Antike verbindet 2 Burkhard Reis Der Usa-Rom-Vergleich im ...
Antike verbindet 2 Burkhard Reis Der Usa-Rom-Vergleich im ...
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1/2004<br />
<strong>Antike</strong> <strong>verbindet</strong> 2<br />
<strong>Burkhard</strong> <strong>Reis</strong> <strong>Der</strong> USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> <strong>im</strong> lateinischen Lektüreunterricht 3<br />
Wilfried Stroh Zum 400. Geburtstag von Jacobus Balde (1604-1668) 10<br />
Dieter Harlfinger Warten auf Menander <strong>im</strong> Vatikan 13<br />
Friedrich Maier Schöpfung –<br />
<strong>Der</strong> kreative Mensch zwischen Glaube und Wissenschaft 15<br />
Herbert Z<strong>im</strong>mermann Die stoische Einheit der Ethik und Kosmologie in einem<br />
didaktischen <strong>Vergleich</strong> mit Platon und Epikur 20<br />
Heinz Munding Gräzistisches aus heutiger Sicht (2) 25<br />
Günter Reinhart Das „Biberacher Modell“ in Baden-Württemberg 27<br />
Gabriele Kaiser <strong>Der</strong> Mehrsprachenwettbewerb 29<br />
Josef Rabl Zum 5. Bundeswettbewerb Fremdsprachen 2003 32<br />
Personalia 35<br />
Zeitschriftenschau 38<br />
Besprechungen 43<br />
Leserforum 56<br />
Varia 65<br />
Adressen der Landesvorsitzenden 71
Impressum ISSN 1432-7511 47. Jahrgang<br />
Die Zeitschrift FORUM CLASSICUM setzt das von 1958 bis 1996 in 39 Jahrgängen erschienene „Mitteilungsblatt des<br />
Deutschen Altphilologenverbandes“ fort. – Erscheinungsweise vierteljährlich. Die <strong>im</strong> FORUM CLASSICUM veröffentlichten<br />
Beiträge sind <strong>im</strong> Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.forum-classicum.de<br />
Herausgeber: <strong>Der</strong> Vorsitzende des Deutschen Altphilologenverbandes: http://www.altphilologenverband.de<br />
StD Dr. Helmut Meißner, Hubstraße 16, 69190 Walldorf<br />
Schriftleitung: Univ.-Prof. Andreas Fritsch, Freie Universität Berlin,<br />
Didaktik der Alten Sprachen, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin; E-Mail: classics@zedat.fu-berlin.de<br />
Die Redaktion gliedert sich in folgende Arbeitsbereiche:<br />
1. Schriftleitung, Berichte und Mitteilungen, Allgemeines (s. o.);<br />
2. Didaktik, Schulpolitik:<br />
StR Michael Hotz (Anschrift s. u.)<br />
3. Fachliteratur, Schulbücher, Medien:<br />
OStR Dr. Dietmar Schmitz, Am Veenteich 26, 46147 Oberhausen<br />
Wiss. Ass. Dr. Stefan Kipf, Schillerstr. 12, 14532 Kleinmachnow<br />
4. Zeitschriftenschau:<br />
Univ.-Prof. Dr. Eckart Mensching, Technische Universität Berlin,<br />
Klassische Philologie, Ernst-Reuter-Platz 7, 10587 Berlin;<br />
StD Dr. Josef Rabl, Kühler Weg 6a, 14055 Berlin;<br />
StR Martin Schmalisch, Deideshe<strong>im</strong>er Str. 25, 14197 Berlin<br />
Die mit Namen gekennzeichneten Artikel geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die des DAV-Vorstandes<br />
wieder. – Bei unverlangt zugesandten Rezensionsexemplaren ist der Herausgeber nicht verpflichtet, Besprechungen zu<br />
veröffentlichen, Rücksendungen finden nicht statt. – Bezugsgebühr: Von den Mitgliedern des Deutschen Altphilologenverbandes<br />
wird eine Bezugsgebühr nicht erhoben, da diese durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten ist (Wichtiger Hinweis<br />
zur Mitgliedschaft, Adressenänderung usw. am Schluss des Heftes). Für sonstige Bezieher beträgt das Jahresabonnement<br />
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Abonnements verlängern sich jeweils um ein Jahr, wenn sie nicht spätestens zum 31.12. gekündigt werden.<br />
C. C. Buchners Verlag, Postfach 1269, 96003 Bamberg.<br />
Layout und Satz: StR Rüdiger Hobohm, Mühlweg 9, 91807 Solnhofen, E-Mail: ruediger.hobohm@altmuehlnet.de<br />
Anzeigenverwaltung: StR Michael Hotz, Riederinger Str. 36, 85614 Kirchseeon, Tel. (0 80 91) 29 18.<br />
Herstellung: BÖGL DRUCK GmbH, Am Schulfang 8, 84172 Buch a. Erlbach.<br />
2<br />
<strong>Antike</strong> <strong>verbindet</strong><br />
So lautete das Motto des diesjährigen DAV-Kongresses<br />
in Köln. Das vorliegende Heft war während<br />
des Kongresses <strong>im</strong> Herstellungsprozess und kann<br />
daher noch keine Einzelheiten berichten oder ein<br />
Resümé ziehen. <strong>Der</strong> Untertitel des Kongressmottos<br />
hieß: „<strong>Der</strong> europäische Bildungsauftrag der alten<br />
Sprachen“. Man sehe solch „große Worte“ nicht<br />
einfach als Phrasen an, sondern eher als den Versuch<br />
einer knappen Zusammenfassung der Impulse, die<br />
letztlich von allen Vorträgen und Arbeitskreisen des<br />
Kongresses ausgehen und bis in den schulischen<br />
Alltag hineinwirken sollen. Die Beschäftigung mit<br />
der Kultur und Literatur der <strong>Antike</strong> und ihrer Rezeption<br />
<strong>verbindet</strong> uns über die Jahrhunderte hinweg mit<br />
vielen Generationen, <strong>verbindet</strong> uns aber auch mit<br />
den Vertretern anderer Fächer und Kulturinstitutionen<br />
in Schule und Gesellschaft, <strong>verbindet</strong> uns<br />
über die Grenzen der deutschen Bundesländer und<br />
nicht zuletzt auch mit Lehrern und Wissenschaftlern<br />
anderer Nationen, die ebenfalls das gemeinsame<br />
griechisch-lateinische Erbe Europas <strong>im</strong> Bildungsprozess<br />
der Heranwachsenden wirksam machen<br />
wollen. Das Bewusstsein, einem solchen höheren<br />
Ziel zu dienen, kann den „Einzelkämpfer“ durchaus<br />
ermutigen und über den gelegentlichen Frust durch<br />
schulpolitische Auseinandersetzungen oder organisatorischen<br />
Kleinkram hinweghelfen.<br />
ANDREAS FRITSCH
Aktuelle Themen<br />
Ne quod toto orbe terrarum iniustum <strong>im</strong>perium sit<br />
<strong>Der</strong> USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> <strong>im</strong> lateinischen Lektüreunterricht<br />
I. Was spricht gegen den <strong>Vergleich</strong> <strong>im</strong> Unterricht?<br />
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und<br />
verstärkt seit den US-amerikanischen Reaktionen<br />
auf die Terroranschläge vom 11. September 2001<br />
gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks eine neue<br />
Debatte über die vermeintlich <strong>im</strong>periale Rolle der<br />
letzten verbliebenen Supermacht. 1 Dabei werden<br />
über das Schlagwort der Pax Americana 2 hinaus<br />
die modernen USA oftmals mit dem römischen<br />
Reich der <strong>Antike</strong> verglichen. Dass die gegenwärtige<br />
und zukünftige weltpolitische Rolle der USA<br />
möglichst breit, also auch an den Schulen, diskutiert<br />
werden sollte, steht für aufmerksame Zeitgenossen<br />
außer Frage. Ob dabei der <strong>Vergleich</strong> mit<br />
dem Imperium <strong>Rom</strong>anum von Nutzen ist, dürfte<br />
dagegen umstritten sein. 3<br />
Bevor <strong>im</strong> Folgenden für eine Einbeziehung<br />
des USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong>s in den<br />
Lateinunterricht der gymnasialen Oberstufe<br />
plädiert werden kann, ist daher zunächst auf<br />
die Problematik dieses <strong>Vergleich</strong>s einzugehen.<br />
Betrachten wir dazu einmal philologisch genau<br />
die entscheidende Frage in jener plakativ zugespitzten<br />
Formulierung, wie sie einem bisweilen<br />
in den Medien begegnet: „Sind die USA das<br />
neue <strong>Rom</strong>?“ Klar ist, dass hier eine Beziehung<br />
zwischen den USA und <strong>Rom</strong> in Frage steht.<br />
Darüber hinaus zeigt das Attribut „neu“, dass<br />
(1.) die USA in Beziehung zum „alten <strong>Rom</strong>“<br />
gesetzt werden und dass (2.) nicht an eine<br />
numerische Identität zwischen USA und „altem<br />
<strong>Rom</strong>“ gedacht wird. 4 Es wird also nach einer<br />
Beziehung der qualitativen Identität (Gleichheit)<br />
oder der Ähnlichkeit gefragt. 5 Beides aber ist<br />
deshalb problematisch, weil in irgendeiner Hinsicht<br />
alles allem gleicht bzw. ähnelt, bekanntlich<br />
auch Äpfel Birnen. Zuerst müsste der Fragende<br />
folglich darlegen, in welcher Hinsicht es überhaupt<br />
sinnvoll, d.h . erkenntnisfördernd sein<br />
sollte, zwei politische Gebilde miteinander zu<br />
vergleichen, die durch Raum und Zeit weit von-<br />
einander getrennt sind. Was haben der ursprünglich<br />
als Adelsrepublik verfasste antike Stadtstaat<br />
und der aus aufbegehrenden Kolonien hervorgegangene<br />
und nach neuzeitlichen Prinzipien organisierte<br />
Territorialstaat überhaupt gemeinsam,<br />
wenn man einmal von der vorweg bekannten<br />
Tatsache absieht, dass beider Einfluss sich <strong>im</strong><br />
Lauf der Zeit nicht auf das eigentliche Staatsgebiet<br />
beschränken sollte? Ein weiteres Problem<br />
ergibt sich aus der je eigenen, Jahrhunderte umfassenden<br />
Geschichte. Welches <strong>Rom</strong> soll den USA<br />
gleichen bzw. ähneln: das der frühen oder späten<br />
Republik oder das der Kaiserzeit? Und welchen<br />
USA: den USA der Gründerväter oder den USA<br />
des 19. Jahrhunderts etc.? Mit dem Verzicht<br />
auf jede präzise Eingrenzung, was das tertium<br />
comparationis wie auch den historischen Index<br />
des Verglichenen angeht, findet auf der semantischen<br />
Ebene eine zweifelhafte Pauschalisierung<br />
statt. Dass der Fragende dies vermutlich sogar<br />
beabsichtigt, bestätigt ein Blick auf die performative<br />
D<strong>im</strong>ension seiner Äußerung. Wer nämlich<br />
derartig plakativ formuliert, hat die – in diesem<br />
Fall wohl nur positive – Antwort von vornherein<br />
antizipiert, so dass hinter der rhetorisch verstandenen<br />
Frage letztlich die Behauptung stehen dürfte:<br />
„Die USA sind [sc. wie] das neue <strong>Rom</strong>!“ <strong>Der</strong><br />
Verdacht liegt nahe, dass diese Aussage wiederum<br />
ein Werturteil, und zwar ein negatives, <strong>im</strong>pliziert,<br />
gerade weil die Gleichheit bzw. Ähnlichkeit<br />
beider Größen keineswegs auf der Hand liegt.<br />
Wenn es in der Welt heutzutage kein bisschen<br />
gerechter und humaner zugeht als vor 2000 Jahren,<br />
so lässt sich unschwer folgern, tragen dafür<br />
diejenigen mit die Verantwortung, die über die<br />
gleiche bzw. ähnliche Vormacht verfügen wie<br />
seinerzeit die Römer. Sollte die Frage aber bloß<br />
der Artikulation antiamerikanischer Vorurteile<br />
dienen, so verböte sich ihre Einbeziehung in den<br />
Unterricht natürlich insofern, als eine ergebnisoffene<br />
Besprechung <strong>im</strong> Sinne des Gebots politischer<br />
Neutralität erst gar nicht möglich wäre.<br />
3
II. Was spricht für ihn?<br />
Trotz der genannten Probleme sprechen drei<br />
Gründe für eine Einbeziehung des <strong>Vergleich</strong>s in<br />
den Lateinunterricht, von denen der dritte letztlich<br />
den Ausschlag gibt.<br />
1. D e r U S A - R o m - Ve r g l e i c h i s t<br />
p o p u l ä r ; e r i s t d a r ü b e r h i n a u s<br />
a l t , j a e r b e g l e i t e t d i e U S A s e i t<br />
i h r e n A n f ä n g e n . Als die Gründerväter<br />
der Vereinigten Staaten sich daran machten, eine<br />
Verfassung für ihr neuartiges Gemeinwesen zu<br />
entwerfen, modellierten sie dessen Struktur in<br />
expliziter Auseinandersetzung mit den Staaten<br />
der griechisch-römischen <strong>Antike</strong>. 6 Flankierend<br />
dazu entwickelte sich in den USA eine bis zum<br />
heutigen Tage ungebrochene Tradition klassizistischen<br />
Bauens, die den Anspruch, sich mit dem<br />
<strong>Rom</strong> der <strong>Antike</strong> zu messen, unübersehbar zum<br />
Ausdruck bringt. 7 Wenn auch solcherlei Berufung<br />
auf römische Größe, zumindest in der Anfangszeit,<br />
eher der republikanischen als der <strong>im</strong>perialen Seite<br />
des Vorbilds galt 8 , so macht sie doch gewiss die<br />
Wiederaufnahme des alten <strong>Vergleich</strong>s in der jüngeren<br />
Vergangenheit verständlich. Jedenfalls ist die<br />
Zahl der publizistischen Beiträge zum Thema nach<br />
dem Ende des Kalten Kriegs und abermals nach<br />
dem 11. September 2001 ins Unüberschaubare<br />
gewachsen: „Die Zunft der Althistoriker mag in<br />
Ohnmacht fallen ob des kruden <strong>Vergleich</strong>s und die<br />
Affinität zwischen römischer und amerikanischer<br />
Macht an den Haaren herbeigezogen sein (oder<br />
auch nicht!) – darüber zu debattieren aber, ist in<br />
Mode.“ 9 Nun sind Mode und Popularität gewiss<br />
keine unfehlbaren Indizien für die wirkliche Relevanz<br />
eines Themas, und tatsächlich begnügen sich<br />
allein von den Beiträgen in den Printmedien gerade<br />
die kürzeren häufig mit einer fragwürdigen, weil<br />
durchsichtig effekthascherischen Parallelisierung<br />
einzelner historischer Ereignisse, etwa der Eroberung<br />
des antiken Hispaniens mit dem jüngsten<br />
Afghanistan-Feldzug oder der Punischen Kriege<br />
mit den Irak-Kriegen als familiären Unternehmungen<br />
der SCIPIONEN bzw. der BUSHS. 10 Anders sieht<br />
es dagegen aus, wenn in den Feuilletons großer<br />
Zeitungen mehrseitige Essays erscheinen, die<br />
römische mit amerikanischer Geschichte en bloc<br />
vergleichen und sich dabei durchaus um Genauigkeit<br />
und Ausgewogenheit bemühen. 11<br />
4<br />
Mit PETER BENDERS „Weltmacht Amerika – Das<br />
neue <strong>Rom</strong>“ hat das aktuelle <strong>Vergleich</strong>en <strong>im</strong> Sommer<br />
2003 schließlich Buchformat erreicht. 12<br />
Als promovierter Althistoriker mit Jahrzehnten<br />
journalistischer Erfahrung war der Autor wie<br />
kein anderer zum Totalvergleich der beiden<br />
Mächte prädestiniert. Darüber, ob dieser ihm<br />
durchweg gelungen ist, herrscht freilich bei den<br />
Rezensenten Uneinigkeit. 13 Bender beschreibt in<br />
einer Art Parallelbiographie, wie <strong>Rom</strong> und die<br />
USA zunächst in der Abgeschiedenheit einer<br />
natürlichen Insellage Stärke gewannen und dann<br />
infolge aufgezwungener Kriege, getrieben von<br />
einem ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit, –<br />
gleichsam „wider Willen“ – in relativ kurzer Zeit<br />
zu Supermächten expandierten. Obgleich Motor<br />
und Mechanik der römischen Expansion bis heute<br />
umstritten sind und daher kaum zur Erhellung<br />
amerikanischer Parallelen taugen, muss man dem<br />
Buch zugute halten, dass fast auf jeder dritten<br />
Seite explizit auf die Grenzen des <strong>Vergleich</strong>s verwiesen<br />
wird. Da man be<strong>im</strong> Lesen der sprachlich<br />
eingängigen Überblicksdarstellung alte Kenntnisse<br />
der Ereignisgeschichte wieder auffrischen<br />
und neue dazu gewinnen kann, obendrein nachdenklich<br />
wird, wenn der Autor zum Schluss über<br />
Gefahren und Chancen amerikanischer Macht in<br />
der Zukunft reflektiert, handelt es sich hier zweifellos<br />
um einen lehrreichen und anregenden<br />
Beitrag zu drängenden Zeitfragen. Unterdessen<br />
ist der USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> längst auch in die<br />
politische Rhetorik über ebendiese Fragen eingedrungen.<br />
Deutlich wird dies, wenn etwa LUDWIG<br />
STIEGLER für diplomatische Irritationen sorgt mit<br />
der Bemerkung, „Bush ben<strong>im</strong>mt sich so, als sei er<br />
der Princeps Caesar Augustus und Deutschland<br />
die Provincia Germania“ 14 , oder HELMUT SCHMIDT<br />
in einer ungleich subtileren Analyse davor warnt,<br />
ein uneiniges Europa werde gegenüber den USA<br />
„in die unbedeutende, hilflose Rolle Athens zu<br />
Zeiten des Imperium <strong>Rom</strong>anum abrutschen“. 15<br />
2. D e r U S A - R o m - V e r g l e i c h<br />
i m p l i z i e r t a n s i c h k e i n e n A n t i -<br />
a m e r i k a n i s m u s . Die bisherigen Ausführungen<br />
haben gezeigt, dass eine positive Antwort auf<br />
die Ausgangsfrage keineswegs selbstverständlich<br />
ist und nur unter best<strong>im</strong>mten Einschränkungen<br />
akzeptabel erscheint. Aber auch wer eine solche
Antwort vertreten wollte, ist nicht automatisch<br />
auf eine antiamerikanische Haltung festgelegt.<br />
Gerade Lateinlehrer dürften noch vor wenigen<br />
Jahrzehnten bei der Behandlung von Caesars<br />
gallischen Feldzügen die <strong>im</strong>mense Zahl der<br />
Opfer auf der Verliererseite mit Stillschweigen<br />
übergangen haben. Heute hat sich das zum Glück<br />
geändert, wenngleich man nach wie vor, z. B.<br />
bei Werbeveranstaltungen für das Fach Latein,<br />
die territoriale Ausbreitung und nachhaltige<br />
zivilisatorische Wirkung der römischen Kultur<br />
als gute Gründe für die Beschäftigung mit der<br />
zugehörigen Sprache heranzieht und das historische<br />
Unrecht, das jene erst ermöglichte, dahinter<br />
zurücktreten lässt. Selbst EDWARD GIBBON werden<br />
<strong>im</strong>mer noch viele zust<strong>im</strong>men, wenn er <strong>im</strong> ersten<br />
Kapitel seines „Decline and Fall of the <strong>Rom</strong>an<br />
Empire“ von 1776 die Epoche der Antoninen als<br />
eine der friedlichsten und glücklichsten Perioden<br />
in der Geschichte beschwört. 16 Im Hintergrund<br />
solcher Urteile steht die Binsenweisheit, dass<br />
aus Bösem Gutes erwachsen kann, womit Ersteres<br />
zwar nicht entschuldigt, aber zumindest <strong>im</strong><br />
Rückblick ein wenig erträglicher wird. Für die<br />
Gegenwart folgt daraus mutatis mutandis die<br />
Position jener so genannten Realisten und Pragmatiker,<br />
die in Ermangelung einer internationalen<br />
Rechtsordnung, die diesen Namen verdient, die<br />
„gütige Hegemonie“ 17 der einen Supermacht<br />
als die zweitbeste Lösung in Kauf nehmen:<br />
Bevor der Planet komplett <strong>im</strong> Chaos versinke,<br />
sei eine hegemoniale Ordnung besser als gar<br />
keine, zumal dann, wenn sich der Hegemon <strong>im</strong><br />
Innern gewissen demokratischen Idealen verpflichtet<br />
wisse und diese, so weit es irgend geht,<br />
in Form von Mindeststandards auch nach außen<br />
zu tragen bemüht sei. Aber nicht nur eine solche<br />
Position widerlegt die unterstellte Einseitigkeit:<br />
Mitnichten antiamerikanisch argumentiert auch<br />
derjenige, der die Ausgangsfrage zwar bejaht, die<br />
behauptete Gleichheit zwischen <strong>Rom</strong> und den<br />
USA jedoch aus Liebe zu letzteren bitter beklagt<br />
und als ein Übel betrachtet, das <strong>im</strong> Interesse aller<br />
möglichst schnell zu beseitigen sei. 18<br />
3. D e r U S A - R o m - V e r g l e i c h<br />
b e s i t z t e i n e i m m e n s e m o t i v a t i -<br />
o n a l e K r a f t . Dass viele Schüler über eine<br />
beachtliche Sensibilität für weltpolitische Vor-<br />
gänge verfügen, haben zuletzt die Diskussionen<br />
und Proteste anlässlich des Irak-Krieges gezeigt.<br />
Von der Einbeziehung des USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong>s<br />
in den lateinischen Lektüreunterricht kann entsprechend<br />
ein starker Motivationsschub ausgehen,<br />
und zwar vor allem deshalb, weil der <strong>Vergleich</strong><br />
(1.), wie oben gezeigt, ein real existierendes Phänomen<br />
der Publizistik und kein Kunstprodukt der<br />
Fachdidaktik ist, weil er (2.) gerade durch die mit<br />
ihm verbundenen sachlichen Probleme zu einer<br />
ergebnisoffenen Prüfung einlädt und weil er (3.),<br />
bei Akzeptanz wie bei Ablehnung, verschiedene<br />
moralische Bewertungen zulässt. Im Gegensatz<br />
zu anderen Versuchen der Aktualisierung haben<br />
wir es hier mit dem seltenen Fall zu tun, dass<br />
Schüler und Lehrer eine echte Untersuchungsgemeinschaft<br />
bilden können mit dem Ziel, die vielerorts<br />
behauptete Gleichheit bzw. Ähnlichkeit an<br />
lateinischen Quellen kritisch zu überprüfen und<br />
den ermittelten Befund eigenständig zu bewerten.<br />
19 Wer außer ihnen als den wenigen Experten,<br />
die aufgrund ihrer Sprachkenntnisse noch Zugang<br />
zu den Originaltexten haben, wäre sonst für diese<br />
Aufgabe qualifiziert? Die bewusste Unterstellung<br />
der erforderlichen Kompetenz dürfte <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer solchen Aufgabe bei den Schülern die<br />
Bereitschaft stärken, den Anforderungen auch<br />
tatsächlich gerecht zu werden.<br />
III. Wie könnte es gehen?<br />
<strong>Der</strong> abschließenden Kurzvorstellung eines<br />
didaktischen Modells sei vorausgeschickt, dass<br />
die Lehrplankonformität der Unterrichtseinheit<br />
vom Genus der verwendeten Texte garantiert<br />
wird: Sie stammen fast sämtlich aus den Werken<br />
römischer Historiker und lassen sich daher<br />
leicht in einen Halbjahreskurs zur römischen<br />
Geschichtsschreibung integrieren, in dem auch<br />
das Thema „Imperialismus“ seit langem einen<br />
festen Platz hat. Darüber hinaus lässt sich mit<br />
der Unterrichtseinheit die Erörterung zweier philosophischer<br />
Fragen verbinden: der Frage nach<br />
dem Verhältnis zwischen Macht und Recht auf<br />
der zwischenstaatlichen Ebene und jener nach der<br />
Möglichkeit eines moralischen Fortschritts in der<br />
Geschichte. Gemäß dem Grundsatz, dass die Aktualisierung<br />
nicht zum Selbstzweck werden darf,<br />
dass also <strong>im</strong> Zentrum des Unterrichts die Lek-<br />
5
türe und Interpretation lateinischer Texte stehen<br />
muss, bietet es sich an, die intensivste Phase der<br />
Beschäftigung mit dem USA-<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong><br />
in unterrichtsbegleitende Projekte auszulagern,<br />
deren Benotung bis zu 50% in die Teilnote für die<br />
sonstige Mitarbeit eingehen kann. <strong>Der</strong> Verfasser<br />
hat in einem Grundkurs gute Erfahrungen damit<br />
gemacht, nach dem Einstieg mit einem reißerischen<br />
Zeitungsartikel 20 mehrere Kleingruppen<br />
bilden zu lassen, in denen die Schüler neben dem<br />
eigentlichen Unterricht einen selbstgewählten<br />
Teilaspekt der Thematik (z.B. „extraterritoriale<br />
Machtausübung“; „Kulturexport/soft power“;<br />
„explizite Selbstberufung der frühen USA auf<br />
das antike <strong>Rom</strong> 21 in (a) Verfassungsdiskussion 22<br />
und (b) Architektur repräsentativer Gebäude“ 23 ,<br />
etc.) 24 zu untersuchen haben. Erst am Ende des<br />
Semesters sind zu einem vereinbarten Termin<br />
die Ergebnisse zu präsentieren, und zwar in den<br />
bewährten Formen einer schriftlichen Ausarbeitung<br />
und eines mündlichen Referats, ggf. auch<br />
einer Collage auf einer großen Pappe. Zusätzlich<br />
kann der Kurs bei ausreichendem Interesse ein<br />
„politisches Streitgespräch“ zwischen Befürwortern<br />
und Gegnern des <strong>Vergleich</strong>s vor der Schulöffentlichkeit<br />
inszenieren oder einen Beitrag für<br />
die Schülerzeitung verfassen.<br />
Eine große Hilfe bei der Textauswahl leistet<br />
die von ERNST BURY herausgegebene Quellensammlung<br />
„Domina <strong>Rom</strong>a“ von 1987. 25 Dort<br />
findet man, wenn auch für heutige Verhältnisse<br />
mit eher spärlichen Vokabelangaben und ohne<br />
kolometrische Lesehilfen und Abbildungen, u.<br />
a. die berühmten <strong>Rom</strong>kritiken eines CRITOGNA-<br />
TUS oder CALGACUS bei CAESAR (Gall. 7,77,3-16)<br />
bzw. TACITUS (Agr. 30-32), die, gekürzt oder ungekürzt,<br />
keinesfalls ausgelassen werden sollten. 26<br />
Wichtig ist, dass treu nach dem Motto Audiatur et<br />
altera pars die Segnungen römischer Herrschaft<br />
genauso ausführlich zur Sprache kommen. Als<br />
Spiegeltext zu Critognatus bietet sich für diesen<br />
Zweck eine um alle ereignisspezifischen Hinweise<br />
gekürzte Fassung der Rede an, die Tacitus<br />
den Feldherrn CERIALIS be<strong>im</strong> Bataveraufstand des<br />
Jahres 69/70 in Trier halten lässt (hist. 4,73 f.). 27<br />
Ihre Kernaussagen können sogar in einer Klausur<br />
Verwendung finden. Da die dort vorgebrachten<br />
Argumente die Replik eines wiederauferstande-<br />
6<br />
nen Critognatus geradezu herausfordern, ergibt<br />
sich hier zwanglos die Gelegenheit zu einer<br />
kreativen Schreibaufgabe. Weitergearbeitet<br />
werden kann auch, indem man der von Cerialis<br />
behaupteten politischen Partizipation der Unterworfenen<br />
nachgeht, entweder in unterhaltsamer<br />
Weise anhand der Karikatur eines romanisierten<br />
Galliers aus dem Asterix-Band „<strong>Der</strong> Kampf<br />
der Häuptlinge“ 28 oder ernsthafter anhand der<br />
Rede, mit der Kaiser CLAUDIUS <strong>im</strong> Jahr 48<br />
die Zulassung von Galliern zum cursus honorum<br />
begründete (Tacitus, ann. 11,24). 29 Wem<br />
letztere zu lang ist, der sollte stattdessen auf<br />
jene Spottverse zurückgreifen, mit denen der<br />
Volksmund einen ähnlichen Vorgang bereits zu<br />
Caesars Zeiten kommentierte: Gallos Caesar in<br />
triumphum ducit, idem in Curiam. | Galli bracas<br />
deposuerunt, latum clavum sumpserunt (SUETON,<br />
Div. Iul. 80). Zur Spiegelung der Calgacus-Rede<br />
verwende man am besten aus derselben Schrift<br />
den kurzen Bericht über das effektive <strong>Rom</strong>anisierungsprogramm<br />
AGRICOLAS (Agr. 21) 30 ,<br />
zumal dieses angesichts seiner ambivalenten<br />
Beurteilung durch den Autor die Aussagen der<br />
Rede nicht in jeder Hinsicht widerlegt und somit<br />
Anlass zu kontroversen Interpretationen geben<br />
kann.<br />
Unbedingt sollte wenigstens einmal <strong>im</strong><br />
Verlauf der Einheit die moralphilosophische<br />
Legit<strong>im</strong>ation der Herrschaft über Fremde zum<br />
Thema werden: Die Einsicht in antike Gerechtigkeitsprinzipien,<br />
nach denen Herrschaft mit der<br />
natürlichen Minderwertigkeit der Beherrschten<br />
legit<strong>im</strong>iert werden darf – wie es CICERO, rep.<br />
3,36 31 mit Blick auf das römische Imperium<br />
ganz selbstverständlich tut –, schärft den Blick<br />
für irreduzible Differenzen zwischen den Epochen.<br />
32 Schüler wenden hier gerne ein, dass der<br />
faktische Weltzustand einen etwaigen Fortschritt<br />
in den Ansichten über das, was sein sollte, ohnehin<br />
desavouiert. Dieser Einwand muss ernst<br />
genommen und offen diskutiert werden. Nach<br />
außen hin begründeten schließlich auch die<br />
Römer ihre bella iusta meistens auf andere<br />
Weise, etwa mit den Bündnisverpflichtungen<br />
gegenüber ihren amici und socii. Geradezu<br />
frappierend aktuell klingen die Worte, mit denen<br />
sich bei den Isthmischen Spielen des Jahres 196
v. Chr. begeisterte Griechen einen Re<strong>im</strong> auf die<br />
unerwartete Proklamation ihrer politischen Freiheit<br />
zu machen versuchten – und auf lange Sicht<br />
einer fatalen Fehleinschätzung unterlagen: esse<br />
aliquam in terris gentem, quae sua <strong>im</strong>pensa, suo<br />
labore ac periculo bella gerat pro libertate aliorum,<br />
nec hoc finit<strong>im</strong>is aut propinquae vicinitatis<br />
hominibus aut terris continentibus iunctis praestet,<br />
sed maria traiciat, ne quod toto orbe terrarum<br />
iniustum <strong>im</strong>perium sit, ubique ius, fas, lex<br />
potentiss<strong>im</strong>a sint (LIVIUS 33,33,4-8). 33 Wenn die<br />
Schüler <strong>im</strong> Anschluss an die Übersetzung solcher<br />
Texte sofort mit Parallelen bei der Hand sind,<br />
ist das Fingerspitzengefühl des Lehrers gefragt.<br />
Im Allgemeinen wird er spontane Diskussionen<br />
gewähren, aber nicht ausufern lassen, Emotionen<br />
mäßigen, sachliche Fehler korrigieren und<br />
auf die Möglichkeit einer weiteren Klärung bei<br />
der Projektpräsentation am Schluss der Einheit<br />
verweisen. Für die nötige Objektivität sorgen oft<br />
schon die unterschiedlichen Standpunkte, die in<br />
einer größeren Gruppe politisch interessierter<br />
Oberstufenschüler erfahrungsgemäß eingenommen<br />
werden.<br />
Es wurde oben bereits gesagt: Alle vorgeschlagenen<br />
Texte sollen in erster Linie als Dokumente<br />
sui generis gelesen und interpretiert werden.<br />
Ebenso wie bei der zuletzt genannten Stelle<br />
aus Livius die komplexe historische Situation 34<br />
und das spezielle Verhältnis zu den Griechen 35<br />
zumindest in Ansätzen nachgezeichnet werden<br />
müssen, ist <strong>im</strong> Fall der sog. Barbarenreden nach<br />
der besonderen Intention zu fragen, die der betreffende<br />
römische Historiker mit der Formulierung<br />
einer derart radikalen <strong>Rom</strong>kritik verfolgt. 36 Wenn<br />
das trotz aller didaktischen Reduktion hinlänglich<br />
geschieht, kann <strong>im</strong> Rahmen des USA-<strong>Rom</strong>-<br />
<strong>Vergleich</strong>s eine anspruchsvolle Beschäftigung<br />
mit lateinischer Literatur zustande kommen.<br />
Sollten sich darüber hinaus die verblüffenden<br />
Parallelen zwischen <strong>Antike</strong> und Gegenwart bei<br />
genauerem Hinsehen als Oberflächenphänomene<br />
verflüchtigen, so ist dies kein geringer Erkenntnisgewinn,<br />
lehrt doch bekanntlich erst der <strong>Vergleich</strong><br />
mit dem Anderen, die Eigenart des Eigenen zu<br />
begreifen.<br />
Anmerkungen:<br />
1) Vgl. z. B. Eakin, Emily, ‘It takes an empire,’ say several<br />
U.S. thinkers, The New York T<strong>im</strong>es 02.04.2002 (http:<br />
//www.uni-muenster.de/PeaCon/global-texte/g-m/n/<br />
empiretaking2.htm); Ross, Jan, <strong>Der</strong> neue Imperialismus,<br />
ZEIT 36/2003 (http://www.zeit.de/2003/36/Imperialismus).<br />
2) Zu diesem Schlagwort und seiner Herkunft aus den<br />
60er Jahren des 20. Jahrhunderts vgl. Peters, Werner,<br />
The Existential Runner: Über die Demokratie in Amerika,<br />
Eggingen 1992, 205-208; 419.<br />
3) Grundsätzliche Zweifel an der Tauglichkeit des Imperialismus-Begriffs<br />
und der Rede von den USA als dem<br />
neuen <strong>Rom</strong> <strong>im</strong> Zeitalter des globalisierten Kapitalismus<br />
äußert in Anlehnung an den von Michael Hardt<br />
und Antonio Negri entwickelten Begriff des „Empire“:<br />
Finzsch, Norbert, Von Wallerstein zu Negri: Sind die<br />
USA das ‚neue‘ <strong>Rom</strong>?, in: Sielke, Sabine (Hrsg.), <strong>Der</strong><br />
11. September 2001. Fragen, Folgen, Hintergründe,<br />
Frankfurt a. M. 2002, 159–171.<br />
4) Letzteres ist insofern nicht trivial, als es durchaus der<br />
Fall sein könnte, dass irgendwo auf dem weiten Feld<br />
der Verschwörungstheorien <strong>im</strong> Rahmen einer Theorie<br />
der translatio <strong>im</strong>perii die Kontinuität zwischen den<br />
USA und dem „alten <strong>Rom</strong>“ und damit auch ihre diachrone<br />
Identität behauptet wird. Die Argumente der<br />
Vertreter einer solchen Identitätsbehauptung näher zu<br />
untersuchen wäre gewiss nicht ohne Reiz.<br />
5) Das Verhältnis der Ähnlichkeit unterscheidet sich<br />
bekanntlich dadurch von dem der Gleichheit, dass es<br />
wegen der unscharfen Grenzen zwischen dem gerade<br />
noch Ähnlichen und bereits Unähnlichen nicht notwendigerweise<br />
die Bedingung der Transitivität<br />
erfüllt. Eine Beschränkung auf die stärkere Gleichheitsrelation<br />
<strong>im</strong> vorliegenden Fall würde es <strong>im</strong>merhin<br />
ermöglichen, empirisch gehaltvolle Aussagen zu formulieren,<br />
die sich falsifizieren lassen. Wenn nämlich<br />
schon die Gleichheitsrelation in einigen basalen<br />
Hinsichten – <strong>Rom</strong> und die USA waren/sind Staaten,<br />
führ(t)en Kriege etc. – trivialerweise vorliegt, so gilt<br />
dies in sehr viel stärkerem Maße für die schwächere<br />
Ähnlichkeitsrelation. Da sich außerdem die meisten<br />
Ähnlichkeitsbehauptungen einer Falsifikation entziehen,<br />
drohte der <strong>Vergleich</strong> bei deren Zulassung ins<br />
Beliebige abzurutschen.<br />
6) Vgl. dazu das bekannteste Dokument aus den Jahren<br />
1787/88: Hamilton, Alexander/Madison, James/Jay,<br />
John, Die Federalist Papers, übersetzt, eingeleitet und<br />
mit Anmerkungen versehen von Barbara Zehnpfennig,<br />
Darmstadt 1993 (WBG), und die Bemerkungen Ulrich<br />
Greiners <strong>im</strong> FORUM CLASSICUM 2/2000, 89–92. Umfassend<br />
zur Rezeption der klassischen <strong>Antike</strong> in den USA<br />
informiert: Buschendorf, Christa, Art. „United States<br />
of America“, I.-III., in: DNP 15/3 (2003), 833-875,<br />
bes. 838-848 zur Bedeutung antiker Vorbilder bei den<br />
Gründervätern.<br />
7
7) Vgl. Köster, Baldur, Palladio in Amerika. Die Kontinuität<br />
klassizistischen Bauens in den USA, München 1990<br />
(Prestel). Exemplarisch sei hier nur auf das architektonische<br />
Werk Thomas Jeffersons (1743–1826) verwiesen,<br />
zu dem u. a. das nach einem römischen Podientempel<br />
in Nîmes, dem 14 n. Chr. entstandenen Maison Carrée,<br />
gestaltete Virginia State Capitol gehört. Zu Jefferson<br />
vgl. die auch für Schülerhände geeignete Bildmonographie:<br />
Nicolaisen, Peter, Thomas Jefferson, Reinbek<br />
bei Hamburg 1995 (rowohlt).<br />
8) Vgl. Bender, Peter, Weltmacht Amerika – Das neue<br />
<strong>Rom</strong>, Stuttgart 2003 (Klett-Cotta), 19.<br />
9) Martin Kilian in der Weltwoche.ch 40/2002 (http:<br />
//www.weltwoche.ch/ressort_bericht.asp?asset_<br />
id=2200&category_id=59).<br />
10) Vgl. Franz, Angelika, Imperium USAnum, Stern<br />
14.03.2002; Das Streiflicht, SZ 24.03.2003. Lesenswert<br />
ist auch der in „Quo Vadis“ (Schülerzeitung des<br />
Lise-Meitner-Gymnasiums Falkensee), Nr. 39, 12/<br />
2001 (http://www.vadis.de/archiv/0112/011223.html)<br />
erschienene Artikel „Pompeius Magnus und George<br />
W. Bush“ von StR Georg Uehlein, der, ausgehend von<br />
der Parallelisierung des 11. Septembers mit der sog.<br />
Vesper von Ephesos <strong>im</strong> Jahr 88 v. Chr., die Problematik<br />
des Afghanistan-Feldzuges erörtert. Mit den<br />
Spannungen <strong>im</strong> Verhältnis zwischen Europäern und<br />
Amerikanern befasst sich auf hohem Niveau anhand<br />
von Zitaten aus den bei Polybios überlieferten Debatten<br />
der Griechen <strong>im</strong> Jahr 196 v. Chr.: Bender, Peter,<br />
Als die Griechen frech geworden, ZEIT 41/2002.<br />
11) Vgl. z. B. Bender, Peter, Wird Amerika das <strong>Rom</strong><br />
unserer Zeit?, Freitag 28.09.2001 (http://www.freitag.de/2001/40/01401101.php);<br />
Bollmann, Ralph, Ist<br />
Amerika das neue <strong>Rom</strong>?, TAZ Magazin 31.08.2002;<br />
Freedland, Jonathan, <strong>Rom</strong>e, AD ... <strong>Rom</strong>e, DC?, The<br />
Guardian 18.09.2002 (http://www.guardian.co.uk/<br />
usa/story/0,12271,794163,00.html), als „Is America<br />
the new <strong>Rom</strong>e?“ übernommen von Spotlight („Das<br />
aktuelle Magazin in Englisch“) 12/2002.<br />
12) Vgl. oben Anm. 8. Bender hatte schon ein ganzes Jahr<br />
vor dem 11.09.2001 <strong>im</strong> Merkur-Sonderheft „Europa<br />
oder Amerika? Zur Zukunft des Westens“ den USA-<br />
<strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong> zur Analyse der amerikanischen<br />
Hegemonie herangezogen. Alle wesentlichen Thesen<br />
des Buches enthält <strong>im</strong> Übrigen bereits sein in der<br />
vorangehenden Anmerkung zitierter Artikel.<br />
13) Vgl. die Zusammenfassungen bei: http://www.perlentaucher.de/buch/14744.html.<br />
14) „... So geht es nicht.“ Ludwig Stiegler sagte dies<br />
in einem Interview am 06.09.2002. Datum und<br />
Wortlaut der Äußerung entnehme ich: http://www.ntv.de/3063846.html.<br />
Welchen Wirbel Stieglers Worte<br />
auslösten, dokumentiert die hohe Zahl der meist<br />
englischsprachigen Treffer, wenn man die Begriffe<br />
„Stiegler, Bush, Augustus, Germania“ in eine Internet-<br />
Suchmaschine eingibt.<br />
15) Schmidt, Helmut, Freunde ohne Ziele [Leitartikel zum<br />
40. Jahrestag des Elysée-Vertrages], ZEIT 04/2003<br />
(http://www.zeit.de/2003/04/01_Leit_2_schmidt).<br />
8<br />
Vgl. dens., Europa braucht keinen Vormund, ZEIT<br />
32/2002 (http://www.zeit.de/archiv/2002/32/200232_<br />
unilateral.xml).<br />
16) Vgl. Gibbon, Edward, The Decline and Fall of the<br />
<strong>Rom</strong>an Empire, An abridged Version, ed. by D. E.<br />
Saunders, London 1980 (Penguin), 27: „In the second<br />
century of the Christian era the empire of <strong>Rom</strong>e<br />
comprehended the fairest part of the earth and the<br />
most civilized portion of mankind. ... The gentle but<br />
powerful influence of law and manners had gradually<br />
cemented the union of the provinces. Their peaceful<br />
inhabitants enjoyed and abused the advantages of<br />
wealth and luxury.“<br />
17) Vgl. Kleine-Brockhoff, Thomas, Amerikas gütige<br />
Hegemonie, ZEIT 17/2002 (http://www.zeit.de/2002/<br />
17/Kultur/print_200217_amerika.html).<br />
18) Dass ein eingefleischter Bushist diese Haltung vermutlich<br />
anders beurteilen würde, sei unumwunden<br />
zugegeben. Übrigens zwingt auch umgekehrt die<br />
Ablehnung des <strong>Vergleich</strong>s nicht zu einer proamerikanischen<br />
Haltung, ja sie wäre sogar mit dem unerfüllbaren<br />
(?) Wunsch kompatibel: „Wären die USA doch<br />
nur das neue <strong>Rom</strong>!“ Paradoxerweise schließt Bender<br />
sein Buch mit einem ähnlichen Wunsch.<br />
19) Es wäre z. B. schon viel erreicht, wenn die Schüler<br />
die historischen Fehler in der oben zitierten Bemerkung<br />
Ludwig Stieglers (vgl. Anm. 14) erkennten, auf<br />
die Karl Christ in der FAZ vom 13.09.2002 in einem<br />
Interview mit Jürgen Kaube hingewiesen hat.<br />
20) Franz, Angelika, Imperium USAnum (Anm. 10). Statt<br />
eines Textes kann natürlich auch eine provokative und<br />
aussagekräftige Abbildung zum Einstieg dienen, z.B.<br />
die Titelseite von Spotlight 12/2002 (Anm. 11), auf der<br />
die Freiheitsstatue als Legionär mit scutum und gladius<br />
zu sehen ist, oder die Karikatur von George W. Bush<br />
als waffenstarrendem antiken Krieger, gezeichnet von<br />
David Levine in: The New York Review of Books, Vol.<br />
49,3, 28.02.2002, 1 u. 44 (erneut abgedruckt ebd., Vol.<br />
50,15, 09.10.2003, 8).<br />
21) Dass die frühe Selbstberufung auf das antike <strong>Rom</strong><br />
<strong>im</strong> Gesamtkontext eines aufklärerischen Klassizismus<br />
weniger <strong>im</strong>periale als republikanische Ideale<br />
zum Ausdruck bringt, überrascht nur denjenigen<br />
nicht, der bereits über entsprechende Kenntnisse der<br />
Kunstgeschichte verfügt. Für die Schüler gibt es hier<br />
<strong>im</strong> Kontrast zur Stoßrichtung des aktuellen <strong>Rom</strong>-<strong>Vergleich</strong>s<br />
wichtige Entdeckungen zu machen.<br />
22) Man gebe den Schülern z. B. eine deutsche Übersetzung<br />
der Federalist Papers (vgl. Anm. 6) in die Hand<br />
und lasse sie mit Hilfe des Registers sämtliche Stellen,<br />
an denen <strong>Rom</strong> vorkommt, abarbeiten. Auf diese Weise<br />
werden sie u. a. herausfinden, dass die Autoren als<br />
Lektion aus den römischen Bürgerkriegen stehende<br />
Heere verbieten. Dass dieses Verbot, das sich mit dem<br />
3. Präl<strong>im</strong>inarartikel in Immanuel Kants Schrift „Zum<br />
ewigen Frieden“ von 1795 deckt, de facto aufgegeben<br />
wurde, mag man je nach Standpunkt bedauern oder<br />
begrüßen. Zum <strong>Vergleich</strong> der Verfassungen vgl. unten<br />
Anm. 32.
