und <strong>eine</strong>r Ateminsuffizienz<br />

im Vordergrund, anders als bei <strong>eine</strong>r <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong>intoxikation kommt es zu <strong>eine</strong>r<br />

Hyperglykämie.<br />

2. Kasuistik<br />

2.1 Vorgeschichte und Umstände des Falles<br />

Eine 47-jährige Frau leide unter <strong>eine</strong>m mutmaßlichen chronischen Alkoholabusus.<br />

Sie arbeite als Reinigungskraft und sei drei Tage von ihrer Arbeit aufgrund<br />

von Krankheit (mutmaßlicher Rückfall, d.h. Alkoholkonsum) ferngeblieben.<br />

Bei Arbeitsbeginn um ca. 05.40 Uhr habe sie auf ihre Arbeitskollegen <strong>eine</strong>n<br />

erheblich alkoholisierten Eindruck gemacht. Sie habe während des Gehens geschwankt,<br />

habe <strong>eine</strong> erhöhte Atemfrequenz (Tachypnoe) aufgewiesen und sei<br />

desorientiert und völlig verwirrt gewesen. Sie habe auffällig häufig nach <strong>eine</strong>m<br />

Behälter Sterillium ® gefragt, welcher auf <strong>eine</strong>m Tisch gestanden habe. Weiterhin<br />

habe sie nach eigenen Angaben Sekt konsumiert, ein Alkoholgeruch sei aber nicht<br />

feststellbar und in ihrem Schrank seien k<strong>eine</strong> Getränkereste auffindbar gewesen.<br />

Gegen 08.00 Uhr sei die Frau dann auf die Intensivstation eingeliefert<br />

worden. Sie sei nicht mehr ansprechbar gewesen und habe <strong>eine</strong> massive Azidose<br />

(pH 6,8) aufgewiesen. Bei der polizeilichen Nachschau in der Garage der Betroffenen<br />

sei ein leerer 5 L Kanister Frostschutz<strong>mit</strong>tel, <strong>eine</strong> leere Weinflasche und ein<br />

Tetrapack „Ratstropfen“ (Wein) gefunden worden. Es erfolgte die Abnahme <strong>eine</strong>r<br />

Blutprobe und von Magensaft zur chemisch-toxikologischen Analyse (s. Ergebnisse).<br />

Es sei <strong>eine</strong> Hämodialyse durchgeführt und Fomepizol (selektiver Hemmer<br />

der Alkoholdehydrogenase [11]) verabreicht worden. Nach 7 Tagen intensivmedizinischer<br />

Therapie sei die Frau verstorben.<br />

2.2 Wesentliche Obduktionsbefunde<br />

Die Obduktion ergab ein ausgeprägtes Hirnödem (Hirngewicht 1530 g)<br />

als un<strong>mit</strong>telbare Todesursache (lt. neuropathologischem Gutachten) sowie <strong>eine</strong><br />

finale Einblutung in die weiche Hirnhaut am Kleinhirngrund. Darüber hinaus fanden<br />

sich <strong>eine</strong> allgem<strong>eine</strong> Wassereinlagerung sowie punkt- bis fleckförmige Einblutungen<br />

in die serösen Häute als Zeichen <strong>eine</strong>r Störung der Blutgerinnung. Als<br />

Zeichen des hochgradigen Blutverlustes im Rahmen <strong>eine</strong>r Organentnahme (Nieren)<br />

für Transplantationszwecke trat die Organeigenfarbe hervor, die Haut- und<br />

Schleimhaut war blass und es fanden sich Totenflecke von geringer Ausdehnung<br />

und Intensität. Zwar standen die Nieren nicht mehr für postmortal morphologische<br />

Untersuchungen („Oxalatniere“) zur Verfügung, ihre Entnahme für Transplantationszwecke<br />

beweist jedoch <strong>eine</strong> normale Funktion.<br />

246


3. Chemisch-toxikologische Untersuchungen<br />

3.1 Screening-Untersuchungen<br />

3.1.1 Immunchemischer Nachweis: Die immunchemischen Untersuchungen<br />

wurden <strong>mit</strong>tels CEDIA (Microgenics, Passau) auf <strong>eine</strong>m Hitachi 912 durchgeführt.<br />

