Das Leib-Seele-Problem mit einem Blick auch auf die Medizin ...
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<strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> <strong>mit</strong> <strong>einem</strong> <strong>Blick</strong> <strong>auch</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Medizin</strong>*<br />
Walter Hubertus Krause<br />
Kronberg/Ts.<br />
1. Einleitung<br />
<strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> ist eine bis heute zentrale Fragestellung in der Philosophie. Eine<br />
einfache Lösung durch empirische Forschung ist nicht in Sicht, obgleich in den<br />
Biowissenschaften und der Hirnforschung sowie den Neurowissenschaften zur Lösung der<br />
Fragestellung Fortschritte gemacht wurden. Die einfache menschliche, alltägliche Erfahrung,<br />
dass z.B. „der Geist willig, das Fleisch schwach“ ist, weist <strong>auf</strong> eine Lücke zwischen dem<br />
Physischen und dem Psychischen hin. Inwieweit <strong>die</strong> Lücke bestehen bleibt oder der<br />
Dualismus überwunden werden kann, soll das Thema sein.<br />
Zunächst wird das Begriffspaar <strong>Leib</strong>–<strong>Seele</strong> versus Körper–Geist <strong>auf</strong>gezeigt und <strong>die</strong><br />
Bestimmung von <strong>Leib</strong> und Körper dargelegt.<br />
Nachfolgend wird das <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> von der Antike bis zur Neuzeit in Ausschnitten<br />
<strong>mit</strong> deren Positionen der Analytischen Philosophie und Phänomenologie dargelegt.<br />
Es schließen sich Darlegungen und Stellungnahmen von Philosophen, <strong>Medizin</strong>ern/Ärzten wie<br />
z.B. von Weizsäcker, von Uexküll und Fuchs zum <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> an.<br />
Abschließend wird <strong>auf</strong> das <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-Verhältnis aus Sicht der <strong>Medizin</strong> eingegangen.<br />
____________________<br />
* Wintersemester 7.11.2013. Klinikum der Bayer. Julius-Maximilians-Universität, Würzburg.
2<br />
2. Hauptteil<br />
2.1 <strong>Leib</strong>–<strong>Seele</strong> oder Körper–Geist<br />
Dem Phänomen <strong>Leib</strong>–<strong>Seele</strong> kann man sich nicht unbelastet von Annahmen und Theorien<br />
hierzu nähern. Der Körper meint den physikalischen Körper als Objekt, <strong>Leib</strong> hingegen<br />
bedeutet den lebendigen, fühlenden Körper oder den Körper als intentional oder als Subjekt. 1<br />
Geist wird traditionell als <strong>Seele</strong> bezeichnet und ist Gegenstand der als ‚Philosophie des<br />
Geistes‘ (engl. mind) bekannten philosophischen Reflexion über Denken und Empfinden.<br />
Philosophen meinen <strong>mit</strong> Geist alles das, was das Denken und Empfinden eines Individuums<br />
ausmacht, also <strong>die</strong> Gesamtheit seiner bewussten und unbewussten Zustände. 2 In der<br />
‚Philosophy of Mind‘ und der Neurophilosophie gibt es keine <strong>Leib</strong>-Philosophie. Dies liegt an<br />
den Voraussetzungen, <strong>die</strong> eine andere Perspektive als <strong>die</strong> <strong>auf</strong> einen objektivierbaren,<br />
messbaren Körper nicht zulassen und bewusstseinsphilosophische Konzeptionen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong><br />
nicht quantifizierbaren Erfahrungen beruhen, für wissenschaftlich unbr<strong>auch</strong>bar halten. 3<br />
Es stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie unser Körper-Selbst von unserem geistigen Leben unterschieden<br />
werden kann, um besser verstehen zu können, wie beide in der Körper-Geist-Einheit<br />
<strong>auf</strong>einander bezogen sind. 4<br />
2.2. <strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> in der Antike<br />
Im ‚Phaidon‘ beschreibt Platon <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> einer Person als eine unkörperliche Substanz, <strong>die</strong><br />
Träger des Denkens ist, sie verbürgt <strong>die</strong> Identität der Person. Platon argumentiert für <strong>die</strong><br />
Unsterblichkeit der <strong>Seele</strong> und garantiert so<strong>mit</strong> <strong>die</strong> Unsterblichkeit der Person. 5<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
Shusterman, Soma und Psyche. DZ Ph. 59. 2011, S. 540.<br />
Nimtz, Geist und <strong>Seele</strong>. In: Jordan, Nimtz (Hg.), Lexikon der Philosophie. Stuttgart 2011, S. 101 ff.<br />
Vgl. Wiegerling, <strong>Leib</strong> und Körper. In: Küchenhoff, Wiegerling (Hg.), <strong>Leib</strong> und Körper im Dialog.<br />
Göttingen 2008, S. 32.<br />
Shusterman, ebd. S. 539.<br />
Vgl. Nimtz, a.a.O., S. 104.
