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Antike verbindet 2 Burkhard Reis Der Usa-Rom-Vergleich im ...

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1/2004<br />

<strong>Antike</strong> <strong>verbindet</strong> 2<br />

<strong>Burkhard</strong> <strong>Reis</strong> <strong>Der</strong> USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> <strong>im</strong> lateinischen Lektüreunterricht 3<br />

Wilfried Stroh Zum 400. Geburtstag von Jacobus Balde (1604-1668) 10<br />

Dieter Harlfinger Warten auf Menander <strong>im</strong> Vatikan 13<br />

Friedrich Maier Schöpfung –<br />

<strong>Der</strong> kreative Mensch zwischen Glaube und Wissenschaft 15<br />

Herbert Z<strong>im</strong>mermann Die stoische Einheit der Ethik und Kosmologie in einem<br />

didaktischen <strong>Vergleich</strong> mit Platon und Epikur 20<br />

Heinz Munding Gräzistisches aus heutiger Sicht (2) 25<br />

Günter Reinhart Das „Biberacher Modell“ in Baden-Württemberg 27<br />

Gabriele Kaiser <strong>Der</strong> Mehrsprachenwettbewerb 29<br />

Josef Rabl Zum 5. Bundeswettbewerb Fremdsprachen 2003 32<br />

Personalia 35<br />

Zeitschriftenschau 38<br />

Besprechungen 43<br />

Leserforum 56<br />

Varia 65<br />

Adressen der Landesvorsitzenden 71


Impressum ISSN 1432-7511 47. Jahrgang<br />

Die Zeitschrift FORUM CLASSICUM setzt das von 1958 bis 1996 in 39 Jahrgängen erschienene „Mitteilungsblatt des<br />

Deutschen Altphilologenverbandes“ fort. – Erscheinungsweise vierteljährlich. Die <strong>im</strong> FORUM CLASSICUM veröffentlichten<br />

Beiträge sind <strong>im</strong> Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.forum-classicum.de<br />

Herausgeber: <strong>Der</strong> Vorsitzende des Deutschen Altphilologenverbandes: http://www.altphilologenverband.de<br />

StD Dr. Helmut Meißner, Hubstraße 16, 69190 Walldorf<br />

Schriftleitung: Univ.-Prof. Andreas Fritsch, Freie Universität Berlin,<br />

Didaktik der Alten Sprachen, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin; E-Mail: classics@zedat.fu-berlin.de<br />

Die Redaktion gliedert sich in folgende Arbeitsbereiche:<br />

1. Schriftleitung, Berichte und Mitteilungen, Allgemeines (s. o.);<br />

2. Didaktik, Schulpolitik:<br />

StR Michael Hotz (Anschrift s. u.)<br />

3. Fachliteratur, Schulbücher, Medien:<br />

OStR Dr. Dietmar Schmitz, Am Veenteich 26, 46147 Oberhausen<br />

Wiss. Ass. Dr. Stefan Kipf, Schillerstr. 12, 14532 Kleinmachnow<br />

4. Zeitschriftenschau:<br />

Univ.-Prof. Dr. Eckart Mensching, Technische Universität Berlin,<br />

Klassische Philologie, Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin;<br />

StD Dr. Josef Rabl, Kühler Weg 6a, 14055 Berlin;<br />

StR Martin Schmalisch, Deideshe<strong>im</strong>er Str. 25, 14197 Berlin<br />

Die mit Namen gekennzeichneten Artikel geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die des DAV-Vorstandes<br />

wieder. – Bei unverlangt zugesandten Rezensionsexemplaren ist der Herausgeber nicht verpflichtet, Besprechungen zu<br />

veröffentlichen, Rücksendungen finden nicht statt. – Bezugsgebühr: Von den Mitgliedern des Deutschen Altphilologenverbandes<br />

wird eine Bezugsgebühr nicht erhoben, da diese durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten ist (Wichtiger Hinweis<br />

zur Mitgliedschaft, Adressenänderung usw. am Schluss des Heftes). Für sonstige Bezieher beträgt das Jahresabonnement<br />

EUR 15,-; Einzelhefte werden zum Preis von EUR 4,50 geliefert. Die angegebenen Preise verstehen sich zuzüglich Porto.<br />

Abonnements verlängern sich jeweils um ein Jahr, wenn sie nicht spätestens zum 31.12. gekündigt werden.<br />

C. C. Buchners Verlag, Postfach 1269, 96003 Bamberg.<br />

Layout und Satz: StR Rüdiger Hobohm, Mühlweg 9, 91807 Solnhofen, E-Mail: ruediger.hobohm@altmuehlnet.de<br />

Anzeigenverwaltung: StR Michael Hotz, Riederinger Str. 36, 85614 Kirchseeon, Tel. (0 80 91) 29 18.<br />

Herstellung: BÖGL DRUCK GmbH, Am Schulfang 8, 84172 Buch a. Erlbach.<br />

2<br />

<strong>Antike</strong> <strong>verbindet</strong><br />

So lautete das Motto des diesjährigen DAV-Kongresses<br />

in Köln. Das vorliegende Heft war während<br />

des Kongresses <strong>im</strong> Herstellungsprozess und kann<br />

daher noch keine Einzelheiten berichten oder ein<br />

Resümé ziehen. <strong>Der</strong> Untertitel des Kongressmottos<br />

hieß: „<strong>Der</strong> europäische Bildungsauftrag der alten<br />

Sprachen“. Man sehe solch „große Worte“ nicht<br />

einfach als Phrasen an, sondern eher als den Versuch<br />

einer knappen Zusammenfassung der Impulse, die<br />

letztlich von allen Vorträgen und Arbeitskreisen des<br />

Kongresses ausgehen und bis in den schulischen<br />

Alltag hineinwirken sollen. Die Beschäftigung mit<br />

der Kultur und Literatur der <strong>Antike</strong> und ihrer Rezeption<br />

<strong>verbindet</strong> uns über die Jahrhunderte hinweg mit<br />

vielen Generationen, <strong>verbindet</strong> uns aber auch mit<br />

den Vertretern anderer Fächer und Kulturinstitutionen<br />

in Schule und Gesellschaft, <strong>verbindet</strong> uns<br />

über die Grenzen der deutschen Bundesländer und<br />

nicht zuletzt auch mit Lehrern und Wissenschaftlern<br />

anderer Nationen, die ebenfalls das gemeinsame<br />

griechisch-lateinische Erbe Europas <strong>im</strong> Bildungsprozess<br />

der Heranwachsenden wirksam machen<br />

wollen. Das Bewusstsein, einem solchen höheren<br />

Ziel zu dienen, kann den „Einzelkämpfer“ durchaus<br />

ermutigen und über den gelegentlichen Frust durch<br />

schulpolitische Auseinandersetzungen oder organisatorischen<br />

Kleinkram hinweghelfen.<br />

ANDREAS FRITSCH


Aktuelle Themen<br />

Ne quod toto orbe terrarum iniustum <strong>im</strong>perium sit<br />

<strong>Der</strong> USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> <strong>im</strong> lateinischen Lektüreunterricht<br />

I. Was spricht gegen den <strong>Vergleich</strong> <strong>im</strong> Unterricht?<br />

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und<br />

verstärkt seit den US-amerikanischen Reaktionen<br />

auf die Terroranschläge vom 11. September 2001<br />

gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks eine neue<br />

Debatte über die vermeintlich <strong>im</strong>periale Rolle der<br />

letzten verbliebenen Supermacht. 1 Dabei werden<br />

über das Schlagwort der Pax Americana 2 hinaus<br />

die modernen USA oftmals mit dem römischen<br />

Reich der <strong>Antike</strong> verglichen. Dass die gegenwärtige<br />

und zukünftige weltpolitische Rolle der USA<br />

möglichst breit, also auch an den Schulen, diskutiert<br />

werden sollte, steht für aufmerksame Zeitgenossen<br />

außer Frage. Ob dabei der <strong>Vergleich</strong> mit<br />

dem Imperium <strong>Rom</strong>anum von Nutzen ist, dürfte<br />

dagegen umstritten sein. 3<br />

Bevor <strong>im</strong> Folgenden für eine Einbeziehung<br />

des USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong>s in den<br />

Lateinunterricht der gymnasialen Oberstufe<br />

plädiert werden kann, ist daher zunächst auf<br />

die Problematik dieses <strong>Vergleich</strong>s einzugehen.<br />

Betrachten wir dazu einmal philologisch genau<br />

die entscheidende Frage in jener plakativ zugespitzten<br />

Formulierung, wie sie einem bisweilen<br />

in den Medien begegnet: „Sind die USA das<br />

neue <strong>Rom</strong>?“ Klar ist, dass hier eine Beziehung<br />

zwischen den USA und <strong>Rom</strong> in Frage steht.<br />

Darüber hinaus zeigt das Attribut „neu“, dass<br />

(1.) die USA in Beziehung zum „alten <strong>Rom</strong>“<br />

gesetzt werden und dass (2.) nicht an eine<br />

numerische Identität zwischen USA und „altem<br />

<strong>Rom</strong>“ gedacht wird. 4 Es wird also nach einer<br />

Beziehung der qualitativen Identität (Gleichheit)<br />

oder der Ähnlichkeit gefragt. 5 Beides aber ist<br />

deshalb problematisch, weil in irgendeiner Hinsicht<br />

alles allem gleicht bzw. ähnelt, bekanntlich<br />

auch Äpfel Birnen. Zuerst müsste der Fragende<br />

folglich darlegen, in welcher Hinsicht es überhaupt<br />

sinnvoll, d.h . erkenntnisfördernd sein<br />

sollte, zwei politische Gebilde miteinander zu<br />

vergleichen, die durch Raum und Zeit weit von-<br />

einander getrennt sind. Was haben der ursprünglich<br />

als Adelsrepublik verfasste antike Stadtstaat<br />

und der aus aufbegehrenden Kolonien hervorgegangene<br />

und nach neuzeitlichen Prinzipien organisierte<br />

Territorialstaat überhaupt gemeinsam,<br />

wenn man einmal von der vorweg bekannten<br />

Tatsache absieht, dass beider Einfluss sich <strong>im</strong><br />

Lauf der Zeit nicht auf das eigentliche Staatsgebiet<br />

beschränken sollte? Ein weiteres Problem<br />

ergibt sich aus der je eigenen, Jahrhunderte umfassenden<br />

Geschichte. Welches <strong>Rom</strong> soll den USA<br />

gleichen bzw. ähneln: das der frühen oder späten<br />

Republik oder das der Kaiserzeit? Und welchen<br />

USA: den USA der Gründerväter oder den USA<br />

des 19. Jahrhunderts etc.? Mit dem Verzicht<br />

auf jede präzise Eingrenzung, was das tertium<br />

comparationis wie auch den historischen Index<br />

des Verglichenen angeht, findet auf der semantischen<br />

Ebene eine zweifelhafte Pauschalisierung<br />

statt. Dass der Fragende dies vermutlich sogar<br />

beabsichtigt, bestätigt ein Blick auf die performative<br />

D<strong>im</strong>ension seiner Äußerung. Wer nämlich<br />

derartig plakativ formuliert, hat die – in diesem<br />

Fall wohl nur positive – Antwort von vornherein<br />

antizipiert, so dass hinter der rhetorisch verstandenen<br />

Frage letztlich die Behauptung stehen dürfte:<br />

„Die USA sind [sc. wie] das neue <strong>Rom</strong>!“ <strong>Der</strong><br />

Verdacht liegt nahe, dass diese Aussage wiederum<br />

ein Werturteil, und zwar ein negatives, <strong>im</strong>pliziert,<br />

gerade weil die Gleichheit bzw. Ähnlichkeit<br />

beider Größen keineswegs auf der Hand liegt.<br />

Wenn es in der Welt heutzutage kein bisschen<br />

gerechter und humaner zugeht als vor 2000 Jahren,<br />

so lässt sich unschwer folgern, tragen dafür<br />

diejenigen mit die Verantwortung, die über die<br />

gleiche bzw. ähnliche Vormacht verfügen wie<br />

seinerzeit die Römer. Sollte die Frage aber bloß<br />

der Artikulation antiamerikanischer Vorurteile<br />

dienen, so verböte sich ihre Einbeziehung in den<br />

Unterricht natürlich insofern, als eine ergebnisoffene<br />

Besprechung <strong>im</strong> Sinne des Gebots politischer<br />

Neutralität erst gar nicht möglich wäre.<br />

3


II. Was spricht für ihn?<br />

Trotz der genannten Probleme sprechen drei<br />

Gründe für eine Einbeziehung des <strong>Vergleich</strong>s in<br />

den Lateinunterricht, von denen der dritte letztlich<br />

den Ausschlag gibt.<br />

1. D e r U S A - R o m - Ve r g l e i c h i s t<br />

p o p u l ä r ; e r i s t d a r ü b e r h i n a u s<br />

a l t , j a e r b e g l e i t e t d i e U S A s e i t<br />

i h r e n A n f ä n g e n . Als die Gründerväter<br />

der Vereinigten Staaten sich daran machten, eine<br />

Verfassung für ihr neuartiges Gemeinwesen zu<br />

entwerfen, modellierten sie dessen Struktur in<br />

expliziter Auseinandersetzung mit den Staaten<br />

der griechisch-römischen <strong>Antike</strong>. 6 Flankierend<br />

dazu entwickelte sich in den USA eine bis zum<br />

heutigen Tage ungebrochene Tradition klassizistischen<br />

Bauens, die den Anspruch, sich mit dem<br />

<strong>Rom</strong> der <strong>Antike</strong> zu messen, unübersehbar zum<br />

Ausdruck bringt. 7 Wenn auch solcherlei Berufung<br />

auf römische Größe, zumindest in der Anfangszeit,<br />

eher der republikanischen als der <strong>im</strong>perialen Seite<br />

des Vorbilds galt 8 , so macht sie doch gewiss die<br />

Wiederaufnahme des alten <strong>Vergleich</strong>s in der jüngeren<br />

Vergangenheit verständlich. Jedenfalls ist die<br />

Zahl der publizistischen Beiträge zum Thema nach<br />

dem Ende des Kalten Kriegs und abermals nach<br />

dem 11. September 2001 ins Unüberschaubare<br />

gewachsen: „Die Zunft der Althistoriker mag in<br />

Ohnmacht fallen ob des kruden <strong>Vergleich</strong>s und die<br />

Affinität zwischen römischer und amerikanischer<br />

Macht an den Haaren herbeigezogen sein (oder<br />

auch nicht!) – darüber zu debattieren aber, ist in<br />

Mode.“ 9 Nun sind Mode und Popularität gewiss<br />

keine unfehlbaren Indizien für die wirkliche Relevanz<br />

eines Themas, und tatsächlich begnügen sich<br />

allein von den Beiträgen in den Printmedien gerade<br />

die kürzeren häufig mit einer fragwürdigen, weil<br />

durchsichtig effekthascherischen Parallelisierung<br />

einzelner historischer Ereignisse, etwa der Eroberung<br />

des antiken Hispaniens mit dem jüngsten<br />

Afghanistan-Feldzug oder der Punischen Kriege<br />

mit den Irak-Kriegen als familiären Unternehmungen<br />

der SCIPIONEN bzw. der BUSHS. 10 Anders sieht<br />

es dagegen aus, wenn in den Feuilletons großer<br />

Zeitungen mehrseitige Essays erscheinen, die<br />

römische mit amerikanischer Geschichte en bloc<br />

vergleichen und sich dabei durchaus um Genauigkeit<br />

und Ausgewogenheit bemühen. 11<br />

4<br />

Mit PETER BENDERS „Weltmacht Amerika – Das<br />

neue <strong>Rom</strong>“ hat das aktuelle <strong>Vergleich</strong>en <strong>im</strong> Sommer<br />

2003 schließlich Buchformat erreicht. 12<br />

Als promovierter Althistoriker mit Jahrzehnten<br />

journalistischer Erfahrung war der Autor wie<br />

kein anderer zum Totalvergleich der beiden<br />

Mächte prädestiniert. Darüber, ob dieser ihm<br />

durchweg gelungen ist, herrscht freilich bei den<br />

Rezensenten Uneinigkeit. 13 Bender beschreibt in<br />

einer Art Parallelbiographie, wie <strong>Rom</strong> und die<br />

USA zunächst in der Abgeschiedenheit einer<br />

natürlichen Insellage Stärke gewannen und dann<br />

infolge aufgezwungener Kriege, getrieben von<br />

einem ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit, –<br />

gleichsam „wider Willen“ – in relativ kurzer Zeit<br />

zu Supermächten expandierten. Obgleich Motor<br />

und Mechanik der römischen Expansion bis heute<br />

umstritten sind und daher kaum zur Erhellung<br />

amerikanischer Parallelen taugen, muss man dem<br />

Buch zugute halten, dass fast auf jeder dritten<br />

Seite explizit auf die Grenzen des <strong>Vergleich</strong>s verwiesen<br />

wird. Da man be<strong>im</strong> Lesen der sprachlich<br />

eingängigen Überblicksdarstellung alte Kenntnisse<br />

der Ereignisgeschichte wieder auffrischen<br />

und neue dazu gewinnen kann, obendrein nachdenklich<br />

wird, wenn der Autor zum Schluss über<br />

Gefahren und Chancen amerikanischer Macht in<br />

der Zukunft reflektiert, handelt es sich hier zweifellos<br />

um einen lehrreichen und anregenden<br />

Beitrag zu drängenden Zeitfragen. Unterdessen<br />

ist der USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> längst auch in die<br />

politische Rhetorik über ebendiese Fragen eingedrungen.<br />

Deutlich wird dies, wenn etwa LUDWIG<br />

STIEGLER für diplomatische Irritationen sorgt mit<br />

der Bemerkung, „Bush ben<strong>im</strong>mt sich so, als sei er<br />

der Princeps Caesar Augustus und Deutschland<br />

die Provincia Germania“ 14 , oder HELMUT SCHMIDT<br />

in einer ungleich subtileren Analyse davor warnt,<br />

ein uneiniges Europa werde gegenüber den USA<br />

„in die unbedeutende, hilflose Rolle Athens zu<br />

Zeiten des Imperium <strong>Rom</strong>anum abrutschen“. 15<br />

2. D e r U S A - R o m - V e r g l e i c h<br />

i m p l i z i e r t a n s i c h k e i n e n A n t i -<br />

a m e r i k a n i s m u s . Die bisherigen Ausführungen<br />

haben gezeigt, dass eine positive Antwort auf<br />

die Ausgangsfrage keineswegs selbstverständlich<br />

ist und nur unter best<strong>im</strong>mten Einschränkungen<br />

akzeptabel erscheint. Aber auch wer eine solche


Antwort vertreten wollte, ist nicht automatisch<br />

auf eine antiamerikanische Haltung festgelegt.<br />

Gerade Lateinlehrer dürften noch vor wenigen<br />

Jahrzehnten bei der Behandlung von Caesars<br />

gallischen Feldzügen die <strong>im</strong>mense Zahl der<br />

Opfer auf der Verliererseite mit Stillschweigen<br />

übergangen haben. Heute hat sich das zum Glück<br />

geändert, wenngleich man nach wie vor, z. B.<br />

bei Werbeveranstaltungen für das Fach Latein,<br />

die territoriale Ausbreitung und nachhaltige<br />

zivilisatorische Wirkung der römischen Kultur<br />

als gute Gründe für die Beschäftigung mit der<br />

zugehörigen Sprache heranzieht und das historische<br />

Unrecht, das jene erst ermöglichte, dahinter<br />

zurücktreten lässt. Selbst EDWARD GIBBON werden<br />

<strong>im</strong>mer noch viele zust<strong>im</strong>men, wenn er <strong>im</strong> ersten<br />

Kapitel seines „Decline and Fall of the <strong>Rom</strong>an<br />

Empire“ von 1776 die Epoche der Antoninen als<br />

eine der friedlichsten und glücklichsten Perioden<br />

in der Geschichte beschwört. 16 Im Hintergrund<br />

solcher Urteile steht die Binsenweisheit, dass<br />

aus Bösem Gutes erwachsen kann, womit Ersteres<br />

zwar nicht entschuldigt, aber zumindest <strong>im</strong><br />

Rückblick ein wenig erträglicher wird. Für die<br />

Gegenwart folgt daraus mutatis mutandis die<br />

Position jener so genannten Realisten und Pragmatiker,<br />

die in Ermangelung einer internationalen<br />

Rechtsordnung, die diesen Namen verdient, die<br />

„gütige Hegemonie“ 17 der einen Supermacht<br />

als die zweitbeste Lösung in Kauf nehmen:<br />

Bevor der Planet komplett <strong>im</strong> Chaos versinke,<br />

sei eine hegemoniale Ordnung besser als gar<br />

keine, zumal dann, wenn sich der Hegemon <strong>im</strong><br />

Innern gewissen demokratischen Idealen verpflichtet<br />

wisse und diese, so weit es irgend geht,<br />

in Form von Mindeststandards auch nach außen<br />

zu tragen bemüht sei. Aber nicht nur eine solche<br />

Position widerlegt die unterstellte Einseitigkeit:<br />

Mitnichten antiamerikanisch argumentiert auch<br />

derjenige, der die Ausgangsfrage zwar bejaht, die<br />

behauptete Gleichheit zwischen <strong>Rom</strong> und den<br />

USA jedoch aus Liebe zu letzteren bitter beklagt<br />

und als ein Übel betrachtet, das <strong>im</strong> Interesse aller<br />

möglichst schnell zu beseitigen sei. 18<br />

3. D e r U S A - R o m - V e r g l e i c h<br />

b e s i t z t e i n e i m m e n s e m o t i v a t i -<br />

o n a l e K r a f t . Dass viele Schüler über eine<br />

beachtliche Sensibilität für weltpolitische Vor-<br />

gänge verfügen, haben zuletzt die Diskussionen<br />

und Proteste anlässlich des Irak-Krieges gezeigt.<br />

Von der Einbeziehung des USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong>s<br />

in den lateinischen Lektüreunterricht kann entsprechend<br />

ein starker Motivationsschub ausgehen,<br />

und zwar vor allem deshalb, weil der <strong>Vergleich</strong><br />

(1.), wie oben gezeigt, ein real existierendes Phänomen<br />

der Publizistik und kein Kunstprodukt der<br />

Fachdidaktik ist, weil er (2.) gerade durch die mit<br />

ihm verbundenen sachlichen Probleme zu einer<br />

ergebnisoffenen Prüfung einlädt und weil er (3.),<br />

bei Akzeptanz wie bei Ablehnung, verschiedene<br />

moralische Bewertungen zulässt. Im Gegensatz<br />

zu anderen Versuchen der Aktualisierung haben<br />

wir es hier mit dem seltenen Fall zu tun, dass<br />

Schüler und Lehrer eine echte Untersuchungsgemeinschaft<br />

bilden können mit dem Ziel, die vielerorts<br />

behauptete Gleichheit bzw. Ähnlichkeit an<br />

lateinischen Quellen kritisch zu überprüfen und<br />

den ermittelten Befund eigenständig zu bewerten.<br />

19 Wer außer ihnen als den wenigen Experten,<br />

die aufgrund ihrer Sprachkenntnisse noch Zugang<br />

zu den Originaltexten haben, wäre sonst für diese<br />

Aufgabe qualifiziert? Die bewusste Unterstellung<br />

der erforderlichen Kompetenz dürfte <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer solchen Aufgabe bei den Schülern die<br />

Bereitschaft stärken, den Anforderungen auch<br />

tatsächlich gerecht zu werden.<br />

III. Wie könnte es gehen?<br />

<strong>Der</strong> abschließenden Kurzvorstellung eines<br />

didaktischen Modells sei vorausgeschickt, dass<br />

die Lehrplankonformität der Unterrichtseinheit<br />

vom Genus der verwendeten Texte garantiert<br />

wird: Sie stammen fast sämtlich aus den Werken<br />

römischer Historiker und lassen sich daher<br />

leicht in einen Halbjahreskurs zur römischen<br />

Geschichtsschreibung integrieren, in dem auch<br />

das Thema „Imperialismus“ seit langem einen<br />

festen Platz hat. Darüber hinaus lässt sich mit<br />

der Unterrichtseinheit die Erörterung zweier philosophischer<br />

Fragen verbinden: der Frage nach<br />

dem Verhältnis zwischen Macht und Recht auf<br />

der zwischenstaatlichen Ebene und jener nach der<br />

Möglichkeit eines moralischen Fortschritts in der<br />

Geschichte. Gemäß dem Grundsatz, dass die Aktualisierung<br />

nicht zum Selbstzweck werden darf,<br />

dass also <strong>im</strong> Zentrum des Unterrichts die Lek-<br />

5


türe und Interpretation lateinischer Texte stehen<br />

muss, bietet es sich an, die intensivste Phase der<br />

Beschäftigung mit dem USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong><br />

in unterrichtsbegleitende Projekte auszulagern,<br />

deren Benotung bis zu 50% in die Teilnote für die<br />

sonstige Mitarbeit eingehen kann. <strong>Der</strong> Verfasser<br />

hat in einem Grundkurs gute Erfahrungen damit<br />

gemacht, nach dem Einstieg mit einem reißerischen<br />

Zeitungsartikel 20 mehrere Kleingruppen<br />

bilden zu lassen, in denen die Schüler neben dem<br />

eigentlichen Unterricht einen selbstgewählten<br />

Teilaspekt der Thematik (z.B. „extraterritoriale<br />

Machtausübung“; „Kulturexport/soft power“;<br />

„explizite Selbstberufung der frühen USA auf<br />

das antike <strong>Rom</strong> 21 in (a) Verfassungsdiskussion 22<br />

und (b) Architektur repräsentativer Gebäude“ 23 ,<br />

etc.) 24 zu untersuchen haben. Erst am Ende des<br />

Semesters sind zu einem vereinbarten Termin<br />

die Ergebnisse zu präsentieren, und zwar in den<br />

bewährten Formen einer schriftlichen Ausarbeitung<br />

und eines mündlichen Referats, ggf. auch<br />

einer Collage auf einer großen Pappe. Zusätzlich<br />

kann der Kurs bei ausreichendem Interesse ein<br />

„politisches Streitgespräch“ zwischen Befürwortern<br />

und Gegnern des <strong>Vergleich</strong>s vor der Schulöffentlichkeit<br />

inszenieren oder einen Beitrag für<br />

die Schülerzeitung verfassen.<br />

Eine große Hilfe bei der Textauswahl leistet<br />

die von ERNST BURY herausgegebene Quellensammlung<br />

„Domina <strong>Rom</strong>a“ von 1987. 25 Dort<br />

findet man, wenn auch für heutige Verhältnisse<br />

mit eher spärlichen Vokabelangaben und ohne<br />

kolometrische Lesehilfen und Abbildungen, u.<br />

a. die berühmten <strong>Rom</strong>kritiken eines CRITOGNA-<br />

TUS oder CALGACUS bei CAESAR (Gall. 7,77,3-16)<br />

bzw. TACITUS (Agr. 30-32), die, gekürzt oder ungekürzt,<br />

keinesfalls ausgelassen werden sollten. 26<br />

Wichtig ist, dass treu nach dem Motto Audiatur et<br />

altera pars die Segnungen römischer Herrschaft<br />

genauso ausführlich zur Sprache kommen. Als<br />

Spiegeltext zu Critognatus bietet sich für diesen<br />

Zweck eine um alle ereignisspezifischen Hinweise<br />

gekürzte Fassung der Rede an, die Tacitus<br />

den Feldherrn CERIALIS be<strong>im</strong> Bataveraufstand des<br />

Jahres 69/70 in Trier halten lässt (hist. 4,73 f.). 27<br />

Ihre Kernaussagen können sogar in einer Klausur<br />

Verwendung finden. Da die dort vorgebrachten<br />

Argumente die Replik eines wiederauferstande-<br />

6<br />

nen Critognatus geradezu herausfordern, ergibt<br />

sich hier zwanglos die Gelegenheit zu einer<br />

kreativen Schreibaufgabe. Weitergearbeitet<br />

werden kann auch, indem man der von Cerialis<br />

behaupteten politischen Partizipation der Unterworfenen<br />

nachgeht, entweder in unterhaltsamer<br />

Weise anhand der Karikatur eines romanisierten<br />

Galliers aus dem Asterix-Band „<strong>Der</strong> Kampf<br />

der Häuptlinge“ 28 oder ernsthafter anhand der<br />

Rede, mit der Kaiser CLAUDIUS <strong>im</strong> Jahr 48<br />

die Zulassung von Galliern zum cursus honorum<br />

begründete (Tacitus, ann. 11,24). 29 Wem<br />

letztere zu lang ist, der sollte stattdessen auf<br />

jene Spottverse zurückgreifen, mit denen der<br />

Volksmund einen ähnlichen Vorgang bereits zu<br />

Caesars Zeiten kommentierte: Gallos Caesar in<br />

triumphum ducit, idem in Curiam. | Galli bracas<br />

deposuerunt, latum clavum sumpserunt (SUETON,<br />

Div. Iul. 80). Zur Spiegelung der Calgacus-Rede<br />

verwende man am besten aus derselben Schrift<br />

den kurzen Bericht über das effektive <strong>Rom</strong>anisierungsprogramm<br />

AGRICOLAS (Agr. 21) 30 ,<br />

zumal dieses angesichts seiner ambivalenten<br />

Beurteilung durch den Autor die Aussagen der<br />

Rede nicht in jeder Hinsicht widerlegt und somit<br />

Anlass zu kontroversen Interpretationen geben<br />

kann.<br />

Unbedingt sollte wenigstens einmal <strong>im</strong><br />

Verlauf der Einheit die moralphilosophische<br />

Legit<strong>im</strong>ation der Herrschaft über Fremde zum<br />

Thema werden: Die Einsicht in antike Gerechtigkeitsprinzipien,<br />

nach denen Herrschaft mit der<br />

natürlichen Minderwertigkeit der Beherrschten<br />

legit<strong>im</strong>iert werden darf – wie es CICERO, rep.<br />

3,36 31 mit Blick auf das römische Imperium<br />

ganz selbstverständlich tut –, schärft den Blick<br />

für irreduzible Differenzen zwischen den Epochen.<br />

32 Schüler wenden hier gerne ein, dass der<br />

faktische Weltzustand einen etwaigen Fortschritt<br />

in den Ansichten über das, was sein sollte, ohnehin<br />

desavouiert. Dieser Einwand muss ernst<br />

genommen und offen diskutiert werden. Nach<br />

außen hin begründeten schließlich auch die<br />

Römer ihre bella iusta meistens auf andere<br />

Weise, etwa mit den Bündnisverpflichtungen<br />

gegenüber ihren amici und socii. Geradezu<br />

frappierend aktuell klingen die Worte, mit denen<br />

sich bei den Isthmischen Spielen des Jahres 196


v. Chr. begeisterte Griechen einen Re<strong>im</strong> auf die<br />

unerwartete Proklamation ihrer politischen Freiheit<br />

zu machen versuchten – und auf lange Sicht<br />

einer fatalen Fehleinschätzung unterlagen: esse<br />

aliquam in terris gentem, quae sua <strong>im</strong>pensa, suo<br />

labore ac periculo bella gerat pro libertate aliorum,<br />

nec hoc finit<strong>im</strong>is aut propinquae vicinitatis<br />

hominibus aut terris continentibus iunctis praestet,<br />

sed maria traiciat, ne quod toto orbe terrarum<br />

iniustum <strong>im</strong>perium sit, ubique ius, fas, lex<br />

potentiss<strong>im</strong>a sint (LIVIUS 33,33,4-8). 33 Wenn die<br />

Schüler <strong>im</strong> Anschluss an die Übersetzung solcher<br />

Texte sofort mit Parallelen bei der Hand sind,<br />

ist das Fingerspitzengefühl des Lehrers gefragt.<br />

Im Allgemeinen wird er spontane Diskussionen<br />

gewähren, aber nicht ausufern lassen, Emotionen<br />

mäßigen, sachliche Fehler korrigieren und<br />

auf die Möglichkeit einer weiteren Klärung bei<br />

der Projektpräsentation am Schluss der Einheit<br />

verweisen. Für die nötige Objektivität sorgen oft<br />

schon die unterschiedlichen Standpunkte, die in<br />

einer größeren Gruppe politisch interessierter<br />

Oberstufenschüler erfahrungsgemäß eingenommen<br />

werden.<br />

Es wurde oben bereits gesagt: Alle vorgeschlagenen<br />

Texte sollen in erster Linie als Dokumente<br />

sui generis gelesen und interpretiert werden.<br />

Ebenso wie bei der zuletzt genannten Stelle<br />

aus Livius die komplexe historische Situation 34<br />

und das spezielle Verhältnis zu den Griechen 35<br />

zumindest in Ansätzen nachgezeichnet werden<br />

müssen, ist <strong>im</strong> Fall der sog. Barbarenreden nach<br />

der besonderen Intention zu fragen, die der betreffende<br />

römische Historiker mit der Formulierung<br />

einer derart radikalen <strong>Rom</strong>kritik verfolgt. 36 Wenn<br />

das trotz aller didaktischen Reduktion hinlänglich<br />

geschieht, kann <strong>im</strong> Rahmen des USA-<strong>Rom</strong>-<br />

<strong>Vergleich</strong>s eine anspruchsvolle Beschäftigung<br />

mit lateinischer Literatur zustande kommen.<br />

Sollten sich darüber hinaus die verblüffenden<br />

Parallelen zwischen <strong>Antike</strong> und Gegenwart bei<br />

genauerem Hinsehen als Oberflächenphänomene<br />

verflüchtigen, so ist dies kein geringer Erkenntnisgewinn,<br />

lehrt doch bekanntlich erst der <strong>Vergleich</strong><br />

mit dem Anderen, die Eigenart des Eigenen zu<br />

begreifen.<br />

Anmerkungen:<br />

1) Vgl. z. B. Eakin, Emily, ‘It takes an empire,’ say several<br />

U.S. thinkers, The New York T<strong>im</strong>es 02.04.2002 (http:<br />

//www.uni-muenster.de/PeaCon/global-texte/g-m/n/<br />

empiretaking2.htm); Ross, Jan, <strong>Der</strong> neue Imperialismus,<br />

ZEIT 36/2003 (http://www.zeit.de/2003/36/Imperialismus).<br />

2) Zu diesem Schlagwort und seiner Herkunft aus den<br />

60er Jahren des 20. Jahrhunderts vgl. Peters, Werner,<br />

The Existential Runner: Über die Demokratie in Amerika,<br />

Eggingen 1992, 205-208; 419.<br />

3) Grundsätzliche Zweifel an der Tauglichkeit des Imperialismus-Begriffs<br />

und der Rede von den USA als dem<br />

neuen <strong>Rom</strong> <strong>im</strong> Zeitalter des globalisierten Kapitalismus<br />

äußert in Anlehnung an den von Michael Hardt<br />

und Antonio Negri entwickelten Begriff des „Empire“:<br />

Finzsch, Norbert, Von Wallerstein zu Negri: Sind die<br />

USA das ‚neue‘ <strong>Rom</strong>?, in: Sielke, Sabine (Hrsg.), <strong>Der</strong><br />

11. September 2001. Fragen, Folgen, Hintergründe,<br />

Frankfurt a. M. 2002, 159–171.<br />

4) Letzteres ist insofern nicht trivial, als es durchaus der<br />

Fall sein könnte, dass irgendwo auf dem weiten Feld<br />

der Verschwörungstheorien <strong>im</strong> Rahmen einer Theorie<br />

der translatio <strong>im</strong>perii die Kontinuität zwischen den<br />

USA und dem „alten <strong>Rom</strong>“ und damit auch ihre diachrone<br />

Identität behauptet wird. Die Argumente der<br />

Vertreter einer solchen Identitätsbehauptung näher zu<br />

untersuchen wäre gewiss nicht ohne Reiz.<br />

5) Das Verhältnis der Ähnlichkeit unterscheidet sich<br />

bekanntlich dadurch von dem der Gleichheit, dass es<br />

wegen der unscharfen Grenzen zwischen dem gerade<br />

noch Ähnlichen und bereits Unähnlichen nicht notwendigerweise<br />

die Bedingung der Transitivität<br />

erfüllt. Eine Beschränkung auf die stärkere Gleichheitsrelation<br />

<strong>im</strong> vorliegenden Fall würde es <strong>im</strong>merhin<br />

ermöglichen, empirisch gehaltvolle Aussagen zu formulieren,<br />

die sich falsifizieren lassen. Wenn nämlich<br />

schon die Gleichheitsrelation in einigen basalen<br />

Hinsichten – <strong>Rom</strong> und die USA waren/sind Staaten,<br />

führ(t)en Kriege etc. – trivialerweise vorliegt, so gilt<br />

dies in sehr viel stärkerem Maße für die schwächere<br />

Ähnlichkeitsrelation. Da sich außerdem die meisten<br />

Ähnlichkeitsbehauptungen einer Falsifikation entziehen,<br />

drohte der <strong>Vergleich</strong> bei deren Zulassung ins<br />

Beliebige abzurutschen.<br />

6) Vgl. dazu das bekannteste Dokument aus den Jahren<br />

1787/88: Hamilton, Alexander/Madison, James/Jay,<br />

John, Die Federalist Papers, übersetzt, eingeleitet und<br />

mit Anmerkungen versehen von Barbara Zehnpfennig,<br />

Darmstadt 1993 (WBG), und die Bemerkungen Ulrich<br />

Greiners <strong>im</strong> FORUM CLASSICUM 2/2000, 89–92. Umfassend<br />

zur Rezeption der klassischen <strong>Antike</strong> in den USA<br />

informiert: Buschendorf, Christa, Art. „United States<br />

of America“, I.-III., in: DNP 15/3 (2003), 833-875,<br />

bes. 838-848 zur Bedeutung antiker Vorbilder bei den<br />

Gründervätern.<br />

7


7) Vgl. Köster, Baldur, Palladio in Amerika. Die Kontinuität<br />

klassizistischen Bauens in den USA, München 1990<br />

(Prestel). Exemplarisch sei hier nur auf das architektonische<br />

Werk Thomas Jeffersons (1743–1826) verwiesen,<br />

zu dem u. a. das nach einem römischen Podientempel<br />

in Nîmes, dem 14 n. Chr. entstandenen Maison Carrée,<br />

gestaltete Virginia State Capitol gehört. Zu Jefferson<br />

vgl. die auch für Schülerhände geeignete Bildmonographie:<br />

Nicolaisen, Peter, Thomas Jefferson, Reinbek<br />

bei Hamburg 1995 (rowohlt).<br />

8) Vgl. Bender, Peter, Weltmacht Amerika – Das neue<br />

<strong>Rom</strong>, Stuttgart 2003 (Klett-Cotta), 19.<br />

9) Martin Kilian in der Weltwoche.ch 40/2002 (http:<br />

//www.weltwoche.ch/ressort_bericht.asp?asset_<br />

id=2200&category_id=59).<br />

10) Vgl. Franz, Angelika, Imperium USAnum, Stern<br />

14.03.2002; Das Streiflicht, SZ 24.03.2003. Lesenswert<br />

ist auch der in „Quo Vadis“ (Schülerzeitung des<br />

Lise-Meitner-Gymnasiums Falkensee), Nr. 39, 12/<br />

2001 (http://www.vadis.de/archiv/0112/011223.html)<br />

erschienene Artikel „Pompeius Magnus und George<br />

W. Bush“ von StR Georg Uehlein, der, ausgehend von<br />

der Parallelisierung des 11. Septembers mit der sog.<br />

Vesper von Ephesos <strong>im</strong> Jahr 88 v. Chr., die Problematik<br />

des Afghanistan-Feldzuges erörtert. Mit den<br />

Spannungen <strong>im</strong> Verhältnis zwischen Europäern und<br />

Amerikanern befasst sich auf hohem Niveau anhand<br />

von Zitaten aus den bei Polybios überlieferten Debatten<br />

der Griechen <strong>im</strong> Jahr 196 v. Chr.: Bender, Peter,<br />

Als die Griechen frech geworden, ZEIT 41/2002.<br />

11) Vgl. z. B. Bender, Peter, Wird Amerika das <strong>Rom</strong><br />

unserer Zeit?, Freitag 28.09.2001 (http://www.freitag.de/2001/40/01401101.php);<br />

Bollmann, Ralph, Ist<br />

Amerika das neue <strong>Rom</strong>?, TAZ Magazin 31.08.2002;<br />

Freedland, Jonathan, <strong>Rom</strong>e, AD ... <strong>Rom</strong>e, DC?, The<br />

Guardian 18.09.2002 (http://www.guardian.co.uk/<br />

usa/story/0,12271,794163,00.html), als „Is America<br />

the new <strong>Rom</strong>e?“ übernommen von Spotlight („Das<br />

aktuelle Magazin in Englisch“) 12/2002.<br />

12) Vgl. oben Anm. 8. Bender hatte schon ein ganzes Jahr<br />

vor dem 11.09.2001 <strong>im</strong> Merkur-Sonderheft „Europa<br />

oder Amerika? Zur Zukunft des Westens“ den USA-<br />

<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> zur Analyse der amerikanischen<br />

Hegemonie herangezogen. Alle wesentlichen Thesen<br />

des Buches enthält <strong>im</strong> Übrigen bereits sein in der<br />

vorangehenden Anmerkung zitierter Artikel.<br />

13) Vgl. die Zusammenfassungen bei: http://www.perlentaucher.de/buch/14744.html.<br />

14) „... So geht es nicht.“ Ludwig Stiegler sagte dies<br />

in einem Interview am 06.09.2002. Datum und<br />

Wortlaut der Äußerung entnehme ich: http://www.ntv.de/3063846.html.<br />

Welchen Wirbel Stieglers Worte<br />

auslösten, dokumentiert die hohe Zahl der meist<br />

englischsprachigen Treffer, wenn man die Begriffe<br />

„Stiegler, Bush, Augustus, Germania“ in eine Internet-<br />

Suchmaschine eingibt.<br />

15) Schmidt, Helmut, Freunde ohne Ziele [Leitartikel zum<br />

40. Jahrestag des Elysée-Vertrages], ZEIT 04/2003<br />

(http://www.zeit.de/2003/04/01_Leit_2_schmidt).<br />

8<br />

Vgl. dens., Europa braucht keinen Vormund, ZEIT<br />

32/2002 (http://www.zeit.de/archiv/2002/32/200232_<br />

unilateral.xml).<br />

16) Vgl. Gibbon, Edward, The Decline and Fall of the<br />

<strong>Rom</strong>an Empire, An abridged Version, ed. by D. E.<br />

Saunders, London 1980 (Penguin), 27: „In the second<br />

century of the Christian era the empire of <strong>Rom</strong>e<br />

comprehended the fairest part of the earth and the<br />

most civilized portion of mankind. ... The gentle but<br />

powerful influence of law and manners had gradually<br />

cemented the union of the provinces. Their peaceful<br />

inhabitants enjoyed and abused the advantages of<br />

wealth and luxury.“<br />

17) Vgl. Kleine-Brockhoff, Thomas, Amerikas gütige<br />

Hegemonie, ZEIT 17/2002 (http://www.zeit.de/2002/<br />

17/Kultur/print_200217_amerika.html).<br />

18) Dass ein eingefleischter Bushist diese Haltung vermutlich<br />

anders beurteilen würde, sei unumwunden<br />

zugegeben. Übrigens zwingt auch umgekehrt die<br />

Ablehnung des <strong>Vergleich</strong>s nicht zu einer proamerikanischen<br />

Haltung, ja sie wäre sogar mit dem unerfüllbaren<br />

(?) Wunsch kompatibel: „Wären die USA doch<br />

nur das neue <strong>Rom</strong>!“ Paradoxerweise schließt Bender<br />

sein Buch mit einem ähnlichen Wunsch.<br />

19) Es wäre z. B. schon viel erreicht, wenn die Schüler<br />

die historischen Fehler in der oben zitierten Bemerkung<br />

Ludwig Stieglers (vgl. Anm. 14) erkennten, auf<br />

die Karl Christ in der FAZ vom 13.09.2002 in einem<br />

Interview mit Jürgen Kaube hingewiesen hat.<br />

20) Franz, Angelika, Imperium USAnum (Anm. 10). Statt<br />

eines Textes kann natürlich auch eine provokative und<br />

aussagekräftige Abbildung zum Einstieg dienen, z.B.<br />

die Titelseite von Spotlight 12/2002 (Anm. 11), auf der<br />

die Freiheitsstatue als Legionär mit scutum und gladius<br />

zu sehen ist, oder die Karikatur von George W. Bush<br />

als waffenstarrendem antiken Krieger, gezeichnet von<br />

David Levine in: The New York Review of Books, Vol.<br />

49,3, 28.02.2002, 1 u. 44 (erneut abgedruckt ebd., Vol.<br />

50,15, 09.10.2003, 8).<br />

21) Dass die frühe Selbstberufung auf das antike <strong>Rom</strong><br />

<strong>im</strong> Gesamtkontext eines aufklärerischen Klassizismus<br />

weniger <strong>im</strong>periale als republikanische Ideale<br />

zum Ausdruck bringt, überrascht nur denjenigen<br />

nicht, der bereits über entsprechende Kenntnisse der<br />

Kunstgeschichte verfügt. Für die Schüler gibt es hier<br />

<strong>im</strong> Kontrast zur Stoßrichtung des aktuellen <strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong>s<br />

wichtige Entdeckungen zu machen.<br />

22) Man gebe den Schülern z. B. eine deutsche Übersetzung<br />

der Federalist Papers (vgl. Anm. 6) in die Hand<br />

und lasse sie mit Hilfe des Registers sämtliche Stellen,<br />

an denen <strong>Rom</strong> vorkommt, abarbeiten. Auf diese Weise<br />

werden sie u. a. herausfinden, dass die Autoren als<br />

Lektion aus den römischen Bürgerkriegen stehende<br />

Heere verbieten. Dass dieses Verbot, das sich mit dem<br />

3. Präl<strong>im</strong>inarartikel in Immanuel Kants Schrift „Zum<br />

ewigen Frieden“ von 1795 deckt, de facto aufgegeben<br />

wurde, mag man je nach Standpunkt bedauern oder<br />

begrüßen. Zum <strong>Vergleich</strong> der Verfassungen vgl. unten<br />

Anm. 32.