23) <strong>Der</strong> Architekturvergleich dürfte vor allem künstlerisch<br />
begabte Schüler interessieren, zumal hier die<br />
Präsentation der Ergebnisse ohne eine großzügige<br />
Visualisierung gar nicht auskommt. Reichhaltiges<br />
Bildmaterial findet sich bei Köster (Anm. 7); populärwissenschaftlich<br />
aufbereitete Informationen über<br />
Vitruv bietet: Albig, Jörg-Uwe, Die Macht aus dem<br />
Stein, in: GEO Epoche Nr. 5: Das römische Imperium,<br />
4/2001, 96-99. Im Rahmen des Projekts können<br />
bequem die klassischen Säulenordnungen wiederholt<br />
oder auch eingeführt werden.<br />
24) Weitere Themen für die Projektarbeit bieten z. B. die<br />
folgenden Aspekte: „Religion und Politik“, „Wahlen<br />
und Geld“, „öffentliche Wohlfahrt und private Spenden“.<br />
Bei der Suche nach Material erweist sich wegen<br />
der Aktualität des Themas die Arbeitstechnik der<br />
Internet-Recherche als unverzichtbar; das Erstellen<br />
einer Liste mit einschlägigen URL könnte sogar ein<br />
eigenes Projekt sein.<br />
25) Domina <strong>Rom</strong>a. Lateinische Quellentexte zum römischen<br />
Imperialismus, ausgewählt und erläutert von<br />
Ernst Bury, Stuttgart 1987 (Klett).<br />
26) Die Texte, einschließlich des sog. Mithridates-Briefes<br />
(Sallust, hist. frg. 69), bei Bury a.a.O. 35–39. Die<br />
berühmte Sentenz Ubi solitudinem faciunt, pacem<br />
appellant (Tac. Agr. 30,5) zitieren nicht selten die Kritiker<br />
amerikanischer Macht, z.B. Noam Chomsky. Man<br />
gebe die Worte einmal in eine Internet-Suchmaschine<br />
ein!<br />
27) <strong>Der</strong> Text bei Bury a.a.O. 18f. Zum Bataveraufstand <strong>im</strong><br />
Rahmen des <strong>Rom</strong>anisierungsprozesses vgl. Krausse,<br />
Dirk, Als die Gallier Römer wurden, in: Spektrum der<br />
Wissenschaft 2/2003, 72–79.<br />
28) Uderzo/Goscinny, <strong>Der</strong> Kampf der Häuptlinge<br />
(Großer Asterix-Band IV), Stuttgart 1969 (franz.<br />
Erstveröffentlichung: Paris 1966), 8. Zum historischen<br />
Wahrheitsgehalt der Darstellung des wohlhabenden<br />
Gallo-Römers Augenblix vgl. van Royen, René/van<br />
der Vegt, Sunnyva, Asterix. Die ganze Wahrheit,<br />
München 1998 (Beck), 70–73.<br />
29) Zu dieser Rede und ihrem inschriftlich überlieferten<br />
Original vgl. von Albrecht, Michael, Meister römischer<br />
Prosa. Von Cato bis Apuleius. Interpretationen,<br />
Tübigen und Basel 1995 (UTB), 164–189.<br />
30) Die Erschließung des nicht ganz leichten Textes kann<br />
zunächst durch die Sammlung zentraler Begriffe (z.B.<br />
templa, fora, artes liberales, eloquentia, balinea, convivia)<br />
erfolgen, die herausgeschrieben und nach Sachgruppen<br />
(Architektur, Bildung, Lebensstil) geordnet werden.<br />
In einem zweiten Schritt werden den Begriffen und<br />
Sachgruppen dann die <strong>im</strong> Text enhaltenen Bewertungen<br />
(saluberr<strong>im</strong>is consiliis, per voluptates, descensum<br />
ad delen<strong>im</strong>enta vitiorum etc.) gegenübergestellt.<br />
31) <strong>Der</strong> Text, den Augustinus, civ. 19,21 überliefert, bei<br />
Bury a.a.O. 21.<br />
32) Zur Veranschaulichung der normativen Differenz kann<br />
auch ein Blick auf die schematischen Darstellungen<br />
von Staatsverfassungen in den Geschichtsbüchern<br />
lohnen: Während die Verfassungen moderner Staaten<br />
durch die Prinzipien der Volkssouveränität und der<br />
Gewaltenteilung gekennzeichnet sind, herrschen in der<br />
„Verfassung“ der römischen Republik unsystematische<br />
Abhängigkeitsverhältnisse zwischen diversen<br />
Ämtern und Organen. Letztere soll anders als die<br />
ersteren eben nicht die größtmögliche Freiheit rechtsgleicher<br />
Individuen verwirklichen, sondern konfligierende<br />
Interessen gesellschaftlich relevanter Gruppen<br />
(Frauen und Sklaven gehören erst gar nicht dazu!) zum<br />
Ausgleich bringen. Als gleichsam institutionalisierte<br />
Machtbalance ist sie die Summe geschriebener wie<br />
ungeschriebener Verfahrensregeln und bedarf daher<br />
auch keiner autoritativen Gründungsurkunde, die<br />
als Gesellschaftsvertrag einen fiktiven Naturzustand<br />
beendet.<br />
33) <strong>Der</strong> Text bei Bury a.a.O. 21. Mit der Fremddeutung<br />
römischer Außenpolitik nach dem Sieg über Philipp<br />
V. vgl. sprachlich die Selbstdeutung amerikanischer<br />
vor dem 1. Krieg gegen Saddam Hussein durch<br />
George Bush sen. in seiner State of the Union-Rede<br />
vom 29.01.1991: „Halfway around the world, we are<br />
engaged in a great struggle [against Iraq] in the skies<br />
and on the seas and sands. We know why we’re there:<br />
We are Americans, part of something larger than<br />
ourselves. For two centuries, we’ve done the hard<br />
work of freedom. And tonight, we lead the world in<br />
facing down a threat to decency and humanity. What is<br />
at stake is more than one small country; it is a big idea:<br />
a new world order, where diverse nations are drawn<br />
together in common cause to achieve the universal aspirations<br />
of mankind – peace and security, freedom, and<br />
the rule of law.“ (Zitiert nach: http://www.clas.ufl.edu/<br />
users/mjacobs/AMH2020/Documents/Bush.html)<br />
34) Vgl. dazu auch den oben in Anm. 10 zitierten Artikel<br />
Benders.<br />
35) Falls in einem anderen Zusammenhang bereits Plinius,<br />
epist. 8,24 oder Cicero, ad Q. fr. 1,1,27-30 gelesen<br />
wurde, kann darauf zurückverwiesen werden.<br />
36) Zur Rede des Critognatus vgl. die Interpretation bei:<br />
Maier, Friedrich, Caesar – Bellum Gallicum. <strong>Der</strong><br />
Typus des Machtmenschen. Lehrerkommentar, Bamberg<br />
2000 (C.C. Buchner), 160–166. Überhaupt lassen<br />
sich an den fingierten Reden, die zahlenmäßig unter<br />
den vorgeschlagenen Texten dominieren, wesentliche<br />
Charakteristika der antiken Historiographie erarbeiten.<br />
<strong>Burkhard</strong> <strong>Reis</strong>, Hamburg<br />
9
Jacobus Balde (1604-1668)<br />
eine kurze Würdigung des Dichters zum 400. Geburtstag<br />
Wer sich vor etwa 350 Jahren in Europa nach<br />
dem berühmtesten Dichter Deutschlands umgehört<br />
hätte, der hätte wohl nicht die Namen zu<br />
hören bekommen, die uns heute die wichtigsten<br />
scheinen: GRYPHIUS, GRIMMELSHAUSEN, PAUL<br />
GERHARDT ... Ihrer aller Ruhm wäre überstrahlt<br />
worden von dem eines bayerischen Jesuiten,<br />
der in der damals ja weltweit gepflegten lateinischen<br />
Sprache dichterische Werke schuf, die<br />
überall Aufsehen erregten und sogar von Protestanten<br />
bewundert wurden: JACOBUS BALDE. Erst<br />
mit dem Niedergang der lateinischen Poesie in<br />
Deutschland begann auch sein Ruhm zu verblassen.<br />
Doch blieb ihm der Name des „deutschen<br />
Horaz“; und JOHANN GOTTFRIED HERDER, der auch<br />
sein bekanntester Übersetzer wurde, hat ihn als<br />
„Dichter Deutschlands für alle Zeiten“ seinen<br />
Landsleuten ans Herz gelegt.<br />
1604 <strong>im</strong> elsässischen Ensishe<strong>im</strong> geboren,<br />
kommt Balde als junger Mann an die Universität<br />
Ingolstadt, ins geistige Zentrum des katholischen<br />
Deutschlands, wo er als Jurastudent mit zwanzig<br />
Jahren eine spektakuläre Bekehrung erlebt, die<br />
später vielfach von anderen in Lyrik und Drama<br />
ausgestaltet wird. Als in einer Maiennacht seine<br />
einer schönen Bäckerstochter dargebrachte Serenade<br />
ohne Wirkung bleibt, zerschmettert er, von<br />
der Nichtigkeit der Welt urplötzlich durchdrungen,<br />
seine Laute mit dem Vers: „Sei’s des Liedes<br />
genug: Sprenge das Saitenspiel!“ (cantatum satis<br />
est: frangito barbiton) – und wird alsbald Jesuit.<br />
Wegen seiner poetischen und rhetorischen Fähigkeiten<br />
macht er dann als Gymnasiallehrer, vor<br />
und nach dem Theologiestudium (1630-1632),<br />
rasche Ordenskarriere in München, Innsbruck<br />
und Ingolstadt (wo er zugleich auch Mitglied<br />
der Universität ist).<br />
Schon seine frühesten dichterischen Versuche<br />
führen ihn durch den ganzen Kosmos der antiken<br />
Dichtungsgattungen, denen er sich sämtlich<br />
gewachsen fühlt: In einem fürs Münchner<br />
Gymnasium verfassten Jugendwerk (von 1628)<br />
werden Episoden des damals zehn Jahre alten<br />
Dreißigjährigen Krieges <strong>im</strong> Stil und Versmaß<br />
von zwölf verschiedenen altrömischen Dichtern<br />
(VERGIL, HORAZ, OVID usw.) besungen, wobei<br />
10<br />
Balde die Ereignisse von einem unkatholischen,<br />
ja antik-heidnischen Standpunkt aus wahrn<strong>im</strong>mt:<br />
So beruft sich etwa Kurfürst MAXIMILIAN, der in<br />
der Schlacht am Weißen Berg ja in Wirklichkeit<br />
mit der Parole „Maria“ gesiegt hatte, bei Balde<br />
auf den Willen der „Götter“ (superi).<br />
Ersten deutschlandweiten Ruhm bringen dann<br />
nicht die nach dem Willen des Ordens verfassten<br />
offiziellen Auftragsgedichte <strong>im</strong> klassischen<br />
Stil, auch nicht verschiedene aus Prosa und Vers<br />
auf eigene Faust gemischte Formexper<strong>im</strong>ente,<br />
sondern ein eher volkstümliches, lateinischdeutsches,<br />
in deutscher Sprache sogar singbares<br />
Lied „De vanitate mundi“ (1636), in dem die<br />
„Eitelkeit der Welt“, ein Modethema der Zeit, in<br />
hundert Strophen originell und mit viel Humor<br />
vom Standpunkt eines christlichen Platonismus<br />
aus durchgehechelt wird. Dichterisch noch<br />
bedeutender ist, auch wenn dieses Werk weniger<br />
populär wurde, Baldes urkomische Fassung des<br />
pseudohomerischen „Froschmäusekriegs“ (Batrachomyomachia),<br />
der in vielfacher Weise den<br />
großen Krieg, der Bayern an den Rand seiner<br />
Existenz bringt, <strong>im</strong> Kleinen wiederspiegelt. Von<br />
der Not des Kriegs spricht auch die von Balde<br />
verfasste, 1970 zur Einweihung der U-Bahn<br />
wiederhergestellte, Inschrift auf der Münchner<br />
Mariensäule, deren Einweihung er 1638 mit einer<br />
gewaltigen Ode begleitet.<br />
Schon 1637 war er ja auf Betreiben von Kurfürst<br />
Max<strong>im</strong>ilian, dem überragenden katholischen<br />
Staatsmann der Zeit, wieder nach München geholt<br />
worden, wo er bald das Amt des Hofpredigers und<br />
(leider) auch Hofhistoriographen zu versehen<br />
hatte: Max<strong>im</strong>ilian erwartete eine in seinem Sinn<br />
geschriebene bayerische Geschichte, ein Projekt,<br />
an dem schon andere gescheitert waren und das<br />
den wahrheitsliebenden und höchst reizbaren<br />
Literaten Balde in manche Konflikte brachte.<br />
Dieser allerhöchste Auftrag musste ihm umso<br />
lästiger sein, als in den ersten Münchner Jahren<br />
sein speziell dichterisches Talent zur mächtigsten<br />
Entfaltung drängte. 1643 erscheint in München<br />
ein lyrisches Großcorpus, wie es die Welt in<br />
lateinischer Sprache noch nicht gesehen hatte:<br />
In vier Büchern „Lyrica“, einem Buch „Epodi“
und sieben (später auf neun erweiterten) Büchern<br />
„Sylvae“ („Wäldern“) stellte er in den Maßen und<br />
Formen des Klassikers HORAZ die Empfindungen<br />
und Probleme seines aufgewühlten Zeitalters so<br />
umfassend und vollendet dar, dass ihm von nun<br />
an der Beifall auch aller Gebildeten in Europa<br />
sicher war.<br />
Von den Themenbereichen, die Horaz einst<br />
berührt hatte – Politik, Freundschaft, Religion,<br />
Literatur, Lebensweisheit und Geselligkeit – fehlt<br />
naturgemäß nur die Erotik, die aber wunderbar<br />
aufgehoben und subl<strong>im</strong>iert ist in Baldes Marienlyrik,<br />
die <strong>im</strong>mer als ein Höhepunkt seines<br />
Schaffens angesehen wurde. Von der demütigsten<br />
Verehrung bis zu einer fast schäkernden<br />
Vertraulichkeit geht hier die Skala der Töne, die<br />
besonders auch in deutscher Sprache (in dem<br />
schon 1638 gedichteten „Ehrenpreiß“) sehr<br />
innig werden können. So z. B. wenn er, der erst<br />
Vierunddreißigjährige, sich der Gottesmutter für<br />
seine dermaleinst letzte Stunde anempfiehlt und<br />
sie darum bittet, ihm, an Stelle der heidnischen<br />
Parzen, persönlich den Lebensfaden abzuschneiden:<br />
Wann nun geschwächt seind all fünf Sinn,<br />
Die umbstehend Rott wird sagen:<br />
Jetzt hat ers gar, jetzt ist er hin,<br />
Man merkt kein Puls mehr schlagen:<br />
Dein schöne Hand, Dein milde Hand,<br />
O Mutter meines Lebens,<br />
Schneid oder halt, gleich wies dir gfallt,<br />
Sonst ist es alls vergebens.<br />
Die als derb empfundene Intensität solcher<br />
Verse, die man sich in bayerischem, vielleicht<br />
auch noch alemannischem Tonfall gesprochen zu<br />
denken hat und die sich jedenfalls der damals von<br />
Norddeutschland ausgehenden Regulierung der<br />
deutschen Dichtersprache nicht fügte, ging schon<br />
seinen Ordensoberen entschieden zu weit; und so<br />
gilt Balde bis heute meist als schlechter deutscher<br />
Dichter, wohl kaum zu Recht.<br />
Nach München gehört auch der zunächst<br />
(1638) nur lateinisch, dann lateinisch-deutsch<br />
bearbeitete „Agathyrsus“, ein paradoxes Loblied<br />
auf die Magerkeit, die in Zeiten der Hungersnot<br />
minder beliebt war und, wie bekanntlich schon<br />
der von Balde bewunderte RUBENS zeigt, auch<br />
nicht unbedingt als schön empfunden wurde.<br />
Sie war von Hause ein Ideal des christlichplatonischen<br />
Asketen, der um der Ausrichtung<br />
auf Gott und Jenseits willen den Sinnenfreuden<br />
abschwört. Balde aber, ein Bußprediger <strong>im</strong> Narrenkostüm,<br />
tut lustigerweise so, als komme es nur<br />
auf dieses Nebenergebnis der Askese, eben auf<br />
die Magerkeit, an; und so lässt er etwa bei seiner<br />
Darstellung des Jüngsten Gerichts Gott seine Entscheidung<br />
über Gut und Böse, H<strong>im</strong>mel und Hölle<br />
nach dem schieren Körpergewicht treffen:<br />
Hinab mit dir, speckfeiste Rott,<br />
<strong>Der</strong> Schmaus nit länger währet,<br />
Welche den Bauch als ihren Gott<br />
Mit Knobloch hie verehret.<br />
Back dich, du Sack, mit Sack und Back<br />
Hinab in d’ ander Kuchen!<br />
Die selig Schar, die dürr vor war,<br />
Jetzt Gottes Speis versuchen.<br />
Balde übersteigert den grotesken Humor dieses<br />
Schlankheitsfanatismus noch, wenn er schließlich<br />
als Spiel seiner Phantasie einen förmlichen, nach<br />
dem Vorbild der Jesuiten organisierten religiösen<br />
Magerkeitsorden stiftet – die dessen Statuten<br />
enthaltende Handschrift wurde erst kürzlich von<br />
HELMUT ZÄH in der Münchner Staatsbibliothek<br />
entdeckt –, einen Mönchsorden, der <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu allen bisherigen nicht der Sorge um die Seele,<br />
sondern nur der lebenslangen Körperpflege, d. h.<br />
eben der (angeblich durch den Sündenfall beeinträchtigten)<br />
Magerkeit gewidmet sein soll. Da es<br />
ausschließlich nur um diese geht, darf und soll in<br />
diesem Orden von den Berufenen und der Gnade<br />
der Dürrheit Teilhaftigen sogar hemmungslos,<br />
ja wettbewerbsmäßig gefuttert werden – sofern<br />
nur eben keine Gewichtzunahme eintritt. Welch<br />
utopisches Paradies auch für Vollschlanke von<br />
heute! Unzweifelhaft real war dagegen ein aus<br />
Begeisterung für Baldes „Agathyrsus“ entstandener<br />
Münchner „Club der Mageren“ (Congregatio<br />
Macilentorum), der, vielleicht analog zu<br />
modernen Karnevalsgesellschaften, als eine Art<br />
Fastenverein offenbar asketische Ziele verfolgte<br />
und dessen Vorsitzender der dünne Dichter selbst<br />
mehrere Jahre lang war (als Mitglieder werden<br />
11
nobelste Münchner genannt). Hier sollen, nach<br />
den freilich grotesk übersteigerten Zeugnissen in<br />
Baldes Lyrik, Abmagerungskuren mit schaurigen<br />
Diäten (aus Hummerschalen etc.) veranstaltet<br />
worden sein – fast zwei Jahrhunderte vor dem<br />
molligen Lord BYRON, der sich, natürlich ohne<br />
Balde zu kennen, als erster wieder (mit Essigwasser)<br />
auf die Idealmaße eines romantischen<br />
Dichters herunterhungerte.<br />
Rücksichtnahme auf seine angeschlagene<br />
Gesundheit nötigt Balde, einige Zeit, nachdem der<br />
große Krieg endlich zum ersehnten Ende gekommen<br />
ist, seine Münchner Ämter aufzugeben.<br />
Aber auch als Prediger in Landshut und Amberg<br />
(1650-1654) bleibt er unermüdlich schöpferisch.<br />
Nach dem lyrischen Jahrzehnt fesselt ihn<br />
nun zunächst die satirische Dichtung, die er für<br />
besonders schwierig und nur dem reiferen Dichter<br />
für zugänglich hält. In „Ruhm der Heilkunst“<br />
(Medicinae gloria) von 1651 rechnet er <strong>im</strong> Geiste<br />
des giftigen Spötters JUVENAL höchst erfolgreich<br />
mit allerlei Humbug der zeitgenössischen Medizin<br />
und Quacksalberei ab. Noch berühmter wird,<br />
vor allem dank einer kongenialen deutschen<br />
Bearbeitung durch SIGMUND VON BIRKEN, Baldes<br />
satirisches Hohnlied auf das Tabakrauchen, „Die<br />
Truckene Trunckenheit“ (Satyra contra abusum<br />
tabaci). Trotz ihrem burlesken Humor sollte diese<br />
Satire keineswegs als rein ironisch interpretiert<br />
werden, und die Gesundheitsminister der EU<br />
könnten sie für ihre Aufklärungsarbeit durchaus<br />
mit Gewinn verwenden.<br />
Dann aber wendet sich Balde vor allem dem<br />
Schauspiel zu, das von den Jesuiten ja <strong>im</strong>mer<br />
besonders gepflegt wurde. In Neubearbeitung<br />
eines schon früher aufgeführten Dramas schafft er<br />
nun die monumentale Tragödie „Jephtias“ (1654),<br />
das Drama des jüdischen Heerführers Jephte,<br />
der aus Gehorsam gegen Gott die eigene Tochter<br />
opfern muss, ein Stück, durch das er, gegen<br />
den herrschenden Zeitgeschmack, das deutsche<br />
Jesuitentheater mit seinen oft vordergründigen<br />
Bühnenspektakeln durch Rückbesinung auf<br />
die Grundsätze der klassisch antiken Ästhetik<br />
zu reformieren sucht. Ohne großen Erfolg: Das<br />
herrliche, wohl alle Barockdramen Deutschlands<br />
übertreffende Werk, zu dessen Chorpartien sogar<br />
Noten existieren, ist in dieser Fassung bis heute<br />
12<br />
noch nicht uraufgeführt worden. Es würde allerdings,<br />
ungekürzt, fast zehn Stunden dauern.<br />
In seiner letzten Lebensperiode, in der Balde<br />
am Hof des Pfalzgrafen in Neuburg an der Donau<br />
als Prediger und Beichtvater wirkt (1654-1668),<br />
rundet er, wenn wir von vielen anderen Dichtungen<br />
absehen, sein Lebenswerk, in dem er<br />
bis dahin schon fast alle Formen antiker Poesie<br />
belebt und um neue Erfindungen vermehrt hatte,<br />
durch einen <strong>im</strong> Stil des elegischen OVID verfassten<br />
erotischen Briefroman „Urania victrix“<br />
(„Siegreiche Urania“). Dessen erster Teil, der<br />
der einzige bleiben sollte, wurde 1664 herausgegeben<br />
und alsbald vom Papst persönlich mit<br />
einer Goldmedaille ausgezeichnet. Urania ist<br />
die für den H<strong>im</strong>mel (griech.: uranós) best<strong>im</strong>mte<br />
menschliche Seele, die sich – ein Lebensthema<br />
Baldes – den Verführungen der Sinnlichkeit zu<br />
entziehen sucht. Dies wird, in Form der Allegorie,<br />
so dargestellt, dass sich die fünf Sinne persönlich<br />
als Freier um die von ihnen zur Braut erkorene<br />
Urania in Versbriefen bewerben, wobei sie jeweils<br />
von Adlaten unterstützt werden, der Gesichtsinn<br />
(Visus) etwa von einem Maler, der Gehörsinn<br />
(Auditus) von einem Musiker usw. So kommen<br />
alle möglichen Künste und Wissenschaften ins<br />
Spiel; und es entsteht ein buntes Panorama der<br />
damaligen Welt, als zeitgemäßer Verkörperung<br />
jener „Welt“, die Christus überwunden hat. Er<br />
und kein anderer ist ja der h<strong>im</strong>mlische Bräutigam,<br />
um dessentwillen Urania ihre aufdringlichen<br />
Freier, oft schnippisch und mit viel Humor und<br />
Schalkhaftigkeit, zurückschmettert, wobei sie sich<br />
besonders entschieden gegen den allzu handgreiflich<br />
werdenden Tastsinn (Tactus) zur Wehr setzt:<br />
Er verkörpert in der Gestalt eines Soldaten die<br />
Verführungskraft ungestümer Sexualität, und so<br />
wird er von Urania, seinem Opfer, als der Teufel<br />
persönlich demaskiert. Baldes Sprache geht hier<br />
in ihrer Unz<strong>im</strong>perlichkeit an die Grenzen dessen,<br />
was in Jesuitendichtung möglich war. Was die<br />
Sache angeht, so bekennt sich der für Erotik so<br />
empfängliche Dichter erneut zu dem nie bereuten<br />
Entschluss jener Ingolstädter Maiennacht. Er<br />
soll sich, sagt die alte Chronik von Neuburg, in<br />
seiner letzten Lebenszeit fast nur noch mit der<br />
Meditation seines Wegs zum Jenseits beschäftigt<br />
haben.