3<br />
Für Aristoteles ist <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> <strong>die</strong> Form des Organismus. Hier ist <strong>mit</strong> Form nicht <strong>die</strong> äußere<br />
Gestalt gemeint, sondern das, was heute vielleicht in der Philosophie <strong>die</strong> „funktionale<br />
Organisation“ zu nennen wäre. 6 So<strong>mit</strong> ist <strong>die</strong> so verstandene <strong>Seele</strong> <strong>auch</strong> für Prozesse wie<br />
Verdauung oder Fortpflanzung verantwortlich. Als das charakteristische Geistige sahen <strong>die</strong><br />
meisten antiken und <strong>mit</strong>telalterlichen Philosophen den Nous (<strong>die</strong> Vernunft, den Intellekt) an.<br />
Die Sinneswahrnehmungen wurden dem Bereich des Körperlichen zugeschrieben. Der<br />
britische Empirismus erachtete hingegen <strong>die</strong> Sinneswahrnehmungen als Geistiges.<br />
2.3. <strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> aus analytischer und phänomenologischer Sicht<br />
In der derzeitigen Analytischen Philosophie wird Brentano folgend meist <strong>die</strong> Intentionalität<br />
als das Fundament des geistigen Bereichs betrachtet. Intentionale Zustände werden<br />
folgendermaßen genannt: Viele Geisteszustände und Handlungen sind in einer bestimmten<br />
Weise <strong>auf</strong> etwas gerichtet, handeln davon, beziehen sich dar<strong>auf</strong>. <strong>Das</strong>, wovon sie handeln, ist<br />
ihr intentionaler Gehalt. 7<br />
In der Analytischen Philosophie hat es sich ergeben, meist den Ausdruck „mental“ oder „das<br />
Mentale“ für geistige und psychische Phänomene anstelle von Ausdrücken wie „Geist“ oder<br />
„<strong>Seele</strong>“ zu verwenden.<br />
Die Philosophie des Geistes konzentriert sich neben Fragen des Bewusstseins <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Natur<br />
des Menschen. – Zwei Fragen sind zu unterscheiden:<br />
1. Was ist das, ein Geist oder eine <strong>Seele</strong>?<br />
2. Was ist <strong>die</strong> Natur mentaler Sinneseigenschaften?<br />
<strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> stellt zwei entscheidende Fragen:<br />
1. Wie verhält sich der Geist einer Person zu ihrem Körper?<br />
2. In welchem Verhältnis stehen mentale zu physischen Eigenschaften? 8<br />
6<br />
7<br />
8<br />
Brüntrup, <strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong>. Stuttgart 3 2008, S. 11.<br />
Brüntrup, a.a.O., S. 12; Kemmerling. In: Lexikon der Philosophie. Stuttgart 2011, S. 142.<br />
Vgl. Nimtz, a.a.O., S. 103.
4<br />
Zwei Grundpositionen in der Philosophie des Geistes lassen sich feststellen, von denen <strong>die</strong><br />
eine <strong>die</strong>jenige der Dualisten ist.<br />
René Descartes bestimmt in seinen ‚Meditationes de prima philosophia‘ (1641) den Geist als<br />
eine res cogitans, eine denkende Substanz. Demzufolge ist <strong>die</strong>se immaterieller Träger aller<br />
Denkprozesse und so<strong>mit</strong> vom Körper grundverschieden, der eine res extensa bzw. eine<br />
ausgedehnte Substanz ist. – Für <strong>die</strong> heutige Quantentheorie ist <strong>die</strong> Materie zwar<br />
mathematisch beweisbar, aber nicht räumlich und deterministisch. 9<br />
Die logische Unmöglichkeit der Zwei-Dinge-Lehre ist von Bieri (1981) in dem Trilemma<br />
formuliert worden: 10<br />
(1) Mentale Phänomene sind nicht physische Phänomene.<br />
(2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam.<br />
(3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.<br />
Anders formuliert sagt das Trilemma: Der physische Bereich ist gesetzmäßig strukturiert. Es<br />
ergeben sich Aussagen <strong>mit</strong> allgem<strong>einem</strong> und ausnahmslosem Geltungsbereich. Dahinter steht<br />
<strong>die</strong> Annahme der Naturwissenschaft, dass es <strong>die</strong> grundsätzliche, gesetzmäßige Struktur aller<br />
Naturvorgänge gibt.<br />
Die Feststellung: der physische Bereich ist kausal abgeschlossen, beruht <strong>auf</strong> der These des<br />
„methodologischen Physikalismus“. Dort ist normalerweise jede Erklärung eines physischen<br />
Ereignisses, <strong>die</strong> nicht wieder <strong>auf</strong> physische Ursachen zurückgreift, unhaltbar oder<br />
misslungen.<br />
Unter der Voraussetzung und Annahme, dass der physische Bereich kausal geschlossen ist,<br />
richtig ist, gibt es keine nichtphysischen Ursachen, <strong>die</strong> physische Ereignisse bewirken. Also<br />
kann das Mentale keine kausale Rolle in der physikalischen Welt spielen.<br />
9<br />
10<br />
Vgl. C.F. von Weizsäcker, Zeit und Wissen. München 1992, S. 931.<br />
Vgl. Meyer, Zwischen Wort und Zahl. Göttingen 1998, S. 32.