23) <strong>Der</strong> Architekturvergleich dürfte vor allem künstlerisch<br />

begabte Schüler interessieren, zumal hier die<br />

Präsentation der Ergebnisse ohne eine großzügige<br />

Visualisierung gar nicht auskommt. Reichhaltiges<br />

Bildmaterial findet sich bei Köster (Anm. 7); populärwissenschaftlich<br />

aufbereitete Informationen über<br />

Vitruv bietet: Albig, Jörg-Uwe, Die Macht aus dem<br />

Stein, in: GEO Epoche Nr. 5: Das römische Imperium,<br />

4/2001, 96-99. Im Rahmen des Projekts können<br />

bequem die klassischen Säulenordnungen wiederholt<br />

oder auch eingeführt werden.<br />

24) Weitere Themen für die Projektarbeit bieten z. B. die<br />

folgenden Aspekte: „Religion und Politik“, „Wahlen<br />

und Geld“, „öffentliche Wohlfahrt und private Spenden“.<br />

Bei der Suche nach Material erweist sich wegen<br />

der Aktualität des Themas die Arbeitstechnik der<br />

Internet-Recherche als unverzichtbar; das Erstellen<br />

einer Liste mit einschlägigen URL könnte sogar ein<br />

eigenes Projekt sein.<br />

25) Domina <strong>Rom</strong>a. Lateinische Quellentexte zum römischen<br />

Imperialismus, ausgewählt und erläutert von<br />

Ernst Bury, Stuttgart 1987 (Klett).<br />

26) Die Texte, einschließlich des sog. Mithridates-Briefes<br />

(Sallust, hist. frg. 69), bei Bury a.a.O. 35–39. Die<br />

berühmte Sentenz Ubi solitudinem faciunt, pacem<br />

appellant (Tac. Agr. 30,5) zitieren nicht selten die Kritiker<br />

amerikanischer Macht, z.B. Noam Chomsky. Man<br />

gebe die Worte einmal in eine Internet-Suchmaschine<br />

ein!<br />

27) <strong>Der</strong> Text bei Bury a.a.O. 18f. Zum Bataveraufstand <strong>im</strong><br />

Rahmen des <strong>Rom</strong>anisierungsprozesses vgl. Krausse,<br />

Dirk, Als die Gallier Römer wurden, in: Spektrum der<br />

Wissenschaft 2/2003, 72–79.<br />

28) Uderzo/Goscinny, <strong>Der</strong> Kampf der Häuptlinge<br />

(Großer Asterix-Band IV), Stuttgart 1969 (franz.<br />

Erstveröffentlichung: Paris 1966), 8. Zum historischen<br />

Wahrheitsgehalt der Darstellung des wohlhabenden<br />

Gallo-Römers Augenblix vgl. van Royen, René/van<br />

der Vegt, Sunnyva, Asterix. Die ganze Wahrheit,<br />

München 1998 (Beck), 70–73.<br />

29) Zu dieser Rede und ihrem inschriftlich überlieferten<br />

Original vgl. von Albrecht, Michael, Meister römischer<br />

Prosa. Von Cato bis Apuleius. Interpretationen,<br />

Tübigen und Basel 1995 (UTB), 164–189.<br />

30) Die Erschließung des nicht ganz leichten Textes kann<br />

zunächst durch die Sammlung zentraler Begriffe (z.B.<br />

templa, fora, artes liberales, eloquentia, balinea, convivia)<br />

erfolgen, die herausgeschrieben und nach Sachgruppen<br />

(Architektur, Bildung, Lebensstil) geordnet werden.<br />

In einem zweiten Schritt werden den Begriffen und<br />

Sachgruppen dann die <strong>im</strong> Text enhaltenen Bewertungen<br />

(saluberr<strong>im</strong>is consiliis, per voluptates, descensum<br />

ad delen<strong>im</strong>enta vitiorum etc.) gegenübergestellt.<br />

31) <strong>Der</strong> Text, den Augustinus, civ. 19,21 überliefert, bei<br />

Bury a.a.O. 21.<br />

32) Zur Veranschaulichung der normativen Differenz kann<br />

auch ein Blick auf die schematischen Darstellungen<br />

von Staatsverfassungen in den Geschichtsbüchern<br />

lohnen: Während die Verfassungen moderner Staaten<br />

durch die Prinzipien der Volkssouveränität und der<br />

Gewaltenteilung gekennzeichnet sind, herrschen in der<br />

„Verfassung“ der römischen Republik unsystematische<br />

Abhängigkeitsverhältnisse zwischen diversen<br />

Ämtern und Organen. Letztere soll anders als die<br />

ersteren eben nicht die größtmögliche Freiheit rechtsgleicher<br />

Individuen verwirklichen, sondern konfligierende<br />

Interessen gesellschaftlich relevanter Gruppen<br />

(Frauen und Sklaven gehören erst gar nicht dazu!) zum<br />

Ausgleich bringen. Als gleichsam institutionalisierte<br />

Machtbalance ist sie die Summe geschriebener wie<br />

ungeschriebener Verfahrensregeln und bedarf daher<br />

auch keiner autoritativen Gründungsurkunde, die<br />

als Gesellschaftsvertrag einen fiktiven Naturzustand<br />

beendet.<br />

33) <strong>Der</strong> Text bei Bury a.a.O. 21. Mit der Fremddeutung<br />

römischer Außenpolitik nach dem Sieg über Philipp<br />

V. vgl. sprachlich die Selbstdeutung amerikanischer<br />

vor dem 1. Krieg gegen Saddam Hussein durch<br />

George Bush sen. in seiner State of the Union-Rede<br />

vom 29.01.1991: „Halfway around the world, we are<br />

engaged in a great struggle [against Iraq] in the skies<br />

and on the seas and sands. We know why we’re there:<br />

We are Americans, part of something larger than<br />

ourselves. For two centuries, we’ve done the hard<br />

work of freedom. And tonight, we lead the world in<br />

facing down a threat to decency and humanity. What is<br />

at stake is more than one small country; it is a big idea:<br />

a new world order, where diverse nations are drawn<br />

together in common cause to achieve the universal aspirations<br />

of mankind – peace and security, freedom, and<br />

the rule of law.“ (Zitiert nach: http://www.clas.ufl.edu/<br />

users/mjacobs/AMH2020/Documents/Bush.html)<br />

34) Vgl. dazu auch den oben in Anm. 10 zitierten Artikel<br />

Benders.<br />

35) Falls in einem anderen Zusammenhang bereits Plinius,<br />

epist. 8,24 oder Cicero, ad Q. fr. 1,1,27-30 gelesen<br />

wurde, kann darauf zurückverwiesen werden.<br />

36) Zur Rede des Critognatus vgl. die Interpretation bei:<br />

Maier, Friedrich, Caesar – Bellum Gallicum. <strong>Der</strong><br />

Typus des Machtmenschen. Lehrerkommentar, Bamberg<br />

2000 (C.C. Buchner), 160–166. Überhaupt lassen<br />

sich an den fingierten Reden, die zahlenmäßig unter<br />

den vorgeschlagenen Texten dominieren, wesentliche<br />

Charakteristika der antiken Historiographie erarbeiten.<br />

<strong>Burkhard</strong> <strong>Reis</strong>, Hamburg<br />

9


Jacobus Balde (1604-1668)<br />

eine kurze Würdigung des Dichters zum 400. Geburtstag<br />

Wer sich vor etwa 350 Jahren in Europa nach<br />

dem berühmtesten Dichter Deutschlands umgehört<br />

hätte, der hätte wohl nicht die Namen zu<br />

hören bekommen, die uns heute die wichtigsten<br />

scheinen: GRYPHIUS, GRIMMELSHAUSEN, PAUL<br />

GERHARDT ... Ihrer aller Ruhm wäre überstrahlt<br />

worden von dem eines bayerischen Jesuiten,<br />

der in der damals ja weltweit gepflegten lateinischen<br />

Sprache dichterische Werke schuf, die<br />

überall Aufsehen erregten und sogar von Protestanten<br />

bewundert wurden: JACOBUS BALDE. Erst<br />

mit dem Niedergang der lateinischen Poesie in<br />

Deutschland begann auch sein Ruhm zu verblassen.<br />

Doch blieb ihm der Name des „deutschen<br />

Horaz“; und JOHANN GOTTFRIED HERDER, der auch<br />

sein bekanntester Übersetzer wurde, hat ihn als<br />

„Dichter Deutschlands für alle Zeiten“ seinen<br />

Landsleuten ans Herz gelegt.<br />

1604 <strong>im</strong> elsässischen Ensishe<strong>im</strong> geboren,<br />

kommt Balde als junger Mann an die Universität<br />

Ingolstadt, ins geistige Zentrum des katholischen<br />

Deutschlands, wo er als Jurastudent mit zwanzig<br />

Jahren eine spektakuläre Bekehrung erlebt, die<br />

später vielfach von anderen in Lyrik und Drama<br />

ausgestaltet wird. Als in einer Maiennacht seine<br />

einer schönen Bäckerstochter dargebrachte Serenade<br />

ohne Wirkung bleibt, zerschmettert er, von<br />

der Nichtigkeit der Welt urplötzlich durchdrungen,<br />

seine Laute mit dem Vers: „Sei’s des Liedes<br />

genug: Sprenge das Saitenspiel!“ (cantatum satis<br />

est: frangito barbiton) – und wird alsbald Jesuit.<br />

Wegen seiner poetischen und rhetorischen Fähigkeiten<br />

macht er dann als Gymnasiallehrer, vor<br />

und nach dem Theologiestudium (1630-1632),<br />

rasche Ordenskarriere in München, Innsbruck<br />

und Ingolstadt (wo er zugleich auch Mitglied<br />

der Universität ist).<br />

Schon seine frühesten dichterischen Versuche<br />

führen ihn durch den ganzen Kosmos der antiken<br />

Dichtungsgattungen, denen er sich sämtlich<br />

gewachsen fühlt: In einem fürs Münchner<br />

Gymnasium verfassten Jugendwerk (von 1628)<br />

werden Episoden des damals zehn Jahre alten<br />

Dreißigjährigen Krieges <strong>im</strong> Stil und Versmaß<br />

von zwölf verschiedenen altrömischen Dichtern<br />

(VERGIL, HORAZ, OVID usw.) besungen, wobei<br />

10<br />

Balde die Ereignisse von einem unkatholischen,<br />

ja antik-heidnischen Standpunkt aus wahrn<strong>im</strong>mt:<br />

So beruft sich etwa Kurfürst MAXIMILIAN, der in<br />

der Schlacht am Weißen Berg ja in Wirklichkeit<br />

mit der Parole „Maria“ gesiegt hatte, bei Balde<br />

auf den Willen der „Götter“ (superi).<br />

Ersten deutschlandweiten Ruhm bringen dann<br />

nicht die nach dem Willen des Ordens verfassten<br />

offiziellen Auftragsgedichte <strong>im</strong> klassischen<br />

Stil, auch nicht verschiedene aus Prosa und Vers<br />

auf eigene Faust gemischte Formexper<strong>im</strong>ente,<br />

sondern ein eher volkstümliches, lateinischdeutsches,<br />

in deutscher Sprache sogar singbares<br />

Lied „De vanitate mundi“ (1636), in dem die<br />

„Eitelkeit der Welt“, ein Modethema der Zeit, in<br />

hundert Strophen originell und mit viel Humor<br />

vom Standpunkt eines christlichen Platonismus<br />

aus durchgehechelt wird. Dichterisch noch<br />

bedeutender ist, auch wenn dieses Werk weniger<br />

populär wurde, Baldes urkomische Fassung des<br />

pseudohomerischen „Froschmäusekriegs“ (Batrachomyomachia),<br />

der in vielfacher Weise den<br />

großen Krieg, der Bayern an den Rand seiner<br />

Existenz bringt, <strong>im</strong> Kleinen wiederspiegelt. Von<br />

der Not des Kriegs spricht auch die von Balde<br />

verfasste, 1970 zur Einweihung der U-Bahn<br />

wiederhergestellte, Inschrift auf der Münchner<br />

Mariensäule, deren Einweihung er 1638 mit einer<br />

gewaltigen Ode begleitet.<br />

Schon 1637 war er ja auf Betreiben von Kurfürst<br />

Max<strong>im</strong>ilian, dem überragenden katholischen<br />

Staatsmann der Zeit, wieder nach München geholt<br />

worden, wo er bald das Amt des Hofpredigers und<br />

(leider) auch Hofhistoriographen zu versehen<br />

hatte: Max<strong>im</strong>ilian erwartete eine in seinem Sinn<br />

geschriebene bayerische Geschichte, ein Projekt,<br />

an dem schon andere gescheitert waren und das<br />

den wahrheitsliebenden und höchst reizbaren<br />

Literaten Balde in manche Konflikte brachte.<br />

Dieser allerhöchste Auftrag musste ihm umso<br />

lästiger sein, als in den ersten Münchner Jahren<br />

sein speziell dichterisches Talent zur mächtigsten<br />

Entfaltung drängte. 1643 erscheint in München<br />

ein lyrisches Großcorpus, wie es die Welt in<br />

lateinischer Sprache noch nicht gesehen hatte:<br />

In vier Büchern „Lyrica“, einem Buch „Epodi“


und sieben (später auf neun erweiterten) Büchern<br />

„Sylvae“ („Wäldern“) stellte er in den Maßen und<br />

Formen des Klassikers HORAZ die Empfindungen<br />

und Probleme seines aufgewühlten Zeitalters so<br />

umfassend und vollendet dar, dass ihm von nun<br />

an der Beifall auch aller Gebildeten in Europa<br />

sicher war.<br />

Von den Themenbereichen, die Horaz einst<br />

berührt hatte – Politik, Freundschaft, Religion,<br />

Literatur, Lebensweisheit und Geselligkeit – fehlt<br />

naturgemäß nur die Erotik, die aber wunderbar<br />

aufgehoben und subl<strong>im</strong>iert ist in Baldes Marienlyrik,<br />

die <strong>im</strong>mer als ein Höhepunkt seines<br />

Schaffens angesehen wurde. Von der demütigsten<br />

Verehrung bis zu einer fast schäkernden<br />

Vertraulichkeit geht hier die Skala der Töne, die<br />

besonders auch in deutscher Sprache (in dem<br />

schon 1638 gedichteten „Ehrenpreiß“) sehr<br />

innig werden können. So z. B. wenn er, der erst<br />

Vierunddreißigjährige, sich der Gottesmutter für<br />

seine dermaleinst letzte Stunde anempfiehlt und<br />

sie darum bittet, ihm, an Stelle der heidnischen<br />

Parzen, persönlich den Lebensfaden abzuschneiden:<br />

Wann nun geschwächt seind all fünf Sinn,<br />

Die umbstehend Rott wird sagen:<br />

Jetzt hat ers gar, jetzt ist er hin,<br />

Man merkt kein Puls mehr schlagen:<br />

Dein schöne Hand, Dein milde Hand,<br />

O Mutter meines Lebens,<br />

Schneid oder halt, gleich wies dir gfallt,<br />

Sonst ist es alls vergebens.<br />

Die als derb empfundene Intensität solcher<br />

Verse, die man sich in bayerischem, vielleicht<br />

auch noch alemannischem Tonfall gesprochen zu<br />

denken hat und die sich jedenfalls der damals von<br />

Norddeutschland ausgehenden Regulierung der<br />

deutschen Dichtersprache nicht fügte, ging schon<br />

seinen Ordensoberen entschieden zu weit; und so<br />

gilt Balde bis heute meist als schlechter deutscher<br />

Dichter, wohl kaum zu Recht.<br />

Nach München gehört auch der zunächst<br />

(1638) nur lateinisch, dann lateinisch-deutsch<br />

bearbeitete „Agathyrsus“, ein paradoxes Loblied<br />

auf die Magerkeit, die in Zeiten der Hungersnot<br />

minder beliebt war und, wie bekanntlich schon<br />

der von Balde bewunderte RUBENS zeigt, auch<br />

nicht unbedingt als schön empfunden wurde.<br />

Sie war von Hause ein Ideal des christlichplatonischen<br />

Asketen, der um der Ausrichtung<br />

auf Gott und Jenseits willen den Sinnenfreuden<br />

abschwört. Balde aber, ein Bußprediger <strong>im</strong> Narrenkostüm,<br />

tut lustigerweise so, als komme es nur<br />

auf dieses Nebenergebnis der Askese, eben auf<br />

die Magerkeit, an; und so lässt er etwa bei seiner<br />

Darstellung des Jüngsten Gerichts Gott seine Entscheidung<br />

über Gut und Böse, H<strong>im</strong>mel und Hölle<br />

nach dem schieren Körpergewicht treffen:<br />

Hinab mit dir, speckfeiste Rott,<br />

<strong>Der</strong> Schmaus nit länger währet,<br />

Welche den Bauch als ihren Gott<br />

Mit Knobloch hie verehret.<br />

Back dich, du Sack, mit Sack und Back<br />

Hinab in d’ ander Kuchen!<br />

Die selig Schar, die dürr vor war,<br />

Jetzt Gottes Speis versuchen.<br />

Balde übersteigert den grotesken Humor dieses<br />

Schlankheitsfanatismus noch, wenn er schließlich<br />

als Spiel seiner Phantasie einen förmlichen, nach<br />

dem Vorbild der Jesuiten organisierten religiösen<br />

Magerkeitsorden stiftet – die dessen Statuten<br />

enthaltende Handschrift wurde erst kürzlich von<br />

HELMUT ZÄH in der Münchner Staatsbibliothek<br />

entdeckt –, einen Mönchsorden, der <strong>im</strong> Gegensatz<br />

zu allen bisherigen nicht der Sorge um die Seele,<br />

sondern nur der lebenslangen Körperpflege, d. h.<br />

eben der (angeblich durch den Sündenfall beeinträchtigten)<br />

Magerkeit gewidmet sein soll. Da es<br />

ausschließlich nur um diese geht, darf und soll in<br />

diesem Orden von den Berufenen und der Gnade<br />

der Dürrheit Teilhaftigen sogar hemmungslos,<br />

ja wettbewerbsmäßig gefuttert werden – sofern<br />

nur eben keine Gewichtzunahme eintritt. Welch<br />

utopisches Paradies auch für Vollschlanke von<br />

heute! Unzweifelhaft real war dagegen ein aus<br />

Begeisterung für Baldes „Agathyrsus“ entstandener<br />

Münchner „Club der Mageren“ (Congregatio<br />

Macilentorum), der, vielleicht analog zu<br />

modernen Karnevalsgesellschaften, als eine Art<br />

Fastenverein offenbar asketische Ziele verfolgte<br />

und dessen Vorsitzender der dünne Dichter selbst<br />

mehrere Jahre lang war (als Mitglieder werden<br />

11


nobelste Münchner genannt). Hier sollen, nach<br />

den freilich grotesk übersteigerten Zeugnissen in<br />

Baldes Lyrik, Abmagerungskuren mit schaurigen<br />

Diäten (aus Hummerschalen etc.) veranstaltet<br />

worden sein – fast zwei Jahrhunderte vor dem<br />

molligen Lord BYRON, der sich, natürlich ohne<br />

Balde zu kennen, als erster wieder (mit Essigwasser)<br />

auf die Idealmaße eines romantischen<br />

Dichters herunterhungerte.<br />

Rücksichtnahme auf seine angeschlagene<br />

Gesundheit nötigt Balde, einige Zeit, nachdem der<br />

große Krieg endlich zum ersehnten Ende gekommen<br />

ist, seine Münchner Ämter aufzugeben.<br />

Aber auch als Prediger in Landshut und Amberg<br />

(1650-1654) bleibt er unermüdlich schöpferisch.<br />

Nach dem lyrischen Jahrzehnt fesselt ihn<br />

nun zunächst die satirische Dichtung, die er für<br />

besonders schwierig und nur dem reiferen Dichter<br />

für zugänglich hält. In „Ruhm der Heilkunst“<br />

(Medicinae gloria) von 1651 rechnet er <strong>im</strong> Geiste<br />

des giftigen Spötters JUVENAL höchst erfolgreich<br />

mit allerlei Humbug der zeitgenössischen Medizin<br />

und Quacksalberei ab. Noch berühmter wird,<br />

vor allem dank einer kongenialen deutschen<br />

Bearbeitung durch SIGMUND VON BIRKEN, Baldes<br />

satirisches Hohnlied auf das Tabakrauchen, „Die<br />

Truckene Trunckenheit“ (Satyra contra abusum<br />

tabaci). Trotz ihrem burlesken Humor sollte diese<br />

Satire keineswegs als rein ironisch interpretiert<br />

werden, und die Gesundheitsminister der EU<br />

könnten sie für ihre Aufklärungsarbeit durchaus<br />

mit Gewinn verwenden.<br />

Dann aber wendet sich Balde vor allem dem<br />

Schauspiel zu, das von den Jesuiten ja <strong>im</strong>mer<br />

besonders gepflegt wurde. In Neubearbeitung<br />

eines schon früher aufgeführten Dramas schafft er<br />

nun die monumentale Tragödie „Jephtias“ (1654),<br />

das Drama des jüdischen Heerführers Jephte,<br />

der aus Gehorsam gegen Gott die eigene Tochter<br />

opfern muss, ein Stück, durch das er, gegen<br />

den herrschenden Zeitgeschmack, das deutsche<br />

Jesuitentheater mit seinen oft vordergründigen<br />

Bühnenspektakeln durch Rückbesinung auf<br />

die Grundsätze der klassisch antiken Ästhetik<br />

zu reformieren sucht. Ohne großen Erfolg: Das<br />

herrliche, wohl alle Barockdramen Deutschlands<br />

übertreffende Werk, zu dessen Chorpartien sogar<br />

Noten existieren, ist in dieser Fassung bis heute<br />

12<br />

noch nicht uraufgeführt worden. Es würde allerdings,<br />

ungekürzt, fast zehn Stunden dauern.<br />

In seiner letzten Lebensperiode, in der Balde<br />

am Hof des Pfalzgrafen in Neuburg an der Donau<br />

als Prediger und Beichtvater wirkt (1654-1668),<br />

rundet er, wenn wir von vielen anderen Dichtungen<br />

absehen, sein Lebenswerk, in dem er<br />

bis dahin schon fast alle Formen antiker Poesie<br />

belebt und um neue Erfindungen vermehrt hatte,<br />

durch einen <strong>im</strong> Stil des elegischen OVID verfassten<br />

erotischen Briefroman „Urania victrix“<br />

(„Siegreiche Urania“). Dessen erster Teil, der<br />

der einzige bleiben sollte, wurde 1664 herausgegeben<br />

und alsbald vom Papst persönlich mit<br />

einer Goldmedaille ausgezeichnet. Urania ist<br />

die für den H<strong>im</strong>mel (griech.: uranós) best<strong>im</strong>mte<br />

menschliche Seele, die sich – ein Lebensthema<br />

Baldes – den Verführungen der Sinnlichkeit zu<br />

entziehen sucht. Dies wird, in Form der Allegorie,<br />

so dargestellt, dass sich die fünf Sinne persönlich<br />

als Freier um die von ihnen zur Braut erkorene<br />

Urania in Versbriefen bewerben, wobei sie jeweils<br />

von Adlaten unterstützt werden, der Gesichtsinn<br />

(Visus) etwa von einem Maler, der Gehörsinn<br />

(Auditus) von einem Musiker usw. So kommen<br />

alle möglichen Künste und Wissenschaften ins<br />

Spiel; und es entsteht ein buntes Panorama der<br />

damaligen Welt, als zeitgemäßer Verkörperung<br />

jener „Welt“, die Christus überwunden hat. Er<br />

und kein anderer ist ja der h<strong>im</strong>mlische Bräutigam,<br />

um dessentwillen Urania ihre aufdringlichen<br />

Freier, oft schnippisch und mit viel Humor und<br />

Schalkhaftigkeit, zurückschmettert, wobei sie sich<br />

besonders entschieden gegen den allzu handgreiflich<br />

werdenden Tastsinn (Tactus) zur Wehr setzt:<br />

Er verkörpert in der Gestalt eines Soldaten die<br />

Verführungskraft ungestümer Sexualität, und so<br />

wird er von Urania, seinem Opfer, als der Teufel<br />

persönlich demaskiert. Baldes Sprache geht hier<br />

in ihrer Unz<strong>im</strong>perlichkeit an die Grenzen dessen,<br />

was in Jesuitendichtung möglich war. Was die<br />

Sache angeht, so bekennt sich der für Erotik so<br />

empfängliche Dichter erneut zu dem nie bereuten<br />

Entschluss jener Ingolstädter Maiennacht. Er<br />

soll sich, sagt die alte Chronik von Neuburg, in<br />

seiner letzten Lebenszeit fast nur noch mit der<br />

Meditation seines Wegs zum Jenseits beschäftigt<br />

haben.


In einer Ode hat Balde einmal, den demütig<br />

christlichen Wunsch geäußert, „ganz begraben<br />

zu sein“ (tumulerque totus), d. h. auch nicht<br />

<strong>im</strong> Nachruhm fortzuleben – ein Wunsch, der<br />

nicht nur <strong>im</strong> deutlichen Gegensatz zu seinem<br />

Vorbild HORAZ steht, sondern dem auch andere<br />

Äußerungen, vor allem in seiner poetologischen<br />

Hauptschrift „Über das dichterische Bemühen“<br />

(De studio poetico), widersprechen. Aus ihr, der<br />

mit Abstand originellsten Barockpoetik wohl<br />

nicht nur Deutschlands, geht hervor, wie hoch<br />

die Ansprüche sind, die Balde an sein Schaffen<br />

stellte, und wie sehr er, indem er ihnen entsprach,<br />

glaubte, Bleibendes geleistet zu haben: als poeta<br />

(d. h. „Macher“) gleichsam ein zweiter Gott,<br />

der aus dem Schatzhause des Hirns, wie jener<br />

aus dem Nichts, eine neue Welt erschafft. Die<br />

Bewunderung für diese Leistungen Baldes und<br />

der Genuss an seinen Werken ist nicht völlig an<br />

die Übereinst<strong>im</strong>mung mit seiner katholischen<br />

Vorstellungswelt gebunden. Sie zeigen eine tiefe,<br />

die Grenzen der Weltanschauungen überstei-<br />

gende Einsicht in alles Menschliche; vor allem<br />

aber sind sie, auch schon der schieren Quantität<br />

nach, Erzeugnis einer fast unglaublichen, <strong>im</strong>mer<br />

eigenständigen Kreativität, die in der deutschen<br />

Literatur wohl nur noch bei GOETHE ihr <strong>Vergleich</strong>bares<br />

findet. Hier steht Ernst neben Spaß,<br />

Christliches neben Heidnischem, Überkommenes<br />

neben Unerhörtem, Welt- und Sinnenfeindschaft<br />

neben einer fast übermütigen Freude an Spiel und<br />

Form, Rhythmus und Wohllaut.<br />

Baldes Grab in der Neuburger Hofkirche ist<br />

unbekannt, und so weit scheint denn also sein<br />

Wunsch nach dem „Ganz begraben zu sein“<br />

endgültig in Erfüllung gegangen. Den Freunden<br />

der Literatur und der Latinität aber bleibt aufgegeben,<br />

ihn, wie schon HERDER wollte, aus seinem<br />

so bedauerlichen „lateinischen Grab“ aufzuerwecken<br />

und als einen der ganz Großen, einen der<br />

geistreichsten Männer seines Jahrhunderts wieder<br />

zu uns sprechen zu lassen – nicht nur als Mahner<br />

gegen Korpulenz und Nikotin.<br />

WILFRIED STROH, München<br />

Warten auf Menander <strong>im</strong> Vatikan<br />

400 griechische Komödienverse in einer syrischen Pal<strong>im</strong>psest-Handschrift entdeckt<br />

<strong>Der</strong> griechische Komödienschreiber MENANDER (342<br />

– 292 v. Chr.) ist, recht betrachtet, ein Klassiker der<br />

Weltliteratur. Kürzlich sind in der Bibliothek des<br />

Vatikans 400 Verse des Dichters in einer syrischen<br />

Pal<strong>im</strong>psest-Handschrift entdeckt worden.<br />

Vor sechs Wochen <strong>im</strong> Lesesaal der Biblioteca<br />

Apostolica Vaticana 1 : <strong>Der</strong> Unterzeichnete – er<br />

beschäftigt sich dort <strong>im</strong> Rahmen eines weitverzweigten<br />

europäischen Projekts mit der Untersuchung<br />

griechischer Pal<strong>im</strong>pseste – bestellt einen<br />

syrischen Kodex zur Einsicht. Von diesem heisst<br />

es <strong>im</strong> 1965 gedruckten Katalog, dass er <strong>im</strong> Jahre<br />

886 auch unter Wiederverwendung zahlreicher<br />

Pergamentblätter mit unterliegenden Texten in<br />

Aramäo-Palästinensisch, Griechisch, Arabisch,<br />

Armenisch und Syrisch geschrieben worden sei.<br />

Statt der gewohnten Wartezeit von etwa einer<br />

halben Stunde vergeht der ganze Tag, ohne dass<br />

die erbetene Handschrift bereitgestellt wird. Am<br />

folgenden Morgen wird höflich mitgeteilt, dass der<br />

gewünschte Pal<strong>im</strong>psest-Band nicht zugänglich sei,<br />

da sich ein anderer Kollege mit der Auswertung<br />

des unteren griechischen Textes befasse.<br />

Gut zwei Wochen später hat der Vatikan das<br />

Gehe<strong>im</strong>nis gelüftet. Durch einen klug intonierten<br />

Artikel von GIOVANNI RICCIARDI <strong>im</strong> „Osservatore<br />

<strong>Rom</strong>ano“ vom 6. Dezember erfährt die Öffentlichkeit,<br />

dass vierhundert griechische Verse des<br />

Komödiendichters Menander (etwa 342–292 v.<br />

Chr.) aus einem syrischen Pal<strong>im</strong>psest-Kodex des<br />

ausgehenden 9. Jahrhunderts ans Licht gekommen<br />

seien; sie gehörten zu einem Menander-Kodex des<br />

4. nachchristlichen Jahrhunderts, der wie weitere<br />

anderssprachige Pergamentblätter nach Abwaschen<br />

der ursprünglichen Schrift mit christlichen<br />

Predigten in syrischer Sprache wieder beschrieben<br />

worden sei.<br />

Die eine Hälfte der Verse stamme aus Menanders<br />

Bühnenstück „Dyskolos“ (<strong>Der</strong> Menschenfeind),<br />

das aus der berühmten Sammlung des Bibliophilen<br />

MARTIN BODMER in Genf als wohl bedeutendster<br />

Papyrusfund des 20. Jahrhunderts <strong>im</strong> Jahre 1958 von<br />

VICTOR MARTIN erstmals herausgegeben worden ist.<br />

13


Die andere Hälfte – das ist die aufregende Überraschung<br />

– stelle einen unbekannten Lustspiel-Kontext<br />

dar, der auch von Menander stammen könne, mit<br />

einem Mädchen, einem Neugeborenen – vielleicht<br />

Frucht einer Gewalttat – und einer alten Frau als<br />

Figuren. In der Tat lässt sich die angedeutete personelle<br />

Konstellation z. B. in den nur bruchstückhaft<br />

erschliessbaren Menander-Stücken „<strong>Der</strong> Heros“,<br />

„<strong>Der</strong> Bauer“, „Die Perinthierin“ erkennen.<br />

Diese schöne Entdeckung ist das Verdienst von<br />

FRANCESCO D’AIUTO, einem jungen Professor für<br />

Byzantinistik an der zweiten Universität <strong>Rom</strong>s,<br />

„Tor Vergata“, der bis vor kurzem als Spezialist<br />

für griechische Handschriften an der Vatikanischen<br />

Bibliothek tätig war. Nun wartet nicht nur die Fachwelt<br />

mit Spannung darauf, dass er seinen Fund in<br />

den Einzelheiten baldmöglichst publizieren wird.<br />

Und es bedarf keiner Sehergabe, vorauszusagen,<br />

dass unmittelbar anschließend eine lebhafte Debatte<br />

unter den Philologen, Literaturhistorikern und Theaterspezialisten<br />

um die Textkritik und Deutung der<br />

neuen Verse ihren Lauf nehmen wird. Denn Menander<br />

ist ein Klassiker der Weltliteratur. Er war „der<br />

Liebling eines Jahrtausends“ vom Theaterrund bis<br />

in die Schule. Die römische Bühne – ein PLAUTUS,<br />

ein TERENZ – hat ihn adaptiert, auch bei den Christen<br />

stand er in Ansehen. Die allgemein gültige<br />

und lebensnahe Thematik seiner Stücke, die feine<br />

psychologische Charakterzeichnung, die Kunst<br />

des sprachlichen Ausdrucks, seine dramaturgische<br />

Gewandtheit – alles hat dazu beigetragen, dass er in<br />

einem Atemzug mit HOMER genannt werden konnte.<br />

Aber den schriftgeschichtlichen Engpass ins Mittelalter<br />

hat er offensichtlich nicht durchschritten. So<br />

sind es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vor allem<br />

die Papyrusfunde aus dem konservierenden Sand<br />

Ägyptens, auf die sich die Menander-Philologie<br />

konzentriert – und nicht zu vergessen hundert Verse<br />

in eleganter Majuskelschrift des 4. Jahrhunderts auf<br />

zwei Pergamentblättern (heute in St. Petersburg),<br />

die der bekannte Bibelforscher KONSTANTIN VON TI-<br />

SCHENDORF bereits 1844 <strong>im</strong> Katharinenkloster auf<br />

dem Sinai fand; diese Herkunft und die Tatsache,<br />

dass teilweise auch sie syrisch überschrieben<br />

wurden, lassen hinsichtlich des neuen Menander<br />

<strong>im</strong> Vatikan aufhorchen.<br />

Syrisch über Griechisch, christliche Erbauungstexte<br />

über attischen Komödien – das steht nicht<br />

14<br />

für einen clash of cultures, nicht für mönchische<br />

Intoleranz, sondern ist in erster Linie Zeichen<br />

des Mangels. <strong>Der</strong> aus Tierhaut (besonders Ziege,<br />

Schaf) gewonnene Beschreibstoff Pergament war<br />

kostspielig; für einen größeren Band musste schon<br />

eine kleine Tierherde geopfert werden. Daher das<br />

Pal<strong>im</strong>psestieren, das mehr oder weniger gründliche<br />

Löschen der ursprünglichen Schrift (scriptio<br />

inferior) mit Schwamm oder B<strong>im</strong>sstein, damit die<br />

Blätter erneut beschriftet werden konnten (scriptio<br />

superior).<br />

Seit den sensationellen Pal<strong>im</strong>psest-Entdeckungen<br />

zu Beginn des 19. Jahrhunderts, etwa<br />

von CICEROS „De re publica“ <strong>im</strong> Vatikan durch<br />

ANGELO MAI, ist man bemüht, die untere Schrift<br />

durch technische Hilfsmittel sichtbarer zu machen.<br />

Den chemischen Tinkturen, die auf nachhaltige<br />

Beschädigung hinausliefen, folgten <strong>im</strong> 20. Jahrhundert<br />

schadfreie Spezialfotografie und ultraviolette<br />

Lampen. In den allerletzten Jahren sind<br />

erste gute Erfahrungen mit der multispektralen<br />

Digitalisierung gemacht worden, und in Europa ist<br />

ein kooperierendes Netzwerk zur digitalen Pal<strong>im</strong>psest-Forschung<br />

entstanden. Die Zeichen scheinen<br />

also nicht schlecht zu stehen für die Entzifferung<br />

des Menander <strong>im</strong> Vatikan, zu dessen Auffinden<br />

wir Francesco D’Aiuto gratulieren und auf dessen<br />

Veröffentlichung wir in Vorfreude warten.<br />

F. D’Aiuto hat inzwischen Näheres zum<br />

handschriftenkundlichen Hintergrund mitgeteilt:<br />

Graeca in codici orientali della Biblioteca Vaticana<br />

(con i resti di un manoscritto tardoantico<br />

delle commedie di Menandro), in: Tra Oriente e<br />

Occidente. Scritture e libri greci fra le regioni orientali<br />

di Bisanzio e l’Italia a cura di Lidia Perria,<br />

<strong>Rom</strong> 2003 (= Testi e studi bizantino-neoellenici<br />

XIV), S. 227-296 (hier 266-283 mit Tafeln 13-<br />

14).<br />

Anmerkung:<br />

1) <strong>Der</strong> Artikel erschien zuerst in: Neue Zürcher Zeitung,<br />

Internationale Ausgabe, Nr. 301, am Montag, dem 29.<br />

Dezember 2003, Feuilleton S. 16. Für die vorliegende<br />

Veröffentlichung wurde die ursprüngliche Überschrift<br />

vom Autor wiederhergestellt und der abschließende<br />

Satz hinzugefügt. <strong>Der</strong> Autor ist Professor für klassische<br />

Philologie an der Universität Hamburg. Er leitet<br />

ein EU-Projekt zur Pal<strong>im</strong>psest-Erschließung (vgl. http:<br />

//www.rrz.uni-hamburg.de/RV).<br />

DIETER HARLFINGER, Hamburg


Schöpfung<br />

<strong>Der</strong> kreative Mensch zwischen Glaube und Wissenschaft*<br />

„Schöpfung“ meint in unserer Sprache ein<br />

Zweifaches: den Vorgang des Schöpfens und das<br />

Produkt des Schöpfens. Spricht man allerdings<br />

von der Schöpfung schlechthin, so meint man<br />

die geschaffene Welt, die auf eine schöpferische<br />

Instanz zurückverweist.<br />

Das ist offensichtlich seit Urzeiten so; in den<br />

Mythen und Glaubensvorstellungen der Völker,<br />

den ersten Akten der schöpferischen Phantasie<br />

des Menschen, setzt die Welt mit dem Schöpfungsakt<br />

ein. Die Griechen und Römer etwa stellten<br />

sich am Anfang das „Chaos“, eine „ungeordnete<br />

Masse“ an Materie vor, in die eine Gottheit<br />

teilend, scheidend, gliedernd, zusammenballend,<br />

letztlich ordnend eingriff, so dass das „Chaos“ zu<br />

einem „Kosmos“ wurde, zu einem geordneten,<br />

schönen Gefüge.<br />

<strong>Der</strong> Schöpfungsbericht der Bibel, des Heiligen<br />

Buchs der Christen, beginnt mit: „Am Anfang<br />

schuf Gott H<strong>im</strong>mel und Erde. Die Erde war wüst<br />

und leer. Finsternis lag über der Urflut, und der<br />

Geist Gottes schwebte über den Wassern“. Auch<br />

hier griff in eine Art von chaotischem Zustand,<br />

der seit ehedem bestand, eine göttliche Instanz<br />

über mehrere Tage hin trennend, scheidend,<br />

bauend und ordnend ein, bis ein Werk entstanden<br />

ist, von dem sein Schöpfer sagen konnte: „Siehe,<br />

es war sehr gut.“ Auch hier ist am Ende eine<br />

schön geordnete Welt, ein Kosmos, entstanden.<br />

In dieser „schönen“ Welt ist – neben den<br />

Tieren und Pflanzen – auch der Mensch ein<br />

Produkt solcher Schöpfung, als einziges unter<br />

allen Lebewesen mit aufrechtem Gang ausgestattet,<br />

mit dem Blick zum H<strong>im</strong>mel gerichtet, <strong>im</strong><br />

wahren Sinn des Wortes herausragend, durch die<br />

ihn prägenden Potenzen: durch Geist, Sprache<br />

und freien Willen, und durch eine – aus diesen<br />

ihm erwachsende – ungeheure kreative Energie.<br />

Diese Vorrangstellung innerhalb der Schöpfung<br />

sollte ihm zum Glück, doch auch zur Gefährdung<br />

werden.<br />

Vieles ist gewaltig.<br />

Doch nichts ist gewaltiger<br />

als der Mensch.<br />

So hat bereits ein früher Dichter diese Allgewalt<br />

der menschlichen Schöpfungskraft in oft zitierte<br />

Worte gefasst. Seine Geistbegabung befähigte<br />

den Menschen zum Bau von Tempeln, Burgen,<br />

Städten, Kirchen, Domen und Schlössern, zum<br />

Verfassen von bleibenden Werken der Literatur,<br />

zur Gestaltung großartiger Zeugnisse der Plastik<br />

und Malerei wie überhaupt zum Herstellen all<br />

dessen, was das Leben auf dieser Erde möglich,<br />

erträglich und schön macht.<br />

Doch, wo die Freiheit des Willens besteht, da<br />

ist auch die Alternative zum Guten und Schönen<br />

da: das Übel, das Abartige. „Nichts aber ist<br />

ungeheurer als der Mensch.“ Auch so ließe sich<br />

das zitierte Dichterwort übersetzen und damit<br />

stärker die dunkle Seite seines Wesens markieren.<br />

Im antiken Mythos erhob sich der Mensch<br />

hybrishaft gegen die Macht der Götter, so dass<br />

das Böse in Gestalt von Streit, Mord und Krieg<br />

in die kosmische Ordnung einbrach. Prometheus,<br />

der den Göttern das Feuer gestohlen und mit ihm<br />

zusammen alle Künste den Menschen gegeben<br />

hat, ist dafür die Symbolfigur geworden. In der<br />

Bibel brachte die Schlange die ersten Menschen<br />

auf gegen das Verbot Gottes, so dass nach dem<br />

Verstoßen aus dem Paradies Mord, Totschlag,<br />

Krieg und Vernichtung gang und gäbe wurden.<br />

Kain, der seinen Bruder erschlug, ist dafür wohl<br />

eines der ausdrucksstärksten Sinnbilder geworden.<br />

Im antiken Mythos wie in der Bibel hat eine<br />

furchtbare Sintflut die aus der Ordnung geratene<br />

Erde vom sündigen Menschen befreit.<br />

Doch die, welche aus der großen Flut damals entkommen<br />

sind, gottesfürchtig und alles von Neuem<br />

besser beginnend, blieben <strong>im</strong> Besitz der Allgewalt<br />

ihres Geistes, ihrer Entscheidungsfreiheit, ihrer<br />

gottähnlichen Schöpferkraft. Und so war für die<br />

Nachfahren der Geretteten auch „der Weg bald zum<br />

Guten, bald zum Bösen“ weiterhin offen.<br />

Freilich, mögen auch die Besten <strong>im</strong> Geiste<br />

schon früh – vor etwa 2 1/2 Jahrtausenden – versucht<br />

haben, tiefsinnend der Schöpfung auf die<br />

Spur zu kommen und, wie es GOETHE ausgedrückt<br />

hat, zu erkennen, „was die Welt <strong>im</strong> Innersten<br />

zusammenhält“, – man berechnete Sonnenfinster-<br />

15


nisse voraus, man „entdeckte“ in der Theorie die<br />

Atome als die Grundbausteine der Welt –, so blieb<br />

doch eines tabu: die Erde; sie war den Menschen<br />

heilig; man verehrte sie wie eine Göttin, als „die<br />

Mutter Erde“.<br />

In ihre „Eingeweide einzudringen“, galt als<br />

Verbrechen; wer die von Göttern durchwaltete<br />

Ordnung des Kosmos, in dessen Mitte man die<br />

Erde sah, störte, wurde bestraft. Ikarus, der sich<br />

mit dem von seinem schöpferischen Vater geschaffenen<br />

Flügeln aus ihrem Bannkreis hin zur Sonne<br />

befreien wollte, stürzte kläglich ab.<br />

Prometheus, der sich auflehnend gegen alle<br />

göttliche Macht und in seinem schöpferischen<br />

Drange aus dem Lehm der Erde Menschen formte,<br />

wurde für Tausende von Jahren an die Felsen des<br />

Kaukasus geschmiedet, wo ihm täglich ein Adler<br />

die Leber aushackte. <strong>Der</strong> Eingriff in die Schöpfung<br />

war verpönt.<br />

An dieser Heiligkeit der Erde wurde über die<br />

Jahrhunderte hin – auch und gerade <strong>im</strong> Raum der<br />

Christenheit – unabdingbar festgehalten, bis zu<br />

jenem Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, in<br />

der sich die bislang größte Revolution <strong>im</strong> Denken<br />

und Handeln der Menschen und der gewaltigste<br />

Umsturz <strong>im</strong> Umgang mit der Schöpfung vollzog,<br />

in der sog. „Kopernikanischen Wende“. Hier hat<br />

am Beginn der Neuzeit (15./16. Jh.) ein kreativ<br />

denkender, findiger Mann vom Osten Europas aus<br />

über den Kontinent hin seinen Ruf „Terra movetur“<br />

(„Die Erde bewegt sich“) geschickt, der aus<br />

den verstörten Universitäten schrill widerhallte<br />

und auch die Fenster des Vatikans zum Klirren<br />

brachte. So schockierend war seine neue Botschaft.<br />

Das Werk des NIKOLAUS KOPERNIKUS: „De<br />

revolutionibus orbium caelestium“, in dem das<br />

heliozentrische Weltbild begründet wurde, geriet<br />

zwar bald auf die Liste der verbotenen Bücher,<br />

aber seine Erkenntnis wurde von GALILEO GALILEI<br />

und JOHANNES KEPLER verfeinert, vervollständigt<br />

und rasch weit verbreitet.<br />

Die Folge war: Alles Bisherige, was seit der<br />

<strong>Antike</strong> und in der Kirche als Überzeugung galt,<br />

wurde auf den Kopf gestellt. Die Sonne, nicht die<br />

Erde rückte in den Mittelpunkt des Universums. Die<br />

Erde wurde säkularisiert, ihrer Heiligkeit beraubt,<br />

der Mensch verlor seine Vorrangstellung in der<br />

Schöpfung, „er rollte“, wie es FRIEDRICH NIETZSCHE<br />

16<br />

ausdrückte, „aus dem Zentrum ins X“. Doch der<br />

solchermaßen entwürdigte Mensch sprengte sich<br />

– prometheisch getrieben – aus den Fesseln der<br />

Vergangenheit frei hin zu etwas bis dahin Unfassbarem:<br />

zur Beherrschung der Natur, zum Eingriff<br />

in die Erde, die sich nun nicht mehr als „Mutter“,<br />

sondern als „Stiefmutter“ zu begreifen hatte.<br />

Die Natur wurde zum Objekt der Forschung<br />

und Ausbeutung. „Man muss die Natur auf die<br />

Folterbank spannen, um ihr die Gehe<strong>im</strong>nisse abzupressen“,<br />

so drastisch hat es der Engländer FRANCIS<br />

BACON ausgedrückt, jener Mann, in dem man heute<br />

den eigentlichen Promotor des naturwissenschaftlichen<br />

Zeitalters sieht. Ihm ging es nicht um Theorie,<br />

sondern um Praxis, um die praktische Anwendung<br />

der der Natur abgerungenen Gehe<strong>im</strong>nisse. Solches<br />

Wissen bringt Macht: Scientia est potentia. Sein Satz<br />

wurde zum geflügelten Wort.<br />

Die Herrschaft über die Natur, der sensationelle<br />

Eingriff in das Schöpfungsgeschehen, verhalf dem<br />

Menschen zur Herrschaft über die Welt. Nichts<br />

und niemand stellten sich dieser sich machtvoll<br />

entladenden schöpferischen Energie des Menschen<br />

in den Weg. Selbst aus der Bibel, und zwar<br />

aus dem Schöpfungsbericht, holte man sich die<br />

Legit<strong>im</strong>ation dazu: „Wachset und mehret euch<br />

und macht euch die Erde untertan!“ (Gen. 1, 28)<br />

Darin sah man den Herrschaftsauftrag Gottes an<br />

den Menschen – zum dominium terrae. <strong>Der</strong> schöpferische<br />

Mensch wurde zum perfekten Nachahmer<br />

des Schöpfergottes. Die antike Gestalt des Prometheus<br />

avancierte zum Prototypen des kreativen<br />

Menschen, jetzt war er endgültig das Symbol für<br />

den grenzenlosen Fortschritt geworden.<br />

Die Erde verwandelte sich rasant unter der<br />

Einwirkung der Technik, die sich, je mehr sie auf<br />

eine wissenschaftliche Grundlage gestellt wurde,<br />

um so stärker zur Technologie wandelte. Heute<br />

spricht man vom technologischen Zeitalter, in<br />

dem die Informationstechnologie die führende<br />

Rolle innehat. Die Erfolge dieser Entwicklung<br />

sind faszinierend, auf allen Gebieten steigert<br />

sich die menschliche Zivilisation. Wunderbares<br />

wird geschaffen, viel Heilloses beseitigt. Doch<br />

die kreative Potenz ist nicht nur den guten Weg<br />

gegangen. Das Unheil potenzierte sich in Krieg,<br />

Terror und Vernichtungsstrategien. Und die Natur,<br />

der entgöttlichte Teil <strong>im</strong> Schöpfungswerk des Alls,


leidet zunehmend unter den Folterqualen des Menschen.<br />

Längst hat sie sich zu wehren begonnen.<br />

Für HORST SIEBERT, einem Kulturkritiker, ist<br />

Prometheus heute daran, in seinem grenzenlosen<br />

Erfindungsstrieb dem Menschengeschlecht die<br />

Zukunft zu nehmen. Auf einem Forschungsgebiet,<br />

dem der Genetik, der Erforschung der<br />

menschlichen Erbanlagen, wird die Paradoxie<br />

des menschlichen Schöpfungsdranges in aller<br />

Schärfe deutlich. Kreativität ist auf Einmaligkeit<br />

angewiesen, auf Individualität, auf dem So-undnicht-anders-Sein<br />

des Geschaffenen, auf dessen<br />

Unwiederholbarkeit. All dies setzt den einmaligen,<br />

individuellen Menschen voraus. Die biotechnische<br />

Höchstleistung, nämlich das sogenannte Klonen,<br />

kann und will den Menschen, gerade die kreativ<br />

Begabtesten in total identischer Form verdoppeln,<br />

ja vervielfachen.<br />

Solche identischen Menschen schaffen nur<br />

Identisches. Nichts entsteht mehr, was individuell,<br />

nur einer Person zugehörig ist. Nie mehr wird es<br />

dann die einmalige Schöpfung geben, etwa BACHS<br />

Fugen, PICASSOS Friedenstaube, die Venus von Milo,<br />

den Eiffelturm, die Akropolis, die Peterskirche, den<br />

Isenhe<strong>im</strong>er Altar. Alle schreiben dasselbe Gedicht,<br />

malen dasselbe Bild, gestalten denselben Garten.<br />

Die <strong>im</strong> göttlichen Schöpfungsakt an den Menschen<br />

vermittelte Schöpfungskraft hebt sich in der Identität<br />

des Geschaffenen, in dessen Wiederholtheit zwangsweise<br />

auf. <strong>Der</strong> kreative Mensch ist daran, sich die<br />

Option auf eine menschengemäße, lebenswerte<br />

Zukunft zu nehmen. <strong>Der</strong> geklonte Mensch, heute<br />

bereits eine reale Möglichkeit, wird ein Unmensch<br />

sein, ein Ungeheuer, zugleich ein schrilles Signal,<br />

das eine Perversion der Schöpfung anzeigt.<br />

Es ist wahr geworden, was GOETHE einst seinem<br />

Prometheus in den Mund gelegt hat: „Hier sitze<br />

ich, forme Menschen nach meinem Bilde ...“<br />

Dieser prometheische Hochmut verstärkt die<br />

Schreckensvision vom Ende der Menschheit.<br />

„Und der Geist des Menschen irrlichterte<br />

als Totengespenst über dem Chaos. Tief unten,<br />

in der Hölle, aber erzählte man sich die spannende<br />

Geschichte von dem Menschen, der seine<br />

Zukunft in die Hand nahm, und das Gelächter<br />

dröhnte hinauf bis zu den Chören der Engel.“<br />

JÖRG ZINK, der dem Schöpfungsbericht eine<br />

umgekehrte Folge gegeben hat – vom Kosmos<br />

zum Chaos –, lässt mit diesen Sätzen seine Version<br />

der Geschichte des Menschen enden.<br />

Verständlich ist es deshalb, wenn man sich heute<br />

jeder Vergewaltigung der Natur <strong>im</strong> Menschen und<br />

um den Menschen massiv widersetzt. <strong>Der</strong> Freiheit<br />

und Willkür wird ein Prinzip entgegengestellt, das<br />

die menschliche Zukunft vorherrschend best<strong>im</strong>men<br />

soll: das Prinzip Verantwortung. Da stellt sich<br />

freilich mit aller Schärfe die Frage: Kann sich der<br />

heute autonom auftretende Mensch, der sich nur<br />

sich selbst verpflichtet fühlt, aus eigener Kraft in<br />

Schranken halten. Prometheus gehöre, so hat es<br />

ein Naturwissenschaftler selbst ausgedrückt, auf<br />

Halbration gesetzt, er müsse sich bremsen, er<br />

müsse sich manches Schöpfbare versagen.<br />

Aber muss er dazu nicht seine Auflehnung<br />

gegen die göttliche Macht, nach antikem Mythos<br />

gegen den großen Zeus rückgängig machen?<br />

Allgemein gesagt: Bedarf es hier nicht einer<br />

höheren, überindividuellen Instanz, die den Menschen<br />

in die Pflicht der Verantwortung n<strong>im</strong>mt?<br />

Im materalistisch-mechanistischen Weltbild der<br />

Naturwissenschaften gibt es eine solche Instanz<br />

nicht. Für sie vollziehen sich in der Schöpfung<br />

nur Zufall oder Notwendigkeit. Ein Gott als erste<br />

Ursache der Schöpfung existiert für sie nicht,<br />

weder außerhalb des Universums noch innerhalb.<br />

Eine Welt ohne Gott hat freilich keinen<br />

Sinn. „Je begreiflicher uns das Universum wird,<br />

umso sinnloser erscheint es uns.“ So nüchtern<br />

hat es der Nobelpreisträger für Physik STEPHEN<br />

WEINBERG 2002 in seinem Buch „Die ersten drei<br />

Minuten“ ausgedrückt. Aus einer sinnlosen Welt<br />

kommt jedoch für niemanden ein Impuls zu einer<br />

sich selbst beschränkenden Haltung.<br />

Diese Sinnlosigkeit der Schöpfung ist für jeden<br />

einzelnen zugleich trostlos, da er „sein Dasein nur<br />

als eine aus einer Kette von Zufällen sich ergebende<br />

Farce“ (Weinberg) verstehen muss; sie hat<br />

deshalb verständlicherweise die Theologen und<br />

Philosophen auf den Plan gerufen. Die Welt, die<br />

vor 15 Milliarden Jahren durch eine unvorstellbar<br />

gewaltige Explosion, dem sog. Urknall enststanden<br />

ist, wandelte sich aus einem Zustand des Chaos in<br />

ein berechenbares System von Planeten, Sonnen<br />

und Galaxien, gewann also Ordnung, entwickelte<br />

sich zu einer Art Kosmos – wobei wir die Analogie<br />

zu den mythischen Vorstel1ungen der Menschheit<br />

17


erkennen. Schöpfung gibt es nach dieser sog.<br />

Chaos-Theorie nur als Prozess, ein geschaffener<br />

Endzustand wird niemals erreicht.<br />

<strong>Der</strong> französische Theologe und Philosoph JEAN<br />

GUITTON hat nun in einem Gespräch mit Physikern,<br />

das er in seinem anerkannten Buch „Gott und die Wissenschaft“<br />

(2000) niedergeschrieben hat, die scharfsinnige<br />

Frage gestellt: Wenn die Physik heute alles,<br />

was sich n a c h der Schöpfung vollzog und vollzieht,<br />

ergründen kann, aber in Hinsicht auf das, was<br />

v o r der Schöpfung war, die Grenzen ihrer<br />

Erkenntnis zugibt, kann es dann nicht eine Realität<br />

jenseits der naturwissenschaftlichen Erkenntnis<br />

geben, eine Transzendenz, eine schöpferische<br />

Energie, die sich als Gott begreifen lässt, kann<br />

„das Universum dann nicht einen Sinn haben“, von<br />

dem aus der Mensch in einem winzigen Teil dieses<br />

Universums lebend seinen eigenen Sinn erfahren<br />

kann, der ihn dazu verpflichtet, für sich und seinen<br />

Lebensraum, für die Schöpfung auf eine erträgliche<br />

Zukunft hin zu sorgen. Die Verantwortung als<br />

der nötige Widerpart der Freiheit hätte darin seine<br />

tiefere, letztlich religiöse Verankerung.<br />

Das Prinzip Verantwortung hat angesichts der<br />

angedeuteten Gefährdung von Mensch und Natur<br />

heute eine völlig neue D<strong>im</strong>ension bekommen.<br />

Erstmals in der Geschichte der Menschheit ist die<br />

Zukunftsperspektive eine notwendige Kategorie<br />

für den schöpferischen Menschen geworden. HANS<br />

JONAS, einer der bedeutendsten Philosophen des<br />

letzten Jahrhunderts, anerkannt durch sein Buch<br />

„Das Prinzip Verantwortung“ (1986), weist mit<br />

Nachdruck darauf hin: „Die traditionelle Ethik<br />

hatte es mit dem Hier und Jetzt zu tun“, das durch<br />

sie best<strong>im</strong>mte Handeln war bisher „keine Sache<br />

entfernter Planung“; deshalb formulierte er einen<br />

neuen kategorischen Imperativ:<br />

„H a n d l e s t e t s s o , d a s s d i e W i r -<br />

k u n g e n d e i n e r H a n d l u n g e n v e r -<br />

t r ä g l i c h s i n d m i t d e r P e r m a n e n z<br />

e c h t e n m e n s c h l i c h e n L e b e n s a u f<br />

E r d e n . “<br />

Offensichtlich ein so gewichtiger Satz des vergangenen<br />

Säkulums, dass man ihn vor kurzem als<br />

Leitwort auf eine deutsche Briefmarke gesetzt<br />

hat. „Voraussicht und Verantwortung“ sind heute<br />

zu gleichgewichtigen Prinzipien <strong>im</strong> Umgang mit<br />

der Schöpfung geworden.<br />

18<br />

Die Exegeten der Bibel ziehen am gleichen Strang;<br />

vor dem Hintergrund des problematisch gewordenen<br />

Verhältnisses zwischen Menschen und Natur<br />

haben sie die Aussageabsicht des Schöpfungsberichtes<br />

heute genauer und umfassender unter die<br />

Lupe genommen. Darin wird der Mensch, da er<br />

ja hier dre<strong>im</strong>al als Ebenbild Gottes angesprochen<br />

wird, in einer Funktionsanalogie zu Gott gesehen;<br />

wie Gott für die Erde sorgt und in ihr das Ergebnis<br />

einer guten Tat von sich sieht („Und er sah dass,<br />

alles gut war“), so ist auch dem Menschen eine<br />

Fürsorgepflicht auferlegt.<br />

Neben dem Herrschaftsauftrag hat er daher<br />

auch einen „Gärtnerauftrag“, den man aus einer<br />

anderen Stelle der biblischen Genesis erschlossen<br />

hat (Gen. II 4b-25). Hier heißt es: „Gott hat<br />

den Menschen in das Paradies gestellt, auf dass<br />

er es bearbeite und bewahre“. Das bedeutet: <strong>Der</strong><br />

Mensch steht auch nach der biblischen Aussage in<br />

der Ausübung seiner Schöpferkraft in einer Verantwortung<br />

gegenüber der Natur, d. h. gegenüber<br />

der Schöpfung und gegenüber sich selbst als Teil<br />

dieser Schöpfung.<br />

In der heute verdüsterten St<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Verhältnis<br />

Mensch und Natur hat urplötzlich ein altehrwürdiges<br />

Dokument von neuem Rang und Geltung<br />

bekommen: FRANZ VON ASSISIS „Sonnengesang“,<br />

die schönste Dichtung, wie man gesagt hat, der<br />

italienisch-lateinischen Literatur des Mittelalters.<br />

<strong>Der</strong> canto di sole – gewiss Dokument einer naiven<br />

Vorstellung von Gottes Schöpfung, aber doch ein<br />

erwärmender Kontrapunkt gegen das eiskalte Weltbild<br />

der Naturwissenschaft heute. Weit vor der Zeit<br />

der Kopernikanischen Wende verfasst (<strong>im</strong> 11./12.<br />

Jh.), stellt das kleine Werk einen Hymnus auf die<br />

Schöpfung dar und auf den, der ihre Ursache ist.<br />

Daraus seien ein paar Strophen zitiert:<br />

Höchster, allmächtiger, guter Herr,<br />

dein sind Lob, Ruhm, Ehre und aller Preis.<br />

Dir allein sind sie geschuldet.<br />

Und kein Mensch ist würdig, dich<br />

mit Namen zu nennen.<br />

Gelobt seist du mein Herr, wegen aller Geschöpfe,<br />

und besonders wegen unseres<br />

ehrbaren Bruders Sonne,<br />

die es Tag werden lässt und<br />

uns leuchtet durch ihr Licht.


