IFachbeitrag - Cranioform Helmtherapie
IFachbeitrag - Cranioform Helmtherapie
IFachbeitrag - Cranioform Helmtherapie
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30 I<br />
I Fachbeitrag _ Schädeldeformität<br />
Nicht nur Ästhetik!<br />
Kopfdeformitäten<br />
bei Kindern<br />
Autor _ Dr. Christoph Blecher, Lich<br />
Lagebedingte Kopfdeformitäten bei Kindern nehmen zu. Eine Reflektion der Ursachen und moderne Behandlungsmöglichkeiten<br />
helfen diese zu vermeiden, oder falls es schon passiert ist, diese wieder zurechtzuformen.<br />
Abb. 1a_Percentile Wachstumskurve<br />
des Kopfes. Beachte: Das<br />
starke Wachstum im ersten<br />
Lebensjahr.<br />
face<br />
1_2009<br />
Abb. 1a<br />
_Eine kindliche Schädeldeformität kann verschiedene<br />
Ursachen haben. Selten sind sie durch<br />
prämature Nahtsynostosen (frühzeitiger Verschluss<br />
von Schädelnähten) entstanden, benötigen<br />
dann aber meistens eine operative Korrektur. Solche<br />
Deformitäten sind schon von Geburt an vorhanden<br />
und prägen sich danach immer mehr aus.<br />
Lagebedingte Deformitäten entstehen meistens<br />
nachgeburtlich, die Schädelnähte sind offen, das<br />
Gehirn hat keinen Platzmangel. Es kann aber zu ausgeprägten<br />
Deformitäten führen, die sich im Gegensatz<br />
zu den geburtstraumatisch bedingten Deformitäten<br />
meistens nicht vollständig verwachsen.<br />
_Mögliche Ursachen und Diagnose<br />
Die Herkunft dieser Kopfdeformitäten ist in den<br />
meisten Fällen durch die Form des Kopfes zu erkennen.<br />
Die meisten sind durch eine Rückenlagerung<br />
entstanden, welche jedoch allgemein zur Vorbeugung<br />
des plötzlichen Kindstods empfohlen wird.<br />
Aber nicht alle so gelagerten Kinder werden davon<br />
betroffen. Was ist die Ursache?<br />
In den letzten 16 Jahren sehen wir dreimal mehr<br />
Jungen davon betroffen als Mädchen; auch überdurchschnittlich<br />
viele Mehrlingsgeburten sind betroffen.<br />
Wahrscheinlich führen eine intrauterine<br />
Enge, ein Platzmangel durch zum Beispiel eingeschränkte<br />
Beweglichkeit, die frühzeitige Drehung<br />
ins Becken, Hypamnion oder Mehrlingsschwangerschaften<br />
zu Asymmetrien der Halsmuskulatur, die<br />
dann nachgeburtlich zu einer einseitigen Lagerung<br />
führen.<br />
So kann es durch die sich auf den Kopf auswirkende<br />
Schwerkraft zu einer Umformung des noch
weichen Schädelknochens kommen und zum Teil zu<br />
bizarren Kopfformen führen.<br />
Unserer Erfahrung nach fällt eine nachgeburtlich<br />
entstandene Kopfdeformität in der sechsten bis<br />
achten Lebenswoche auf. Dann werden meistens<br />
Umlagerungsmaßnahmen empfohlen (Bett zum<br />
Licht drehen, Mobile auf die andere Seite etc.), die<br />
aufgrund der einseitigen Bevorzugung jedoch selten<br />
funktionieren.<br />
Physiotherapie, eventuell auch Osteopathie, werden<br />
oft unterstützend durchgeführt, um die Asymmetrie<br />
zu verbessern. Danach sieht man auch regelmäßig<br />
eine Verbesserung der Beweglichkeit, die sich<br />
jedoch dann nur noch eingeschränkt positiv auf die<br />
Kopfform auswirkt.<br />
Eine Selbstkorrektur sieht man durch den intrakraniellen<br />
Druck (Blutdruck) und das wachsende<br />
Gehirn, welches den noch weichen Schädelknochen<br />
in eine ideale runde Form drücken möchte (im Sinne<br />
eines sich aufblasenden Luftballons).<br />
Aufgrund dieser Tatsache ist es bekannt, dass<br />
sich geburtstraumatisch bedingte Deformitäten<br />
selbst auswachsen. Tun es deshalb nicht auch die<br />
nachgeburtlich durch die Lagerung entstandenen?<br />
Der Unterschied dieser Deformitäten ist die spätere<br />
Entstehung. Mit zunehmendem Alter mineralisiert<br />
der Schädelknochen und wird entsprechend<br />
härter, sodass ab dem sechsten bis achten Lebensmonat<br />
keine Veränderung der Schädelform mehr zu<br />
beobachten ist (dann keine Tendenz mehr zur Ausrundung<br />