5<br />
Dem methodologischen Physikalismus widerspricht aber <strong>die</strong> Auffassung, <strong>die</strong> man als das<br />
„methodologische Prinzip unserer alltäglichen Handlungstheorie“ <strong>auf</strong>fassen könnte. Nach<br />
<strong>die</strong>ser Auffassung bewegen mentale Gehalte (Wünsche, Meinungen) unseren Körper, der<br />
Geist interagiert <strong>mit</strong> dem Körper. Man kann daher <strong>auch</strong> von <strong>einem</strong> „methodologischen<br />
Interaktionismus“ in unserer Alltagssprache sprechen. Diese drei Prinzipien des Trilemmas<br />
schließen einander aus. Ohne Widerspruch können sie nicht alle zusammen wahr sein.<br />
Verneint man jeweils eines der drei Prinzipien, dann können <strong>die</strong> verbleibenden Beiden ohne<br />
Widerspruch für wahr gehalten werden<br />
Folglich: Philosophische Theorien, <strong>die</strong> das <strong>Problem</strong> der Beziehung von Körper und Geist<br />
lösen wollen, müssen jeweils eines der drei Prinzipien des Trilemmas negieren. 11<br />
Auf einige weitere Positionen der bekannten Theorien zum <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> soll<br />
nachfolgend nochmals eingegangen werden.<br />
Substanzdualismus<br />
Descartes führt zwei Hauptargumente an, dass <strong>die</strong> These des Substanzdualismus zutrifft, <strong>mit</strong><br />
der Aussage, dass Geist und Körper zwei voneinander verschiedene Substanzen sind. Für<br />
Descartes sind z.B. Sprechen und intelligentes Handeln Fähigkeiten, <strong>die</strong> nicht<br />
naturwissenschaftlich zu erklären sind. So<strong>mit</strong> muss es etwas anderes geben, das selbst nicht<br />
physisch ist. Dieses Etwas ist <strong>die</strong> geistige Substanz, <strong>die</strong> <strong>Seele</strong>. – Ein weiteres Argument<br />
lautet: dass alles, was ich klar und deutlich begreife – von Gott gemacht werden kann –<br />
möglich ist. Ich begreife deutlich, dass ich ein denkendes Wesen bin, d.h. dass ich ohne<br />
körperliche Eigenschaften existieren könnte. Der Körper andererseits kann ohne <strong>die</strong><br />
Eigenschaft, denken zu können, existieren. So<strong>mit</strong> begreife ich, dass der Geist vom Körper<br />
verschieden ist und folglich, was klar und deutlich voneinander unterschieden, <strong>auch</strong><br />
tatsächlich verschieden ist. Daraus folgt: der Geist ist tatsächlich vom Körper verschieden.<br />
Ein Einwand <strong>auch</strong> gegen <strong>die</strong> angeführten Argumente ist <strong>einem</strong> Brief Descartes’ an Elisabeth<br />
von Böhmen zu entnehmen. Descartes erklärt, dass wir <strong>die</strong> Vereinigung von Geist und<br />
11<br />
Vgl. Brüntrup, a.a.O., S. 19.
6<br />
Körper im Alltag erkennen und <strong>die</strong>se erst zum <strong>Problem</strong> wird, wenn wir länger darüber<br />
nachdenken. 12<br />
Für den Zusammenhang und gegen den Substanzdualismus von Geist und Körper gibt<br />
<strong>Leib</strong>niz (1646–1716) einen Erklärungsversuch, den er <strong>mit</strong> <strong>einem</strong> Uhrengleichnis deutlich<br />
macht. Es gibt, so <strong>Leib</strong>niz, eine prästabilisierte Harmonie zwischen Geist und Körper, denn<br />
Geist und Körper sind von Gott so eingerichtet worden, dass sie sich zueinander immer<br />
parallel verhalten. Immer dann, wenn gewisse Stellen in m<strong>einem</strong> Gehirn aktiviert werden,<br />
verspürt mein Geist Schmerzen. Immer dann, wenn ich von m<strong>einem</strong> Stuhl <strong>auf</strong>stehen will,<br />
steht mein Körper <strong>auf</strong>. 13<br />
Der Materialismus<br />
ist als Gegenentwurf zum Dualismus bedeutsam. Die Annahme, dass nur <strong>die</strong> Materie<br />
existiert, wurde z.B. von de la Meltrie (1709–1751) in s<strong>einem</strong> Werk ‚L’homme-machine‘<br />
vertreten. Diese These, dass der Geist letzten Endes physisch sei, vertraten bereits Demokrit<br />
und Lukrez. Sie setzten <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> <strong>mit</strong> <strong>einem</strong> stofflichen Teil des Körpers gleich. Auch<br />
Thomas Hobbes (1588–1679) identifizierte in s<strong>einem</strong> Werk ‚Leviathan‘ (1651) Denkprozesse<br />
<strong>mit</strong> körperlichen Prozessen.<br />
Identitätstheorie und Funktionalismus<br />
sind Positionen zur Erklärung des Materialismus.<br />
Der Vorschlag der Identitätstheorie von Thomas Place (1924–2000) und John Jamieson<br />
Carswell Smart (1920–2012) besagt, dass es sich bei den geistigen und materiellen<br />
Eigenschaften im Grunde um <strong>die</strong>selben Eigenschaften handelt.<br />
Die Theorie ist zwar nicht unplausibel, sie wurde aber empirisch widerlegt. Es konnte<br />
deutlich gemacht werden, dass gewisse geistige Zustände bei verschiedenen Personen <strong>mit</strong><br />
unterschiedlichen neuronalen Zuständen übereinstimmen.<br />
12<br />
13<br />
Beckermann, Analytische Einführung in <strong>die</strong> Philosophie des Geistes. Berlin 1999, S. 53.<br />
Vgl. Pfister, Philosophie. Ein Lehrbuch. Stuttgart 2006, S. 134 f.