Schön ist sie und strahlend und von großem Glanz<br />

und sie trägt von dir, Herr, ein Zeichen an sich.<br />

<strong>Der</strong> Hymnus wendet sich an den Herrn, der sich,<br />

da außerhalb oder über der Schöpfung stehend,<br />

nicht mit einem irdischen Namen benennen lässt;<br />

man kann ihn nur erahnen. Die Sonne, das für den<br />

Menschen sichtbarste und <strong>im</strong>posanteste Phänomen<br />

in der ganzen Schöpfung, das am Höchsten stehende<br />

„Werk“ in der Hierarchie aller Geschöpfe, weist zeichenhaft<br />

auf die Existenz dieser unsagbaren Instanz<br />

hin, sie ist ein Symbol dafür (porta significatione<br />

– symbolum praefert). Diese Sonne wird <strong>im</strong> Verbund<br />

mit den anderen Kreaturen der Welt in einem Verwandtschaftsverhältnis<br />

zum Menschen gesehen. Sie<br />

werden bezeichnet als „Bruder Sonne“, „Schwester<br />

Mond“, „Bruder Wind“, „Schwester Wasser“,<br />

„Bruder Feuer“. Wenn die Erde als „unsere Mutter“<br />

(nostra matre terra) angesprochen wird, so ist ihr<br />

hier eine herausgehobene Position zugewiesen; sie<br />

ist das Geschöpf (creatura), das den Menschen trägt,<br />

ihn mütterlich nährend erhält:<br />

Gelobt sei mein Herr wegen unserer Mutter Erde,<br />

die uns trägt und nährt und<br />

verschiedene Früchte hervorbringt<br />

und buntfarbene Blumen und Kräuter.<br />

Die Mutter Erde (terra mater) erscheint unantastbar,<br />

sakrosankt; <strong>Der</strong> Mensch begegnet ihr und den<br />

anderen Geschöpfen, als gehörten sie wie in einer<br />

Familie zusammen. Die Natur ist dem Menschen<br />

nicht Umwelt, sondern Mitwelt. Für Franziskus liegt<br />

ein verletzender Eingriff in sie außerhalb jeder Vorstellung.<br />

Die ganze Schöpfung erscheint hier – aus<br />

dem Geiste der Bibel, nicht aus dem Wortlaut des<br />

Schöpfungsberichtes abgeleitet – als ein Kosmos,<br />

eine schöne Ordnung, in deren Harmonie das Leben<br />

und Sterben des Menschen sinnvoll einbezogen sind.<br />

Heute gilt der canto di sole als das christliche Manifest<br />

für die Ehrfurcht vor der Schöpfung, aus dem<br />

mehrere weltweit wirkende Organisationen zum<br />

Schutz der Natur ihre Legit<strong>im</strong>ation beziehen, z. B.<br />

TERRA MATER oder SORELLA NATURA. Franziskus, der<br />

Schöpfer des Hymnus, ist 1992 zum Schutzpatron<br />

der Ökologie proklamiert worden.<br />

Die Menschen singen heute in und außerhalb<br />

der Kirche das „Laudato si, mi signore“<br />

mit Vorliebe. Warum? Sie sind alle sensibler<br />

geworden für die Gefährdung der Schöpfung,<br />

also der natürlichen Grundlagen ihrer Existenz.<br />

<strong>Der</strong> Hymnus stillt ihr Bedürfnis nach Frieden mit<br />

der Natur. Und er gibt Trost. Aus ihm strahlt, vom<br />

kranken Franziskus auf dem Sterbebett seinen<br />

Freunden singend mitgeteilt, ungebrochener<br />

Opt<strong>im</strong>ismus. Schöpfung als Prozess, bei dem<br />

aus Chaos Kosmos wird, hat von sich aus <strong>im</strong>mer<br />

einen Zug zum Opt<strong>im</strong>istischen. <strong>Der</strong> Sonnengesang<br />

ist gleichsam ein Kontrastprogramm zum<br />

bedenklichen Kulturpess<strong>im</strong>ismus unserer Zeit.<br />

Wer sich deshalb heute schöpferisch betätigt,<br />

schreibend, malend, komponierend, gestaltend,<br />

bauend, spielend, vollzieht gewissermaßen – in<br />

ähnlich opt<strong>im</strong>istischer St<strong>im</strong>mung – einen kosmischen<br />

Gestus; er macht Chaos zu Kosmos. Im<br />

Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung,<br />

n<strong>im</strong>mt er – bewusst oder unbewusst – seine<br />

dem großen Schöpfer analoge Funktion wahr.<br />

<strong>Der</strong> schöpferische Mensch repräsentiert seine<br />

herausragende Stellung in der Schöpfung in der<br />

ihm eigentümlichsten Weise.<br />

Bedenken wir zudem eine Erkenntnis der<br />

modernen Psychologie: Weil heute dem Menschen<br />

alle schematisierbaren Denk- und Handlungsabläufe<br />

durch die Maschine, d. h. vornehmlich durch<br />

den Computer abgenommen werden, tritt uns fast<br />

ausschließlich nur noch in der Kreativität, in der<br />

Schöpferkraft seine Besonderheit, seine Einmaligkeit<br />

entgegen. In ihr manifestiert sich deshalb ein<br />

wesentliches Stück dessen, was den Menschen trägt<br />

und prägt: seine Würde und seine Humanität.<br />

Deshalb gilt meine Gratulation all den Künstlerinnen<br />

und Künstlern, die das Gehe<strong>im</strong>nis der Schöpfung<br />

– eine gar nicht leichte Aufgabe – in ihren<br />

Werken schöpferisch zu bewältigen versuchen.<br />

*) <strong>Der</strong> vorliegende Beitrag wurde als Referat zur Eröffnung<br />

einer Kunstausstellung in München 2003 gehalten.<br />

Da hier großenteils antike, meist lateinische Texte<br />

zugrundeliegen, sei er hier als Orientierung für ein<br />

kleines Unterrichtsprojekt „Mensch und Natur“ angeboten.<br />

Diese Thematik n<strong>im</strong>mt in der Rankingliste von<br />

10 existentiellen Leitfragen, die an Schüler und Eltern<br />

gerichtet worden sind, einen vorrangigen Platz ein; vom<br />

Fach Latein (zusammen mit Griechisch) aus ließen sich,<br />

sollte man ein fächerübergreifendes Projekt planen, gute<br />

Verbindungen zu den Disziplinen Religion, Philosophie,<br />

Kunsterziehung und Biologie herstellen.<br />

FRIEDRICH MAIER, Puchhe<strong>im</strong><br />

19


Die stoische Einheit der Ethik und Kosmologie<br />

in einem didaktischen <strong>Vergleich</strong> mit Platon und Epikur<br />

Nach meinem letzten Beitrag für das FORUM<br />

CLASSICUM bin ich gebeten worden, für die Schule<br />

solche Themen hier auch einmal didaktisch aufzubereiten.<br />

Dazu gibt es viele Möglichkeiten.<br />

Mit einer von diesen Möglichkeiten komme ich<br />

heute der Bitte nach. <strong>Der</strong> didaktische <strong>Vergleich</strong><br />

der Ethik und der Kosmologie der Stoa mit der<br />

PLATONS und EPIKURS findet zwischen elementaren<br />

Begriffen statt, die wesentliche Einsichten in<br />

die philosophischen Systeme unmittelbar ermöglichen<br />

und es gestatten, ihnen weitere Aussagen<br />

des jeweiligen philosophischen Systems zuzuordnen<br />

und den Sinn des Ganzen zu erschließen.<br />

Praktischer Teil<br />

<strong>Der</strong> Begriff „Lebensgefühl“<br />

In manchen Abhandlungen wird auf das Lebensgefühl<br />

und die daraus hervorgehenden ersten<br />

Anschauungen als Anfang aller hier zu behandelnden<br />

Systeme verwiesen, aber von einer systematischen<br />

Verwendung dieses Begriffes kann<br />

keine Rede sein. Denn zu unterscheiden ist das<br />

Lebensgefühl einer Kulturepoche von dem eines<br />

jeden einzelnen Individuums. Be<strong>im</strong> Lebensgefühl<br />

des einzelnen Individuums unterscheidet<br />

man wieder dasjenige, das sich auf die Welt<br />

richtet und aus dem sich ein erstes We l t v e r -<br />

s t ä n d n i s ergibt, von demjenigen, das sich auf<br />

das Menschsein richtet und aus dem ein erstes<br />

S e l b s t v e r s t ä n d n i s hervorgeht.<br />

ZENON, der Gründer der stoischen Schule, sieht<br />

von seinem Lebensgefühl aus das Weltgeschehen<br />

teleologisch. Er sieht diese eine Welt und ihren<br />

Weltlenker innerhalb dieser Welt. Zenons Nachfolger<br />

<strong>im</strong> Scholarchat, KLEANTHES, fasst diesen<br />

Weltlenker persönlich, wie sein Zeus-Hymnus<br />

zeigt. PANAITIOS interessiert diese Frage kaum.<br />

SENECA sieht den Weltlenker ebenso persönlich,<br />

sieht ihn jedoch nicht in der Immanenz, sondern<br />

in der Transzendenz mit innerweltlicher Parusie.<br />

Seneca wird auch als „platonisierender“ Stoiker<br />

bezeichnet: Er rezipierte PLATONS Gottes- und<br />

Menschenbild, keineswegs aber dessen Weltbild.<br />

Daraus ergab sich eine ganz persönliche und<br />

humane Ethik. (Siehe FORUM CLASSICUM 2001/3!<br />

<strong>Der</strong> Umfang unseres Themas macht aufgrund<br />

20<br />

des hier zur Verfügung stehenden Raumes solche<br />

Hinweise mehrmals erforderlich.)<br />

Die Stoa kennt nicht die Autorität, auf die<br />

alle schwören und von der niemand abweicht.<br />

Sie kennt nicht das α�τ�� �φα („Er selbst hat<br />

es gesagt“) des Kepos, sondern kennt, wie wir<br />

sehen, viele Gestaltungen ihrer Lehre. Deshalb<br />

ist der Begriff „Lebensgefühl“ für das Verstehen<br />

der Stoiker so bedeutsam, weil jede Persönlichkeit<br />

aus ihrem eigenen Lebensgefühl heraus zu<br />

ihren Anschauungen über Gott, Mensch und<br />

Welt kommt und aus ihnen (als den Axiomen)<br />

ihr System entwickelt, mögen die Unterschiede<br />

nun groß oder gering sein. Die hier und da<br />

<strong>im</strong>mer noch verfochtene „Einheit der g e s a m -<br />

t e n s t o i s c h e n L e h r e “ ist allerdings ein<br />

Postulat, keine historische Tatsache. Bei den<br />

Scholarchen der Akademie und des Peripatos<br />

verhält es sich bekanntlich nicht anders.<br />

Anders steht es mit dem zweiten von uns angeführten<br />

Lebensgefühl, das auf Lebensinhalt und<br />

Lebenssinn des Menschseins gerichtet ist. Es hat<br />

mit seinem einheitlichen und nie eingeschränkten<br />

Grundsatz, dass der Mensch von Natur aus ein<br />

„Gemeinschaftswesen (�����ν κ�ινωνικ�ν)“ sei,<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zu den vorherigen Ausführungen<br />

über Welt und Weltlenkung eine große Gemeinsamkeit<br />

unter den Stoikern geschaffen und wurde<br />

zu einem Charakteristikum der Schule. Dieser<br />

Gedanke des Gemeinschaftswesens führte sogar<br />

zur Idee einer Kosmopolis. PANAITIOS glaubte,<br />

diese <strong>im</strong> Römischen Reich verwirklicht zu sehen,<br />

und Seneca dachte (in De otio) an einen Weltstaat,<br />

den wir „mit dem Lauf der Sonne messen“.<br />

Die Situation der grundsätzlichen<br />

Entscheidung<br />

<strong>Der</strong> Stoiker drängt auf die Bildung der Staatsgemeinschaft,<br />

wie groß oder klein auch <strong>im</strong>mer<br />

sie sein soll, aber er weiß auch um die durch den<br />

Schöpfer teleologisch gelenkten Welt. Damit<br />

ist eine Situation gegeben, die eine grundsätzliche<br />

Entscheidung verlangt. Denn der Wille<br />

zur Staatsgemeinschaft kann sich nicht unbekümmert<br />

entfalten, sondern muss sich mit der<br />

Teleologie dieser Welt – wie der Epikureer mit


dem Kausalmechanismus dieser Welt – auseinandersetzen<br />

und sich für eine Lebensgestaltung <strong>im</strong><br />

Arrangement mit ihr entscheiden. Die Kardinalfrage<br />

lautet: Inwieweit geht die menschliche Willensfreiheit?<br />

<strong>Der</strong> Stoiker stellt weitere Fragen:<br />

Inwieweit sind Vorsehung (πρ�ν�ια) und Schicksal<br />

(ε�µαρµ�νη) deterministisch zu verstehen?<br />

Inwieweit gibt der Weltlenker seinen Willen zu<br />

erkennen? Inwieweit ist das Handeln des Menschen<br />

in die Vorsehung und den Schöpfungsplan<br />

Gottes miteinbezogen? etc. <strong>Der</strong> Epikureer weiß,<br />

das blinde Gesetz der ewigen Bewegung lenkt<br />

alles; der Stoiker hingegen weiß, die Vorsehung<br />

lenkt alles zum Besten. Letzteres unterliegt bei<br />

PLATON a priori nicht dem geringsten Zweifel,<br />

aber für ihn hat Gott einen kosmischen Widersacher<br />

(siehe FORUM CLASSICUM 2002/3). Diese<br />

Fragen zeigen uns, wie sehr es bei der hier zu<br />

treffenden Entscheidung auf die einzelne Persönlichkeit<br />

ankommt.<br />

Das Arrangement Mensch-Kosmos<br />

und die Philosophie<br />

Dieses zu gestaltende Arrangement Mensch-<br />

Kosmos wird daher zum Hauptgegenstand<br />

des Philosophierens. Zwar besitzt der Mensch<br />

die Vernunft, die ihm in der Stoa als Teil der<br />

göttlichen Vernunft (als λ�γ�� σπερµατικ�� =<br />

Samenteil), von Geburt mitgegeben ist, aber philosophieren<br />

muss er selbst. Dabei gibt die Welt<br />

ihm nicht nur zu erkennen, dass das Weltgeschehen<br />

nach best<strong>im</strong>mten Zwecken verläuft, sondern<br />

die höchste Vernunft zeigt sich dem Stoiker auch<br />

als das „Vernunftgesetz“. Diese dem Menschen<br />

gegebenen Orientierungshilfen sieht Platon in der<br />

Wiedererinnerung der unsterblichen Seele an die<br />

einst geschauten Ideen. Epikur hingegen ist von<br />

solchen Vorgaben gar nicht überzeugt und will<br />

seine Lebensgestaltung daher ganz aus eigener<br />

Kraft schaffen. Ein anschauliches Beispiel dafür<br />

bietet die Geschichtsphilosophie in LUKREZens<br />

V. Buch.<br />

Wie hat nun die Philosophie aufgrund dieser<br />

Vorgaben über das Arrangement Mensch-Kosmos<br />

gedacht? Einen allgemeinen, aus ihrer Kosmologie<br />

sich logisch ergebenden ethischen Satz<br />

hat die stoische Philosophie dem Arrangement<br />

zugrunde gelegt: „In Übereinst<strong>im</strong>mung mit der<br />

Welt und dem ihr <strong>im</strong>manenten Lenker (= mit der<br />

„Physis“) leben! (�µ�λ�γ�υµ�νω� τ�� φ�σει<br />

��ν)“ 1 Dieser Grundsatz gilt als die condicio,<br />

sine qua non. Aber was bedeutet hier der Begriff<br />

„Übereinst<strong>im</strong>mung“ – auch „Homologie-Begriff“<br />

genannt? Diese Frage ist nur durch die Kosmologie<br />

zu beantworten. Bevor wir aber an die Beantwortung<br />

dieser Frage gehen, wollen wir feststellen,<br />

wie denn Platon und Epikur über dieses für<br />

ein ganzes Leben zu gestaltende Arrangement<br />

Mensch-Kosmos gedacht haben.<br />

In der platonischen wie in der epikureischen<br />

Anschauung steht der Mensch mit seiner Lebensgestaltung<br />

innerhalb der Welt ebenso vor einer<br />

grundsätzlichen Entscheidung: für die Welt der<br />

Ideen oder für die Welt der Atome? Aber einen<br />

Homologie-Begriff gibt es in beiden Anschauungen<br />

dafür nicht annähernd. Da Epikur <strong>im</strong> Weltlauf<br />

kein sinnvolles Geschehen sieht, kann sein ethischer<br />

Grundsatz nur lauten, sich mit dieser Welt<br />

eben nicht zu arrangieren, sondern sich von ihr<br />

zurückzuziehen bis zur punktförmigen Isolation:<br />

„Lebe zurückgezogen! (Λ�θε �ι�σα�).“ Platon<br />

hingegen will die Reform des Staatslebens, eine<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung des Menschen mit der Ideenwelt<br />

wäre jedoch nach seinen Erfahrungen mit<br />

der damaligen Polis viel zu ideal gewesen, als<br />

dass er sie je für möglich gehalten hätte. Auch die<br />

Wiedererinnerung an die einst geschauten Ideen<br />

führt noch nicht zu einer Übereinst<strong>im</strong>mung, allenfalls<br />

zu einer „Annäherung, einem Ähnlichwerden<br />

(�µ��ωσι�)“.<br />

Die platonische „Annäherung (�µ��ωσι�)“ und<br />

die epikureische „Isolation (λ�θε �ι�σα�)“ haben<br />

sich wie die stoische Homologie (�µ�λ�γ�α) als<br />

Lebensperspektiven zu bewähren. Über ihre<br />

Auslegung an der Realität des Lebens und ihre<br />

Durchsetzung gegen die Widerstände des Lebens<br />

ernsthaft nachzudenken, das ist Aufgabe des Einzelnen.<br />

Die Verwirklichung dieser Aufgabe ist an<br />

seine Tugend gebunden, d. h. an eine einsichtsvolle,<br />

durchsetzungswillige und maßvolle Haltung.<br />

Denn mit dieser Haltung gelingt die platonische<br />

Wiedererinnerung an die Ideenwelt, gelingt in<br />

der Isolation die epikureische Lustkalkulation auf<br />

dem Wege zum Freisein von jeglicher Belastung,<br />

gelingt die stoische Übereinst<strong>im</strong>mung mit der Welt<br />

und ihrem Lenker.<br />

21


Dass das ununterbrochen gelingt, dagegen spricht<br />

allerdings die menschliche Erfahrung mit den<br />

Affekten. Sie sind in der Lage, wirkliche Erkenntnis<br />

und richtiges Handeln zu vermindern oder gar<br />

zu verhindern. Dass jemand die Voraussetzungen<br />

des stoischen Systems anerkennt, dann aber nicht<br />

aus einem Affekt, sondern aus kühler Berechnung<br />

und voller Absicht gegen ihre Lehren verstoßen<br />

will, das glaubt die Stoa wegen ihrer streng<br />

logischen Kosmologie nicht.<br />

Welche kosmologischen Begriffe liegen dem<br />

Homologie-Begriff zugrunde?<br />

Die Frage nach der tieferen Bedeutung des stoischen<br />

Homologie-Begriffes steht noch offen,<br />

wobei uns aber schon oben die Anwort in der<br />

Kosmologie zu liegen schien.<br />

ZENONS Sichtweise der Welt führte zu zwei<br />

Aspekten, wie wir eingangs bereits ausgeführt<br />

haben. <strong>Der</strong> erste betrifft das Verstehen des<br />

erkennbaren Weltgeschehens in teleologischer<br />

Weise, der zweite den (aufgrund des teleologischen<br />

Verstehens denknotwendigen) Lenker<br />

dieses Weltgeschehens. <strong>Der</strong> erste Aspekt ist es,<br />

der den handelnden Menschen zu einem Arrangement<br />

mit der Teleologie veranlasst. <strong>Der</strong> zweite<br />

kommt <strong>im</strong> Homologie-Begriff zum Tragen. Die<br />

Frage nach der Bedeutung des Homologie-Begriffes<br />

erweitert sich um die beiden folgenden Teilfragen:<br />

Warum ist es die „Physis“ = „die Welt und<br />

der ihr <strong>im</strong>manente Lenker“, mit der der Stoiker<br />

übereinst<strong>im</strong>men soll, und was bedeutet hier die<br />

Immanenz? Zenon ist zwar durch sein Lebensgefühl<br />

von der welt<strong>im</strong>manenten Existenz des<br />

Lenkers von vornherein fest überzeugt, dennoch<br />

erfährt sie weitere Erläuterungen, die wir zu ihrer<br />

Erhellung <strong>im</strong> folgenden wieder mit Platon und<br />

Epikur vergleichen.<br />

Die Materie (�λη) liegt in der stoischen<br />

Kosmologie wie in der platonischen und epikureischen<br />

allem Sein zugrunde. Die stoische<br />

unterscheidet sich aber von der platonischen<br />

wieder darin, dass ihre Materie keinerlei Eigenschaft<br />

besitzt, also auch keine Eigenbewegung<br />

und damit keinen Antagonismus ausübt. Sie ist<br />

reiner Gestaltungsstoff.<br />

Da die stoische Materie nichts gestalten kann,<br />

selbst aber gestaltet werden kann (τ� π�σ��ν),<br />

22<br />

gehört zu dieser Materie die Existenz ihres Gestalters<br />

(τ� π�ι��ν). Dieser Gestalter der Materie<br />

ist der „Logos“. Aufgrund des <strong>im</strong> Kosmos<br />

durchgängig herrschenden Vernunftgesetzes<br />

ist er sogar der unumschränkte Schöpfer des<br />

Kosmos, der unumschränkte Lenker der teleologischen<br />

Weltentwicklungsprozesse. Die Stoa<br />

glaubt aufgrund dieses <strong>im</strong> Kosmos durchgängig<br />

herrschenden göttlichen Vernunftgesetzes nicht<br />

an einen Ort und eine Kraft des Bösen in der Welt<br />

und hat deshalb keinen Anlass zu einem solchen<br />

Pess<strong>im</strong>ismus wie Platon.<br />

<strong>Der</strong> Schöpfer und die Materie existieren (wie<br />

bei Platon) von Ewigkeit her und sind (anders<br />

als bei Platon) untrennbar miteinander verbunden.<br />

Zwischen ihnen findet sogar „gegenseitige<br />

Durchdringung (κρ�σι� δι� �λων)“ statt, die<br />

intensivste Form von Immanenz. Deshalb kann<br />

die Stoa von der Einheit der Welt (des Seins)<br />

sprechen (Monismus), während bei Platon die<br />

ungeordnete Eigenbewegung der Materie und<br />

ihr Antagonismus zu der bekannten Annahme<br />

einer zweiten Welt, eines transzendenten Seinsbereiches,<br />

führte (Dualismus).<br />

Bei Epikur liegt das gesamte kosmologische<br />

Geschehen allein in der Materie (Materialismus).<br />

Sie befindet sich in ständiger Eigenbewegung, in<br />

Konglomerierung der Atome (Werden der Dinge)<br />

und ihrer Deglomerierung (Vergehen der Dinge)<br />

nach dem Zufallsprinzip. Es gibt hier kein Wesen,<br />

das auf die Materie einwirken könnte (Für den<br />

weiteren <strong>Vergleich</strong> mit Epikur und Platon sei auf<br />

das FORUM CLASSICUM 2003/Heft 2 u. 4 und mein<br />

Buch „Idee u.Wirklichkeit menschlicher Lebensgestaltung<br />

in <strong>Antike</strong>, Mittelalter u.Neuzeit“, 2003<br />

verwiesen!)<br />

<strong>Der</strong> stoische Logos als Schöpfer und Gestalter<br />

der Weltprozesse kann trotz seiner Immanenz<br />

nicht der Welt oder ihren Teilen gleichwertig<br />

sein: <strong>Der</strong> Logos ist Gott (pantheistische Weltauffassung).<br />

Hier von „Materialismus“ zu sprechen<br />

ist grob einseitig und irreführend: Es handelt sich<br />

anders als bei Epikur um eine geistdurchwirkte<br />

Materie! Genauso einseitig und irreführend wäre<br />

es, den von E. ELORDUY 2 eingesetzten Gegenbegriff<br />

„Spiritualismus“ zu verwenden.<br />

Bei Platon hat die Weltseele die Aufgabe,<br />

dem Weltkörper die Vernunft Gottes mitzuteilen.


Dieser Mittlerrolle bedarf die stoische Kosmologie<br />

nicht. Gott ist nicht nur der Demiurgos, sondern<br />

hat auch selbst die Funktion der Weltseele.<br />

Er n<strong>im</strong>mt nach seiner Vernunft die Gestaltung<br />

der Materie vor, gibt seine Ideen selbst uneingeschränkt<br />

in den Gestaltungsprozess hinein, so<br />

dass die Welt auch „Gott“ genannt werden kann.<br />

Ist das nun, so fragen wir, eine Vergöttlichung<br />

der Welt (ZENON) oder eine Verweltlichung des<br />

Gottes (SENECA)?<br />

Aber die einzelnen durch den Gestaltungsprozess<br />

des ewigen Schöpfers und der ewigen<br />

Materie entstehenden Dinge, „Körper“ genannt,<br />

sind vergänglich. Denn ihr gestalteter „Stoff“<br />

besteht aus den aus der Materie hervorgegangenen<br />

Elementen und deren Mischung. Mischung<br />

und Entmischung aber bedeuten Werden und<br />

Vergehen der Dinge. Die „Materie“ (Gestaltungsstoff)<br />

und der vergängliche „Körper“ (gestalteter<br />

Stoff) können entgegen anderen Behauptungen<br />

keine identischen Begriffe sein.<br />

Dieser Gestaltungsprozess der Dinge durch<br />

den Schöpfer offenbart uns den tieferen Sinn des<br />

angeführten stoischen Homologie-Begriffs, den<br />

wir jetzt ergänzen können: In Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

leben mit der „Physis“ = mit der Welt und dem<br />

ihr <strong>im</strong>manenten Lenker = mit „Gott“ (s.o.). <strong>Der</strong><br />

teleologische Gestaltungsprozess des Schöpfers<br />

ist Maßstab für das freie Handeln des Menschen,<br />

der zum Mitgestalter wird, wenn er die Zwecke<br />

des Gestaltungsprozesses zu erkennen vermag<br />

und nach dem Vernunftgesetz handelt. – <strong>Der</strong><br />

Begriff „Mitgestalter“ dürfte zeitlos sein, die<br />

Frage ist jeweils, mit wem er gestaltet. – Eine<br />

solche Handlung wird durch den Begriff: „Katorthoma<br />

(κατ�ρθωµα)“ ausdrücklich abgesetzt<br />

vom „Kathekon (καθ�κ�ν)“, der guten Handlung<br />

aus sonstigen Motiven. Eine Handlung, die mit<br />

beiden Begriffen nicht zu bezeichnen ist, ist eine<br />

schlechte Handlung aufgrund eines Affektes. Nicht<br />

jeder Mensch kann gleich diese hohen Anforderungen<br />

an eine gute Handlung erfüllen; deshalb<br />

räumt die Stoa ihren Schülern auch den Status<br />

eines Fortschreitenden (πρ�κ�πτων) ein.<br />

Durch das permanente <strong>Vergleich</strong>en ist gleichzeitig<br />

auch die Frage beantwortet, welche kosmologischen<br />

Begriffe den oben angeführten<br />

Begriffen der platonischen „Annäherung“ und<br />

der epikureischen „Isolation“ zugrunde liegen<br />

und deren tieferen Sinn zu erkennen geben.<br />

Kosmologie und Ethik stellen in der Stoa wie<br />

auch bei Platon und Epikur eine Einheit dar.<br />

Theoretischer Teil<br />

Das Verstehen als Gegenstand unseres<br />

philosophischen Hinterfragens<br />

Wir alle kennen Interpreten, die einen Autor<br />

vornehmlich oder gar ausschließlich danach zu<br />

verstehen suchen, von wem er beeinflusst wurde,<br />

was er von seinen Vorgängern einfach übernommen<br />

hat, was er an Problemen, die Vorgänger<br />

ungelöst ließen, selbst gelöst hat etc. Aber ein<br />

erstes und ernstes Problem dieser Interpretationsmethode<br />

selbst ist ihre Aussagefähigkeit.<br />

Ihre Verfechter gehen grundsätzlich davon aus,<br />

a u s s c h l i e ß l i c h durch (keineswegs <strong>im</strong>mer<br />

gesicherte) Herleitung und durch (oft genug<br />

überschätzten) Einfluss der Vorgänger stoische<br />

Kosmologie zu „verstehen“.<br />

Gegen dieses „Verstehen“ ist jedoch folgendes<br />

einzuwenden: 1) Die hergeleiteten philosophischen<br />

Elemente sind lediglich Materialien, sie<br />

bewirken prinzipiell noch nichts. Es ist vielmehr<br />

darzulegen, warum der übernehmende Philosoph<br />

an der Übernahme gerade dieser fremden<br />

Elemente ein selektives Interesse hatte und wie<br />

er sie verwandte. 2) Es ist ferner darzulegen,<br />

inwiefern in einer best<strong>im</strong>mten Situation, an<br />

einem best<strong>im</strong>mten Ort und zu einer best<strong>im</strong>mten<br />

Zeit u. a. die Übernahme früherer Elemente in der<br />

gegenwärtigen Situation zu einem neuen System<br />

führte. Wer jedoch versucht, die Kategorie der<br />

Historizität philosophischer Systeme auszublenden,<br />

wendet ideologische Gewalt an. Denn von<br />

einem System, bei dem die Geschichte während<br />

seines Entstehens ausgeklammert wird, kann man<br />

nicht erwarten, dass es nach seiner Vollendung zur<br />

Geschichte spricht. Das aber wollen gerade die<br />

großen hellenistischen Systeme. 3) Ferner geht<br />

die für hellenistische Philosophen bezeichnende<br />

Ausrichtung ihres Systems als psychagogische<br />

Heilslehre bei der Ausschließlichkeit dieses<br />

zurückblickenden Verstehens völlig unter. Die<br />

Kategorie der auf eine geschichtliche Situation<br />

gerichteten Finalität philosophischer Systeme ist<br />

nicht herleitbar aus weit zurückliegenden Vor-<br />

23


gängern, sie ergibt sich nicht anders als aus dem<br />

Lebensgefühl schöpferischer Philosophen und<br />

der gegenwärtigen geschichtlichen Situation.<br />

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das<br />

„Verstehen“ aufgrund der mit Ausschließlichkeit<br />

gehandhabten Herleitungsmethode äußerst fragmentarisch<br />

bleibt. So wertvoll gesicherte Herleitungen<br />

aus Vorgängern sind, die Ausschließlichkeit<br />

dieser Methode macht diese Herleitungen<br />

wieder wertlos.<br />

Dieser Herleitung der stoischen Kosmologie<br />

aus der Akademie oder aus dem Peripatos hat M.<br />

POHLENZ eine andere Methode und mit ihr ein Bild<br />

von Zenon entgegengestellt 3 : „Die Einführung<br />

eines schöpferischen Prinzips entstammte seinem<br />

persönlichen Lebensgefühl.“ Dem psychagogischen<br />

Wollen und der pastoralen Wirksamkeit<br />

der Stoiker entspricht es, wenn Pohlenz sagt:<br />

„Die neue Weltanschauung, die Zenon verkündete,<br />

kam damit dem Verlangen nach einem Halt für die<br />

praktische Lebensführung ebenso wie dem theoretischen<br />

Erkenntnistrieb entgegen. Noch wichtiger<br />

aber war, daß sie zugleich dem religiösen Gefühl<br />

einen neuen Weg wies. Denn die Physis, mit der<br />

für Zenon der Logos zusammenfiel, war ... die<br />

lebendige, alles lenkende und auch das Menschengeschick<br />

best<strong>im</strong>mende Gottheit.“ Es folgt unmittelbar<br />

der forschungsmethodisch entscheidende<br />

Teil seiner Ausführungen: „Das mag uns davor<br />

warnen, sie rein aus philosophiegeschichtlichen<br />

Entwicklungen verstehen zu wollen. Es spricht<br />

aus ihm ein ganz neues Lebensgefühl. Und dieses<br />

Lebensgefühl ist nicht etwa das der ‚Zeit‘, die<br />

gerade auf religiösem Gebiete ganz andere Wege<br />

ging. Fragen wir, woher es stammt, so rühren wir<br />

an das Gehe<strong>im</strong>nis der Persönlichkeit.“ 4<br />

Eben dieser Begriff der „Persönlichkeit“, ein<br />

Zentralbegriff der deutschen Geistesgeschichte,<br />

wird von den die stoische Kosmologie aus der<br />

Akademie bzw. dem Peripatos herleitenden<br />

Interpreten nicht gesehen. Ebensowenig der<br />

Begriff des „Lebensgefühls“. Das gilt z. T. auch<br />

für solche Interpreten, die nach dem Erscheinen<br />

des Buches von Pohlenz wieder Herleitungen<br />

vorgenommen haben. Die „schöpferische Persönlichkeit“<br />

ist nicht reduzierbar auf den Problemlöser<br />

überlieferter Theorien. Vielmehr ist<br />

in der Stoa allein sie es, die aus ihrer Zeit und<br />

24<br />

für ihre Zeit aus ihrem Lebensgefühl heraus ein<br />

System entwerfen und ausgestalten kann und die<br />

psychagogische Heilslehre verwirklichen kann.<br />

Es ist bei einigen dieser herleitenden Interpreten<br />

der Verdacht nicht von der Hand zu weisen,<br />

dass diese Ausschließlichkeit ein wissenschaftstheoretischer<br />

Standpunkt hegelianischer<br />

Provenienz ist, bei dem jeder philosophische<br />

Gedanke auf den nächsten „vorausweist“, ihn<br />

„vorbildet“ und „erzeugt“. Wo dieses „Vorbilden“<br />

nicht behauptet werden kann, da hat angeblich<br />

der nachfolgende Philosoph wenigstens „angeknüpft“,<br />

ist „angeregt“ worden, ist „beeinflusst“<br />

worden etc. Es darf nur nicht dazu kommen, dass<br />

ein völlig neuer Gedanke einer schöpferischen<br />

Persönlichkeit anzuerkennen wäre – der Faden<br />

der (postulierten) problemgeschichtlichen Entwicklung<br />

wäre damit gänzlich abgerissen.<br />

Diese Ausführungen zeigen uns deutlich, dass<br />

das Verstehen eines antiken philosophischen Systems<br />

seinerseits wieder ein Gegenstand unseres<br />

philosophischen Hinterfragens ist. Den Begriffen<br />

„Lebensgefühl“ und „schöpferische Persönlichkeit“<br />

gebührt durch ihre anthropologische<br />

Bedeutung und ihre erhebliche Tragweite für<br />

Entstehung, Ausgestaltung und Ausrichtung der<br />

philosophischen Systeme eindeutig der Pr<strong>im</strong>at.<br />

Wir haben sie deshalb dem praktischen Teil<br />

unserer vorausgehenden Ausführungen zugrunde<br />

gelegt. Die erwähnte Herleitungsmethode kann<br />

nur subsidiäre Funktion haben.<br />

Das Deuten als Gegenstand unseres<br />

philosophischen Hinterfragens<br />

Nicht nur das Verstehen eines Philosophen, sondern<br />

schon die einer Interpretation eines philosophischen<br />

Textes folgende Deutung ist ihrerseits<br />

ein Gegenstand philosophischen Hinterfragens.<br />

Auch hier gilt, was wir oben ausführlich zur Herleitungsmethode<br />

dargelegt haben.<br />

Natürlich haben wir uns bei einer Interpretation<br />

zurückzunehmen und den Philosophen<br />

ausschließlich von seinen eigenen philosophischen<br />

Voraussetzungen her zu interpretieren. Aber<br />

wenn wir deuten, fragen wir ja danach, was u n s<br />

der Text oder das ganze philosophische System<br />

b e d e u t e t . Die Deutung verändert also gegenüber<br />

der Interpretation den Vorgang dadurch, dass


zusätzlich zur Person des Philosophen die Person<br />

des Deutenden in den Vorgang einbezogen ist.<br />

D. h., es kommen nicht mehr nur die Voraussetzungen<br />

des Autors, sondern jetzt auch die des<br />

Deutenden ins Spiel, und zwar seine (inter)subjektiven<br />

Wertvorstellungen mit ihrer natürlichen<br />

Selektivität, etwa seine Anschauungen von Gott,<br />

Mensch und Welt etc. Dadurch wird die Deutung<br />

zum Gegenstand unseres philosophischen Hinterfragens.<br />

Einem eingefleischten Intellektualisten<br />

wird es jetzt schwindlig. Aber nichts führt daran<br />

vorbei: Die Deutung kann nur ein Produkt sein,<br />

das von beiden Seiten in sich trägt, wenn sie nicht<br />

wirkungslos bleiben soll. So paradox es klingen<br />

mag: Das auf seine Tragfähigkeit zu prüfende<br />

subjektive Moment, das in den Deutungsvorgang<br />

hineinkommt, ist der Garant für den Deutungserfolg<br />

des Textes.<br />

Auf den vorausgehenden Seiten haben wir uns<br />

unter mehreren Möglichkeiten entschieden, für<br />

Gräzistisches aus heutiger Sicht (2)<br />

Mit dem folgenden Beitrag setzen wir die (in<br />

FORUM CLASSICUM 4/2003, S. 216f.) begonnene<br />

Serie von insgesamt zehn kleineren Studien unseres<br />

hochverdienten Kollegen Dr. Heinz Munding<br />

fort, der am 15. 1. 2004 <strong>im</strong> Alter von fast 81<br />

Jahren plötzlich und unerwartet verstorben ist.<br />

(Vgl. den Nachruf in der Rubrik „Personalia“.)<br />

(II) Altgriechische und moderne Technik<br />

(1957)<br />

Die altgriechische Technik unterscheidet sich von<br />

der modernen in drei Punkten:<br />

1. Praktisch-technische Fähigkeiten wie<br />

Schmiedekunst, Architektur, Schiffbau usw.<br />

wurden als eine Sache von H a n d w e r k e r n<br />

betrachtet. Dabei spielte das Erfahrungswissen<br />

(empeiria) der Handwerksm e i s t e r die Hauptrolle,<br />

d. h. es gab noch keine diesbezügliche „Forschung“<br />

oder gar „Grundlagenforschung“.<br />

2. Es gab bei der handwerklichen Produktion<br />

zwar vielfach auch den Willen zur Steigerung<br />

der Qualität der Produkte, aber kaum Bedarfsweckung<br />

durch Werbung – was die Steigerung<br />

der Produktion in Grenzen hielt.<br />

den angestrebten <strong>Vergleich</strong> elementare Begriffe<br />

auszuwählen. Bevor dies geschah, stellte sich<br />

die Frage, welche Begriffe in der stoischen,<br />

platonischen und epikureischen Kosmologie<br />

elementar sind und welche elementaren Begriffe<br />

uns b e d e u t e n d sind, schließlich, welche von<br />

ihnen dann nach best<strong>im</strong>mten Auswahlkriterien zu<br />

vergleichen sind. Auch dieser Vorgang ist schon<br />

Deutung und wird dadurch ebenso zum Gegenstand<br />

philosophischen Hinterfragens – um der<br />

Sicherung und Solidität des Ergebnisses willen.<br />

Anmerkungen:<br />

1) Formulierung des Kleanthes.<br />

2) In: Die Sozialphilosophie der Stoa, Philologus<br />

1936, Suppl.-Bd.18, 3, S. 24.<br />

3) Die Stoa, Geschichte einer geistigen Bewegung,<br />

Göttingen 1948, S. 68.<br />

4) a.a.O., S. 68f.<br />

HERBERT ZIMMERMANN, Jülich<br />

3. Aristoteles konnte noch meinen, dass für die<br />

Griechen seiner Zeit (4. Jh. v. Chr.) die materiellen<br />

Grundlagen durch entsprechende Erfindungen<br />

ausreichend gesichert seien und man sich daher<br />

verstärkt den freieren geistigen Betätigungen<br />

(wie Politik, Dichtung, Philosophie) zuwenden<br />

könne (vgl. Met. I,2 982 b 20ff.).<br />

Er konnte nicht ahnen, dass die Menschen<br />

sich eines Tages so rasant vermehren würden,<br />

dass zur Sicherung ihrer Lebensgrundlagen ganz<br />

neue technische Anstrengungen erforderlich sein<br />

würden.<br />

(III) Kulturelle Autarkie (1958)<br />

Worauf beruht die <strong>im</strong>mer wieder neue Anziehungskraft,<br />

die die antiken Texte auf uns ausüben,<br />

die Unerschöpflichkeit, die sie unseren<br />

Interpretationsversuchen gegenüber darstellen?<br />

– Die relative Beschränktheit des Horizonts, in<br />

dem diese Autoren lebten und in dem sie ihre<br />

Kulturwelt als d i e Welt schlechthin empfanden,<br />

gab ihrem Denken ein Höchstmaß an Selbstvertrauen<br />

und damit an Kraft und Elastizität. Nun<br />

hat es für den modernen Geist einen eigentüm-<br />

25


lichen Reiz, in diese „naiven“ (und doch schon<br />

wunderbar differenzierten) Gedanken die Vielfachheit<br />

und Gebrochenheit s e i n e s Denkens<br />

hineinzulegen.<br />

Die Franzosen mit ihrer Kultur-Autarkie (vgl.<br />

FRIEDRICH SIEBURG) sind vielleicht dasjenige<br />

moderne Volk, das den Griechen am meisten<br />

ähnelt. Die Frage ist jedoch, ob man als moderne<br />

Nation noch das Recht (bzw. die Möglichkeit) zu<br />

einer solchen Kultur-Autarkie hat.<br />

(IV) Die Macht der Schwachen (1968)<br />

In seinem Dialog „Gorgias“ lässt PLATON den<br />

Sophisten KALLIKLES die provozierende These<br />

vertreten, dass die Idee der Gerechtigkeit<br />

(dikaiosyne) eine Erfindung der Schwachen<br />

sei. Mit diesem Schlagwort nämlich versuchten<br />

die vielen Schwachen mittels eines Netzes<br />

von listig ersonnenen „Gesetzen“ die wenigen<br />

Starken, d. h. die stolzen und nur auf sich selbst<br />

vertrauenden Individuen (wie z. B. einen ALKIBI-<br />

ADES), unter Kuratel zu stellen. – Natürlich wird<br />

diese These dann von SOKRATES, und damit von<br />

Platon selber, auf die bekannte Weise kritisiert<br />

und wiederlegt. – Übernommen aber und konsequent<br />

weitergedacht hatte jenen sophistischen<br />

Gedanken schon ein halbes Jahrhundert zuvor<br />

der Geschichtsschreiber THUKYDIDES, und zwar<br />

in Übertragung auf das Gebiet der zwischenstaatlichen<br />

Politik. Ihn interessierte die Frage, welcher<br />

M a c h t f a k t o r jeweils entsteht, wenn<br />

sich eine größere Anzahl von relativ schwachen<br />

Staaten gegen einen stärkeren zusammenschließt.<br />

Und in seinem Werk über den Peloponnesischen<br />

Krieg kam er zu dem Ergebnis, dass das Scheitern<br />

der Athener samt ihrem machtvollen Imperium<br />

letztlich darauf beruhte, dass sie die Macht des<br />

ihnen gegenüberstehenden m o r a l i s c h e n<br />

K o n s e n s e s , der <strong>im</strong> Verlauf der Kriegsjahre in<br />

der gesamtgriechischen Welt (also einschließlich<br />

ihrer eigenen Bundesgenossen) entstanden war,<br />

u n t e r s c h ä t z t hatten.<br />

(V) Sokratisches Nichtwissen und moderne<br />

Forschung (1969)<br />

Für die Griechen bedeutete ihr Begriff „Logos“<br />

eine Garantie dafür, dass sie mit ihrem Verstand<br />

die Wahrheit erfassen konnten – auch wenn die<br />

26<br />

einzelnen Philosophen oder philosophierenden<br />

Dichter <strong>im</strong>mer wieder darüber stritten, w o r i n<br />

denn diese Wahrheit bestehe. Die modernen Forscher<br />

hingegen sind, obgleich das den meisten<br />

nicht mehr bewusst ist, von dem christlichen<br />

Urerlebnis der U n e r m e s s l i c h k e i t v o n<br />

G o t t e s S c h ö p f u n g geprägt. Entsprechend<br />

lautet ihr erkenntnistheoretisches Credo,<br />

dass man sich der Wahrheit zwar annähern, aber<br />

sie niemals ganz erreichen kann.<br />

SOKRATES mit seinem „Ich weiß, dass ich<br />

nichts weiß“ s c h e i n t hier ein Vorläufer der<br />

modernen Haltung zu sein. Doch auch hinter<br />

seinem Nicht-Wissen stand das griechische<br />

Grundvertrauen in den „Logos“. Sokrates war<br />

überzeugt, dass auch für seine (einstweilen in<br />

der Aporie steckenbleibenden) Fragen bei genügend<br />

begrifflicher Schärfe die „richtige“ Lösung<br />

gefunden werden müsste. Es fehlte ihm also der<br />

Sinn für das Hypothetische, d. h. das Grundgefühl<br />

einer langfristigen (und <strong>im</strong>mer nur geringfügig<br />

bleibenden) A n n ä h e r u n g an die Wahrheit<br />

in Form einer Kooperation von v i e l e n Wissenschaftlern<br />

und vielen G e s c h l e c h t e r n von<br />

Wissenschaftlern. Zudem hatte Sokrates ja jenen<br />

Bereich ganz ausgeklammert, den wir heute als<br />

Naturwissenschaft bezeichnen. Sein berühmtes<br />

„Widerlegen“ unbegründeter Meinungen konzentrierte<br />

sich ausschließlich auf „das Menschliche“<br />

(ta anthropina) <strong>im</strong> Sinne des Moralischen, konkret<br />

also auf die politische und gesellschaftliche<br />

Sphäre. <strong>Der</strong> heute für uns so wichtige und vieldiskutierte<br />

Bereich der Te c h n i k war für ihn noch<br />

kein Problem, <strong>im</strong> Gegenteil: er betrachtete die<br />

Handwerker (technitai) als vorbildlich, insofern<br />

sie (auf ihrem jeweiligen Gebiet) F a c h l e u t e<br />

waren.<br />

(VI) Kontemplative Naturbetrachtung bei<br />

Empedokles und Lukrez (1970)<br />

Als altsprachliche Gymnasiallehrer sollten wir<br />

<strong>im</strong> Sinne interdisziplinärer Tuchfühlung auch die<br />

beiden relativ „modern“ anmutenden Naturgedichte<br />

des EMPEDOKLES und des LUKREZ in unser<br />

Lektüreprogramm aufnehmen. Dabei ließe sich<br />

dann (unter anderem) auch die folgende differentia<br />

specifica zur modernen Naturwissenschaft<br />

hervorheben:


Die Technik l e i t m o t i v i s c h e r W i e d e r -<br />

h o l u n g ermöglichte es diesen beiden Dichtern,<br />

<strong>im</strong>mer wieder d a s G a n z e der Natur<br />

(bzw. dessen, was man damals unter „Natur“<br />

verstand) dem Leser in den Blick zu bringen<br />

– vor allem auch bei den evolutionären Spätstufen<br />

„Leben“ und „Mensch“. So kam es <strong>im</strong><br />

Leser zur meditativen Einübung eines kontemplativen<br />

Zustandes, in dem er als Betrachter des<br />

Weltganzen <strong>im</strong>mer auch das Gewordensein (und<br />

damit die relative „Zufälligkeit“) seiner eigenen<br />

Existenz empfinden konnte. (Ähnlich heute z. B.<br />

H. v. DITFURTH!)<br />

Vgl. dagegen etwa C. F. V. WEIZSÄCKER<br />

in seiner „Geschichte der Natur“ (Göttingen<br />

1958): als moderner Naturwissenschaftler ist er<br />

da an die inzwischen erfolgten S p e z i a l i s i e -<br />

r u n g e n gebunden und kann folglich nur von<br />

e i n e m streng umgrenzten Bereich zum nächsten<br />

fortschreiten. Im letzten Kapitel des besagten<br />

Buches, das vom M e n s c h e n handelt, ist von<br />

der A s t r o p h y s i k des ersten Kapitels kaum<br />

noch etwas zu spüren (und ob sich da der Leser an<br />

dieses Kapitel noch mit der erforderlichen Gründlichkeit<br />

erinnert, wage ich zu bezweifeln).<br />

Das „Biberacher Modell“ in Baden-Württemberg<br />

Latein und Englisch ab Klasse 5<br />

Ab dem Schuljahr 1997/98 werden in Baden-<br />

Württemberg Erfahrungen mit dem Anfangsunterricht<br />

in Latein nach dem sog. „Biberacher<br />

Modell“ gesammelt: Latein und Englisch parallel<br />

ab Klasse 5 (erstmals am Wieland-Gymnasium<br />

Biberach systematisch erprobt). Latein wird in<br />

den Klassen 5 und 6 mit je 5 Wochenstunden,<br />

Englisch mit jeweils 3 Wochenstunden unterrichtet.<br />

<strong>Der</strong> Unterricht in Englisch ist in diesen<br />

beiden Klassenstufen nicht versetzungsrelevant.<br />

Inzwischen haben sich diesem Modell rund 30<br />

Gymnasien mit Latein als erster Fremdsprache<br />

(von ca. 60 insgesamt) angeschlossen.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden:<br />

• Durch das Biberacher Modell hat Latein als<br />

erste Fremdsprache erheblich an Akzeptanz<br />

bei Eltern und Schülern gewonnen. An den<br />

Versuchsgymnasien konnten die bisherigen<br />

(VII) Ohnmacht der Erziehung (1970)<br />

Mal angenommen, die Neigung der Ekliptik<br />

vergrößerte oder verkleinerte sich plötzlich um<br />

einige Bogensekunden, so würde diese Veränderung,<br />

falls sie nicht geradezu die Zerstörung alles<br />

Lebens auf der Erde nach sich zöge, sich jedenfalls<br />

in kurzer Zeit gravierend auf das menschliche<br />

Leben und Denken auswirken, ohne dass jemand<br />

voraussagen könnte, wie. – Ähnlich, wenn auch<br />

in abgeschwächter Form, scheint es mir mit den<br />

technischen Erfindungen unserer Tage zu stehen.<br />

Man braucht dabei nicht nur an die vielzitierte<br />

Atombombe zu denken. Auch der Chemiker, der<br />

einen neuen Kunststoff herstellt, der Arzt, der die<br />

Technik der Herzverpflanzung begründet, oder der<br />

Biologe, der einen neuen Weg zur direkten Beeinflussung<br />

der tierischen (oder gar der menschlichen)<br />

Genstruktur entdeckt – jeder dieser Erfinder verhält<br />

sich zu der möglichen geistigen Auswirkung seiner<br />

Erfindung wie das Streichholz zur Pulvertonne: er<br />

kann damit die Menschheit stärker verändern als<br />

irgendein Gesetzgeber oder Religionsstifter der<br />

Vergangenheit. – Dies ist ein Tatbestand, der den<br />

Erzieher zur Verzweiflung bringen muss.<br />

HEINZ MUNDING †<br />

Anmeldezahlen für Latein z.T. verdoppelt,<br />

in Einzelfällen sogar verdreifacht werden.<br />

Das Modell n<strong>im</strong>mt Eltern die Angst vor den<br />

Konsequenzen eines Scheiterns in Latein und<br />

entspricht zudem dem Wunsch nach einem<br />

möglichst frühen Englischbeginn.<br />

• Aus keinem der Versuchsgymnasien wird<br />

wegen des Biberacher Modells eine Überforderung<br />

der Schülerinnen und Schüler gemeldet.<br />

<strong>Der</strong> gleichzeitige Beginn mit Latein (5<br />

Wochenstunden) und Englisch (3 Wochenstunden)<br />

wird selbst dann gut gemeistert, wenn die<br />

Schülerinnen und Schüler mit keinerlei fremdsprachlicher<br />

Erfahrung aus der Grundschule<br />

kommen.<br />

• Auf Grund der ausgezeichneten Erfahrungen<br />

haben zwei Gymnasien für das laufende<br />

Schuljahr mit einer Kombination aus Biber-<br />

27


acher Modell und achtjährigem Gymnasium<br />

begonnen.<br />

• Obwohl nicht durchgängiges Unterrichtsprinzip<br />

ergeben sich <strong>im</strong> Biberacher Modell durch<br />

das frühe Erlernen zweier Fremdsprachen<br />

zukunftsweisende Erfahrungen mit sprachkomparatistischem<br />

und damit vernetzendem<br />

Denken.<br />

• Das „Biberacher Modell“ ist trotz der zusätzlichen<br />

Stunden in Englisch (in den Klassen 5<br />

und 6 jeweils 3 Wochenstunden) absolut ressourcenneutral.<br />

Die für Schulen mit Latein<br />

als erster Fremdsprache in der Stundentafel<br />

vorgesehen 222 Jahreswochenstunden werden<br />

an keinem Gymnasium überschritten (z. T.<br />

auch unterschritten). Dieses Ergebnis wird<br />

dadurch erreicht, dass Latein in den Klassen<br />

5 und 6 auf eine Wochenstunde (regulär 6<br />

Wochenstunden) verzichtet und die Schulen<br />

mit Zust<strong>im</strong>mung der GLK und der übrigen<br />

Gremien in anderen Fächern <strong>im</strong> Verlauf der<br />

Klassen 5-11 jeweils um eine Wochenstunde<br />

kürzen. Dabei wird sehr unterschiedlich und<br />

nach den lokalen Gegebenheiten verfahren.<br />

Grundvoraussetzung dieses Prozesses ist der<br />

gemeinsame Wille des Kollegiums, das Lateinische<br />

an der Schule zu stärken.<br />

Im Einzelnen besteht folgender Diskussionsbedarf:<br />

Didaktisch-methodische Fragen:<br />

An Gymnasien mit „Biberacher Modell“ sind<br />

didaktisch-methodische Überlegungen zur Arbeit<br />

in den Fremdsprachen Latein und Englisch erforderlich.<br />

Dies betrifft die neue Verteilung des Stoffes<br />

in der Unter- und Mittelstufe, die notwendigen<br />

Absprachen zu den grammatischen Termini<br />

(grammatische Metasprache), die Formen der<br />

Leistungsüberprüfung, allgemeine Lerntechniken<br />

(besonders <strong>im</strong> Hinblick auf das Vokabellernen),<br />

Absprachen zu den Hausaufgaben und vor allem<br />

die gemeinsame Förderung vergleichenden, vernetzenden<br />

Denkens. Im Zusammenhang mit dem<br />

letzten Punkt wird von den Teilnehmern betont,<br />

dass es sich bei der Kombination Latein/Englisch<br />

keineswegs um einen permanenten fächerübergreifenden<br />

Unterricht handelt. Um so gezielter<br />

müssen die Möglichkeiten methodenbewussten<br />

28<br />

<strong>Vergleich</strong>ens und Kontrastierens heraus gearbeitet<br />

und Schülerinnen und den Schülern bewusst<br />

gemacht werden.<br />

Die bisherigen Lehrbücher für Latein und<br />

Englisch sind nur teilweise für den Unterricht <strong>im</strong><br />

Biberacher Modell geeignet. Hier sind Gespräche<br />

mit den Verlagen erforderlich.<br />

Fragen der Zusammenarbeit mit Eltern und<br />

Grundschulen:<br />

Wie bereits angedeutet, ist die Information der<br />

Eltern durch die Grundschulen zu Latein als<br />

erster Fremdsprache und zum Biberacher Modell<br />

bisweilen nicht ausreichend. Um so erforderlicher<br />

sind eine ausführliche Beratung der Eltern<br />

durch das aufnehmende Gymnasium, verstärkte<br />

Formen der Kooperation mit den Grundschulen<br />

und regelmäßige Gespräche mit den Eltern in<br />

den ersten Jahren am Gymnasium. Für die Eltern<br />

besonders wichtig ist die Information, dass durch<br />

den frühen Beginn mit Englisch neben Latein ein<br />

Wechsel der Schulart oder des Schulzuges problemlos<br />

möglich wird.<br />

Dies setzt auch eine intensivierte Kommunikation<br />

mit der Lehrerschaft in der Grundschule<br />

voraus: wechselseitige Hospitationen, Informationen<br />

der Grundschulen über die Entwicklung<br />

der Kinder <strong>im</strong> Gymnasium und gemeinsame<br />

methodisch-didaktische Diskusssionsrunden<br />

(auch zu Formen der Leistungsbeurteilung) sind<br />

hilfreich.<br />

Übereinst<strong>im</strong>mend wird berichtet, dass sich<br />

bei Eltern und Schülern eine ungewöhnliche<br />

Identifikation mit diesem Bildungsgang herausbildet.<br />

Man ist „stolz“, an diesem Bildungsgang<br />

teilzuhaben.<br />

Strukturelle und rechtliche Fragen des Unterrichts:<br />

Englisch wird – wie üblich – erst mit Beginn<br />

der 7. Klasse Kernfach und ist infolgedessen in<br />

den beiden ersten Jahren (Klassen 5 und 6) nicht<br />

versetzungsrelevant.<br />

Schülerinnen und Schüler können auch bei<br />

Latein als 1. Fremdsprache <strong>im</strong> Biberacher Modell<br />

neben dem sprachlichen Profil mit drei obligatorischen<br />

Fremdsprachen das naturwissenschaftliche<br />

Profil wählen.


Fazit, Konsequenzen, Ausblick:<br />

Folgendes Fazit kann gezogen werden:<br />

• Latein hat als erste Fremdsprache am Gymnasium<br />

auch in Zukunft eine gute Chance,<br />

wenn sich der Lateinunterricht neuen Wegen<br />

und Modellen öffnet.<br />

• Erforderlich ist eine deutlich intensivierte<br />

Kooperation mit den Grundschulen und deren<br />

Eltern.<br />

• <strong>Der</strong> gute Erfolg mit dem Erlernen von zwei<br />

Fremdsprachen in Klasse 5 bestätigt die<br />

These, dass Fremdsprachen möglichst frühzeitig<br />

in das Curriculum einbezogen werden<br />

sollten.<br />

<strong>Der</strong> Mehrsprachenwettbewerb<br />

1. und 2. Runde<br />

Sind Sie exper<strong>im</strong>entierfreudig? Arbeiten Sie<br />

gerne mit sprachbegabten Schülerinnen und<br />

Schülern der MSS/Sekundarstufe II, die freiwillig<br />

kommen, in Latein zusammen? Nehmen<br />

Sie eine positive Haltung gegenüber modernen<br />

Fremdsprachen, vor allem Englisch, ein? Suchen<br />

Sie nach innovativen Mitteln, um geeignete<br />

Schüler/innen zu motivieren, sich über den normalen<br />

Schulbetrieb hinaus mit Latein zu beschäftigen<br />

und damit ihre Leistungen zu verbessern?<br />

Dann ist der Mehrsprachenwettbewerb innerhalb<br />

des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen für Sie<br />

genau das Richtige! Ein Sprachwettbewerb bringt<br />

Farbe in den Schulalltag und macht Spaß.<br />

Es handelt sich be<strong>im</strong> BWF um Begabtenförderung,<br />

was ich geeigneten Schülern und Schülerinnen,<br />

die ich einzeln ansprach, auch <strong>im</strong>mer gesagt<br />

habe. <strong>Der</strong> Mehrsprachenwettbewerb wendet sich<br />

an besonders leistungsfähige und besonders leistungsbereite<br />

Schüler/innen der MSS/Oberstufe,<br />

in Einzelfällen auch aus Klasse 10, mit guten bis<br />

sehr guten Kenntnissen in zwei Fremdsprachen.<br />

Er bezweckt eine Verbindung zwischen einer<br />

alten Sprache und einer modernen Fremdsprache,<br />

enthält also neusprachliche Elemente, was<br />

ich sehr reizvoll finde.<br />

Aus eigener Erfahrung als Latein- und Englischlehrerin<br />

weiß ich, dass erstaunlich viele<br />

Schüler/innen der Sekundarstufe I und II es<br />

mögen, wenn man sich mit ihnen „privatiss<strong>im</strong>e<br />

Baden-Württemberg wird <strong>im</strong> Herbst 2004<br />

generell das achtjährige Gymnasium einführen.<br />

Zusammen mit unserer neuen Fremdsprachenkonzeption<br />

(obligatorische Fremdsprache in der<br />

Grundschule von Klasse 1 – 4) ergeben sich völlig<br />

neue Chancen für das Fremdsprachenlernen am<br />

Gymnasium. Im Endausbau – je nach der Entwicklung<br />

der Fremdsprachen in der Grundschule<br />

zeitlich gestaffelt – werden alle Gymnasiasten<br />

in Klasse 5 zwei Fremdsprachen lernen. Es liegt<br />

nahe, auf die Erfahrungen aus dem „Biberacher<br />

Modell“ zurückzugreifen.<br />

GÜNTER REINHART<br />

Kultusministerium Baden-Württemberg<br />

et gratis“ in kleinen oder größeren Gruppen mit<br />

einer Sprache beschäftigt und sie bei entsprechendem<br />

Einsatz Top-Leistungen be<strong>im</strong> BWF<br />

erreichen können. Dafür sind sie bereit, einen<br />

Teil ihrer Freizeit einzusetzen. Es ist für sie eine<br />

Herausforderung. Ohne gründliche Vorbereitung<br />

während und außerhalb des Unterrichts läuft<br />

allerdings nichts. Auch brauchen Schüler/innen<br />

während des Wettbewerbs verständnisvolle<br />

Betreuung, manchmal auch Ermutigung. Aber<br />

das sollte engagierte Lehrer/innen nicht abschrecken.<br />

Vielleicht besitzen Sie mehr Charisma, als<br />

Sie meinen! Ich habe Erstaunliches erlebt.<br />

Wenn man weiß, welche Fähigkeiten und<br />

Fertigkeiten be<strong>im</strong> BWF erwartet werden, kann<br />

man Schüler/innen gezielt und zeitökonomisch<br />

vorbereiten. Da nur wenige be<strong>im</strong> Mehrsprachenwettbewerb<br />

die 3. von insgesamt 4 möglichen<br />

Runden erreichen, werde ich mich auf die Darstellung<br />

der ersten beiden Runden beschränken.<br />

Preise gibt es zwar erst nach der 3. Runde, aber<br />

gute Wettbewerbsergebnisse können als mündliche<br />

Leistung bewertet, be<strong>im</strong> Abitur vermerkt<br />

oder als „besondere Lernleistung“ eingebracht<br />

werden, was für manche ein Ansporn sein könnte.<br />

Zudem sind 1–2 erfolgreiche Runden eine sehr<br />

gute Voraussetzung für das Abitur.<br />

Einzelwettbewerb und Mehrsprachenwettbewerb<br />

sind voneinander unabhängig. Wenn aber<br />

jemand be<strong>im</strong> Einzelwettbewerb Bundessieger<br />

29


war, werden ihm/ihr die Wettbewerbsaufgaben<br />

der 1. Runde des Mehrsprachenwettbewerbs in<br />

der jeweiligen Sprache erlassen.<br />

Die Schüler/innen entscheiden sich von<br />

Anfang an für eine Fremdsprache als 1. und eine<br />

weitere als 2. Fremdsprache. Für Muttersprachler<br />

gelten besondere Regeln. In der 1. Wettbewerbssprache<br />

sind die Aufgaben ab der 2. Runde<br />

wesentlich länger und anspruchsvoller als in der<br />

2. Wettbewerbssprache.<br />

In der 1. Runde geht es um gute mündliche<br />

Sprachkenntnisse. So müssen in Latein zum Teil<br />

ungewöhnliche Aufgaben zu einem oder zwei<br />

lateinischen Texten, wozu in der Regel auch<br />

eine Bildvorlage gehört, zu Hause gelöst und auf<br />

eine neue Kassette gesprochen werden. Dauer der<br />

Aufnahme: 3 – 4 Minuten. Neuerdings kann auch<br />

eine CD eingeschickt werden. Da die Mitglieder<br />

der Bundesjury, zu der ich auch mehrere Jahre<br />

lang gehört habe, die Kassetten ausschließlich<br />

nach Gehör begutachten, wird eine gute Tonqualität<br />

vorausgesetzt. Steht aus irgendeinem<br />

Grund kein einwandfreies Aufnahmegerät zur<br />

Verfügung, kann man manchmal eines bei den<br />

Musikkollegen oder bei einer Kirchengemeinde<br />

ausleihen, wenn eine/r der Beteiligen gute Kontakte<br />

zu ihr hat. Gelegentlich stellt eine Kirchengemeinde<br />

auch einen ruhigen und gut geeigneten<br />

Raum für Wettbewerbsaktivitäten zur Verfügung.<br />

Eine preiswerte CD mit Beispielen in mehreren<br />

Sprachen vom Wettbewerb des letzten Jahres<br />

ist bei der Geschäftsstelle des BWF in Bonn<br />

zu bekommen. <strong>Der</strong> Text bzw. die Bildvorlagen<br />

werden mitgeschickt – eine gute Gelegenheit<br />

zum Üben! Aus dem Internet kann man sowohl<br />

die Aufgaben der 2. und 3. Runde der letzten drei<br />

Jahre herunterladen, als auch sich Hörbeispiele<br />

der ersten Runde anhören.<br />

Ich habe jedoch die Schüler/innen nie gleich<br />

mit den anspruchsvollen Aufgaben konfrontiert,<br />

um sie nicht zu schocken, sondern sie erst einmal<br />

je nach Vorkenntnissen soweit „geliftet“, dass sie<br />

sich mit den Aufgaben früherer Jahre auseinandersetzen<br />

konnten.<br />

Für die 1. Runde sollten die Schüler/innen<br />

Hexameter lesen, Stilmittel erkennen und ihre<br />

Wirkung beurteilen können. Es empfiehlt sich<br />

auch, ein paar amüsante Epigramme, z. B. von<br />

30<br />

MARTIAL, <strong>im</strong> Unterricht zu behandeln. Be<strong>im</strong><br />

Lesen der lateinischen Texte kommt es auf<br />

korrekte Aussprache, sinngemäßes Lesen, die<br />

Beachtung der Quantitäten und der Betonung<br />

und bei poetischen Texten natürlich auf die Einhaltung<br />

des Metrums an. Vor allem Prosatexte<br />

kann man <strong>im</strong> Unterricht vorher gut üben, indem<br />

man geeignete Texte in Wortblöcke aufteilt, mit<br />

Trennstrichen, Akzenten, gegebenenfalls den<br />

nötigen Längen und Kürzen und mit Pfeilen für<br />

die (vermutete) Intonation aufteilt. Auch sollten<br />

Pausen markiert werden und Stellen „zum Luftholen“,<br />

damit Schüler/innen bis zum Ende eines<br />

Satzes durchhalten. Auch das Sprechtempo kann<br />

variiert werden. All dies erweist sich nicht nur für<br />

das Fach Latein als nützlich, was den Schülern<br />

einleuchtet. Chorsprechen spart manchmal Zeit<br />

und macht Spaß. Hören die Schüler/innen dann<br />

noch die Version eines guten Sprechers von einer<br />

Audio-Kassette (z. B. CICERO, In Catilinam I von<br />

der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt)<br />

und sprechen den Text nach, so wirkt das<br />

sehr motivierend und ist effektiv.<br />

Da der Einzugsbereich einer Schule manchmal<br />

sehr groß ist, die Schüler der MSS/Oberstufe verschiedene<br />

Kurse besuchen und nicht zu spät nach<br />

Hause kommen dürfen, da sie noch viele andere<br />

Dinge zu erledigen haben, empfiehlt sich manchmal<br />

das Telefon (sic!) zum Üben. Ich habe mich<br />

zu einer best<strong>im</strong>mten Zeit anrufen lassen und per<br />

Telefon, einem Medium, das zu deutlichem Sprechen<br />

an<strong>im</strong>iert und bei dem man auch sprachliche<br />

Schnitzer besonders gut hören kann, mit den Einzelnen<br />

geübt bzw. etwas besprochen. Das hat nie<br />

sehr lange gedauert, aber <strong>im</strong>mer gut funktioniert.<br />

Mit Versprechern ist zu rechnen. Deshalb sollten<br />

für die Aufnahme der Aufgaben der 1. Runde<br />

mehrere neue Kassetten bereitliegen. Auch auf<br />

Nebengeräusche ist zu achten. Wir haben schon<br />

Flugzeuglärm auf einer Kassette gehabt und<br />

mussten die Aufnahme wiederholen. Gutachter<br />

berichteten von Staubsaugerlärm <strong>im</strong> Hintergrund.<br />

Dagegen war die leise, sehr passende Klaviermusik<br />

als Begleitung zum Lesen eines poetischen<br />

Textes auf einer Kassette wohl Absicht.<br />

Produktives Latein führt zwar ein Schattendasein<br />

<strong>im</strong> heutigen Lateinunterricht, aber ca.<br />

50 Wörter in korrekten Latein, die bei einer der


Aufgaben der 1. Runde gefordert werden, sind<br />

durchaus zu schaffen. Das beweisen die zahlreichen<br />

erfreulichen Beiträge in Latein, die auf den<br />

Kassetten der 1. Runde zu hören sind. Sie werden<br />

fragen: Wie schafft man das? Gute Erfahrungen<br />

habe ich damit gemacht, dass ich den Schülern<br />

unbekannte CICERO- und SENECA-Texte ins Deutsche<br />

übersetzt habe und sie von den Schülern<br />

zurückübersetzen ließ. Anschließend habe ich<br />

die Originale zur Kontrolle vorgelegt, und die<br />

Schüler konnten ihre Texte selber verbessern.<br />

Zu Hause schrieben sie den korrigierten Text ab<br />

und lasen ihn dabei laut. Man kann <strong>im</strong> Unterricht<br />

wesentliche stilistische und grammatikalische<br />

Merkmale der lateinischen Sprache erarbeiten,<br />

die von den Teilnehmern des Wettbewerbs später<br />

bewusst eingesetzt werden. Gut ist es auch, die<br />

Schüler/innen wichtige Grammatikgebiete wie<br />

ACI, Partizipialkonstruktionen, Pronomina,<br />

Gerundivum, indirekte Rede, etc. wiederholen<br />

zu lassen. Nachdem man die nötigen Wendungen<br />

und ein Wortfeld zur Verfügung gestellt hat,<br />

können die Schüler/innen zu Hause wie in einer<br />

modernen Fremdsprache einen kurzen Kommentar<br />

zu einer Problemstellung schreiben. Später<br />

werden die Texte dann korrigiert. <strong>Der</strong> Erfolg<br />

entschädigt für die Mühe!<br />

Im übrigen gilt auch für den Mehrsprachenwettbewerb:<br />

Docendo disc<strong>im</strong>us. Haben Sie schon<br />

einmal einen lateinischen Text in einem Versmaß<br />

Ihrer Wahl ins Deutsche übersetzt? Das wird<br />

manchmal be<strong>im</strong> BWF verlangt. Ich war erstaunt,<br />

wie gut meine Wettbewerbskandidaten diese<br />

Aufgabe in unterschiedlicher Weise bewältigten,<br />

nachdem ich zuvor mit ihnen an deutschen und<br />

englischen Versen Metrik geübt hatte. Beklagt<br />

hat sich niemand. Eine Schülerin war später mit<br />

den Lösungen der Wettbewerbsaufgaben auf einer<br />

Beispielkassette zu hören. <strong>Der</strong> BWF ist für die<br />

Schüler/innen eine Herausforderung, und sie sind<br />

stolz darauf, schwierige und ungewohnte Dinge<br />

zu meistern.<br />

In der modernen Fremdsprache, meistens<br />

in Englisch, muss in der 1. Runde, eine 2<br />

–3 Minuten lange Kassettenaufnahme über eine<br />

Karikatur/Bildvorlage erstellt werden. Es geht<br />

um adressatengerechte gesprochene Sprache<br />

mit ihren besonderen Stilmerkmalen und ihrer<br />

eigenen Semantik. Die Anforderungen sind hoch.<br />

Zu den Gutachtern gehören auch native speakers<br />

und Dozenten.<br />

Jeweils zwei Gutachter/innen bewerten die<br />

Kassetten unabhängig voneinander. Dies trifft<br />

auch auf die Korrektur der 1. Wettbewerbssprache<br />

in der 2. Runde zu. Gelegentlich wird noch<br />

jemand hinzugezogen. Zur 2. Runde werden<br />

Schüler/innen zugelassen, deren Kassetten mit<br />

A/A, B/A oder A/B bewertet wurden. Findet<br />

sich ein C bei einer Sprache, fällt der Schüler/<br />

die Schülerin durch. Etwa 50% der Teilnehmer/<br />

innen der 1. Runde nehmen an der 2. Runde<br />

teil, die aus einer Klausur mindestens auf Abiturniveau<br />

an einem festgelegten Termin besteht.<br />

Mittlerweile darf ein lateinisch-deutsches Lexikon<br />

benutzt werden. Hat jemand Latein als 1.<br />

Wettbewerbsprache gewählt, so bekommt er/sie<br />

einen Prosa-Text und einen poetischen Text,<br />

manchmal auch eine oder mehrere Bildvorlagen<br />

mit entsprechenden Aufgaben vorgelegt<br />

und soll diese in 210 Minuten lösen. Jemandem<br />

mit Latein als 2. Wettbewerbssprache stehen ca.<br />

70 Min. Zeit für einen etwa 10 Zeilen langen<br />

Text mit mehreren Aufgaben zur Verfügung. Für<br />

die in beiden Fällen unter anderem geforderte<br />

Übersetzung gilt <strong>im</strong>mer noch die Regel: Es soll<br />

in gutes Deutsch übersetzt werden, und zwar so<br />

wörtlich wie möglich und so frei wie nötig. Es<br />

empfiehlt sich, bei Bedarf noch einmal den deutschen<br />

Konjunktiv zu üben. Damit die Schüler/<br />

innen nicht unvorbereitet in die Klausur gehen<br />

müssen, werden ihnen ein Autor und eines seiner<br />

Werke genannt. Für jede der Aufgaben wird eine<br />

best<strong>im</strong>mte Punktzahl festgelegt, woraus sich die<br />

Schlussbewertung ergibt. Die Anforderungen in<br />

der modernen Fremdsprache sind entsprechend<br />

unterschiedlich hoch. Erfolge be<strong>im</strong> BWF lassen<br />

sich gut als Reklame für Latein in der Tageszeitung,<br />

dem Elternbrief und evtl. der Schülerzeitung<br />

vermarkten. Am besten schreibt man<br />

die Artikel selber und fügt ein Photo mit den<br />

Teilnehmern/Teilnehmerinnen hinzu. Ich habe<br />

damit gute Erfahrungen gemacht.<br />

Informationen zu der 3. und 4. Runde des<br />

Mehrsprachenwettbewerbs und Beispiele für<br />

Themen der Hausarbeit finden Sie <strong>im</strong> Internet<br />

(www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de).<br />

31


In den letzten Jahren gehörten mehrere Teilnehmer/<br />

innen mit Latein in der Endrunde zu den Preisträgern<br />

und Preisträgerinnen. 2001 wurden sogar ein<br />

Schüler und eine Schülerin, 2002 ein Schüler mit<br />

Latein als 2. Wettbewerbssprache als Stipendiaten<br />

in die Studienstiftung des deutschen Volkes<br />

aufgenommen.<br />

Die Gutachtertätigkeit ist ehrenamtlich, arbeitsintensiv,<br />

aber interessant und empfehlenswert, nicht<br />

zuletzt dadurch, dass man an den Korrekturwochenenden,<br />

gewöhnlich in schönem Ambiente, viele<br />

engagierte Kolleginnen und Kollegen mit verschiedenen<br />

Sprachen aus etlichen Bundesländern trifft,<br />

mit denen man einen Gedankenaustausch pflegen<br />

kann, soweit die Zeit dafür ausreicht.<br />

32<br />

Sollte aus irgendeinem Grund an Ihrer Schule<br />

die Ausschreibung des BWF, die jeweils nach<br />

den Sommerferien an den Schulen eintrifft,<br />

unauffindbar sein, so hilft Ihnen Frau MARION<br />

ENDERS von der Geschäftsstelle in Bonn weiter<br />

(Tel. 0228-95915-32).<br />

Adresse Bundeswettbewerb Fremdsprachen,<br />

Postanschrift: Postfach 20 02 01. 53132 Bonn;<br />

Hausanschrift: Godesberger Allee 90. 53175<br />

Bonn; e-mail: enders@bundeswettbewerbfremdsprachen.de<br />

GABRIELE KAISER, Ehlscheid<br />

„Auch wenn es stressig ist, man schafft es unglaublicher Weise trotzdem!“<br />

Notizen vom 5. Sprachenturnier des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen in Soest<br />

Die Lateiner waren nicht schlecht vertreten<br />

be<strong>im</strong> 5. Sprachenturnier des Bundeswettbewerbs<br />

Fremdsprachen vom 24. bis 27. September 2003<br />

in Soest/Westfalen: Unter den 70 Teilnehmern,<br />

die sich in ihrem Bundesland in einem Einzelwettbewerb<br />

qualifiziert hatten, waren 19 Schülerinnen<br />

und Schüler mit der Wettbewerbssprache<br />

Englisch, jeweils 17 mit Latein bzw. Französisch,<br />

je 4 mit Spanisch und Russisch, je 3 mit<br />

Italienisch und Dänisch, zwei Schülerinnen mit<br />

Dänisch, einer mit Tschechisch.<br />

Interessanter vielleicht noch die von den<br />

Schülerinnen und Schülern belegten Sprachen:<br />

32 der 70 Teilnehmer (sie befinden sich alle<br />

in den Klassen 10 oder 11) haben kein Latein<br />

gelernt, neben den 17 Teilnehmern mit Latein<br />

als Wettbewerbssprache erwähnen weitere 21,<br />

dass sie in irgendeiner Form (als erste bis dritte<br />

FS oder AG) Latein lernen, knapp 55 Prozent der<br />

Teilnehmer, das liegt weit über dem statistischen<br />

Wert in Deutschland! Auch (Alt-)Griechisch war<br />

gut vertreten, wenn auch nicht als Wettbewerbssprache.<br />

Von den 17 Lateiner/innen lernen 5<br />

Griechisch, weitere 6 lernen es aus der Zahl der<br />

übrigen Teilnehmer, ein Traumwert für dieses<br />

Fach! Während von den 32 Schülerinnen und<br />

Schülern ohne Lateinkenntnisse 13 zwei Fremdsprachen<br />

und 19 drei oder mehr Fremdsprachen<br />

belegen, haben von den 17 Schüler/innen mit<br />

der Wettbewerbssprache Latein mit einer Ausnahme<br />

alle mindestens zwei weitere oder gar drei<br />

Fremdsprachen belegt: alle lernen Englisch, 11<br />

Französisch, 6 Alt-Griechisch, je eine(r) Italienisch,<br />

Spanisch, Russisch, Japanisch.<br />

Die Schüler qualifizieren sich durch exzellente<br />

Ergebnisse (meist über 92 Prozent) be<strong>im</strong><br />

Einzelwettbewerb, der jedes Jahr Ende Januar<br />

stattfindet, sie werden dann zum viertägigen<br />

Sprachenturnier eingeladen, schon die Teilnahme<br />

ist also eine Auszeichnung! Zu den 17 Lateinern<br />

zählten CLAUDIUS BACHMANN, Canisius-Kolleg<br />

Berlin, MARIUS BOMHOLT, Städt. Gymnasium<br />

Petrinum Recklinghausen, ALMA BRODERSEN,<br />

Staatl. Gymnasium am Kaiserdom Speyer,<br />

ANDREAS BÜCKLE, Helfenstein-Gymnasium<br />

Geislingen, HENRIKE FLEISCHHACK, Altes Gymnasium<br />

Oldenburg, CONSTANZE GREINER, Anton-<br />

Philipp-Reclam-Gymnasium Leipzig, FREDERIK<br />

JUST, Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg,<br />

EVA KESSLER, Staatl. Gymnasium am Kaiserdom<br />

Speyer, CHRISTIAN MOLL, Städt. Leibniz-Gymnasium<br />

Gelsenkirchen, ANTONIA PAPENHEIM, Suitbertus-Gymnasium<br />

Düsseldorf, HEDWIG PLAMPER,<br />

Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Köln, CHRISTINA<br />

SCHLEITHOFF, Peter-Wust-Gymnasium Merzig,<br />

FRANZ THOMA, Ludwigsgymnasium München,<br />

CAROLA TRAHMS, Gymnasium Steglitz Berlin,<br />

VANESSA UHLY, Theodor-Heuss-Gymnasium


Ludwigshafen, NIKLAS WAGNER, Tilemannschule<br />

L<strong>im</strong>burg, und ROLAND ZIMM, St.-Benno-Gymnasium<br />

Dresden.<br />

Was erwartete die Teilnehmer? Das Sprachenturnier<br />

besteht traditionell aus drei Teilen; Teil<br />

I dieser Veranstaltung ist eine zeitaufwendige<br />

Recherche- und Präsentationsaufgabe, genannt<br />

RAP („Recherchieren, Aufbereiten, Präsentieren“).<br />

Zur Auswahl stehen (für die Teilnehmer<br />

in Latein nicht anders als in den übrigen Wettbewerbssprachen)<br />

eine Recherche vor Ort, eine<br />

Internetrecherche und ein Bewerbungsgespräch.<br />

Die Latein-Teilnehmer mussten sich also, falls<br />

sie sich für Teilaufgabe 1 entschieden, in Soest<br />

umsehen – ausgerüstet mit einer Digital- oder<br />

Polaroidkamera und der Adresse des örtlichen<br />

Fremdenverkehrsbüros – und dabei recherchieren,<br />

was für ein fiktives Publikum („Leute,<br />

die sehr an der <strong>Antike</strong> und an der lateinischen<br />

Sprache interessiert sind“) interessant sein<br />

könnte. Oder sie wählten die Teilaufgabe 2,<br />

die Internetrecherche: dabei sollten sie „die<br />

Latein-Jury überzeugen, warum es gute Gründe<br />

gibt für jemanden, der <strong>Antike</strong>s oder Lateinrelevantes<br />

aufspüren möchte, etwa nach Bath,<br />

Leuven/Louvain, Nîmes, Segovia oder Verona<br />

zu reisen“. Die dritte Möglichkeit, die zur Wahl<br />

stand, war die Bewerbung um den Posten eines<br />

Museumsführers bzw. einer Museumsführerin in<br />

Museum und Park Kalkriese bzw. in der Römerstadt<br />

Augusta Raurica / Kaiseraugst bei Basel.<br />

Vorgelegt wurden dazu ein detaillierter Katalog<br />

von Einstellungsvoraussetzungen, Informationen<br />

aus dem Internet über die beiden Museumsorte<br />

und eine Textseite mit ausgewählten lateinischen<br />

Quellentexten/Inschriften, die zu studieren und<br />

in die Präsentation bzw. in das Bewerbungsgespräch<br />

möglichst klug einzubringen waren. Die<br />

Aufgaben wurden den Teilnehmern am Nachmittag<br />

des ersten Tages vorgestellt, am zweiten Tag<br />

ab 15 Uhr begann die Präsentation, die in der<br />

gewählten Wettbewerbssprache zu leisten war,<br />

für die Lateiner in deutscher Sprache mit einem<br />

kleineren lateinischen Anteil. Es gab also bis spät<br />

in die Nacht mächtig zu tun!<br />

Teil II ist die Kultur- und Sprachaufgabe,<br />

genannt SAUNA (weil man ins Schwitzen gerät),<br />

angesagt sind „Sortieren, Ankreuzen, Umsetzen,<br />

Nachdenken und Aufschreiben“. Auch dieser<br />

Bereich besteht aus mehreren Teilaufgaben,<br />

die allerdings allesamt zu bearbeiten sind. Es<br />

beginnt mit einem mehrseitigen Wissenstest (z.<br />

B. Quis erat auctor fabularum <strong>Rom</strong>anus clariss<strong>im</strong>us?<br />

– a) Phaedra , b) Phaidon, c) Phaeton, d)<br />

Phaedrus. – Quem auctorem fabularum Graecum<br />

is semper <strong>im</strong>itari conabatur?), wobei zu zwei<br />

Autoren/Werken detaillierteres Wissen nachzuweisen<br />

ist. In diesem Jahr wurden das VI. Buch<br />

von OVIDS Metamorphosen und EINHARDS Vita<br />

Caroli Magni den Teilnehmern zur Vorbereitung<br />

empfohlen. Zweitens ist eine deutsche Übersetzung<br />

eines lateinischen Textes anzufertigen (ein<br />

Auszug aus einem PLINIUSbrief an TACITUS) und<br />

drittens gibt es eine Hörverstehensaufgabe in einer<br />

für alle Teilnehmer fremden Sprache. War es 2002<br />

ein niederländischer Text mit vielen redundanten<br />

Partien (und dadurch gut verständlich), so wurde<br />

2003 ein Text in Jiddisch ausgesucht. Die von<br />

der Jury <strong>im</strong> Vorfeld als recht schwierig erachtete<br />

Aufgabe, einen Brief in der Wettbewerbssprache<br />

(für die Lateiner in Deutsch) an einen Freund zu<br />

schreiben, der zentrale Passagen der jiddischen<br />

Geschichte beinhalten sollte, wurde von den<br />

meisten Teilnehmern besser als erwartet bewältigt.<br />

Die vorgetragene Erzählung „Schalom Bajt“<br />

(1819) von IZSCHAK LEJB PEREZ wurde dem Buch<br />

„In Keller-Stub“ (59-64) entnommen und von<br />

CHAIM FRANK bearbeitet, gekürzt und mit einem<br />

Glossarium versehen; er las sie dem Publikum<br />

auch vor. Übrigens hatte er den Abend vorher unter<br />

größtem Interesse aller Teilnehmer von der Genese<br />

des Jiddischen und seiner spannenden Geschichte<br />

erzählt; die Erzählungen von I. L. Perez sind 1959<br />

<strong>im</strong> Meluche-Verlag in Moskau erschienen.<br />

Teil III ist wiederum eine sehr aufwendige<br />

kreative Aufgabe, genannt TEAM, also „Thema<br />

suchen, Entwerfen, Ausfeilen, Mitreißen“. In der<br />

Team-Aufgabe muss eine aus fünf oder sechs<br />

Teilnehmern bestehende Gruppe (darunter sind<br />

mindestens vier Wettbewerbssprachen vertreten!)<br />

einen Sketch oder eine Talkshow entwickeln<br />

und auf die Bühne bringen. Dabei müssen alle<br />

in ihrer Wettbewerbssprache zu Wort kommen,<br />

natürlich auch die Lateiner. Dazu gab es eine<br />

Fülle von Themenvorschlägen, etwa: „Madame<br />

Tussaud’s wird renoviert. Wer muss gehen,<br />

33


wer darf bleiben?“ – „Europa sucht den Superstar“<br />

– „Ein Spot für Europa“ – „Literarisches<br />

Quintett/Sextett: ‚Mein Buch ist das Größte‘“<br />

– „Internationales Forscherteam entdeckt bislang<br />

unbekannte Sprache“ – „Wenn Caesar wüsste …“<br />

– „Neuer Planet in der Milchstraße entdeckt!<br />

Raumschiff mit mehrsprachiger Besatzung auf<br />

dem Weg“ – „Hilfe, mein Kochbuch ist verbrannt!“<br />

– „Bücher sind Papierverschwendung!<br />

Kauft mehr Laptops!“ – „Bin ich <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel<br />

oder in der Hölle? Hier verstehen sich alle“<br />

u.v.m. Mit dem Einverständnis der Jury war es<br />

auch möglich, ein selbst ausgedachtes Thema zu<br />

bearbeiten. Natürlich gab es wie zur Präsentation<br />

auch für die Theateraufführung be<strong>im</strong> Start<br />

der Aufgabe eine spezielle Checkliste und eine<br />

Menge praktischer Tipps für die Teilnehmer. Mit<br />

der gemeinsamen Bearbeitung dieser Aufgabe ist<br />

ein weiterer Abend ziemlich ausgelastet.<br />

Für die Jury, die aus 30 Lehrerinnen und Lehrern<br />

aus nahezu allen Bundesländern, zumeist den<br />

Landesbeauftragten für den Bundeswettbewerb<br />

Fremdsprachen, bestand, hatte der Leiter der<br />

Geschäftsstelle des BWFS in Bonn, Herr SICKING,<br />

die erforderlichen Bewertungsbögen bereitgestellt<br />

und damit einen harmonischen, effizienten und<br />

spannenden Ablauf der Veranstaltung gesichert. <strong>Der</strong><br />

Vorsitzende der Jury, Herr StD FRIEDRICH STEPHAN/<br />

Mönchengladbach, hat das 5. Sprachenturnier erneut<br />

souverän geleitet und alle Klippen elegant umschifft.<br />

Die Arbeitsatmosphäre, der Leistungswille und die<br />

fachlichen Qualitäten der Teilnehmer/innen waren<br />

äußerst beeindruckend, die St<strong>im</strong>mung vom ersten<br />

Zusammentreffen bis zur Preisverleihung hervorragend,<br />

der Austragungsort, das Landesinstitut für<br />

Lehrerbildung an der Paradiesstraße in Soest, für<br />

dieses Turnier opt<strong>im</strong>al.<br />

Die Ergebnisse des Sprachenturniers sind auf<br />

der Webseite des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen<br />

zu finden (http://www.bundeswettbewerbfremdsprachen.de/wettbewerbe/einzel/turnier.html),<br />