In einer Ode hat Balde einmal, den demütig<br />
christlichen Wunsch geäußert, „ganz begraben<br />
zu sein“ (tumulerque totus), d. h. auch nicht<br />
<strong>im</strong> Nachruhm fortzuleben – ein Wunsch, der<br />
nicht nur <strong>im</strong> deutlichen Gegensatz zu seinem<br />
Vorbild HORAZ steht, sondern dem auch andere<br />
Äußerungen, vor allem in seiner poetologischen<br />
Hauptschrift „Über das dichterische Bemühen“<br />
(De studio poetico), widersprechen. Aus ihr, der<br />
mit Abstand originellsten Barockpoetik wohl<br />
nicht nur Deutschlands, geht hervor, wie hoch<br />
die Ansprüche sind, die Balde an sein Schaffen<br />
stellte, und wie sehr er, indem er ihnen entsprach,<br />
glaubte, Bleibendes geleistet zu haben: als poeta<br />
(d. h. „Macher“) gleichsam ein zweiter Gott,<br />
der aus dem Schatzhause des Hirns, wie jener<br />
aus dem Nichts, eine neue Welt erschafft. Die<br />
Bewunderung für diese Leistungen Baldes und<br />
der Genuss an seinen Werken ist nicht völlig an<br />
die Übereinst<strong>im</strong>mung mit seiner katholischen<br />
Vorstellungswelt gebunden. Sie zeigen eine tiefe,<br />
die Grenzen der Weltanschauungen überstei-<br />
gende Einsicht in alles Menschliche; vor allem<br />
aber sind sie, auch schon der schieren Quantität<br />
nach, Erzeugnis einer fast unglaublichen, <strong>im</strong>mer<br />
eigenständigen Kreativität, die in der deutschen<br />
Literatur wohl nur noch bei GOETHE ihr <strong>Vergleich</strong>bares<br />
findet. Hier steht Ernst neben Spaß,<br />
Christliches neben Heidnischem, Überkommenes<br />
neben Unerhörtem, Welt- und Sinnenfeindschaft<br />
neben einer fast übermütigen Freude an Spiel und<br />
Form, Rhythmus und Wohllaut.<br />
Baldes Grab in der Neuburger Hofkirche ist<br />
unbekannt, und so weit scheint denn also sein<br />
Wunsch nach dem „Ganz begraben zu sein“<br />
endgültig in Erfüllung gegangen. Den Freunden<br />
der Literatur und der Latinität aber bleibt aufgegeben,<br />
ihn, wie schon HERDER wollte, aus seinem<br />
so bedauerlichen „lateinischen Grab“ aufzuerwecken<br />
und als einen der ganz Großen, einen der<br />
geistreichsten Männer seines Jahrhunderts wieder<br />
zu uns sprechen zu lassen – nicht nur als Mahner<br />
gegen Korpulenz und Nikotin.<br />
WILFRIED STROH, München<br />
Warten auf Menander <strong>im</strong> Vatikan<br />
400 griechische Komödienverse in einer syrischen Pal<strong>im</strong>psest-Handschrift entdeckt<br />
<strong>Der</strong> griechische Komödienschreiber MENANDER (342<br />
– 292 v. Chr.) ist, recht betrachtet, ein Klassiker der<br />
Weltliteratur. Kürzlich sind in der Bibliothek des<br />
Vatikans 400 Verse des Dichters in einer syrischen<br />
Pal<strong>im</strong>psest-Handschrift entdeckt worden.<br />
Vor sechs Wochen <strong>im</strong> Lesesaal der Biblioteca<br />
Apostolica Vaticana 1 : <strong>Der</strong> Unterzeichnete – er<br />
beschäftigt sich dort <strong>im</strong> Rahmen eines weitverzweigten<br />
europäischen Projekts mit der Untersuchung<br />
griechischer Pal<strong>im</strong>pseste – bestellt einen<br />
syrischen Kodex zur Einsicht. Von diesem heisst<br />
es <strong>im</strong> 1965 gedruckten Katalog, dass er <strong>im</strong> Jahre<br />
886 auch unter Wiederverwendung zahlreicher<br />
Pergamentblätter mit unterliegenden Texten in<br />
Aramäo-Palästinensisch, Griechisch, Arabisch,<br />
Armenisch und Syrisch geschrieben worden sei.<br />
Statt der gewohnten Wartezeit von etwa einer<br />
halben Stunde vergeht der ganze Tag, ohne dass<br />
die erbetene Handschrift bereitgestellt wird. Am<br />
folgenden Morgen wird höflich mitgeteilt, dass der<br />
gewünschte Pal<strong>im</strong>psest-Band nicht zugänglich sei,<br />
da sich ein anderer Kollege mit der Auswertung<br />
des unteren griechischen Textes befasse.<br />
Gut zwei Wochen später hat der Vatikan das<br />
Gehe<strong>im</strong>nis gelüftet. Durch einen klug intonierten<br />
Artikel von GIOVANNI RICCIARDI <strong>im</strong> „Osservatore<br />
<strong>Rom</strong>ano“ vom 6. Dezember erfährt die Öffentlichkeit,<br />
dass vierhundert griechische Verse des<br />
Komödiendichters Menander (etwa 342–292 v.<br />
Chr.) aus einem syrischen Pal<strong>im</strong>psest-Kodex des<br />
ausgehenden 9. Jahrhunderts ans Licht gekommen<br />
seien; sie gehörten zu einem Menander-Kodex des<br />
4. nachchristlichen Jahrhunderts, der wie weitere<br />
anderssprachige Pergamentblätter nach Abwaschen<br />
der ursprünglichen Schrift mit christlichen<br />
Predigten in syrischer Sprache wieder beschrieben<br />
worden sei.<br />
Die eine Hälfte der Verse stamme aus Menanders<br />
Bühnenstück „Dyskolos“ (<strong>Der</strong> Menschenfeind),<br />
das aus der berühmten Sammlung des Bibliophilen<br />
MARTIN BODMER in Genf als wohl bedeutendster<br />
Papyrusfund des 20. Jahrhunderts <strong>im</strong> Jahre 1958 von<br />
VICTOR MARTIN erstmals herausgegeben worden ist.<br />
13
Die andere Hälfte – das ist die aufregende Überraschung<br />
– stelle einen unbekannten Lustspiel-Kontext<br />
dar, der auch von Menander stammen könne, mit<br />
einem Mädchen, einem Neugeborenen – vielleicht<br />
Frucht einer Gewalttat – und einer alten Frau als<br />
Figuren. In der Tat lässt sich die angedeutete personelle<br />
Konstellation z. B. in den nur bruchstückhaft<br />
erschliessbaren Menander-Stücken „<strong>Der</strong> Heros“,<br />
„<strong>Der</strong> Bauer“, „Die Perinthierin“ erkennen.<br />
Diese schöne Entdeckung ist das Verdienst von<br />
FRANCESCO D’AIUTO, einem jungen Professor für<br />
Byzantinistik an der zweiten Universität <strong>Rom</strong>s,<br />
„Tor Vergata“, der bis vor kurzem als Spezialist<br />
für griechische Handschriften an der Vatikanischen<br />
Bibliothek tätig war. Nun wartet nicht nur die Fachwelt<br />
mit Spannung darauf, dass er seinen Fund in<br />
den Einzelheiten baldmöglichst publizieren wird.<br />
Und es bedarf keiner Sehergabe, vorauszusagen,<br />
dass unmittelbar anschließend eine lebhafte Debatte<br />
unter den Philologen, Literaturhistorikern und Theaterspezialisten<br />
um die Textkritik und Deutung der<br />
neuen Verse ihren Lauf nehmen wird. Denn Menander<br />
ist ein Klassiker der Weltliteratur. Er war „der<br />
Liebling eines Jahrtausends“ vom Theaterrund bis<br />
in die Schule. Die römische Bühne – ein PLAUTUS,<br />
ein TERENZ – hat ihn adaptiert, auch bei den Christen<br />
stand er in Ansehen. Die allgemein gültige<br />
und lebensnahe Thematik seiner Stücke, die feine<br />
psychologische Charakterzeichnung, die Kunst<br />
des sprachlichen Ausdrucks, seine dramaturgische<br />
Gewandtheit – alles hat dazu beigetragen, dass er in<br />
einem Atemzug mit HOMER genannt werden konnte.<br />
Aber den schriftgeschichtlichen Engpass ins Mittelalter<br />
hat er offensichtlich nicht durchschritten. So<br />
sind es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vor allem<br />
die Papyrusfunde aus dem konservierenden Sand<br />
Ägyptens, auf die sich die Menander-Philologie<br />
konzentriert – und nicht zu vergessen hundert Verse<br />
in eleganter Majuskelschrift des 4. Jahrhunderts auf<br />
zwei Pergamentblättern (heute in St. Petersburg),<br />
die der bekannte Bibelforscher KONSTANTIN VON TI-<br />
SCHENDORF bereits 1844 <strong>im</strong> Katharinenkloster auf<br />
dem Sinai fand; diese Herkunft und die Tatsache,<br />
dass teilweise auch sie syrisch überschrieben<br />
wurden, lassen hinsichtlich des neuen Menander<br />
<strong>im</strong> Vatikan aufhorchen.<br />
Syrisch über Griechisch, christliche Erbauungstexte<br />
über attischen Komödien – das steht nicht<br />
14<br />
für einen clash of cultures, nicht für mönchische<br />
Intoleranz, sondern ist in erster Linie Zeichen<br />
des Mangels. <strong>Der</strong> aus Tierhaut (besonders Ziege,<br />
Schaf) gewonnene Beschreibstoff Pergament war<br />
kostspielig; für einen größeren Band musste schon<br />
eine kleine Tierherde geopfert werden. Daher das<br />
Pal<strong>im</strong>psestieren, das mehr oder weniger gründliche<br />
Löschen der ursprünglichen Schrift (scriptio<br />
inferior) mit Schwamm oder B<strong>im</strong>sstein, damit die<br />
Blätter erneut beschriftet werden konnten (scriptio<br />
superior).<br />
Seit den sensationellen Pal<strong>im</strong>psest-Entdeckungen<br />
zu Beginn des 19. Jahrhunderts, etwa<br />
von CICEROS „De re publica“ <strong>im</strong> Vatikan durch<br />
ANGELO MAI, ist man bemüht, die untere Schrift<br />
durch technische Hilfsmittel sichtbarer zu machen.<br />
Den chemischen Tinkturen, die auf nachhaltige<br />
Beschädigung hinausliefen, folgten <strong>im</strong> 20. Jahrhundert<br />
schadfreie Spezialfotografie und ultraviolette<br />
Lampen. In den allerletzten Jahren sind<br />
erste gute Erfahrungen mit der multispektralen<br />
Digitalisierung gemacht worden, und in Europa ist<br />
ein kooperierendes Netzwerk zur digitalen Pal<strong>im</strong>psest-Forschung<br />
entstanden. Die Zeichen scheinen<br />
also nicht schlecht zu stehen für die Entzifferung<br />
des Menander <strong>im</strong> Vatikan, zu dessen Auffinden<br />
wir Francesco D’Aiuto gratulieren und auf dessen<br />
Veröffentlichung wir in Vorfreude warten.<br />
F. D’Aiuto hat inzwischen Näheres zum<br />
handschriftenkundlichen Hintergrund mitgeteilt:<br />
Graeca in codici orientali della Biblioteca Vaticana<br />
(con i resti di un manoscritto tardoantico<br />
delle commedie di Menandro), in: Tra Oriente e<br />
Occidente. Scritture e libri greci fra le regioni orientali<br />
di Bisanzio e l’Italia a cura di Lidia Perria,<br />
<strong>Rom</strong> 2003 (= Testi e studi bizantino-neoellenici<br />
XIV), S. 227-296 (hier 266-283 mit Tafeln 13-<br />
14).<br />
Anmerkung:<br />
1) <strong>Der</strong> Artikel erschien zuerst in: Neue Zürcher Zeitung,<br />
Internationale Ausgabe, Nr. 301, am Montag, dem 29.<br />
Dezember 2003, Feuilleton S. 16. Für die vorliegende<br />
Veröffentlichung wurde die ursprüngliche Überschrift<br />
vom Autor wiederhergestellt und der abschließende<br />
Satz hinzugefügt. <strong>Der</strong> Autor ist Professor für klassische<br />
Philologie an der Universität Hamburg. Er leitet<br />
ein EU-Projekt zur Pal<strong>im</strong>psest-Erschließung (vgl. http:<br />
//www.rrz.uni-hamburg.de/RV).<br />
DIETER HARLFINGER, Hamburg
Schöpfung<br />
<strong>Der</strong> kreative Mensch zwischen Glaube und Wissenschaft*<br />
„Schöpfung“ meint in unserer Sprache ein<br />
Zweifaches: den Vorgang des Schöpfens und das<br />
Produkt des Schöpfens. Spricht man allerdings<br />
von der Schöpfung schlechthin, so meint man<br />
die geschaffene Welt, die auf eine schöpferische<br />
Instanz zurückverweist.<br />
Das ist offensichtlich seit Urzeiten so; in den<br />
Mythen und Glaubensvorstellungen der Völker,<br />
den ersten Akten der schöpferischen Phantasie<br />
des Menschen, setzt die Welt mit dem Schöpfungsakt<br />
ein. Die Griechen und Römer etwa stellten<br />
sich am Anfang das „Chaos“, eine „ungeordnete<br />
Masse“ an Materie vor, in die eine Gottheit<br />
teilend, scheidend, gliedernd, zusammenballend,<br />
letztlich ordnend eingriff, so dass das „Chaos“ zu<br />
einem „Kosmos“ wurde, zu einem geordneten,<br />
schönen Gefüge.<br />
<strong>Der</strong> Schöpfungsbericht der Bibel, des Heiligen<br />
Buchs der Christen, beginnt mit: „Am Anfang<br />
schuf Gott H<strong>im</strong>mel und Erde. Die Erde war wüst<br />
und leer. Finsternis lag über der Urflut, und der<br />
Geist Gottes schwebte über den Wassern“. Auch<br />
hier griff in eine Art von chaotischem Zustand,<br />
der seit ehedem bestand, eine göttliche Instanz<br />
über mehrere Tage hin trennend, scheidend,<br />
bauend und ordnend ein, bis ein Werk entstanden<br />
ist, von dem sein Schöpfer sagen konnte: „Siehe,<br />
es war sehr gut.“ Auch hier ist am Ende eine<br />
schön geordnete Welt, ein Kosmos, entstanden.<br />
In dieser „schönen“ Welt ist – neben den<br />
Tieren und Pflanzen – auch der Mensch ein<br />
Produkt solcher Schöpfung, als einziges unter<br />
allen Lebewesen mit aufrechtem Gang ausgestattet,<br />
mit dem Blick zum H<strong>im</strong>mel gerichtet, <strong>im</strong><br />
wahren Sinn des Wortes herausragend, durch die<br />
ihn prägenden Potenzen: durch Geist, Sprache<br />
und freien Willen, und durch eine – aus diesen<br />
ihm erwachsende – ungeheure kreative Energie.<br />
Diese Vorrangstellung innerhalb der Schöpfung<br />
sollte ihm zum Glück, doch auch zur Gefährdung<br />
werden.<br />
Vieles ist gewaltig.<br />
Doch nichts ist gewaltiger<br />
als der Mensch.<br />
So hat bereits ein früher Dichter diese Allgewalt<br />
der menschlichen Schöpfungskraft in oft zitierte<br />
Worte gefasst. Seine Geistbegabung befähigte<br />
den Menschen zum Bau von Tempeln, Burgen,<br />
Städten, Kirchen, Domen und Schlössern, zum<br />
Verfassen von bleibenden Werken der Literatur,<br />
zur Gestaltung großartiger Zeugnisse der Plastik<br />
und Malerei wie überhaupt zum Herstellen all<br />
dessen, was das Leben auf dieser Erde möglich,<br />
erträglich und schön macht.<br />
Doch, wo die Freiheit des Willens besteht, da<br />
ist auch die Alternative zum Guten und Schönen<br />
da: das Übel, das Abartige. „Nichts aber ist<br />
ungeheurer als der Mensch.“ Auch so ließe sich<br />
das zitierte Dichterwort übersetzen und damit<br />
stärker die dunkle Seite seines Wesens markieren.<br />
Im antiken Mythos erhob sich der Mensch<br />
hybrishaft gegen die Macht der Götter, so dass<br />
das Böse in Gestalt von Streit, Mord und Krieg<br />
in die kosmische Ordnung einbrach. Prometheus,<br />
der den Göttern das Feuer gestohlen und mit ihm<br />
zusammen alle Künste den Menschen gegeben<br />
hat, ist dafür die Symbolfigur geworden. In der<br />
Bibel brachte die Schlange die ersten Menschen<br />
auf gegen das Verbot Gottes, so dass nach dem<br />
Verstoßen aus dem Paradies Mord, Totschlag,<br />
Krieg und Vernichtung gang und gäbe wurden.<br />
Kain, der seinen Bruder erschlug, ist dafür wohl<br />
eines der ausdrucksstärksten Sinnbilder geworden.<br />
Im antiken Mythos wie in der Bibel hat eine<br />
furchtbare Sintflut die aus der Ordnung geratene<br />
Erde vom sündigen Menschen befreit.<br />
Doch die, welche aus der großen Flut damals entkommen<br />
sind, gottesfürchtig und alles von Neuem<br />
besser beginnend, blieben <strong>im</strong> Besitz der Allgewalt<br />
ihres Geistes, ihrer Entscheidungsfreiheit, ihrer<br />
gottähnlichen Schöpferkraft. Und so war für die<br />
Nachfahren der Geretteten auch „der Weg bald zum<br />
Guten, bald zum Bösen“ weiterhin offen.<br />
Freilich, mögen auch die Besten <strong>im</strong> Geiste<br />
schon früh – vor etwa 2 1/2 Jahrtausenden – versucht<br />
haben, tiefsinnend der Schöpfung auf die<br />
Spur zu kommen und, wie es GOETHE ausgedrückt<br />
hat, zu erkennen, „was die Welt <strong>im</strong> Innersten<br />
zusammenhält“, – man berechnete Sonnenfinster-<br />
15
nisse voraus, man „entdeckte“ in der Theorie die<br />
Atome als die Grundbausteine der Welt –, so blieb<br />
doch eines tabu: die Erde; sie war den Menschen<br />
heilig; man verehrte sie wie eine Göttin, als „die<br />
Mutter Erde“.<br />
In ihre „Eingeweide einzudringen“, galt als<br />
Verbrechen; wer die von Göttern durchwaltete<br />
Ordnung des Kosmos, in dessen Mitte man die<br />
Erde sah, störte, wurde bestraft. Ikarus, der sich<br />
mit dem von seinem schöpferischen Vater geschaffenen<br />
Flügeln aus ihrem Bannkreis hin zur Sonne<br />
befreien wollte, stürzte kläglich ab.<br />
Prometheus, der sich auflehnend gegen alle<br />
göttliche Macht und in seinem schöpferischen<br />
Drange aus dem Lehm der Erde Menschen formte,<br />
wurde für Tausende von Jahren an die Felsen des<br />
Kaukasus geschmiedet, wo ihm täglich ein Adler<br />
die Leber aushackte. <strong>Der</strong> Eingriff in die Schöpfung<br />
war verpönt.<br />
An dieser Heiligkeit der Erde wurde über die<br />
Jahrhunderte hin – auch und gerade <strong>im</strong> Raum der<br />
Christenheit – unabdingbar festgehalten, bis zu<br />
jenem Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, in<br />
der sich die bislang größte Revolution <strong>im</strong> Denken<br />
und Handeln der Menschen und der gewaltigste<br />
Umsturz <strong>im</strong> Umgang mit der Schöpfung vollzog,<br />
in der sog. „Kopernikanischen Wende“. Hier hat<br />
am Beginn der Neuzeit (15./16. Jh.) ein kreativ<br />
denkender, findiger Mann vom Osten Europas aus<br />
über den Kontinent hin seinen Ruf „Terra movetur“<br />
(„Die Erde bewegt sich“) geschickt, der aus<br />
den verstörten Universitäten schrill widerhallte<br />
und auch die Fenster des Vatikans zum Klirren<br />
brachte. So schockierend war seine neue Botschaft.<br />
Das Werk des NIKOLAUS KOPERNIKUS: „De<br />
revolutionibus orbium caelestium“, in dem das<br />
heliozentrische Weltbild begründet wurde, geriet<br />
zwar bald auf die Liste der verbotenen Bücher,<br />
aber seine Erkenntnis wurde von GALILEO GALILEI<br />
und JOHANNES KEPLER verfeinert, vervollständigt<br />
und rasch weit verbreitet.<br />
Die Folge war: Alles Bisherige, was seit der<br />
<strong>Antike</strong> und in der Kirche als Überzeugung galt,<br />
wurde auf den Kopf gestellt. Die Sonne, nicht die<br />
Erde rückte in den Mittelpunkt des Universums. Die<br />
Erde wurde säkularisiert, ihrer Heiligkeit beraubt,<br />
der Mensch verlor seine Vorrangstellung in der<br />
Schöpfung, „er rollte“, wie es FRIEDRICH NIETZSCHE<br />
16<br />
ausdrückte, „aus dem Zentrum ins X“. Doch der<br />
solchermaßen entwürdigte Mensch sprengte sich<br />
– prometheisch getrieben – aus den Fesseln der<br />
Vergangenheit frei hin zu etwas bis dahin Unfassbarem:<br />
zur Beherrschung der Natur, zum Eingriff<br />
in die Erde, die sich nun nicht mehr als „Mutter“,<br />
sondern als „Stiefmutter“ zu begreifen hatte.<br />
Die Natur wurde zum Objekt der Forschung<br />
und Ausbeutung. „Man muss die Natur auf die<br />
Folterbank spannen, um ihr die Gehe<strong>im</strong>nisse abzupressen“,<br />
so drastisch hat es der Engländer FRANCIS<br />
BACON ausgedrückt, jener Mann, in dem man heute<br />
den eigentlichen Promotor des naturwissenschaftlichen<br />
Zeitalters sieht. Ihm ging es nicht um Theorie,<br />
sondern um Praxis, um die praktische Anwendung<br />
der der Natur abgerungenen Gehe<strong>im</strong>nisse. Solches<br />
Wissen bringt Macht: Scientia est potentia. Sein Satz<br />
wurde zum geflügelten Wort.<br />
Die Herrschaft über die Natur, der sensationelle<br />
Eingriff in das Schöpfungsgeschehen, verhalf dem<br />
Menschen zur Herrschaft über die Welt. Nichts<br />
und niemand stellten sich dieser sich machtvoll<br />
entladenden schöpferischen Energie des Menschen<br />
in den Weg. Selbst aus der Bibel, und zwar<br />
aus dem Schöpfungsbericht, holte man sich die<br />
Legit<strong>im</strong>ation dazu: „Wachset und mehret euch<br />
und macht euch die Erde untertan!“ (Gen. 1, 28)<br />
Darin sah man den Herrschaftsauftrag Gottes an<br />
den Menschen – zum dominium terrae. <strong>Der</strong> schöpferische<br />
Mensch wurde zum perfekten Nachahmer<br />
des Schöpfergottes. Die antike Gestalt des Prometheus<br />
avancierte zum Prototypen des kreativen<br />
Menschen, jetzt war er endgültig das Symbol für<br />
den grenzenlosen Fortschritt geworden.<br />
Die Erde verwandelte sich rasant unter der<br />
Einwirkung der Technik, die sich, je mehr sie auf<br />
eine wissenschaftliche Grundlage gestellt wurde,<br />
um so stärker zur Technologie wandelte. Heute<br />
spricht man vom technologischen Zeitalter, in<br />
dem die Informationstechnologie die führende<br />
Rolle innehat. Die Erfolge dieser Entwicklung<br />
sind faszinierend, auf allen Gebieten steigert<br />
sich die menschliche Zivilisation. Wunderbares<br />
wird geschaffen, viel Heilloses beseitigt. Doch<br />
die kreative Potenz ist nicht nur den guten Weg<br />
gegangen. Das Unheil potenzierte sich in Krieg,<br />
Terror und Vernichtungsstrategien. Und die Natur,<br />
der entgöttlichte Teil <strong>im</strong> Schöpfungswerk des Alls,
leidet zunehmend unter den Folterqualen des Menschen.<br />
Längst hat sie sich zu wehren begonnen.<br />
Für HORST SIEBERT, einem Kulturkritiker, ist<br />
Prometheus heute daran, in seinem grenzenlosen<br />
Erfindungsstrieb dem Menschengeschlecht die<br />
Zukunft zu nehmen. Auf einem Forschungsgebiet,<br />
dem der Genetik, der Erforschung der<br />
menschlichen Erbanlagen, wird die Paradoxie<br />
des menschlichen Schöpfungsdranges in aller<br />
Schärfe deutlich. Kreativität ist auf Einmaligkeit<br />
angewiesen, auf Individualität, auf dem So-undnicht-anders-Sein<br />
des Geschaffenen, auf dessen<br />
Unwiederholbarkeit. All dies setzt den einmaligen,<br />
individuellen Menschen voraus. Die biotechnische<br />
Höchstleistung, nämlich das sogenannte Klonen,<br />
kann und will den Menschen, gerade die kreativ<br />
Begabtesten in total identischer Form verdoppeln,<br />
ja vervielfachen.<br />
Solche identischen Menschen schaffen nur<br />
Identisches. Nichts entsteht mehr, was individuell,<br />
nur einer Person zugehörig ist. Nie mehr wird es<br />
dann die einmalige Schöpfung geben, etwa BACHS<br />
Fugen, PICASSOS Friedenstaube, die Venus von Milo,<br />
den Eiffelturm, die Akropolis, die Peterskirche, den<br />
Isenhe<strong>im</strong>er Altar. Alle schreiben dasselbe Gedicht,<br />
malen dasselbe Bild, gestalten denselben Garten.<br />
Die <strong>im</strong> göttlichen Schöpfungsakt an den Menschen<br />
vermittelte Schöpfungskraft hebt sich in der Identität<br />
des Geschaffenen, in dessen Wiederholtheit zwangsweise<br />
auf. <strong>Der</strong> kreative Mensch ist daran, sich die<br />
Option auf eine menschengemäße, lebenswerte<br />
Zukunft zu nehmen. <strong>Der</strong> geklonte Mensch, heute<br />
bereits eine reale Möglichkeit, wird ein Unmensch<br />
sein, ein Ungeheuer, zugleich ein schrilles Signal,<br />
das eine Perversion der Schöpfung anzeigt.<br />
Es ist wahr geworden, was GOETHE einst seinem<br />
Prometheus in den Mund gelegt hat: „Hier sitze<br />
ich, forme Menschen nach meinem Bilde ...“<br />
Dieser prometheische Hochmut verstärkt die<br />
Schreckensvision vom Ende der Menschheit.<br />
„Und der Geist des Menschen irrlichterte<br />
als Totengespenst über dem Chaos. Tief unten,<br />
in der Hölle, aber erzählte man sich die spannende<br />
Geschichte von dem Menschen, der seine<br />
Zukunft in die Hand nahm, und das Gelächter<br />
dröhnte hinauf bis zu den Chören der Engel.“<br />
JÖRG ZINK, der dem Schöpfungsbericht eine<br />
umgekehrte Folge gegeben hat – vom Kosmos<br />
zum Chaos –, lässt mit diesen Sätzen seine Version<br />
der Geschichte des Menschen enden.<br />
Verständlich ist es deshalb, wenn man sich heute<br />
jeder Vergewaltigung der Natur <strong>im</strong> Menschen und<br />
um den Menschen massiv widersetzt. <strong>Der</strong> Freiheit<br />
und Willkür wird ein Prinzip entgegengestellt, das<br />
die menschliche Zukunft vorherrschend best<strong>im</strong>men<br />
soll: das Prinzip Verantwortung. Da stellt sich<br />
freilich mit aller Schärfe die Frage: Kann sich der<br />
heute autonom auftretende Mensch, der sich nur<br />
sich selbst verpflichtet fühlt, aus eigener Kraft in<br />
Schranken halten. Prometheus gehöre, so hat es<br />
ein Naturwissenschaftler selbst ausgedrückt, auf<br />
Halbration gesetzt, er müsse sich bremsen, er<br />
müsse sich manches Schöpfbare versagen.<br />
Aber muss er dazu nicht seine Auflehnung<br />
gegen die göttliche Macht, nach antikem Mythos<br />
gegen den großen Zeus rückgängig machen?<br />
Allgemein gesagt: Bedarf es hier nicht einer<br />
höheren, überindividuellen Instanz, die den Menschen<br />
in die Pflicht der Verantwortung n<strong>im</strong>mt?<br />
Im materalistisch-mechanistischen Weltbild der<br />
Naturwissenschaften gibt es eine solche Instanz<br />
nicht. Für sie vollziehen sich in der Schöpfung<br />
nur Zufall oder Notwendigkeit. Ein Gott als erste<br />
Ursache der Schöpfung existiert für sie nicht,<br />
weder außerhalb des Universums noch innerhalb.<br />
Eine Welt ohne Gott hat freilich keinen<br />
Sinn. „Je begreiflicher uns das Universum wird,<br />
umso sinnloser erscheint es uns.“ So nüchtern<br />
hat es der Nobelpreisträger für Physik STEPHEN<br />
WEINBERG 2002 in seinem Buch „Die ersten drei<br />
Minuten“ ausgedrückt. Aus einer sinnlosen Welt<br />
kommt jedoch für niemanden ein Impuls zu einer<br />
sich selbst beschränkenden Haltung.<br />
Diese Sinnlosigkeit der Schöpfung ist für jeden<br />
einzelnen zugleich trostlos, da er „sein Dasein nur<br />
als eine aus einer Kette von Zufällen sich ergebende<br />
Farce“ (Weinberg) verstehen muss; sie hat<br />
deshalb verständlicherweise die Theologen und<br />
Philosophen auf den Plan gerufen. Die Welt, die<br />
vor 15 Milliarden Jahren durch eine unvorstellbar<br />
gewaltige Explosion, dem sog. Urknall enststanden<br />
ist, wandelte sich aus einem Zustand des Chaos in<br />
ein berechenbares System von Planeten, Sonnen<br />
und Galaxien, gewann also Ordnung, entwickelte<br />
sich zu einer Art Kosmos – wobei wir die Analogie<br />
zu den mythischen Vorstel1ungen der Menschheit<br />
17
erkennen. Schöpfung gibt es nach dieser sog.<br />
Chaos-Theorie nur als Prozess, ein geschaffener<br />
Endzustand wird niemals erreicht.<br />
<strong>Der</strong> französische Theologe und Philosoph JEAN<br />
GUITTON hat nun in einem Gespräch mit Physikern,<br />
das er in seinem anerkannten Buch „Gott und die Wissenschaft“<br />
(2000) niedergeschrieben hat, die scharfsinnige<br />
Frage gestellt: Wenn die Physik heute alles,<br />
was sich n a c h der Schöpfung vollzog und vollzieht,<br />
ergründen kann, aber in Hinsicht auf das, was<br />
v o r der Schöpfung war, die Grenzen ihrer<br />
Erkenntnis zugibt, kann es dann nicht eine Realität<br />
jenseits der naturwissenschaftlichen Erkenntnis<br />
geben, eine Transzendenz, eine schöpferische<br />
Energie, die sich als Gott begreifen lässt, kann<br />
„das Universum dann nicht einen Sinn haben“, von<br />
dem aus der Mensch in einem winzigen Teil dieses<br />
Universums lebend seinen eigenen Sinn erfahren<br />
kann, der ihn dazu verpflichtet, für sich und seinen<br />
Lebensraum, für die Schöpfung auf eine erträgliche<br />
Zukunft hin zu sorgen. Die Verantwortung als<br />
der nötige Widerpart der Freiheit hätte darin seine<br />
tiefere, letztlich religiöse Verankerung.<br />
Das Prinzip Verantwortung hat angesichts der<br />
angedeuteten Gefährdung von Mensch und Natur<br />
heute eine völlig neue D<strong>im</strong>ension bekommen.<br />
Erstmals in der Geschichte der Menschheit ist die<br />
Zukunftsperspektive eine notwendige Kategorie<br />
für den schöpferischen Menschen geworden. HANS<br />
JONAS, einer der bedeutendsten Philosophen des<br />
letzten Jahrhunderts, anerkannt durch sein Buch<br />
„Das Prinzip Verantwortung“ (1986), weist mit<br />
Nachdruck darauf hin: „Die traditionelle Ethik<br />
hatte es mit dem Hier und Jetzt zu tun“, das durch<br />
sie best<strong>im</strong>mte Handeln war bisher „keine Sache<br />
entfernter Planung“; deshalb formulierte er einen<br />
neuen kategorischen Imperativ:<br />
„H a n d l e s t e t s s o , d a s s d i e W i r -<br />
k u n g e n d e i n e r H a n d l u n g e n v e r -<br />
t r ä g l i c h s i n d m i t d e r P e r m a n e n z<br />
e c h t e n m e n s c h l i c h e n L e b e n s a u f<br />
E r d e n . “<br />
Offensichtlich ein so gewichtiger Satz des vergangenen<br />
Säkulums, dass man ihn vor kurzem als<br />
Leitwort auf eine deutsche Briefmarke gesetzt<br />
hat. „Voraussicht und Verantwortung“ sind heute<br />
zu gleichgewichtigen Prinzipien <strong>im</strong> Umgang mit<br />
der Schöpfung geworden.<br />
18<br />
Die Exegeten der Bibel ziehen am gleichen Strang;<br />
vor dem Hintergrund des problematisch gewordenen<br />
Verhältnisses zwischen Menschen und Natur<br />
haben sie die Aussageabsicht des Schöpfungsberichtes<br />
heute genauer und umfassender unter die<br />
Lupe genommen. Darin wird der Mensch, da er<br />
ja hier dre<strong>im</strong>al als Ebenbild Gottes angesprochen<br />
wird, in einer Funktionsanalogie zu Gott gesehen;<br />
wie Gott für die Erde sorgt und in ihr das Ergebnis<br />
einer guten Tat von sich sieht („Und er sah dass,<br />
alles gut war“), so ist auch dem Menschen eine<br />
Fürsorgepflicht auferlegt.<br />
Neben dem Herrschaftsauftrag hat er daher<br />
auch einen „Gärtnerauftrag“, den man aus einer<br />
anderen Stelle der biblischen Genesis erschlossen<br />
hat (Gen. II 4b-25). Hier heißt es: „Gott hat<br />
den Menschen in das Paradies gestellt, auf dass<br />
er es bearbeite und bewahre“. Das bedeutet: <strong>Der</strong><br />
Mensch steht auch nach der biblischen Aussage in<br />
der Ausübung seiner Schöpferkraft in einer Verantwortung<br />
gegenüber der Natur, d. h. gegenüber<br />
der Schöpfung und gegenüber sich selbst als Teil<br />
dieser Schöpfung.<br />
In der heute verdüsterten St<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Verhältnis<br />
Mensch und Natur hat urplötzlich ein altehrwürdiges<br />
Dokument von neuem Rang und Geltung<br />
bekommen: FRANZ VON ASSISIS „Sonnengesang“,<br />
die schönste Dichtung, wie man gesagt hat, der<br />
italienisch-lateinischen Literatur des Mittelalters.<br />
<strong>Der</strong> canto di sole – gewiss Dokument einer naiven<br />
Vorstellung von Gottes Schöpfung, aber doch ein<br />
erwärmender Kontrapunkt gegen das eiskalte Weltbild<br />
der Naturwissenschaft heute. Weit vor der Zeit<br />
der Kopernikanischen Wende verfasst (<strong>im</strong> 11./12.<br />
Jh.), stellt das kleine Werk einen Hymnus auf die<br />
Schöpfung dar und auf den, der ihre Ursache ist.<br />
Daraus seien ein paar Strophen zitiert:<br />
Höchster, allmächtiger, guter Herr,<br />
dein sind Lob, Ruhm, Ehre und aller Preis.<br />
Dir allein sind sie geschuldet.<br />
Und kein Mensch ist würdig, dich<br />
mit Namen zu nennen.<br />
Gelobt seist du mein Herr, wegen aller Geschöpfe,<br />
und besonders wegen unseres<br />
ehrbaren Bruders Sonne,<br />
die es Tag werden lässt und<br />
uns leuchtet durch ihr Licht.