7<br />
Eine Weiterentwicklung der Identitätstheorie ist der Funktionalismus (Hilary Putnam und<br />
Jerry Fodor). Da<strong>mit</strong> soll <strong>die</strong> These der Multirealisierbarkeit des Geistes vorgestellt werden,<br />
derzufolge Geistiges <strong>auf</strong> verschiedene Arten physisch realisiert werden kann. Der<br />
Funktionalismus bestimmt geistige Zustände als funktionale Zustände, als Zustände, <strong>die</strong><br />
<strong>auf</strong>grund ihrer Funktion identifiziert werden. Die Funktion eines Zustandes ist seine kausale<br />
Rolle.<br />
Von den Einwänden gegen den Funktionalismus – Thomas Nagel (1973): „Wie es ist eine<br />
Fledermaus zu sein“ – sei genannt, dass der Funktionalismus – wie jeder Materialismus, der<br />
Geistiges <strong>auf</strong> Körperliches zu reduzieren versucht – daran scheitert, dass er den subjektiven<br />
Charakter geistiger Zustände nicht berücksichtigt.<br />
Im weiteren Zusammenhang ist noch der Anomale Monismus zu nennen.<br />
Der von Donald Davidson entwickelte anomale Monismus behauptet, dass jeder einzelne<br />
geistige Zustand ein körperlicher Zustand ist. Einwände gegen <strong>die</strong> Identitätstheorie und den<br />
Funktionalismus werden umgangen. Aber der anomale Monismus setzt sich dem Vorwurf<br />
aus, dass er nicht erklärt, was der Geist ist und wie er <strong>mit</strong> dem Körper zusammenhängt.<br />
<strong>Das</strong> Geist-Körper-<strong>Problem</strong> lässt sich als Frage danach verstehen, wie <strong>die</strong> folgenden drei<br />
Thesen verbunden werden können:<br />
(1) Einige geistige Ereignisse verursachen physische Ereignisse und umgekehrt.<br />
(2) Für jede Kausalbeziehung gibt es ein deterministisches Gesetz.<br />
(3) Es gibt keine deterministischen Gesetze, <strong>mit</strong> denen man geistige Ereignisse voraussagen<br />
könnte.<br />
Jede der drei Thesen scheint je für sich unzweifelhaft wahr und zusammen stehen sie<br />
zueinander im Widerspruch.<br />
Davidsons anomaler Monismus antwortet nicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Frage, wie der Geist <strong>mit</strong> dem Körper<br />
in Beziehung steht. 14<br />
14<br />
Vgl. Pfister, a.a.O., S. 143 f.
8<br />
Die meisten gegenwärtigen <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-Theorien der Analytischen Philosophie gehen von<br />
zwei konzeptuell und phänomenal unterschiedlichen Bereichen aus, nämlich von „Körper“<br />
und „Geist“ als von physiologischen/physikalischen und mentalen/bewussten Vorgängen.<br />
Diese unterschiedlichen Bereiche müssen durch bestimmte theoretische Konstruktionen<br />
<strong>mit</strong>einander verbunden werden. Die physiologische Basis des Mentalen bezieht sich in der<br />
Regel <strong>auf</strong> bestimmte Hirnprozesse. <strong>Das</strong> Mentale muss dann je nachdem <strong>mit</strong> den neuronalen<br />
Prozessen identisch, als zu ihnen epiphänomenal, supervenient, emergent oder sogar als ganz<br />
eigenständig im dualistischen Sinne <strong>auf</strong>gefasst werden.<br />
In <strong>die</strong>sem Zusammenhang weist Thomas Fuchs <strong>auf</strong> eine entscheidende Tatsache hin: „<strong>Das</strong><br />
Lebewesen bzw. <strong>die</strong> Person als Ganzes“ tritt in all den genannten Theorien „nicht mehr als<br />
eigene Entität <strong>auf</strong>“. 15 Daher wird eine Konzeption eines Doppelaspekts entwickelt und von<br />
Fuchs vorgeschlagen. Dieser Konzeption zufolge ist das Lebewesen <strong>die</strong> primäre Einheit, an<br />
der sich von einer Seite her integrale (leibliche, seelische, geistige) Lebensäußerungen, von<br />
einer anderen Seite her physiologische Prozesse in aller Vielfalt feststellen lassen.<br />
Der <strong>Leib</strong> entspricht, so Fuchs, dem integralen Aspekt, der subjektiv erlebt oder vom Anderen<br />
in personaler Einstellung wahrgenommen wird. Der Körper als Gesamtheit der organischen<br />
Prozesse entspricht dem physiologischen Aspekt. –<br />
Die beiden Aspekte sind epistemologisch zueinander komplementär, d.h. ihre jeweiligen<br />
Beschreibungen können nicht ineinander überführt werden, „sondern weisen nur gewisse<br />
Korrelationen und Strukturähnlichkeiten“ <strong>auf</strong>. Dennoch sind sie Aspekte des Lebewesens als<br />
einer „ontologischen Einheit“, was sich etwa in der „grundsätzlichen Koexistenz von <strong>Leib</strong><br />
und Körper“ zeigt. 16<br />
15<br />
16<br />
Fuchs, <strong>Das</strong> Gehirn – ein Beziehungsorgan. Stuttgart 2 2009, S. 104 ff.<br />
Fuchs, a.a.O., S. 105.