3.1.2 GC/MS-Screening: Es wurde 1 mL Material (Blut und Magensaft)<br />

nach Zugabe <strong>eine</strong>s internen Standards <strong>mit</strong> 5 mL Phosphat-Puffer (pH 6) versetzt<br />

und nach Inkubation zentrifugiert. Es wurde ein saurer und ein basischer Extrakt<br />

<strong>mit</strong>tels SPE gewonnen, die vereinigten Eluate wurden zur Trockne eingedampft,<br />

in Ethylacetat rekonstituiert und <strong>mit</strong>tels GC/MS (Firma Hewlett Packard: GC<br />

5890 Series II Plus, MS 5972 Series, Software Chemstation Version<br />

G1701BAB0100) analysiert. Nach der Analyse erfolgte die Derivatisierung des<br />

Extraktes gefolgt von <strong>eine</strong>r erneuten Analyse.<br />

3.1.3. HPLC/DAD-Screening: Es wurden 0,5 mL Material (Blut und Magensaft)<br />

<strong>mit</strong> Pufferlösung (pH 9) versetzt. Nach Zugabe des Extraktions<strong>mit</strong>tels<br />

Dichlormethan wurde zentrifugiert und anschließend die organische Phase eingeengt.<br />

Der Rückstand wurde in mobiler Phase aufgenommen und <strong>mit</strong>tels<br />

HPLC/DAD (Firma Shimadzu: LC-6A Pumpe, SIL-6BL-Autosampler; SDP-M10<br />

AVP DAD-Detektor) analysiert. Die Auswertung erfolgte <strong>mit</strong> der Software<br />

CLASS-VP 4.3 der Firma Shimadzu.<br />

3.1.4. HS-SPME/GC/MS-Screening: Zum Screening auf flüchtige Substanzen<br />

wurde das Material (Blut und Magensaft) <strong>mit</strong> Ammoniumsulfat und<br />

Schwefelsäure versetzt ohne weitere Aufarbeitung direkt bei 90 °C aus dem<br />

Dampfraum <strong>mit</strong> der SPME-Faser extrahiert, anschließend erfolgte die Desorption<br />

im GC-Injektor desorbiert <strong>mit</strong> anschließender Chromatographie und massenspektrometrischer<br />

Detektion (GC Agilent 6890 Series, Agilent 5973 N MSD<br />

Massenspektrometer, CTC-CombiPAL-Autosampler, Software Agilent Chemstation<br />

Software G1701CA Version C.00.01 Firma Chromtech).<br />

3.2 Methoden zur Quantifizierung<br />

3.2.1 Ethanol: Die Ethanolbestimmung wurde entsprechend den Richtlinien<br />

für die Blutalkoholbestimmung für forensische Zwecke [12] durchgeführt.<br />

3.2.2 <strong>Ethylen</strong>glycol, Aceton und Begleitstoffe: Zur Bestimmung von <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong>,<br />

Aceton und weiteren alkoholischen Begleitstoffen wurde 1 g Material<br />

(Blut und Magensaft) zu 2 g Natriumsulfat gegeben und <strong>mit</strong>tels GC/FID vermessen.<br />

3.2.3 Benzodiazepine: Zur Bestimmung der Benzodiazepin-<br />

Konzentration wurde 1 mL Material (Blut und Magensaft) nach Zugabe <strong>eine</strong>s<br />

internen Standards <strong>mit</strong> 5 mL Chlorbutan extrahiert, anschließend 4 mL der orga-<br />

247


nischen Phase abgenommen und bis zur Trockne eingeengt. Der erhaltene Extraktionsrückstand<br />

wurde in 100 µL mobiler Phase gelöst und direkt <strong>mit</strong>tels<br />

HPLC/DAD (Firma Shimadzu, s.o.) analysiert.<br />

3.3.3 Barbiturate: Zur Bestimmung der Barbiturat-Konzentration wurde<br />

1 mL Material (Blut und Magensaft) <strong>mit</strong> 50 µL der internen Standard-Lösung und<br />

1 mL Puffer-Lösung (pH 3) versetzt. Anschließend wurde <strong>mit</strong> 5 mL Dichlormethan<br />

extrahiert und nachfolgend wurden 4 mL der organischen Phase unter<br />

Stickstoffstrom bis zur Trockne eingedampft. Der erhaltene Extraktionsrückstand<br />

wurde in 100 µL mobiler Phase gelöst und direkt <strong>mit</strong>tels HPLC/DAD (Firma<br />