Schön ist sie und strahlend und von großem Glanz<br />
und sie trägt von dir, Herr, ein Zeichen an sich.<br />
<strong>Der</strong> Hymnus wendet sich an den Herrn, der sich,<br />
da außerhalb oder über der Schöpfung stehend,<br />
nicht mit einem irdischen Namen benennen lässt;<br />
man kann ihn nur erahnen. Die Sonne, das für den<br />
Menschen sichtbarste und <strong>im</strong>posanteste Phänomen<br />
in der ganzen Schöpfung, das am Höchsten stehende<br />
„Werk“ in der Hierarchie aller Geschöpfe, weist zeichenhaft<br />
auf die Existenz dieser unsagbaren Instanz<br />
hin, sie ist ein Symbol dafür (porta significatione<br />
– symbolum praefert). Diese Sonne wird <strong>im</strong> Verbund<br />
mit den anderen Kreaturen der Welt in einem Verwandtschaftsverhältnis<br />
zum Menschen gesehen. Sie<br />
werden bezeichnet als „Bruder Sonne“, „Schwester<br />
Mond“, „Bruder Wind“, „Schwester Wasser“,<br />
„Bruder Feuer“. Wenn die Erde als „unsere Mutter“<br />
(nostra matre terra) angesprochen wird, so ist ihr<br />
hier eine herausgehobene Position zugewiesen; sie<br />
ist das Geschöpf (creatura), das den Menschen trägt,<br />
ihn mütterlich nährend erhält:<br />
Gelobt sei mein Herr wegen unserer Mutter Erde,<br />
die uns trägt und nährt und<br />
verschiedene Früchte hervorbringt<br />
und buntfarbene Blumen und Kräuter.<br />
Die Mutter Erde (terra mater) erscheint unantastbar,<br />
sakrosankt; <strong>Der</strong> Mensch begegnet ihr und den<br />
anderen Geschöpfen, als gehörten sie wie in einer<br />
Familie zusammen. Die Natur ist dem Menschen<br />
nicht Umwelt, sondern Mitwelt. Für Franziskus liegt<br />
ein verletzender Eingriff in sie außerhalb jeder Vorstellung.<br />
Die ganze Schöpfung erscheint hier – aus<br />
dem Geiste der Bibel, nicht aus dem Wortlaut des<br />
Schöpfungsberichtes abgeleitet – als ein Kosmos,<br />
eine schöne Ordnung, in deren Harmonie das Leben<br />
und Sterben des Menschen sinnvoll einbezogen sind.<br />
Heute gilt der canto di sole als das christliche Manifest<br />
für die Ehrfurcht vor der Schöpfung, aus dem<br />
mehrere weltweit wirkende Organisationen zum<br />
Schutz der Natur ihre Legit<strong>im</strong>ation beziehen, z. B.<br />
TERRA MATER oder SORELLA NATURA. Franziskus, der<br />
Schöpfer des Hymnus, ist 1992 zum Schutzpatron<br />
der Ökologie proklamiert worden.<br />
Die Menschen singen heute in und außerhalb<br />
der Kirche das „Laudato si, mi signore“<br />
mit Vorliebe. Warum? Sie sind alle sensibler<br />
geworden für die Gefährdung der Schöpfung,<br />
also der natürlichen Grundlagen ihrer Existenz.<br />
<strong>Der</strong> Hymnus stillt ihr Bedürfnis nach Frieden mit<br />
der Natur. Und er gibt Trost. Aus ihm strahlt, vom<br />
kranken Franziskus auf dem Sterbebett seinen<br />
Freunden singend mitgeteilt, ungebrochener<br />
Opt<strong>im</strong>ismus. Schöpfung als Prozess, bei dem<br />
aus Chaos Kosmos wird, hat von sich aus <strong>im</strong>mer<br />
einen Zug zum Opt<strong>im</strong>istischen. <strong>Der</strong> Sonnengesang<br />
ist gleichsam ein Kontrastprogramm zum<br />
bedenklichen Kulturpess<strong>im</strong>ismus unserer Zeit.<br />
Wer sich deshalb heute schöpferisch betätigt,<br />
schreibend, malend, komponierend, gestaltend,<br />
bauend, spielend, vollzieht gewissermaßen – in<br />
ähnlich opt<strong>im</strong>istischer St<strong>im</strong>mung – einen kosmischen<br />
Gestus; er macht Chaos zu Kosmos. Im<br />
Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verantwortung,<br />
n<strong>im</strong>mt er – bewusst oder unbewusst – seine<br />
dem großen Schöpfer analoge Funktion wahr.<br />
<strong>Der</strong> schöpferische Mensch repräsentiert seine<br />
herausragende Stellung in der Schöpfung in der<br />
ihm eigentümlichsten Weise.<br />
Bedenken wir zudem eine Erkenntnis der<br />
modernen Psychologie: Weil heute dem Menschen<br />
alle schematisierbaren Denk- und Handlungsabläufe<br />
durch die Maschine, d. h. vornehmlich durch<br />
den Computer abgenommen werden, tritt uns fast<br />
ausschließlich nur noch in der Kreativität, in der<br />
Schöpferkraft seine Besonderheit, seine Einmaligkeit<br />
entgegen. In ihr manifestiert sich deshalb ein<br />
wesentliches Stück dessen, was den Menschen trägt<br />
und prägt: seine Würde und seine Humanität.<br />
Deshalb gilt meine Gratulation all den Künstlerinnen<br />
und Künstlern, die das Gehe<strong>im</strong>nis der Schöpfung<br />
– eine gar nicht leichte Aufgabe – in ihren<br />
Werken schöpferisch zu bewältigen versuchen.<br />
*) <strong>Der</strong> vorliegende Beitrag wurde als Referat zur Eröffnung<br />
einer Kunstausstellung in München 2003 gehalten.<br />
Da hier großenteils antike, meist lateinische Texte<br />
zugrundeliegen, sei er hier als Orientierung für ein<br />
kleines Unterrichtsprojekt „Mensch und Natur“ angeboten.<br />
Diese Thematik n<strong>im</strong>mt in der Rankingliste von<br />
10 existentiellen Leitfragen, die an Schüler und Eltern<br />
gerichtet worden sind, einen vorrangigen Platz ein; vom<br />
Fach Latein (zusammen mit Griechisch) aus ließen sich,<br />
sollte man ein fächerübergreifendes Projekt planen, gute<br />
Verbindungen zu den Disziplinen Religion, Philosophie,<br />
Kunsterziehung und Biologie herstellen.<br />
FRIEDRICH MAIER, Puchhe<strong>im</strong><br />
19
Die stoische Einheit der Ethik und Kosmologie<br />
in einem didaktischen <strong>Vergleich</strong> mit Platon und Epikur<br />
Nach meinem letzten Beitrag für das FORUM<br />
CLASSICUM bin ich gebeten worden, für die Schule<br />
solche Themen hier auch einmal didaktisch aufzubereiten.<br />
Dazu gibt es viele Möglichkeiten.<br />
Mit einer von diesen Möglichkeiten komme ich<br />
heute der Bitte nach. <strong>Der</strong> didaktische <strong>Vergleich</strong><br />
der Ethik und der Kosmologie der Stoa mit der<br />
PLATONS und EPIKURS findet zwischen elementaren<br />
Begriffen statt, die wesentliche Einsichten in<br />
die philosophischen Systeme unmittelbar ermöglichen<br />
und es gestatten, ihnen weitere Aussagen<br />
des jeweiligen philosophischen Systems zuzuordnen<br />
und den Sinn des Ganzen zu erschließen.<br />
Praktischer Teil<br />
<strong>Der</strong> Begriff „Lebensgefühl“<br />
In manchen Abhandlungen wird auf das Lebensgefühl<br />
und die daraus hervorgehenden ersten<br />
Anschauungen als Anfang aller hier zu behandelnden<br />
Systeme verwiesen, aber von einer systematischen<br />
Verwendung dieses Begriffes kann<br />
keine Rede sein. Denn zu unterscheiden ist das<br />
Lebensgefühl einer Kulturepoche von dem eines<br />
jeden einzelnen Individuums. Be<strong>im</strong> Lebensgefühl<br />
des einzelnen Individuums unterscheidet<br />
man wieder dasjenige, das sich auf die Welt<br />
richtet und aus dem sich ein erstes We l t v e r -<br />
s t ä n d n i s ergibt, von demjenigen, das sich auf<br />
das Menschsein richtet und aus dem ein erstes<br />
S e l b s t v e r s t ä n d n i s hervorgeht.<br />
ZENON, der Gründer der stoischen Schule, sieht<br />
von seinem Lebensgefühl aus das Weltgeschehen<br />
teleologisch. Er sieht diese eine Welt und ihren<br />
Weltlenker innerhalb dieser Welt. Zenons Nachfolger<br />
<strong>im</strong> Scholarchat, KLEANTHES, fasst diesen<br />
Weltlenker persönlich, wie sein Zeus-Hymnus<br />
zeigt. PANAITIOS interessiert diese Frage kaum.<br />
SENECA sieht den Weltlenker ebenso persönlich,<br />
sieht ihn jedoch nicht in der Immanenz, sondern<br />
in der Transzendenz mit innerweltlicher Parusie.<br />
Seneca wird auch als „platonisierender“ Stoiker<br />
bezeichnet: Er rezipierte PLATONS Gottes- und<br />
Menschenbild, keineswegs aber dessen Weltbild.<br />
Daraus ergab sich eine ganz persönliche und<br />
humane Ethik. (Siehe FORUM CLASSICUM 2001/3!<br />
<strong>Der</strong> Umfang unseres Themas macht aufgrund<br />
20<br />
des hier zur Verfügung stehenden Raumes solche<br />
Hinweise mehrmals erforderlich.)<br />
Die Stoa kennt nicht die Autorität, auf die<br />
alle schwören und von der niemand abweicht.<br />
Sie kennt nicht das α�τ�� �φα („Er selbst hat<br />
es gesagt“) des Kepos, sondern kennt, wie wir<br />
sehen, viele Gestaltungen ihrer Lehre. Deshalb<br />
ist der Begriff „Lebensgefühl“ für das Verstehen<br />
der Stoiker so bedeutsam, weil jede Persönlichkeit<br />
aus ihrem eigenen Lebensgefühl heraus zu<br />
ihren Anschauungen über Gott, Mensch und<br />
Welt kommt und aus ihnen (als den Axiomen)<br />
ihr System entwickelt, mögen die Unterschiede<br />
nun groß oder gering sein. Die hier und da<br />
<strong>im</strong>mer noch verfochtene „Einheit der g e s a m -<br />
t e n s t o i s c h e n L e h r e “ ist allerdings ein<br />
Postulat, keine historische Tatsache. Bei den<br />
Scholarchen der Akademie und des Peripatos<br />
verhält es sich bekanntlich nicht anders.<br />
Anders steht es mit dem zweiten von uns angeführten<br />
Lebensgefühl, das auf Lebensinhalt und<br />
Lebenssinn des Menschseins gerichtet ist. Es hat<br />
mit seinem einheitlichen und nie eingeschränkten<br />
Grundsatz, dass der Mensch von Natur aus ein<br />
„Gemeinschaftswesen (�����ν κ�ινωνικ�ν)“ sei,<br />
<strong>im</strong> Gegensatz zu den vorherigen Ausführungen<br />
über Welt und Weltlenkung eine große Gemeinsamkeit<br />
unter den Stoikern geschaffen und wurde<br />
zu einem Charakteristikum der Schule. Dieser<br />
Gedanke des Gemeinschaftswesens führte sogar<br />
zur Idee einer Kosmopolis. PANAITIOS glaubte,<br />
diese <strong>im</strong> Römischen Reich verwirklicht zu sehen,<br />
und Seneca dachte (in De otio) an einen Weltstaat,<br />
den wir „mit dem Lauf der Sonne messen“.<br />
Die Situation der grundsätzlichen<br />
Entscheidung<br />
<strong>Der</strong> Stoiker drängt auf die Bildung der Staatsgemeinschaft,<br />
wie groß oder klein auch <strong>im</strong>mer<br />
sie sein soll, aber er weiß auch um die durch den<br />
Schöpfer teleologisch gelenkten Welt. Damit<br />
ist eine Situation gegeben, die eine grundsätzliche<br />
Entscheidung verlangt. Denn der Wille<br />
zur Staatsgemeinschaft kann sich nicht unbekümmert<br />
entfalten, sondern muss sich mit der<br />
Teleologie dieser Welt – wie der Epikureer mit
dem Kausalmechanismus dieser Welt – auseinandersetzen<br />
und sich für eine Lebensgestaltung <strong>im</strong><br />
Arrangement mit ihr entscheiden. Die Kardinalfrage<br />
lautet: Inwieweit geht die menschliche Willensfreiheit?<br />
<strong>Der</strong> Stoiker stellt weitere Fragen:<br />
Inwieweit sind Vorsehung (πρ�ν�ια) und Schicksal<br />
(ε�µαρµ�νη) deterministisch zu verstehen?<br />
Inwieweit gibt der Weltlenker seinen Willen zu<br />
erkennen? Inwieweit ist das Handeln des Menschen<br />
in die Vorsehung und den Schöpfungsplan<br />
Gottes miteinbezogen? etc. <strong>Der</strong> Epikureer weiß,<br />
das blinde Gesetz der ewigen Bewegung lenkt<br />
alles; der Stoiker hingegen weiß, die Vorsehung<br />
lenkt alles zum Besten. Letzteres unterliegt bei<br />
PLATON a priori nicht dem geringsten Zweifel,<br />
aber für ihn hat Gott einen kosmischen Widersacher<br />
(siehe FORUM CLASSICUM 2002/3). Diese<br />
Fragen zeigen uns, wie sehr es bei der hier zu<br />
treffenden Entscheidung auf die einzelne Persönlichkeit<br />
ankommt.<br />
Das Arrangement Mensch-Kosmos<br />
und die Philosophie<br />
Dieses zu gestaltende Arrangement Mensch-<br />
Kosmos wird daher zum Hauptgegenstand<br />
des Philosophierens. Zwar besitzt der Mensch<br />
die Vernunft, die ihm in der Stoa als Teil der<br />
göttlichen Vernunft (als λ�γ�� σπερµατικ�� =<br />
Samenteil), von Geburt mitgegeben ist, aber philosophieren<br />
muss er selbst. Dabei gibt die Welt<br />
ihm nicht nur zu erkennen, dass das Weltgeschehen<br />
nach best<strong>im</strong>mten Zwecken verläuft, sondern<br />
die höchste Vernunft zeigt sich dem Stoiker auch<br />
als das „Vernunftgesetz“. Diese dem Menschen<br />
gegebenen Orientierungshilfen sieht Platon in der<br />
Wiedererinnerung der unsterblichen Seele an die<br />
einst geschauten Ideen. Epikur hingegen ist von<br />
solchen Vorgaben gar nicht überzeugt und will<br />
seine Lebensgestaltung daher ganz aus eigener<br />
Kraft schaffen. Ein anschauliches Beispiel dafür<br />
bietet die Geschichtsphilosophie in LUKREZens<br />
V. Buch.<br />
Wie hat nun die Philosophie aufgrund dieser<br />
Vorgaben über das Arrangement Mensch-Kosmos<br />
gedacht? Einen allgemeinen, aus ihrer Kosmologie<br />
sich logisch ergebenden ethischen Satz<br />
hat die stoische Philosophie dem Arrangement<br />
zugrunde gelegt: „In Übereinst<strong>im</strong>mung mit der<br />
Welt und dem ihr <strong>im</strong>manenten Lenker (= mit der<br />
„Physis“) leben! (�µ�λ�γ�υµ�νω� τ�� φ�σει<br />
��ν)“ 1 Dieser Grundsatz gilt als die condicio,<br />
sine qua non. Aber was bedeutet hier der Begriff<br />
„Übereinst<strong>im</strong>mung“ – auch „Homologie-Begriff“<br />
genannt? Diese Frage ist nur durch die Kosmologie<br />
zu beantworten. Bevor wir aber an die Beantwortung<br />
dieser Frage gehen, wollen wir feststellen,<br />
wie denn Platon und Epikur über dieses für<br />
ein ganzes Leben zu gestaltende Arrangement<br />
Mensch-Kosmos gedacht haben.<br />
In der platonischen wie in der epikureischen<br />
Anschauung steht der Mensch mit seiner Lebensgestaltung<br />
innerhalb der Welt ebenso vor einer<br />
grundsätzlichen Entscheidung: für die Welt der<br />
Ideen oder für die Welt der Atome? Aber einen<br />
Homologie-Begriff gibt es in beiden Anschauungen<br />
dafür nicht annähernd. Da Epikur <strong>im</strong> Weltlauf<br />
kein sinnvolles Geschehen sieht, kann sein ethischer<br />
Grundsatz nur lauten, sich mit dieser Welt<br />
eben nicht zu arrangieren, sondern sich von ihr<br />
zurückzuziehen bis zur punktförmigen Isolation:<br />
„Lebe zurückgezogen! (Λ�θε �ι�σα�).“ Platon<br />
hingegen will die Reform des Staatslebens, eine<br />
Übereinst<strong>im</strong>mung des Menschen mit der Ideenwelt<br />
wäre jedoch nach seinen Erfahrungen mit<br />
der damaligen Polis viel zu ideal gewesen, als<br />
dass er sie je für möglich gehalten hätte. Auch die<br />
Wiedererinnerung an die einst geschauten Ideen<br />
führt noch nicht zu einer Übereinst<strong>im</strong>mung, allenfalls<br />
zu einer „Annäherung, einem Ähnlichwerden<br />
(�µ��ωσι�)“.<br />
Die platonische „Annäherung (�µ��ωσι�)“ und<br />
die epikureische „Isolation (λ�θε �ι�σα�)“ haben<br />
sich wie die stoische Homologie (�µ�λ�γ�α) als<br />
Lebensperspektiven zu bewähren. Über ihre<br />
Auslegung an der Realität des Lebens und ihre<br />
Durchsetzung gegen die Widerstände des Lebens<br />
ernsthaft nachzudenken, das ist Aufgabe des Einzelnen.<br />
Die Verwirklichung dieser Aufgabe ist an<br />
seine Tugend gebunden, d. h. an eine einsichtsvolle,<br />
durchsetzungswillige und maßvolle Haltung.<br />
Denn mit dieser Haltung gelingt die platonische<br />
Wiedererinnerung an die Ideenwelt, gelingt in<br />
der Isolation die epikureische Lustkalkulation auf<br />
dem Wege zum Freisein von jeglicher Belastung,<br />
gelingt die stoische Übereinst<strong>im</strong>mung mit der Welt<br />
und ihrem Lenker.<br />
21
Dass das ununterbrochen gelingt, dagegen spricht<br />
allerdings die menschliche Erfahrung mit den<br />
Affekten. Sie sind in der Lage, wirkliche Erkenntnis<br />
und richtiges Handeln zu vermindern oder gar<br />
zu verhindern. Dass jemand die Voraussetzungen<br />
des stoischen Systems anerkennt, dann aber nicht<br />
aus einem Affekt, sondern aus kühler Berechnung<br />
und voller Absicht gegen ihre Lehren verstoßen<br />
will, das glaubt die Stoa wegen ihrer streng<br />
logischen Kosmologie nicht.<br />
Welche kosmologischen Begriffe liegen dem<br />
Homologie-Begriff zugrunde?<br />
Die Frage nach der tieferen Bedeutung des stoischen<br />
Homologie-Begriffes steht noch offen,<br />
wobei uns aber schon oben die Anwort in der<br />
Kosmologie zu liegen schien.<br />
ZENONS Sichtweise der Welt führte zu zwei<br />
Aspekten, wie wir eingangs bereits ausgeführt<br />
haben. <strong>Der</strong> erste betrifft das Verstehen des<br />
erkennbaren Weltgeschehens in teleologischer<br />
Weise, der zweite den (aufgrund des teleologischen<br />
Verstehens denknotwendigen) Lenker<br />
dieses Weltgeschehens. <strong>Der</strong> erste Aspekt ist es,<br />
der den handelnden Menschen zu einem Arrangement<br />
mit der Teleologie veranlasst. <strong>Der</strong> zweite<br />
kommt <strong>im</strong> Homologie-Begriff zum Tragen. Die<br />
Frage nach der Bedeutung des Homologie-Begriffes<br />
erweitert sich um die beiden folgenden Teilfragen:<br />
Warum ist es die „Physis“ = „die Welt und<br />
der ihr <strong>im</strong>manente Lenker“, mit der der Stoiker<br />
übereinst<strong>im</strong>men soll, und was bedeutet hier die<br />
Immanenz? Zenon ist zwar durch sein Lebensgefühl<br />
von der welt<strong>im</strong>manenten Existenz des<br />
Lenkers von vornherein fest überzeugt, dennoch<br />
erfährt sie weitere Erläuterungen, die wir zu ihrer<br />
Erhellung <strong>im</strong> folgenden wieder mit Platon und<br />
Epikur vergleichen.<br />
Die Materie (�λη) liegt in der stoischen<br />
Kosmologie wie in der platonischen und epikureischen<br />
allem Sein zugrunde. Die stoische<br />
unterscheidet sich aber von der platonischen<br />
wieder darin, dass ihre Materie keinerlei Eigenschaft<br />
besitzt, also auch keine Eigenbewegung<br />
und damit keinen Antagonismus ausübt. Sie ist<br />
reiner Gestaltungsstoff.<br />
Da die stoische Materie nichts gestalten kann,<br />
selbst aber gestaltet werden kann (τ� π�σ��ν),<br />
22<br />
gehört zu dieser Materie die Existenz ihres Gestalters<br />
(τ� π�ι��ν). Dieser Gestalter der Materie<br />
ist der „Logos“. Aufgrund des <strong>im</strong> Kosmos<br />
durchgängig herrschenden Vernunftgesetzes<br />
ist er sogar der unumschränkte Schöpfer des<br />
Kosmos, der unumschränkte Lenker der teleologischen<br />
Weltentwicklungsprozesse. Die Stoa<br />
glaubt aufgrund dieses <strong>im</strong> Kosmos durchgängig<br />
herrschenden göttlichen Vernunftgesetzes nicht<br />
an einen Ort und eine Kraft des Bösen in der Welt<br />
und hat deshalb keinen Anlass zu einem solchen<br />
Pess<strong>im</strong>ismus wie Platon.<br />
<strong>Der</strong> Schöpfer und die Materie existieren (wie<br />
bei Platon) von Ewigkeit her und sind (anders<br />
als bei Platon) untrennbar miteinander verbunden.<br />
Zwischen ihnen findet sogar „gegenseitige<br />
Durchdringung (κρ�σι� δι� �λων)“ statt, die<br />
intensivste Form von Immanenz. Deshalb kann<br />
die Stoa von der Einheit der Welt (des Seins)<br />
sprechen (Monismus), während bei Platon die<br />
ungeordnete Eigenbewegung der Materie und<br />
ihr Antagonismus zu der bekannten Annahme<br />
einer zweiten Welt, eines transzendenten Seinsbereiches,<br />
führte (Dualismus).<br />
Bei Epikur liegt das gesamte kosmologische<br />
Geschehen allein in der Materie (Materialismus).<br />
Sie befindet sich in ständiger Eigenbewegung, in<br />
Konglomerierung der Atome (Werden der Dinge)<br />
und ihrer Deglomerierung (Vergehen der Dinge)<br />
nach dem Zufallsprinzip. Es gibt hier kein Wesen,<br />
das auf die Materie einwirken könnte (Für den<br />
weiteren <strong>Vergleich</strong> mit Epikur und Platon sei auf<br />
das FORUM CLASSICUM 2003/Heft 2 u. 4 und mein<br />
Buch „Idee u.Wirklichkeit menschlicher Lebensgestaltung<br />
in <strong>Antike</strong>, Mittelalter u.Neuzeit“, 2003<br />
verwiesen!)<br />
<strong>Der</strong> stoische Logos als Schöpfer und Gestalter<br />
der Weltprozesse kann trotz seiner Immanenz<br />
nicht der Welt oder ihren Teilen gleichwertig<br />
sein: <strong>Der</strong> Logos ist Gott (pantheistische Weltauffassung).<br />
Hier von „Materialismus“ zu sprechen<br />
ist grob einseitig und irreführend: Es handelt sich<br />
anders als bei Epikur um eine geistdurchwirkte<br />
Materie! Genauso einseitig und irreführend wäre<br />
es, den von E. ELORDUY 2 eingesetzten Gegenbegriff<br />
„Spiritualismus“ zu verwenden.<br />
Bei Platon hat die Weltseele die Aufgabe,<br />
dem Weltkörper die Vernunft Gottes mitzuteilen.
Dieser Mittlerrolle bedarf die stoische Kosmologie<br />
nicht. Gott ist nicht nur der Demiurgos, sondern<br />
hat auch selbst die Funktion der Weltseele.<br />
Er n<strong>im</strong>mt nach seiner Vernunft die Gestaltung<br />
der Materie vor, gibt seine Ideen selbst uneingeschränkt<br />
in den Gestaltungsprozess hinein, so<br />
dass die Welt auch „Gott“ genannt werden kann.<br />
Ist das nun, so fragen wir, eine Vergöttlichung<br />
der Welt (ZENON) oder eine Verweltlichung des<br />
Gottes (SENECA)?<br />
Aber die einzelnen durch den Gestaltungsprozess<br />
des ewigen Schöpfers und der ewigen<br />
Materie entstehenden Dinge, „Körper“ genannt,<br />
sind vergänglich. Denn ihr gestalteter „Stoff“<br />
besteht aus den aus der Materie hervorgegangenen<br />
Elementen und deren Mischung. Mischung<br />
und Entmischung aber bedeuten Werden und<br />
Vergehen der Dinge. Die „Materie“ (Gestaltungsstoff)<br />
und der vergängliche „Körper“ (gestalteter<br />
Stoff) können entgegen anderen Behauptungen<br />
keine identischen Begriffe sein.<br />
Dieser Gestaltungsprozess der Dinge durch<br />
den Schöpfer offenbart uns den tieferen Sinn des<br />
angeführten stoischen Homologie-Begriffs, den<br />
wir jetzt ergänzen können: In Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
leben mit der „Physis“ = mit der Welt und dem<br />
ihr <strong>im</strong>manenten Lenker = mit „Gott“ (s.o.). <strong>Der</strong><br />
teleologische Gestaltungsprozess des Schöpfers<br />
ist Maßstab für das freie Handeln des Menschen,<br />
der zum Mitgestalter wird, wenn er die Zwecke<br />
des Gestaltungsprozesses zu erkennen vermag<br />
und nach dem Vernunftgesetz handelt. – <strong>Der</strong><br />
Begriff „Mitgestalter“ dürfte zeitlos sein, die<br />
Frage ist jeweils, mit wem er gestaltet. – Eine<br />
solche Handlung wird durch den Begriff: „Katorthoma<br />
(κατ�ρθωµα)“ ausdrücklich abgesetzt<br />
vom „Kathekon (καθ�κ�ν)“, der guten Handlung<br />
aus sonstigen Motiven. Eine Handlung, die mit<br />
beiden Begriffen nicht zu bezeichnen ist, ist eine<br />
schlechte Handlung aufgrund eines Affektes. Nicht<br />
jeder Mensch kann gleich diese hohen Anforderungen<br />
an eine gute Handlung erfüllen; deshalb<br />
räumt die Stoa ihren Schülern auch den Status<br />
eines Fortschreitenden (πρ�κ�πτων) ein.<br />
Durch das permanente <strong>Vergleich</strong>en ist gleichzeitig<br />
auch die Frage beantwortet, welche kosmologischen<br />
Begriffe den oben angeführten<br />
Begriffen der platonischen „Annäherung“ und<br />
der epikureischen „Isolation“ zugrunde liegen<br />
und deren tieferen Sinn zu erkennen geben.<br />
Kosmologie und Ethik stellen in der Stoa wie<br />
auch bei Platon und Epikur eine Einheit dar.<br />
Theoretischer Teil<br />
Das Verstehen als Gegenstand unseres<br />
philosophischen Hinterfragens<br />
Wir alle kennen Interpreten, die einen Autor<br />
vornehmlich oder gar ausschließlich danach zu<br />
verstehen suchen, von wem er beeinflusst wurde,<br />
was er von seinen Vorgängern einfach übernommen<br />
hat, was er an Problemen, die Vorgänger<br />
ungelöst ließen, selbst gelöst hat etc. Aber ein<br />
erstes und ernstes Problem dieser Interpretationsmethode<br />
selbst ist ihre Aussagefähigkeit.<br />
Ihre Verfechter gehen grundsätzlich davon aus,<br />
a u s s c h l i e ß l i c h durch (keineswegs <strong>im</strong>mer<br />
gesicherte) Herleitung und durch (oft genug<br />
überschätzten) Einfluss der Vorgänger stoische<br />
Kosmologie zu „verstehen“.<br />
Gegen dieses „Verstehen“ ist jedoch folgendes<br />
einzuwenden: 1) Die hergeleiteten philosophischen<br />
Elemente sind lediglich Materialien, sie<br />
bewirken prinzipiell noch nichts. Es ist vielmehr<br />
darzulegen, warum der übernehmende Philosoph<br />
an der Übernahme gerade dieser fremden<br />
Elemente ein selektives Interesse hatte und wie<br />
er sie verwandte. 2) Es ist ferner darzulegen,<br />
inwiefern in einer best<strong>im</strong>mten Situation, an<br />
einem best<strong>im</strong>mten Ort und zu einer best<strong>im</strong>mten<br />
Zeit u. a. die Übernahme früherer Elemente in der<br />
gegenwärtigen Situation zu einem neuen System<br />
führte. Wer jedoch versucht, die Kategorie der<br />
Historizität philosophischer Systeme auszublenden,<br />
wendet ideologische Gewalt an. Denn von<br />
einem System, bei dem die Geschichte während<br />
seines Entstehens ausgeklammert wird, kann man<br />
nicht erwarten, dass es nach seiner Vollendung zur<br />
Geschichte spricht. Das aber wollen gerade die<br />
großen hellenistischen Systeme. 3) Ferner geht<br />
die für hellenistische Philosophen bezeichnende<br />
Ausrichtung ihres Systems als psychagogische<br />
Heilslehre bei der Ausschließlichkeit dieses<br />
zurückblickenden Verstehens völlig unter. Die<br />
Kategorie der auf eine geschichtliche Situation<br />
gerichteten Finalität philosophischer Systeme ist<br />
nicht herleitbar aus weit zurückliegenden Vor-<br />
23
gängern, sie ergibt sich nicht anders als aus dem<br />
Lebensgefühl schöpferischer Philosophen und<br />
der gegenwärtigen geschichtlichen Situation.<br />
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das<br />
„Verstehen“ aufgrund der mit Ausschließlichkeit<br />
gehandhabten Herleitungsmethode äußerst fragmentarisch<br />
bleibt. So wertvoll gesicherte Herleitungen<br />
aus Vorgängern sind, die Ausschließlichkeit<br />
dieser Methode macht diese Herleitungen<br />
wieder wertlos.<br />
Dieser Herleitung der stoischen Kosmologie<br />
aus der Akademie oder aus dem Peripatos hat M.<br />
POHLENZ eine andere Methode und mit ihr ein Bild<br />
von Zenon entgegengestellt 3 : „Die Einführung<br />
eines schöpferischen Prinzips entstammte seinem<br />
persönlichen Lebensgefühl.“ Dem psychagogischen<br />
Wollen und der pastoralen Wirksamkeit<br />
der Stoiker entspricht es, wenn Pohlenz sagt:<br />
„Die neue Weltanschauung, die Zenon verkündete,<br />
kam damit dem Verlangen nach einem Halt für die<br />
praktische Lebensführung ebenso wie dem theoretischen<br />
Erkenntnistrieb entgegen. Noch wichtiger<br />
aber war, daß sie zugleich dem religiösen Gefühl<br />
einen neuen Weg wies. Denn die Physis, mit der<br />
für Zenon der Logos zusammenfiel, war ... die<br />
lebendige, alles lenkende und auch das Menschengeschick<br />
best<strong>im</strong>mende Gottheit.“ Es folgt unmittelbar<br />
der forschungsmethodisch entscheidende<br />
Teil seiner Ausführungen: „Das mag uns davor<br />
warnen, sie rein aus philosophiegeschichtlichen<br />
Entwicklungen verstehen zu wollen. Es spricht<br />
aus ihm ein ganz neues Lebensgefühl. Und dieses<br />
Lebensgefühl ist nicht etwa das der ‚Zeit‘, die<br />
gerade auf religiösem Gebiete ganz andere Wege<br />
ging. Fragen wir, woher es stammt, so rühren wir<br />
an das Gehe<strong>im</strong>nis der Persönlichkeit.“ 4<br />
Eben dieser Begriff der „Persönlichkeit“, ein<br />
Zentralbegriff der deutschen Geistesgeschichte,<br />
wird von den die stoische Kosmologie aus der<br />
Akademie bzw. dem Peripatos herleitenden<br />
Interpreten nicht gesehen. Ebensowenig der<br />
Begriff des „Lebensgefühls“. Das gilt z. T. auch<br />
für solche Interpreten, die nach dem Erscheinen<br />
des Buches von Pohlenz wieder Herleitungen<br />
vorgenommen haben. Die „schöpferische Persönlichkeit“<br />
ist nicht reduzierbar auf den Problemlöser<br />
überlieferter Theorien. Vielmehr ist<br />
in der Stoa allein sie es, die aus ihrer Zeit und<br />
24<br />
für ihre Zeit aus ihrem Lebensgefühl heraus ein<br />
System entwerfen und ausgestalten kann und die<br />
psychagogische Heilslehre verwirklichen kann.<br />
Es ist bei einigen dieser herleitenden Interpreten<br />
der Verdacht nicht von der Hand zu weisen,<br />
dass diese Ausschließlichkeit ein wissenschaftstheoretischer<br />
Standpunkt hegelianischer<br />
Provenienz ist, bei dem jeder philosophische<br />
Gedanke auf den nächsten „vorausweist“, ihn<br />
„vorbildet“ und „erzeugt“. Wo dieses „Vorbilden“<br />
nicht behauptet werden kann, da hat angeblich<br />
der nachfolgende Philosoph wenigstens „angeknüpft“,<br />
ist „angeregt“ worden, ist „beeinflusst“<br />
worden etc. Es darf nur nicht dazu kommen, dass<br />
ein völlig neuer Gedanke einer schöpferischen<br />
Persönlichkeit anzuerkennen wäre – der Faden<br />
der (postulierten) problemgeschichtlichen Entwicklung<br />
wäre damit gänzlich abgerissen.<br />
Diese Ausführungen zeigen uns deutlich, dass<br />
das Verstehen eines antiken philosophischen Systems<br />
seinerseits wieder ein Gegenstand unseres<br />
philosophischen Hinterfragens ist. Den Begriffen<br />
„Lebensgefühl“ und „schöpferische Persönlichkeit“<br />
gebührt durch ihre anthropologische<br />
Bedeutung und ihre erhebliche Tragweite für<br />
Entstehung, Ausgestaltung und Ausrichtung der<br />
philosophischen Systeme eindeutig der Pr<strong>im</strong>at.<br />
Wir haben sie deshalb dem praktischen Teil<br />
unserer vorausgehenden Ausführungen zugrunde<br />
gelegt. Die erwähnte Herleitungsmethode kann<br />
nur subsidiäre Funktion haben.<br />
Das Deuten als Gegenstand unseres<br />
philosophischen Hinterfragens<br />
Nicht nur das Verstehen eines Philosophen, sondern<br />
schon die einer Interpretation eines philosophischen<br />
Textes folgende Deutung ist ihrerseits<br />