9<br />
Da das Lebewesen als Einheit beiden Aspekten zugrunde liegt, bedeutet der von Fuchs<br />
gewählte Begriff „Aspektdualität“ keinen neuen „Dualismus“, sondern einen in sich<br />
ver<strong>mit</strong>telten Monismus, eine dialektische Einheit von Einheit und Verschiedenheit.<br />
Hierzu ist von Bedeutung, dass in der Identitätstheorie der psychologische Aspektdualismus<br />
wirksam ist, wonach mentale und materielle Prozesse bzw. Geist und Gehirn zwei Aspekte<br />
des Gleichen sind, ohne dass eine „zugrundeliegende Einheit des Lebewesens <strong>mit</strong>gedacht<br />
wird. Innen- und Außenperspektive, ‚res cogitans‘ und ‚res extensa‘, bleiben dabei<br />
unver<strong>mit</strong>telt.“ 17<br />
Die allgemeine Aspektdualität des Lebewesens entwickelt sich im Fall des Menschen zum<br />
„personalen Doppelaspekt“, denn Personen als Lebewesen sind in der Lage, „sich zu ihrer<br />
primären <strong>Leib</strong>lichkeit in ein Verhältnis zu setzen. Da<strong>mit</strong> können sie sich selbst und den<br />
Mitmenschen als <strong>Leib</strong> und Körper erscheinen.“ 18<br />
<strong>Das</strong> schon im Begriff dualistisch vorstrukturierte „<strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>“-<strong>Problem</strong>, heute weiter zum<br />
„Gehirn-Geist“-<strong>Problem</strong> benannt, wird von Fuchs unter dem Doppelaspekt als „<strong>Leib</strong>-<br />
Körper“-<strong>Problem</strong> <strong>auf</strong>gefasst. <strong>Das</strong> Lebewesen ist nämlich in seinen integralen, <strong>auch</strong> seelischgeistigen<br />
Äußerungen ein „physisches“ Wesen. d.h. es ist genau eine materielle zugleich<br />
lebendige Substanz, ein Individuum.<br />
„Physisch“ ist also einerseits der lebendige <strong>Leib</strong>, andererseits „der organische Körper“.<br />
Nimmt man den Begriff physis als Natur im erweiterten Sinn <strong>auf</strong>, können wir den <strong>Leib</strong> <strong>auch</strong><br />
als „Natur, <strong>die</strong> wir selbst sind“ (Böhme 1992, S. 77) <strong>auf</strong>fassen und den Körper als <strong>die</strong> „Natur,<br />
<strong>die</strong> wir haben“. <strong>Das</strong> könnte bedeuten, <strong>die</strong> leib-phänomenologische <strong>mit</strong> der aristotelischen<br />
Tradition zu verbinden.<br />
Der „<strong>Leib</strong> der Person ist einerseits der phänomenale <strong>Leib</strong> – subjektiv gelebt und erlebt“,<br />
andererseits „der physiologisch-organische Körper“. Und er ist unter beiden Aspekten eine<br />
einheitlich tätige, lebendig-physische Substanz.<br />
17<br />
18<br />
Fuchs, a.a.O., S. 106.<br />
Fuchs, a.a.O., S. 107.