auch einen ausführlichen Bericht von HUGO<br />

BÜHREN, dem Regionalbeauftragten in NRW,<br />

über die Tage in Soest kann man dort nachlesen<br />

(http://www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de/<br />

wettbewerbe/einzel/turnierbericht.pdf), weitere<br />

Fotos vom Sprachenturnier bietet meine Webseite<br />

(www.peirene.de/dav/turnier2003.html).<br />

34<br />

Die vier Turniersieger sind ALMA BRODERSEN,<br />

Speyer (L), SARAH GROß (NL), THOMAS KÖNIG<br />

(E) und MARIA MITAEVA (F). Diese 4 Preisträger<br />

werden <strong>im</strong> kommenden Jahr eine Zeitlang<br />

in einem englischsprachigen Land verbringen,<br />

wo sie auf Kosten des Bundeswettbewerbs<br />

Fremdsprachen leben können. Weitere Preisträgerinnen<br />

und Preisträger erhielten Geldpreise,<br />

Einladungen zur Teilnahme an Seminaren und<br />

Zeitschriften-Abos.<br />

Unter den vier Zweiten Turniersiegern ist<br />

aus der Gruppe der Lateiner NIKLAS WAGNER,<br />

L<strong>im</strong>burg; ANDREAS BÜCKLE, Geislingen, zählt<br />

zu den vier Dritten Siegern; er gehört auch zu<br />

den Teilnehmern an einem Schreibseminar in<br />

Leubsdorf/Rhein. CHRISTIAN MOLL, Gelsenkirchen,<br />

und ROLAND ZIMM, Dresden, dürfen an<br />

einem einwöchigen internationalen Seminar<br />

(ISLI) in Oberwesel teilnehmen. Teilnahmeurkunden<br />

gab es für alle, natürlich hat sich jeder<br />

die E-Mail-Adresse seiner Mitbewerber notiert,<br />

Freundschaften sind auch ein Mitbringsel von<br />

solchen Veranstaltungen!<br />

Das nächste Sprachenturnier findet <strong>im</strong> September<br />

2004 in Ludwigsfelde in Brandenburg statt.<br />

Dann wird der Bundeswettbewerb Fremdsprachen<br />

25 Jahre alt. Deshalb werden 2004 das Sprachenturnier<br />

und die Endrunde des Mehrsprachenwettbewerbs<br />

gemeinsam ausgerichtet.<br />

Was hat den Lateiner/inne/n am meisten Spaß<br />

gemacht? Die Teamarbeit, die Vorbereitung der<br />

Theaterstücke, das Improvisieren, der Stress und<br />

„der Kontakt mit Leuten, die Sprachen genauso<br />

mögen wie ich“. <strong>Der</strong> ein oder andere bekennt gar:<br />

„In der letzten Nacht habe ich zum ersten Mal mit<br />

den anderen ‚durchgemacht‘!“<br />

Die geringste Schwierigkeit bereitete allen die<br />

Übersetzungsaufgabe, als schwierig wurden die<br />

Wissensfragen empfunden. CLAUDIUS BACHMANN<br />

stellt fest: „Man müsste <strong>im</strong> Lateinunterricht mehr<br />

über Geschichte und Landeskunde sprechen!“<br />

Die Lateinsiegerin empfiehlt erneut OVID als<br />

Spezialautor (andere nennen LIVIUS, TERENZ und<br />

SENECA), meint hingegen, die Fragen sollten<br />

„nicht zu einfach“ sein. Die materiell-technischen<br />

Voraussetzungen (Kameras, Computer,<br />

Drucker, Papier, Stifte, Kleber usw.) hielten alle<br />

für opt<strong>im</strong>al. Natürlich wird der Zeitdruck emp-


funden und die Arbeit bis spät in den Abend als<br />

‚auslaugend’ beschrieben, die Siegerin ALMA<br />

BRODERSEN meint dennoch: „Auch wenn es<br />

stressig ist, man schafft es unglaublicher Weise<br />

trotzdem!“ ANDREAS BÖCKLE, einer der wenigen,<br />

die bereits zwe<strong>im</strong>al dabei waren, rät zukünftigen<br />

Teilnehmern „viel Kreativität mitzubringen“.<br />

FREDERIK JUST spricht wohl das größte Problem<br />

an: „Lateinsprechen ist wichtig, auch für die<br />

eigene Selbstsicherheit und ein überzeugendes<br />

Auftreten“. Deshalb hat er in Heidelberg privat<br />

einen entsprechenden Lateinkurs belegt, um<br />

Vertrautheit mit der gesprochenen lateinischen<br />

Sprache zu bekommen. CHRISTINA SCHLEITHOFF<br />

rät, „sich viel mit der antiken Geschichte und<br />

Kultur zu befassen – und sich auf das Sprachenturnier<br />

zu freuen!“ ANTONIA PAPENHEIM empfiehlt<br />

„Lateinsprechen zu üben und den Vorbereitungstext<br />

gründlicher zu lesen als ich!“ CONSTANZE<br />

GREINER verlangt: „Bring ein Betttuch mit – als<br />

Requisite für den Lateiner <strong>im</strong> Theaterpart uner-<br />

Personalia<br />

Griechische Lektüre – modernes Denken<br />

Zum Tode von Heinz Munding<br />

am 15. Januar 2004<br />

Unter den Didaktikern der alten Sprachen darf<br />

HEINZ MUNDING als einer der anregendsten und<br />

profiliertesten gelten. Seine zahlreichen Buch-<br />

und Zeitschriftenveröffentlichungen (Vorträge<br />

nicht zu vergessen) gelten durchweg Wesentlichem<br />

und Grundlegendem, nicht nur <strong>im</strong> Sinne<br />

wissenschaftlicher Diskurse, sondern <strong>im</strong> Blick<br />

auf den werdenden und suchenden jungen Menschen,<br />

dessen Verständnis der Welt und seiner<br />

selbst, dessen „Existenz“ es zu fördern und ein<br />

Stück weit zu klären gilt.<br />

Mundings Biographie, auf die hier nur in Stichworten<br />

eingegangen sei, ist mit dem Geburtsjahr<br />

1923 nahezu vorgezeichnet: Schule <strong>im</strong> „Dritten<br />

Reich“, Kriegsdienst, Gefangenschaft, danach<br />

erst Studium der klassischen Philologie und Philosophie<br />

in Frankfurt/Main, kurze Tätigkeit an<br />

der Universität Mainz, dann, ab Beginn der 60er<br />

lässlich!“ Alle sind ohne Ausnahme voll des<br />

Lobs über die Organisation, die konzeptionelle<br />

Vorbereitung und die sympathische Zusammenarbeit<br />

mit den Mitgliedern der Jury. Die gelassene<br />

Atmosphäre und das nicht vorhandene<br />

Konkurrenzdenken wurde von vielen Schüler/<br />

inne/n als große Überraschung registriert. Gerne<br />

hätten sie Zeit für einen gemeinsamen Ausflug<br />

in die Umgebung gehabt. Lehrreich sei die Teilnahme<br />

aber zweifellos gewesen, räumt HENRIKE<br />

FLEISCHHACK ein, „da man Latein einmal ganz<br />

anders erleben konnte“. Etliche Teilnehmer, so<br />

VANESSA UHLY, tragen sich mit dem Gedanken,<br />

sich für den Zweisprachenwettbewerb anzumelden,<br />

Englisch und Französisch haben dabei als<br />

weitere Sprachen die größten Chancen.<br />

Übrigens wurden fast alle Teilnehmer durch<br />

ihre Lateinlehrer auf diesen Wettbewerb aufmerksam<br />

gemacht. Auf diese geben sie denn<br />

auch große Stücke!<br />

JOSEF RABL, Berlin<br />

Jahre Mentor (heute „Fachleiter“) für Griechisch<br />

und später auch für Ethik.<br />

Ich verzichte darauf, auf seine Arbeiten detailliert<br />

einzugehen und verweise auf den Artikel<br />

von HARTMUT LOOS, Heinz Munding octogenario,<br />

FORUM CLASSICUM 1/2003, Seite 21f.<br />

Exemplarisch für Mundings Denkansatz ist<br />

bereits ein (meines Wissens unveröffentlicht<br />

gebliebener) Vortrag vom Anfang der 60er Jahre:<br />

Bericht und Reflexion über eine Unterrichtsreihe,<br />

die anhand ausgewählter Texte PLATON und<br />

THUKYDIDES in ihrem gegenseitigen Spannungsverhältnis<br />

zeigt.<br />

Die Reihe begann mit einem „Binnenvergleich“,<br />

einer Kontrastierung <strong>im</strong> „engen“ Bereich<br />

der griechischen Kultur und Sprache annähernd<br />

gleicher Zeit.<br />

Es sind zwei unterschiedliche Denkstile:<br />

der des Philosophen, ein Denken in Begriffen<br />

und eine entsprechende politische Ethik – und<br />

die des Historikers, der die „Dinge“, die realen<br />

35


Sachverhalte beobachtet und von daher Phänomene<br />

wie Machtzuwachs, überhaupt Fragen der<br />

Außenpolitik beleuchtet.<br />

In einem weiteren und entscheidenden Schritt<br />

stellte Munding die Frage nach der Aktualität der<br />

antiken Autoren heute und griff dabei weit über<br />

das Fach <strong>im</strong> engeren Sinne hinaus, letztlich zu der<br />

Frage: Was bedeutet heute Politik? Ein Dickicht<br />

<strong>im</strong> Grunde, in das man sich da begibt, Mut auch<br />

des Lehrers fast schon zu einem „Denken ohne<br />

Geländer“ (HANNAH ARENDT).<br />

Und doch bieten auch in dieser Hinsicht die<br />

griechischen Denker Entscheidendes, zumal für<br />

den Schüler, der sich erstmal an relativ Einfachem<br />

und nicht allzu schwer Verstehbarem erproben<br />

muss. Wie Munding <strong>im</strong>mer wieder betonte,<br />

bieten antike Texte vielfach Denk-Modelle, klar<br />

und gut überschaubar und eben deshalb geeignet,<br />

klar umrissene Grundbegriffe und Denkschritte<br />

zu vermitteln und das ohne allzu diffizile Verästellungen.<br />

<strong>Der</strong> knapp referierte Vortag sollte zentrale<br />

didaktische und pädagogische Anliegen am Beispiel<br />

verdeutlichen, die Munding ein Leben lang<br />

weiter verfolgte. Immer kam es ihm darauf an,<br />

dem Schüler klar zu machen: Um d i c h geht es<br />

da, um dein Leben und dein Verhalten. Oft hat er<br />

Denkstile und Denkformen scharf miteinander<br />

kontrastiert, dabei mitunter heftige Emotionen,<br />

lebhafte Zust<strong>im</strong>mung und ebensolche Ablehnung<br />

geweckt, aber zurückhaltend, was eigene<br />

Entscheidungen <strong>im</strong> Sinne eines Entweder – Oder<br />

betrifft. Nichts lag <strong>im</strong> ferner, als sich als dogmatischen<br />

maestro di verità zu gerieren. Gleichwohl<br />

bot er die behandelten Texte mit jener Verbindlichkeit,<br />

die unerlässlich ist, will man sich auf<br />

ernsthafte und fundierte Denkwege einlassen.<br />

Seine weit gespannten Interessen und<br />

Kenntnisse erlaubten ihm, ja drängten ihn zur<br />

modernen Wissenschaft, Soziologie, Anthropologie,<br />

vor allem aber zur Naturwissenschaft.<br />

Er hauptsächlich war es, der <strong>im</strong> Bereich der<br />

Schule den Vorsokratikern, die durch Platon und<br />

dessen denkerische Autorität Jahrhunderte lang<br />

verschüttet waren, wieder einen angemessenen<br />

Platz sicherte und dabei zeigte, wie nahe diese<br />

Denker, etwa EMPEDOKLES, DEMOKRIT, heutigem<br />

physikalischem Denken stehen. Gewiss: Hier<br />

36<br />

exakte Naturwissenschaft – dort naturphilosophische<br />

Spekulation, die auf manches antizipatorisch<br />

vordeutete. Gegenbilder? Nicht n u r Gegenbilder.<br />

Unter seiner Leitung befassten wir uns am<br />

Speyerer Gymnasium am Kaiserdom mit mehreren<br />

interdisziplinären Projekten, an denen Kollegen<br />

mit verschiedenen Fächern beteiligt waren.<br />

Zunächst „Ehrgeiz als ein Grundtrieb menschlichen<br />

Handelns“, dann – in Zusammenarbeit mit<br />

dem Deutschen Institut für Fernstudien an der<br />

Universität Tübingen – „Kosmos“ und „Evolution“.<br />

Bei aller Vielfalt der Themen, bei aller Unterschiedlichkeit<br />

der Terminologie verschiedener<br />

Wissenszweige kam es Munding stets darauf an,<br />

was sprachliche Artikulation betraf, lesbar, klar<br />

und verständlich zu sein. So schätzte er Denker<br />

wie K. R. POPPER und HANNAH ARENDT. Dagegen<br />

stand er kryptischen Sageweisen, in der Philosophie,<br />

in best<strong>im</strong>mten Wissenschaften und auch<br />

in der Dichtung, skeptisch bis schroff ablehnend<br />

gegenüber. Eigentlich erstaunlich bei einem versierten<br />

Pianisten, Geiger und Streichquartettspieler.<br />

(Oder vielleicht gerade deshalb?)<br />

Munding hat viele Kollegen, die sein Schaffen<br />

– auch in persönlichen Gesprächen – begleiten<br />

durften, in ihrem Denken geprägt und ermuntert,<br />

seine Spur weiter zu verfolgen. Vieles, was<br />

er angestoßen hat, ist noch uneingelöst. Zuletzt<br />

hat er in zwei Buchveröffentlichungen eine Art<br />

Bilanz gezogen: „<strong>Antike</strong> als Gegenbild“ (1990)<br />

und „Besinnung <strong>im</strong> Strom. Kulturphilosophische<br />

Essays und Aphorismen“ (1998).<br />

KLAUS EYSELEIN, Mutterstadt<br />

Dr. Franz-Peter Waiblinger<br />

zum 60. Geburtstag<br />

Am 20. Februar 2004 feierte Dr. FRANZ-PETER<br />

WAIBLINGER, seines Zeichens Akademischer<br />

Direktor an der Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität<br />

in München, seinen 60. Geburtstag. Dieses Fest<br />

ist für mich Anlass, ihm eine kurze Glückwunschadresse<br />

zu widmen. Nach meinem Weggang von<br />

München nach Berlin ist er vom Wittelsbacher<br />

Gymnasium, wo er Seminarlehrer für Latein war,<br />

zu meinem Nachfolger in der Didaktik-Lehre an


der Universität berufen worden. Er verwaltet eine<br />

der wenigen hauptamtlichen Didaktikstellen in<br />

Deutschland. Und er tut dies mit Bravour. Meine<br />

Arbeit hat er mit ganzem Engagement fortgesetzt.<br />

Er ist dabei auch ganz neue Wege gegangen.<br />

So hat er etwa in einer Aktion „Latein auf<br />

Stein“ die Studenten den Münchner Bürgern<br />

auf der Straße die lateinischen Inschriften erklären<br />

lassen oder wählte für ein Didaktikseminar<br />

Venedig als Lehrstätte (dort an der Venice International<br />

University). In <strong>Rom</strong> führte er mehrmals<br />

die Teilnehmer seiner Kurse unmittelbar an die<br />

antiken Orte, worüber sie später <strong>im</strong> Unterricht<br />

ihr Wissen weitergeben sollen. Waiblinger liebt<br />

<strong>Rom</strong>, er schwärmt geradezu von ihm; es ist ihm<br />

das geistige Zentrum seines Lebens. Gewiss<br />

deshalb hat er darüber seine ersten <strong>Reis</strong>eführer<br />

für italienische Städte geschrieben, z. B. „dtv<br />

<strong>Reis</strong>e Textbuch <strong>Rom</strong>“ oder „<strong>Rom</strong> – Ein literarischer<br />

<strong>Reis</strong>eführer“ (WBD). Über die „ewige<br />

Stadt“ wird er demnächst in der Reihe ANTIKE<br />

UND GEGENWART auch eine Schülertext-Ausgabe<br />

mit Lehrerkommentar präsentieren. Den Rahmen<br />

dafür hat er bereits bei seinem Vortrag „Urbs<br />

aeterna. Die Stadt <strong>Rom</strong> <strong>im</strong> Lateinunterricht“ auf<br />

dem DAV-Kongress in Jena 1996 abgesteckt.<br />

Franz-Peter Waiblinger ist ein gründlicher<br />

und solider Arbeiter; in manchem freilich auch<br />

ein Querdenker, der sich – in Rücksicht auf die<br />

Lernenden – mit dem Bestehenden nicht abfinden<br />

kann und will. Einerseits sind ihm die neuen<br />

Sprachlehrbücher zu modernistisch, andererseits<br />

will er für die Originallektüre die Schüler ihre<br />

Textausgaben selbstständig mit Hilfe der modernen<br />

Medien herstellen lassen. Mag man gegen<br />

solche Positionen – vielleicht mit Recht – Widerspruch<br />

anmelden, so wird man seiner These, das<br />

Wortschatzlernen in der Lektürephase solle sich<br />

an den aktuell benötigten Wörtern der tatsächlich<br />

gelesenen Kapitel mit Hilfe von Wortlisten, nicht<br />

mit massigen Wortkunden vollziehen, aus Überzeugung<br />

zust<strong>im</strong>men.<br />

Mit seinen Übersetzungen (etwa bei dtv), aber<br />

auch mit seinen Berichten und Rezensionen in<br />

der Süddeutschen Zeitung wirbt der Jubilar mit<br />

Erfolg auch extra muros für die Sache der Klassischen<br />

Sprachen. <strong>Der</strong> <strong>Antike</strong> gilt (neben der<br />

deutschen Literatur) seine Liebe. Diese ist wohl<br />

auch das leitende Motiv, das seine Freunde um<br />

ihn schart; da zeigt er sich <strong>im</strong> Gespräch offen,<br />

gerade, ohne Hintergedanken, voller Verständnis<br />

für die Situation des anderen, zuweilen geprägt<br />

von verhaltenem Humor. Da greift er dann gelegentlich<br />

auch zum Saxophon, das er meisterlich<br />

beherrscht. <strong>Der</strong> Jubilar ist ein vir vere humanus,<br />

der sich auch Schicksalsschlägen – etwa be<strong>im</strong><br />

frühen Tod seiner lieben Frau – tapfer stellt.<br />

Für seine Arbeit, aber auch seine Freundschaft<br />

danken ihm gewiss viele. Ich will ihm persönlich<br />

und <strong>im</strong> Namen des DAV ein „Ad multos annos“<br />

zurufen.<br />

FRIEDRICH MAIER, Puchhe<strong>im</strong><br />

Dr. Marion Giebel, eine Protagonistin extra<br />

muros, 65 Jahre<br />

Am 10. 3. 2004 ist Dr. MARION GIEBEL 65 Jahre alt<br />

geworden. Sie ist keine Lehrerin der Klassischen<br />

Sprachen, aber doch eine ungemein wirksame<br />

Kämpferin für das Fortleben der <strong>Antike</strong> in unserer<br />

Welt, die mehr und mehr „die freie Fahrt in die<br />

Moderne“ proklamiert. Insofern dient sie auch<br />

dem Ansehen des altsprachlichen Unterrichts in<br />

der Öffentlichkeit.<br />

Nach dem Studium der Klassischen Philologie,<br />

Archäologie und Germanistik in Frankfurt<br />

und nach der Promotion über ein griechisches<br />

Thema (1966) bei HARALD PATZER arbeitete Giebel<br />

zunächst als Lektorin <strong>im</strong> Goldmann-Verlag München,<br />

sehr bald aber ist sie freie Schriftstellerin<br />

geworden. Seit 1968 begann sie sich dadurch bei<br />

allen, die an der <strong>Antike</strong> interessiert sind, einen<br />

Namen zu machen; heute zählt sie wohl unter den<br />

Autoren, die über die antike Welt außerhalb von<br />

Schule und Universität den Menschen berichten,<br />

zu den profiliertesten und anerkanntesten.<br />

Von ihr stammen 16 Übersetzungen <strong>im</strong><br />

Reclam-Verlag, darunter die erste zweisprachlige<br />

Ausgabe zu Velleius Paterculus, ebenso<br />

die vielgelesenen Rowohlt-Monographien zu<br />

Cicero, Sappho, Augustus, Vergil, Ovid, Seneca<br />

und die umfangreicheren (meist bei Artemis<br />

erschienenen) Darstellungen zu Sachthemen wie<br />

„Das Gehe<strong>im</strong>nis der Mysterien. <strong>Antike</strong> Kulte in<br />

Griechenland, <strong>Rom</strong> und Ägypten“ (1990) oder<br />

„Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der<br />

37


Götter“ (2002). Besonders geschätzt ist ihr bei<br />

Reclam erschienener „Literarischer <strong>Reis</strong>eführer<br />

durch das römische Italien“ mit dem gelungenen<br />

Titel „Treffpunkt Tusculum“ (1995).<br />

Die Jubilarin propagiert freilich antikes Leben<br />

und Denken nicht bloß in ihren Schriften; sie setzt<br />

die Kraft ihrer feinfühligen und treffsicheren Sprache<br />

auch ständig in Vorträgen ein. Vor allem aber<br />

ist sie seit Jahrzehnten durch sehr griffige Themen<br />

<strong>im</strong> Bayerischen Rundfunk präsent. Die Palette der<br />

von ihr für diese Sendungen verfassten Manuskripte<br />

ist sehr weit angelegt, sie umfasst die gesamte griechische<br />

und lateinische Literatur, etwa angefangen<br />

vom „Weiberstreik und Wolkenkuckuckshe<strong>im</strong>“<br />

eines ARISTOPHANES über „Ovid in der Verbannung“<br />

bis zu „Marc Aurel, Kaiser“. Neuerdings läuft ihre<br />

regelmäßige <strong>Antike</strong>präsentation unter der Rubrik<br />

„Zeitreisen“ und „radioTexte“.<br />

Zeitschriftenschau<br />

Fachdidaktik<br />

Angesichts des kaum noch aufzuhaltenden Schülerschwunds<br />

<strong>im</strong> Fach Griechisch muss sich der<br />

Lateinunterricht – wollen wir weiterhin ein vollständiges<br />

Bild der <strong>Antike</strong> und ihrer Bedeutung<br />

für die europäische Kultur vermitteln – zwangsläufig<br />

der Frage stellen, wie griechische Inhalte<br />

adäquat in das Fach Latein integriert werden<br />

können. Mit diesem Thema („Griechisches <strong>im</strong><br />

Lateinunterricht“) setzt sich Heft 6/2003 des<br />

Altsprachlichen Unterrichts auseinander. In<br />

der kurzen Einleitung gibt PETER WÜLFING einen<br />

knappen Überblick über die Beiträge des Heftes,<br />

bevor HANS BERNSDORFF die Berührungspunkte<br />

zwischen Griechen und Römern, die Bereiche<br />

ihrer kulturellen Auseinandersetzung zusammenfassend<br />

darstellt; dabei geht er allerdings<br />

nur durch die Berücksichtigung neuerer Literaturtheorien<br />

über das hinaus, was <strong>im</strong> Studium allen<br />

angehenden Lateinlehrern zum griechischen Einfluss<br />

auf die Römer vermittelt wird. Als geradezu<br />

klassisch kann man das erste Praxisbeispiel von<br />

ANDREA BURWINKEL bezeichnen: Sie vermittelt<br />

„Griechische Mythologie <strong>im</strong> Anfangsunterricht<br />

38<br />

Marion Giebels Engagement gründet nicht bloß<br />

auf einer int<strong>im</strong>en Kenntnis der Stoffe, es zeugt<br />

auch von einer ausgesprochen starken Liebe zu<br />

der von ihr erforschten Welt. Sie erwirbt das<br />

antike Erbe, damit es auch andere besitzen. Dafür<br />

will sie bewusst in der Öffentlichkeit tätig sein.<br />

„Wem gehört die <strong>Antike</strong>?“ So lautete der provozierende<br />

Titel ihres am DAV-Kongress in Bamberg<br />

1994 gehaltenen Vortrags. Sie reklamiert<br />

zu Recht die <strong>Antike</strong> auch für die Schriftsteller,<br />

die, wie sie meint, ein noch weiteres Publikum<br />

erreichen als die Lehrerinnen und Lehrer.<br />

Für diesen ihren „Kampf extra muros“, wie<br />

sie ihre Arbeit selbst bezeichnet, möchte ich ihr<br />

persönlich und <strong>im</strong> Namen des DAV aufrichtig<br />

danken. Zu ihrem Jubiläumstag gehen ihr unsere<br />

herzlichen Glückwünsche zu.<br />

FRIEDRICH MAIER, Puchhe<strong>im</strong><br />

Latein“ (hier konkret den Raub der Helena),<br />

indem sie der Präsentation <strong>im</strong> Lehrbuch entsprechend<br />

aussagekräftiges Bild- und Textmaterial<br />

kontrastierend gegenüberstellt, um ihre Schüler<br />

so zu einer differenzierten Interpretation zu<br />

führen. CHRISTIAN STOCK erläutert anschließend<br />

seine für die Übergangs- oder Anfangslektüre<br />

konzipierte, erfreulich konkret dargestellte und<br />

umfassend dokumentierte Unterrichtsreihe zur<br />

Ilias Latina, einem vermutlich in der Regierungszeit<br />

Neros entstandenen epischen Gedicht,<br />

dessen gut tausend Hexameter sich inhaltlich<br />

mehr oder weniger an Homer orientieren. Ein<br />

Nachtrag zu AU 4+5/2003 (die Besprechung der<br />

lateinischen Kurzgrammatik GrammaDux durch<br />

WILLIBALD HEILMANN) füllt sinnvoll den restlichen<br />

Platz der Seite. Im nächsten Praxisbeispiel stellt<br />

MARIA LÜHKEN unter dem Titel „<strong>Der</strong> Dichter als<br />

Übersetzer“ eine sehr anspruchsvolle, vierstündige<br />

Sequenz zur vergleichenden Lektüre von<br />

CATULLS carmen 51 und dem entsprechenden<br />

SAPPHO-Fragment vor; dabei wird den Schülern<br />

durch Transkription und textnahe Übersetzung<br />

sogar der griechische Originaltext zugänglich


gemacht. KARL-HEINZ NIEMANN beschäftigt sich<br />

<strong>im</strong> anschließenden Artikel mit COCTEAUS und<br />

STRAWINSKYS Oedipus Rex; in dieser didaktisch<br />

wie inhaltlich höchst interessanten Unterrichtsreihe<br />

für einen Grundkurs ohne Griechisch-<br />

Kenntnisse vermittelt er fächerverbindend einen<br />

Einblick in die griechische Tragödie, die aufgrund<br />

der für die Schule ungeeigneten Dramen SENECAS<br />

– des einzigen vorhandenen authentischen Materials<br />

– <strong>im</strong> Lateinunterricht zumeist gar nicht thematisiert<br />

werden kann. Im letzten Praxisbeispiel<br />

des Heftes („Griechisches und Römisches <strong>im</strong><br />

Münzbild“) möchte TAMARA VISSER mit Schülern<br />

anschauliche Dokumente dafür untersuchen,<br />

wie auch <strong>im</strong> Alltag die römische Kultur an die<br />

griechische anknüpfte und sie rezipierte; dem<br />

dabei postulierten handlungsorientierten Ansatz<br />

wird die Autorin m. E. jedoch nicht gerecht: Die<br />

Selbständigkeit der Schüler bleibt auf das genaue<br />

Betrachten der obendrein nicht <strong>im</strong>mer deutlichen<br />

Münzabbildungen beschränkt, für die Deutung<br />

und Interpretation der gewonnenen Ergebnisse<br />

ist umfangreiches (in dem Beitrag enthaltenes)<br />

Vorwissen notwendig, so dass die längste Unterrichtsphase<br />

wohl ein gelenktes Unterrichtsgespräch<br />

sein dürfte. Das Magazin beginnt mit<br />

drei Buchhinweisen: Hellenika (besprochen<br />

von JOACHIM BIRKEN), Das antike <strong>Rom</strong> – Führer<br />

durch Geschichte und Kultur (rezensiert von<br />

JÜRGEN BERTRAM) und Attika <strong>im</strong> Spiegel antiker<br />

Zeugnisse (empfohlen von WILLIBALD HEILMANN).<br />

Es folgt eine nützliche tabellarische Übersicht zu<br />

„Informationen und Materialien zu Griechischem<br />

in Lateinlehrbüchern“ von JÖRG PFEIFER, der übrigens<br />

ab 2004 die Redaktionsleitung anstelle von<br />

EVA DOROTHEA BODER übern<strong>im</strong>mt. FRIEDERIKE<br />

HORN und SANDRA RUDLOFF geben in einem von<br />

originellen Anregungen strotzenden und dabei<br />

konstruktiv kritischen Artikel ihre Erfahrungen<br />

mit der Textausgabe „Kleopatra“ (Vandenhoeck<br />

& Ruprecht) wieder. MATHIAS LÖCHNER berichtet<br />

von dem interessanten Weg, den das Reuchlin-<br />

Gymnasium in Pforzhe<strong>im</strong> gefunden hat, um<br />

dem Fach Griechisch durch Öffnung auch für<br />

Nichtlateiner wieder zu steigenden Schülerzahlen<br />

zu verhelfen und es so vor dem Aussterben<br />

zu bewahren. Eine Abbildung des nach neuesten<br />

Forschungen erstellten Modells des Athener Dio-<br />

nysostheaters beschließt als Miniposter dieses<br />

überwiegend gelungene Heft.<br />

Unter dem Titel „Synoptisches Lesen“ vereint<br />

<strong>Der</strong> Altsprachliche Unterricht in der Ausgabe<br />

1/2004 Artikel, die in sehr unterschiedlicher<br />

Weise die Arbeit mit Übersetzungen <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />

thematisieren. <strong>Der</strong> sehr ausführliche<br />

Basisartikel von RAINER NICKEL beschäftigt sich<br />

schwerpunktmäßig mit dem Übersetzungsvergleich;<br />

dazu werden auf einer soliden theoretischen<br />

Basis die möglichen Gesichtspunkte für<br />

Übersetzungsvergleiche erläutert und nützliche<br />

Hinweise für die Praxis gegeben. Dem problematischen<br />

Umgang mit Übersetzungen von Lehrbuchtexten<br />

aus dem Internet widmet sich ACHIM<br />

BEYER <strong>im</strong> ersten Praxisbeispiel („Vernetztes<br />

Denken“), in dem er einen Weg aufzeigt, solche<br />

teilweise sehr fehlerhaften Produkte sinnvoll für<br />

den Unterricht zu nutzen – ihr he<strong>im</strong>licher Einsatz<br />

ist ohnehin kaum kontrollierbar. Sehr überzeugend<br />

legt HANS-LUDWIG OERTEL in seinem Beitrag<br />

„Punktuelles Lesen“ dar, dass der Einsatz<br />

deutscher Übersetzungen nicht automatisch zu<br />

Oberflächlichkeit führt; die vorgestellte Methode<br />

ist sehr variabel in Mittel- und Oberstufe einsetzbar,<br />

ermöglicht die zügige Lektüre längerer<br />

Passagen und schärft den Blick der Schüler für<br />

wichtige Details. Wie man Lernern, die erst in<br />

Klasse 11 mit dem Lateinunterricht beginnen,<br />

trotz extremer Zeitknappheit bis zum Abitur<br />

einen nachhaltigen Eindruck von römischer<br />

Literatur vermitteln kann, zeigt WIELAND RICH-<br />

TER in dem „Dido und Aeneas“ überschriebenen<br />

Praxisbeispiel, das aufgrund der umfangreichen<br />

Dokumentation hervorragend nachvollziehbar<br />

ist. Weniger ertragreich ist dagegen der sich<br />

anschließende Aufsatz von CHRISTINE GROß<br />

zur Pax <strong>Rom</strong>ana: Über die fachwissenschaftlichen<br />

und interpretatorischen Zusammenhänge<br />

kommen Didaktik und Methodik allzu kurz, die<br />

vorgeschlagenen Tafelbilder sind durch Umfang<br />

und Komplexität sehr praxisfern. Dies fällt vor<br />

allem <strong>im</strong> <strong>Vergleich</strong> mit den darauf folgenden<br />

Ausführungen von KARL-HEINZ NIEMANN zu<br />

methodischen Varianten bei der SENECA-Lektüre<br />

auf; sehr stringent macht er deutlich, wie man<br />

entscheidet, welche Partien oder ganze Briefe<br />

man <strong>im</strong> Original, welche man zweisprachig und<br />

39


welche man vollständig in Übersetzung liest; die<br />

dabei entstehenden Tafelbilder sind übersichtlich<br />

und aussagekräftig, das beigefügte Folienbild<br />

– ein durchaus nicht perfektes Schülerprodukt<br />

– verdeutlicht das erreichbare Textverständnis.<br />

SYLVIA THIELEs prägnanter Beitrag dreht sich<br />

um TOLKIENS „Ringgedicht“, das mittlerweile<br />

auch in einer lateinischen Version existiert – ein<br />

<strong>Vergleich</strong> mit der englischen und der deutschen<br />

Fassung sorgt für beachtlichen Erkenntnisgewinn<br />

auf sprachlicher Ebene und eignet sich hervorragend<br />

für Vertretungsunterricht. (Für die Mitarbeit<br />

an einem Heft zu dem wichtigen Thema „Vertretungsstunden“<br />

wird übrigens auf S. 51 ausdrücklich<br />

geworben!) In der Rubrik AUextra berichtet<br />

STEPHAN THIES ausführlich über die positiven<br />

Erfahrungen mit „Latein-Plus“ <strong>im</strong> sogenannten<br />

Biberacher Modell. Die Anregungen <strong>im</strong> Magazin-<br />

Teil enthalten Artikel von PETER GUMMERT über<br />

MARTIN LUTHERS Gedanken zur Problematik des<br />

Übersetzens und ihre Behandlung <strong>im</strong> Unterricht,<br />

von WERNER KEMPKES zu kolometrisch-synoptischem<br />

Lesen und dem Wesen einer hilfreichen<br />

Übersetzung, von MEINHARD-WILHELM SCHULZ<br />

zu der – etwas eigenwilligen – einsprachigen<br />

Erklärung schwieriger Sätze auch <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />

und von SYLVIA THIELE über den Beitrag<br />

der <strong>Antike</strong> zum Verständnis von Tolkiens „perfektem<br />

Mythos“. Tipps und Termine sowie das Miniposter<br />

(„Dido und Aeneas in der Höhle“, farbige<br />

Abbildung aus dem Codex Vergilius <strong>Rom</strong>anus)<br />

beschließen dieses empfehlenswerte Heft.<br />

40<br />

MARTIN SCHMALISCH<br />

Themenschwerpunkt der ZS Welt und Umwelt<br />

der Bibel in Heft 30/2003 ist die Gestalt Abrahams;<br />

ein Dutzend Beiträge sind diesem ‚Mann<br />

mit vielen Gesichtern‘ gewidmet. Ein archäologischer<br />

Beitrag des Heftes gilt den Lagerhäusern<br />

und Silos in Cäsarea Marit<strong>im</strong>a: J. PATRICH,<br />

„<strong>Antike</strong> Vorratshaltung“ (66-69), unterscheidet<br />

mehrere Speichertypen, zieht Rückschlüsse auf<br />

die Bedeutung für die Ökonomie der Stadt und<br />

beschreibt Cäsarea als ein Beispiel für die antike<br />

Vorratshaltung in einer größeren Stadt. – Ein<br />

schönes Heft ist den Herausgebern mit der Nr.<br />

31/2004 gelungen, das den Fluss Nil in den Mit-<br />

telpunkt stellt und eine Reihe von Beiträgen zu<br />

Natur, Kultur, Religions- und Alltagsgeschichte,<br />

Archäologie und Kunst des Niltals präsentiert. P.<br />

LENOBLE berichtet „Wie die Spione des Nero die<br />

Nilquellen suchten. Ägyptenforschung vor zwei<br />

Jahrtausenden“ (47). Auf Befehl NEROS machte<br />

sich 61 n. Chr. eine Expedition nach Ägypten<br />

auf, um die Erfolgsaussichten einer möglichen<br />

Eroberung zu prüfen. Doch vor allem studieren<br />

die Gesandten das fremde Volk und besichtigen<br />

touristische Angebote, so die Berichte bei PLINIUS<br />

d. Ä., SENECA und CASSIUS DIO.<br />

Die ZS <strong>Antike</strong> Welt greift in Heft 5/2003<br />

mit mehreren reich illustrierten Beiträgen das<br />

Thema einige schulisch sehr relevante Themen<br />

auf. H. KLOFT schildert den „Alltag in der <strong>Antike</strong>.<br />

Das Beispiel Pompeji“ (451-461); anhand von<br />

Graffiti, Dipinti und epigraphischen Zeugnissen<br />

spürt er dem ‚Glück‘, den ‚Segnungen der<br />

Pax <strong>Rom</strong>ana‘ nach, den ‚langfristigen Bekundungen<br />

von Zufriedenheit und Einverständnis<br />

mit den Lebensumständen über die subjektive<br />

Befindlichkeit hinaus‘. – Langjährige Grabungen<br />

haben in Arkadien eine prachtvolle kaiserzeitliche<br />

Villenanlage zutage gefördert, die <strong>im</strong><br />

Besitz des berühmten Sophisten und steinreichen<br />

Mäzen HERODES ATTICUS war. Darüber<br />

berichten TH. und G. SPYROPOULOS: „Prächtige<br />

Villa, Refugium und Musenstätte. Die Villa des<br />

Herodes Atticus <strong>im</strong> arkadischen Eua“ (463-470;<br />

vgl. auch MARCO GALLI, Die Lebenswelt eines<br />

Sophisten. Untersuchungen zu den Bauten und<br />

Stiftungen des Herodes Atticus, Verlag Ph. v.<br />

Zabern, Mainz). – Neben den traditionellen<br />

Gattungen der Historienbilder, der mythologischen<br />

Gemälde und der Porträts waren schon<br />

in griechischer Zeit Lebensmittel ein Bildgegenstand<br />

der Kunst. Erscheinungsformen und<br />

Deutungsmöglichkeiten antiker Stilleben stellt<br />

K. JUNKER in seinem Beitrag „Täuschend echt.<br />

Stilleben in der römischen Wandmalerei“ (471-<br />

482) vor. – EDITH BERNHAUER befasst sich mit<br />

der Wechselbeziehung zwischen Attribut und<br />

Statueninhaber in der ägyptischen Kunst: „Sinnbildliche<br />

Kennzeichen ägyptischer Würdenträger.<br />

Die rundplastische Darstellung von Privatpersonen<br />

mit Attribut <strong>im</strong> Alten Ägypten“ (483-489).<br />

– Die Liebe Apolls und das Schicksal des von


ihm erwählten Hyakinthos, der be<strong>im</strong> Spiel mit<br />

dem Diskus ums Leben kam, beschreibt u. a.<br />

OVID; G. GRIMM: „Apolls Liebling Hyakinthos<br />

oder Wer ist wer?“ (499-503) stellt einige Abbildungen<br />

des Mythos vor. – Den Vorläufern des<br />

römischen Hand-Abacus und die Entwicklung<br />

dieses Rechengeräts bis in die moderne Zeit verfolgt<br />

A. SCHÄRLIG: „Rechnen ganz einfach. <strong>Der</strong><br />

römische Abacus – sein griechischer Vorfahre<br />

und seine Nachkommenschaft bis nach Japan“<br />

(517-520). – Einige Beiträge verweisen auf<br />

Ausstellungen und neue Sammlungen: GERHILD<br />

KLOSE, KATHARINA ANGERMEYER: „Isis hält Hof.<br />

Ein Römerfest zur Eröffnung der Kultstätte der<br />

Isis Panthea und Mater Magna in Mainz“ (521-<br />

524); R. PETROVSZKY, BÄRBEL HANEMANN: „Römer<br />

in der Pfalz. Die neue Ausstellung zur Römerzeit<br />

<strong>im</strong> Historischen Museum der Pfalz Speyer“<br />

(525-528); M. FLASHAR: „Theseus, der Held der<br />

Athener. Wie die Archäologische Sammlung der<br />

Universität Freiburg drei gleichzeitig laufende<br />

Sonderausstellungen auf die Beine gestellt hat“<br />

(529f.). – Heft 6/2003 beginnt mit einem Bericht<br />

über eine Ausstellung <strong>im</strong> Berliner Vorderasiatischen<br />

Museum von J. MARZAHN: „Wiedererstehendes<br />

Assur. 100 Jahre deutsche Ausgrabungen<br />

in Assyrien“ (567-574). – M. FUHR schreibt über<br />

„Beutekunst unter Napoleon. Die ‚französische<br />

Schenkung‘ an Mainz 1803. Eine Ausstellung <strong>im</strong><br />

Landesmuseum Mainz“ (595-599). – Über eine<br />

Ausstellung <strong>im</strong> Albertinum Dresden informieren<br />

M. WOELK und KORDELIA KNOLL: „Die Lebenden<br />

und die Seligen. Unteritalisch-rotfigurige Vasen<br />

der Dresdener Skulpturensammlung“ (601-603).<br />

– Die ungewöhnlich dichte Folge von Badeanlagen<br />

in Olympia, deren Entwicklung sich vom<br />

5. Jh. v. Chr. bis weit in die römische Kaiserzeit<br />

verfolgen lässt, belegt, dass man an dieser prominenten<br />

Stätte gerade auch be<strong>im</strong> Badewesen den<br />

jeweils neuesten Standard anstrebte; U. SINN,<br />

CHRISTINA LEYPOLD und CHRISTA SCHAUER geben<br />

einen Einblick: „Olympia – eine Spitzenstellung<br />

nicht nur <strong>im</strong> Sport. Eine neuentdeckte Badeanlage<br />

der hellenistischen Zeit“ (617-623). – Im 2. und 3.<br />

Jahrhundert n. Chr. ist in vielen Regionen Kleinasiens<br />

die Tendenz festzustellen, Göttergeburten<br />

auf Münzen oder Theaterfriesen nachdrücklich in<br />

das Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen; diese<br />

Sehnsucht nach welterneuernden Gotteskindern<br />

untersucht J. NOLLÉ: „Vielerorts war Bethlehem<br />

– Göttergeburten <strong>im</strong> kaiserzeitlichen Kleinasien“<br />

(635-643). – In der Rubrik ‚Seitenblicke auf die<br />

antike Welt‘ untersucht H. FÖRSTER „Die Anfänge<br />

des Weihnachtsfestes“ (668-671).<br />

Vier ganz verschiedene Wettbewerbsberichte<br />

liest man in Latein und Griechisch in Berlin und<br />

Brandenburg: J.PIEPER, ausgezeichnet in Arpino<br />

mit einem begehrten Sonderpreis, erzählt in Heft<br />

3/2003, 86-88 unter dem Titel „Großer Berliner<br />

Erfolg be<strong>im</strong> Certamen Ciceronianum 2003“ vom<br />

großen Erlebnis in Italien. – Das Stück, mit dem<br />

die Berliner Bühring-Oberschule Landessieger<br />

be<strong>im</strong> Bundeswettbewerb Fremdsprachen wurde<br />

und sich für die Teilnahme am Sprachenfest in<br />

Hildeshe<strong>im</strong> qualifizierte, ist nachzulesen S. 88-91<br />

unter dem Titel: „Horror unoculi vel ‚numquam<br />

sine …’“; Odysseus und Konsorten lassen darin<br />

den einäugigen Polyphem schlecht aussehen.<br />

– J. RABL blickt in Heft 4/2003,110-137 auf den<br />

Berlin-Brandenburgischen Wettbewerb ‚Lebendige<br />

<strong>Antike</strong>‘ mit dem Thema „Werbung mit allen<br />

antiken Mitteln“ zurück: „Lebendige <strong>Antike</strong><br />

verleiht Flügel. Viel Witz und Phantasie be<strong>im</strong> 8.<br />

Schülerwettbewerb“ (vgl. auch www.peirene.de).<br />

– BETTINA REITZ schließlich war unterwegs „Auf<br />

den Spuren des Horaz in Venosa. Kleine Entdeckungsreise<br />

mit einer großen Überraschung“<br />

(139f).<br />

In Heft 2/2003 der ZS Latein und Griechisch<br />

in Baden-Württemberg gibt G. REINHART einen<br />

aktuellen Überblick über „Latein und Griechisch<br />

in Baden-Württemberg“ (9-13) mit einem Ausblick<br />

auf die neuen Bildungsstandards, „mit<br />

deren Hilfe neue Aspekte des altsprachlichen<br />

Unterrichts in Hinblick auf ihre Anspruchhöhe<br />

und Durchdringungstiefe näher definiert werden.<br />

Dabei treten z. B. folgende Arbeitsformen in den<br />

Blickpunkt: produktive Formen des Umgangs mit<br />

Texten (produktives Schreiben, Dialogisierung<br />

von Texten, Inszenierungen etc.); Text-Bild-<br />

<strong>Vergleich</strong>e oder Text-Text-<strong>Vergleich</strong>e; Einbeziehung<br />

elektronischer Medien als Hilfs- und<br />

Arbeitsmittel. … Mit dem altsprachlichen Unterricht<br />

verbunden sind eine nachhaltige Schulung<br />

analytischer, kombinatorischer und strukturierender<br />

Fähigkeiten, die Ausprägung einer vor-<br />

41


urteilsfreien Offenheit für fremde Kulturen und<br />

die Entwicklung eines eigenen Urteilsvermögens.<br />

Damit zielt der altsprachliche Unterricht nicht nur<br />

auf methodische und kulturelle, sondern auch auf<br />

soziale und personale Kompetenzen.“ – Es folgen<br />

zwei Vorträge bei Fortbildungsveranstaltungen:<br />

E. A. SCHMIDT: „Krieg und Menschlichkeit in<br />

der Ilias“ (14-26) und K. BARTELS: „Hephaistos,<br />

Prometheus und Homo faber. Mythisches und<br />

postmythisches Technikverständnis“ (26-37).<br />

– Über eine Stuttgarter Fachtagung des Vereins<br />

„Alte Geschichte für Europa“ berichtet R. KLIMEK-<br />

WINTER: „Das römische Reich und die historischen<br />

Wurzeln des heutigen Europa“ (41-43). – Abgedruckt<br />

ist die lateinische „Laudatio auf Michael<br />

von Albrecht“ anlässlich seines 70. Geburtstags<br />

von J. P. SCHWINDT (45f.)<br />

Viel Interessantes bietet das Doppelheft 2+3/<br />

2003 der ZS Die Alten Sprachen <strong>im</strong> Unterricht.<br />

Zwei Thüringer Schülerinnen KATI HILDEBRAND<br />

und STEFANIE SCHUH erzählen begeistert von<br />

ihrer Teilnahme am internationalen Certamen<br />

Ciceronianum in Arpino (4-6). – KARIN KEMME-<br />

TER befasst sich mit ganz praktischen „Möglichkeiten<br />

der aktiven Werbung für das Fach Latein:<br />

Audite Faunum!“ (12-14). – A. SEDLMEIER plädiert<br />

für die Lektüre lateinischer Texte des 20.<br />

Jahrhunderts „Christliche Texte <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />

– ein Projekt für die 10. Jahrgangsstufe<br />

am Beispiel der Enzyklika ‚Humanae vitae‘“<br />

(14-40) mit einer (kopierfähigen) Textauswahl<br />

und umfangreichen Erläuterungen (40-70). – Im<br />

Heft 4/2003, S. 3 berichtet H. KLOIBER u. a. von<br />

einem Schreiben von Ministerialdirigent Dr. P.<br />

Müller, „dass in Zukunft auch Schüler mit Latein<br />

als zweiter Fremdsprache ‚das Fach Griechisch<br />

ohne weitere Auflagen wählen‘ und damit zum<br />

Humanistischen Gymnasium zugelassen werden<br />

können.“ – F. HEUBNER ruft (5f.) zum XI. Certamen<br />

Thuringiae 2004 auf. – Zu einem ausgefallenen<br />

Wettbewerb ruft der Landesverband Bayern<br />

auf: „Gegenstand des Wettbewerbs ist ein Logo<br />

bzw. eine graphische oder bildhafte Darstellung,<br />

die auf witzige, nicht aber kitschhafte Weise für<br />

das Fach Latein werben soll. Auch eine Kombination<br />

aus graphischen Elementen und einem<br />

kurzen Text <strong>im</strong> Sinne einer Sentenz oder eines<br />

Werbespruchs wäre sehr willkommen.“ – W.<br />

42<br />

VON BERNUTH referiert mit Blick auf die Nutzung<br />

von Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien<br />

<strong>im</strong> Internet über „Das neue Urheberrecht.<br />

Neue Regeln für den Unterrichtsalltag“ (13-18).<br />

– Einen sehr detaillierten und materialreichen<br />

Lektürevorschlag gibt MARTINA REISS: „Rutilius<br />

Claudius Namatianus, Laudes <strong>Rom</strong>ae (De reditu<br />

suo 1,47-164), als Ergänzung zu Vergils Aeneis<br />

in der 11. Jahrgangsstufe oder <strong>im</strong> Leistungskurs“<br />

(18-54). – M . LOBE berichtet über „Eine Ausstellung<br />

von Titelkupfern lateinischer Textausgaben<br />

des 17. und 18. Jahrhunderts am Melanchthon-<br />

Gymnasium Nürnberg vom 15.12.2003 bis zum<br />

15.03.2004“ unter der Überschrift „‚Stumme<br />

Poesie‘ – Lateinische Literaturgeschichte in Bildern“<br />

(55-59).<br />

Heft 3+4/2003 des Mitteilungsblatts des<br />

Landesverbands NRW beginnt mit dem Resümee<br />

des Vortrags von G. BINDER bei der Xantener<br />

DAV-Tagung über die „Via Flaminia. 2000<br />

Jahre einer antiken Fernstraße in Mittelitalien“<br />

(3-5). – G. JANSSEN diskutiert die Frage „Eulen<br />

aus Athen oder: Warum man Griechisch können<br />

sollte“ (5-7). – „Zwei Vorstellungen von Glück“<br />

präsentiert FLORA BEGRICH, Teilnehmerin am Certamen<br />

Carolinum 2001, und zwar das Modell des<br />

Herakles am Scheideweg und das von Solon und<br />

Kroisos (7-17).<br />

Die ZS Circulare. Unabhängiges Organ der<br />

klassischen Philologen Österreichs, Heft 4/2003<br />

beginnt mit einem Vortrag „<strong>Rom</strong> und Europa“(3-<br />

5), den G. E. THÜRY in der rumänischen Botschaft<br />

in Wien be<strong>im</strong> Symposion „In honorem <strong>im</strong>peratoris<br />

Traiani“ gehalten hat. – G. E. Thüry war<br />

auch der Hauptakteur eines Workshops ‚Kochen<br />

in der römischen <strong>Antike</strong>‘, von dem W. WIDHALM-<br />

KUPFERSCHMIDT unter dem Appell „Männer an den<br />

Herd“ berichtet (S. 7). – RENATE GLAS berichtet<br />

unter dem Titel „Talentecamp 2003: Ansturm auf<br />

das Lateinerteam“ (8) von einer nachahmenswerten<br />

Initiative, einer Veranstaltung für besonders<br />

talentierte und interessierte Schüler verschiedenster<br />

Fachbereiche an der Universität Klagenfurt.<br />

Unter dem Motto ‚Die antike Mythologie lässt<br />

grüßen ..‘ arbeiteten 13 Schülerinnen und Schüler<br />

aus ganz Kärnten an der Bedeutung und der<br />

mythologischen Herkunft der Tierkreiszeichen<br />

und erstellten dazu eine viel beachtete Power-


point-Präsentation. – M. HUBER verfolgt am Beispiel<br />

einiger Karikaturen die „<strong>Antike</strong>(nrezeption)<br />

in den Medien“ (13), MARIE-THERES SCHMETTERER<br />

gibt einen Überblick über „Orpheus: Mythos,<br />

Dichtung und Oper“ (16-19). – M. SCHÖFFBERGER<br />

und V. STREICHER sehen „Griechisch auf neuen<br />

Besprechungen<br />

Arbogast Schmitt: Die Moderne und Platon. J.<br />

B. Metzler, Stuttgart, We<strong>im</strong>ar 2003, 584 S., EUR<br />

69,95 (ISBN 3-476-01949-7).<br />

<strong>Der</strong> Marburger Gräzist ARBOGAST SCHMITT<br />

(S.) legt mit seiner – nach Abzug des Literaturverzeichnisses<br />

(541-561), des Sach- und Personenregisters<br />

(562-579) sowie des Stellenregisters<br />

(581-584) – 540 Seiten umfassenden Monographie<br />

„Die Moderne und Platon“ eine Fülle seiner<br />

Forschungs- und Interpretationsergebnisse zur<br />

Deutung des Verhältnisses der Moderne zu Platon<br />

oder – um es gleich etwas genauer zu sagen –:<br />

des Verhältnisses der Neuzeit/Moderne (deren<br />

spezifische Ausprägungen er bereits <strong>im</strong> Spätmittelalter<br />

sich vollziehen sieht (dazu u.)) zur platonisch-aristotelisch-scholastischen<br />

Tradition vor.<br />

<strong>Der</strong> Titel des Buches ist insofern Ergebnis des<br />

Befundes, dass sich die Moderne zur Ausbildung<br />

ihres eigenen Selbstverständnisses Platon stets<br />

erneut als zentralen Bezugspunkt gewählt und<br />

sich <strong>im</strong>mer wieder in Auseinandersetzung mit<br />

diesem definiert hat – dies in teilweise dezidiert<br />

ablehnender oder auch ungerechtfertigt vereinnahmender<br />

Form.<br />

S. greift auf langjährige und weitgespannte<br />

eigene Vorarbeiten wie auch auf Ergebnisse der<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes<br />