Shimadzu, s.o.) analysiert<br />

4. Ergebnisse<br />

Am Aufnahmetag im Krankenhaus wurde der Frau <strong>eine</strong> Blut- und <strong>eine</strong><br />

Probe Magensaft entnommen. Die Untersuchung <strong>mit</strong>tels GC/FID auf Aceton, <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

sowie auf weitere Begleitstoffe erbrachte sowohl für <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong>,<br />

1-Propanol, 2-Propanol und deren Metabolite Konzentrationen weit unterhalb des<br />

toxischen Bereiches [13]. In Abb. 2 sind das erhaltene GC/FID-Chromatogramm<br />

sowie <strong>eine</strong> Referenzprobe dargestellt. Die Alkoholkonzentration betrug 0,08 ‰.<br />

Die Untersuchung der Probe des Magensaftes ergab ebenfalls k<strong>eine</strong> Hinweise auf<br />

<strong>eine</strong> <strong>Intoxikation</strong> <strong>mit</strong> <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong> oder 1- bzw. 2-Propanol.<br />

248<br />

Blut<br />

Referenz<br />

Methanol<br />

Aceton<br />

Propan-2-ol<br />

<strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

Abb. 2: GC/FID-Analyse der Blutprobe und Referenzprobe


Nachfolgend wurde <strong>eine</strong> systematische chemisch-toxikologische Analyse<br />

durchgeführt, da sich der Zustand der Frau nach Rücksprache <strong>mit</strong> den Ärzten weiter<br />

verschlechterte. Die erhaltenen Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt.<br />

Die immunchemischen Untersuchungen erbrachten in der Magensaft-Probe positive<br />

Befunde auf Benzodiazepine und im Blut auf Benzodiazepine und Barbiturate.<br />

Mittels <strong>eine</strong>s GC/MS-Screenings (basierend auf Datenbank Pfleger, Maurer,<br />

Weber) und <strong>eine</strong>s HPLC-DAD-Screenings (basierend auf Datenbank Pragst und<br />

Erxleben) wurden im Blut die Substanzen Thiopental und Pentobarbital nachgewiesen.<br />

Im der Magensaft-Probe konnten das Lokalanaesthetikum Mepivacain,<br />

das Benzodiazepin Midazolam und das Neuroleptikum Promethazin detektiert<br />

werden. Über diese Substanzen hinausgehend, welche der Frau im Krankenhaus<br />

verabreicht worden waren, konnten k<strong>eine</strong> Hinweise auf die Aufnahme möglicher<br />

toxischer Substanzen aufgefunden werden. Auch die Durchführung <strong>eine</strong>s SPME-<br />

Screenings erbrachte unauffällige Befunde.<br />

Tab. 1: Chemisch-toxikologische Untersuchungen der Proben aus dem<br />

Krankenhaus (Blut und Magensaft)<br />

Immunchemische Untersuchung:<br />

Magensaft-Probe:<br />

Benzodiazepine<br />

Blut:<br />

Benzodiazepine<br />

Barbiturate<br />

GC/MS-Screening:<br />

Magensaft-Probe:<br />

Mepivacain<br />

Midazolam<br />

Promethazin<br />

Blut:<br />

Pentobarbital<br />

HPLC/DAD-Screening bzw. Quantifizierung:<br />

Magensaft-Probe:<br />

Promethazin<br />

Midazolam<br />

Blut:<br />

Pentobarbital<br />

Thiopental<br />

SPME-Screening:<br />

Magensaft-Probe:<br />

Blut:<br />

positiv<br />

positiv<br />

positiv<br />

positiv (nicht quantifiziert)<br />

positiv (nicht quantifiziert)<br />

positiv (nicht quantifiziert)<br />

positiv (nicht quantifiziert)<br />

1,01 mg/L<br />

0,30 mg/L<br />

positiv (nicht quantifiziert)<br />

positiv (nicht quantifiziert)<br />

unauffällig<br />

unauffällig<br />

249


Die Frau verstarb nach 7 Tagen intensivmedizinischer Therapie und es<br />

wurde <strong>eine</strong> Obduktion durchgeführt. Die chemisch-toxikologische Untersuchung<br />

der Femoralvenenblutprobe erbrachte immunchemisch positive Befunde für Benzodiazepine<br />

und grenzwertige Befunde bezüglich <strong>eine</strong>r Anwesenheit von Amphetaminen,<br />

welche zwanglos durch Interferenzen <strong>mit</strong> Fäulnisprodukten bzw. biogenen<br />