ein Gegenstand philosophischen Hinterfragens.<br />
Auch hier gilt, was wir oben ausführlich zur Herleitungsmethode<br />
dargelegt haben.<br />
Natürlich haben wir uns bei einer Interpretation<br />
zurückzunehmen und den Philosophen<br />
ausschließlich von seinen eigenen philosophischen<br />
Voraussetzungen her zu interpretieren. Aber<br />
wenn wir deuten, fragen wir ja danach, was u n s<br />
der Text oder das ganze philosophische System<br />
b e d e u t e t . Die Deutung verändert also gegenüber<br />
der Interpretation den Vorgang dadurch, dass
zusätzlich zur Person des Philosophen die Person<br />
des Deutenden in den Vorgang einbezogen ist.<br />
D. h., es kommen nicht mehr nur die Voraussetzungen<br />
des Autors, sondern jetzt auch die des<br />
Deutenden ins Spiel, und zwar seine (inter)subjektiven<br />
Wertvorstellungen mit ihrer natürlichen<br />
Selektivität, etwa seine Anschauungen von Gott,<br />
Mensch und Welt etc. Dadurch wird die Deutung<br />
zum Gegenstand unseres philosophischen Hinterfragens.<br />
Einem eingefleischten Intellektualisten<br />
wird es jetzt schwindlig. Aber nichts führt daran<br />
vorbei: Die Deutung kann nur ein Produkt sein,<br />
das von beiden Seiten in sich trägt, wenn sie nicht<br />
wirkungslos bleiben soll. So paradox es klingen<br />
mag: Das auf seine Tragfähigkeit zu prüfende<br />
subjektive Moment, das in den Deutungsvorgang<br />
hineinkommt, ist der Garant für den Deutungserfolg<br />
des Textes.<br />
Auf den vorausgehenden Seiten haben wir uns<br />
unter mehreren Möglichkeiten entschieden, für<br />
Gräzistisches aus heutiger Sicht (2)<br />
Mit dem folgenden Beitrag setzen wir die (in<br />
FORUM CLASSICUM 4/2003, S. 216f.) begonnene<br />
Serie von insgesamt zehn kleineren Studien unseres<br />
hochverdienten Kollegen Dr. Heinz Munding<br />
fort, der am 15. 1. 2004 <strong>im</strong> Alter von fast 81<br />
Jahren plötzlich und unerwartet verstorben ist.<br />
(Vgl. den Nachruf in der Rubrik „Personalia“.)<br />
(II) Altgriechische und moderne Technik<br />
(1957)<br />
Die altgriechische Technik unterscheidet sich von<br />
der modernen in drei Punkten:<br />
1. Praktisch-technische Fähigkeiten wie<br />
Schmiedekunst, Architektur, Schiffbau usw.<br />
wurden als eine Sache von H a n d w e r k e r n<br />
betrachtet. Dabei spielte das Erfahrungswissen<br />
(empeiria) der Handwerksm e i s t e r die Hauptrolle,<br />
d. h. es gab noch keine diesbezügliche „Forschung“<br />
oder gar „Grundlagenforschung“.<br />
2. Es gab bei der handwerklichen Produktion<br />
zwar vielfach auch den Willen zur Steigerung<br />
der Qualität der Produkte, aber kaum Bedarfsweckung<br />
durch Werbung – was die Steigerung<br />
der Produktion in Grenzen hielt.<br />
den angestrebten <strong>Vergleich</strong> elementare Begriffe<br />
auszuwählen. Bevor dies geschah, stellte sich<br />
die Frage, welche Begriffe in der stoischen,<br />
platonischen und epikureischen Kosmologie<br />
elementar sind und welche elementaren Begriffe<br />
uns b e d e u t e n d sind, schließlich, welche von<br />
ihnen dann nach best<strong>im</strong>mten Auswahlkriterien zu<br />
vergleichen sind. Auch dieser Vorgang ist schon<br />
Deutung und wird dadurch ebenso zum Gegenstand<br />
philosophischen Hinterfragens – um der<br />
Sicherung und Solidität des Ergebnisses willen.<br />
Anmerkungen:<br />
1) Formulierung des Kleanthes.<br />
2) In: Die Sozialphilosophie der Stoa, Philologus<br />
1936, Suppl.-Bd.18, 3, S. 24.<br />
3) Die Stoa, Geschichte einer geistigen Bewegung,<br />
Göttingen 1948, S. 68.<br />
4) a.a.O., S. 68f.<br />
HERBERT ZIMMERMANN, Jülich<br />
3. Aristoteles konnte noch meinen, dass für die<br />
Griechen seiner Zeit (4. Jh. v. Chr.) die materiellen<br />
Grundlagen durch entsprechende Erfindungen<br />
ausreichend gesichert seien und man sich daher<br />
verstärkt den freieren geistigen Betätigungen<br />
(wie Politik, Dichtung, Philosophie) zuwenden<br />
könne (vgl. Met. I,2 982 b 20ff.).<br />
Er konnte nicht ahnen, dass die Menschen<br />
sich eines Tages so rasant vermehren würden,<br />
dass zur Sicherung ihrer Lebensgrundlagen ganz<br />
neue technische Anstrengungen erforderlich sein<br />
würden.<br />
(III) Kulturelle Autarkie (1958)<br />
Worauf beruht die <strong>im</strong>mer wieder neue Anziehungskraft,<br />
die die antiken Texte auf uns ausüben,<br />
die Unerschöpflichkeit, die sie unseren<br />
Interpretationsversuchen gegenüber darstellen?<br />
– Die relative Beschränktheit des Horizonts, in<br />
dem diese Autoren lebten und in dem sie ihre<br />
Kulturwelt als d i e Welt schlechthin empfanden,<br />
gab ihrem Denken ein Höchstmaß an Selbstvertrauen<br />
und damit an Kraft und Elastizität. Nun<br />
hat es für den modernen Geist einen eigentüm-<br />
25
lichen Reiz, in diese „naiven“ (und doch schon<br />
wunderbar differenzierten) Gedanken die Vielfachheit<br />
und Gebrochenheit s e i n e s Denkens<br />
hineinzulegen.<br />
Die Franzosen mit ihrer Kultur-Autarkie (vgl.<br />
FRIEDRICH SIEBURG) sind vielleicht dasjenige<br />
moderne Volk, das den Griechen am meisten<br />
ähnelt. Die Frage ist jedoch, ob man als moderne<br />
Nation noch das Recht (bzw. die Möglichkeit) zu<br />
einer solchen Kultur-Autarkie hat.<br />
(IV) Die Macht der Schwachen (1968)<br />
In seinem Dialog „Gorgias“ lässt PLATON den<br />
Sophisten KALLIKLES die provozierende These<br />
vertreten, dass die Idee der Gerechtigkeit<br />
(dikaiosyne) eine Erfindung der Schwachen<br />
sei. Mit diesem Schlagwort nämlich versuchten<br />
die vielen Schwachen mittels eines Netzes<br />
von listig ersonnenen „Gesetzen“ die wenigen<br />
Starken, d. h. die stolzen und nur auf sich selbst<br />
vertrauenden Individuen (wie z. B. einen ALKIBI-<br />
ADES), unter Kuratel zu stellen. – Natürlich wird<br />
diese These dann von SOKRATES, und damit von<br />
Platon selber, auf die bekannte Weise kritisiert<br />
und wiederlegt. – Übernommen aber und konsequent<br />
weitergedacht hatte jenen sophistischen<br />
Gedanken schon ein halbes Jahrhundert zuvor<br />
der Geschichtsschreiber THUKYDIDES, und zwar<br />
in Übertragung auf das Gebiet der zwischenstaatlichen<br />
Politik. Ihn interessierte die Frage, welcher<br />
M a c h t f a k t o r jeweils entsteht, wenn<br />
sich eine größere Anzahl von relativ schwachen<br />
Staaten gegen einen stärkeren zusammenschließt.<br />
Und in seinem Werk über den Peloponnesischen<br />
Krieg kam er zu dem Ergebnis, dass das Scheitern<br />
der Athener samt ihrem machtvollen Imperium<br />
letztlich darauf beruhte, dass sie die Macht des<br />
ihnen gegenüberstehenden m o r a l i s c h e n<br />
K o n s e n s e s , der <strong>im</strong> Verlauf der Kriegsjahre in<br />
der gesamtgriechischen Welt (also einschließlich<br />
ihrer eigenen Bundesgenossen) entstanden war,<br />
u n t e r s c h ä t z t hatten.<br />
(V) Sokratisches Nichtwissen und moderne<br />
Forschung (1969)<br />
Für die Griechen bedeutete ihr Begriff „Logos“<br />
eine Garantie dafür, dass sie mit ihrem Verstand<br />
die Wahrheit erfassen konnten – auch wenn die<br />
26<br />
einzelnen Philosophen oder philosophierenden<br />
Dichter <strong>im</strong>mer wieder darüber stritten, w o r i n<br />
denn diese Wahrheit bestehe. Die modernen Forscher<br />
hingegen sind, obgleich das den meisten<br />
nicht mehr bewusst ist, von dem christlichen<br />
Urerlebnis der U n e r m e s s l i c h k e i t v o n<br />
G o t t e s S c h ö p f u n g geprägt. Entsprechend<br />
lautet ihr erkenntnistheoretisches Credo,<br />
dass man sich der Wahrheit zwar annähern, aber<br />
sie niemals ganz erreichen kann.<br />
SOKRATES mit seinem „Ich weiß, dass ich<br />
nichts weiß“ s c h e i n t hier ein Vorläufer der<br />
modernen Haltung zu sein. Doch auch hinter<br />
seinem Nicht-Wissen stand das griechische<br />
Grundvertrauen in den „Logos“. Sokrates war<br />
überzeugt, dass auch für seine (einstweilen in<br />
der Aporie steckenbleibenden) Fragen bei genügend<br />
begrifflicher Schärfe die „richtige“ Lösung<br />
gefunden werden müsste. Es fehlte ihm also der<br />
Sinn für das Hypothetische, d. h. das Grundgefühl<br />
einer langfristigen (und <strong>im</strong>mer nur geringfügig<br />
bleibenden) A n n ä h e r u n g an die Wahrheit<br />
in Form einer Kooperation von v i e l e n Wissenschaftlern<br />
und vielen G e s c h l e c h t e r n von<br />
Wissenschaftlern. Zudem hatte Sokrates ja jenen<br />
Bereich ganz ausgeklammert, den wir heute als<br />
Naturwissenschaft bezeichnen. Sein berühmtes<br />
„Widerlegen“ unbegründeter Meinungen konzentrierte<br />
sich ausschließlich auf „das Menschliche“<br />
(ta anthropina) <strong>im</strong> Sinne des Moralischen, konkret<br />
also auf die politische und gesellschaftliche<br />
Sphäre. <strong>Der</strong> heute für uns so wichtige und vieldiskutierte<br />
Bereich der Te c h n i k war für ihn noch<br />
kein Problem, <strong>im</strong> Gegenteil: er betrachtete die<br />
Handwerker (technitai) als vorbildlich, insofern<br />
sie (auf ihrem jeweiligen Gebiet) F a c h l e u t e<br />
waren.<br />
(VI) Kontemplative Naturbetrachtung bei<br />
Empedokles und Lukrez (1970)<br />
Als altsprachliche Gymnasiallehrer sollten wir<br />
<strong>im</strong> Sinne interdisziplinärer Tuchfühlung auch die<br />
beiden relativ „modern“ anmutenden Naturgedichte<br />
des EMPEDOKLES und des LUKREZ in unser<br />
Lektüreprogramm aufnehmen. Dabei ließe sich<br />
dann (unter anderem) auch die folgende differentia<br />
specifica zur modernen Naturwissenschaft<br />
hervorheben:
Die Technik l e i t m o t i v i s c h e r W i e d e r -<br />
h o l u n g ermöglichte es diesen beiden Dichtern,<br />
<strong>im</strong>mer wieder d a s G a n z e der Natur<br />
(bzw. dessen, was man damals unter „Natur“<br />
verstand) dem Leser in den Blick zu bringen<br />
– vor allem auch bei den evolutionären Spätstufen<br />
„Leben“ und „Mensch“. So kam es <strong>im</strong><br />
Leser zur meditativen Einübung eines kontemplativen<br />
Zustandes, in dem er als Betrachter des<br />
Weltganzen <strong>im</strong>mer auch das Gewordensein (und<br />
damit die relative „Zufälligkeit“) seiner eigenen<br />
Existenz empfinden konnte. (Ähnlich heute z. B.<br />
H. v. DITFURTH!)<br />
Vgl. dagegen etwa C. F. V. WEIZSÄCKER<br />
in seiner „Geschichte der Natur“ (Göttingen<br />
1958): als moderner Naturwissenschaftler ist er<br />
da an die inzwischen erfolgten S p e z i a l i s i e -<br />
r u n g e n gebunden und kann folglich nur von<br />
e i n e m streng umgrenzten Bereich zum nächsten<br />
fortschreiten. Im letzten Kapitel des besagten<br />
Buches, das vom M e n s c h e n handelt, ist von<br />
der A s t r o p h y s i k des ersten Kapitels kaum<br />
noch etwas zu spüren (und ob sich da der Leser an<br />
dieses Kapitel noch mit der erforderlichen Gründlichkeit<br />
erinnert, wage ich zu bezweifeln).<br />
Das „Biberacher Modell“ in Baden-Württemberg<br />
Latein und Englisch ab Klasse 5<br />
Ab dem Schuljahr 1997/98 werden in Baden-<br />
Württemberg Erfahrungen mit dem Anfangsunterricht<br />
in Latein nach dem sog. „Biberacher<br />
Modell“ gesammelt: Latein und Englisch parallel<br />
ab Klasse 5 (erstmals am Wieland-Gymnasium<br />
Biberach systematisch erprobt). Latein wird in<br />
den Klassen 5 und 6 mit je 5 Wochenstunden,<br />
Englisch mit jeweils 3 Wochenstunden unterrichtet.<br />
<strong>Der</strong> Unterricht in Englisch ist in diesen<br />
beiden Klassenstufen nicht versetzungsrelevant.<br />
Inzwischen haben sich diesem Modell rund 30<br />
Gymnasien mit Latein als erster Fremdsprache<br />
(von ca. 60 insgesamt) angeschlossen.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden:<br />
• Durch das Biberacher Modell hat Latein als<br />
erste Fremdsprache erheblich an Akzeptanz<br />
bei Eltern und Schülern gewonnen. An den<br />
Versuchsgymnasien konnten die bisherigen<br />
(VII) Ohnmacht der Erziehung (1970)<br />
Mal angenommen, die Neigung der Ekliptik<br />
vergrößerte oder verkleinerte sich plötzlich um<br />
einige Bogensekunden, so würde diese Veränderung,<br />
falls sie nicht geradezu die Zerstörung alles<br />
Lebens auf der Erde nach sich zöge, sich jedenfalls<br />
in kurzer Zeit gravierend auf das menschliche<br />
Leben und Denken auswirken, ohne dass jemand<br />
voraussagen könnte, wie. – Ähnlich, wenn auch<br />
in abgeschwächter Form, scheint es mir mit den<br />
technischen Erfindungen unserer Tage zu stehen.<br />
Man braucht dabei nicht nur an die vielzitierte<br />
Atombombe zu denken. Auch der Chemiker, der<br />
einen neuen Kunststoff herstellt, der Arzt, der die<br />
Technik der Herzverpflanzung begründet, oder der<br />
Biologe, der einen neuen Weg zur direkten Beeinflussung<br />
der tierischen (oder gar der menschlichen)<br />
Genstruktur entdeckt – jeder dieser Erfinder verhält<br />
sich zu der möglichen geistigen Auswirkung seiner<br />
Erfindung wie das Streichholz zur Pulvertonne: er<br />
kann damit die Menschheit stärker verändern als<br />
irgendein Gesetzgeber oder Religionsstifter der<br />
Vergangenheit. – Dies ist ein Tatbestand, der den<br />
Erzieher zur Verzweiflung bringen muss.<br />
HEINZ MUNDING †<br />
Anmeldezahlen für Latein z.T. verdoppelt,<br />
in Einzelfällen sogar verdreifacht werden.<br />
Das Modell n<strong>im</strong>mt Eltern die Angst vor den<br />
Konsequenzen eines Scheiterns in Latein und<br />
entspricht zudem dem Wunsch nach einem<br />
möglichst frühen Englischbeginn.<br />
• Aus keinem der Versuchsgymnasien wird<br />
wegen des Biberacher Modells eine Überforderung<br />
der Schülerinnen und Schüler gemeldet.<br />
<strong>Der</strong> gleichzeitige Beginn mit Latein (5<br />
Wochenstunden) und Englisch (3 Wochenstunden)<br />
wird selbst dann gut gemeistert, wenn die<br />
Schülerinnen und Schüler mit keinerlei fremdsprachlicher<br />
Erfahrung aus der Grundschule<br />
kommen.<br />
• Auf Grund der ausgezeichneten Erfahrungen<br />
haben zwei Gymnasien für das laufende<br />
Schuljahr mit einer Kombination aus Biber-<br />
27
acher Modell und achtjährigem Gymnasium<br />
begonnen.<br />
• Obwohl nicht durchgängiges Unterrichtsprinzip<br />
ergeben sich <strong>im</strong> Biberacher Modell durch<br />
das frühe Erlernen zweier Fremdsprachen<br />
zukunftsweisende Erfahrungen mit sprachkomparatistischem<br />
und damit vernetzendem<br />
Denken.<br />
• Das „Biberacher Modell“ ist trotz der zusätzlichen<br />
Stunden in Englisch (in den Klassen 5<br />
und 6 jeweils 3 Wochenstunden) absolut ressourcenneutral.<br />
Die für Schulen mit Latein<br />
als erster Fremdsprache in der Stundentafel<br />
vorgesehen 222 Jahreswochenstunden werden<br />
an keinem Gymnasium überschritten (z. T.<br />
auch unterschritten). Dieses Ergebnis wird<br />
dadurch erreicht, dass Latein in den Klassen<br />
5 und 6 auf eine Wochenstunde (regulär 6<br />
Wochenstunden) verzichtet und die Schulen<br />
mit Zust<strong>im</strong>mung der GLK und der übrigen<br />
Gremien in anderen Fächern <strong>im</strong> Verlauf der<br />
Klassen 5-11 jeweils um eine Wochenstunde<br />
kürzen. Dabei wird sehr unterschiedlich und<br />
nach den lokalen Gegebenheiten verfahren.<br />
Grundvoraussetzung dieses Prozesses ist der<br />
gemeinsame Wille des Kollegiums, das Lateinische<br />
an der Schule zu stärken.<br />
Im Einzelnen besteht folgender Diskussionsbedarf:<br />
Didaktisch-methodische Fragen:<br />
An Gymnasien mit „Biberacher Modell“ sind<br />
didaktisch-methodische Überlegungen zur Arbeit<br />
in den Fremdsprachen Latein und Englisch erforderlich.<br />
Dies betrifft die neue Verteilung des Stoffes<br />
in der Unter- und Mittelstufe, die notwendigen<br />
Absprachen zu den grammatischen Termini<br />
(grammatische Metasprache), die Formen der<br />
Leistungsüberprüfung, allgemeine Lerntechniken<br />
(besonders <strong>im</strong> Hinblick auf das Vokabellernen),<br />
Absprachen zu den Hausaufgaben und vor allem<br />
die gemeinsame Förderung vergleichenden, vernetzenden<br />
Denkens. Im Zusammenhang mit dem<br />
letzten Punkt wird von den Teilnehmern betont,<br />
dass es sich bei der Kombination Latein/Englisch<br />
keineswegs um einen permanenten fächerübergreifenden<br />
Unterricht handelt. Um so gezielter<br />
müssen die Möglichkeiten methodenbewussten<br />
28<br />
<strong>Vergleich</strong>ens und Kontrastierens heraus gearbeitet<br />
und Schülerinnen und den Schülern bewusst<br />
gemacht werden.<br />
Die bisherigen Lehrbücher für Latein und<br />
Englisch sind nur teilweise für den Unterricht <strong>im</strong><br />
Biberacher Modell geeignet. Hier sind Gespräche<br />
mit den Verlagen erforderlich.<br />
Fragen der Zusammenarbeit mit Eltern und<br />
Grundschulen:<br />
Wie bereits angedeutet, ist die Information der<br />
Eltern durch die Grundschulen zu Latein als<br />
erster Fremdsprache und zum Biberacher Modell<br />
bisweilen nicht ausreichend. Um so erforderlicher<br />
sind eine ausführliche Beratung der Eltern<br />
durch das aufnehmende Gymnasium, verstärkte<br />
Formen der Kooperation mit den Grundschulen<br />
und regelmäßige Gespräche mit den Eltern in<br />
den ersten Jahren am Gymnasium. Für die Eltern<br />
besonders wichtig ist die Information, dass durch<br />
den frühen Beginn mit Englisch neben Latein ein<br />
Wechsel der Schulart oder des Schulzuges problemlos<br />
möglich wird.<br />
Dies setzt auch eine intensivierte Kommunikation<br />
mit der Lehrerschaft in der Grundschule<br />
voraus: wechselseitige Hospitationen, Informationen<br />
der Grundschulen über die Entwicklung<br />
der Kinder <strong>im</strong> Gymnasium und gemeinsame<br />
methodisch-didaktische Diskusssionsrunden<br />
(auch zu Formen der Leistungsbeurteilung) sind<br />
hilfreich.<br />
Übereinst<strong>im</strong>mend wird berichtet, dass sich<br />
bei Eltern und Schülern eine ungewöhnliche<br />
Identifikation mit diesem Bildungsgang herausbildet.<br />
Man ist „stolz“, an diesem Bildungsgang<br />
teilzuhaben.<br />
Strukturelle und rechtliche Fragen des Unterrichts:<br />
Englisch wird – wie üblich – erst mit Beginn<br />
der 7. Klasse Kernfach und ist infolgedessen in<br />
den beiden ersten Jahren (Klassen 5 und 6) nicht<br />
versetzungsrelevant.<br />
Schülerinnen und Schüler können auch bei<br />
Latein als 1. Fremdsprache <strong>im</strong> Biberacher Modell<br />
neben dem sprachlichen Profil mit drei obligatorischen<br />
Fremdsprachen das naturwissenschaftliche<br />
Profil wählen.
Fazit, Konsequenzen, Ausblick:<br />
Folgendes Fazit kann gezogen werden:<br />
• Latein hat als erste Fremdsprache am Gymnasium<br />
auch in Zukunft eine gute Chance,<br />
wenn sich der Lateinunterricht neuen Wegen<br />
und Modellen öffnet.<br />
• Erforderlich ist eine deutlich intensivierte<br />
Kooperation mit den Grundschulen und deren<br />
Eltern.<br />
• <strong>Der</strong> gute Erfolg mit dem Erlernen von zwei<br />
Fremdsprachen in Klasse 5 bestätigt die<br />
These, dass Fremdsprachen möglichst frühzeitig<br />
in das Curriculum einbezogen werden<br />
sollten.<br />
<strong>Der</strong> Mehrsprachenwettbewerb<br />
1. und 2. Runde<br />
Sind Sie exper<strong>im</strong>entierfreudig? Arbeiten Sie<br />
gerne mit sprachbegabten Schülerinnen und<br />
Schülern der MSS/Sekundarstufe II, die freiwillig<br />
kommen, in Latein zusammen? Nehmen<br />
Sie eine positive Haltung gegenüber modernen<br />
Fremdsprachen, vor allem Englisch, ein? Suchen<br />
Sie nach innovativen Mitteln, um geeignete<br />
Schüler/innen zu motivieren, sich über den normalen<br />
Schulbetrieb hinaus mit Latein zu beschäftigen<br />
und damit ihre Leistungen zu verbessern?<br />
Dann ist der Mehrsprachenwettbewerb innerhalb<br />
des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen für Sie<br />
genau das Richtige! Ein Sprachwettbewerb bringt<br />
Farbe in den Schulalltag und macht Spaß.<br />
Es handelt sich be<strong>im</strong> BWF um Begabtenförderung,<br />
was ich geeigneten Schülern und Schülerinnen,<br />
die ich einzeln ansprach, auch <strong>im</strong>mer gesagt<br />
habe. <strong>Der</strong> Mehrsprachenwettbewerb wendet sich<br />
an besonders leistungsfähige und besonders leistungsbereite<br />
Schüler/innen der MSS/Oberstufe,<br />
in Einzelfällen auch aus Klasse 10, mit guten bis<br />
sehr guten Kenntnissen in zwei Fremdsprachen.<br />
Er bezweckt eine Verbindung zwischen einer<br />
alten Sprache und einer modernen Fremdsprache,<br />
enthält also neusprachliche Elemente, was<br />
ich sehr reizvoll finde.<br />
Aus eigener Erfahrung als Latein- und Englischlehrerin<br />
weiß ich, dass erstaunlich viele<br />
Schüler/innen der Sekundarstufe I und II es<br />
mögen, wenn man sich mit ihnen „privatiss<strong>im</strong>e<br />
Baden-Württemberg wird <strong>im</strong> Herbst 2004<br />
generell das achtjährige Gymnasium einführen.<br />
Zusammen mit unserer neuen Fremdsprachenkonzeption<br />
(obligatorische Fremdsprache in der<br />
Grundschule von Klasse 1 – 4) ergeben sich völlig<br />
neue Chancen für das Fremdsprachenlernen am<br />
Gymnasium. Im Endausbau – je nach der Entwicklung<br />
der Fremdsprachen in der Grundschule<br />
zeitlich gestaffelt – werden alle Gymnasiasten<br />
in Klasse 5 zwei Fremdsprachen lernen. Es liegt<br />
nahe, auf die Erfahrungen aus dem „Biberacher<br />
Modell“ zurückzugreifen.<br />
GÜNTER REINHART<br />
Kultusministerium Baden-Württemberg<br />
et gratis“ in kleinen oder größeren Gruppen mit<br />
einer Sprache beschäftigt und sie bei entsprechendem<br />
Einsatz Top-Leistungen be<strong>im</strong> BWF<br />
erreichen können. Dafür sind sie bereit, einen<br />
Teil ihrer Freizeit einzusetzen. Es ist für sie eine<br />
Herausforderung. Ohne gründliche Vorbereitung<br />
während und außerhalb des Unterrichts läuft<br />
allerdings nichts. Auch brauchen Schüler/innen<br />
während des Wettbewerbs verständnisvolle<br />
Betreuung, manchmal auch Ermutigung. Aber<br />
das sollte engagierte Lehrer/innen nicht abschrecken.<br />
Vielleicht besitzen Sie mehr Charisma, als<br />
Sie meinen! Ich habe Erstaunliches erlebt.<br />
Wenn man weiß, welche Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten be<strong>im</strong> BWF erwartet werden, kann<br />
man Schüler/innen gezielt und zeitökonomisch<br />
vorbereiten. Da nur wenige be<strong>im</strong> Mehrsprachenwettbewerb<br />
die 3. von insgesamt 4 möglichen<br />
Runden erreichen, werde ich mich auf die Darstellung<br />
der ersten beiden Runden beschränken.<br />
Preise gibt es zwar erst nach der 3. Runde, aber<br />
gute Wettbewerbsergebnisse können als mündliche<br />
Leistung bewertet, be<strong>im</strong> Abitur vermerkt<br />
oder als „besondere Lernleistung“ eingebracht<br />
werden, was für manche ein Ansporn sein könnte.<br />
Zudem sind 1–2 erfolgreiche Runden eine sehr<br />
gute Voraussetzung für das Abitur.<br />
Einzelwettbewerb und Mehrsprachenwettbewerb<br />
sind voneinander unabhängig. Wenn aber<br />
jemand be<strong>im</strong> Einzelwettbewerb Bundessieger<br />
29
war, werden ihm/ihr die Wettbewerbsaufgaben<br />
der 1. Runde des Mehrsprachenwettbewerbs in<br />
der jeweiligen Sprache erlassen.<br />
Die Schüler/innen entscheiden sich von<br />
Anfang an für eine Fremdsprache als 1. und eine<br />
weitere als 2. Fremdsprache. Für Muttersprachler<br />
gelten besondere Regeln. In der 1. Wettbewerbssprache<br />
sind die Aufgaben ab der 2. Runde<br />
wesentlich länger und anspruchsvoller als in der<br />
2. Wettbewerbssprache.<br />
In der 1. Runde geht es um gute mündliche<br />
Sprachkenntnisse. So müssen in Latein zum Teil<br />
ungewöhnliche Aufgaben zu einem oder zwei<br />
lateinischen Texten, wozu in der Regel auch<br />
eine Bildvorlage gehört, zu Hause gelöst und auf<br />
eine neue Kassette gesprochen werden. Dauer der<br />
Aufnahme: 3 – 4 Minuten. Neuerdings kann auch<br />
eine CD eingeschickt werden. Da die Mitglieder<br />
der Bundesjury, zu der ich auch mehrere Jahre<br />
lang gehört habe, die Kassetten ausschließlich<br />
nach Gehör begutachten, wird eine gute Tonqualität<br />
vorausgesetzt. Steht aus irgendeinem<br />
Grund kein einwandfreies Aufnahmegerät zur<br />
Verfügung, kann man manchmal eines bei den<br />
Musikkollegen oder bei einer Kirchengemeinde<br />
ausleihen, wenn eine/r der Beteiligen gute Kontakte<br />
zu ihr hat. Gelegentlich stellt eine Kirchengemeinde<br />
auch einen ruhigen und gut geeigneten<br />
Raum für Wettbewerbsaktivitäten zur Verfügung.<br />
Eine preiswerte CD mit Beispielen in mehreren<br />
Sprachen vom Wettbewerb des letzten Jahres<br />
ist bei der Geschäftsstelle des BWF in Bonn<br />
zu bekommen. <strong>Der</strong> Text bzw. die Bildvorlagen<br />
werden mitgeschickt – eine gute Gelegenheit<br />
zum Üben! Aus dem Internet kann man sowohl<br />
die Aufgaben der 2. und 3. Runde der letzten drei<br />
Jahre herunterladen, als auch sich Hörbeispiele<br />
der ersten Runde anhören.<br />
Ich habe jedoch die Schüler/innen nie gleich<br />
mit den anspruchsvollen Aufgaben konfrontiert,<br />
um sie nicht zu schocken, sondern sie erst einmal<br />
je nach Vorkenntnissen soweit „geliftet“, dass sie<br />
sich mit den Aufgaben früherer Jahre auseinandersetzen<br />
konnten.<br />
Für die 1. Runde sollten die Schüler/innen<br />
Hexameter lesen, Stilmittel erkennen und ihre<br />
Wirkung beurteilen können. Es empfiehlt sich<br />
auch, ein paar amüsante Epigramme, z. B. von<br />
30<br />
MARTIAL, <strong>im</strong> Unterricht zu behandeln. Be<strong>im</strong><br />
Lesen der lateinischen Texte kommt es auf<br />
korrekte Aussprache, sinngemäßes Lesen, die<br />
Beachtung der Quantitäten und der Betonung<br />
und bei poetischen Texten natürlich auf die Einhaltung<br />
des Metrums an. Vor allem Prosatexte<br />
kann man <strong>im</strong> Unterricht vorher gut üben, indem<br />
man geeignete Texte in Wortblöcke aufteilt, mit<br />
Trennstrichen, Akzenten, gegebenenfalls den<br />
nötigen Längen und Kürzen und mit Pfeilen für<br />
die (vermutete) Intonation aufteilt. Auch sollten<br />
Pausen markiert werden und Stellen „zum Luftholen“,<br />
damit Schüler/innen bis zum Ende eines<br />
Satzes durchhalten. Auch das Sprechtempo kann<br />
variiert werden. All dies erweist sich nicht nur für<br />
das Fach Latein als nützlich, was den Schülern<br />
einleuchtet. Chorsprechen spart manchmal Zeit<br />
und macht Spaß. Hören die Schüler/innen dann<br />
noch die Version eines guten Sprechers von einer<br />
Audio-Kassette (z. B. CICERO, In Catilinam I von<br />
der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt)<br />
und sprechen den Text nach, so wirkt das<br />
sehr motivierend und ist effektiv.<br />
Da der Einzugsbereich einer Schule manchmal<br />
sehr groß ist, die Schüler der MSS/Oberstufe verschiedene<br />
Kurse besuchen und nicht zu spät nach<br />
Hause kommen dürfen, da sie noch viele andere<br />
Dinge zu erledigen haben, empfiehlt sich manchmal<br />
das Telefon (sic!) zum Üben. Ich habe mich<br />
zu einer best<strong>im</strong>mten Zeit anrufen lassen und per<br />
Telefon, einem Medium, das zu deutlichem Sprechen<br />
an<strong>im</strong>iert und bei dem man auch sprachliche<br />
Schnitzer besonders gut hören kann, mit den Einzelnen<br />
geübt bzw. etwas besprochen. Das hat nie<br />
sehr lange gedauert, aber <strong>im</strong>mer gut funktioniert.<br />
Mit Versprechern ist zu rechnen. Deshalb sollten<br />
für die Aufnahme der Aufgaben der 1. Runde<br />
mehrere neue Kassetten bereitliegen. Auch auf<br />
Nebengeräusche ist zu achten. Wir haben schon<br />
Flugzeuglärm auf einer Kassette gehabt und<br />
mussten die Aufnahme wiederholen. Gutachter<br />
berichteten von Staubsaugerlärm <strong>im</strong> Hintergrund.<br />
Dagegen war die leise, sehr passende Klaviermusik<br />
als Begleitung zum Lesen eines poetischen<br />
Textes auf einer Kassette wohl Absicht.<br />
Produktives Latein führt zwar ein Schattendasein<br />
<strong>im</strong> heutigen Lateinunterricht, aber ca.<br />
50 Wörter in korrekten Latein, die bei einer der
Aufgaben der 1. Runde gefordert werden, sind<br />
durchaus zu schaffen. Das beweisen die zahlreichen<br />
erfreulichen Beiträge in Latein, die auf den<br />
Kassetten der 1. Runde zu hören sind. Sie werden<br />
fragen: Wie schafft man das? Gute Erfahrungen<br />
habe ich damit gemacht, dass ich den Schülern<br />
unbekannte CICERO- und SENECA-Texte ins Deutsche<br />
übersetzt habe und sie von den Schülern<br />
zurückübersetzen ließ. Anschließend habe ich<br />
die Originale zur Kontrolle vorgelegt, und die<br />
Schüler konnten ihre Texte selber verbessern.<br />
Zu Hause schrieben sie den korrigierten Text ab<br />
und lasen ihn dabei laut. Man kann <strong>im</strong> Unterricht<br />
wesentliche stilistische und grammatikalische<br />
Merkmale der lateinischen Sprache erarbeiten,<br />
die von den Teilnehmern des Wettbewerbs später<br />
bewusst eingesetzt werden. Gut ist es auch, die<br />
Schüler/innen wichtige Grammatikgebiete wie<br />
ACI, Partizipialkonstruktionen, Pronomina,<br />
Gerundivum, indirekte Rede, etc. wiederholen<br />
zu lassen. Nachdem man die nötigen Wendungen<br />
und ein Wortfeld zur Verfügung gestellt hat,<br />
können die Schüler/innen zu Hause wie in einer<br />
modernen Fremdsprache einen kurzen Kommentar<br />
zu einer Problemstellung schreiben. Später<br />
werden die Texte dann korrigiert. <strong>Der</strong> Erfolg<br />
entschädigt für die Mühe!<br />