„Neuzeitliches Selbstverständnis und Deutung<br />

der <strong>Antike</strong>“ zurück (6), führt diese umfangreichen<br />

Studien zusammen und weiter und lässt<br />

ungeachtet der <strong>im</strong>mensen, ja überwältigenden<br />

Aspektfülle ein beeindruckend geschlossenes<br />

Bild der in den Grundthesen entworfenen und<br />

diskutierten Fragestellungen entstehen.<br />

Diese Weite des Horizontes ist ebenso Resultat<br />

des Verfolgens langfristiger Traditionslinien wie<br />

des grundsätzlich interdisziplinären Ansatzes.<br />

Wegen“; sie analysieren Webseiten für den Griechischunterricht,<br />

müssen dabei feststellen, dass<br />

es „nach wie vor an einem dichten ‚Netzwerk für<br />

Griechisch‘ mangelt“.<br />

JOSEF RABL<br />

Einbezogen werden u. a. philosophische, ästhetische,<br />

ethische, politische, ökonomische und<br />

naturwissenschaftliche Aspekte (5).<br />

Eine Rezension kann natürlich nicht den<br />

Rahmen bieten, ein Buch, das sich in diesem<br />

Umfang so zahlreicher Bezüge bedient bzw.<br />

diese auch ganz neu herstellt, in seinen subtilen<br />

Argumentationssträngen auch nur <strong>im</strong> Ansatz<br />

nachzuzeichnen. Ich konzentriere mich dementsprechend<br />

auf wesentliche Thesen und bin<br />

zuversichtlich, dass vor diesem Hintergrund<br />

einsichtig wird, warum ich die Ansicht vertrete,<br />

dass diese Arbeit nicht nur von einigen wenigen<br />

klassischen Philologen (S. ist ja von Hause aus<br />

Gräzist), sondern von einem breiteren Publikum<br />

rezipiert werden sollte. Ich denke z. B. an die an<br />

Universitäten, Studienseminaren und Schulen in<br />

den Bereichen „Didaktik“, „Methodik“, „Pädagogik“<br />

und „Psychologie“ – in welcher Form auch<br />

<strong>im</strong>mer – Tätigen.<br />

Zunächst zeichnet S. instruktiv nach, in<br />

welchem Maße sich das Selbstverständnis der<br />

Neuzeit/Moderne aus der Auffassung speist,<br />

sich in einem radikal-revolutionären Bruch mit<br />

den Epochen „<strong>Antike</strong>“ und „Mittelalter“ zu<br />

befinden und diese – vorgeblich insbesondere<br />

erkenntnistheoretisch naiven – Epochen endgültig<br />

überwunden zu haben, wodurch der Weg zu<br />

einer sachlich begründeten Auseinandersetzung<br />

mit dem <strong>im</strong> Grunde unwiederbringlich Überholten<br />

nicht mehr gegeben sei.<br />

Wie wenig plausibel sich ein solch plakatives<br />

Konstrukt darstellt, ergibt sich S. zufolge<br />

schon aus den uneinheitlichen und demzufolge<br />

kaum argumentative Konsistenz aufweisenden<br />

Versuchen, „Modernes“ innerhalb der europäischen<br />

Geistesgeschichte, ja der <strong>Antike</strong> selbst<br />

43


zu lokalisieren. „Modern“ soll demnach etwa<br />

die Entwicklung von HOMERS Ilias zur Odyssee,<br />

vom Epos zur Lyrik oder von der griechischen<br />

Klassik zum Hellenismus gewesen sein. Den<br />

Vorwurf könnte man also auch so wenden: Die<br />

Moderne hat sich in einem Gefühl der Überlegenheit<br />

von der <strong>Antike</strong> abgegrenzt, ohne sich des<br />

mit „modern“ Gemeinten wirklich vergewissert<br />

zu haben.<br />

Im Anschluss zeigt S. diejenigen Linien auf,<br />

die zur Herausbildung der Moderne als fundamental<br />

charakterisiert werden dürfen.<br />

Zum einen sieht er als ursächlich die „Wende<br />

zur Erfahrung und die Erhöhung des Einzeldings<br />

zum ‚wohlbest<strong>im</strong>mten‘ Ding...“ an (23).<br />

Entscheidend hierfür sei die Umdeutung des<br />

ARISTOTELES durch den franziskanischen Gelehrten<br />

DUNS SCOTUS <strong>im</strong> Spätmittelalter, der die mindestens<br />

drei notwendigen Arten des Erkennens<br />

(Wahrnehmung, Verstand und Intellekt) zugleich<br />

nivellierend auf zwei, nämlich die intelligente<br />

Anschauung und den (zergliedernden) Verstand<br />

reduziert und diese damit in einen scharfen<br />

Gegensatz gebracht habe – eine der Moderne<br />

geläufige Dichotomie. Folge sei die Verwissenschaftlichung<br />

der Anschauung gewesen, insofern<br />

diese nunmehr zur Erfassung der vollständigen<br />

Best<strong>im</strong>mtheit eines Einzelgegenstandes zu befähigen<br />

schien (32).<br />

Zum anderen arbeitet S. die Bedeutung der<br />

massiven Stoa-Rezeption in und seit der Renaissance<br />

heraus, wodurch diese übrigens nicht zu<br />

einer Epoche der Wiederentdeckung der <strong>Antike</strong>,<br />

sondern der hellenistischen <strong>Antike</strong> geworden<br />

sei (66ff.), durch deren ‚Brille‘ man von nun an<br />

Platon gesehen habe. Was den in hohem Maße<br />

prägenden Einfluss der Stoa auf die Neuzeit<br />

betrifft, so greife ich drei Denkfiguren heraus:<br />

1. Die stoische Auffassung einer kontinuierlichen,<br />

kausal-mechanistischen Ursachenkette<br />

(z. B. 94f.), die jedem Einzelgegenstand in<br />

seiner jeweiligen Ausprägung einen notwendigen<br />

Platz <strong>im</strong> Gesamt zuweise.<br />

2. Die stoische Lehre der Synkatathesis, die als<br />

ein Akt der (bewussten) Zust<strong>im</strong>mung zu einer<br />

Einwirkung/Affektion den Menschen in eine<br />

kategoriale Zweiteilung bringe: auf der einen<br />

Seite ein ausschließlich passiv-rezeptiver<br />

44<br />

Bereich der Seele (z. B. Wahrnehmung oder<br />

Gefühl), auf der anderen Seite der von Spontaneität<br />

gekennzeichnete Bereich des Logos,<br />

der demzufolge allein Freiheit verbürge (z. B.<br />

114f., hier auch aufschlussreiche Hinweise<br />

zum Einfluss der Synkatathesislehre auf den<br />

in der Moderne gebräuchlichen, ja geradezu<br />

dogmatischen Rang beanspruchenden Pr<strong>im</strong>at<br />

des Willens/des Interesses gegenüber der<br />

Erkenntnis).<br />

3. Die Oikeiosislehre, die den Menschen auf<br />

seine rud<strong>im</strong>entären Anfänge festlege (454).<br />

Es ist in der Tat ein intellektuelles Vergnügen, S.s<br />

Nachweis zu verfolgen, wie sich die genannten<br />

Linien und Denkmuster, die ja kein gegebenes<br />

Faktum, sondern historisch-kontingent vermittelt<br />

sind, bei allen Divergenzen <strong>im</strong> Detail als Basisannahmen<br />

in der Neuzeit/Moderne durchgehalten<br />

haben und bis in neueste Ansätze unterschiedlichster<br />

wissenschaftlicher Disziplinen durchhalten.<br />

Ehe ich auf wenige ausgewählte Komplexe<br />

kurz genauer eingehe, liste ich einige Einzelaspekte<br />

auf. Dies kann nur in einer kleinen Auswahl<br />

geschehen, die ganze Breite der Einsichten<br />

vermittelt nur die eigene Lektüre. Zu nennen sind<br />

etwa der Gegensatz von Natur und Kultur (81ff.),<br />

die Verengung des Begriffs der Rationalität durch<br />

die Entgegensetzung von Sinnlichkeit und Verstand<br />

(100ff.), die Festlegung bzw. Reduzierung<br />

des Denkens auf die D<strong>im</strong>ension der Vorstellung<br />

(z. B. 134ff.), die Kunsttheorie des Naturalismus<br />

(145ff.), der logische Empirismus (154ff.), die<br />

Gestaltpsychologie (159ff.), moderne Logiken<br />

(241ff.), die Evolutionstheorie (460ff.).<br />

Als Kernstück der Arbeit darf indes gewiss die<br />

Herausarbeitung des unterschiedlichen Begriffs<br />

des Denkens in der Neuzeit/Moderne und in<br />

der platonisch-aristotelisch geprägten <strong>Antike</strong><br />

betrachtet werden. Dabei kehren sich gewohnte,<br />

verfestigte Bilder um. Es tritt der bemerkenswerte<br />

Befund zutage, dass die <strong>Antike</strong> keineswegs<br />

unbesehen als unkritisch und erkenntnistheoretisch<br />

naiv anzusehen ist, weil sie noch nicht zu<br />

der Erkenntnis gelangt sei, dass das Denken bei<br />

sich selbst seinen Anfang nehmen müsse. Im<br />

Gegenteil: Es sei gerade die Neuzeit/Moderne,<br />

die ein eher oberflächliches und unzureichen-


des Verständnis von dem entwickelt und ausgebildet<br />

habe, was das Denken zum Denken<br />

mache. Denn seither werde „Denken“ endgültig<br />

mit Bewusstsein identifiziert, der Begriff des<br />

Denkens also von dem nachgeordneten Akt der<br />

(bewussten) Vergegenwärtigung passiv empfangener<br />

Daten gewonnen, das Denken mithin<br />

in den Bereich der Vorstellung verwiesen und<br />

auf diesen festgeschrieben. Viele Aporien der<br />

Neuzeit/Moderne haben genau an dieser Stelle<br />

– wenn ich S. richtig verstehe – ihren Ursprung:<br />

z. B. die Subjekt-Objekt-Spaltung, die scheinbar<br />

unüberbrückbare Kluft zwischen vorgeblich distanzierter<br />

Rationalität und dem Reichtum unmittelbarer<br />

Erfahrung, unmittelbaren Erlebens und<br />

dgl. In diesem Kontext ist insbesondere auf die<br />

aufschlussreichen DESCARTES- und KANTinterpretationen<br />

zu verweisen.<br />

Im Gegensatz dazu sei für PLATON und auch<br />

ARISTOTELES Denken ein pr<strong>im</strong>ärer Erfassungsakt,<br />

ein Akt des Unterscheidens und zwar des Unterscheidens<br />

von „Etwas“, „etwas Best<strong>im</strong>mten“.<br />

Und genau in diesem Erfassen von Best<strong>im</strong>mtem,<br />

von dem, was eine Sache <strong>im</strong> Unterschied zu<br />

anderem zu dieser einen Sache mache (das dann<br />

natürlich kein Einzelgegenstand sein, sondern<br />

nur als Resultat einer begrifflichen Klärung verstanden<br />

werden könne), liege die Bedeutung des<br />

Seins (verstanden als „etwas Best<strong>im</strong>mtes sein“)<br />

als innerer Maßstab des Denkens (vgl. hierzu<br />

52ff. sowie die Ausführungen zur Hypothesis<br />

der Idee und zum Widerspruchsaxiom, 215ff).<br />

Es sei folglich eine gravierende Fehldeutung,<br />

diese Ausrichtung am Sein als einen naiven<br />

Abbildrealismus zu kritisieren. Zudem biete<br />

die platonisch-aristotelische Auffassung einen<br />

alternativen Blick auf die Einheit der seelischen<br />

Aktivitäten, insofern hier alle seelischen Vermögen<br />

wegen ihrer Unterscheidungstätigkeit Anteil<br />

am Denken hätten. In diesem Sinne denke – wenn<br />

auch nicht <strong>im</strong> wirklich eigentlichen Sinne – schon<br />

die Wahrnehmung, insofern sie etwa Farben und<br />

Töne unterscheide, wenn auch gebunden an ihre<br />

Leistungsfähigkeit und deshalb in weniger freier<br />

Form als die Vernunft. Auch Gefühle sind dann<br />

nicht mehr nur in einem irrationalen Bereich des<br />

Menschen anzusiedeln, sondern spielen komplex<br />

mit Denkakten zusammen (283ff.). Es gelingt S.<br />

m. E. überzeugend einsichtig zu machen, dass<br />

Platon zu einer bemerkenswert differenzierten<br />

Analyse der Einheit der Person gelangt ist, die<br />

sich der gegenwärtig gängigen Dreivermögen-<br />

Psychologie mit den drei als eigenursprünglich<br />

und getrennt angesehenen Elementen „Verstand“,<br />

„Gefühl“ und „Wille“ als überlegen erweist.<br />

Den Zugang zu der für manchen Leser gewiss<br />

etwas sperrigen Materie erleichtert S. durch<br />

zahlreiche, oft auch vergnügliche Beispiele, die<br />

keineswegs nur illustrierenden Charakter haben,<br />

vielmehr der Argumentation zusätzlich Überzeugungskraft<br />

verleihen.<br />

Zum Schluss möchte ich wenigstens noch auf<br />

die Kapitel zur modernen Staats-, Wirtschafts-<br />

und Evolutionstheorie hinweisen (381-523). Treffen<br />

S.s Analysen zu, so überrascht es – wie oben<br />

schon angesprochen – nicht wenig, in welcher<br />

<strong>im</strong>mensen gedanklichen Abhängigkeit sich die<br />

Moderne von der antiken Stoa und deren doch z.<br />

T. erheblich spekulativen Grundannahmen befindet.<br />

Die Systemstelle „göttlicher Logos“ ist dabei<br />

lediglich ersetzt durch <strong>im</strong> Grunde metaphysische<br />

Subjekte wie „der Markt“ oder „die Selektion“.<br />

Auch hier erweisen sich nicht Platon und Aristoteles<br />

als unaufgeklärt, vielmehr die Neuzeit<br />

und Moderne, deren grundsätzliche Positionen<br />

S. vielfach als „Metaphysik des Empirismus“<br />

kritisiert.<br />

S. hat sich – <strong>im</strong> Bild gesprochen – beileibe<br />

nicht bemüht, den Anhängern und Vertretern<br />

moderner Positionen Honig auf den Rand seiner<br />

scharfen, manchmal geradezu beißenden Kritik 1<br />

zu schmieren. Sein sozusagen enthellenisierter<br />

Platon eröffnet indes zweifelsohne einen freieren<br />

Blick auf zahlreiche Aporien, in denen sich die<br />

Moderne befindet, und zeigt mögliche Lösungsansätze<br />

auf. Diesen Blick zu gewinnen, dazu<br />

wünscht man diesem wirklich großartigen und<br />

bedeutenden Buch zahlreiche Leser, die bereit<br />

sind, Vertrautes in Frage zu stellen und noch<br />

einmal kritisch neu zu denken.<br />

Anmerkung:<br />

1) Zwei Beispiele: „In der Philosophie stehen plötzlich die<br />

<strong>im</strong> Mittelalter zwar bekannten, aber wenig geschätzten<br />

hellenistischen Schulen der Stoa, der Skepsis und des<br />

Epikureismus <strong>im</strong> Zentrum des Interesses. Die erste<br />

lateinische Übersetzung des Sextus Empiricus macht<br />

45


46<br />

diesen Philosophiegeschichtsschreiber aus der zweiten<br />

Reihe zum ‚Vater der modernen Philosophie‘“ (67).<br />

– „Statt aber über den Tod des Subjekts zu klagen<br />

..., sollte man prüfen, ob wir die affirmative Haltung<br />

zur kritischen Moderne nicht zu weit treiben, wenn<br />

wir selbst ihr völliges Scheitern noch für ein Zeichen<br />

ihrer geschichtlichen Überlegenheit halten, hinter die<br />

es kein Zurück geben könne.“ (121).<br />

BURKARD CHWALEK, Bingen<br />

Arno Schmidt, Die Geburt des Logos, Logos<br />

Verlag Berlin, Comeniushof, Gubener Str. 47,<br />

10243 Berlin (ISBN 3-89722-941-2).<br />

ARNO SCHMIDT legt uns ein Buch vor, das aus<br />

einer Reihe von Vorlesungen und Vorträgen an<br />

den Universitäten Oldenburg, Halle und Marburg<br />

hervorgegangen ist. Er wendet sich an Studenten,<br />

Lehrer und überhaupt an philosophisch Interessierte.<br />

Darstellungsform und Sprache sind deshalb<br />

bewusst auch für nicht Klassische Philologen verständlich<br />

gehalten, wie man überhaupt der gesamten<br />

Darlegung die Lebhaftigkeit des mündlichen<br />

Vortrags und die ausgeprägt didaktische Absicht<br />

(ausführliche Lesehilfen, Wort- und Namenserklärungen,<br />

Indizes) des erprobten Schulmanns<br />

anmerkt. Das Buch ist deshalb von vorn bis<br />

hinten gut lesbar, kann aber auch abschnittsweise<br />

als Nachschlagewerk genutzt werden. Und wer<br />

hätte das nicht ab und zu nötig! Darüber hinaus<br />

erfreuen hinzugefügte Radierungen von ERNST<br />

MAROW das Auge.<br />

Worum geht es? Schmidt beginnt seine Ausführungen<br />

zur Geburt des Logos nicht wie die<br />

gängigen Philosophiegeschichten mit THALES<br />

VON MILET. Ausführlich widmet er sich den<br />

Paradigmata (zur Erläuterung des Begriffs vgl.<br />

S. 2 und 15), die den milesischen Physiologoi<br />

vorangehen: HOMER, HESIOD, ORPHEUS und SOLON.<br />

Er beschreibt ihre Denk- und Vorstellungswelten<br />

unter intensiver Bezugnahme auf einschlägige<br />

Textquellen. Die charakterisierenden und differenzierenden<br />

Attribute der verschiedenen Paradigmata<br />

(philomythisch, mythologisch, theologisch)<br />

wirken zunächst etwas verwirrend, sollen<br />

aber offenbar den Hintergrund für das logische<br />

Paradigma des THALES, ANAXIMANDER und ANA-<br />

XIMENES stellen. Schmidt legt Wert auf die Beobachtung,<br />

dass es zwar <strong>im</strong> Mythos noch keinen<br />

Diskurs wie um einen theoretischen Sachverhalt<br />

gebe, dass sich in ihm jedoch schon eine Tendenz<br />

zeige, zwischen Personen und Sachen zu trennen,<br />

womit der Zugang zu einer neuen Weltsicht frei<br />

gemacht und der Weg der Forschung angebahnt<br />

werde, wie die späteren Philosophen <strong>im</strong> engeren<br />

Sinne ihn gingen. Schmidts Aufmerksamkeit gilt<br />

<strong>im</strong> Hauptstück (Paradigmata, Teil B) den Ansätzen<br />

philosophischen Denkens bei den mythologoi<br />

(Denken in Gegensätzen, in Strukturen, dem Hen<br />

kai pan z. B. S. 35ff).<br />

Dabei verarbeitet Schmidt eine große Fülle<br />

von Literatur (11 Seiten Literaturverzeichnis),<br />

schlägt große gedankliche Bögen zu HÖLDERLIN<br />

und CELAN und belegt damit die Wirkungsgeschichte<br />

der antiken Philosophie. Auf lebhafte<br />

narrative Passagen (über Odysseus oder Solon-<br />

Kroisos) folgen reflektierende Abschnitte. Bisweilen<br />

verführt den spürbar begeisterten Autor<br />

die Emotionalität zu waghalsigen Angriffen auf<br />

modern-gängige Wörter, die ihm zu Reizwörtern<br />

geworden sind (vgl. S. 21 Bildungspolitik – Frivolität).<br />

Schmidt schreibt mit Herzblut, und das<br />

ist erfrischend, auch wenn man ihm da und dort<br />

nicht <strong>im</strong>mer folgen muss.<br />

Die drei Milesier werden unter Heranziehung<br />

einer breit angelegten Sekundärliteratur von<br />

ARISTOTELES bis SCHADEWALDT, von NIETZSCHE<br />

bis WITTGENSTEIN differenziert dargestellt. Auch<br />

dieses bringt gegenüber den bisherigen einschlägigen<br />

Darlegungen in der Fachliteratur manchen<br />

neuen Aspekt.<br />

Kurzum: ein lesenswertes und hilfreiches<br />

Buch, um eine Überblick über diesen Teil der<br />

Vorsokratiker zu gewinnen oder auch um Einzelnes<br />

nachzuschlagen. Tolle,lege!<br />

KURT GIESEKING, Sarstedt<br />

Martin Euringer: Epikur. <strong>Antike</strong> Lebensfreude<br />

in der Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer 2003,<br />

114 S., EUR 18,- (ISBN 3-17-017957-8).<br />

MARTIN EURINGER (E.) möchte nach eigener<br />

Aussage auf möglichst einfache Art Grundinformationen<br />

über die epikureische Philosophie<br />

vermitteln und Denkanstöße liefern, ob und in<br />

welchem Maße man in der heutigen Zeit nach<br />

den Lehren Epikurs sein Leben gestalten kann.


Demzufolge hat er sein Buch in zwei Großabschnitte<br />

eingeteilt. <strong>Der</strong> erste Abschnitt trägt<br />

den Titel: „<strong>Der</strong> Garten des Epikur“ (9-78), der<br />

zweite lautet: „Epikureisch leben“ (79-137).<br />

Daran schließen sich Hinweise auf ausgewählte<br />

Literatur (139f.), wobei E. – wie <strong>im</strong> Vorwort<br />

ausdrücklich vermerkt – eine wissenschaftliche<br />

Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung<br />

nicht intendiert, ein Sachwortverzeichnis (141f.)<br />

sowie ein Personenverzeichnis an (143f.).<br />

Im ersten Teil liefert E. zunächst eine insgesamt<br />

instruktive Übersicht über das Zeitalter Epikurs,<br />

die es dem Leser ermöglicht, den antiken Philosophen<br />

aus seiner Zeit heraus zu verstehen. <strong>Der</strong><br />

Plural des griechischen Wortes: polis ist allerdings<br />

poleis (nicht: polei). Bei der Angabe über das<br />

Todesjahr Epikurs hat sich E. offensichtlich verrechnet,<br />

wenn er behauptet (12), dass „sich gegen<br />

272 v. Chr. (Epikur war zwei Jahre vorher gestorben)<br />

schließlich drei große Machtblöcke bildeten.“<br />

Auf dem Einband ist das richtige Todesjahr<br />

vermerkt: 271 v. Chr. Begreiflicherweise erläutert<br />

E. bei der Vorstellung der epikureischen Philosophie<br />

auch die Grundvorstellungen der anderen<br />

zentralen Philosophenschulen. Anschaulich und<br />

leicht verständlich – wie <strong>im</strong> Vorwort angekündigt<br />

– werden in knappen Strichen die wesentlichen<br />

Merkmale der Akademie PLATONS, des Peripatos<br />

des ARISTOTELES, der Schule der Skeptiker und die<br />

der Stoiker vorgestellt. Erwartungsgemäß greift<br />

E. auf wichtige Quellen zu Leben und Werk des<br />

Epikur zurück, etwa auf DIOGENES LAERTIOS,<br />

LUKREZ und andere Autoren wie CICERO, SENECA,<br />

PLUTARCH und LAKTANZ. Auf HORAZ und VERGIL<br />

verweist E. lediglich an einer Stelle (26). Dabei<br />

fällt die Auseinandersetzung mit beiden augusteischen<br />

Dichtern allzu knapp aus, wenn E. nur<br />

auf das berühmte carpe diem verweist. Von den<br />

zahlreichen Schriften Epikurs sind nur noch der<br />

Brief an HERODOT überliefert, in dem vor allem die<br />

Naturphilosophie und die Atomlehre <strong>im</strong> Zentrum<br />

stehen, der Brief an MENOIKEUS, der an PYTHOCLES<br />

sowie Sätze aus den „Hauptlehren“ und einige<br />

Fragmente. Bekanntlich hat es H.-W. KRAUTZ<br />

unternommen, das verbliebene Werk Epikurs<br />

in einer zweisprachigen Ausgabe zu publizieren<br />

(Briefe-Sprüche-Werkfragmente. Reclam: Stuttgart<br />

1980).<br />

Zur Einordnung eines antiken Systems ist die<br />

Berücksichtigung der Rezeption von großer<br />

Bedeutung. Dem trägt auch E. Rechnung und<br />

stellt dem Leser in gebotener Kürze die entscheidenden<br />

Entwicklungslinien dar. So verweist er<br />

darauf, dass spätestens die frühchristlichen<br />

Autoren die epikureische Lehre verwarfen und<br />

als ein Übel betrachteten. Diese Autoren konnten<br />

allerdings schon auf bestehende Vorbehalte,<br />

ja Schmähschriften der Stoiker zurückgreifen.<br />

Zentrale Autoren bis in die aktuelle Gegenwart<br />

hinein werden angeführt, die sich mit den<br />

Thesen Epikurs befasst haben, etwa PIERRE<br />

HADOT, MARTHA NUSSBAUM oder auch MARCELLO<br />

GIGANTE. Im dritten Unterabschnitt befasst sich<br />

E. mit der Atomlehre Epikurs, wobei er allerdings<br />

nicht auf Spekulationen verzichtet: „Wären uns<br />

mehr seiner Werke erhalten geblieben, würden<br />

wir wohl feststellen, dass quantitativ der größte<br />

Teil seiner Philosophie sogenannte ontologische<br />

Überlegungen gewesen wären“(33). E. stellt<br />

interessante Bezüge zur Quantentheorie her, die<br />

auch <strong>im</strong> modernen Physikunterricht thematisiert<br />

werden können. Im vierten Unterabschnitt steht<br />

die „Heilung der Seele“ <strong>im</strong> Mittelpunkt. E. erläutert<br />

sein Verständnis der epikureischen „hedoné“<br />

und stützt sich dabei auf Aussagen Epikurs, die<br />

er umsichtig interpretiert.<br />

Im zweiten Teil des Buches geht E. der Frage<br />

nach, ob es statthaft und möglich sei, Epikurs<br />

Philosophie auf unser heutiges Leben unverändert<br />

zu übertragen. <strong>Der</strong> Verfasser glaubt, dies sei tatsächlich<br />

möglich, und kommt zu der Erkenntnis,<br />

dass die Anhänger der „Spaßgesellschaft“ (diesen<br />

Ausdruck lehnt er nachdrücklich ab) ihre Lebensweise<br />

durchaus moralisch vertreten könnten. Ob<br />

die meisten Vertreter dieser Lebensanschauung<br />

ihr Leben auf eine reflektierte und kalkulierte<br />

Lustempfindung ausrichten (81), wie E. glaubt,<br />

vermag der Rezensent nicht nachzuvollziehen.<br />

Letztendlich mag jeder Leser selbst entscheiden,<br />

ob E. mit seinem Verständnis des Transfers der<br />

epikureischen Überlegungen in der heutigen<br />

Zeit Recht hat. Bei seiner Argumentation für das<br />

Gedankengebäude Epikurs streift E. aktuelle<br />

Themen wie Euthanasie, Freundschaft, Gerechtigkeit,<br />

Lebensglück, Lebensplan, Utilitarismus<br />

u.v.m.<br />

47


Insgesamt legt E. ein durchaus interessantes Buch<br />

vor, mit dessen Hilfe man einen guten Einblick<br />

in antikes Denken und vor allem in die Gedankenwelt<br />

Epikurs erhält. Allerdings ist Euringers<br />

Darstellung nicht frei von Spekulationen, insbesondere<br />

<strong>im</strong> zweiten Teil. Hier sollte jeder Leser<br />

sich selbst ein Urteil bilden, inwieweit er den<br />

Vorstellungen des Autors folgen will.<br />

DIETMAR SCHMITZ, Oberhausen<br />

Walter Burkert: Die Griechen und der Orient.<br />

München (C.H. Beck) 2003. 176 S., EUR 19,90<br />

(ISBN 3-406-50247-4).<br />

Ex oriente lux ... Bereits der Titel des Einleitungskapitels<br />

„Klassisches Griechenland und orientalischer<br />

Hintergrund“ macht deutlich, worum<br />

es in diesem Buch geht: aufzuzeigen, dass die<br />

klassische griechische Kultur nicht „wie von<br />

selbst aus der Natur des Menschengeschlechts“<br />

(10), nicht in provinzialer Abgeschlossenheit,<br />

sondern <strong>im</strong> interkulturellen Kontext der Hochkulturen<br />

des Orients entstanden ist. W. BURKERT<br />

(B.), Emeritus für Klassische Philologie an der<br />

Universität Zürich, bekannt v. a. durch seine religionsgeschichtlichen<br />

Studien (erinnert sei etwa<br />

an „Homo necans: Interpretationen altgriechischer<br />

Opferriten und Mythen“ 1972 bzw. „Kulte<br />

des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion“,<br />

1998), zeigt auf, dass v. a. das historische<br />

19. Jahrhundert die Isolierung des klassischen<br />

Griechenland zu verantworten hat. Erst nach<br />

dem 2. Weltkrieg sei es <strong>im</strong> Gefolge der Publikation<br />

hethitischer Texte und der Entdeckung von<br />

Linear B zu einer zunehmenden Anerkennung<br />

einer interkulturellen Perspektive gekommen,<br />

die B. als „gegenwartsbedingt“ deutet: „In der<br />

wachsenden Weltgesellschaft ist Europa eine<br />

kleinere Halbinsel, bewohnt von einer schwindenden<br />

Minderheit, umdrängt von zunehmend<br />

selbstbewußteren Mehrheiten. Deutlicher noch<br />

ist die veränderte Situation in den USA, wo das<br />

sogenannte Abendland allmählich aus dem Blick<br />

gerät. Kritik, teilweise ausgesprochen aggressive<br />

Kritik richtet sich gegen die angebliche intellektuelle<br />

Einzigartigkeit des vergangenen Europa,<br />

der ‚dead white men‘, und damit explizit auch<br />

gegen seine geistige Grundlage, also gegen die<br />

48<br />

Griechen als die ältesten der ‚dead white men‘.“<br />

(11).<br />

In einem knapp gehaltenen historischen Überblick<br />

zeigt B. auf, wie die Griechen, bedingt durch<br />

ihre geographische Lage am Rand des <strong>im</strong>perialen<br />

Ostens, zwe<strong>im</strong>al das Glück hatten, weder vom<br />

Großreich der Assyrer (8./7.Jh.) noch dem der<br />

Achämeniden (5. Jh.) überrollt worden zu sein,<br />

sondern vorwiegend die positiven Wirkungen des<br />

Kulturtransfers erfahren zu haben. Das besondere<br />

Phänomen „Klassisches Griechenland“ erklärt B.<br />

durch „Aspekte von Freiheit“: das Fehlen einer<br />

beherrschenden Zentralmacht ließ eine Vielzahl<br />

von lokalen Zentren zu mit entsprechenden<br />

Chancen für Individuen, die in Konkurrenz<br />

zueinander traten. Daraus erwuchs die agonale<br />

Rhetorik, deren argumentierendes Vorgehen bald<br />

bloßes Autoritätsdenken überwand.<br />

In Kap. I (Alphabet und Schriftkultur, 23-27)<br />

zeichnet B. nach, wie es ausgehend von ägyptischen<br />

Hieroglyphen bzw. mesopotamischer<br />

Keilschrift über die Silbenschriften der Mittleren<br />

Bronzezeit (Linear A und B) bis zur Entdeckung<br />

des Alphabets <strong>im</strong> 12./11. Jh. <strong>im</strong> semitischen<br />

Raum zu einer beständigen Vereinfachung des<br />

Schriftsystems kam. Die Griechen übernahmen<br />

kurz nach 800 das phönikische Alphabet wahrscheinlich<br />

von der phönikischen Kolonie Cypern<br />

und erweiterten die semitische Konsonantenschrift<br />

um die Vokale – dabei führten sie bereits<br />

bestehende zeitgenössische Ansätze zu solcher<br />

Orthographie weiter.<br />

Kap. II (Homer als Dichter der orientalisierenden<br />

Epoche, 28-54) weist überzeugend und<br />

detailliert die mannigfaltigen Einflüsse v. a. der<br />

mesopotamischen Epik (Atrahasis, Gilgamesh,<br />

Enuma elish) auf HOMER nach, was Stil (Epitheta,<br />

Formelverse, <strong>Vergleich</strong>e), inhaltliche Motive,<br />

mythische Konzepte und Erzählfiguren anbelangt.<br />

B.s Fazit: „Es wäre paradox, wenn die klassische<br />

Philologie die nächsten Parallelen und Vorgänger<br />

der ältesten griechischen Literaturwerke weiterhin<br />

in stillem Einverständnis ignorieren würde.“<br />

(54).<br />

In Kap. III (Ostwestliche Weisheitsliteratur<br />

und Kosmogonie: Zur Vorgeschichte der Philosophie,<br />

55-78) legt B. dar, wie auch die Bücher<br />

der sog. Vorsokratiker nicht <strong>im</strong> leeren Raum


entstanden, sondern von östlicher Weisheitsliteratur<br />

bzw. kosmogonischer Mythologie bzw.<br />

Spekulation beeinflusst wurden. Bemerkenswert<br />

in diesem Zusammenhang ist auch, dass der<br />

Lehrsatz des PYTHAGORAS in Keilschrifttexten<br />

schon rund 1000 Jahre vor Pythagoras routinemäßig<br />

angewandt wurde und die Einteilung des<br />

Kreises in 360 Grad samt der Unterteilung in<br />

Minuten und Sekunden ein Stück babylonischer<br />

Rechentechnik sind.<br />

In Kap. IV (Orpheus und Ägypten, 79-106)<br />

geht B. den Beziehungen zwischen Griechenland<br />

und dem Osten <strong>im</strong> geistig-religiösen<br />

Bereich nach, so am Beispiel der Gleichsetzung<br />

Osiris-Dionysos, der seit dem Ende des 6. Jhs.<br />

als Mysteriengott bezeugt ist und das Glück der<br />

Verstorbenen <strong>im</strong> Jenseits sichert, und der kontrovers<br />

diskutierten „Orphik“, einer religiösen<br />

Bewegung, die Orpheus als Prophet betrachtete<br />

und Bücher des Orpheus kannte, die sie als<br />

heilige Texte behandelte. Nach B. erscheint die<br />

Orphik „als eine elitäre Gruppe inmitten einer<br />

sehr viel weiteren und unbest<strong>im</strong>mteren ‚bakchischen‘<br />

Kult- und Symboltradition.“ (94).<br />

In Kap. V (Persien und die Magier, 95-133)<br />

sieht B. das Avesta, die Sammlung der heiligen<br />

Schriften der altiranischen Religion des Mazdaismus<br />

bzw. Zoroastrismus als etwa zeitgleich<br />

mit der archaischen und klassischen Epoche<br />

Griechenlands, sodass Einflüsse wahrscheinlich<br />

sind. Begegnungen von griechischem und persischem<br />

Geist vor dem großen Krieg zeigen sich<br />

vor allem an zwei Wörtern: Megabyxos, Titel des<br />

Priesters der Artemis zu Ephesos, und magos, das<br />

iranischer Herkunft ist. Nach wie vor umstritten<br />

ist die Frage nach dem Einfluss des iranischen<br />

Dualismus auf die griechische Philosophie. <strong>Der</strong><br />

Dualismus bei EMPEDOKLES etwa könnte sich dem<br />

Kontakt mit persischen Wanderpredigern, magoi,<br />

verdanken.<br />

B.s große Leistung mit diesem kleinen<br />

Büchlein ist, die Anfänge der abendländischen<br />

Geisteswelt anschaulich und gut lesbar darzustellen<br />

– vor welchem Hintergrund des Wissens<br />

dies geschieht, kann ermessen, wer die benutzte<br />

Pr<strong>im</strong>är- und Sekundärliteratur <strong>im</strong> Anmerkungsapparat<br />

136-159 einsieht.<br />

MICHAEL LOBE, Bamberg<br />

K.W. Weeber: Luxus <strong>im</strong> alten <strong>Rom</strong>. Die Schwelgerei,<br />

das süße Gift ... Darmstadt (Pr<strong>im</strong>us) 2003.<br />

176 S., EUR 34,90 (ISBN 3-89678-239-8).<br />

Ex oriente lux, ex occidente luxus. Dies<br />

gewitzte Bonmot aus der Feder des polnischen<br />

Schriftstellers STANISLAW JERZY LEC aus seinen<br />

„Sämtlichen unfrisierten Gedanken“ mag auf die<br />

Besprechung eines Buches einst<strong>im</strong>men, das sich<br />

mit dem vielschichtigen Phänomen des Luxus<br />

<strong>im</strong> alten <strong>Rom</strong> beschäftigt. <strong>Der</strong> durch zahlreiche<br />

Buchveröffentlichungen zur römischem Kultur-<br />

und Alltagsgeschichte bekannte Althistoriker<br />

KARL-WILHELM WEEBER (W.) beleuchtet es unter<br />

den verschiedensten Aspekten: Tafel-, Villen-,<br />

Bade-, Erotik-, Kunst-, Schmuck-, Möbel-,<br />

Sklaven-, Gräberluxus - und auch die Darstellung<br />

der zeitgenössischen Kritik am Luxus fehlt<br />

nicht, ebensowenig wie ein „Who is who der 25<br />

reichsten Römer.“<br />

Im Vorwort konstatiert W., dass es „in der<br />

Weltgeschichte kaum eine Gesellschaft gegeben<br />

(hat), die so stark durch Statussymbole geprägt<br />

war wie die römische“. Im ersten Kapitel über<br />

„Armut und Reichtum in der römischen Gesellschaft“<br />

macht W. das Gefälle zwischen Arm<br />

und Reich anhand konkreten Zahlenmaterials<br />

sinnfällig: So dürfte die Zahl der jährlichen<br />

Arbeitstage bei Lohnarbeitern zwischen 330<br />

und 350 gelegen haben; arbeitsfreie Wochenenden<br />

waren unbekannt. Dass die kaiserlichen<br />

congiaria nur ein Tropfen auf dem heißen Stein<br />

waren, zeigt das Beispiel eines Geringverdieners,<br />

der, wenn er in den Genuss aller 7 congiaria in<br />

der 45jährigen Regierungszeit des AUGUSTUS<br />

gekommen wäre, pro Jahr damit nicht mehr<br />

als knapp zwei Wochenlöhne erhalten hätte.<br />

Gemessen an den „Superreichen“ wie etwa CRAS-<br />

SUS hätten CICERO und PLINIUS d. J. nur zu den<br />

„Normalreichen“gezählt. Die Gründe für die Stabilität<br />

der römischen Gesellschaftsordnung mit<br />

ihrer gewaltigen sozialen Kluft sieht W. in den<br />

öffentlichen Sozialmaßnahmen und – vergleichbar<br />

dem amerikanischen Tellerwäschermythos<br />

– der „grundsätzlich vertikalen Durchlässigkeit<br />

der römischen Gesellschaft“. Kap. 2 stellt<br />

römischen Tafelluxus am Beispiel historischer<br />

(LUCULLUS, APICIUS, VITELLIUS, ELAGABAL) bzw.<br />

literarischer Figuren (Nasidienus, Tr<strong>im</strong>alchio)<br />

49


dar. Kap. 3 befasst sich mit den deliciae der piscinarii,<br />

der Fischteichbesitzer. Kap. 4 beschreibt<br />

den Villenluxus der römischen Oberschicht und<br />

das Paradox, dass die Kritik daran „aus den<br />

Reihen derer (kommt), die Herren über eben<br />

solche prachtvollen Villen waren“ – namentlich<br />

CICERO, SALLUST und SENECA. Kap. 5 schildert in<br />

allen Facetten den Badeluxus des römischen St.<br />

Tropez Baiae, das SENECA als deversorium vitiorum<br />

galt. An die dort herrschende sexuelle Freizügigkeit<br />

schließt Kap. 6 mit dem Thema „Erotik<br />

und Sexualität der noblen Welt“ an. Ausdrücklich<br />

werden dort Klischeevorstellungen wie „So bunt<br />

trieben es die Römer“ Zügel angelegt. Kap. 7<br />

geht Statussymbolen wie Purpur, der „kostbarsten<br />

Flüssigkeit der alten Welt“ (12.000 Schnecken<br />

zur Gewinnung von 1,5 Gramm Farbstoff<br />

vonnöten), einer prestigeträchtigen Anzahl von<br />

Klienten und der Jagd nach griechischer Beutekunst<br />

nach. Kap. 8 und 9 handeln von kostbaren<br />

Perlen und Citrusholz-Tischen (citreae mensae)<br />

als Luxusobjekte für Frauen und Männer. Kap.<br />

10 befasst sich mit Parfüms und Schmuck, Kap.<br />

11 mit „Sklavenluxus“ bzw. „Luxussklaven“<br />

und Kap. 12 mit dem Ausstattungsluxus von<br />

Gräbern (etwa Grabmal der CAECILIA METELLA<br />

bzw. des Bäckers EURYSACES). Kap. 13 handelt<br />

von „Luxusschelte in luxuriösem Ambiente“ und<br />

zeigt auf, dass die Antiluxusgesetze (leges sumptuariae)<br />

zumeist schlicht ignoriert wurden. Die<br />

Stärke des Buches liegt in der Vielzahl hübscher,<br />

stets sauber belegter Anekdoten, opulent zu nennender<br />

Bebilderung, farbig unterlegter Kästchen<br />

mit Quellentexten bzw. Zusatzinformationen<br />

zum Fließtext und v. a. dem geschickten Arrangement<br />

des Erzählten. So beginnt jedes Kapitel<br />

mit einem Neugierde weckenden „Aufhänger“<br />

und ist durch oft launige Zwischenüberschriften<br />

gut gegliedert. Es ist best<strong>im</strong>mt keine Beleidigung,<br />

wenn man dies Werk als gehobenes Infotainment<br />

bezeichnet: Die wissenschaftliche Seriosität ist<br />

allenthalben gewahrt, die Vielzahl der zitierten<br />

Quellenautoren würde einem FRIEDLAENDER zur<br />

Ehre gereichen, und der Ausstattungsluxus des<br />

Buches wird dem behandelten Thema mehr als<br />

gerecht.<br />

MICHAEL LOBE, Bamberg<br />

50<br />

Fik Meijer: Gladiatoren. Das Spiel um Leben und<br />

Tod. Aus dem Niederländischen von Wolfgang<br />

H<strong>im</strong>melberg. Düsseldorf: Patmos Verlag 2004,<br />

230 S., EUR 19,90 (ISBN 3-7608-203-3).<br />

FIK MEIJER (M.), Professor für Alte Geschichte<br />

in Amsterdam, legt ein Buch vor, in dem er das<br />

Thema „Gladiatoren“ umfassend behandelt.<br />

So liefert er Informationen über den Ursprung<br />

und die Entwicklung der Gladiatorenspiele,<br />

zeichnet ein instruktives und anschauliches Bild<br />

der Hauptdarsteller, beschreibt eingehend den<br />

Ort der Handlung, womit <strong>im</strong> wesentlichen das<br />

Kolosseum in <strong>Rom</strong> gemeint ist, und äußert sich<br />

zu den Tieren, die bei den Kämpfen eine Rolle<br />

spielten. Er grenzt diese Art von Veranstaltungen<br />

deutlich von den Theateraufführungen,<br />

Wagenrennen und gespielten Seeschlachten ab.<br />

Das eigentliche Kernstück des Buches stellt das<br />

Kapitel: „Ein Tag <strong>im</strong> Kolosseum“ dar (116-149),<br />

in welchem M. den Tagesablauf <strong>im</strong> Kolosseum<br />

genau nachzeichnet. M. berichtet Einzelheiten<br />

über Naumachien, die einige Kaiser mit großem<br />

finanziellem Aufwand durchführen ließen. Er<br />

vergisst auch nicht zu erläutern, was mit all<br />

den Leichen und Kadavern nach den Kämpfen<br />

geschah. <strong>Der</strong> Leser erfährt Details über das Ende<br />

der Gladiatorenspiele am Ausgang der Spätantike.<br />

Was mit dem Kolosseum nach dem Fall<br />

des Römischen Reiches passierte, beschreibt M.<br />

und liefert damit eine kleine Kulturgeschichte<br />

<strong>Rom</strong>s. Ein Kapitel widmet der Autor der Verfilmung<br />

der Gladiatoren. Insbesondere Filme wie<br />

„Spartacus“ und „Gladiator“ untersucht M. auf<br />

die historische Genauigkeit und gelangt zu interessanten<br />

Erkenntnissen, die nur dem Zuschauer<br />

möglich sind, die wie M. die Thematik genauestens<br />

geprüft haben. Die Analyse der Spartacus-Verfilmung<br />

von STANLEY KUBRICK (1960)<br />

mit KIRK DOUGLAS in der Hauptrolle ergibt u.<br />

a., dass Spartacus zwar als thraex kämpft, seine<br />

Ausrüstung aber ganz und gar nicht einem solchen<br />

schwerbewaffneten Gladiator, ausgestattet<br />

mit einem Krummschwert, entspricht. Historisch<br />

völlig falsch wird der Gegner des Spartacus, der<br />

schwarze Athlet Draba, dargestellt; er stellt einen<br />

retiarius dar. Ein solcher Kämpfer ist eine Erfindung<br />

der Kaiserzeit (der Spartacus-Aufstand fand


ekanntlich 71-70 v. Chr. statt) und trat mit Netz<br />

und Dreizack gegen seinen Gegner an, der entweder<br />

ein secutor (Gladiator mit Helm, Schild und<br />

Schwert) oder ein murmillo (Gladiator mit einem<br />

großen länglichen Schild) war. <strong>Der</strong> Film „Gladiator“<br />

(2000 n. Chr.) weist historisch gesehen<br />

noch mehr Mängel auf; so soll Kaiser COMMODUS<br />

seinen Vater getötet haben. MARC AUREL ist aber<br />

nachweislich eines natürlichen Todes gestorben.<br />

Dieser Kaiser hatte auch nie die Absicht, die<br />

Staatsform der Republik wiederherzustellen<br />

– wie es <strong>im</strong> Film behauptet wird. Die Drehbuchautoren<br />

lassen Commodus drei Jahre nach dem<br />

Tod seines Vaters sterben, in Wirklichkeit fand er<br />

aber erst 192 n. Chr., also zehn Jahre später, den<br />

Tod anlässlich einer Palastrevolte. Mangelnde<br />

Lateinkenntnisse führten dazu, dass einer der<br />

Gladiatorenmeister (lanista) den Namen „Prox<strong>im</strong>o“<br />

trägt – richtig wäre natürlich Prox<strong>im</strong>us;<br />

desweiteren zeigt der Film folgende Aufschrift<br />

über dem Eingang der Gladiatorenschule: „LUDUS<br />

MAGNUS GLADIATORES“, richtig wäre: „LUDUS<br />

MAGNUS GLADIATORUM“. Hätten sich die Filmproduzenten<br />

bei Fachleuten erkundigt, so wären die<br />

Gladiatoren richtig ausgerüstet worden. In der Tat<br />

tragen die Gladiatoren <strong>im</strong> Film Waffen aus allen<br />

erdenklichen Kulturen und Epochen, mit dem<br />

Zweck, möglichst spektakuläre Szenen zeigen<br />

zu können.<br />

Nach dem Epilog, in dem sich M. vorwiegend<br />

mit der Frage befasst, wie er sich persönlich als<br />

Zuschauer <strong>im</strong> Kolosseum in der <strong>Antike</strong> verhalten<br />

hätte, bietet er <strong>im</strong> Anhang ein nützliches Glossar<br />

der lateinischen Fachbegriffe (204ff.), Anmerkungen<br />

(207ff.), Literaturhinweise (214ff.), eine<br />

Zeittafel (222ff.), ein Verzeichnis der bedeutendsten<br />

Amphitheater <strong>im</strong> Römischen Reich (225ff.)<br />

sowie einen Bildnachweis (228).<br />

Um es vorweg zu nehmen, M. bietet ein sehr<br />

instruktives und gut lesbares Buch, wobei der<br />

Verfasser stets auf wichtige Quellen zurückgreift.<br />

Er zitiert entscheidende Passagen dieser<br />

Quellen in deutscher Übersetzung und wertet sie<br />

nachvollziehbar aus. <strong>Der</strong> Leser erfährt zahllose<br />

Details über die Kultur der Römer und insbesondere<br />

die Gladiatoren.<br />

Desiderat ist lediglich eine bessere Illustration<br />

des Dargestellten. Zwar enthält das Buch einige<br />

Abbildungen, aber zum besseren Verständnis<br />

wäre es wünschenswert gewesen, wenn der<br />

Verlag einige Farbfotos und weitere detaillierte<br />

Bilder abgedruckt hätte. So fehlt ein Bild des<br />

Kolosseum, obwohl M. dieses Bauwerk in den<br />

Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt.<br />

Auch wenn M. sich der Greueltaten der Römer<br />

bewusst ist, plädiert er dafür, die Gladiatorenspiele<br />

in ihrem eigenen kulturellen Kontext zu<br />

bewerten. Er verweist zu Recht darauf, dass<br />

sich in den folgenden Jahrhunderten bis heute<br />

zahlreiche Belege für grausame Akte finden<br />

lassen; so sollte man an öffentliche Hinrichtungen<br />

denken, die erst am Ende des 18. Jahrhunderts<br />

eingestellt wurden. M. lenkt den Blick des<br />

Lesers auf Gewaltfilme und auf Computerspiele,<br />

die das akzeptable Maß an Gewaltdarstellungen<br />

bei weitem überschreiten, und gelangt zu der<br />

Erkenntnis, dass „Gewalt die modernen Menschen<br />

genauso fasziniert wie die alten Römer“<br />

(17). Daher ist der Verfasser davon überzeugt,<br />

dass die Gladiatorenspiele dem Menschen der<br />

heutigen Zeit näher sind, als er zugeben will.<br />

Gleichwohl gab es auch antike St<strong>im</strong>men, die Gladiatorenspiele<br />

ablehnten oder zumindest erhebliche<br />

Bedenken bekundeten: CICERO (Tusculanae<br />

disputationes II 41), SENECA (De tranquillitate<br />

an<strong>im</strong>i XI 1-6), vor allem christliche Autoren wie<br />

TERTULLIAN (De spectaculis XXII 2-4). Dass es<br />

übrigens auch weibliche Gladiatoren gegeben<br />

haben muss beweist ein Abschnitt aus JUVENALS<br />

Satiren (VI 246-264), in dem der Dichter seinen<br />

Widerwillen gegen solche Kämpfe in poetische<br />

Worte gekleidet hat.<br />

Wenn M. auch hauptsächlich die Gladiatorenkämpfe<br />

<strong>im</strong> Kolosseum in den Mittelpunkt seiner<br />

Ausführungen stellt, so liefert er auch einige Hinweise<br />

auf ähnliche Veranstaltungen <strong>im</strong> ganzen<br />

Römischen Reich. <strong>Der</strong> Rezensent empfiehlt die<br />

Lektüre dieses Buches nachdrücklich, wenn der<br />

Leser sich umfassend mit dem Themenbereich<br />

„Gladiatoren“ in der <strong>Antike</strong> auseinander setzen<br />

will.<br />

DIETMAR SCHMITZ, Oberhausen<br />

51


Hartwin Brandt, Das Ende der <strong>Antike</strong>. Geschichte<br />

des spätrömischen Reiches, München: C.H. Beck<br />

(Reihe: Beck Wissen) 2001. EUR 7,50 (ISBN 3-<br />

406-44751-1).<br />

Wer sich über die Geschichte des spätantiken<br />

Reiches informieren möchte, ist mit H. BRANDTS<br />

kleinem Buch über das Ende der <strong>Antike</strong> nur zum<br />

Teil gut beraten. Sehr gelungen ist der Einstieg,<br />

in dem er die Besonderheit der Epoche herausarbeitet:<br />

Die Spätantike ist für B. eine Zeit der<br />

Veränderung, des Wandels, der Umformung. Sie<br />

weist aber auch genug Konturen auf, um zu recht<br />

als „Epoche eigener Dignität“ (S. 8) wahrgenommen<br />

zu werden. Insofern ist der Buchtitel (Das<br />

Ende der <strong>Antike</strong>) ein wenig verwirrend, scheint<br />

das Werk doch das Ende der glanzvollen <strong>Antike</strong><br />

und den Übergang zum dunklen Mittelalter zum<br />

Inhalt zu haben.<br />

Anschließend wird die gesamte Epoche nach<br />

berühmten Herrschern geordnet durchgearbeitet:<br />

DIOKLETIAN, KONSTANTIN, die Konstantinsöhne,<br />

JULIAN, VALENTINIAN und VALENS, THEODOSIUS und<br />

schließlich von Theodosius zu THEODERICH und zu<br />

JUSTINIAN. Das Kapitel Ende und Anfang: auf dem<br />

Weg nach Europa beschließt das kleine Buch.<br />

Bei der Betrachtung der Kapitelüberschriften fällt<br />

sogleich die Beschränkung oder Hervorhebung<br />

der Herrscher auf. Dies ist umso verwunderlicher,<br />

als B. selbst an einer personenorientierten<br />

Geschichtsschreibung eines JORDANES kein gutes<br />

Haar lässt: (Eine solche Art des Geschichtsschreibung)<br />

… entspricht … dem üblichen,<br />

moralisierenden, personenzentrierten Charakter<br />

der spätantiken Geschichtsschreibung und trägt<br />

zur objektiven Ursachenanalyse wenig bei. (S.<br />

70). Und genau das macht B. in jedem Kapitel,<br />

das in der Überschrift den Namen der Herrscher<br />

trägt und eine Darstellung ihrer Taten beinhaltet.<br />

Ob das nun verwerflich ist oder nicht, sei dahingestellt.<br />

Merkwürdig ist es allerdings, wenn ein<br />

Autor etwas kritisiert, was er selbst macht. Durch<br />

diese personenzentrierte Darstellungsweise gerät<br />

B.s Darstellung sehr unübersichtlich. Wichtige<br />

sozial- und gesellschaftspolitische Entwicklungen<br />

werden gar nicht erst angesprochen. <strong>Der</strong><br />

Kampf zwischen Christentum und Heidentum,<br />

die innerchristlichen Bewegungen kommen in<br />

52<br />

jedem Kapitel <strong>im</strong>mer wieder von neuem zur<br />

Sprache. Es stellt sich in diesem Zusammenhang<br />

natürlich die Frage, ob die gewählte Gliederung<br />

wirklich sinnvoll war. Davon abgesehen, wären<br />

Unterkapitel zur Orientierung ebenfalls hilfreich<br />

gewesen.<br />

Neben diesen negativen Aspekten ist jedoch<br />

die Herangehensweise sehr zu loben: B. dekretiert<br />

nicht professoral die Ergebnisse der Forschung,<br />

sondern er bezieht das Quellenmaterial<br />

geschickt in seine Darstellung mit ein (z. B. S.<br />

12ff.). So wird ein Laie – gleichsam ohne es zu<br />

merken – mit der historischen Arbeitsweise vertraut<br />

gemacht.<br />

Nachfolgend sollen kurz weitere Probleme<br />

aber auch Highlights ausgewählter einzelner<br />

Kapitel aufgelistet werden:<br />

In dem KONSTANTIN-Kapitel beginnt B. mit einer<br />

Beschreibung der Herkunft Konstantins und einer<br />

ausführlichen Darstellung der verschiedenen<br />

Tetrarchien. Es ist gewiss richtig, dass Konstantin<br />

ein Legit<strong>im</strong>itätsproblem hatte; dieses darzustellen<br />

muss angesichts der Knappheit des zur<br />

Verfügung stehenden Raumes jedoch nicht fünf<br />

Seiten in Anspruch nehmen (20-24). Gelungen ist<br />

die Darstellung der „konstantinischen Wende“,<br />

mithin der Religionspolitik. B. macht deutlich,<br />

dass Konstantin nicht der christliche Herrscher<br />

schlechthin war, für den ihn manche gerne<br />

halten wollten, sondern sich bewusst vor einer<br />

eindeutigen Positionierung zu hüten verstand.<br />

Gut ist erneut der Quellenbezug: Wie schon <strong>im</strong><br />

vorherigen Kapitel, so werden auch hier Quellen<br />

kritisch hinterfragt und vor dem Hintergrund die<br />

Darstellung entwickelt. Die Verknüpfung von<br />

Religionspolitik und Stadtgründung ist sicherlich<br />

ein Glanzlicht dieses Kapitels (S. 29f.). Jedoch<br />

hätte die Neuorganisation der Verwaltung eine<br />

breitere Betonung verdient (S. 30f.).<br />

In dem Kapitel THEODOSIUS wird vor allem<br />

die Barbarisierung (vielleicht besser: Germanisierung)<br />

des Heeres herausgestellt. Danach geht<br />

B. ausführlich auf den Gotenvertrag ein. Die<br />

religiösen Konflikte werden auf S. 61ff. geschildert.<br />

Das hin und her der Religionsprobleme wäre<br />

durch eine andere Aufteilung des Buches besser<br />

gelungen.