10<br />
„Nur wenn wir menschliches Erleben und Handeln primär als Äußerungen eines Lebewesens<br />
begreifen, wird es möglich sein, den Dualismus von ‚Gehirn‘ und ‚Geist‘ zu überwinden.“ 19<br />
2.4. Schellings Sicht <strong>auf</strong> den Dualismus<br />
Der Unvereinbarkeit von <strong>Leib</strong> und <strong>Seele</strong> wollte Schelling (1775–1854) dadurch entkommen,<br />
dass er eine grundsätzliche Realisation der Gesetze des Geistes durch <strong>die</strong> Natur annahm. In<br />
„Ideen zu einer neuen Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium der Wissenschaft“<br />
(1857[s.u.: 2. Aufl. 1803???]) heißt es: „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist <strong>die</strong><br />
unsichtbare Natur sein.“ 20 Diese Aussage bleibt bestehen, aber Schelling gibt den<br />
Hirnforschern zu verstehen, dass eine anatomisch physiologische Bestimmung des<br />
<strong>Seele</strong>norgans besser unterbleiben sollte. „Ihre Sorge ist das nicht, wie endlich <strong>die</strong>se ganze<br />
entgegengesetzte Ansicht der Dinge zu einer Gemeinschaftlichen sich vereinigen werde.“<br />
(1857 b , S. 564) „Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des<br />
allgemeinen Organismus“ (1798) Der Naturforscher muss philosophische Prinzipien<br />
anwenden, um sich nicht „den Fiktionen der bloß empirischen Naturlehre blindlings zu<br />
überlassen“ (1857 a , S. 305). 21<br />
Der Philosophie billigt Schelling ein Mitspracherecht im Sinne einer „Einordnung und<br />
Interpretation empirischer Befunde“ zu. 22<br />
Auch Novalis vertrat eine Identitätshypothese. „Unser Körper soll willkürlich – unsere <strong>Seele</strong><br />
organisch werden“ heißt es wie eine Zustimmung zur Schellingschen Formel von Natur und<br />
Geist. Die Gleichberechtigung geht so weit, dass Körper und <strong>Seele</strong> sich aneinander<br />
entwickeln und so zu einer Einheit verschmelzen. „Der Körper soll <strong>Seele</strong> – <strong>die</strong> <strong>Seele</strong> Körper<br />
werden.“ 23<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
Fuchs, a.a.O., S. 110.<br />
Schelling, Ideen zu einer Philosophie der Natur, 2 1803, Werke 1, Bd. 2, Stuttgart.<br />
Schelling, ebd.<br />
Hagner, Homo cerebralis. Frankfurt/Leipzig 2000. S. 155.<br />
Novalis, Schriften. <strong>Das</strong> Philosophische Werk, Bd. 2. Stuttgart 3 1981, S. 546.
11<br />
3. <strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> und <strong>die</strong> <strong>Medizin</strong><br />
3.1. Sicht des <strong>Medizin</strong>ers und Patienten<br />
Mit dem <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> ist in der <strong>Medizin</strong> ein Krankheitsbegriff verbunden, der ein<br />
offener oder sogar umstrittener ist, denn<br />
„entgegen dem ersten Anschein kann man <strong>mit</strong>tels der empirischen naturwissenschaftlichen<br />
Erforschung der als krankhaft eingestuften Zustände und Prozesse allein niemals zu <strong>einem</strong><br />
generellen Krankheitsbegriff von normativem Charakter gelangen, dessen Anwendung es<br />
erlauben würde, ärztliches Handeln zu legitimieren. Man würde sich in <strong>die</strong>sem Fall des sog.<br />
naturalistischen Fehlschlusses schuldig machen, der sich anheischig macht, aus <strong>einem</strong> Sein<br />
<strong>auf</strong> ein Sollen schließen zu können.“ 24<br />
In der Moderne war es zunächst Viktor von Weizsäcker, der ein Konzept der Humanmedizin<br />
entwickelte. Es ging um <strong>die</strong> „Einheit von <strong>Leib</strong> und <strong>Seele</strong>, um <strong>die</strong> Zusammengehörigkeit von<br />
Krankheit und Biographie, um Kontinuität von Bewusstem und Unbewusstem, um <strong>die</strong><br />
Verflochtenheit der Biographie der Kranken in der Gesellschaft. Es geht um <strong>die</strong> Partnerschaft<br />
zwischen dem Kranken und dem Arzt. Es geht deshalb um <strong>die</strong> Zusammengehörigkeit aller<br />
<strong>die</strong>ser Bereiche für den Arzt.“ 25<br />
Vor ca. 90 Jahren setzte sich der Kliniker Ludolf von Krehl in der ‚Pathologischen<br />
Physiologie‘ (12. Aufl. 1923) <strong>auf</strong> seine Weise <strong>mit</strong> dem <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> auseinander und<br />
kommt zu dem Schluss:<br />
„Indessen, wie wir meinen, br<strong>auch</strong>en Pathologie und Innere <strong>Medizin</strong> für <strong>die</strong> Grundzüge ihrer<br />
Betrachtung neben den naturwissenschaftlichen Auffassungen noch solche eigener Art. Die<br />
Biologie bedarf weiterer Gedanken und erst recht <strong>die</strong> Krankheitslehre.“ 26<br />
Auch der Kliniker Buchborn kommt Jahrzehnte später (1989) in dem Beitrag „Innere<br />
<strong>Medizin</strong> zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft“ zu der Feststellung: „Sowohl<br />
24<br />
25<br />
26<br />
Wieland, Grundlegende Aspekte des Krankheitsbegriffs. In: Masouz, Werner, Wiesing,<br />
Krankheitsbegriff und Mittelverteilung. Baden-Baden 2004, S. 22.<br />
C.F. von Weizsäcker, Zeit und Wissen. München 1992, S. 923.<br />
von Krehl, Pathologische Physiologie. Leipzig 12 1923.