Im übrigen gilt auch für den Mehrsprachenwettbewerb:<br />
Docendo disc<strong>im</strong>us. Haben Sie schon<br />
einmal einen lateinischen Text in einem Versmaß<br />
Ihrer Wahl ins Deutsche übersetzt? Das wird<br />
manchmal be<strong>im</strong> BWF verlangt. Ich war erstaunt,<br />
wie gut meine Wettbewerbskandidaten diese<br />
Aufgabe in unterschiedlicher Weise bewältigten,<br />
nachdem ich zuvor mit ihnen an deutschen und<br />
englischen Versen Metrik geübt hatte. Beklagt<br />
hat sich niemand. Eine Schülerin war später mit<br />
den Lösungen der Wettbewerbsaufgaben auf einer<br />
Beispielkassette zu hören. <strong>Der</strong> BWF ist für die<br />
Schüler/innen eine Herausforderung, und sie sind<br />
stolz darauf, schwierige und ungewohnte Dinge<br />
zu meistern.<br />
In der modernen Fremdsprache, meistens<br />
in Englisch, muss in der 1. Runde, eine 2<br />
–3 Minuten lange Kassettenaufnahme über eine<br />
Karikatur/Bildvorlage erstellt werden. Es geht<br />
um adressatengerechte gesprochene Sprache<br />
mit ihren besonderen Stilmerkmalen und ihrer<br />
eigenen Semantik. Die Anforderungen sind hoch.<br />
Zu den Gutachtern gehören auch native speakers<br />
und Dozenten.<br />
Jeweils zwei Gutachter/innen bewerten die<br />
Kassetten unabhängig voneinander. Dies trifft<br />
auch auf die Korrektur der 1. Wettbewerbssprache<br />
in der 2. Runde zu. Gelegentlich wird noch<br />
jemand hinzugezogen. Zur 2. Runde werden<br />
Schüler/innen zugelassen, deren Kassetten mit<br />
A/A, B/A oder A/B bewertet wurden. Findet<br />
sich ein C bei einer Sprache, fällt der Schüler/<br />
die Schülerin durch. Etwa 50% der Teilnehmer/<br />
innen der 1. Runde nehmen an der 2. Runde<br />
teil, die aus einer Klausur mindestens auf Abiturniveau<br />
an einem festgelegten Termin besteht.<br />
Mittlerweile darf ein lateinisch-deutsches Lexikon<br />
benutzt werden. Hat jemand Latein als 1.<br />
Wettbewerbsprache gewählt, so bekommt er/sie<br />
einen Prosa-Text und einen poetischen Text,<br />
manchmal auch eine oder mehrere Bildvorlagen<br />
mit entsprechenden Aufgaben vorgelegt<br />
und soll diese in 210 Minuten lösen. Jemandem<br />
mit Latein als 2. Wettbewerbssprache stehen ca.<br />
70 Min. Zeit für einen etwa 10 Zeilen langen<br />
Text mit mehreren Aufgaben zur Verfügung. Für<br />
die in beiden Fällen unter anderem geforderte<br />
Übersetzung gilt <strong>im</strong>mer noch die Regel: Es soll<br />
in gutes Deutsch übersetzt werden, und zwar so<br />
wörtlich wie möglich und so frei wie nötig. Es<br />
empfiehlt sich, bei Bedarf noch einmal den deutschen<br />
Konjunktiv zu üben. Damit die Schüler/<br />
innen nicht unvorbereitet in die Klausur gehen<br />
müssen, werden ihnen ein Autor und eines seiner<br />
Werke genannt. Für jede der Aufgaben wird eine<br />
best<strong>im</strong>mte Punktzahl festgelegt, woraus sich die<br />
Schlussbewertung ergibt. Die Anforderungen in<br />
der modernen Fremdsprache sind entsprechend<br />
unterschiedlich hoch. Erfolge be<strong>im</strong> BWF lassen<br />
sich gut als Reklame für Latein in der Tageszeitung,<br />
dem Elternbrief und evtl. der Schülerzeitung<br />
vermarkten. Am besten schreibt man<br />
die Artikel selber und fügt ein Photo mit den<br />
Teilnehmern/Teilnehmerinnen hinzu. Ich habe<br />
damit gute Erfahrungen gemacht.<br />
Informationen zu der 3. und 4. Runde des<br />
Mehrsprachenwettbewerbs und Beispiele für<br />
Themen der Hausarbeit finden Sie <strong>im</strong> Internet<br />
(www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de).<br />
31
In den letzten Jahren gehörten mehrere Teilnehmer/<br />
innen mit Latein in der Endrunde zu den Preisträgern<br />
und Preisträgerinnen. 2001 wurden sogar ein<br />
Schüler und eine Schülerin, 2002 ein Schüler mit<br />
Latein als 2. Wettbewerbssprache als Stipendiaten<br />
in die Studienstiftung des deutschen Volkes<br />
aufgenommen.<br />
Die Gutachtertätigkeit ist ehrenamtlich, arbeitsintensiv,<br />
aber interessant und empfehlenswert, nicht<br />
zuletzt dadurch, dass man an den Korrekturwochenenden,<br />
gewöhnlich in schönem Ambiente, viele<br />
engagierte Kolleginnen und Kollegen mit verschiedenen<br />
Sprachen aus etlichen Bundesländern trifft,<br />
mit denen man einen Gedankenaustausch pflegen<br />
kann, soweit die Zeit dafür ausreicht.<br />
32<br />
Sollte aus irgendeinem Grund an Ihrer Schule<br />
die Ausschreibung des BWF, die jeweils nach<br />
den Sommerferien an den Schulen eintrifft,<br />
unauffindbar sein, so hilft Ihnen Frau MARION<br />
ENDERS von der Geschäftsstelle in Bonn weiter<br />
(Tel. 0228-95915-32).<br />
Adresse Bundeswettbewerb Fremdsprachen,<br />
Postanschrift: Postfach 20 02 01. 53132 Bonn;<br />
Hausanschrift: Godesberger Allee 90. 53175<br />
Bonn; e-mail: enders@bundeswettbewerbfremdsprachen.de<br />
GABRIELE KAISER, Ehlscheid<br />
„Auch wenn es stressig ist, man schafft es unglaublicher Weise trotzdem!“<br />
Notizen vom 5. Sprachenturnier des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen in Soest<br />
Die Lateiner waren nicht schlecht vertreten<br />
be<strong>im</strong> 5. Sprachenturnier des Bundeswettbewerbs<br />
Fremdsprachen vom 24. bis 27. September 2003<br />
in Soest/Westfalen: Unter den 70 Teilnehmern,<br />
die sich in ihrem Bundesland in einem Einzelwettbewerb<br />
qualifiziert hatten, waren 19 Schülerinnen<br />
und Schüler mit der Wettbewerbssprache<br />
Englisch, jeweils 17 mit Latein bzw. Französisch,<br />
je 4 mit Spanisch und Russisch, je 3 mit<br />
Italienisch und Dänisch, zwei Schülerinnen mit<br />
Dänisch, einer mit Tschechisch.<br />
Interessanter vielleicht noch die von den<br />
Schülerinnen und Schülern belegten Sprachen:<br />
32 der 70 Teilnehmer (sie befinden sich alle<br />
in den Klassen 10 oder 11) haben kein Latein<br />
gelernt, neben den 17 Teilnehmern mit Latein<br />
als Wettbewerbssprache erwähnen weitere 21,<br />
dass sie in irgendeiner Form (als erste bis dritte<br />
FS oder AG) Latein lernen, knapp 55 Prozent der<br />
Teilnehmer, das liegt weit über dem statistischen<br />
Wert in Deutschland! Auch (Alt-)Griechisch war<br />
gut vertreten, wenn auch nicht als Wettbewerbssprache.<br />
Von den 17 Lateiner/innen lernen 5<br />
Griechisch, weitere 6 lernen es aus der Zahl der<br />
übrigen Teilnehmer, ein Traumwert für dieses<br />
Fach! Während von den 32 Schülerinnen und<br />
Schülern ohne Lateinkenntnisse 13 zwei Fremdsprachen<br />
und 19 drei oder mehr Fremdsprachen<br />
belegen, haben von den 17 Schüler/innen mit<br />
der Wettbewerbssprache Latein mit einer Ausnahme<br />
alle mindestens zwei weitere oder gar drei<br />
Fremdsprachen belegt: alle lernen Englisch, 11<br />
Französisch, 6 Alt-Griechisch, je eine(r) Italienisch,<br />
Spanisch, Russisch, Japanisch.<br />
Die Schüler qualifizieren sich durch exzellente<br />
Ergebnisse (meist über 92 Prozent) be<strong>im</strong><br />
Einzelwettbewerb, der jedes Jahr Ende Januar<br />
stattfindet, sie werden dann zum viertägigen<br />
Sprachenturnier eingeladen, schon die Teilnahme<br />
ist also eine Auszeichnung! Zu den 17 Lateinern<br />
zählten CLAUDIUS BACHMANN, Canisius-Kolleg<br />
Berlin, MARIUS BOMHOLT, Städt. Gymnasium<br />
Petrinum Recklinghausen, ALMA BRODERSEN,<br />
Staatl. Gymnasium am Kaiserdom Speyer,<br />
ANDREAS BÜCKLE, Helfenstein-Gymnasium<br />
Geislingen, HENRIKE FLEISCHHACK, Altes Gymnasium<br />
Oldenburg, CONSTANZE GREINER, Anton-<br />
Philipp-Reclam-Gymnasium Leipzig, FREDERIK<br />
JUST, Kurfürst-Friedrich-Gymnasium Heidelberg,<br />
EVA KESSLER, Staatl. Gymnasium am Kaiserdom<br />
Speyer, CHRISTIAN MOLL, Städt. Leibniz-Gymnasium<br />
Gelsenkirchen, ANTONIA PAPENHEIM, Suitbertus-Gymnasium<br />
Düsseldorf, HEDWIG PLAMPER,<br />
Friedrich-Wilhelm-Gymnasium Köln, CHRISTINA<br />
SCHLEITHOFF, Peter-Wust-Gymnasium Merzig,<br />
FRANZ THOMA, Ludwigsgymnasium München,<br />
CAROLA TRAHMS, Gymnasium Steglitz Berlin,<br />
VANESSA UHLY, Theodor-Heuss-Gymnasium
Ludwigshafen, NIKLAS WAGNER, Tilemannschule<br />
L<strong>im</strong>burg, und ROLAND ZIMM, St.-Benno-Gymnasium<br />
Dresden.<br />
Was erwartete die Teilnehmer? Das Sprachenturnier<br />
besteht traditionell aus drei Teilen; Teil<br />
I dieser Veranstaltung ist eine zeitaufwendige<br />
Recherche- und Präsentationsaufgabe, genannt<br />
RAP („Recherchieren, Aufbereiten, Präsentieren“).<br />
Zur Auswahl stehen (für die Teilnehmer<br />
in Latein nicht anders als in den übrigen Wettbewerbssprachen)<br />
eine Recherche vor Ort, eine<br />
Internetrecherche und ein Bewerbungsgespräch.<br />
Die Latein-Teilnehmer mussten sich also, falls<br />
sie sich für Teilaufgabe 1 entschieden, in Soest<br />
umsehen – ausgerüstet mit einer Digital- oder<br />
Polaroidkamera und der Adresse des örtlichen<br />
Fremdenverkehrsbüros – und dabei recherchieren,<br />
was für ein fiktives Publikum („Leute,<br />
die sehr an der <strong>Antike</strong> und an der lateinischen<br />
Sprache interessiert sind“) interessant sein<br />
könnte. Oder sie wählten die Teilaufgabe 2,<br />
die Internetrecherche: dabei sollten sie „die<br />
Latein-Jury überzeugen, warum es gute Gründe<br />
gibt für jemanden, der <strong>Antike</strong>s oder Lateinrelevantes<br />
aufspüren möchte, etwa nach Bath,<br />
Leuven/Louvain, Nîmes, Segovia oder Verona<br />
zu reisen“. Die dritte Möglichkeit, die zur Wahl<br />
stand, war die Bewerbung um den Posten eines<br />
Museumsführers bzw. einer Museumsführerin in<br />
Museum und Park Kalkriese bzw. in der Römerstadt<br />
Augusta Raurica / Kaiseraugst bei Basel.<br />
Vorgelegt wurden dazu ein detaillierter Katalog<br />
von Einstellungsvoraussetzungen, Informationen<br />
aus dem Internet über die beiden Museumsorte<br />
und eine Textseite mit ausgewählten lateinischen<br />
Quellentexten/Inschriften, die zu studieren und<br />
in die Präsentation bzw. in das Bewerbungsgespräch<br />
möglichst klug einzubringen waren. Die<br />
Aufgaben wurden den Teilnehmern am Nachmittag<br />
des ersten Tages vorgestellt, am zweiten Tag<br />
ab 15 Uhr begann die Präsentation, die in der<br />
gewählten Wettbewerbssprache zu leisten war,<br />
für die Lateiner in deutscher Sprache mit einem<br />
kleineren lateinischen Anteil. Es gab also bis spät<br />
in die Nacht mächtig zu tun!<br />
Teil II ist die Kultur- und Sprachaufgabe,<br />
genannt SAUNA (weil man ins Schwitzen gerät),<br />
angesagt sind „Sortieren, Ankreuzen, Umsetzen,<br />
Nachdenken und Aufschreiben“. Auch dieser<br />
Bereich besteht aus mehreren Teilaufgaben,<br />
die allerdings allesamt zu bearbeiten sind. Es<br />
beginnt mit einem mehrseitigen Wissenstest (z.<br />
B. Quis erat auctor fabularum <strong>Rom</strong>anus clariss<strong>im</strong>us?<br />
– a) Phaedra , b) Phaidon, c) Phaeton, d)<br />
Phaedrus. – Quem auctorem fabularum Graecum<br />
is semper <strong>im</strong>itari conabatur?), wobei zu zwei<br />
Autoren/Werken detaillierteres Wissen nachzuweisen<br />
ist. In diesem Jahr wurden das VI. Buch<br />
von OVIDS Metamorphosen und EINHARDS Vita<br />
Caroli Magni den Teilnehmern zur Vorbereitung<br />
empfohlen. Zweitens ist eine deutsche Übersetzung<br />
eines lateinischen Textes anzufertigen (ein<br />
Auszug aus einem PLINIUSbrief an TACITUS) und<br />
drittens gibt es eine Hörverstehensaufgabe in einer<br />
für alle Teilnehmer fremden Sprache. War es 2002<br />
ein niederländischer Text mit vielen redundanten<br />
Partien (und dadurch gut verständlich), so wurde<br />
2003 ein Text in Jiddisch ausgesucht. Die von<br />
der Jury <strong>im</strong> Vorfeld als recht schwierig erachtete<br />
Aufgabe, einen Brief in der Wettbewerbssprache<br />
(für die Lateiner in Deutsch) an einen Freund zu<br />
schreiben, der zentrale Passagen der jiddischen<br />
Geschichte beinhalten sollte, wurde von den<br />
meisten Teilnehmern besser als erwartet bewältigt.<br />
Die vorgetragene Erzählung „Schalom Bajt“<br />
(1819) von IZSCHAK LEJB PEREZ wurde dem Buch<br />
„In Keller-Stub“ (59-64) entnommen und von<br />
CHAIM FRANK bearbeitet, gekürzt und mit einem<br />
Glossarium versehen; er las sie dem Publikum<br />
auch vor. Übrigens hatte er den Abend vorher unter<br />
größtem Interesse aller Teilnehmer von der Genese<br />
des Jiddischen und seiner spannenden Geschichte<br />
erzählt; die Erzählungen von I. L. Perez sind 1959<br />
<strong>im</strong> Meluche-Verlag in Moskau erschienen.<br />
Teil III ist wiederum eine sehr aufwendige<br />
kreative Aufgabe, genannt TEAM, also „Thema<br />
suchen, Entwerfen, Ausfeilen, Mitreißen“. In der<br />
Team-Aufgabe muss eine aus fünf oder sechs<br />
Teilnehmern bestehende Gruppe (darunter sind<br />
mindestens vier Wettbewerbssprachen vertreten!)<br />
einen Sketch oder eine Talkshow entwickeln<br />
und auf die Bühne bringen. Dabei müssen alle<br />
in ihrer Wettbewerbssprache zu Wort kommen,<br />
natürlich auch die Lateiner. Dazu gab es eine<br />
Fülle von Themenvorschlägen, etwa: „Madame<br />
Tussaud’s wird renoviert. Wer muss gehen,<br />
33
wer darf bleiben?“ – „Europa sucht den Superstar“<br />
– „Ein Spot für Europa“ – „Literarisches<br />
Quintett/Sextett: ‚Mein Buch ist das Größte‘“<br />
– „Internationales Forscherteam entdeckt bislang<br />
unbekannte Sprache“ – „Wenn Caesar wüsste …“<br />
– „Neuer Planet in der Milchstraße entdeckt!<br />
Raumschiff mit mehrsprachiger Besatzung auf<br />
dem Weg“ – „Hilfe, mein Kochbuch ist verbrannt!“<br />
– „Bücher sind Papierverschwendung!<br />
Kauft mehr Laptops!“ – „Bin ich <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel<br />
oder in der Hölle? Hier verstehen sich alle“<br />
u.v.m. Mit dem Einverständnis der Jury war es<br />
auch möglich, ein selbst ausgedachtes Thema zu<br />
bearbeiten. Natürlich gab es wie zur Präsentation<br />
auch für die Theateraufführung be<strong>im</strong> Start<br />
der Aufgabe eine spezielle Checkliste und eine<br />
Menge praktischer Tipps für die Teilnehmer. Mit<br />
der gemeinsamen Bearbeitung dieser Aufgabe ist<br />
ein weiterer Abend ziemlich ausgelastet.<br />
Für die Jury, die aus 30 Lehrerinnen und Lehrern<br />
aus nahezu allen Bundesländern, zumeist den<br />
Landesbeauftragten für den Bundeswettbewerb<br />
Fremdsprachen, bestand, hatte der Leiter der<br />
Geschäftsstelle des BWFS in Bonn, Herr SICKING,<br />
die erforderlichen Bewertungsbögen bereitgestellt<br />
und damit einen harmonischen, effizienten und<br />
spannenden Ablauf der Veranstaltung gesichert. <strong>Der</strong><br />
Vorsitzende der Jury, Herr StD FRIEDRICH STEPHAN/<br />
Mönchengladbach, hat das 5. Sprachenturnier erneut<br />
souverän geleitet und alle Klippen elegant umschifft.<br />
Die Arbeitsatmosphäre, der Leistungswille und die<br />
fachlichen Qualitäten der Teilnehmer/innen waren<br />
äußerst beeindruckend, die St<strong>im</strong>mung vom ersten<br />
Zusammentreffen bis zur Preisverleihung hervorragend,<br />
der Austragungsort, das Landesinstitut für<br />
Lehrerbildung an der Paradiesstraße in Soest, für<br />
dieses Turnier opt<strong>im</strong>al.<br />
Die Ergebnisse des Sprachenturniers sind auf<br />
der Webseite des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen<br />
zu finden (http://www.bundeswettbewerbfremdsprachen.de/wettbewerbe/einzel/turnier.html),<br />
auch einen ausführlichen Bericht von HUGO<br />
BÜHREN, dem Regionalbeauftragten in NRW,<br />
über die Tage in Soest kann man dort nachlesen<br />
(http://www.bundeswettbewerb-fremdsprachen.de/<br />
wettbewerbe/einzel/turnierbericht.pdf), weitere<br />
Fotos vom Sprachenturnier bietet meine Webseite<br />
(www.peirene.de/dav/turnier2003.html).<br />
34<br />
Die vier Turniersieger sind ALMA BRODERSEN,<br />
Speyer (L), SARAH GROß (NL), THOMAS KÖNIG<br />
(E) und MARIA MITAEVA (F). Diese 4 Preisträger<br />
werden <strong>im</strong> kommenden Jahr eine Zeitlang<br />
in einem englischsprachigen Land verbringen,<br />
wo sie auf Kosten des Bundeswettbewerbs<br />
Fremdsprachen leben können. Weitere Preisträgerinnen<br />
und Preisträger erhielten Geldpreise,<br />
Einladungen zur Teilnahme an Seminaren und<br />
Zeitschriften-Abos.<br />
Unter den vier Zweiten Turniersiegern ist<br />
aus der Gruppe der Lateiner NIKLAS WAGNER,<br />
L<strong>im</strong>burg; ANDREAS BÜCKLE, Geislingen, zählt<br />
zu den vier Dritten Siegern; er gehört auch zu<br />
den Teilnehmern an einem Schreibseminar in<br />
Leubsdorf/Rhein. CHRISTIAN MOLL, Gelsenkirchen,<br />
und ROLAND ZIMM, Dresden, dürfen an<br />
einem einwöchigen internationalen Seminar<br />
(ISLI) in Oberwesel teilnehmen. Teilnahmeurkunden<br />
gab es für alle, natürlich hat sich jeder<br />
die E-Mail-Adresse seiner Mitbewerber notiert,<br />
Freundschaften sind auch ein Mitbringsel von<br />
solchen Veranstaltungen!<br />
Das nächste Sprachenturnier findet <strong>im</strong> September<br />
2004 in Ludwigsfelde in Brandenburg statt.<br />
Dann wird der Bundeswettbewerb Fremdsprachen<br />
25 Jahre alt. Deshalb werden 2004 das Sprachenturnier<br />
und die Endrunde des Mehrsprachenwettbewerbs<br />
gemeinsam ausgerichtet.<br />
Was hat den Lateiner/inne/n am meisten Spaß<br />
gemacht? Die Teamarbeit, die Vorbereitung der<br />
Theaterstücke, das Improvisieren, der Stress und<br />
„der Kontakt mit Leuten, die Sprachen genauso<br />
mögen wie ich“. <strong>Der</strong> ein oder andere bekennt gar:<br />
„In der letzten Nacht habe ich zum ersten Mal mit<br />
den anderen ‚durchgemacht‘!“<br />
Die geringste Schwierigkeit bereitete allen die<br />
Übersetzungsaufgabe, als schwierig wurden die<br />
Wissensfragen empfunden. CLAUDIUS BACHMANN<br />
stellt fest: „Man müsste <strong>im</strong> Lateinunterricht mehr<br />
über Geschichte und Landeskunde sprechen!“<br />
Die Lateinsiegerin empfiehlt erneut OVID als<br />
Spezialautor (andere nennen LIVIUS, TERENZ und<br />
SENECA), meint hingegen, die Fragen sollten<br />
„nicht zu einfach“ sein. Die materiell-technischen<br />
Voraussetzungen (Kameras, Computer,<br />
Drucker, Papier, Stifte, Kleber usw.) hielten alle<br />
für opt<strong>im</strong>al. Natürlich wird der Zeitdruck emp-
funden und die Arbeit bis spät in den Abend als<br />
‚auslaugend’ beschrieben, die Siegerin ALMA<br />
BRODERSEN meint dennoch: „Auch wenn es<br />
stressig ist, man schafft es unglaublicher Weise<br />
trotzdem!“ ANDREAS BÖCKLE, einer der wenigen,<br />
die bereits zwe<strong>im</strong>al dabei waren, rät zukünftigen<br />
Teilnehmern „viel Kreativität mitzubringen“.<br />
FREDERIK JUST spricht wohl das größte Problem<br />
an: „Lateinsprechen ist wichtig, auch für die<br />
eigene Selbstsicherheit und ein überzeugendes<br />
Auftreten“. Deshalb hat er in Heidelberg privat<br />
einen entsprechenden Lateinkurs belegt, um<br />
Vertrautheit mit der gesprochenen lateinischen<br />
Sprache zu bekommen. CHRISTINA SCHLEITHOFF<br />
rät, „sich viel mit der antiken Geschichte und<br />
Kultur zu befassen – und sich auf das Sprachenturnier<br />
zu freuen!“ ANTONIA PAPENHEIM empfiehlt<br />
„Lateinsprechen zu üben und den Vorbereitungstext<br />
gründlicher zu lesen als ich!“ CONSTANZE<br />
GREINER verlangt: „Bring ein Betttuch mit – als<br />
Requisite für den Lateiner <strong>im</strong> Theaterpart uner-<br />
Personalia<br />
Griechische Lektüre – modernes Denken<br />
Zum Tode von Heinz Munding<br />
am 15. Januar 2004<br />
Unter den Didaktikern der alten Sprachen darf<br />
HEINZ MUNDING als einer der anregendsten und<br />
profiliertesten gelten. Seine zahlreichen Buch-<br />
und Zeitschriftenveröffentlichungen (Vorträge<br />
nicht zu vergessen) gelten durchweg Wesentlichem<br />
und Grundlegendem, nicht nur <strong>im</strong> Sinne<br />
wissenschaftlicher Diskurse, sondern <strong>im</strong> Blick<br />
auf den werdenden und suchenden jungen Menschen,<br />
dessen Verständnis der Welt und seiner<br />
selbst, dessen „Existenz“ es zu fördern und ein<br />
Stück weit zu klären gilt.<br />
Mundings Biographie, auf die hier nur in Stichworten<br />
eingegangen sei, ist mit dem Geburtsjahr<br />
1923 nahezu vorgezeichnet: Schule <strong>im</strong> „Dritten<br />
Reich“, Kriegsdienst, Gefangenschaft, danach<br />
erst Studium der klassischen Philologie und Philosophie<br />
in Frankfurt/Main, kurze Tätigkeit an<br />
der Universität Mainz, dann, ab Beginn der 60er<br />
lässlich!“ Alle sind ohne Ausnahme voll des<br />
Lobs über die Organisation, die konzeptionelle<br />
Vorbereitung und die sympathische Zusammenarbeit<br />
mit den Mitgliedern der Jury. Die gelassene<br />
Atmosphäre und das nicht vorhandene<br />
Konkurrenzdenken wurde von vielen Schüler/<br />
inne/n als große Überraschung registriert. Gerne<br />
hätten sie Zeit für einen gemeinsamen Ausflug<br />
in die Umgebung gehabt. Lehrreich sei die Teilnahme<br />
aber zweifellos gewesen, räumt HENRIKE<br />
FLEISCHHACK ein, „da man Latein einmal ganz<br />
anders erleben konnte“. Etliche Teilnehmer, so<br />
VANESSA UHLY, tragen sich mit dem Gedanken,<br />
sich für den Zweisprachenwettbewerb anzumelden,<br />
Englisch und Französisch haben dabei als<br />
weitere Sprachen die größten Chancen.<br />
Übrigens wurden fast alle Teilnehmer durch<br />
ihre Lateinlehrer auf diesen Wettbewerb aufmerksam<br />
gemacht. Auf diese geben sie denn<br />
auch große Stücke!<br />
JOSEF RABL, Berlin<br />
Jahre Mentor (heute „Fachleiter“) für Griechisch<br />
und später auch für Ethik.<br />
Ich verzichte darauf, auf seine Arbeiten detailliert<br />
einzugehen und verweise auf den Artikel<br />
von HARTMUT LOOS, Heinz Munding octogenario,<br />
FORUM CLASSICUM 1/2003, Seite 21f.<br />
Exemplarisch für Mundings Denkansatz ist<br />
bereits ein (meines Wissens unveröffentlicht<br />
gebliebener) Vortrag vom Anfang der 60er Jahre:<br />
Bericht und Reflexion über eine Unterrichtsreihe,<br />
die anhand ausgewählter Texte PLATON und<br />
THUKYDIDES in ihrem gegenseitigen Spannungsverhältnis<br />
zeigt.<br />
Die Reihe begann mit einem „Binnenvergleich“,<br />
einer Kontrastierung <strong>im</strong> „engen“ Bereich<br />
der griechischen Kultur und Sprache annähernd<br />
gleicher Zeit.<br />
Es sind zwei unterschiedliche Denkstile:<br />
der des Philosophen, ein Denken in Begriffen<br />
und eine entsprechende politische Ethik – und<br />
die des Historikers, der die „Dinge“, die realen<br />
35
Sachverhalte beobachtet und von daher Phänomene<br />
wie Machtzuwachs, überhaupt Fragen der<br />
Außenpolitik beleuchtet.<br />
In einem weiteren und entscheidenden Schritt<br />
stellte Munding die Frage nach der Aktualität der<br />
antiken Autoren heute und griff dabei weit über<br />
das Fach <strong>im</strong> engeren Sinne hinaus, letztlich zu der<br />
Frage: Was bedeutet heute Politik? Ein Dickicht<br />
<strong>im</strong> Grunde, in das man sich da begibt, Mut auch<br />
des Lehrers fast schon zu einem „Denken ohne<br />
Geländer“ (HANNAH ARENDT).<br />
Und doch bieten auch in dieser Hinsicht die<br />
griechischen Denker Entscheidendes, zumal für<br />
den Schüler, der sich erstmal an relativ Einfachem<br />
und nicht allzu schwer Verstehbarem erproben<br />
muss. Wie Munding <strong>im</strong>mer wieder betonte,<br />
bieten antike Texte vielfach Denk-Modelle, klar<br />
und gut überschaubar und eben deshalb geeignet,<br />
klar umrissene Grundbegriffe und Denkschritte<br />
zu vermitteln und das ohne allzu diffizile Verästellungen.<br />
<strong>Der</strong> knapp referierte Vortag sollte zentrale<br />
didaktische und pädagogische Anliegen am Beispiel<br />
verdeutlichen, die Munding ein Leben lang<br />
weiter verfolgte. Immer kam es ihm darauf an,<br />
dem Schüler klar zu machen: Um d i c h geht es<br />
da, um dein Leben und dein Verhalten. Oft hat er<br />
Denkstile und Denkformen scharf miteinander<br />
kontrastiert, dabei mitunter heftige Emotionen,<br />
lebhafte Zust<strong>im</strong>mung und ebensolche Ablehnung<br />
geweckt, aber zurückhaltend, was eigene<br />
Entscheidungen <strong>im</strong> Sinne eines Entweder – Oder<br />
betrifft. Nichts lag <strong>im</strong> ferner, als sich als dogmatischen<br />
maestro di verità zu gerieren. Gleichwohl<br />
bot er die behandelten Texte mit jener Verbindlichkeit,<br />
die unerlässlich ist, will man sich auf<br />
ernsthafte und fundierte Denkwege einlassen.<br />
Seine weit gespannten Interessen und<br />
Kenntnisse erlaubten ihm, ja drängten ihn zur<br />
modernen Wissenschaft, Soziologie, Anthropologie,<br />
vor allem aber zur Naturwissenschaft.<br />
Er hauptsächlich war es, der <strong>im</strong> Bereich der<br />
Schule den Vorsokratikern, die durch Platon und<br />
dessen denkerische Autorität Jahrhunderte lang<br />
verschüttet waren, wieder einen angemessenen<br />
Platz sicherte und dabei zeigte, wie nahe diese<br />
Denker, etwa EMPEDOKLES, DEMOKRIT, heutigem<br />
physikalischem Denken stehen. Gewiss: Hier<br />
36<br />
exakte Naturwissenschaft – dort naturphilosophische<br />
Spekulation, die auf manches antizipatorisch<br />
vordeutete. Gegenbilder? Nicht n u r Gegenbilder.<br />
Unter seiner Leitung befassten wir uns am<br />
Speyerer Gymnasium am Kaiserdom mit mehreren<br />
interdisziplinären Projekten, an denen Kollegen<br />
mit verschiedenen Fächern beteiligt waren.<br />
Zunächst „Ehrgeiz als ein Grundtrieb menschlichen<br />
Handelns“, dann – in Zusammenarbeit mit<br />
dem Deutschen Institut für Fernstudien an der<br />
Universität Tübingen – „Kosmos“ und „Evolution“.<br />
Bei aller Vielfalt der Themen, bei aller Unterschiedlichkeit<br />
der Terminologie verschiedener<br />
Wissenszweige kam es Munding stets darauf an,<br />
was sprachliche Artikulation betraf, lesbar, klar<br />
und verständlich zu sein. So schätzte er Denker<br />
wie K. R. POPPER und HANNAH ARENDT. Dagegen<br />
stand er kryptischen Sageweisen, in der Philosophie,<br />
in best<strong>im</strong>mten Wissenschaften und auch<br />
in der Dichtung, skeptisch bis schroff ablehnend<br />
gegenüber. Eigentlich erstaunlich bei einem versierten<br />
Pianisten, Geiger und Streichquartettspieler.<br />
(Oder vielleicht gerade deshalb?)<br />
Munding hat viele Kollegen, die sein Schaffen<br />
– auch in persönlichen Gesprächen – begleiten<br />
durften, in ihrem Denken geprägt und ermuntert,<br />
seine Spur weiter zu verfolgen. Vieles, was<br />
er angestoßen hat, ist noch uneingelöst. Zuletzt<br />
hat er in zwei Buchveröffentlichungen eine Art<br />
Bilanz gezogen: „<strong>Antike</strong> als Gegenbild“ (1990)<br />
und „Besinnung <strong>im</strong> Strom. Kulturphilosophische<br />
Essays und Aphorismen“ (1998).<br />
KLAUS EYSELEIN, Mutterstadt<br />
Dr. Franz-Peter Waiblinger<br />
zum 60. Geburtstag<br />
Am 20. Februar 2004 feierte Dr. FRANZ-PETER<br />
WAIBLINGER, seines Zeichens Akademischer<br />
Direktor an der Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität<br />
in München, seinen 60. Geburtstag. Dieses Fest<br />
ist für mich Anlass, ihm eine kurze Glückwunschadresse<br />
zu widmen. Nach meinem Weggang von<br />
München nach Berlin ist er vom Wittelsbacher<br />
Gymnasium, wo er Seminarlehrer für Latein war,<br />
zu meinem Nachfolger in der Didaktik-Lehre an
der Universität berufen worden. Er verwaltet eine<br />
der wenigen hauptamtlichen Didaktikstellen in<br />
Deutschland. Und er tut dies mit Bravour. Meine<br />
Arbeit hat er mit ganzem Engagement fortgesetzt.<br />
Er ist dabei auch ganz neue Wege gegangen.<br />
So hat er etwa in einer Aktion „Latein auf<br />
Stein“ die Studenten den Münchner Bürgern<br />
auf der Straße die lateinischen Inschriften erklären<br />
lassen oder wählte für ein Didaktikseminar<br />
Venedig als Lehrstätte (dort an der Venice International<br />
University). In <strong>Rom</strong> führte er mehrmals<br />
die Teilnehmer seiner Kurse unmittelbar an die<br />
antiken Orte, worüber sie später <strong>im</strong> Unterricht<br />
ihr Wissen weitergeben sollen. Waiblinger liebt<br />
<strong>Rom</strong>, er schwärmt geradezu von ihm; es ist ihm<br />
das geistige Zentrum seines Lebens. Gewiss<br />
deshalb hat er darüber seine ersten <strong>Reis</strong>eführer<br />
für italienische Städte geschrieben, z. B. „dtv<br />
<strong>Reis</strong>e Textbuch <strong>Rom</strong>“ oder „<strong>Rom</strong> – Ein literarischer<br />
<strong>Reis</strong>eführer“ (WBD). Über die „ewige<br />
Stadt“ wird er demnächst in der Reihe ANTIKE<br />
UND GEGENWART auch eine Schülertext-Ausgabe<br />
mit Lehrerkommentar präsentieren. Den Rahmen<br />
dafür hat er bereits bei seinem Vortrag „Urbs<br />
aeterna. Die Stadt <strong>Rom</strong> <strong>im</strong> Lateinunterricht“ auf<br />
dem DAV-Kongress in Jena 1996 abgesteckt.<br />
Franz-Peter Waiblinger ist ein gründlicher<br />
und solider Arbeiter; in manchem freilich auch<br />
ein Querdenker, der sich – in Rücksicht auf die<br />
Lernenden – mit dem Bestehenden nicht abfinden<br />
kann und will. Einerseits sind ihm die neuen<br />
Sprachlehrbücher zu modernistisch, andererseits<br />
will er für die Originallektüre die Schüler ihre<br />
Textausgaben selbstständig mit Hilfe der modernen<br />
Medien herstellen lassen. Mag man gegen<br />
solche Positionen – vielleicht mit Recht – Widerspruch<br />
anmelden, so wird man seiner These, das<br />
Wortschatzlernen in der Lektürephase solle sich<br />
an den aktuell benötigten Wörtern der tatsächlich<br />
gelesenen Kapitel mit Hilfe von Wortlisten, nicht<br />
mit massigen Wortkunden vollziehen, aus Überzeugung<br />
zust<strong>im</strong>men.<br />
Mit seinen Übersetzungen (etwa bei dtv), aber<br />