Bei der Darstellung JUSTINIANS ist es geradezu<br />

eine Sünde, das Corpus iuris civilis auf ca. einer<br />

halben Seite abzuhandeln (S. 100f.).<br />

Im Schlusskapitel: „Ende und Anfang.<br />

Auf dem Weg nach Europa“ unterstreicht B.<br />

die Bedeutung der <strong>Antike</strong> für das Werden der<br />

Moderne. Die Bedeutung der <strong>Antike</strong> für die<br />

Gegenwart kann nur ein kultur- und geschichtsloser<br />

Barbar leugnen; dennoch stellt sich die<br />

Frage nach dem Sinn dieses Kapitels, wenn man<br />

den Buchtitel bedenkt und sich vor Augen führt,<br />

dass dieses Kapitel <strong>im</strong>merhin mehr als drei Seiten<br />

einn<strong>im</strong>mt.<br />

Die Literaturhinweise hinterlassen einen sehr<br />

zwiespältigen Eindruck (S. 110f.): Es beginnt mit<br />

einem – <strong>im</strong> Rahmen des engen Raumes – sehr<br />

guten kommentierten Quellenverzeichnis. Das<br />

Verzeichnis der Sekundärliteratur wirkt sehr<br />

beliebig. Sehr wichtige Standardwerke wie etwa<br />

von BLEICKEN oder SCHIEFFER fehlen; stattdessen<br />

finden sich vergleichsweise spezielle Titel von<br />

BLECKMANN, KOLB oder LIPPOLD. Wenn Leser<br />

– angeregt durch B.s Werk – einen Überblick<br />

über die Spätantike bekommen und selbstständig<br />

weiter lesen wollen und auch sollen, dann sind<br />

allgemeinere Werke sicherlich besser geeignet als<br />

spezielle Untersuchungen (auch wenn diese einen<br />

guten Ruf genießen).<br />

Um Fazit zu ziehen: B.s Buch hat genauso eine<br />

eigene Dignität, wie die von ihm besprochene<br />

Geschichtsepoche. Geradezu mustergültig führt<br />

er vor, wie man ausgehend von Geschichtsquellen<br />

eine Fragestellung bearbeitet. Insbesondere<br />

der Laie kann hieran viel lernen. Die Vielfalt der<br />

in den Kapiteln behandelten Themen ist jedoch<br />

ein großes Manko. Über die Bekämpfung des<br />

Heidentums etwa bekommt der Leser keine<br />

zusammenhängende Auskunft; wichtige Fragen<br />

wie z. B. die gesellschaftlichen Veränderungen<br />

oder die Neuorganisation der Verwaltung werden<br />

nicht extra abgehandelt. Und hier lässt einen auch<br />

das Verzeichnis der Sekundärliteratur teilweise<br />

<strong>im</strong> Stich.<br />

JENS NITSCHKE, Beelitz<br />

S. Schäfer: Würde und Bürde des Humanismus.<br />

Elf Abitur-Reden an einem (ehemals) altsprachlichen<br />

Gymnasium. Kelkhe<strong>im</strong> (M. G. Schmitz)<br />

2002. 74 S. (ISBN 3-922272-84-3).<br />

Bei diesem selbstverlegten schmalen Bändchen<br />

handelt es sich um eine Sammlung der Abiturreden,<br />

die SIEGFRIED SCHÄFER, Oberstudienrat<br />

a. D. an der Gießener Landgraf Ludwig-Schule,<br />

einem ehemaligen humanistisch-altsprachlichen<br />

Gymnasium, zwischen 1992 und 2002 gehalten<br />

hat. Eifrig werden dabei schmückende Versatzstücke<br />

der griechischen und römischen Literatur<br />

zitiert, etwa PLATONS Höhlengleichnis (1992), das<br />

Chorlied aus der Antigone des SOPHOKLES (1993),<br />

ein Auszug aus Platons Theaetet (1994), aus<br />

TACITUS Annalen (1995), aus SALLUSTS Catilina<br />

(1996) etc., um dann etwa folgendermaßen auf<br />

die Gegenwart hin ausgelegt zu werden: „Liebe<br />

Grüne (traditioneller Name der Absolventen<br />

dieser Schule, der Rez.), versuchen Sie – ganz<br />

gleich, in welchem Beruf – Ihre Ideen umzusetzen<br />

für die res publica, die öffentliche Sache, so<br />

die wörtliche Übersetzung – Staat ist ein Abstraktum,<br />

unter dem man sich wenig vorstellen<br />

kann – die öffentliche Sache, die uns alle angeht,<br />

<strong>im</strong> Sinne einer gerechteren, sozialeren Welt, in<br />

der das Geben vor dem Nehmen steht, in der der<br />

andere ich bin, damit wir alle – von den Jungen<br />

auf bessere Pfade gelenkt – uns „ewig strebend“<br />

bemühen, den steilen Pfad aus der Höhle – ein<br />

Bild aus Platons Höhlengleichnis – zu erkl<strong>im</strong>men<br />

in die Nähe der Sonne der Gerechtigkeit.“<br />

In der Abiturrede von 1997 liest man: „Wir<br />

verabschieden mit den heutigen Abiturienten<br />

die letzten 3 Griechen, die Einführung der<br />

Gesamtschule in Gießen ermöglicht den direkten<br />

Übergang der Realschüler in die Stufe 11 der<br />

gymnasialen Oberstufe.“ Und in der Rede von<br />

1999 heißt es: „Unsere heutigen Abiturienten<br />

haben den Cursus einer schulformbezogenen<br />

Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe erfolgreich<br />

abgeschlossen, alle ohne Griechisch, nur<br />

wenige (13!) bis zum nicht bitteren Ende einen<br />

Grundkurs Latein besucht.“ Es entbehrt nicht<br />

einer gewissen Tragikomik, dass nach diesem<br />

durch die hessische Bildungspolitik verursachten<br />

Abgesang dieses ehemals humanistischen Gymnasiums<br />

Schäfer scheinbar ungerührt weiterhin<br />

53


griechische Geistesgrößen paradieren lässt – vor<br />

einem Maturantenpublikum, das diese Namen<br />

kaum mehr aus dem Unterricht kennen kann.<br />

Dies Büchlein hat insofern großen Wert, als<br />

es durchaus als Menetekel für die Zukunft der<br />

altsprachlichen Gymnasien in ganz Deutschland<br />

gelesen werden kann. Schäfer zitiert LUDWIG<br />

MARCUSE, der voller Opt<strong>im</strong>ismus über sein<br />

ehemaliges Gymnasium schreibt: „So schwarz<br />

der Horizont auch sei, wir vertrauen auf Pallas<br />

Athene, sie wird das Schifflein unseres Gymnasiums<br />

nicht untergehen lassen...“ Das Gießener<br />

Schiff der Landgraf Ludwig-Schule ist offenkundig<br />

untergegangen, und ein auf Planken<br />

treibender Schiffbrüchiger feuert die Reste<br />

humanistischer Leuchtmunition ab – oraque<br />

caerulea patrium clamantia nomen | excipiuntur<br />

aqua. Um nicht missverstanden zu werden:<br />

Dies ist nicht <strong>im</strong> Spott gesagt, sondern <strong>im</strong> Verwundern<br />

darüber, wie der Autor angesichts des<br />

tiefgreifenden Identitätsverlustes seiner Schule<br />

solch maßvolle Worte finden kann: „An der<br />

Landgraf-Ludwig-Schule gibt es keine Schüler<br />

mehr, die Griechisch lernen, traurig, aber es<br />

darf keine Hybris aufkommen, die Erde wird<br />

sich weiter drehen (...) man muß das bedauern,<br />

aber bitte keine Threnoi, Klagegesänge wie in<br />

der frühgriechischen Lyrik (...) schon gar nicht:<br />

Untergang des Abendlandes! Schüler und Eltern<br />

setzen andere kulturelle Schwerpunkte...“ (S.<br />

30).<br />

Um <strong>im</strong> Bilde der Seefahrt zu bleiben: Längst<br />

drohen Piraten, die unter der Totenkopf-Flagge<br />

„Effizienz“ und „Innovation“ segeln, die verbleibenden<br />

Schiffe der humanistischen Flotte zu<br />

kapern. <strong>Der</strong> Weite ihres vorwiegend ökonomisch<br />

geschulten Denkhorizontes hat ARNFRIED ASTEL<br />

ein bleibendes Denkmal gesetzt: „Wer ist eigentlich<br />

dieser Achill? fragte die Schildkröte und fraß<br />

weiter an ihrem Salatblatt.“<br />

MICHAEL LOBE, Bamberg<br />

Lektüre auf (ge)sicher(t)em Boden?<br />

Zu zwei Cicero-Lernwortschätzen<br />

Führt ein Sprachlehrgang konsequent auf ein<br />

best<strong>im</strong>mtes Lektüreziel, dürfte dies mit Scheuklappen<br />

der schier unüberschaubaren Fülle<br />

54<br />

gegenüber zu bezahlen sein, die links und rechts<br />

des eingeschlagenen Weges liegt und lockt; lässt<br />

ein Sprachlehrgang hingegen die anschließende<br />

Lektüre offen, steht zu befürchten, dass man für<br />

die jeweiligen Texte bzw. Autoren in ihrer ganzen<br />

Besonderheit und Eigenart auch nur sehr bedingt<br />

vorbereitet ist. 1<br />

Für die Lektüre selbst aber – oder sollte man<br />

vorsichtiger sagen: Beschäftigung mit den lateinischen<br />

(Original-)Texten? – steht wohl außer<br />

Frage, dass nur noch zählt und gefragt ist, was<br />

auch tatsächlich vorkommt und unmittelbar<br />

gebraucht wird.<br />

Die an das Zentralabitur gekoppelte Latinums-<br />

Ergänzungsprüfung hat in Baden-Württemberg<br />

ganz klare Vorgaben: Prüfungsautor ist CICERO,<br />

das prüfungsrelevante Textcorpus die Verrinen<br />

sowie Pompeiana und Catilinarien. Nun liegen<br />

seit geraumer Zeit für Ciceros Reden zwei<br />

Lernwortschätze vor, die <strong>im</strong> Folgenden knapp<br />

vorgestellt und an bzw. in einem Punkte problematisiert<br />

werden sollen: der Band Cicero Reden<br />

aus der Reihe Latein-Wortschatz aktiv von HEL-<br />

FRIED GSCHWANDTNER und anderen (zuerst Wien<br />

1994; kurz: G.) und das Lernvokabular zu Ciceros<br />

Reden von GOTTFRIED BLOCH (zuerst Stuttgart<br />

1995; kurz: B.).<br />

Man lasse sich vom Äußeren nicht täuschen<br />

– die 48 Seiten B. (etwas über DIN A6-Format)<br />

wollen mit 800 Wörtern (in meiner Zählung rund<br />

825) an die 90% eines Textes erfassen, die 78<br />

Seiten G. (etwas über DIN A5-Format) mit rund<br />

685 Wörtern (meine Zählung ohne gut 30 Einheiten<br />

‚Eigennamiges‘) 85%.<br />

G. ordnet die Wörter „nach der Häufigkeit ihres<br />

Vorkommens“, scheint aber nach einem ersten<br />

halben Hundert offenbar häufigster Einzelvokabeln<br />

Wortgruppen – wohl gleicher oder ‚ähnlicher‘<br />

Häufigkeit – zu bilden und diese alphabetisch<br />

anzuordnen, allerdings rückläufig: von vivo bis<br />

alius (p. 16-17), vita bis autem (p. 17-18) oder<br />

voco bis abhorreo (p. 60-72). Rechts unten in der<br />

Ecke einer Doppelseite ist jeweils angegeben,<br />

wie viel Prozent (Durchschnitts-)Text mit den bis<br />

dahin gebotenen Vokabeln erfasst werden könne<br />

– „als Anhaltspunkt für den Lernfortschritt“.<br />

B. untergliedert das Wortmaterial „allein nach<br />

der Frequenz“ in einen Basiswortschatz (gut 180


Wörter) und die eigentlichen Lernwörter („Die<br />

440 wichtigsten Lernwörter“), abgerundet durch<br />

weitere 180 „Lernwörter für Fortgeschrittene“.<br />

Beide Lernlisten präsentieren ihre Wörter nach<br />

Möglichkeit nicht nur isoliert als Einzelwort mit<br />

Bedeutungsgleichung(en), sondern in Min<strong>im</strong>al-<br />

Kontexten – G. überwiegend durch Wortgruppen<br />

und Verbindungen (ohne näheren Nachweis), B.<br />

durch Satzbeispiele (weitestgehend aus den Verrinen<br />

mit Einzelnachweis!).<br />

Sowohl G. als auch B. gehen ausdrücklich<br />

auf Fragen nach der Ermittlung und Präsentation<br />

der jeweiligen Bedeutungsangaben ein<br />

– die „Lerngrundlage und Voraussetzung für<br />

eine zügige Lektüre“ (B.) scheint so gegeben,<br />

für die „Bedürfnisse einer raschen Texterfassung“<br />

(G.) bestens gesorgt. Doch bei näherem<br />

Hinsehen zeigt sich – noch vor aller praktischen<br />

Erprobung und Bewährung – eine Schwierigkeit,<br />

die Auslöser dieser kleinen Betrachtung ist (und<br />

deren Ursache man nicht nur hier begegnet).<br />

„Das vorliegende Lernvokabular wurde unter<br />

Zuhilfenahme moderner Textanalysemethoden<br />

zusammengestellt“, heißt es bei G., noch<br />

‚objektiver‘ liest man bei B.: „Mehr als 6400<br />

verschiedene Einzelwörter verwendet Cicero<br />

in seinen Reden. Knapp 10% davon, die 620<br />

häufigsten, decken aber bereits etwa 80% der<br />

Textmenge eines beliebigen Textabschnittes ab.<br />

Weitere 180 erhöhen den Bekanntheitsgrad des<br />

Wortmaterials in einem Text auf nahezu 90%“<br />

– ist man mit diesen Angaben und Auskünften<br />

hinreichend informiert?<br />

Das gemeinsame Stichwort ‚Reden‘ und der<br />

praktisch identische, statistisch quantitative<br />

Ansatz lässt weithin ähnliche Ergebnisse erwarten,<br />

auch wenn man bei beiden Vokabularien<br />

nur mutmaßen kann, wer nun wie genau seine<br />

Lernwörter ermittelt hat (von der konkreten Textgrundlage<br />

bzw. -gestalt einmal ganz geschwiegen)<br />

– genau diese Bestätigung aber des einen<br />

Vokabulars durch das andere erfolgt nicht.<br />

Nicht weniger als 168 Lernwörter G. – von<br />

opt<strong>im</strong>ates (p. 31) bis abhorreo (p. 72) – finde(n<br />

s)ich bei B. nicht, und ebenso wenig lassen sich<br />

die knapp 300 Lernwörter B., die (s)ich bei G.<br />

nicht finde(n), mit dessen größerem Gesamtumfang<br />

erklären. 2<br />

Wenn nun in der österreichischen Einleitung<br />

steht: „Die Vokabularien dieser Reihe sind ... als<br />

Entscheidungshilfe, ob ein Vokabel auf Grund<br />

seiner Vorkommenshäufigkeit gelernt werden<br />

soll oder nicht, sehr gut geeignet“, kann ich dies<br />

aufgrund meines <strong>Vergleich</strong>s nicht unterschreiben<br />

– mangelnde Ausdrücklichkeit lässt den interessierten<br />

Benutzer in beiden Fällen ratlos-verlegen<br />

zurück: ‚Was soll ich denn nun lernen (lassen)?‘<br />

<strong>Der</strong>art mutieren durchaus problembewusste und<br />

grundsätzlich hoch erfreuliche Angebote und<br />

Arbeitshilfen zu Ärgernissen, ohne dass eine<br />

leichte ‚Lösung‘ oder Behebung des Problems<br />

in Sicht wäre.<br />

Vielleicht, dass sich in diesem Falle die Verfasser<br />

der Wortkunden hilfreich und klärend zu<br />

Wort melden (könnten) – allgemein scheint festzuhalten<br />

zu sein, dass man weder sich noch anderen<br />

mit allzu knappen (oder gleich ganz unterlassenen)<br />

Auskünften und Angaben zu Zielsetzung,<br />

Vorgehen und Grundlage(n) eigener Arbeit einen<br />

wirklichen Gefallen tut; es ist vielmehr, vielleicht<br />

auch etwas besorgt, zu fragen, ob wir uns derlei<br />

noch la(e)nge(r) leisten können.<br />

1) Bei dem Lehrbuchverfasser Rainer NICKEL findet<br />

sich das spannungs- und folgenreiche Nebeneinander<br />

dieser Ansätze ebenso unvermittelt wie offenbar<br />

ungerührt (unbemerkt?): „Normalerweise sind<br />

moderne Lehrbücher nicht auf einen best<strong>im</strong>mten<br />

Autor und seinen Wortschatz festgelegt“ (in: AU<br />

4/1999, S. 3, übernommen ins Lehrerheft [Bamberg<br />

/ München 2000] des Lehrgangs Latein drei, S. 6)<br />

neben „Dass die Auswahl des grammatischen Stoffes<br />

bzw. der Inhalte des Wissens über Sprache <strong>im</strong> Blick<br />

auf die zu erschließenden Textcorpora erfolgen sollte,<br />

braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Die Lehrbücher<br />

entsprechen normalerweise diesem Prinzip,<br />

indem sie auf ein best<strong>im</strong>mtes Textcorpus zielen (z.<br />

B. auf Caesars Commentarii), so dass nicht nur der<br />

Wortschatz, sondern auch die Grammatik des oder<br />

der Autoren für die Lehrbuchkonzeption maßgebend<br />

ist“ (mit ANJA ZANINI in: AU 4+5/2003, S.4 f.).<br />

2) „Die Wörter des Basiswortschatzes sind in den Texten<br />

so häufig, daß die <strong>im</strong>manente Wiederholung <strong>im</strong> allgemeinen<br />