im Sinne des Luftballoneffektes). Man muss<br />
also davon ausgehen, dass sich die Form des Kopfes<br />
ab dem sechsten bis achten Monat nicht mehr ändert,<br />
sonder nur noch eine Größenzunahme analog des<br />
bekannten Wachstums erfolgt (siehe Abb. 1a).<br />
Abb. 2a<br />
Abb. 1b<br />
Dadurch ist aber eine relative Besserung des Gesamteindrucks<br />
zu erwarten und nicht zuletzt das<br />
Haarwachstum führt zu einer weiteren „Kaschierung“<br />
der Deformität.<br />
Geringgradige Asymmetrien und Deformitäten<br />
bedürfen keiner weiteren Beachtung und Therapie.<br />
Die Frage ist, ab welchem Ausprägungsgrad der<br />
Asymmetrie bzw. Deformität eine Auffälligkeit im<br />
Erwachsenalter besteht. Dieses ist durch die Untersuchung<br />
von Erwachsenen mit auffälligen Kopfformen<br />
möglich.<br />
So sind Asymmetrien unter 1cm (Messung der<br />
Diagonalen: siehe Abb. 1b) im Erwachsenenalter<br />
meistens nicht sichtbar und deshalb im Säuglingsalter<br />
nicht behandlungsnotwendig.<br />
Ab 2cm Asymmetrie sprechen wir von einer<br />
starken Deformität und gehen aufgrund der Sichtbarkeit<br />
im Erwachsenenalter deshalb von einer absoluten<br />
Indikation zur Behandlung der Deformität<br />
aus.<br />
Abb. 2b Abb. 3<br />
Fachbeitrag _ Schädeldeformität I<br />
Abb. 1b_Zirkelmessung zur<br />
einfachen Bestimmung des Grades<br />
der Asymmetrie.<br />
Abb. 2a_Plagiocephalus<br />
(schiefer Kopf).<br />
Abb. 2b_Brachycephalus<br />
(kurzer Kopf).<br />
Abb. 3_3-D-Bild.<br />
face<br />
1_2009<br />
I31
Abb. 4<br />
32 I<br />
I Fachbeitrag _ Schädeldeformität<br />
Abb. 4_Genaueste Wachstumskontrolle<br />
durch Überlagerung der<br />
3-D-Daten (z.B. Volumenzunahme in<br />
Kubikzentimetern).<br />
Abb. 5a und 5b_Individuell angepasster<br />
Kopfhelm.<br />
Abb. 6a und 6b_Brachycephalie vor<br />
und nach der Behandlung.<br />
Dauer: sieben Monate.<br />
Abb. 7a und 7b_Plagiocephalie vor<br />
und nach der Behandlung.<br />
Dauer: drei Monate.<br />
Abb. 6a Abb. 6b<br />
Abb. 7a Abb. 7b<br />
face<br />
1_2009<br />
Abb. 5a Abb. 5b<br />
Wegen der Zusammenhänge von Alter, Selbstkorrektur<br />
(Luftballoneffekt) und Grad der Ausprägung<br />
kann man beim Säugling die Entwicklung der<br />
Kopfform nun eher abschätzen und erhält dadurch<br />
wichtige Entscheidungshilfen in Bezug auf das weitere<br />
Vorgehen und einer eventuellen Behandlungsnotwendigkeit<br />
der Kopfdeformität.<br />
Verschiedene lagebedingte Kopfdeformitäten:<br />
1. Plagiocephalus (schiefer Kopf) (Abb. 2a)<br />
2. Brachycephalus (kurzer Kopf) (Abb. 2b)<br />
3. Mischform aus Plagio- und Brachycephalus<br />
4. „windschiefe Kopfform“ (schiefer Kopf mit starker<br />
Schädelbasis und Gesichtsasymmetrie).<br />
Ziel der Überlegungen sollte immer eine „normale<br />
Kopfform“ sein, das ist die Kopfform, die nicht auffällt.<br />
Dieser Kopf ist wenig asymmetrisch und sollte<br />
immer länger als breit sein.<br />
_„<strong>Helmtherapie</strong>“<br />
Falls vorgenommene Umlagerungsversuche und<br />
physiotherapeutische Maßnahmen keine deutliche<br />
Verbesserung der Kopfform bis zum vierten bis fünften<br />
Lebensmonat gebracht haben, ist eine Kopforthesen-<br />
Behandlung bei ausgeprägten Deformitäten sinnvoll.<br />
Eigenes Wachstum des Köpfchens kann ausgenutzt<br />
und in die richtige Richtung (die abgeflachten<br />
Areale) gelenkt werden. Dieses geschieht durch<br />
die Verwendung eines sogenannte individuell hergestellten<br />
Kopfhelms, welcher nach einem 3-D-<br />
Foto des kindlichen Kopfes hergestellt wird (Abb. 3).<br />
Der Helm oder die Kopforthese aus leichtem<br />
Kunststoff weist eine ideale Form auf. Er liegt an<br />
den prominenten Arealen des Köpfchens an, das<br />
Wachstum ist deshalb hier während der Behandlungszeit<br />
unterdrückt. Er lässt Platz an den abgeflachten<br />
Stellen und ermöglicht das Wachstum in<br />
die ideale Form hinein (Abb. 5a und 5b).<br />