auch mit seinen Berichten und Rezensionen in<br />
der Süddeutschen Zeitung wirbt der Jubilar mit<br />
Erfolg auch extra muros für die Sache der Klassischen<br />
Sprachen. <strong>Der</strong> <strong>Antike</strong> gilt (neben der<br />
deutschen Literatur) seine Liebe. Diese ist wohl<br />
auch das leitende Motiv, das seine Freunde um<br />
ihn schart; da zeigt er sich <strong>im</strong> Gespräch offen,<br />
gerade, ohne Hintergedanken, voller Verständnis<br />
für die Situation des anderen, zuweilen geprägt<br />
von verhaltenem Humor. Da greift er dann gelegentlich<br />
auch zum Saxophon, das er meisterlich<br />
beherrscht. <strong>Der</strong> Jubilar ist ein vir vere humanus,<br />
der sich auch Schicksalsschlägen – etwa be<strong>im</strong><br />
frühen Tod seiner lieben Frau – tapfer stellt.<br />
Für seine Arbeit, aber auch seine Freundschaft<br />
danken ihm gewiss viele. Ich will ihm persönlich<br />
und <strong>im</strong> Namen des DAV ein „Ad multos annos“<br />
zurufen.<br />
FRIEDRICH MAIER, Puchhe<strong>im</strong><br />
Dr. Marion Giebel, eine Protagonistin extra<br />
muros, 65 Jahre<br />
Am 10. 3. 2004 ist Dr. MARION GIEBEL 65 Jahre alt<br />
geworden. Sie ist keine Lehrerin der Klassischen<br />
Sprachen, aber doch eine ungemein wirksame<br />
Kämpferin für das Fortleben der <strong>Antike</strong> in unserer<br />
Welt, die mehr und mehr „die freie Fahrt in die<br />
Moderne“ proklamiert. Insofern dient sie auch<br />
dem Ansehen des altsprachlichen Unterrichts in<br />
der Öffentlichkeit.<br />
Nach dem Studium der Klassischen Philologie,<br />
Archäologie und Germanistik in Frankfurt<br />
und nach der Promotion über ein griechisches<br />
Thema (1966) bei HARALD PATZER arbeitete Giebel<br />
zunächst als Lektorin <strong>im</strong> Goldmann-Verlag München,<br />
sehr bald aber ist sie freie Schriftstellerin<br />
geworden. Seit 1968 begann sie sich dadurch bei<br />
allen, die an der <strong>Antike</strong> interessiert sind, einen<br />
Namen zu machen; heute zählt sie wohl unter den<br />
Autoren, die über die antike Welt außerhalb von<br />
Schule und Universität den Menschen berichten,<br />
zu den profiliertesten und anerkanntesten.<br />
Von ihr stammen 16 Übersetzungen <strong>im</strong><br />
Reclam-Verlag, darunter die erste zweisprachlige<br />
Ausgabe zu Velleius Paterculus, ebenso<br />
die vielgelesenen Rowohlt-Monographien zu<br />
Cicero, Sappho, Augustus, Vergil, Ovid, Seneca<br />
und die umfangreicheren (meist bei Artemis<br />
erschienenen) Darstellungen zu Sachthemen wie<br />
„Das Gehe<strong>im</strong>nis der Mysterien. <strong>Antike</strong> Kulte in<br />
Griechenland, <strong>Rom</strong> und Ägypten“ (1990) oder<br />
„Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der<br />
37
Götter“ (2002). Besonders geschätzt ist ihr bei<br />
Reclam erschienener „Literarischer <strong>Reis</strong>eführer<br />
durch das römische Italien“ mit dem gelungenen<br />
Titel „Treffpunkt Tusculum“ (1995).<br />
Die Jubilarin propagiert freilich antikes Leben<br />
und Denken nicht bloß in ihren Schriften; sie setzt<br />
die Kraft ihrer feinfühligen und treffsicheren Sprache<br />
auch ständig in Vorträgen ein. Vor allem aber<br />
ist sie seit Jahrzehnten durch sehr griffige Themen<br />
<strong>im</strong> Bayerischen Rundfunk präsent. Die Palette der<br />
von ihr für diese Sendungen verfassten Manuskripte<br />
ist sehr weit angelegt, sie umfasst die gesamte griechische<br />
und lateinische Literatur, etwa angefangen<br />
vom „Weiberstreik und Wolkenkuckuckshe<strong>im</strong>“<br />
eines ARISTOPHANES über „Ovid in der Verbannung“<br />
bis zu „Marc Aurel, Kaiser“. Neuerdings läuft ihre<br />
regelmäßige <strong>Antike</strong>präsentation unter der Rubrik<br />
„Zeitreisen“ und „radioTexte“.<br />
Zeitschriftenschau<br />
Fachdidaktik<br />
Angesichts des kaum noch aufzuhaltenden Schülerschwunds<br />
<strong>im</strong> Fach Griechisch muss sich der<br />
Lateinunterricht – wollen wir weiterhin ein vollständiges<br />
Bild der <strong>Antike</strong> und ihrer Bedeutung<br />
für die europäische Kultur vermitteln – zwangsläufig<br />
der Frage stellen, wie griechische Inhalte<br />
adäquat in das Fach Latein integriert werden<br />
können. Mit diesem Thema („Griechisches <strong>im</strong><br />
Lateinunterricht“) setzt sich Heft 6/2003 des<br />
Altsprachlichen Unterrichts auseinander. In<br />
der kurzen Einleitung gibt PETER WÜLFING einen<br />
knappen Überblick über die Beiträge des Heftes,<br />
bevor HANS BERNSDORFF die Berührungspunkte<br />
zwischen Griechen und Römern, die Bereiche<br />
ihrer kulturellen Auseinandersetzung zusammenfassend<br />
darstellt; dabei geht er allerdings<br />
nur durch die Berücksichtigung neuerer Literaturtheorien<br />
über das hinaus, was <strong>im</strong> Studium allen<br />
angehenden Lateinlehrern zum griechischen Einfluss<br />
auf die Römer vermittelt wird. Als geradezu<br />
klassisch kann man das erste Praxisbeispiel von<br />
ANDREA BURWINKEL bezeichnen: Sie vermittelt<br />
„Griechische Mythologie <strong>im</strong> Anfangsunterricht<br />
38<br />
Marion Giebels Engagement gründet nicht bloß<br />
auf einer int<strong>im</strong>en Kenntnis der Stoffe, es zeugt<br />
auch von einer ausgesprochen starken Liebe zu<br />
der von ihr erforschten Welt. Sie erwirbt das<br />
antike Erbe, damit es auch andere besitzen. Dafür<br />
will sie bewusst in der Öffentlichkeit tätig sein.<br />
„Wem gehört die <strong>Antike</strong>?“ So lautete der provozierende<br />
Titel ihres am DAV-Kongress in Bamberg<br />
1994 gehaltenen Vortrags. Sie reklamiert<br />
zu Recht die <strong>Antike</strong> auch für die Schriftsteller,<br />
die, wie sie meint, ein noch weiteres Publikum<br />
erreichen als die Lehrerinnen und Lehrer.<br />
Für diesen ihren „Kampf extra muros“, wie<br />
sie ihre Arbeit selbst bezeichnet, möchte ich ihr<br />
persönlich und <strong>im</strong> Namen des DAV aufrichtig<br />
danken. Zu ihrem Jubiläumstag gehen ihr unsere<br />
herzlichen Glückwünsche zu.<br />
FRIEDRICH MAIER, Puchhe<strong>im</strong><br />
Latein“ (hier konkret den Raub der Helena),<br />
indem sie der Präsentation <strong>im</strong> Lehrbuch entsprechend<br />
aussagekräftiges Bild- und Textmaterial<br />
kontrastierend gegenüberstellt, um ihre Schüler<br />
so zu einer differenzierten Interpretation zu<br />
führen. CHRISTIAN STOCK erläutert anschließend<br />
seine für die Übergangs- oder Anfangslektüre<br />
konzipierte, erfreulich konkret dargestellte und<br />
umfassend dokumentierte Unterrichtsreihe zur<br />
Ilias Latina, einem vermutlich in der Regierungszeit<br />
Neros entstandenen epischen Gedicht,<br />
dessen gut tausend Hexameter sich inhaltlich<br />
mehr oder weniger an Homer orientieren. Ein<br />
Nachtrag zu AU 4+5/2003 (die Besprechung der<br />
lateinischen Kurzgrammatik GrammaDux durch<br />
WILLIBALD HEILMANN) füllt sinnvoll den restlichen<br />
Platz der Seite. Im nächsten Praxisbeispiel stellt<br />
MARIA LÜHKEN unter dem Titel „<strong>Der</strong> Dichter als<br />
Übersetzer“ eine sehr anspruchsvolle, vierstündige<br />
Sequenz zur vergleichenden Lektüre von<br />
CATULLS carmen 51 und dem entsprechenden<br />
SAPPHO-Fragment vor; dabei wird den Schülern<br />
durch Transkription und textnahe Übersetzung<br />
sogar der griechische Originaltext zugänglich
gemacht. KARL-HEINZ NIEMANN beschäftigt sich<br />
<strong>im</strong> anschließenden Artikel mit COCTEAUS und<br />
STRAWINSKYS Oedipus Rex; in dieser didaktisch<br />
wie inhaltlich höchst interessanten Unterrichtsreihe<br />
für einen Grundkurs ohne Griechisch-<br />
Kenntnisse vermittelt er fächerverbindend einen<br />
Einblick in die griechische Tragödie, die aufgrund<br />
der für die Schule ungeeigneten Dramen SENECAS<br />
– des einzigen vorhandenen authentischen Materials<br />
– <strong>im</strong> Lateinunterricht zumeist gar nicht thematisiert<br />
werden kann. Im letzten Praxisbeispiel<br />
des Heftes („Griechisches und Römisches <strong>im</strong><br />
Münzbild“) möchte TAMARA VISSER mit Schülern<br />
anschauliche Dokumente dafür untersuchen,<br />
wie auch <strong>im</strong> Alltag die römische Kultur an die<br />
griechische anknüpfte und sie rezipierte; dem<br />
dabei postulierten handlungsorientierten Ansatz<br />
wird die Autorin m. E. jedoch nicht gerecht: Die<br />
Selbständigkeit der Schüler bleibt auf das genaue<br />
Betrachten der obendrein nicht <strong>im</strong>mer deutlichen<br />
Münzabbildungen beschränkt, für die Deutung<br />
und Interpretation der gewonnenen Ergebnisse<br />
ist umfangreiches (in dem Beitrag enthaltenes)<br />
Vorwissen notwendig, so dass die längste Unterrichtsphase<br />
wohl ein gelenktes Unterrichtsgespräch<br />
sein dürfte. Das Magazin beginnt mit<br />
drei Buchhinweisen: Hellenika (besprochen<br />
von JOACHIM BIRKEN), Das antike <strong>Rom</strong> – Führer<br />
durch Geschichte und Kultur (rezensiert von<br />
JÜRGEN BERTRAM) und Attika <strong>im</strong> Spiegel antiker<br />
Zeugnisse (empfohlen von WILLIBALD HEILMANN).<br />
Es folgt eine nützliche tabellarische Übersicht zu<br />
„Informationen und Materialien zu Griechischem<br />
in Lateinlehrbüchern“ von JÖRG PFEIFER, der übrigens<br />
ab 2004 die Redaktionsleitung anstelle von<br />
EVA DOROTHEA BODER übern<strong>im</strong>mt. FRIEDERIKE<br />
HORN und SANDRA RUDLOFF geben in einem von<br />
originellen Anregungen strotzenden und dabei<br />
konstruktiv kritischen Artikel ihre Erfahrungen<br />
mit der Textausgabe „Kleopatra“ (Vandenhoeck<br />
& Ruprecht) wieder. MATHIAS LÖCHNER berichtet<br />
von dem interessanten Weg, den das Reuchlin-<br />
Gymnasium in Pforzhe<strong>im</strong> gefunden hat, um<br />
dem Fach Griechisch durch Öffnung auch für<br />
Nichtlateiner wieder zu steigenden Schülerzahlen<br />
zu verhelfen und es so vor dem Aussterben<br />
zu bewahren. Eine Abbildung des nach neuesten<br />
Forschungen erstellten Modells des Athener Dio-<br />
nysostheaters beschließt als Miniposter dieses<br />
überwiegend gelungene Heft.<br />
Unter dem Titel „Synoptisches Lesen“ vereint<br />
<strong>Der</strong> Altsprachliche Unterricht in der Ausgabe<br />
1/2004 Artikel, die in sehr unterschiedlicher<br />
Weise die Arbeit mit Übersetzungen <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />
thematisieren. <strong>Der</strong> sehr ausführliche<br />
Basisartikel von RAINER NICKEL beschäftigt sich<br />
schwerpunktmäßig mit dem Übersetzungsvergleich;<br />
dazu werden auf einer soliden theoretischen<br />
Basis die möglichen Gesichtspunkte für<br />
Übersetzungsvergleiche erläutert und nützliche<br />
Hinweise für die Praxis gegeben. Dem problematischen<br />
Umgang mit Übersetzungen von Lehrbuchtexten<br />
aus dem Internet widmet sich ACHIM<br />
BEYER <strong>im</strong> ersten Praxisbeispiel („Vernetztes<br />
Denken“), in dem er einen Weg aufzeigt, solche<br />
teilweise sehr fehlerhaften Produkte sinnvoll für<br />
den Unterricht zu nutzen – ihr he<strong>im</strong>licher Einsatz<br />
ist ohnehin kaum kontrollierbar. Sehr überzeugend<br />
legt HANS-LUDWIG OERTEL in seinem Beitrag<br />
„Punktuelles Lesen“ dar, dass der Einsatz<br />
deutscher Übersetzungen nicht automatisch zu<br />
Oberflächlichkeit führt; die vorgestellte Methode<br />
ist sehr variabel in Mittel- und Oberstufe einsetzbar,<br />
ermöglicht die zügige Lektüre längerer<br />
Passagen und schärft den Blick der Schüler für<br />
wichtige Details. Wie man Lernern, die erst in<br />
Klasse 11 mit dem Lateinunterricht beginnen,<br />
trotz extremer Zeitknappheit bis zum Abitur<br />
einen nachhaltigen Eindruck von römischer<br />
Literatur vermitteln kann, zeigt WIELAND RICH-<br />
TER in dem „Dido und Aeneas“ überschriebenen<br />
Praxisbeispiel, das aufgrund der umfangreichen<br />
Dokumentation hervorragend nachvollziehbar<br />
ist. Weniger ertragreich ist dagegen der sich<br />
anschließende Aufsatz von CHRISTINE GROß<br />
zur Pax <strong>Rom</strong>ana: Über die fachwissenschaftlichen<br />
und interpretatorischen Zusammenhänge<br />
kommen Didaktik und Methodik allzu kurz, die<br />
vorgeschlagenen Tafelbilder sind durch Umfang<br />
und Komplexität sehr praxisfern. Dies fällt vor<br />
allem <strong>im</strong> <strong>Vergleich</strong> mit den darauf folgenden<br />
Ausführungen von KARL-HEINZ NIEMANN zu<br />
methodischen Varianten bei der SENECA-Lektüre<br />
auf; sehr stringent macht er deutlich, wie man<br />
entscheidet, welche Partien oder ganze Briefe<br />
man <strong>im</strong> Original, welche man zweisprachig und<br />
39
welche man vollständig in Übersetzung liest; die<br />
dabei entstehenden Tafelbilder sind übersichtlich<br />
und aussagekräftig, das beigefügte Folienbild<br />
– ein durchaus nicht perfektes Schülerprodukt<br />
– verdeutlicht das erreichbare Textverständnis.<br />
SYLVIA THIELEs prägnanter Beitrag dreht sich<br />
um TOLKIENS „Ringgedicht“, das mittlerweile<br />
auch in einer lateinischen Version existiert – ein<br />
<strong>Vergleich</strong> mit der englischen und der deutschen<br />
Fassung sorgt für beachtlichen Erkenntnisgewinn<br />
auf sprachlicher Ebene und eignet sich hervorragend<br />
für Vertretungsunterricht. (Für die Mitarbeit<br />
an einem Heft zu dem wichtigen Thema „Vertretungsstunden“<br />
wird übrigens auf S. 51 ausdrücklich<br />
geworben!) In der Rubrik AUextra berichtet<br />
STEPHAN THIES ausführlich über die positiven<br />
Erfahrungen mit „Latein-Plus“ <strong>im</strong> sogenannten<br />
Biberacher Modell. Die Anregungen <strong>im</strong> Magazin-<br />
Teil enthalten Artikel von PETER GUMMERT über<br />
MARTIN LUTHERS Gedanken zur Problematik des<br />
Übersetzens und ihre Behandlung <strong>im</strong> Unterricht,<br />
von WERNER KEMPKES zu kolometrisch-synoptischem<br />
Lesen und dem Wesen einer hilfreichen<br />
Übersetzung, von MEINHARD-WILHELM SCHULZ<br />
zu der – etwas eigenwilligen – einsprachigen<br />
Erklärung schwieriger Sätze auch <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />
und von SYLVIA THIELE über den Beitrag<br />
der <strong>Antike</strong> zum Verständnis von Tolkiens „perfektem<br />
Mythos“. Tipps und Termine sowie das Miniposter<br />
(„Dido und Aeneas in der Höhle“, farbige<br />
Abbildung aus dem Codex Vergilius <strong>Rom</strong>anus)<br />
beschließen dieses empfehlenswerte Heft.<br />
40<br />
MARTIN SCHMALISCH<br />
Themenschwerpunkt der ZS Welt und Umwelt<br />
der Bibel in Heft 30/2003 ist die Gestalt Abrahams;<br />
ein Dutzend Beiträge sind diesem ‚Mann<br />
mit vielen Gesichtern‘ gewidmet. Ein archäologischer<br />
Beitrag des Heftes gilt den Lagerhäusern<br />
und Silos in Cäsarea Marit<strong>im</strong>a: J. PATRICH,<br />
„<strong>Antike</strong> Vorratshaltung“ (66-69), unterscheidet<br />
mehrere Speichertypen, zieht Rückschlüsse auf<br />
die Bedeutung für die Ökonomie der Stadt und<br />
beschreibt Cäsarea als ein Beispiel für die antike<br />
Vorratshaltung in einer größeren Stadt. – Ein<br />
schönes Heft ist den Herausgebern mit der Nr.<br />
31/2004 gelungen, das den Fluss Nil in den Mit-<br />
telpunkt stellt und eine Reihe von Beiträgen zu<br />
Natur, Kultur, Religions- und Alltagsgeschichte,<br />
Archäologie und Kunst des Niltals präsentiert. P.<br />
LENOBLE berichtet „Wie die Spione des Nero die<br />
Nilquellen suchten. Ägyptenforschung vor zwei<br />
Jahrtausenden“ (47). Auf Befehl NEROS machte<br />
sich 61 n. Chr. eine Expedition nach Ägypten<br />
auf, um die Erfolgsaussichten einer möglichen<br />
Eroberung zu prüfen. Doch vor allem studieren<br />
die Gesandten das fremde Volk und besichtigen<br />
touristische Angebote, so die Berichte bei PLINIUS<br />
d. Ä., SENECA und CASSIUS DIO.<br />
Die ZS <strong>Antike</strong> Welt greift in Heft 5/2003<br />
mit mehreren reich illustrierten Beiträgen das<br />
Thema einige schulisch sehr relevante Themen<br />
auf. H. KLOFT schildert den „Alltag in der <strong>Antike</strong>.<br />
Das Beispiel Pompeji“ (451-461); anhand von<br />
Graffiti, Dipinti und epigraphischen Zeugnissen<br />
spürt er dem ‚Glück‘, den ‚Segnungen der<br />
Pax <strong>Rom</strong>ana‘ nach, den ‚langfristigen Bekundungen<br />
von Zufriedenheit und Einverständnis<br />
mit den Lebensumständen über die subjektive<br />
Befindlichkeit hinaus‘. – Langjährige Grabungen<br />
haben in Arkadien eine prachtvolle kaiserzeitliche<br />
Villenanlage zutage gefördert, die <strong>im</strong><br />
Besitz des berühmten Sophisten und steinreichen<br />
Mäzen HERODES ATTICUS war. Darüber<br />
berichten TH. und G. SPYROPOULOS: „Prächtige<br />
Villa, Refugium und Musenstätte. Die Villa des<br />
Herodes Atticus <strong>im</strong> arkadischen Eua“ (463-470;<br />
vgl. auch MARCO GALLI, Die Lebenswelt eines<br />
Sophisten. Untersuchungen zu den Bauten und<br />
Stiftungen des Herodes Atticus, Verlag Ph. v.<br />
Zabern, Mainz). – Neben den traditionellen<br />
Gattungen der Historienbilder, der mythologischen<br />
Gemälde und der Porträts waren schon<br />
in griechischer Zeit Lebensmittel ein Bildgegenstand<br />
der Kunst. Erscheinungsformen und<br />
Deutungsmöglichkeiten antiker Stilleben stellt<br />
K. JUNKER in seinem Beitrag „Täuschend echt.<br />
Stilleben in der römischen Wandmalerei“ (471-<br />
482) vor. – EDITH BERNHAUER befasst sich mit<br />
der Wechselbeziehung zwischen Attribut und<br />
Statueninhaber in der ägyptischen Kunst: „Sinnbildliche<br />
Kennzeichen ägyptischer Würdenträger.<br />
Die rundplastische Darstellung von Privatpersonen<br />
mit Attribut <strong>im</strong> Alten Ägypten“ (483-489).<br />
– Die Liebe Apolls und das Schicksal des von
ihm erwählten Hyakinthos, der be<strong>im</strong> Spiel mit<br />
dem Diskus ums Leben kam, beschreibt u. a.<br />
OVID; G. GRIMM: „Apolls Liebling Hyakinthos<br />
oder Wer ist wer?“ (499-503) stellt einige Abbildungen<br />
des Mythos vor. – Den Vorläufern des<br />
römischen Hand-Abacus und die Entwicklung<br />
dieses Rechengeräts bis in die moderne Zeit verfolgt<br />
A. SCHÄRLIG: „Rechnen ganz einfach. <strong>Der</strong><br />
römische Abacus – sein griechischer Vorfahre<br />
und seine Nachkommenschaft bis nach Japan“<br />
(517-520). – Einige Beiträge verweisen auf<br />
Ausstellungen und neue Sammlungen: GERHILD<br />
KLOSE, KATHARINA ANGERMEYER: „Isis hält Hof.<br />
Ein Römerfest zur Eröffnung der Kultstätte der<br />
Isis Panthea und Mater Magna in Mainz“ (521-<br />
524); R. PETROVSZKY, BÄRBEL HANEMANN: „Römer<br />
in der Pfalz. Die neue Ausstellung zur Römerzeit<br />
<strong>im</strong> Historischen Museum der Pfalz Speyer“<br />
(525-528); M. FLASHAR: „Theseus, der Held der<br />
Athener. Wie die Archäologische Sammlung der<br />
Universität Freiburg drei gleichzeitig laufende<br />
Sonderausstellungen auf die Beine gestellt hat“<br />
(529f.). – Heft 6/2003 beginnt mit einem Bericht<br />
über eine Ausstellung <strong>im</strong> Berliner Vorderasiatischen<br />
Museum von J. MARZAHN: „Wiedererstehendes<br />
Assur. 100 Jahre deutsche Ausgrabungen<br />
in Assyrien“ (567-574). – M. FUHR schreibt über<br />
„Beutekunst unter Napoleon. Die ‚französische<br />
Schenkung‘ an Mainz 1803. Eine Ausstellung <strong>im</strong><br />
Landesmuseum Mainz“ (595-599). – Über eine<br />
Ausstellung <strong>im</strong> Albertinum Dresden informieren<br />
M. WOELK und KORDELIA KNOLL: „Die Lebenden<br />
und die Seligen. Unteritalisch-rotfigurige Vasen<br />
der Dresdener Skulpturensammlung“ (601-603).<br />
– Die ungewöhnlich dichte Folge von Badeanlagen<br />
in Olympia, deren Entwicklung sich vom<br />
5. Jh. v. Chr. bis weit in die römische Kaiserzeit<br />
verfolgen lässt, belegt, dass man an dieser prominenten<br />
Stätte gerade auch be<strong>im</strong> Badewesen den<br />
jeweils neuesten Standard anstrebte; U. SINN,<br />
CHRISTINA LEYPOLD und CHRISTA SCHAUER geben<br />
einen Einblick: „Olympia – eine Spitzenstellung<br />
nicht nur <strong>im</strong> Sport. Eine neuentdeckte Badeanlage<br />
der hellenistischen Zeit“ (617-623). – Im 2. und 3.<br />
Jahrhundert n. Chr. ist in vielen Regionen Kleinasiens<br />
die Tendenz festzustellen, Göttergeburten<br />
auf Münzen oder Theaterfriesen nachdrücklich in<br />
das Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen; diese<br />
Sehnsucht nach welterneuernden Gotteskindern<br />
untersucht J. NOLLÉ: „Vielerorts war Bethlehem<br />
– Göttergeburten <strong>im</strong> kaiserzeitlichen Kleinasien“<br />
(635-643). – In der Rubrik ‚Seitenblicke auf die<br />
antike Welt‘ untersucht H. FÖRSTER „Die Anfänge<br />
des Weihnachtsfestes“ (668-671).<br />
Vier ganz verschiedene Wettbewerbsberichte<br />
liest man in Latein und Griechisch in Berlin und<br />
Brandenburg: J.PIEPER, ausgezeichnet in Arpino<br />
mit einem begehrten Sonderpreis, erzählt in Heft<br />
3/2003, 86-88 unter dem Titel „Großer Berliner<br />
Erfolg be<strong>im</strong> Certamen Ciceronianum 2003“ vom<br />
großen Erlebnis in Italien. – Das Stück, mit dem<br />
die Berliner Bühring-Oberschule Landessieger<br />
be<strong>im</strong> Bundeswettbewerb Fremdsprachen wurde<br />
und sich für die Teilnahme am Sprachenfest in<br />
Hildeshe<strong>im</strong> qualifizierte, ist nachzulesen S. 88-91<br />
unter dem Titel: „Horror unoculi vel ‚numquam<br />
sine …’“; Odysseus und Konsorten lassen darin<br />
den einäugigen Polyphem schlecht aussehen.<br />
– J. RABL blickt in Heft 4/2003,110-137 auf den<br />
Berlin-Brandenburgischen Wettbewerb ‚Lebendige<br />
<strong>Antike</strong>‘ mit dem Thema „Werbung mit allen<br />
antiken Mitteln“ zurück: „Lebendige <strong>Antike</strong><br />
verleiht Flügel. Viel Witz und Phantasie be<strong>im</strong> 8.<br />
Schülerwettbewerb“ (vgl. auch www.peirene.de).<br />
– BETTINA REITZ schließlich war unterwegs „Auf<br />
den Spuren des Horaz in Venosa. Kleine Entdeckungsreise<br />
mit einer großen Überraschung“<br />
(139f).<br />
In Heft 2/2003 der ZS Latein und Griechisch<br />
in Baden-Württemberg gibt G. REINHART einen<br />
aktuellen Überblick über „Latein und Griechisch<br />
in Baden-Württemberg“ (9-13) mit einem Ausblick<br />
auf die neuen Bildungsstandards, „mit<br />
deren Hilfe neue Aspekte des altsprachlichen<br />
Unterrichts in Hinblick auf ihre Anspruchhöhe<br />
und Durchdringungstiefe näher definiert werden.<br />
Dabei treten z. B. folgende Arbeitsformen in den<br />
Blickpunkt: produktive Formen des Umgangs mit<br />
Texten (produktives Schreiben, Dialogisierung<br />
von Texten, Inszenierungen etc.); Text-Bild-<br />
<strong>Vergleich</strong>e oder Text-Text-<strong>Vergleich</strong>e; Einbeziehung<br />
elektronischer Medien als Hilfs- und<br />
Arbeitsmittel. … Mit dem altsprachlichen Unterricht<br />
verbunden sind eine nachhaltige Schulung<br />
analytischer, kombinatorischer und strukturierender<br />
Fähigkeiten, die Ausprägung einer vor-<br />
41
urteilsfreien Offenheit für fremde Kulturen und<br />
die Entwicklung eines eigenen Urteilsvermögens.<br />
Damit zielt der altsprachliche Unterricht nicht nur<br />
auf methodische und kulturelle, sondern auch auf<br />
soziale und personale Kompetenzen.“ – Es folgen<br />
zwei Vorträge bei Fortbildungsveranstaltungen:<br />
E. A. SCHMIDT: „Krieg und Menschlichkeit in<br />
der Ilias“ (14-26) und K. BARTELS: „Hephaistos,<br />
Prometheus und Homo faber. Mythisches und<br />
postmythisches Technikverständnis“ (26-37).<br />
– Über eine Stuttgarter Fachtagung des Vereins<br />
„Alte Geschichte für Europa“ berichtet R. KLIMEK-<br />
WINTER: „Das römische Reich und die historischen<br />
Wurzeln des heutigen Europa“ (41-43). – Abgedruckt<br />
ist die lateinische „Laudatio auf Michael<br />
von Albrecht“ anlässlich seines 70. Geburtstags<br />
von J. P. SCHWINDT (45f.)<br />
Viel Interessantes bietet das Doppelheft 2+3/<br />
2003 der ZS Die Alten Sprachen <strong>im</strong> Unterricht.<br />
Zwei Thüringer Schülerinnen KATI HILDEBRAND<br />
und STEFANIE SCHUH erzählen begeistert von<br />
ihrer Teilnahme am internationalen Certamen<br />
Ciceronianum in Arpino (4-6). – KARIN KEMME-<br />
TER befasst sich mit ganz praktischen „Möglichkeiten<br />
der aktiven Werbung für das Fach Latein:<br />
Audite Faunum!“ (12-14). – A. SEDLMEIER plädiert<br />
für die Lektüre lateinischer Texte des 20.<br />
Jahrhunderts „Christliche Texte <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />
– ein Projekt für die 10. Jahrgangsstufe<br />
am Beispiel der Enzyklika ‚Humanae vitae‘“<br />
(14-40) mit einer (kopierfähigen) Textauswahl<br />
und umfangreichen Erläuterungen (40-70). – Im<br />
Heft 4/2003, S. 3 berichtet H. KLOIBER u. a. von<br />
einem Schreiben von Ministerialdirigent Dr. P.<br />
Müller, „dass in Zukunft auch Schüler mit Latein<br />
als zweiter Fremdsprache ‚das Fach Griechisch<br />
ohne weitere Auflagen wählen‘ und damit zum<br />
Humanistischen Gymnasium zugelassen werden<br />
können.“ – F. HEUBNER ruft (5f.) zum XI. Certamen<br />
Thuringiae 2004 auf. – Zu einem ausgefallenen<br />
Wettbewerb ruft der Landesverband Bayern<br />
auf: „Gegenstand des Wettbewerbs ist ein Logo<br />
bzw. eine graphische oder bildhafte Darstellung,<br />
die auf witzige, nicht aber kitschhafte Weise für<br />
das Fach Latein werben soll. Auch eine Kombination<br />
aus graphischen Elementen und einem<br />
kurzen Text <strong>im</strong> Sinne einer Sentenz oder eines<br />
Werbespruchs wäre sehr willkommen.“ – W.<br />
42<br />
VON BERNUTH referiert mit Blick auf die Nutzung<br />
von Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien<br />
<strong>im</strong> Internet über „Das neue Urheberrecht.<br />
Neue Regeln für den Unterrichtsalltag“ (13-18).<br />
– Einen sehr detaillierten und materialreichen<br />
Lektürevorschlag gibt MARTINA REISS: „Rutilius<br />
Claudius Namatianus, Laudes <strong>Rom</strong>ae (De reditu<br />
suo 1,47-164), als Ergänzung zu Vergils Aeneis<br />
in der 11. Jahrgangsstufe oder <strong>im</strong> Leistungskurs“<br />
(18-54). – M . LOBE berichtet über „Eine Ausstellung<br />
von Titelkupfern lateinischer Textausgaben<br />
des 17. und 18. Jahrhunderts am Melanchthon-<br />
Gymnasium Nürnberg vom 15.12.2003 bis zum<br />
15.03.2004“ unter der Überschrift „‚Stumme<br />
Poesie‘ – Lateinische Literaturgeschichte in Bildern“<br />
(55-59).<br />
Heft 3+4/2003 des Mitteilungsblatts des<br />
Landesverbands NRW beginnt mit dem Resümee<br />
des Vortrags von G. BINDER bei der Xantener<br />
DAV-Tagung über die „Via Flaminia. 2000<br />
Jahre einer antiken Fernstraße in Mittelitalien“<br />
(3-5). – G. JANSSEN diskutiert die Frage „Eulen<br />
aus Athen oder: Warum man Griechisch können<br />
sollte“ (5-7). – „Zwei Vorstellungen von Glück“<br />
präsentiert FLORA BEGRICH, Teilnehmerin am Certamen<br />
Carolinum 2001, und zwar das Modell des<br />
Herakles am Scheideweg und das von Solon und<br />
Kroisos (7-17).<br />
Die ZS Circulare. Unabhängiges Organ der<br />
klassischen Philologen Österreichs, Heft 4/2003<br />
beginnt mit einem Vortrag „<strong>Rom</strong> und Europa“(3-<br />
5), den G. E. THÜRY in der rumänischen Botschaft<br />
in Wien be<strong>im</strong> Symposion „In honorem <strong>im</strong>peratoris<br />
Traiani“ gehalten hat. – G. E. Thüry war<br />
auch der Hauptakteur eines Workshops ‚Kochen<br />
in der römischen <strong>Antike</strong>‘, von dem W. WIDHALM-<br />
KUPFERSCHMIDT unter dem Appell „Männer an den<br />
Herd“ berichtet (S. 7). – RENATE GLAS berichtet<br />
unter dem Titel „Talentecamp 2003: Ansturm auf<br />
das Lateinerteam“ (8) von einer nachahmenswerten<br />
Initiative, einer Veranstaltung für besonders<br />
talentierte und interessierte Schüler verschiedenster<br />
Fachbereiche an der Universität Klagenfurt.<br />
Unter dem Motto ‚Die antike Mythologie lässt<br />
grüßen ..‘ arbeiteten 13 Schülerinnen und Schüler<br />
aus ganz Kärnten an der Bedeutung und der<br />
mythologischen Herkunft der Tierkreiszeichen<br />
und erstellten dazu eine viel beachtete Power-
point-Präsentation. – M. HUBER verfolgt am Beispiel<br />
einiger Karikaturen die „<strong>Antike</strong>(nrezeption)<br />
in den Medien“ (13), MARIE-THERES SCHMETTERER<br />
gibt einen Überblick über „Orpheus: Mythos,<br />
Dichtung und Oper“ (16-19). – M. SCHÖFFBERGER<br />
und V. STREICHER sehen „Griechisch auf neuen<br />
Besprechungen<br />
Arbogast Schmitt: Die Moderne und Platon. J.<br />
B. Metzler, Stuttgart, We<strong>im</strong>ar 2003, 584 S., EUR<br />
69,95 (ISBN 3-476-01949-7).<br />
<strong>Der</strong> Marburger Gräzist ARBOGAST SCHMITT<br />
(S.) legt mit seiner – nach Abzug des Literaturverzeichnisses<br />
(541-561), des Sach- und Personenregisters<br />
(562-579) sowie des Stellenregisters<br />
(581-584) – 540 Seiten umfassenden Monographie<br />
„Die Moderne und Platon“ eine Fülle seiner<br />
Forschungs- und Interpretationsergebnisse zur<br />
Deutung des Verhältnisses der Moderne zu Platon<br />
oder – um es gleich etwas genauer zu sagen –:<br />
des Verhältnisses der Neuzeit/Moderne (deren<br />
spezifische Ausprägungen er bereits <strong>im</strong> Spätmittelalter<br />
sich vollziehen sieht (dazu u.)) zur platonisch-aristotelisch-scholastischen<br />
Tradition vor.<br />
<strong>Der</strong> Titel des Buches ist insofern Ergebnis des<br />
Befundes, dass sich die Moderne zur Ausbildung<br />
ihres eigenen Selbstverständnisses Platon stets<br />
erneut als zentralen Bezugspunkt gewählt und<br />
sich <strong>im</strong>mer wieder in Auseinandersetzung mit<br />