ein besonderes Lernen überflüssig macht,<br />

zumal kaum ein Wort nicht schon aus dem sprachlichen<br />

Grundkurs bekannt sein dürfte“ – beispielshalber<br />

nenne ich die zehn Wörter ‚Lücke‘ bei G. in diesem<br />

Bereich: accipere, adulescens, filius, melior, min<strong>im</strong>e,<br />

mittere, pecunia, pro, servus und verbum (nähere wie<br />

weitere Auskünfte be<strong>im</strong> Verfasser – bitte melden resp.<br />

mailden!).<br />

FRIEDEMANN WEITZ, Leutkirch <strong>im</strong> Allgäu<br />

55


56<br />

Leserforum<br />

Zum Richtungsstreit „erzkonservative Verengung“<br />

oder „Profilbildung“?<br />

<strong>Der</strong> Beitrag von GÜNTHER HOFFMANN in Forum<br />

Classicum 3/2003 hat eine Vielzahl mündlicher<br />

und schriftlicher Stellungnahmen provoziert. In<br />

Heft 4/03 hat KLAUS WESTPHALEN dazu Stellung<br />

genommen. Eine kurze Ergänzung hierzu steht<br />

am Anfang dieses Leserforums. Dann folgen eine<br />

Erwiderung von G. HOFFMANN und drei weitere<br />

engagierte Leserbriefe zum selben Thema.<br />

Auf meinen Beitrag zum Leserforum in Heft<br />

4/03 des FC habe ich einige recht zust<strong>im</strong>mende<br />

E-Mails erhalten, aber auch eine berechtigte<br />

Mahnung des Vandenhoeck & Ruprecht-Verlages.<br />

Daher möchte ich noch folgende Angabe<br />

nachtragen:<br />

Nachschub für Neuerungen! In meiner Aufzählung<br />

moderner Unterrichtswerke für Latein<br />

als zweite Fremdsprache in Heft 4/2003 des FC<br />

(„Panik angesichts von Neuerungen?“) habe ich<br />

unglücklicherweise den vorläufig jüngsten Spross<br />

der „dritten Generation“ übersehen. Es handelt<br />

sich um LUMINA, erschienen 1998 <strong>im</strong> Verlag<br />

Vandenhoeck & Ruprecht. Auf dieses Buch treffen<br />

alle Kriterien zu, die ich dort zugunsten zeitgemäßer<br />

Lehrwerke in Latein angeführt habe.<br />

KLAUS WESTPHALEN, Garmisch-Partenkirchen<br />

Für einen profilierten Sprachunterricht<br />

(Erwiderung auf Klaus Westphalen, FC4/2003)<br />

„In zwei temperamentvollen, polemischen<br />

Beiträgen“ habe ich <strong>im</strong> Heft 3/2003 des FORUM<br />

CLASSICUM sowohl das jüngste Produkt der<br />

FELIX-Reihe (Latein mit Felix) als auch den<br />

damit Hand in Hand gehenden bayerischen<br />

Lehrplan kritisiert. Mein Haupteinwand war, dass<br />

das Grundkonzept beider Objekte die sinnvolle<br />

traditionelle Anordnung insbesondere bei der<br />

Morphologie zertrümmert und damit ein Chaos<br />

erzeugt, das es dem Schüler nicht leichter, sondern<br />

schwerer macht.<br />

Diese Invektive versucht KLAUS WESTPHALEN<br />

<strong>im</strong> Heft 4/2003 zu entkräften und zu widerlegen.<br />

Er bedient sich dabei des Autoritätsargumentes,<br />

was an sich durchaus seine Berechtigung haben<br />

kann. Die eine Autorität, auf die er sich beruft,<br />

ist er selbst, der „seit 1954 bei allen drei Lehrbuchgenerationen<br />

mitgearbeitet“ hat und dessen<br />

Verdienste für die klassischen Sprachen hier<br />

keinesfalls in Abrede gestellt werden sollen.<br />

Die zweite Autorität ist für Westphalen die<br />

„didaktische Tendenz“ seit den 70er Jahren, die<br />

„die Aspekte von Stoff und Form oder Inhalt<br />

und Grammatik in den neueren lateinischen<br />

Unterrichtswerken tatsächlich gleichberechtigt<br />

zur Geltung kommen“ lässt. Während man in<br />

Westphalen durchaus eine berufungswürdige<br />

Autorität sehen kann, ist dies bei Tendenzen problematisch:<br />

Kann man die Qualität eines Buches<br />

oder eines Lehrplanes wirklich damit begründen,<br />

dass sie <strong>im</strong> Trend liegen bzw. modern sind oder<br />

dass es alle anderen neuen Werke auch so tun? Ist<br />

eine Kritik wie meine deswegen falsch, weil sie<br />

dem Trend widerspricht und daher erzkonservativ<br />

erscheint?<br />

Auch meine Ausführungen bemühen eine<br />

Autorität: FRANZ PETER WAIBLINGER, der den von<br />

Westphalen hochgehaltenen Trend einer herben<br />

Kritik unterzogen hat. Sein Fazit, das er <strong>im</strong><br />

FORUM CLASSICUM Heft 1/1998 über die letzten<br />

Jahrzehnte gezogen hat, ist düster: Lehrpläne<br />

und Bücher wurden <strong>im</strong>mer anspruchsvoller,<br />

die Ergebnisse bzw. die Kenntnisse <strong>im</strong>mer<br />

erbärmlicher. Natürlich sind daran auch der<br />

„Rückgang des bürgerlichen Bildungsideals“<br />

(Westphalen) und der vielzitierte neue Schüler<br />

schuld, aber auch die Didaktik, die sich bei der<br />

Spracherwerbsphase einfach verrannt hat und mit<br />

Waiblinger re-formiert werden muss. Insofern ist<br />

die historische Didaktik des Lateinischen – auch<br />

oder gerade <strong>im</strong> FORUM CLASSICUM 1 – weitergegangen,<br />

als sie die didaktischen Moden und<br />

Innovationen mit der Schulwirklichkeit und ihren<br />

(Miss-)Erfolgen korreliert.<br />

Bayern hatte sich in den letzten Jahrzehnten<br />

den genannten fachdidaktischen Tendenzen<br />

eher zögerlich angeschlossen und ist damit<br />

nicht schlecht gefahren. Ursache dafür waren<br />

meines Erachtens Lehrbücher, in denen – wie


Westphalen richtig betont – „der leichten Überschaubarkeit<br />

der Vorzug gegeben“ wurde. Dass<br />

man diese didaktische Tugend – jedem Studienreferendar<br />

wird sie als Grundvoraussetzung für<br />

einen guten Unterricht einge<strong>im</strong>pft – hintanstellt<br />

und das Gegenteil (Unüberschaubarkeit oder<br />

– zum sechsten Mal und öfter: Chaos) in Kauf<br />

n<strong>im</strong>mt, halten nicht nur Waiblinger, sondern auch<br />

viele Basisarbeiter für das Grundübel moderner<br />

Sprachdidaktik. Noch niemand ist <strong>im</strong> Lateinischen<br />

gescheitert, weil er die Aspekte bzw.<br />

die funktionalen Nuancen von Imperfekt und<br />

Perfekt nicht klar unterschieden konnte. Aber<br />

das Verkennen von Formen bzw. Endungen hat<br />

schon manchem das Genick gebrochen, wovor<br />

ihn der attackierte Formalismus mit Formendrill<br />

vielleicht bewahrt hätte.<br />

Die Bedeutung der Syntax soll damit nicht<br />

geleugnet werden und auch nicht die allgemeinbildenden<br />

Werte und die Gesellschaft oder sonst<br />

irgendwelche Bildungsziele des Lateinunterrichts<br />

insgesamt, dessen Zielsetzung sicher weitergeht<br />

als die Grammatik. Nur heißt Ausgewogenheit<br />

nicht, dass man den zweiten Schritt gleichzeitig<br />

mit dem ersten oder alle Schritte auf einmal<br />

macht, <strong>im</strong> Gegenteil: Die Ausgewogenheit muss<br />

sich <strong>im</strong> Gesamt des Unterrichtes zeigen und<br />

nicht in jeder Einzelstunde, die <strong>im</strong>mer einseitig<br />

sein muss, weil ihr ein best<strong>im</strong>mter Lerninhalt<br />

zugrunde liegt und andere Inhalte eben nicht.<br />

So kommt von der inneren Logik und damit<br />

von der Ausgewogenheit her zuerst die Sicherheit<br />

mit Wortschatz und Endungen und dies i n<br />

e i n e r v o n d e r M o r p h o l o g i e h e r<br />

s i n n v o l l e n O r d n u n g , dann die S y n t a x<br />

m i t i h r e m s p e z i f i s c h e n Vo r a n -<br />

s c h r e i t e n und dann die anspruchsvollen<br />

Texte mit ihren Aussagen, für deren Verständnis<br />

Morphologie und (in dieser Reihenfolge) Syntax<br />

Voraus(!)-Setzungen und nicht Gleichsetzungen<br />

sind. Gegenteilige Konzepte, sei es von FELIX<br />

oder anderen modernen Unterrichtswerken, sind<br />

sowohl durch die vielen negativen Rückmeldungen<br />

aus der Praxis als auch durch Waiblingers<br />

kritische Reflexionen obsolet geworden.<br />

Hinter Westphalens Forderung nach Gleichberechtigung<br />

von Inhalt und Sprache steht ein<br />

verengtes Verständnis von Ausgewogenheit <strong>im</strong><br />

Sinne einer arithmetischen Ausgewogenheit.<br />

Dem gegenüber ist für die Spracherwerbsphase<br />

des Lateinunterrichts eine geometrische Ausgewogenheit<br />

gefordert, welche der lateinischen<br />

Sprache und ihren Strukturen die eindeutige<br />

Priorität zuerkennt. Nur so kann diese Phase<br />

letztlich ihr Profil, ihre „philosophische D<strong>im</strong>ension“<br />

(Waiblinger) gewinnen. Anders käme ein<br />

profilloses Mischmaschfach „Lateinische Kulturkunde<br />

(incl. Sprache)“ heraus, und das wäre<br />

weder für unser Fach noch für den Schüler ein<br />

Gewinn.<br />

Betrachtet man die Forderung nach Ausgewogenheit<br />

bzw. Gleichberechtigung von<br />

Sprache und Inhalt historisch genauer, entdeckt<br />

man, dass sie ihren ursprünglichen Sitz ganz<br />

woanders hatte. Westphalens wissenschaftlicher<br />

Werdegang belegt dies: Als er Anfang der 70er<br />

Jahre Inhalt und Sprache gleichberechtigt nebeneinander<br />

stellte, ging es nicht um eine Opt<strong>im</strong>ierung<br />

des Grammatikunterrichts. Vielmehr musste<br />

man mit der „Multivalenzwaffe Latein“ Angriffe<br />

von außen (SAUL B. ROBINSOHN) abwehren und<br />

das Fach als ganzes vor dem Richterstuhl außerfachlicher<br />

Bildungsströmungen legit<strong>im</strong>ieren.<br />

Dies hat Westphalen mit der legendären DAV-<br />

Matrix bravourös geschafft. Dabei ging es aber<br />

vorwiegend um die Gestaltung der Oberstufe:<br />

Durch deren Reform, die Westphalen seinerzeit<br />

in Bayern federführend begleitete, war der<br />

Lateinunterricht auf einmal dem freien Markt<br />

von Angebot und Nachfrage ausgesetzt; dort,<br />

bei der „Kollegstufenarbeit in den alten Sprachen“<br />

(Donauwörth 1971) hat Westphalen die<br />

„kopernikanische Wende“ des Lateinunterrichts<br />

postuliert. Diese Postulate für die Oberstufe<br />

und für den Lektüreunterricht lassen sich aber<br />

nicht <strong>im</strong>mer weiter nach unten verlagern, wenn<br />

man aus guten Gründen an einer eigenständigen<br />

Spracherwerbsphase festhalten will. In einer solchen<br />

geht es überwiegend um das Sprachlernen,<br />

in einer solchen muss ein Schulbuch auch vom<br />

Äußeren her ein profiliertes Sprachbuch und darf<br />

kein <strong>Reis</strong>eführer oder Kulturkundelesebuch mit<br />

Bilderflut und Grammatik und Projekten und<br />

Vokabeln und Karikaturen sein. Letztere scheint<br />

Westphalen in seiner Entgegnung als Inbegriff<br />

einer erweiterten Zielsetzung des Lateinunter-<br />

57


ichts anzusehen, da eine asketische Beschränkung<br />

wohl nicht der Spaßgesellschaftsmatrix<br />

gerecht werden würde.<br />

Was Westphalen als erzkonservative Verengung<br />

abtut, ist letztlich Profilbildung. Und nur<br />

durch ein spezifisches, d. h. der jeweiligen Phase<br />

des Lateinunterrichts angemessenes Profil erhält<br />

der Lateinunterricht langfristig seine Legit<strong>im</strong>ation<br />

und seine Achtung in der Schule.<br />

1) Vgl. dazu auch die Beiträge von Rupert Farbowski:<br />

Latein – eine starke Marke. in: FC 4/1997 und Matthias<br />

Ferber, Latein als Kernfach des „kulturellen Gedächtnisses“<br />

in: FC 1/2003.<br />

58<br />

GÜNTHER HOFFMANN<br />

„Cottidie peius“?<br />

Anmerkungen zur Besprechung von LATEIN<br />

MIT FELIX Band 1 von GÜNTHER HOFFMANN<br />

(FC 3/2003 S. 170-174)<br />

In seiner umfangreichen und sehr genauen<br />

Besprechung hat GÜNTHER HOFFMANN massive<br />

und grundsätzliche Kritik am neuen Lehrbuch<br />

LATEIN MIT FELIX geübt und damit einen<br />

unter bayerischen Kollegen (ich schließe mich<br />

mit ein) nicht selten anzutreffenden Unmut über<br />

Konzeption und Umsetzung von LATEIN MIT<br />

FELIX (und FELIX) zum Ausdruck gebracht.<br />

Zugegeben: Auch ich trauere dem bisherigen<br />

Lehrbuch ROMA A nach und ärgere mich bei<br />

LATEIN MIT FELIX besonders über die (vom<br />

Kollegen Hoffmann kürzer behandelte) unbefriedigende<br />

Aufbereitung des Wortschatzes: Die<br />

Schüler lernen bei stat<strong>im</strong> (L 4) u. a. die Bedeutung<br />

„auf der Stelle“ und kommen natürlich bei<br />

Lektion 4 Übung f, in der Wörter (auch stat<strong>im</strong>)<br />

nach Orts- und Zeitangaben zu sortieren sind,<br />

sofort in Schwierigkeiten. Ähnliches gilt für est<br />

(„es gibt“) und dat („er, sie, es gibt“) in Lektion<br />

5 und 6. Warum macht man es Schülern unnötig<br />

schwer? Muss componit (L 8) wirklich auch „er<br />

fasst ab“ (statt „er verfasst“) heißen? Reicht bei<br />

interea (L 9) nicht „inzwischen“ oder braucht man<br />

zusätzlich „unterdessen“? Um die Beispiele nicht<br />

endlos auszudehnen: Ich habe den Eindruck, die<br />

Autoren des „Bamberger Wortschatzes“ waren<br />

zu oft Sklaven ihrer eigenen Statistik und haben<br />

sich (aus Zeitdruck?) kaum Gedanken über ihre<br />

„Zielkundschaft“ gemacht.<br />

Dennoch ist es mir wichtig, die Kritik an LATEIN<br />

MIT FELIX mit einigen Hinweisen grundsätzlicher<br />

Art zu relativieren:<br />

Dieses Lehrbuch ist das einzige in Bayern<br />

für Latein als 1. Fremdsprache zugelassene und<br />

wird wohl auch das einzige bleiben. Es völlig in<br />

Frage zu stellen, heißt zwangsläufig auch, L1 in<br />

Frage zu stellen. Wie müssen sich Schüler und<br />

Eltern fühlen, wenn ihnen der eigene Lehrer den<br />

Eindruck vermittelt, mit diesem Buch könne man<br />

nicht erfolgreich Latein lernen?<br />

Und: Kann man das wirklich nicht? Fairerweise<br />

sollten wir dem Lehrwerk (und den Lehrern,<br />

die mit ihm unterrichten, also uns!) die<br />

Chance und die Zeit (d. h. die gesamte Grammatikphase)<br />

geben zu zeigen, was in LATEIN MIT<br />

FELIX steckt und mit ihm möglich ist. Dies aber<br />

erfordert den unvoreingenommenen Lehrer, der<br />

gerne mit dem Buch arbeitet und diese Freude die<br />

Schüler spüren lässt. Denn über die Qualität des<br />

Lateinunterrichts entscheidet letzten Endes nicht<br />

das Lehrbuch, sondern gottlob <strong>im</strong>mer noch der<br />

Lehrer, der mit diesem Buch einen engagierten,<br />

effizienten und durchdachten Unterricht hält.<br />

Dafür ist es freilich sehr wichtig, auf Schwachstellen<br />

aufmerksam gemacht zu werden. Dass<br />

Günther Hoffmann dies in seiner Besprechung<br />

getan hat, sollten nicht nur wir ihm hoch anrechnen,<br />

sondern auch Herausgeber und Bearbeiter<br />

von LATEIN MIT FELIX – auch wenn es Überwindung<br />

kosten mag.<br />

DIETMAR ABSCH, Bamberg<br />

Zu G. Hoffmann: <strong>Der</strong> neue Lehrplan für<br />

Latein, in: FORUM CLASSICUM 3/2003<br />

In der Ausgabe 3/2003 des FORUM CLASSICUM<br />

unterzog OStR G. HOFFMANN den neuen Lehrplan<br />

Latein einer kritischen Untersuchung, an deren<br />

Ende er zu einem depr<strong>im</strong>ierenden Fazit gelangte:<br />

<strong>Der</strong> neue Lehrplan führe zu chaotischem Sprachunterricht,<br />

von dem kein sprachliches Fundament<br />

zu erwarten sei. Die Konsequenz sei, dass an einen<br />

Oberstufenunterricht mit anspruchsvollen Texten<br />

[…] überhaupt nicht mehr zu denken sei.<br />

Diese harsche, z. T. recht polemisch formulierte<br />

und sachlich falsche Kritik überrascht zum einen<br />

durch den Zeitpunkt ihres Erscheinens: waren doch


alle Phasen der Lehrplanerarbeitung jedem Interessierten<br />

jederzeit zugänglich: die jeweiligen Entwürfe<br />

konnten auf der Internetseite des ISB München<br />

eingesehen werden, zu einer konstruktiv-kritischen<br />

Begleitung der Lehrplanerarbeitung wurde von<br />

Beginn der Arbeit an aufgerufen. Eine Reaktion<br />

oder kritische Begleitung durch Herrn Hoffmann<br />

ist während dieses Zeitraums nicht erfolgt.<br />

Zum anderen überrascht die „Rezension“<br />

durch ihre generelle Ablehnung des neuen<br />

Lehrplans. Dies entspricht in keiner Weise der<br />

allgemeinen Resonanz <strong>im</strong> Kreise der Kollegen,<br />

die, belegbar durch die <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

der Lehrplan<strong>im</strong>plementation erfolgte Evaluation,<br />

positiv bis sehr positiv auf Geist und Inhalt des<br />

neuen Lehrplans reagierten.<br />

Dieser fundamentalen Kritik soll <strong>im</strong> folgenden<br />

widersprochen werden, wobei die einzelnen<br />

Kritikpunkte Hoffmanns zunächst genannt und<br />

anschließend einer genauen Prüfung unterzogen<br />

werden.<br />

Hoffmann geht zunächst auf die veränderte<br />

Stundentafel ein. Hier kritisiert er die Kürzung in<br />

L1 von 31 Wochenstunden <strong>im</strong> alten Lehrplan auf<br />

27 <strong>im</strong> neuen. Die Zahl von 31 Wochenstunden<br />

trat mit Einsetzen des alten Lehrplans 1991 in<br />

Kraft, vor einigen Jahren wurde diese Zahl auf<br />

29 Wochenstunden gesenkt (Jgst. 6 von 6 auf 5,<br />

Jgst. 11 von 5 auf 4 Wochenstunden); bedingt<br />

durch die Einführung neuer Fächer <strong>im</strong> neuen<br />

Lehrplan (Natur und Technik, Informatik in Jgst.<br />

6) wurde diese Zahl auf 27 Wochenstunden verkürzt,<br />

wobei diese Senkung die 1. Fremdsprache<br />

allgemein betrifft, also auch Englisch und Französisch,<br />

mithin keine willkürliche Beschneidung<br />

des Faches Latein darstellt. <strong>Der</strong> Zugewinn von 2<br />

Wochenstunden gegenüber dem alten Lehrplan<br />

in L2 wird von Hoffmann zwar registriert, <strong>im</strong><br />

selben Atemzug aber als wertlos abgetan, da der<br />

Zuwachs ja „nur“ für die Lektürephase gelte.<br />

Am Rande sei in diesem Zusammenhang<br />

erwähnt, dass die Festlegung der Stundentafel<br />

nicht durch die Lehrplankommission oder ähnliche<br />

Institutionen erfolgt, sondern durch die<br />

zuständigen bildungspolitischen Ausschüsse<br />

<strong>im</strong> bayerischen Landtag, die Kritik Hoffmanns<br />

also schlichtweg an die falsche Adresse gerichtet<br />

ist.<br />

Zur Kritik Hoffmanns am neuen Lehrplan<br />

(dessen Geist und grundsätzliche Konzeption<br />

übrigens auch für den neuen Lehrplan des<br />

künftigen achtjährigen Gymnasiums gelten)<br />

selbst: Ausgangs- und einziger Bezugspunkt<br />

für Hoffmanns Kritik sind die beiden Aufsätze<br />

FRANZ-PETER WAIBLINGERS 1 , der die häufig mangelhaften<br />

Sprachkenntnisse von Lateinschülern<br />

zum Anlass n<strong>im</strong>mt und eine Neuorientierung des<br />

Lateinunterrichts weg von der Fixierung auf die<br />

Textmethode fordert.<br />

Diese Auffassung, die von großer Zust<strong>im</strong>mung<br />

getragen werde, wird nun von Hoffmann<br />

zur Basis seiner Kritik gemacht, d. h. Waiblingers<br />

fraglos wichtige und interessante These, die in<br />

der Fachwelt nicht nur Zust<strong>im</strong>mung gefunden<br />

hat und seit ihrer Veröffentlichung intensiv und<br />

auch kontrovers diskutiert worden ist, wird absolut<br />

gesetzt und von Hoffmann zum einzig möglichen<br />

Ansatzpunkt für die Erarbeitung eines neuen<br />

Lehrplans gemacht. Das mag für die persönliche<br />

Haltung eines einzelnen angehen, die Arbeit einer<br />

Lehrplankommission muss freilich auf einer breiteren<br />

Basis beruhen und alle wichtigen Positionen<br />

und Ansichten der aktuellen fachdidaktischen<br />

Diskussion mit einbeziehen. Selbstverständlich<br />

wurden bei der konkreten Entwicklung des Lehrplans<br />

Waiblingers Ansichten diskutiert und z. T.<br />

auch in den Lehrplan eingearbeitet (was Hoffmann<br />

offensichtlich entgangen ist), nur eben<br />

nicht diese allein.<br />

Nach seiner allgemeinen Kritik an der Stundentafel<br />

geht Hoffmann auf die Jahrgangsstufenprofile<br />

– oder die Präambeln des Lehrplans<br />

ein. Abgesehen von der Verwendung einer falschen<br />

Terminologie (was Hoffmann mit Jahrgangsstufenprofile<br />

bezeichnet, sind fächerübergreifende<br />

Darstellungen der Schüler und ihres<br />

jahrgangsspezischen Entwicklungsstandes,<br />

also Schülerprofile) existieren Präambeln des<br />

Lehrplans nicht, in den allgemeinen Vorbemerkungen<br />

auf S. 7, die den Jahrgangsstufenplänen<br />

vorgeblendet sind, kann man nachlesen, dass<br />

es sich bei den von Hoffmann angesprochenen<br />

Passagen um Jahrgangsstufenzieltexte handelt,<br />

die einen Überblick über die inhaltlichen und<br />

methodischen Ziele aus der Sicht des Schülers<br />

bieten.<br />

59


Hier erkennt Hoffmann: Gestrichen wird in<br />

der Regel das, was mit Sprache zu tun hat, und<br />

bemängelt, dass die Beschäftigung mit Sprache<br />

keinen Eigenwert hat, die Morphologie bleibt<br />

draußen. Abgesehen von der Diskussionswürdigkeit<br />

der Ansicht, Beschäftigung mit Sprache<br />

sei für Schüler ein Eigenwert an sich, sind diese<br />

Aussagen schlicht falsch. Es wird <strong>im</strong> neuen Lehrplan<br />

in jeder Jahrgangsstufe und explizit natürlich<br />

in der Spracherwerbsphase dargelegt, was Schüler<br />

sprachlich lernen und beherrschen müssen.<br />

Dies ist zum einen <strong>im</strong> Bereich Grundwissen<br />

(übrigens einem Novum des neuen Lehrplans)<br />

farblich abgehoben und deutlich gekennzeichnet.<br />

Als Beispiel seien nur drei Passagen aus der Jahrgangsstufe<br />

5 angeführt:<br />

• Grundvokabular; … wesentliche Prinzipien<br />

der Wortbildung<br />

• Formen- und Satzlehre; grammatische Strukturen<br />

best<strong>im</strong>men und benennen; Stammformen<br />

von Verben<br />

• Kurze lateinische Texte übersetzen, einfache<br />

lateinische Sätze bilden (aktive Sprachbeherrschung<br />

ist also explizit gefordert!); Techniken<br />

des Übersetzens<br />

Mit welchen konkreten sprachlichen Inhalten<br />

diese Angaben gefüllt werden, ist <strong>im</strong> folgenden<br />

Bereich Sprache (!) detailliert aufgeführt. Hier<br />

finden sich dann selbstverständlich ganz konkrete<br />

Aussagen zur Morphologie (L1 5.1, Formenlehre<br />

(!): Substantive: alle Deklinationsklassen;<br />

Adjektive: alle Deklinationsklassen; Verben:<br />

alle Konjugationsklassen; Prinzipien der Wortbildungslehre<br />

etc.), das Erlernen der Sprache und<br />

die reflektierende Beschäftigung mit ihr wird als<br />

essentieller Bestandteil der Unterrichtsarbeit klar<br />

erkennbar. (Systematisierung und Anwendung<br />

der einzelnen sprachlichen Elemente, L1 5.1,<br />

S. 100). Wenn Hoffmann all diese Punkte nicht<br />

berücksichtigt, ist ihm das Strukturprinzip des<br />

neuen Lehrplans: einführender Jahrgangsstufenzieltext<br />

– Grundwissenskatalog – konkrete und<br />

differenzierte Auflistung der einzelnen Inhalte so<br />

offensichtlich nicht erkennbar gewesen.<br />

Diese Gliederung, aber auch die gesamte<br />

sprachliche Formulierung sprechen also klar an,<br />

dass die Arbeit an und mit der Sprache <strong>im</strong>mer<br />

<strong>im</strong> Zentrum des Unterrichtens steht, andererseits<br />

60<br />

aber auch der Bereich „<strong>Antike</strong> Kultur“ einen<br />

wichtigen Stellenwert, gerade <strong>im</strong> Unterricht der<br />

Unterstufe, besitzt. Die Schüler werden in ihrer<br />

Entscheidung, Latein als 1. Fremdsprache am<br />

Gymnasium zu wählen, sicherlich nicht pr<strong>im</strong>är<br />

von der Faszination, die der Eigenwert der<br />

lateinischen Sprache ausübt, geleitet, sie sind<br />

vielmehr von der Vielfalt der römischen Kultur<br />

und Geschichte beeindruckt. Die Kinder dort<br />

abzuholen, wo sie sich von ihrem Interesse her<br />

befinden und dieses für den Lateinunterricht (und<br />

den Sprachunterricht innerhalb des Lateinunterrichts)<br />

fruchtbar zu machen, ist eine der wichtigsten<br />

Aufgaben und Herausforderungen des<br />

Unterstufenlehrers. Die Einbeziehung der antiken<br />

Kultur ist also keineswegs eine Aufplusterung der<br />

Welt der Römer, sondern sinnvoller, integrativer<br />

und unverzichtbarer Teil eines modernen Sprachunterrichts<br />

– eine Erkenntnis, die sich seit vielen<br />

Jahren in der lateinischen Didaktik durchgesetzt<br />

hat und den „Drillunterricht“, wie ihn Hoffmann<br />

in seiner Besprechung des neuen L1-Lehrbuchs<br />

in der gleichen Ausgabe von FORUM CLASSICUM<br />

wiederholt favorisiert, als didaktisches Grundprinzip<br />

abgelöst hat.<br />

Auch die Behauptung, <strong>im</strong> neuen Lehrplan<br />

werde das Interesse an Sprache nicht mehr<br />

berücksichtigt, Sprache als geschlossenes System<br />

werde nicht mehr als wichtiger Unterrichtsbestandteil<br />

angesehen, wird durch verschiedene<br />

Passagen <strong>im</strong> Lehrplan klar widerlegt: So wird<br />

<strong>im</strong> Fachprofil für das Fach Latein (einem Teil<br />

des Lehrplans, der in Hoffmanns Kritik weder<br />

erwähnt noch kritisch reflektiert wird) explizit<br />

darauf hingewiesen, dass „die Systematik der<br />

lateinischen Grammatik […] Verständnis für<br />

das Zusammenwirken sprachlicher Elemente<br />

und für das Funktionieren von Sprache an sich“<br />

(S. 29f.) bewirke. Ferner wird in den Rubriken<br />

Sprache speziell in den unteren Jahrgangsstufen<br />

<strong>im</strong>mer wieder auf den Wert der Systematik der<br />

lateinischen Sprache verwiesen.<br />

Des weiteren kritisiert Hoffmann, <strong>im</strong> neuen<br />

Lehrplan gebe es nur noch Texte, <strong>im</strong> Gegensatz<br />

zu früher, wo einfache Sätze und zusammenhängende<br />

Lesestücke gefordert waren. Abgesehen<br />

von dem Verständnisproblem, das sich dem Leser<br />

bei der Unterscheidung zwischen einem zusam-


menhängenden Lesestück und einem Text ergibt,<br />

ist diese Feststellung falsch. Die von Hoffmann<br />

geforderten Einzelsätze sind vom Lehrplan her<br />

durchaus möglich und vorgesehen (z. B. Übersetzung<br />

lateinischer Sätze…, Übersetzung einfacher<br />

deutscher Sätze ins Lateinische, L1 5.2,<br />

S. 101). Es ist also jedem Lehrer unbenommen,<br />

best<strong>im</strong>mte grammatische Phänomene durch Einzelsätze<br />

einzuführen oder einüben zu lassen. Die<br />

didaktisch – methodische Flexibilität des Lehrers<br />

– ein weiteres Grundprinzip des neuen Lehrplans<br />

– soll also nach Möglichkeit nicht eingeschränkt<br />

werden. Genaue Lektüre des Lehrplans macht<br />

dies ganz offensichtlich.<br />

Jeglicher Grundlage entbehrt auch der Vorwurf,<br />

dass grammatische Phänomene nunmehr<br />

mehr in ihrer Vereinzelung gelernt werden sollen;<br />

bisher seien vollständige Paradigmen bereits von<br />

Anfang an präsent gewesen (das der Substantiva<br />

war Stoff des ersten Lateinmonats). Nun dürfte es<br />

in Deutschland wohl kaum ein Lehrbuch geben,<br />

das sämtliche Formen der Substantive der o-<br />

Deklination, geschweige denn der Substantiva<br />

nach einem Monat als Lernstoff präsentiert, aber<br />

ganz abgesehen davon liegt hier ein Verständnisfehler<br />

Hoffmanns vor. Natürlich wird keineswegs<br />

angestrebt, grammatische Phänomene isoliert<br />

lernen zu lassen (zum Thema Systematik s.<br />

o.), nur ist es aus der Sicht einer vernünftigen<br />

Arbeitsökonomie bei best<strong>im</strong>mten Grammatikphänomenen<br />

sinnvoll und möglich, diese in den<br />

Wortschatz zu verlagern. Ein eigenes Kapitel zum<br />

Possessivpronomen muss nicht unbedingt sein,<br />

meus kann beispielsweise problemlos als Lernvokabel<br />

behandelt und besprochen werden. <strong>Der</strong><br />

etwas polemische Nachsatz Hoffmanns: Systematisiert<br />

wird hinterher. findet keinen Angriffspunkt<br />

<strong>im</strong> Lehrplantext, offenbart aber einen weiteren<br />

grundsätzlichen Denkfehler:<br />

Hoffmann verwechselt offensichtlich die<br />

Kriterien, die für die Erstellung eines Lehrplans<br />

gelten, mit denen für die Erarbeitung eines Lehrbuchs.<br />

Diese beiden Bereiche sind aber strikt<br />

voneinander zu trennen. Methodische Überlegungen,<br />

Vorschläge zur Umsetzung oder zeitlichen<br />

Positionierung von Stoffen <strong>im</strong> Schuljahresverlauf<br />

sind nicht Gegenstand eines Lehrplans. Auch die<br />

Umsetzung der <strong>im</strong> Lehrplan geforderten Syste-<br />

matisierung liegt allein in Händen der Lehrbuchmacher<br />

und Lehrer vor Ort. Dementsprechende<br />

Kritik Hoffmanns muss also zwangsläufig ins<br />

Leere laufen.<br />

Bei der Verteilung des Stoffes auf die einzelnen<br />

Jahrgangsstufen beklagt Hoffmann einen<br />

nicht zu verantwortenden Paradigmenwechsel.<br />

Speziell mit der Verschiebung des Konjunktivs<br />

in das zweite Lernjahr werde der Schüler überfordert,<br />

<strong>im</strong> Kopf des Schülers bleibe nur Chaos<br />

zurück, da das vollständige Paradigma nicht<br />

gelernt werden könne. Diesem Gedanken stand<br />

bei der Erarbeitung des Lehrplans ein anderer<br />

Gedanke entgegen: Gerade dadurch, dass der<br />

Konjunktiv (und v. a. der Konjunktiv Präsens)<br />

aus dem ersten Lernjahr entfernt wird, vermeidet<br />

man ein Durcheinander <strong>im</strong> Kopf des Schülers.<br />

Wenn er sich nur auf die Formen des Indikativs<br />

konzentrieren kann, fällt ihm, gerade zu Beginn<br />

seiner Beschäftigung mit der Systematik einer<br />

Sprache das Schaffen von klaren Ordnungsstrukturen<br />

wesentlich leichter; in einem überschaubaren<br />

Lernfeld erwirbt er die Fähigkeit zur Sprachreflexion<br />

und Sprachbeherrschung leichter und<br />

dauerhafter, als wenn er durch das Erlernen des<br />

(<strong>im</strong> Deutschen ohnehin kaum gebräuchlichen)<br />

Konjunktiv Präsens und dessen problematische<br />

Wiedergabe – beispielsweise bei ut- oder cum-<br />

Sätzen – zusätzlich verwirrt wird. Was nutzt<br />

also eine vollständig ausgefüllte Tabelle mit<br />

allen Formen des Indikativs und Konjunktivs,<br />

wenn sie zwar, wie von Hoffmann vorgesehen,<br />

auswendig aufgesagt werden kann, die Formen<br />

<strong>im</strong> laufenden Text aber nicht erkannt und wegen<br />

fehlender kognitiver Durchdringung nicht korrekt<br />

übersetzt werden können?<br />

Von diesem Aspekt einmal abgesehen erwerben<br />

die Schüler <strong>im</strong> ersten Lernjahr ohnehin kein<br />

wirklich vollständiges Paradigma, da ja – auch<br />

schon <strong>im</strong> bisherigen Lehrplan – das Passiv sinnvollerweise<br />

ausgeblendet war.<br />

Im Bereich der Syntax behauptet Hoffmann,<br />

vom Anfänger werde mehr verlangt als früher.<br />

Dem widersprechen folgende Tatsachen: So<br />

wurden aus der von Hoffmann als Beispiel herangezogenen<br />

Jahrgangsstufe 5 L1 folgende Inhalte<br />

entfernt: Konjunktiv Präsens, Konjunktiv Imperfekt,<br />

Perfekt, Plusquamperfekt, Imperativ II, Par-<br />

61


tizip Präsens (Hoffmann erwähnt dies in seiner<br />

Darstellung nicht). Wenn man nun vergleicht,<br />

welche grammatischen Phänomene an die Stelle<br />

dieser Inhalte getreten sind – AcI und Relativsatz<br />

– wird man feststellen, dass nicht nur eine<br />

quantitative, sondern auch qualitative Reduktion<br />

des Grammatikstoffes eingetreten ist. Jeder, der<br />

in der Praxis den Konjunktiv Präsens oder (am<br />

Ende des Schuljahres!) das Partizip Präsens mit<br />

seinen Schülern erarbeitet hat, kennt die damit<br />

verbundenen Schwierigkeiten und Probleme.<br />

Häufig sind die Schüler mit diesem Problem<br />

(noch) überfordert, wohingegen der Relativsatz<br />

mit seiner zum Deutschen parallelen Struktur<br />

oder der AcI mit seiner ebenfalls vorhandenen<br />

Nähe zum Deutschen und seinen Anknüpfungsmöglichkeiten<br />

zum Englischen weitaus leichter<br />

und besser zu vermitteln ist. Auch hier treten<br />

zwar Unterschiede zur Muttersprache auf, diese<br />

können aber von den Schülern, da sie ihrem<br />

geistigen Entwicklungsstand angemessener sind,<br />

besser bewältigt werden. Von einem chaotischen<br />

Sprachunterricht, von dem kein sprachliches<br />

Fundament mehr für den Lektüreunterricht mehr<br />

zu erwarten sei, kann also keine Rede sein.<br />

<strong>Der</strong>artige apodiktischen und auch, wie die<br />

bisherigen Ausführungen gezeigt haben dürften,<br />

sachlich widerlegbaren und teilweise sogar falschen<br />

Aussagen müssen in einer eigentlich zur<br />

Sachlichkeit verpflichteten „Rezension“ zumindest<br />

verwundern.<br />

Gegen Ende seiner Ausführungen behandelt<br />

Hoffmann noch kurz den Bereich Wortschatz.<br />

Hier wird hauptsächlich die Fetischisierung<br />

statistischer Erhebungen zur Vokabelfrequenz<br />

kritisiert. Jedes Wort müsse durch die Mühlen<br />

der Statistik gedreht werden, vor deren unerbittlichem<br />

Richterstuhl es seine Existenz rechtfertigen<br />

muss. Zudem sei die damit verbundene<br />

Wortschatzreduzierung der falsche Weg, um die<br />

Malaise des Lateinunterrichts zu heilen (Auch<br />

hier beruft sich Hoffmann auf Waiblinger): Es sei<br />

egal, wie viel Vokabeln der Schüler lernt, er vergesse<br />

ohnehin <strong>im</strong>mer den gleichen Prozentsatz.<br />

Daraus muss man <strong>im</strong>plizit den Schluss ableiten,<br />

dass der Schüler eben nur mehr Vokabeln<br />

lernen müsse, dann blieben auch mehr Wörter<br />

hängen.<br />

62<br />

Dieser Gedankengang ist nicht nur aus lernpsychologischer<br />

Sicht bedenklich, er n<strong>im</strong>mt auch zu<br />

wenig Rücksicht auf das Lernverhalten heutiger<br />

Schüler: Diese lernen in der Regel sehr wohl<br />

ihre Vokabeln, nur ist – nicht zuletzt durch die<br />

intensive Reizüberflutung, wie auch Hoffmann<br />

zugesteht – die Behaltensleistung und -dauer<br />

erheblich geringer als bei Schülern früherer<br />

Generationen. Und hier setzt genau das Konzept<br />

des neuen Lehrplans an: Gerade diesem geänderten<br />

Lernverhalten trägt er Rechnung, indem<br />

er der Komponente des Übens, Wiederholens,<br />

Vertiefens breiten Raum gewährt. Diese Phase<br />

soll nach Möglichkeit ein Drittel des gesamten<br />

Unterrichts ausmachen, also auch – und gerade<br />

– der Wortschatzwiederholung dienen.<br />

Diese kann nun wesentlich effektiver und<br />

nachhaltiger erfolgen, wenn die Wortschatzmenge<br />

geringer ist als die bisherige. Anders gesprochen:<br />

Habe ich weniger Wörter zu wiederholen, kann<br />

ich diese öfter und intensiver umwälzen und<br />

erhöhe damit meine Behaltensleistung. Zudem<br />

ist diese reduzierte Vokabelmenge genau auf die<br />

Bedürfnisse des Lektüreunterrichts zugeschnitten,<br />

d. h. es brauchen viele, z. T. von uns Lehrern<br />

auch „lieb gewonnene“ Vokabeln nicht mehr<br />

gelernt zu werden, da sie in der Lektüre schlicht<br />

und einfach nicht oder nur sehr selten auftauchen.<br />

Die Anhäufung von „Ballastwörtern“, die einmal<br />

in der Unterstufe auf Vorrat gelernt wurden, nur<br />

um irgendwann ein- oder zwe<strong>im</strong>al in der 10.<br />

Klasse Verwendung zu finden, entfällt damit<br />

also. Ferner bedeutet Wortschatzreduzierung<br />

nicht einfach wahllose Entfernung von Wörtern,<br />

sondern lernökonomisch sinnvolle Konzentration<br />

auf das Wesentliche.<br />

Zudem wurde dem Vorwurf der Verabsolutierung<br />

statistischer Werte <strong>im</strong> Lehrplan durch<br />

die Gewichtung des so genannten Kulturwortschatzes<br />

entgegengetreten. Hier werden in jeder<br />

Jahrgangsstufe 10 bis 20 Prozent des Vokabelbestandes<br />

durch Wörter gebildet, die rein statistisch<br />

gesehen nicht repräsentativ sind, in unserem heutigen<br />

Sprachgebrauch und für unser kulturelles<br />

Selbstverständnis aber von großer Bedeutung<br />

sind.<br />

Trotz dieser sinnvollen und notwendigen<br />

Ergänzung konnte eine spürbare Entschlackung


des Wortschatzes erreicht werden, die dem Schüler<br />

die Möglichkeit der Konzentration auf das<br />

Wesentliche und der sinnvollen und effektiven<br />

Sicherung seines Vokabelbestandes ermöglicht.<br />

Bleibt noch, ein Fazit zu ziehen. Ein depr<strong>im</strong>ierendes,<br />

wie Hoffmann es tut?<br />

Im Hinblick auf den Lehrplan keineswegs.<br />

In ihm steht allen Kolleginnen und Kollegen<br />

eine von vielen, auch außerfachlichen Seiten<br />

positiv bewertete Arbeitsgrundlage zur Verfügung,<br />

die auf den Erkenntnissen der modernen<br />

Fachdidaktik ebenso beruht wie den täglichen<br />

Erfahrungen vieler Kollegen vor Ort. Dass nicht<br />

jeder mit jedem Punkt des neuen Lehrplans<br />

übereinst<strong>im</strong>mt, liegt in der Natur der Sache.<br />

Dies liefert die Grundlage für viele interessante<br />

und wichtige Diskussionen. Dass aber eine kritische<br />

„Würdigung“ , z. T. unter Hintansetzung<br />

bzw. Nichtberücksichtigung sachlicher Argumente<br />

einem Lehrplan unterstellt, er mache den<br />

Lateinunterricht in Bayern kaputt, kann nicht<br />

unwidersprochen bleiben und mag als subjektives<br />

Empfinden eines Einzelnen vielleicht zur Kenntnis<br />

genommen, in keinem Falle aber akzeptiert<br />

werden.<br />

Auf diese Weise wird dem Lateinunterricht in<br />

Bayern kein Dienst getan. Das ist das eigentlich<br />

depr<strong>im</strong>ierende Fazit dieses Artikels.<br />

Anzeige Bögl<br />

Anmerkung:<br />

1) Waiblinger, F-P.: Überlegungen zum Konzept des<br />

lateinischen Sprachunterrichts, in: FORUM CLASSICUM<br />

1/1998, 9ff. (Die Zitation Hoffmanns 11/1995 ist<br />

falsch und irreführend, FORUM CLASSICUM als Fortführung<br />

des Mitteilungsblattes des Deutschen Altphilologenverbandes<br />

erscheint seit 1997 unter diesem<br />

Namen!) und ders.: Lateinunterricht 2000 in Bayern,<br />

in: Neukam, P., O’Connor, B. (Hrsg.), Tradition und<br />

Zukunft. München 2001, 150ff.<br />

MICHAEL HOTZ, Kirchseeon<br />

Latein trotz FELIX –<br />

Zu den Beiträgen von GÜNTHER HOFFMANN in<br />

FORUM CLASSICUM 3/2003<br />

Selten nur hat man das Glück, als Leser einer<br />

Zeitschrift Artikel zu finden, die einem aus vollstem<br />

Herzen sprechen; doch ebendies widerfuhr<br />

mir bei den Beiträgen von Günther Hoffmann,<br />

Nürnberg.<br />

Als Berufsanfänger und Angehöriger der<br />

jüngeren Generation von Altphilologen (Jahrgang<br />

1968) hatte ich das Glück, Latein als erste<br />

Fremdsprache mittels eines Unterrichtswerkes zu<br />

erlernen, welches den Schüler behutsam in die<br />

Systematik der lateinischen Sprache einführte,<br />

zwar auf überladene Buntheit verzichtete, aber<br />

dafür dem Lehrer ein reichhaltiges Übungsmaterial<br />

an die Hand gab, das er <strong>im</strong> Rahmen seiner<br />

63


eigenen Kreativität in einen lebendigen Lateinunterricht<br />

umsetzen konnte – so er wollte.<br />

Ebendiese didaktischen Grundpfeiler des<br />

Lateinunterrichtes, auf welche Herr Hoffmann<br />

Bezug nahm, sind jetzt (wie aus FORUM CLASSI-<br />

CUM 4/2003 zu entnehmen war) als „erzkonservativ“<br />

zu erachten.<br />

Wenn aber conservare nichts anderes bedeutet<br />

als „bewahren, retten“, so wandelt sich das wohl<br />

als polemisch gedachte Etikett, das Herrn Hoffmann<br />

angeheftet wird, nämlich auch <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />

der heutigen Zeit zu retten, was zu retten<br />

ist, in ein Kompl<strong>im</strong>ent außerordentlicher Güte.<br />

Demgegenüber muss doch die „erfolgreiche<br />

FELIX – Konzeption“ mit mehr als einem Fragezeichen<br />

versehen werden. Wo liegen denn die<br />

Erfolge?<br />

• In dem Bestreben, dem Schüler schon in den<br />

Anfangsstunden möglichst alle Deklinationen<br />

und Konjugationen in buntem Gemisch an den<br />

Kopf zu werfen, um so alle Chancen zu einem<br />

Erkennen des systematischen Grundgerüstes<br />

der lateinischen Sprache von vornherein zu<br />

vereiteln? Von dem Selbstverständnis des<br />

Unterrichtsfaches Latein, wie es sich <strong>im</strong> Lehrplan<br />

für das Gymnasium in Bayern vom Juli<br />

2003 darstellt, nämlich dem Schüler Sprachkompetenz<br />

zu vermitteln (S. 29f.), bleibt da<br />

nicht mehr viel übrig.<br />

• Oder in der „Verbuntung“ des Lateinunterrichtes<br />

bei allen passenden und – wie Günther<br />

Hoffmann deutlich nachgewiesen hat<br />

– unpassenden Gelegenheiten? Soll nicht ein<br />

Unterrichtswerk für die lateinische Sprache<br />

zunächst dem Lehrer genügend Material an<br />

die Hand geben, um für ausreichende Vertiefung<br />

des zu lernenden Stoffes zu sorgen (mag<br />

64<br />

man wie Günther Hoffmann das Wort „Drill“<br />

verwenden oder eine gemilderte Bezeichnung,<br />

an der Richtigkeit von Hoffmanns Einwand<br />

ändert dies gar nichts) und die Präsentation<br />

der Kreativität des Lehrenden – diese in sich<br />

selbst zu wecken sollte eigentlich ein Postulat<br />

sein, das jede Lehrkraft an sich stellt – zu<br />

überlassen? Buntheit allein kann nicht über<br />

inhaltliche Mängel hinwegtäuschen, zumal<br />

der Verfasser dieser Zeilen selbst <strong>im</strong> eigenen<br />

Unterricht feststellen konnte, dass die so zentrale<br />

„Persönlichkeit“ des „stets gut gelaunten“<br />

FELIX einem Neuntklässler, der FELIX<br />

B III in die Hand n<strong>im</strong>mt, nur mehr ein müdes<br />

Lächeln (wenn überhaupt!) abringt.<br />

Natürlich kann darauf verwiesen werden, dass<br />

das neue Lehrbuch „Latein mit Felix“ genau mit<br />

den Anforderungen des neuen Lehrplanes für das<br />

Fach Latein übereinst<strong>im</strong>mt. Die Unsystematik<br />

ist also gewissermaßen „von oben“ vorgegeben.<br />

Doch hätte es – man mag mir dieses kühne<br />

Gedankenspiel verzeihen – so weit kommen<br />

müssen, wenn nicht so viele Gymnasien in<br />

Bayern in den letzten Jahren das „erfolgreiche<br />

FELIX – Konzept“ als Nonplusultra für Latein<br />

als zweite Fremdsprache erachtet hätten? Das<br />

Zitat von den Geistern, die ich rief, kommt mir<br />

unweigerlich in den Sinn.<br />

Was bleibt, ist die Besinnung auf das π�ντα<br />

�ε� (Lehrpläne und -bücher kommen und gehen),<br />

der Wille, Schülern in den kommenden Jahren<br />

Latein t r o t z FELIX beizubringen und das<br />

Warten auf eine Neubewertung des „Systematischen“<br />

<strong>im</strong> Lateinunterricht – wenn möglich, noch<br />

während meiner eigenen Dienstzeit...<br />

JÖRG WEINER, Bamberg


Varia<br />

Beflügelt vom Hexameter<br />

Ein neuer Ton in der deutschen<br />

Theaterlandschaft<br />

„Moira!“ nennt das Dramatische Theater von<br />

MATTHIAS MERKLE und seiner Dramaturgin ANTJE<br />

BORCHARDT seine jüngste Inszenierung an suggestivem<br />

Ort: <strong>Der</strong> Friedrichwerderschen Kirche<br />

SCHINKELS <strong>im</strong> Zentrum Berlins. Die Moiren, das<br />

sind die drei griechischen Schicksalsgöttinnen,<br />

die uns Menschen unseren Anteil am Leben<br />

zuteilen, in der römischen Mythologie sind es<br />

die Parzen, in der germanischen die Nornen.<br />

Wir mögen uns heute sehr säkularisiert vorkommen<br />

– aber dass es so etwas wie das Fatum, ein<br />

unerkennbares und doch über uns waltendes<br />

Schicksal gebe, das anzuerkennen ohne sich<br />

deswegen damit stumm ergeben abzufinden, das<br />

dürfte ein sehr tief sitzendes Gefühl bei vielen<br />

sein. Glücklich die Kultur, die dafür Namen und<br />

Begriff gefunden hat. <strong>Der</strong> amerikanische Dichter<br />

THORNTON WILDER, der sich in der <strong>Antike</strong> gut auskannte,<br />

hat einen kleinen dramatischen Sketch<br />

hinterlassen, in dem die drei Schicksalsfrauen<br />

Klotho, Lachesis und Atropos auftreten und sich<br />

mit Apoll geistreich streiten – damit, hoch von<br />

der Kirchenempore sprechend, wird der Textabend<br />

auf scheinbar leichtfüßige Art eingeleitet.<br />

Gleich darauf aber wird es ernst, muss man alle<br />

Konzentationskraft aufbringen, um dem Vortrag<br />

zu folgen – und es wird spannend, wenn man sich<br />

hineinziehen lässt in die geistige Welt HOMERS,<br />

in die Unterwelt der toten Helden des Trojanischen<br />

Krieges, in die Visionen PLATOS, vermittelt<br />

durch Textstücke aus der „Götterlehre“ des<br />

blitzgescheiten GOETHE-Freundes KARL PHILIPP<br />

MORITZ (auch das eine kleine Entdeckung dieser<br />

Theatermacher) oder auch des Parzenliedes von<br />

HÖLDERLIN.<br />

Vor allem aber ist es die Sprache, die hier<br />

fesselt, die Sprache der ganz zu unrecht bildungsbürgerlich<br />

diskreditierten VOß’schen<br />

Übersetzung der Odyssee. Im Juni hatte das<br />

Dramatische Theater mit seiner Nachdichtung<br />

der Ilias <strong>im</strong> sechsfüßigen Hexameter, der sich so<br />

leicht mechanisch ableiern lässt, dass darunter<br />

die Sprach- und Bildkraft dieses Kunstwerkes<br />

jahrzehntelang unerkannt begraben lag, damals<br />

auf der Museumsinsel einen kleinen, viel zu<br />

wenig beachteten Triumph gefeiert. Dann zog die<br />

Truppe – man höre und staune – nach Troja und<br />

verfilmte den in verteilte Rollen aufgebrochenen<br />

Text am historischen Ort für das kommende<br />

Olympiade-Jahr. Einige der Schauspielerinnen<br />

von damals sind auch nun bei „Moira!“ wieder<br />

dabei – und wenn man bereit ist, sich anstecken<br />

zu lassen von ihrer ganz und gar ungewöhnlichen,<br />

speziell dafür entwickelten Sprechkunst und<br />

Rhythmik (wo findet man das noch auf unseren<br />

Bühnen?), dann sollte man sich diese einmalige<br />

Gelegenheit nicht entgehen lassen. Man könnte<br />

sogar versucht sein, anschließend den Voß’schen<br />

Text selber zu lesen (so wie ihn GOETHE bewundernd<br />

wiederholt <strong>im</strong> Freundeskreis laut vorgelesen<br />

hat) – etwa Poseidons Liebesglück mit einer<br />

Irdischen: „Und beschlief sie <strong>im</strong> Sand, an der<br />

Mündung des wirbelnden Stromes. / Rings um<br />

die Liebenden stand, wie ein Berg, die purpurne<br />

Woge, / Hochgewölbt, und verbarg den Gott und<br />

die sterbliche Jungfrau. / Schmeichelnd löst’<br />

er den Gürtel der Keuschheit, und ließ sie entschlummern.<br />

/ Aber nachdem vollendet der Gott<br />

die Liebesumarmung ...“ Einen nicht geringen<br />

Anteil an der Lebendigkeit einer <strong>im</strong>mer wieder<br />

neu gruppierenden Choreographie haben die farblich<br />

und stilistisch aufs Schönste abgest<strong>im</strong>mten<br />

Kostüme von ISA MEHNERT.<br />

Allerdings sei nicht verschwiegen, dass bei<br />

aller Suggestivität des geradezu idealen Ambientes<br />

des mit klassizistischen Skulpturen bevölkerten<br />

Kirchenraumes die Akkustik mehr von<br />

der Sprache – und damit vom Wortverständnis<br />

– verschlingt, als der Sache zuträglich ist; das<br />

geht nicht auf Kosten der Theaterleute (und war<br />

wohl in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar),<br />

beschädigt aber doch dieses wichtige Unternehmen<br />

beträchtlich. – Warum wichtig? Weil hier<br />

nicht nur ein eigenwilliger Typus von Theater<br />

„gegen den Zeitgeist“ vorgestellt, sondern auch<br />

ein Diskurs öffentlich gemacht wird, der eine <strong>im</strong><br />

weitesten und ernsthaftesten Sinne „politische“<br />

D<strong>im</strong>ension hat: <strong>Der</strong> Rekurs auf die vorchristliche<br />

Mythologie enthält ja auch eine Kritik am dicho-<br />

65


tomen Weltbild der monotheistischen Moderne,<br />

der „mosaischen Unterscheidung“ (ASSMANN)<br />

und macht, wie die Theatermacher in ihrem<br />

Programmblatt schreiben, „Gegenvorschläge zu<br />

bestehenden Weltbildern, kein schlichtes Gut und<br />

Böse“, also keine schrecklichen Vereinfachungen,<br />

sondern die Anerkennung des Unaufgelösten und<br />

vielleicht auch Unauflösbaren – eben Moira.<br />

EKKEHART KRIPPENDORFF, Berlin<br />

Vom Nutzen des Lateinischen<br />

Vorbemerkung: (Aus dem Brief des Verfassers<br />

an den Bundesvorsitzenden des DAV, Herrn Dr.<br />

HELMUT MEIßNER) „... Ihr heutiger Anruf hat<br />

mich sehr gefreut. Für Ihr Interesse an meinem<br />

Beitrag zur Sendung des Deutschlandfunks<br />

‚Forum Pisa‘ am 9. Januar 2004 bedanke ich<br />

mich. Gern stelle ich Ihnen diesen Beitrag zur<br />

Nutzung in Ihrem beruflichen Umfeld zur Verfügung.<br />

Ich habe ihn um einen 5. Punkt ergänzt,<br />

den ich während der Sendung aus Zeitgründen<br />

nicht mehr ausformulieren konnte, aber der Fairness<br />

wegen gern mitgeteilt hätte. Dankbar denke<br />

ich an meine Lateinlehrer HELMUT GÖRNE (5.-6.<br />

Klasse; lebt in Leipzig), Herrn RUDOLPH (9.-10.<br />

Klasse; wurde 1973 aus politischen Gründen<br />

von der Schule entfernt; Spur verloren) und Dr.<br />

GERHARD LÖWE (Latein und Altgriechisch 11.-12.<br />

Klasse, Mitarbeiter an Schulbüchern und Wörterbüchern,<br />

Herausgeber von: ‚Philogelos oder <strong>Der</strong><br />

Lach-Fan‘ von Hierikles und Philagrios, Koehler<br />

& Amelang Leipzig 1881; lebt in Leipzig). ...“<br />

Ich habe zwischen 1967 und 1975 an einer der<br />

wenigen Erweiteren Oberschulen mit altsprachlichem<br />

Profil in der DDR – an der Thomasschule<br />

in Leipzig – neben Russisch und Englisch auch<br />

Latein und Altgriechisch gelernt; Latein in der<br />

5.-6. Klasse und in der 9.-12. Klasse.<br />

Mein Fazit:<br />

1. Latein vermittelte über die Sprachkenntnisse<br />

hinaus den Kontakt zu einem Weltbild, einer<br />

Hochkultur. Was der auf die Entwicklung von<br />

Klassengesellschaften verengte Geschichtsunterricht<br />

in der DDR verschwieg, offenbarte der<br />

Lateinunterricht. Freilich in der Vermittlung<br />

durch einen politisch couragierten Lehrer.<br />

66<br />

Beispiel: Die DDR rühmte sich der Preisstabilität<br />

bei steigender Subvention der Preise<br />

und zunehmendem Mangel an Waren. Unser<br />

Lateinlehrer erwähnte das Höchstpreisedikt des<br />

DIOKLETIAN und nannte die Folge: <strong>Der</strong> Schwarzmarkt<br />

blühte. Damit war alles gesagt.<br />

2. Die Beschäftigung mit dem Kulturkreis des<br />

Lateinischen lehrt Demut. Es relativiert den<br />

Fortschrittsglauben und die Überheblichkeit, erst<br />

in unserer Zeit seien kulturelle und technische<br />

Höchstleistungen erreicht worden. Die Aquädukte<br />

und Brücken, die zum Teil noch heute<br />

genutzt werden, sind ein lebendiges Beispiel<br />

für solides und auf Dauer berechnetes Bauen,<br />

welches heute kaum noch vorzufinden ist.<br />

3. Die Beschäftigung mit Politik und Rhetorik<br />

der Römerzeit hilft den Wert von Äußerungen<br />

heutiger Eliten aus Politik und Wirtschaft<br />

einzuschätzen. Insbesondere lässt sich leichter<br />

erkennen, wo es um wirkliche Probleme und<br />

um historische D<strong>im</strong>ensionen oder um Seifenblasen<br />

und Scheindiskussionen geht.<br />

4. Latein liefert ein Sprachgerüst. Das Erlernen<br />

jeder romanischen Sprache bedeutet dann<br />

nur noch, Fleisch ans Skelett zu bringen. Ich<br />

habe es später mit Französisch und Spanisch<br />

probiert. Es war kein Neulernen, sondern ein<br />

Einordnen der Entsprechungen zum Lateinischen<br />

nach einem Analogieverfahren. Selbst<br />

be<strong>im</strong> Übersetzen von fachenglischen Texten<br />

auf dem Gebiet der EDV konnte ich auf Latein<br />

zurückgreifen, wo das auf politische Konversation<br />

ausgerichtete Englisch der DDR nicht<br />

weiterhalf und eine Rückfrage jenseits des<br />

Eisernen Vorhangs nicht möglich war.<br />

5. Einschränkend muss ich sagen, dass ich in den<br />

ersten Schuljahren bereits sehr für den muttersprachlichen<br />

Unterricht aufgeschlossen war<br />

und dieses Interesse an abstrakten Strukturen<br />

durch den Fremdsprachenunterricht nicht erst<br />

geweckt werden musste. Bei etlichen meiner<br />

Mitschüler zeigte sich <strong>im</strong> Latein-Unterricht,<br />

dass sie Schwierigkeiten hatten, weil ihnen<br />

die deutschen Entsprechungen nicht geläufig<br />

waren. Und dieses Nichtwissen lässt sich <strong>im</strong><br />

Lateinischen nicht durch elegante Konversation<br />

überspielen.<br />

GERALD VOGEL, Geithain


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��� ��� ��� ����� �������� ��� ����������� �µ��� Helmut Quack, Eritstr. 23,<br />

D-25813 Husum, ���. ��� ��� 04841/5429. e-mail: helquack@freenet.de<br />

Hellenikon Idyllion, Andreas Drekis, GR-25100 Selianitika/Egion<br />

Tel. 0030/26910/72488 Fax: 0030/26910/72791 � /68040<br />

e-mail: hellenikon@idyllion.gr internet: http://www.idyllion.gr<br />

Klassisches Griechisch sprechen und geistvolle<br />

Texte lesen – 22. August bis 5. September 2004<br />

<strong>im</strong> Hellenikon Idyllion<br />

Sich in Griechenland erholen und gleichzeitig<br />

seine bisherigen Sprachkenntnisse erweitern und<br />

vertiefen, – wen unter den Freunden von Hellas<br />

sollte das nicht verlocken? Es gibt dafür in der<br />

ganzen Welt nur diese eine Möglichkeit.<br />

In einem großen, schattigen Garten dicht<br />

am Meer treffen sich Schüler, Studenten und<br />

Erwachsene aus vielen Ländern, entdecken zu<br />

ihrer eigenen Überraschung, dass sie sich in<br />

der Sprache Platons miteinander verständigen<br />

können, und lesen gemeinsam unterhaltsame<br />

und gedankenschwere Texte.<br />

Die Ferienanlage beherbergt gleichzeitig meistens<br />

auch Musiker und andere kulturinteressierte<br />

Gäste. Deshalb beleben Konzerte und Vorträge<br />

manche Abende. Möglich sind ein Ausflug und<br />

der Besuch einer Aufführung in einem antiken<br />

Theater.<br />

Das Hellenikon Idyllion liegt an der Nordküste<br />

der Peloponnes in der Nähe von Ägion in einem<br />

Ort, der wegen seines Charakters vor allem griechische<br />

Gäste anzieht. <strong>Der</strong> Besitzer unterstützt<br />

den Altgriechischkurs, indem er Mehrbetträume,<br />

67


so weit sie frei sind, für die Kursteilnehmer<br />

kostenlos zur Verfügung stellt. Auf besonderen<br />

Wunsch besorgt er auch Unterkunft <strong>im</strong> Einzel-<br />

und Doppelz<strong>im</strong>mer.<br />

Kursgebühr für 2 Wochen: 200,- EUR, für<br />

Studenten/Schüler 150,- EUR. Anfragen zu weiteren<br />

Einzelheiten und verbindliche Anmeldung<br />

be<strong>im</strong> Leiter des Kurses: Helmut Quack, Gräzist,<br />

Eritstr. 23, D-25813 Husum, Tel. und Fax 04841/<br />

5429, e-mail: helquack@freenet.de<br />

Hellenikon Idyllion, Andreas Drekis, GR-<br />

25100 Selianitika/Egion, Tel. 0030/26910/<br />

72488 – Fax: 0030/26910/72791 – oder /68040;<br />

e-mail: hellenikon@idyllion.gr internet: http:<br />

//www.idyllion.gr<br />

Die Alten Sprachen <strong>im</strong> neuen<br />

Eltern-Ratgeber von KNAUR<br />

„Die richtige Schule für mein Kind“ – unter<br />

diesem Titel hat der KNAUR-Verlag einen neuen<br />

Eltern-Ratgeber herausgebracht. 1 Im Kapitel<br />

„Alte Sprachen neu entdeckt?“ heißt es u. a.:<br />

„Alte Sprachen waren lange aus der Mode, besonders<br />

Griechisch. Nur 0,13 Prozent der Schüler befassen<br />

sich heute noch mit der Sprache Homers. Auch<br />

Latein schien auf dem besten Wege, zum Fach für<br />

einen kleinen elitären Kreis zu werden. Doch das<br />

mag sich ändern. Die Talsohle, so der Deutsche Altphilologenverband,<br />

sei durchlaufen und eine Trendwende,<br />

wenn auch in winzigen Schritten, in Sicht.<br />

Das Statistische Bundesamt vermeldet nach Jahren<br />

des Rückgangs einen Anstieg der Lateinschüler um<br />

1,4 Prozent auf exakt 627.122 (Stand Schuljahr<br />

2001/2002). <strong>Der</strong> Altphilologenverband registriert<br />

gar eine neue ‚Wertschätzung von Latein‘ und<br />

wirbt unter dem Motto ‚Zukunft braucht Herkunft‘.<br />

Fast 2000 Jahre lang war Latein die Hauptsprache<br />

Westeuropas. Aus der lateinischen Volkssprache,<br />

dem „Vulgärlatein“, entwickelten sich die romanischen<br />

Sprachen, darunter Französisch, Italienisch<br />

und Spanisch. ...<br />

Latein gilt als ideale Basis für das Erlernen<br />

anderer Fremdsprachen. Es sind aber auch St<strong>im</strong>men<br />

zu hören, die Kenntnisse in einer modernen<br />

Fremdsprache für eine mindestens genauso gute<br />

Voraussetzung dafür halten.<br />

68<br />

Doch allen Unkenrufen zum Trotz: Die Sprache<br />

der großen Autoren wie VERGIL oder HORAZ, hat<br />

noch <strong>im</strong>mer überzeugte Anhänger. Seit die PISA-<br />

Studie deutschen Schülern Nachholbedarf in der<br />

Lesekompetenz bescheinigt hat, erscheint das<br />

Lernen von Latein in neuem Licht. <strong>Der</strong> Lateinunterricht<br />

ist eng verknüpft mit einer bewussten<br />

Durchdringung sprachlicher Strukturen. Anders<br />

ausgedrückt: Wer einen Satz ins Deutsche übersetzen<br />

will, muss ihn zuvor gründlich analysieren<br />

– eine Übung, die dem allgemeinen Sprachverständnis<br />

zugute kommt.<br />

Schüler, die frühzeitig die Weichen für eine<br />

akademische Ausbildung stellen und konkrete<br />

Vorstellungen bezüglich eines Studiums haben,<br />

können sich später einen ‚Crash-Kurs‘ an der<br />

Universität sparen, wenn sie sich beizeiten über die<br />

Modalitäten des angepeilten Studienganges informieren.<br />

Für nicht wenige Fachbereiche nämlich<br />

ist das Latinum <strong>im</strong>mer noch Voraussetzung, etwa<br />

für <strong>Rom</strong>anistik, Anglistik, Geschichte, Theologie<br />

und Kunstgeschichte. Andererseits gilt es in den<br />

Reihen der EU-Kommission schon länger als ausgemacht,<br />

dass der ideale Europäer in Zukunft zwei<br />

moderne Fremdsprachen beherrschen sollte.<br />

Vielleicht kommen alte Sprachen trotzdem wieder<br />

in Mode. Sachsen rühmt sich, einige renommierte<br />

altsprachliche Gymnasien <strong>im</strong> Lande zu haben, wie<br />

die Thomasschule in Leipzig mit einer mehrere hundert<br />

Jahre alten Tradition. Das Kultusministerium in<br />

Hessen bestätigt derzeit ‚verstärkte Nachfrage‘ nach<br />

humanistischer Bildung. ...<br />

Selbst in Bereichen, die auf den ersten Blick<br />

weit entfernt scheinen von der alten Welt, hat<br />

humanistische Bildung offenbar einen guten<br />

Klang. Welcher Kaufmann braucht heute noch<br />

Latein? Das Ergebnis einer von Altphilologen<br />

gern zitierten Untersuchung des Instituts der<br />

deutschen Wirtschaft ist überraschend: Mehr als<br />

60 Prozent der Führungskräfte, die Latein gelernt<br />

hatten, würden es demnach auch kommenden<br />

Generationen empfehlen. Von denen, die es selbst<br />

nicht können, bedauern es nahezu 40 Prozent.“<br />

1) Beate Herfurth-Uber: Die richtige Schule für mein<br />

Kind. So gelingt der Start ins Leben. München (Droemer<br />

Knaur) 2003. 144 S. EUR 12,90. (ISBN 3-426-<br />

66837-8).


Argumente für den PISA-Disput<br />

<strong>im</strong> Buchhandel erhältlich<br />

Wer <strong>im</strong> verwirrenden PISA-Disput klärende Informationen und<br />

stichhaltige Argumente sucht, wird dieses Buch mit Gewinn<br />

lesen. Es sind recht unterschiedliche Fächer und Berufe, von<br />

denen die Autoren geprägt sind. Ihr Anliegen aber ist <strong>im</strong><br />

wesentlichen das gleiche: eine am Humanum orientierte Neubegründung<br />

unserer Bildungsarbeit. (Helmut Meißner)<br />

Beiträge von<br />

Manfred Fuhrmann<br />

Jörg Gauger<br />

Hermann Giesecke<br />

Jürgen Kaube<br />

Josef Kraus<br />

Günter Loew<br />

Christa Meves<br />

R. Schmidt-Rost u.a.<br />

Vorwort von<br />

Gertrud Höhler<br />

Aus den Beiträgen:<br />

Deshalb ist die Aufwertung der Erziehungsarbeit<br />

und die Unterstützung<br />

der Familie eine zwingende Notwendigkeit.<br />

Ohne sie wird es keine Zukunft<br />

geben. Christa Meves<br />

Die sogenannte kindzentrierte Schule<br />

raubt den Schülern die Zukunft, weil sie<br />

die Kinder in der kindlichen Gegenwart<br />

einkerkert. Josef Kraus<br />

Die alten Griechen bezeichneten diese<br />

Haltung des ängstlichen Fixiertseins auf<br />

das materielle Dasein als banausisch.<br />

Manfred Fuhrmann<br />

Mit der Spaßgesellschaft in den<br />

Bildungsnotstand<br />

17 streitbare Beiträge für einen Aufbruch aus der<br />

Bildungsmisere<br />

Hrsg. v. Claudia Ludwig und Astrid Mannes.<br />

Kartoniert, 336 Seiten. 3-931155-20-X. EUR(D) 14,90<br />

Leibniz Verlag St. Goar, 1. Aufl.2003<br />

69


Autoren dieses Heftes (siehe Impressum, ferner):<br />

Dieter A b s c h , DiAb@gmx.de<br />

Klaus E y s e l e i n , Kurpfalzstr. 6, 67112 Mutterstadt<br />

Kurt G i e s e k i n g , Sarstedt, Gieseking.Sarstedt@t-online.de<br />

Prof. Dr. Dieter H a r l f i n g e r , Institut f. Griechische und Lateinische Philologie, Univ. Hamburg,<br />

Von-Melle-Park 6, 20146 Hamburg<br />

Gabriele K a i s e r , Kirchstr. 8, 56581 Ehlscheid, kaiser.ehlscheid@freenet.de<br />

Prof. Dr. Ekkehart K r i p p e n d o r f f , Schulenburgring 5, 12101 Berlin<br />

Dr. Michael L o b e , StR am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg, priv.: Franz-Ludwig-Str. 22,<br />

96047 Bamberg<br />

Prof. Dr. Friedrich M a i e r , Mitterlängstr. 13, 82178 Puchhe<strong>im</strong><br />

Dr. Heinz M u n d i n g , Beethovenstraße 18, 67365 Schwegenhe<strong>im</strong> († 15. 1. 2004)<br />

Dr. Jens N i t s c h k e , Montepulcianoweg 13, 14547 Beelitz<br />

Günter R e i n h a r t , Ministerialrat, Kultusministerium Baden-Württemberg, Neues Schloss,<br />

70173 Stuttgart, E-Mail: guenter.reinhart@km.kv.bwl.de<br />

Dr. <strong>Burkhard</strong> R e i s , StR, Schlicksweg 24, 22307 Hamburg, surculus@aol.com<br />

Prof. Dr. Wilfried S t r o h , Institut für Klassische Philologie, Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität,<br />

Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München<br />

Gerald Vo g e l , Kantorgasse 1, 04643 Geithain<br />

Jörg We i n e r , Stangstr. 5, 96047 Bamberg<br />

Friedemann We i t z , Hochvogelstraße 7, 88299 Leutkirch <strong>im</strong> Allgäu<br />

Herbert Z i m m e r m a n n , StD, Artilleriestraße 7 A, 52429 Jülich<br />

FORUM CLASSICUM auf CD-ROM<br />

Eine Archiv-CD zu FORUM CLASSICUM und MDAV (ab 1994) kann weiterhin gegen eine Aufwandsentschädigung<br />

von EUR 10,- (incl. Porto) zugesandt werden. Sie enthält – vierteljährlich aktualisiert<br />

– sämtliche Dateien der gedruckten Ausgaben seit 1994 <strong>im</strong> Adobe®-PDF-Format zur Volltext-<br />

Recherche (vgl. dazu den Artikel in FC 4/99, 212f.). Die jeweils aktuellsten Dateien sind abzurufen unter<br />

www.ruediger-hobohm.de. Beachten Sie auch die Hinweise auf den Homepages des Verbandes: http:<br />

//www.altphilologenverband.de und dieser Zeitschrift: http://www.forum-classicum.de. Bestellungen richten<br />

Sie bitte (wenn möglich, unter Beilage eines Verrechnungsschecks oder des Betrages in Briefmarken)<br />

an: StR Rüdiger Hobohm, Mühlweg 9, 91807 Solnhofen, E-mail: ruediger.hobohm@altmuehlnet.de<br />

Wichtiger Hinweis:<br />

Mit allen Fragen, die die Mitgliedschaft <strong>im</strong> DAV oder das Abonnement dieser Zeitschrift betreffen,<br />

wende man sich bitte nicht an den Bundesvorsitzenden. Für Fragen der Mitgliedschaft sind die Vorsitzenden<br />

der 15 Landesverbände zuständig, deren Anschriften auf der folgenden Seite abgedruckt<br />

sind. Für Institute und Abonnenten ohne Mitgliedschaft <strong>im</strong> DAV ist der Buchners Verlag zuständig<br />

(siehe Impressum).<br />

70


1. Baden-Württemberg<br />

Prof. Dr. Bernhard Z<strong>im</strong>mermann<br />

Am Pfarrgarten 10<br />

79219 Staufen<br />

Tel.: (0 76 33) 80 11 39<br />

Bernhard.Z<strong>im</strong>mermann@altphil.uni-freiburg.de<br />

2. Bayern<br />

StR Harald Kloiber<br />

Pfalzgrafenstr. 1e<br />

93128 Regenstauf (Oberpfalz)<br />

Tel.: (0 94 02) 76 52<br />

harald.kloiber@t-online.de<br />

3. Berlin und Brandenburg<br />

StD Dr. Josef Rabl<br />

Kühler Weg 6a<br />

14055 Berlin<br />

Tel.: (0 30) 3 01 98 97<br />

Josef.Rabl@t-online.de<br />

4. Bremen<br />

Renate Albler<br />

Leerer Str. 43<br />

28219 Bremen<br />

Tel.: (04 21) 39 27 57<br />

alblerren@t-online.de<br />

5. Hamburg<br />

OStR Dr. Uwe Petersen<br />

Humannstr. 13<br />

22609 Hamburg<br />

Tel.: (0 40) 82 17 92<br />

uwe.petersen@hamburg.de<br />

6. Hessen<br />

Prof. Dr. Jürgen Leonhardt<br />

Wolfshäuser Str. 8<br />

35096 We<strong>im</strong>ar<br />

Tel.: (0 64 26) 96 60 40<br />

juergen.leonhardt@t-online.de<br />

7. Mecklenburg-Vorpommern<br />

Dipl.-Phil. Leif Berling<br />

Blumenstr. 25<br />

18258 Rukieten<br />

Tel.: (03 84 53) 2 00 11<br />

Leif.Berling@t-online.de<br />

8. Niedersachsen<br />

OStD Dr. Walter Jarecki<br />

Rosenweg 20<br />

27283 Verden/Aller<br />

Tel.: (0 42 31) 8 41 25<br />

rosenweg20@ewetel.net<br />

DEUTSCHER ALTPHILOLOGENVERBAND<br />

Adressen der Landesvorsitzenden<br />

9. Nordrhein-Westfalen<br />

StD Reinhard Spänle<br />

Franz-Lütgenau-Str. 21<br />

44287 Dortmund<br />

Tel. (02 31) 44 14 64<br />

rspaenle@t-online.de<br />

10. Rheinland-Pfalz<br />

StD Hartmut Loos<br />

Am Roßsprung 83<br />

67346 Speyer<br />

Tel.: (0 62 32) 8 31 77<br />

loos-speyer@t-online.de<br />

11. Saarland<br />

OStR Walter Siewert<br />

Sulzbachtalstr. 194<br />

66280 Sulzbach<br />

Tel.: (0 68 97) 6 45 51<br />

WSiewert@t-online.de<br />

12. Sachsen<br />

Dr. Bettina Meitzner<br />

Auensteig 26<br />

09648 Mittweida<br />

Tel.: (0 37 27) 9 02 02<br />

bettina.meitzner@t-online.de<br />

13. Sachsen-Anhalt<br />

Dipl.-Phil. Kristine Schulz<br />

Schulstr. 4<br />

06198 Salzmünde<br />

Tel.: (03 46 09) 2 03 60<br />

schulz@altertum.uni-halle.de<br />

14. Schleswig-Holstein<br />

OStD Rainer Schöneich<br />

Kieler Gelehrtenschule<br />

Feldstr. 19<br />

24105 Kiel<br />

Tel. priv.: (04 31) 31 16 72<br />

r.i.schoeneich@t-online.de<br />

15. Thüringen<br />

Dipl.-Phil. Reinhard Bode<br />

Vippacher Gasse 6<br />

99880 Mechterstädt<br />

Tel.: (0 36 22) 90 48 50<br />

Reinhard.Bode@t-online.de<br />

(Stand: April 2004)<br />

71


72<br />

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