Aminen erklärt werden konnten. Zusätzlich wurde <strong>mit</strong>tels HPLC/DAD-<br />

Analyse <strong>eine</strong> Thiopental-Konzentration < 0,1 mg/L er<strong>mit</strong>telt. Die Alkoholkonzentration<br />

betrug erwartungsgemäß 0,00 ‰. Die erhaltenen Ergebnisse der Untersuchung<br />

sind in Tabelle 2 zusammengefasst.<br />

Die Obduktion erbrachte Zeichen des Gerinnungsversagens (Einblutungen<br />

in die serösen Häute) und Zeichen des Blutverlustes bzw. der Anämie, die jedoch<br />

auf die Explantation von Organen zurückzuführen waren. Die Todesursache war<br />

laut neuropathologischem Gutachten ein ausgeprägtes Hirnödem letztlich unklarer<br />

Genese <strong>mit</strong> <strong>eine</strong>r finalen Einblutung in die weiche Hirnhaut am Kleinhirngrund.<br />

250<br />

Tab. 2: Chemisch-toxikologische Untersuchungen der Femoralvenenblutprobe<br />

(nach Obduktion)<br />

Immunchemische Untersuchung:<br />

Blut:<br />

Amphetamin-Test<br />

Benzodiazepine<br />

HPLC/DAD-Screening bzw. Quantifizierung:<br />

Blut:<br />

Thiopental<br />

5. Diskussion<br />

grenzwertig<br />

positiv<br />

< 0,1 mg/L<br />

BAK 0,00 ‰<br />

Dieser Fall verdeutlicht, wie wichtig <strong>eine</strong> differentialdiagnostische Betrachtung<br />

bei Verdacht auf <strong>eine</strong> mögliche Vergiftung ist. Beobachtete Symptome<br />

deuten häufig auf <strong>eine</strong> <strong>Intoxikation</strong> hin, sie können aber auch organischen Ursprungs<br />

sein. Im vorliegenden Fall lag der Verdacht <strong>eine</strong>r <strong>Intoxikation</strong> <strong>mit</strong> <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

oder 1- und 2-Propanol vor. Bei den Symptomen, welche die Frau zeigte<br />

(Schwanken, Tachypnoe und Desorientiertheit), handelte es sich um typische<br />

Zeichen <strong>eine</strong>r <strong>Intoxikation</strong> <strong>mit</strong> Alkoholen. Darüber hinaus wurde in ihrer Garage<br />

ein leerer Kanister Frostschutz<strong>mit</strong>tel gefunden. Im Krankenhaus wurde dann<br />

zusätzlich noch <strong>eine</strong> massive Acidose festgestellt. Eine chemisch-toxikologische<br />

Untersuchung erbrachte aber k<strong>eine</strong> Hinweise auf <strong>eine</strong> <strong>Intoxikation</strong> durch <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong><br />

oder weitere Alkohole. Die nachfolgend durchgeführte systematische Untersuchung<br />

verlief ebenfalls unauffällig. Erst bei der Obduktion konnte ein todesursächliches,<br />

ätiologisch und pathogenetisch jedoch letztendlich ungeklärtes<br />

massives Hirnödem festgestellt werden, das jedoch auch die klinische


sives Hirnödem festgestellt werden, das jedoch auch die klinische Symptomatik<br />

erklärt.<br />

Primäres Ziel bei dem Verdacht <strong>eine</strong>r Vergiftung ist die Stabilisierung des<br />

Patienten. Nachfolgend steht die Identifizierung der toxischen Substanz im Vordergrund,<br />

um mögliche Therapieschritte (Antidot-Gabe, Magenspülung etc.) einzuleiten.<br />

Zumeist werden hierzu vom Patienten, von Begleitpersonen oder durch<br />

Nachschau Angaben erhalten. Diese Angaben sind jedoch vielfach nicht gesichert<br />

und dürfen nur als Hinweise gewertet werden, da dies sonst zu <strong>eine</strong>r voreingenommenen<br />