12<br />
wissenschaftliche wie ärztliche Erfahrung und Kompetenz sind so<strong>mit</strong> eine notwendige,<br />
jedoch für sich allein aber keine hinreichende Grundlage ärztlicher Praxis. Beide sind<br />
nämlich nicht deckungsgleich, sondern ergänzen und kontrollieren sich wechselseitig und<br />
legitimieren dadurch beide gemeinsam das ärztliche Tun.“ 27<br />
In dem Werk ‚Krankheit und ärztliches Handeln‘ (2000) weist Lanzerath in philosophischer<br />
Perspektive dar<strong>auf</strong> hin, dass <strong>die</strong> „medizinische Wissenschaft als ein Konglomerat<br />
verschiedener Disziplinen oder Fächer (…) im unterschiedlichen Verhältnis zum ärztlichen<br />
Handeln stehen“. <strong>Das</strong> ärztliche Handeln wird als das „einzige einheitstiftende Element in<br />
Form eines ‚vorwissenschaftlichen Imperativs‘“ – als das <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> unterl<strong>auf</strong>ende<br />
– bedeutsam. Dieser Imperativ „berechtigt überhaupt, von der <strong>Medizin</strong> zu sprechen und nicht<br />
nur von medizinischen Fächern oder Disziplinen“. 28<br />
Für Thure von Uexküll ist <strong>mit</strong> dem systemischen Konzept einer ‚integrierten <strong>Medizin</strong>‘ der<br />
Dualismus von <strong>Leib</strong> und <strong>Seele</strong> überwunden. 29<br />
Rückbesinnung der <strong>Medizin</strong> als eigene Wissenschaft, einer Wissenschaft, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>s engste <strong>mit</strong><br />
den Naturwissenschaften verflochten, aber nicht <strong>mit</strong> ihr identisch ist, fordert Schuster und<br />
fährt in seiner Eröffnungsrede zur Jahrestagung 1993 der DGIM fort: „Hierzu liegt der<br />
Schlüssel für <strong>die</strong> Verbindung von naturwissenschaftlichem und philosophischem Denken in<br />
der Arztperson des Internisten“. 30<br />
Beim ersten Kongress nach dem Krieg (1948) hat Paul Martini in der Eröffnungsrede der<br />
Tagung der DGIM indirekt das <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> in der <strong>Medizin</strong> angesprochen, wenn er<br />
sagt:<br />
„Wir haben gelernt, den Fortschritt der Wissenschaft zu bejahen, weil er ist und den wir als<br />
Verpflichtung der menschlichen Existenz und Natur anerkennen, dennoch zu fürchten (…)<br />
27<br />
28<br />
29<br />
30<br />
Buchborn, Innere <strong>Medizin</strong> zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. 1989.<br />
Lanzerath, Krankheit und ärztliches Handeln. Freiburg, München 2000, S. 62.<br />
von Uexküll, Für eine integrierte <strong>Medizin</strong>. Mabuse 120, 1999, S. 39.<br />
Schuster, Zur Zukunft der Inneren <strong>Medizin</strong>. Med. Klin. 88, 1993, S. 347 ff.
13<br />
Autonom gewordenes Fortschrittsstreben durchbricht <strong>die</strong> Gesetze seiner Objekte und<br />
durchbrach in der <strong>Medizin</strong> <strong>die</strong> Gesetze des ihr spezifischen Objekts, des Mensche, der immer<br />
Subjekt bleibt. (…) Wohl br<strong>auch</strong>en wir <strong>die</strong> Erkenntnis, dass <strong>auch</strong> in der <strong>Medizin</strong> das reine<br />
Sachwissen nicht ausreicht, sondern ergänzt werden muss durch das Wissen um das Wesen<br />
der Dinge, in dessen Bereich der Kausalnexus nicht den zwingenden Grad der<br />
naturwissenschaftlichen Beweisführung erreicht.“ 31<br />
Die angeführten Zitate deuten dar<strong>auf</strong> hin, dass es für den Patienten und Arzt im klinischen<br />
Alltag offensichtlich keinen psycho-physischen Dualismus gebe.<br />
3.2 <strong>Medizin</strong> und Philosophie<br />
Von den Dualisten in der Philosophiegeschichte – Platon, Descartes, Kant – hat keiner <strong>auch</strong><br />
nur eine annähernd überzeugende Erklärung gegeben, wie der immaterielle Geist das Gehirn<br />
beeinflussend lenken kann. Platon ist in den Mythos ausgewichen, Kant hat es gar nicht erst<br />
versucht und Descartes ist gescheitert. Nachdem im 20. Jahrhundert Gilbert Ryle den<br />
cartesischen Dualismus als den „Mythos vom Gespenst in der Maschine“ bezeichnet hat, gilt<br />
der dualistische Interaktionismus „in der jüngeren Philosophie des Geistes nicht mehr als<br />
ernsthafte theoretische Option“. 32<br />
Die heutige Wissenschaft lehnt offiziell den Geist-Körper-Dualismus ab, behält aber, so<br />
Bennet und Hacker, <strong>die</strong> Innen-/Außenunterscheidung und wesentliche Elemente einer<br />
Interspektionspsychologie bei. 33<br />
Nicht das Gehirn, sondern „wir sind uns unserer selbst bewusst“. 34 Solange man im<br />
philosophischen Streit zwischen Dualismus und Monismus gefangen bleibt, übersieht man, so<br />
Keil, das „Nächstliegende, nämlich <strong>die</strong> Kategorie der Person“. 35<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
Martini, Eröffnungsrede des Vorsitzenden. In: Lasch, Schlegel (Hg.), Hundert Jahre Deutsche Ges. f.<br />
innere <strong>Medizin</strong>. München 1982, S. 599 ff.<br />
Keil, Ich und mein Gehirn. In: Schnädelbach u.a. (Hg.). Reinbek bei Hamburg 2009, S. 131 f.<br />
Bennet, Hacker, Philosophical Foundations of Neuroscience. Oxford 2003, S. 133.<br />
Keil, a.a.O., S. 135.