Während der Behandlung ist das insgesamte<br />
Kopfwachstum nicht eingeschränkt, sondern folgt<br />
streng dem percentilen Wachstumsverlauf. So<br />
kann man durch das Ausnutzen des großen<br />
Wachstumspotenzials des Köpfchens im ersten<br />
halben Lebensjahr auch starke Deformitäten ausgleichen.<br />
_Behandlungsdauer<br />
Der Helm muss 23 Stunden am Tag getragen<br />
werden, um einen guten Erfolg zu erzielen. Die Behandlung<br />
dauert je nach Ausprägung der Deformität<br />
und Alter des Kindes bei Behandlungsbeginn
Abb. 8a Abb. 8b<br />
acht Wochen bis zu acht Monate. Ein einmal erzieltes<br />
Ergebnis ist lebenslang stabil.<br />
Die Kinder gewöhnen sich an den leichten Helm<br />
schnell und scheinen in keiner Weise beeinträchtigt<br />
zu sein. Der Helm muss ideal passen. So darf bei Abnehmen<br />
des Helmes keine Rötung im Sinne einer<br />
Druckstelle zu sehen sein. Die Umformung des Kopfes<br />
geschieht also nicht durch Druck, sondern durch<br />
das eigene Wachstum.<br />
_Ergebnisse<br />
Eine Behandlung aus funktionellen Gründen<br />
erfolgt bei starken Asymmetrien der Schädelbasis<br />
(unterschiedliche Position der Ohren), um ein seitengleiches<br />
Gesichts- und Kieferwachstum zu ermöglichen.<br />
Außerdem stellt eine ausgeprägte Brachycephalie<br />
(Kurzkopfform) sicher eine psychosoziale<br />
Indikation dar, um spätere Hänseleien zu vermeiden.<br />
Interessanterweise stellen sich Kombinationsasymmetrien<br />
mit einer Brachycephalie selbst bei<br />
nur mittelmäßiger Ausprägung als schwer ausgeprägt<br />
dar und sind deshalb sicher auch eine Behandlungsindikation.<br />
Die Behandlungsergebnisse werden durch 3-D-<br />
Fotografie dokumentiert und ausgewertet. Durch<br />
direkte Überlagerung ist es möglich, hinzugewachsene<br />
Areale farblich darzustellen und auch Volumina<br />
zu berechnen (Abb. 6a bis 7b).<br />
_Fazit<br />
Eine einseitige Bevorzugung nach der Geburt<br />
bedarf weiterer Abklärung. Einfache Umlagerungsmaßnahmen<br />
sind nicht geeignet, das Problem<br />
der Muskelasymmetrie in den Griff zu bekommen.<br />
Frühzeitige (in der ersten Woche nach<br />
der Geburt) physiotherapeutische Maßnahmen<br />
sind wichtig, um die sekundär auftretende Lagedeformität<br />
zu verhindern. Sollte es dennoch zu einer<br />
Kopfdeformität gekommen sein, ist der Grad<br />
der Ausprägung für die Behandlungsindikation<br />
entscheidend.<br />
Eine Behandlung mittels Kopforthese ist ab dem<br />
vierten Lebensmonat bei ausgeprägten Deformitäten<br />
sinnvoll. Dadurch ist eine normale Kopfform<br />
wieder zu erzielen (Abb. 8a und 8b).<br />
Bei der Geburt bestehende Deformitäten sind<br />
entweder durch Geburtstrauma entstanden –<br />
diese wachsen sich in den ersten achten Lebenswochen<br />
aus – oder sie sind durch eine prämature<br />
Nahtsynostose entstanden und dann eine Operationsindikation.<br />
Lagebedingte Kopfdeformitäten<br />
sind im frühen Kindesalter dagegen durch die<br />
heutigen Möglichkeiten keine OP-Indikation.<br />
Bei fraglicher Herkunft der Kopfdeformität und<br />
fraglichem Schweregrad ist sicher eine Vorstellung<br />
in einer Fachklinik sinnvoll. Mittlerweile entsteht<br />
ein Netzwerk von Spezialisten, die international zusammenarbeiten.<br />
_<br />
_Kontakt face<br />
Dr. Christoph Blecher<br />
Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie,<br />
diagnostiziert und behandelt seit fast 16 Jahren<br />
erfolgreich Kopfdeformitäten.<br />
Weitere Auskünfte und Informationen beim Autor<br />
oder unter: www.cranioform.de<br />
Dr. Christoph Blecher<br />
FA für Kiefer- und Gesichtschirurgie<br />
Cranio Center Kloster Arnsburg<br />
35423 Lich<br />
E-Mail: cblecher@cranioform.de<br />
Fachbeitrag _ Schädeldeformität I<br />
Abb. 8a und 8b_Brachycephalie vor<br />
und nach der Behandlung.<br />
Dauer: sieben Monate.<br />
face<br />
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