Haltung in der klinischen Untersuchung führen könnte [14]. Durch<br />

Diskussion <strong>mit</strong> <strong>eine</strong>m Toxikologen können dann <strong>mit</strong> Hilfe von sogenannten Leitsymptomen,<br />

die charakteristisch für <strong>eine</strong> Substanz oder Substanzgruppe sind, weitere<br />

mögliche Informationen gewonnen werden. Ergänzend können die gewonnenen<br />

Informationen auch <strong>mit</strong> dem Symptomenspektrum von häufigen und wichtigen<br />

Toxidromen verglichen werden. Dies sind Symptomkomplexe, die <strong>mit</strong> <strong>eine</strong>r<br />

Substanz oder Substanzgruppe in Verbindung stehen.<br />

Liegt ein Verdacht <strong>eine</strong>r möglichen toxischen Substanz vor, so erfolgt die<br />

gezielte chemisch-toxikologische Analyse. Erfolgt hier die Bestätigung, so kann<br />

<strong>mit</strong> der Therapie begonnen werden. Wird die vermutete Substanz nicht nachgewiesen,<br />

so muss <strong>eine</strong> systematische toxikologische Analyse durchgeführt werden.<br />

Hierzu stehen verschiedene Screening-Verfahren zur Verfügung. Im Folgenden<br />

soll <strong>eine</strong> mögliche Vorgehensweise beispielhaft vorgestellt werden: In <strong>eine</strong>m ersten<br />

Schritt erfolgt die immunchemische Untersuchung der Probe. Nachfolgend<br />

kann dann ein GC/MS-Screening nach sauer und basischer Probenaufarbeitung<br />

bzw. <strong>mit</strong> und ohne Acetylierung erfolgen. Der Spektrenvergleich wird <strong>mit</strong> der<br />

Datenbank von Pfleger, Mauer und Weber durchgeführt. Parallel zu dem GC/MS-<br />

Screening eröffnet ein HPLC/DAD-Screening nach saurer und basischer Aufarbeitung<br />

auf Basis der Datenbank von Pragst und Erxleben die Aufdeckung weiterer<br />

möglicher aufgenommener Substanzen. Flüchtige Substanzen können bei <strong>eine</strong>m<br />

SPME-Screening detektiert werden. Schließlich kann der Einsatz <strong>eine</strong>r LC-<br />

MS erfolgen, um spezielle Analyten nachzuweisen.<br />

Eine chemisch-toxikologische Analyse ist im Rahmen <strong>eine</strong>r Differentialdiagnostik<br />

sowohl zum Nachweis als auch zum Ausschluss <strong>eine</strong>r <strong>Intoxikation</strong><br />

zwingend durchzuführen. Besonders deutlich wird dies an dem Fall, über den Nau<br />

et al. 1999 [15] berichteten: Ein Patient zeigte nach <strong>eine</strong>m Schädel-Hirn-Trauma<br />

zusätzlich Zeichen <strong>eine</strong>r akuten Alkohol-<strong>Intoxikation</strong>. Die CT-Untersuchung ergab<br />

ein Subduralhämatom, welches trotz neurologischer Verschlechterung k<strong>eine</strong><br />

Befunddynamik lieferte. Erst der Nachweis <strong>eine</strong>r Azidose führte dann nach chemisch-toxikologischer<br />

Analyse zur Diagnose <strong>eine</strong>r <strong>Ethylen</strong><strong>glykol</strong>-<strong>Intoxikation</strong><br />

und der Patient konnte erfolgreich behandelt werden.<br />

251


6. Literatur<br />

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Schädel-Hirn-Trauma- Eine gefährliche Kombination. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed<br />

Schmerzther 34: 318-320<br />

Dr. rer. nat. Heike Wollersen Priv. Doz. Dr. rer. nat. Frank Mußhoff<br />

Institut für Rechtsmedizin Prof. Dr. med. Burkhard Madea<br />

Justus-Liebig-Universität Giessen Institut für Rechtsmedizin<br />

Frankfurter Str. 58 Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn<br />

D-35392 Giessen Stiftsplatz 12<br />

Heike.Wollersen@forens.med.uni-giessen.de D-53111 Bonn<br />

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