14<br />
<strong>Das</strong>s ich mein Verhalten steuern kann, besagt nicht, dass eine immaterielle <strong>Seele</strong>nsubstanz<br />
als „Steuerzentrale des Gehirns funktioniert“. Umgekehrt folgt aus der Tatsache, dass ich<br />
nichts denken oder tun kann, ohne dass gleichzeitig etwas in m<strong>einem</strong> Gehirn geschieht, nicht,<br />
dass mein Gehirn mich steuert.<br />
„In Teufels Küche kommen wir immer dann“, so Keil, „wenn wir für Tätigkeiten, <strong>die</strong><br />
richtigerweise Personen zugeschrieben werden, neue Träger postulieren, sei es eine<br />
immaterielle <strong>Seele</strong>nsubstanz, sei es eine subpersonale Instanz im Gehirn.“ 36<br />
Es erscheint aber so, dass trotz aller deutlichen Fortschritte der „harte Kern“ des <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<br />
<strong>Problem</strong>s noch weit von einer Lösung entfernt ist. 37 Die Frage bleibt nämlich, wie <strong>Leib</strong> und<br />
<strong>Seele</strong> oder Gehirn und Geist zusammen wirksam sind.<br />
Die heutige <strong>Medizin</strong> vorwiegend in der westlichen Welt diagnostiziert und behandelt in den<br />
einzelnen Fachdisziplinen in den meisten Fällen das erkrankte Organ, <strong>die</strong> erkrankte<br />
Funktionseinheit und klammert den Patienten als kranke Person aus. Unter <strong>die</strong>sem<br />
Gesichtspunkt ist der Dualismus wirksam und von Bedeutung. Die häufig von ärztlicher Seite<br />
genannte Einheit bleibt dann unberücksichtigt. Eine konkretistische Sicht ist vordergründig<br />
<strong>auch</strong> nicht selten dem Patienten in seiner Auffassung von Krankheit und Gesundheit zu eigen.<br />
4. Schluss<br />
<strong>Das</strong> <strong>Leib</strong>-<strong>Seele</strong>-<strong>Problem</strong> bzw. Körper-Geist-<strong>Problem</strong> <strong>mit</strong> seinen sich daraus ergebenden<br />
Konsequenzen <strong>auch</strong> für <strong>die</strong> praktische <strong>Medizin</strong> wurde unter einigen wesentlichen Aspekten<br />
beleuchtet.<br />
Vielleicht werden erst weiterreichende Paradigmenwechsel in den empirischen<br />
Wissenschaften, z.B. Überwindung des neuronalen Funktionalismus in den<br />
Neurowissenschaften einen neuen Weg ermöglichen. Die Möglichkeiten der Philosophie<br />
sollten nach Brüntrup hier nicht überschätzt werden. 38 <strong>Das</strong>s der Begriff der Ganzheit <strong>mit</strong> dem<br />
35<br />
36<br />
37<br />
38<br />
Keil, a.a.O., S. 145.<br />
Keil, a.a.O., S. 145.<br />
Brüntrup, a.a.O., 3 1996, S. 177.<br />
Vgl. Brüntrup, a.a.O., S. 177.
15<br />
Begriff der Person zusammentrifft, erscheint jedenfalls evident. Der zunehmende<br />
Kompetenzgewinn der medizinischen Wissenschaft ist, so Hagner, <strong>auf</strong> Verbündete<br />
angewiesen und hier spielt <strong>die</strong> Philosophie zunächst eine erhebliche Rolle, indem sie den<br />
„Status der <strong>Medizin</strong> <strong>mit</strong> befestigt und ausbaut. Ist das erreicht, hat <strong>die</strong> Philosophie ihre<br />
Aufgabe erfüllt“. 39<br />
39<br />
Hagner, Homo cerebralis. Frankfurt, Leipzig 2000, S. 223.