diesem definiert hat – dies in teilweise dezidiert<br />
ablehnender oder auch ungerechtfertigt vereinnahmender<br />
Form.<br />
S. greift auf langjährige und weitgespannte<br />
eigene Vorarbeiten wie auch auf Ergebnisse der<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes<br />
„Neuzeitliches Selbstverständnis und Deutung<br />
der <strong>Antike</strong>“ zurück (6), führt diese umfangreichen<br />
Studien zusammen und weiter und lässt<br />
ungeachtet der <strong>im</strong>mensen, ja überwältigenden<br />
Aspektfülle ein beeindruckend geschlossenes<br />
Bild der in den Grundthesen entworfenen und<br />
diskutierten Fragestellungen entstehen.<br />
Diese Weite des Horizontes ist ebenso Resultat<br />
des Verfolgens langfristiger Traditionslinien wie<br />
des grundsätzlich interdisziplinären Ansatzes.<br />
Wegen“; sie analysieren Webseiten für den Griechischunterricht,<br />
müssen dabei feststellen, dass<br />
es „nach wie vor an einem dichten ‚Netzwerk für<br />
Griechisch‘ mangelt“.<br />
JOSEF RABL<br />
Einbezogen werden u. a. philosophische, ästhetische,<br />
ethische, politische, ökonomische und<br />
naturwissenschaftliche Aspekte (5).<br />
Eine Rezension kann natürlich nicht den<br />
Rahmen bieten, ein Buch, das sich in diesem<br />
Umfang so zahlreicher Bezüge bedient bzw.<br />
diese auch ganz neu herstellt, in seinen subtilen<br />
Argumentationssträngen auch nur <strong>im</strong> Ansatz<br />
nachzuzeichnen. Ich konzentriere mich dementsprechend<br />
auf wesentliche Thesen und bin<br />
zuversichtlich, dass vor diesem Hintergrund<br />
einsichtig wird, warum ich die Ansicht vertrete,<br />
dass diese Arbeit nicht nur von einigen wenigen<br />
klassischen Philologen (S. ist ja von Hause aus<br />
Gräzist), sondern von einem breiteren Publikum<br />
rezipiert werden sollte. Ich denke z. B. an die an<br />
Universitäten, Studienseminaren und Schulen in<br />
den Bereichen „Didaktik“, „Methodik“, „Pädagogik“<br />
und „Psychologie“ – in welcher Form auch<br />
<strong>im</strong>mer – Tätigen.<br />
Zunächst zeichnet S. instruktiv nach, in<br />
welchem Maße sich das Selbstverständnis der<br />
Neuzeit/Moderne aus der Auffassung speist,<br />
sich in einem radikal-revolutionären Bruch mit<br />
den Epochen „<strong>Antike</strong>“ und „Mittelalter“ zu<br />
befinden und diese – vorgeblich insbesondere<br />
erkenntnistheoretisch naiven – Epochen endgültig<br />
überwunden zu haben, wodurch der Weg zu<br />
einer sachlich begründeten Auseinandersetzung<br />
mit dem <strong>im</strong> Grunde unwiederbringlich Überholten<br />
nicht mehr gegeben sei.<br />
Wie wenig plausibel sich ein solch plakatives<br />
Konstrukt darstellt, ergibt sich S. zufolge<br />
schon aus den uneinheitlichen und demzufolge<br />
kaum argumentative Konsistenz aufweisenden<br />
Versuchen, „Modernes“ innerhalb der europäischen<br />
Geistesgeschichte, ja der <strong>Antike</strong> selbst<br />
43
zu lokalisieren. „Modern“ soll demnach etwa<br />
die Entwicklung von HOMERS Ilias zur Odyssee,<br />
vom Epos zur Lyrik oder von der griechischen<br />
Klassik zum Hellenismus gewesen sein. Den<br />
Vorwurf könnte man also auch so wenden: Die<br />
Moderne hat sich in einem Gefühl der Überlegenheit<br />
von der <strong>Antike</strong> abgegrenzt, ohne sich des<br />
mit „modern“ Gemeinten wirklich vergewissert<br />
zu haben.<br />
Im Anschluss zeigt S. diejenigen Linien auf,<br />
die zur Herausbildung der Moderne als fundamental<br />
charakterisiert werden dürfen.<br />
Zum einen sieht er als ursächlich die „Wende<br />
zur Erfahrung und die Erhöhung des Einzeldings<br />
zum ‚wohlbest<strong>im</strong>mten‘ Ding...“ an (23).<br />
Entscheidend hierfür sei die Umdeutung des<br />
ARISTOTELES durch den franziskanischen Gelehrten<br />
DUNS SCOTUS <strong>im</strong> Spätmittelalter, der die mindestens<br />
drei notwendigen Arten des Erkennens<br />
(Wahrnehmung, Verstand und Intellekt) zugleich<br />
nivellierend auf zwei, nämlich die intelligente<br />
Anschauung und den (zergliedernden) Verstand<br />
reduziert und diese damit in einen scharfen<br />
Gegensatz gebracht habe – eine der Moderne<br />
geläufige Dichotomie. Folge sei die Verwissenschaftlichung<br />
der Anschauung gewesen, insofern<br />
diese nunmehr zur Erfassung der vollständigen<br />
Best<strong>im</strong>mtheit eines Einzelgegenstandes zu befähigen<br />
schien (32).<br />
Zum anderen arbeitet S. die Bedeutung der<br />
massiven Stoa-Rezeption in und seit der Renaissance<br />
heraus, wodurch diese übrigens nicht zu<br />
einer Epoche der Wiederentdeckung der <strong>Antike</strong>,<br />
sondern der hellenistischen <strong>Antike</strong> geworden<br />
sei (66ff.), durch deren ‚Brille‘ man von nun an<br />
Platon gesehen habe. Was den in hohem Maße<br />
prägenden Einfluss der Stoa auf die Neuzeit<br />
betrifft, so greife ich drei Denkfiguren heraus:<br />
1. Die stoische Auffassung einer kontinuierlichen,<br />
kausal-mechanistischen Ursachenkette<br />
(z. B. 94f.), die jedem Einzelgegenstand in<br />
seiner jeweiligen Ausprägung einen notwendigen<br />
Platz <strong>im</strong> Gesamt zuweise.<br />
2. Die stoische Lehre der Synkatathesis, die als<br />
ein Akt der (bewussten) Zust<strong>im</strong>mung zu einer<br />
Einwirkung/Affektion den Menschen in eine<br />
kategoriale Zweiteilung bringe: auf der einen<br />
Seite ein ausschließlich passiv-rezeptiver<br />
44<br />
Bereich der Seele (z. B. Wahrnehmung oder<br />
Gefühl), auf der anderen Seite der von Spontaneität<br />
gekennzeichnete Bereich des Logos,<br />
der demzufolge allein Freiheit verbürge (z. B.<br />
114f., hier auch aufschlussreiche Hinweise<br />
zum Einfluss der Synkatathesislehre auf den<br />
in der Moderne gebräuchlichen, ja geradezu<br />
dogmatischen Rang beanspruchenden Pr<strong>im</strong>at<br />
des Willens/des Interesses gegenüber der<br />
Erkenntnis).<br />
3. Die Oikeiosislehre, die den Menschen auf<br />
seine rud<strong>im</strong>entären Anfänge festlege (454).<br />
Es ist in der Tat ein intellektuelles Vergnügen, S.s<br />
Nachweis zu verfolgen, wie sich die genannten<br />
Linien und Denkmuster, die ja kein gegebenes<br />
Faktum, sondern historisch-kontingent vermittelt<br />
sind, bei allen Divergenzen <strong>im</strong> Detail als Basisannahmen<br />
in der Neuzeit/Moderne durchgehalten<br />
haben und bis in neueste Ansätze unterschiedlichster<br />
wissenschaftlicher Disziplinen durchhalten.<br />
Ehe ich auf wenige ausgewählte Komplexe<br />
kurz genauer eingehe, liste ich einige Einzelaspekte<br />
auf. Dies kann nur in einer kleinen Auswahl<br />
geschehen, die ganze Breite der Einsichten<br />
vermittelt nur die eigene Lektüre. Zu nennen sind<br />
etwa der Gegensatz von Natur und Kultur (81ff.),<br />
die Verengung des Begriffs der Rationalität durch<br />
die Entgegensetzung von Sinnlichkeit und Verstand<br />
(100ff.), die Festlegung bzw. Reduzierung<br />
des Denkens auf die D<strong>im</strong>ension der Vorstellung<br />
(z. B. 134ff.), die Kunsttheorie des Naturalismus<br />
(145ff.), der logische Empirismus (154ff.), die<br />
Gestaltpsychologie (159ff.), moderne Logiken<br />
(241ff.), die Evolutionstheorie (460ff.).<br />
Als Kernstück der Arbeit darf indes gewiss die<br />
Herausarbeitung des unterschiedlichen Begriffs<br />
des Denkens in der Neuzeit/Moderne und in<br />
der platonisch-aristotelisch geprägten <strong>Antike</strong><br />
betrachtet werden. Dabei kehren sich gewohnte,<br />
verfestigte Bilder um. Es tritt der bemerkenswerte<br />
Befund zutage, dass die <strong>Antike</strong> keineswegs<br />
unbesehen als unkritisch und erkenntnistheoretisch<br />
naiv anzusehen ist, weil sie noch nicht zu<br />
der Erkenntnis gelangt sei, dass das Denken bei<br />
sich selbst seinen Anfang nehmen müsse. Im<br />
Gegenteil: Es sei gerade die Neuzeit/Moderne,<br />
die ein eher oberflächliches und unzureichen-
des Verständnis von dem entwickelt und ausgebildet<br />
habe, was das Denken zum Denken<br />
mache. Denn seither werde „Denken“ endgültig<br />
mit Bewusstsein identifiziert, der Begriff des<br />
Denkens also von dem nachgeordneten Akt der<br />
(bewussten) Vergegenwärtigung passiv empfangener<br />
Daten gewonnen, das Denken mithin<br />
in den Bereich der Vorstellung verwiesen und<br />
auf diesen festgeschrieben. Viele Aporien der<br />
Neuzeit/Moderne haben genau an dieser Stelle<br />
– wenn ich S. richtig verstehe – ihren Ursprung:<br />
z. B. die Subjekt-Objekt-Spaltung, die scheinbar<br />
unüberbrückbare Kluft zwischen vorgeblich distanzierter<br />
Rationalität und dem Reichtum unmittelbarer<br />
Erfahrung, unmittelbaren Erlebens und<br />
dgl. In diesem Kontext ist insbesondere auf die<br />
aufschlussreichen DESCARTES- und KANTinterpretationen<br />
zu verweisen.<br />
Im Gegensatz dazu sei für PLATON und auch<br />
ARISTOTELES Denken ein pr<strong>im</strong>ärer Erfassungsakt,<br />
ein Akt des Unterscheidens und zwar des Unterscheidens<br />
von „Etwas“, „etwas Best<strong>im</strong>mten“.<br />
Und genau in diesem Erfassen von Best<strong>im</strong>mtem,<br />
von dem, was eine Sache <strong>im</strong> Unterschied zu<br />
anderem zu dieser einen Sache mache (das dann<br />
natürlich kein Einzelgegenstand sein, sondern<br />
nur als Resultat einer begrifflichen Klärung verstanden<br />
werden könne), liege die Bedeutung des<br />
Seins (verstanden als „etwas Best<strong>im</strong>mtes sein“)<br />
als innerer Maßstab des Denkens (vgl. hierzu<br />
52ff. sowie die Ausführungen zur Hypothesis<br />
der Idee und zum Widerspruchsaxiom, 215ff).<br />
Es sei folglich eine gravierende Fehldeutung,<br />
diese Ausrichtung am Sein als einen naiven<br />
Abbildrealismus zu kritisieren. Zudem biete<br />
die platonisch-aristotelische Auffassung einen<br />
alternativen Blick auf die Einheit der seelischen<br />
Aktivitäten, insofern hier alle seelischen Vermögen<br />
wegen ihrer Unterscheidungstätigkeit Anteil<br />
am Denken hätten. In diesem Sinne denke – wenn<br />
auch nicht <strong>im</strong> wirklich eigentlichen Sinne – schon<br />
die Wahrnehmung, insofern sie etwa Farben und<br />
Töne unterscheide, wenn auch gebunden an ihre<br />
Leistungsfähigkeit und deshalb in weniger freier<br />
Form als die Vernunft. Auch Gefühle sind dann<br />
nicht mehr nur in einem irrationalen Bereich des<br />
Menschen anzusiedeln, sondern spielen komplex<br />
mit Denkakten zusammen (283ff.). Es gelingt S.<br />
m. E. überzeugend einsichtig zu machen, dass<br />
Platon zu einer bemerkenswert differenzierten<br />
Analyse der Einheit der Person gelangt ist, die<br />
sich der gegenwärtig gängigen Dreivermögen-<br />
Psychologie mit den drei als eigenursprünglich<br />
und getrennt angesehenen Elementen „Verstand“,<br />
„Gefühl“ und „Wille“ als überlegen erweist.<br />
Den Zugang zu der für manchen Leser gewiss<br />
etwas sperrigen Materie erleichtert S. durch<br />
zahlreiche, oft auch vergnügliche Beispiele, die<br />
keineswegs nur illustrierenden Charakter haben,<br />
vielmehr der Argumentation zusätzlich Überzeugungskraft<br />
verleihen.<br />
Zum Schluss möchte ich wenigstens noch auf<br />
die Kapitel zur modernen Staats-, Wirtschafts-<br />
und Evolutionstheorie hinweisen (381-523). Treffen<br />
S.s Analysen zu, so überrascht es – wie oben<br />
schon angesprochen – nicht wenig, in welcher<br />
<strong>im</strong>mensen gedanklichen Abhängigkeit sich die<br />
Moderne von der antiken Stoa und deren doch z.<br />
T. erheblich spekulativen Grundannahmen befindet.<br />
Die Systemstelle „göttlicher Logos“ ist dabei<br />
lediglich ersetzt durch <strong>im</strong> Grunde metaphysische<br />
Subjekte wie „der Markt“ oder „die Selektion“.<br />
Auch hier erweisen sich nicht Platon und Aristoteles<br />
als unaufgeklärt, vielmehr die Neuzeit<br />
und Moderne, deren grundsätzliche Positionen<br />
S. vielfach als „Metaphysik des Empirismus“<br />
kritisiert.<br />
S. hat sich – <strong>im</strong> Bild gesprochen – beileibe<br />
nicht bemüht, den Anhängern und Vertretern<br />
moderner Positionen Honig auf den Rand seiner<br />
scharfen, manchmal geradezu beißenden Kritik 1<br />
zu schmieren. Sein sozusagen enthellenisierter<br />
Platon eröffnet indes zweifelsohne einen freieren<br />
Blick auf zahlreiche Aporien, in denen sich die<br />
Moderne befindet, und zeigt mögliche Lösungsansätze<br />
auf. Diesen Blick zu gewinnen, dazu<br />
wünscht man diesem wirklich großartigen und<br />
bedeutenden Buch zahlreiche Leser, die bereit<br />
sind, Vertrautes in Frage zu stellen und noch<br />
einmal kritisch neu zu denken.<br />
Anmerkung:<br />
1) Zwei Beispiele: „In der Philosophie stehen plötzlich die<br />
<strong>im</strong> Mittelalter zwar bekannten, aber wenig geschätzten<br />
hellenistischen Schulen der Stoa, der Skepsis und des<br />
Epikureismus <strong>im</strong> Zentrum des Interesses. Die erste<br />
lateinische Übersetzung des Sextus Empiricus macht<br />
45
46<br />
diesen Philosophiegeschichtsschreiber aus der zweiten<br />
Reihe zum ‚Vater der modernen Philosophie‘“ (67).<br />
– „Statt aber über den Tod des Subjekts zu klagen<br />
..., sollte man prüfen, ob wir die affirmative Haltung<br />
zur kritischen Moderne nicht zu weit treiben, wenn<br />
wir selbst ihr völliges Scheitern noch für ein Zeichen<br />
ihrer geschichtlichen Überlegenheit halten, hinter die<br />
es kein Zurück geben könne.“ (121).<br />
BURKARD CHWALEK, Bingen<br />
Arno Schmidt, Die Geburt des Logos, Logos<br />
Verlag Berlin, Comeniushof, Gubener Str. 47,<br />
10243 Berlin (ISBN 3-89722-941-2).<br />
ARNO SCHMIDT legt uns ein Buch vor, das aus<br />
einer Reihe von Vorlesungen und Vorträgen an<br />
den Universitäten Oldenburg, Halle und Marburg<br />
hervorgegangen ist. Er wendet sich an Studenten,<br />
Lehrer und überhaupt an philosophisch Interessierte.<br />
Darstellungsform und Sprache sind deshalb<br />
bewusst auch für nicht Klassische Philologen verständlich<br />
gehalten, wie man überhaupt der gesamten<br />
Darlegung die Lebhaftigkeit des mündlichen<br />
Vortrags und die ausgeprägt didaktische Absicht<br />
(ausführliche Lesehilfen, Wort- und Namenserklärungen,<br />
Indizes) des erprobten Schulmanns<br />
anmerkt. Das Buch ist deshalb von vorn bis<br />
hinten gut lesbar, kann aber auch abschnittsweise<br />
als Nachschlagewerk genutzt werden. Und wer<br />
hätte das nicht ab und zu nötig! Darüber hinaus<br />
erfreuen hinzugefügte Radierungen von ERNST<br />
MAROW das Auge.<br />
Worum geht es? Schmidt beginnt seine Ausführungen<br />
zur Geburt des Logos nicht wie die<br />
gängigen Philosophiegeschichten mit THALES<br />
VON MILET. Ausführlich widmet er sich den<br />
Paradigmata (zur Erläuterung des Begriffs vgl.<br />
S. 2 und 15), die den milesischen Physiologoi<br />
vorangehen: HOMER, HESIOD, ORPHEUS und SOLON.<br />
Er beschreibt ihre Denk- und Vorstellungswelten<br />
unter intensiver Bezugnahme auf einschlägige<br />
Textquellen. Die charakterisierenden und differenzierenden<br />
Attribute der verschiedenen Paradigmata<br />
(philomythisch, mythologisch, theologisch)<br />
wirken zunächst etwas verwirrend, sollen<br />
aber offenbar den Hintergrund für das logische<br />
Paradigma des THALES, ANAXIMANDER und ANA-<br />
XIMENES stellen. Schmidt legt Wert auf die Beobachtung,<br />
dass es zwar <strong>im</strong> Mythos noch keinen<br />
Diskurs wie um einen theoretischen Sachverhalt<br />
gebe, dass sich in ihm jedoch schon eine Tendenz<br />
zeige, zwischen Personen und Sachen zu trennen,<br />
womit der Zugang zu einer neuen Weltsicht frei<br />
gemacht und der Weg der Forschung angebahnt<br />
werde, wie die späteren Philosophen <strong>im</strong> engeren<br />
Sinne ihn gingen. Schmidts Aufmerksamkeit gilt<br />
<strong>im</strong> Hauptstück (Paradigmata, Teil B) den Ansätzen<br />
philosophischen Denkens bei den mythologoi<br />
(Denken in Gegensätzen, in Strukturen, dem Hen<br />
kai pan z. B. S. 35ff).<br />
Dabei verarbeitet Schmidt eine große Fülle<br />
von Literatur (11 Seiten Literaturverzeichnis),<br />
schlägt große gedankliche Bögen zu HÖLDERLIN<br />
und CELAN und belegt damit die Wirkungsgeschichte<br />
der antiken Philosophie. Auf lebhafte<br />
narrative Passagen (über Odysseus oder Solon-<br />
Kroisos) folgen reflektierende Abschnitte. Bisweilen<br />
verführt den spürbar begeisterten Autor<br />
die Emotionalität zu waghalsigen Angriffen auf<br />
modern-gängige Wörter, die ihm zu Reizwörtern<br />
geworden sind (vgl. S. 21 Bildungspolitik – Frivolität).<br />
Schmidt schreibt mit Herzblut, und das<br />
ist erfrischend, auch wenn man ihm da und dort<br />
nicht <strong>im</strong>mer folgen muss.<br />
Die drei Milesier werden unter Heranziehung<br />
einer breit angelegten Sekundärliteratur von<br />
ARISTOTELES bis SCHADEWALDT, von NIETZSCHE<br />
bis WITTGENSTEIN differenziert dargestellt. Auch<br />
dieses bringt gegenüber den bisherigen einschlägigen<br />
Darlegungen in der Fachliteratur manchen<br />
neuen Aspekt.<br />
Kurzum: ein lesenswertes und hilfreiches<br />
Buch, um eine Überblick über diesen Teil der<br />
Vorsokratiker zu gewinnen oder auch um Einzelnes<br />
nachzuschlagen. Tolle,lege!<br />
KURT GIESEKING, Sarstedt<br />
Martin Euringer: Epikur. <strong>Antike</strong> Lebensfreude<br />
in der Gegenwart. Stuttgart: Kohlhammer 2003,<br />
114 S., EUR 18,- (ISBN 3-17-017957-8).<br />
MARTIN EURINGER (E.) möchte nach eigener<br />
Aussage auf möglichst einfache Art Grundinformationen<br />
über die epikureische Philosophie<br />
vermitteln und Denkanstöße liefern, ob und in<br />
welchem Maße man in der heutigen Zeit nach<br />
den Lehren Epikurs sein Leben gestalten kann.
Demzufolge hat er sein Buch in zwei Großabschnitte<br />
eingeteilt. <strong>Der</strong> erste Abschnitt trägt<br />
den Titel: „<strong>Der</strong> Garten des Epikur“ (9-78), der<br />
zweite lautet: „Epikureisch leben“ (79-137).<br />
Daran schließen sich Hinweise auf ausgewählte<br />
Literatur (139f.), wobei E. – wie <strong>im</strong> Vorwort<br />
ausdrücklich vermerkt – eine wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung<br />
nicht intendiert, ein Sachwortverzeichnis (141f.)<br />
sowie ein Personenverzeichnis an (143f.).<br />
Im ersten Teil liefert E. zunächst eine insgesamt<br />
instruktive Übersicht über das Zeitalter Epikurs,<br />
die es dem Leser ermöglicht, den antiken Philosophen<br />
aus seiner Zeit heraus zu verstehen. <strong>Der</strong><br />
Plural des griechischen Wortes: polis ist allerdings<br />
poleis (nicht: polei). Bei der Angabe über das<br />
Todesjahr Epikurs hat sich E. offensichtlich verrechnet,<br />
wenn er behauptet (12), dass „sich gegen<br />
272 v. Chr. (Epikur war zwei Jahre vorher gestorben)<br />
schließlich drei große Machtblöcke bildeten.“<br />
Auf dem Einband ist das richtige Todesjahr<br />
vermerkt: 271 v. Chr. Begreiflicherweise erläutert<br />
E. bei der Vorstellung der epikureischen Philosophie<br />
auch die Grundvorstellungen der anderen<br />
zentralen Philosophenschulen. Anschaulich und<br />
leicht verständlich – wie <strong>im</strong> Vorwort angekündigt<br />
– werden in knappen Strichen die wesentlichen<br />
Merkmale der Akademie PLATONS, des Peripatos<br />
des ARISTOTELES, der Schule der Skeptiker und die<br />
der Stoiker vorgestellt. Erwartungsgemäß greift<br />
E. auf wichtige Quellen zu Leben und Werk des<br />
Epikur zurück, etwa auf DIOGENES LAERTIOS,<br />
LUKREZ und andere Autoren wie CICERO, SENECA,<br />
PLUTARCH und LAKTANZ. Auf HORAZ und VERGIL<br />
verweist E. lediglich an einer Stelle (26). Dabei<br />
fällt die Auseinandersetzung mit beiden augusteischen<br />
Dichtern allzu knapp aus, wenn E. nur<br />
auf das berühmte carpe diem verweist. Von den<br />
zahlreichen Schriften Epikurs sind nur noch der<br />
Brief an HERODOT überliefert, in dem vor allem die<br />
Naturphilosophie und die Atomlehre <strong>im</strong> Zentrum<br />
stehen, der Brief an MENOIKEUS, der an PYTHOCLES<br />
sowie Sätze aus den „Hauptlehren“ und einige<br />
Fragmente. Bekanntlich hat es H.-W. KRAUTZ<br />
unternommen, das verbliebene Werk Epikurs<br />
in einer zweisprachigen Ausgabe zu publizieren<br />
(Briefe-Sprüche-Werkfragmente. Reclam: Stuttgart<br />
1980).<br />
Zur Einordnung eines antiken Systems ist die<br />
Berücksichtigung der Rezeption von großer<br />
Bedeutung. Dem trägt auch E. Rechnung und<br />
stellt dem Leser in gebotener Kürze die entscheidenden<br />
Entwicklungslinien dar. So verweist er<br />
darauf, dass spätestens die frühchristlichen<br />
Autoren die epikureische Lehre verwarfen und<br />
als ein Übel betrachteten. Diese Autoren konnten<br />
allerdings schon auf bestehende Vorbehalte,<br />
ja Schmähschriften der Stoiker zurückgreifen.<br />
Zentrale Autoren bis in die aktuelle Gegenwart<br />
hinein werden angeführt, die sich mit den<br />
Thesen Epikurs befasst haben, etwa PIERRE<br />
HADOT, MARTHA NUSSBAUM oder auch MARCELLO<br />
GIGANTE. Im dritten Unterabschnitt befasst sich<br />
E. mit der Atomlehre Epikurs, wobei er allerdings<br />
nicht auf Spekulationen verzichtet: „Wären uns<br />
mehr seiner Werke erhalten geblieben, würden<br />
wir wohl feststellen, dass quantitativ der größte<br />
Teil seiner Philosophie sogenannte ontologische<br />
Überlegungen gewesen wären“(33). E. stellt<br />
interessante Bezüge zur Quantentheorie her, die<br />
auch <strong>im</strong> modernen Physikunterricht thematisiert<br />
werden können. Im vierten Unterabschnitt steht<br />
die „Heilung der Seele“ <strong>im</strong> Mittelpunkt. E. erläutert<br />
sein Verständnis der epikureischen „hedoné“<br />
und stützt sich dabei auf Aussagen Epikurs, die<br />
er umsichtig interpretiert.<br />
Im zweiten Teil des Buches geht E. der Frage<br />
nach, ob es statthaft und möglich sei, Epikurs<br />
Philosophie auf unser heutiges Leben unverändert<br />
zu übertragen. <strong>Der</strong> Verfasser glaubt, dies sei tatsächlich<br />
möglich, und kommt zu der Erkenntnis,<br />
dass die Anhänger der „Spaßgesellschaft“ (diesen<br />
Ausdruck lehnt er nachdrücklich ab) ihre Lebensweise<br />
durchaus moralisch vertreten könnten. Ob<br />
die meisten Vertreter dieser Lebensanschauung<br />
ihr Leben auf eine reflektierte und kalkulierte<br />
Lustempfindung ausrichten (81), wie E. glaubt,<br />
vermag der Rezensent nicht nachzuvollziehen.<br />
Letztendlich mag jeder Leser selbst entscheiden,<br />
ob E. mit seinem Verständnis des Transfers der<br />
epikureischen Überlegungen in der heutigen<br />
Zeit Recht hat. Bei seiner Argumentation für das<br />
Gedankengebäude Epikurs streift E. aktuelle<br />
Themen wie Euthanasie, Freundschaft, Gerechtigkeit,<br />
Lebensglück, Lebensplan, Utilitarismus<br />
u.v.m.<br />
47
Insgesamt legt E. ein durchaus interessantes Buch<br />
vor, mit dessen Hilfe man einen guten Einblick<br />
in antikes Denken und vor allem in die Gedankenwelt<br />
Epikurs erhält. Allerdings ist Euringers<br />
Darstellung nicht frei von Spekulationen, insbesondere<br />
<strong>im</strong> zweiten Teil. Hier sollte jeder Leser<br />
sich selbst ein Urteil bilden, inwieweit er den<br />
Vorstellungen des Autors folgen will.<br />
DIETMAR SCHMITZ, Oberhausen<br />
Walter Burkert: Die Griechen und der Orient.<br />
München (C.H. Beck) 2003. 176 S., EUR 19,90<br />
(ISBN 3-406-50247-4).<br />
Ex oriente lux ... Bereits der Titel des Einleitungskapitels<br />
„Klassisches Griechenland und orientalischer<br />
Hintergrund“ macht deutlich, worum<br />
es in diesem Buch geht: aufzuzeigen, dass die<br />
klassische griechische Kultur nicht „wie von<br />
selbst aus der Natur des Menschengeschlechts“<br />
(10), nicht in provinzialer Abgeschlossenheit,<br />
sondern <strong>im</strong> interkulturellen Kontext der Hochkulturen<br />
des Orients entstanden ist. W. BURKERT<br />
(B.), Emeritus für Klassische Philologie an der<br />
Universität Zürich, bekannt v. a. durch seine religionsgeschichtlichen<br />
Studien (erinnert sei etwa<br />
an „Homo necans: Interpretationen altgriechischer<br />
Opferriten und Mythen“ 1972 bzw. „Kulte<br />
des Altertums. Biologische Grundlagen der Religion“,<br />
1998), zeigt auf, dass v. a. das historische<br />
19. Jahrhundert die Isolierung des klassischen<br />
Griechenland zu verantworten hat. Erst nach<br />
dem 2. Weltkrieg sei es <strong>im</strong> Gefolge der Publikation<br />
hethitischer Texte und der Entdeckung von<br />
Linear B zu einer zunehmenden Anerkennung<br />
einer interkulturellen Perspektive gekommen,<br />
die B. als „gegenwartsbedingt“ deutet: „In der<br />
wachsenden Weltgesellschaft ist Europa eine<br />
kleinere Halbinsel, bewohnt von einer schwindenden<br />
Minderheit, umdrängt von zunehmend<br />
selbstbewußteren Mehrheiten. Deutlicher noch<br />
ist die veränderte Situation in den USA, wo das<br />
sogenannte Abendland allmählich aus dem Blick<br />
gerät. Kritik, teilweise ausgesprochen aggressive<br />
Kritik richtet sich gegen die angebliche intellektuelle<br />
Einzigartigkeit des vergangenen Europa,<br />
der ‚dead white men‘, und damit explizit auch<br />
gegen seine geistige Grundlage, also gegen die<br />
48<br />
Griechen als die ältesten der ‚dead white men‘.“<br />
(11).<br />
In einem knapp gehaltenen historischen Überblick<br />
zeigt B. auf, wie die Griechen, bedingt durch<br />
ihre geographische Lage am Rand des <strong>im</strong>perialen<br />
Ostens, zwe<strong>im</strong>al das Glück hatten, weder vom<br />
Großreich der Assyrer (8./7.Jh.) noch dem der<br />
Achämeniden (5. Jh.) überrollt worden zu sein,<br />
sondern vorwiegend die positiven Wirkungen des<br />
Kulturtransfers erfahren zu haben. Das besondere<br />
Phänomen „Klassisches Griechenland“ erklärt B.<br />
durch „Aspekte von Freiheit“: das Fehlen einer<br />
beherrschenden Zentralmacht ließ eine Vielzahl<br />
von lokalen Zentren zu mit entsprechenden<br />
Chancen für Individuen, die in Konkurrenz<br />
zueinander traten. Daraus erwuchs die agonale<br />
Rhetorik, deren argumentierendes Vorgehen bald<br />
bloßes Autoritätsdenken überwand.<br />
In Kap. I (Alphabet und Schriftkultur, 23-27)<br />
zeichnet B. nach, wie es ausgehend von ägyptischen<br />
Hieroglyphen bzw. mesopotamischer<br />
Keilschrift über die Silbenschriften der Mittleren<br />
Bronzezeit (Linear A und B) bis zur Entdeckung<br />
des Alphabets <strong>im</strong> 12./11. Jh. <strong>im</strong> semitischen<br />
Raum zu einer beständigen Vereinfachung des<br />
Schriftsystems kam. Die Griechen übernahmen<br />
kurz nach 800 das phönikische Alphabet wahrscheinlich<br />
von der phönikischen Kolonie Cypern<br />
und erweiterten die semitische Konsonantenschrift<br />
um die Vokale – dabei führten sie bereits<br />
bestehende zeitgenössische Ansätze zu solcher<br />
Orthographie weiter.<br />
Kap. II (Homer als Dichter der orientalisierenden<br />
Epoche, 28-54) weist überzeugend und<br />
detailliert die mannigfaltigen Einflüsse v. a. der<br />
mesopotamischen Epik (Atrahasis, Gilgamesh,<br />
Enuma elish) auf HOMER nach, was Stil (Epitheta,<br />
Formelverse, <strong>Vergleich</strong>e), inhaltliche Motive,<br />
mythische Konzepte und Erzählfiguren anbelangt.<br />
B.s Fazit: „Es wäre paradox, wenn die klassische<br />
Philologie die nächsten Parallelen und Vorgänger<br />
der ältesten griechischen Literaturwerke weiterhin<br />
in stillem Einverständnis ignorieren würde.“<br />
(54).<br />
In Kap. III (Ostwestliche Weisheitsliteratur<br />
und Kosmogonie: Zur Vorgeschichte der Philosophie,<br />
55-78) legt B. dar, wie auch die Bücher<br />
der sog. Vorsokratiker nicht <strong>im</strong> leeren Raum
entstanden, sondern von östlicher Weisheitsliteratur<br />
bzw. kosmogonischer Mythologie bzw.<br />
Spekulation beeinflusst wurden. Bemerkenswert<br />
in diesem Zusammenhang ist auch, dass der<br />
Lehrsatz des PYTHAGORAS in Keilschrifttexten<br />
schon rund 1000 Jahre vor Pythagoras routinemäßig<br />
angewandt wurde und die Einteilung des<br />
Kreises in 360 Grad samt der Unterteilung in<br />
Minuten und Sekunden ein Stück babylonischer<br />
Rechentechnik sind.<br />
In Kap. IV (Orpheus und Ägypten, 79-106)<br />
geht B. den Beziehungen zwischen Griechenland<br />
und dem Osten <strong>im</strong> geistig-religiösen<br />
Bereich nach, so am Beispiel der Gleichsetzung<br />
Osiris-Dionysos, der seit dem Ende des 6. Jhs.<br />
als Mysteriengott bezeugt ist und das Glück der<br />
Verstorbenen <strong>im</strong> Jenseits sichert, und der kontrovers<br />
diskutierten „Orphik“, einer religiösen<br />
Bewegung, die Orpheus als Prophet betrachtete<br />
und Bücher des Orpheus kannte, die sie als<br />
heilige Texte behandelte. Nach B. erscheint die<br />
Orphik „als eine elitäre Gruppe inmitten einer<br />
sehr viel weiteren und unbest<strong>im</strong>mteren ‚bakchischen‘<br />
Kult- und Symboltradition.“ (94).<br />
In Kap. V (Persien und die Magier, 95-133)<br />
sieht B. das Avesta, die Sammlung der heiligen<br />
Schriften der altiranischen Religion des Mazdaismus<br />
bzw. Zoroastrismus als etwa zeitgleich<br />
mit der archaischen und klassischen Epoche<br />
Griechenlands, sodass Einflüsse wahrscheinlich<br />
sind. Begegnungen von griechischem und persischem<br />
Geist vor dem großen Krieg zeigen sich<br />
vor allem an zwei Wörtern: Megabyxos, Titel des<br />
Priesters der Artemis zu Ephesos, und magos, das<br />
iranischer Herkunft ist. Nach wie vor umstritten<br />
ist die Frage nach dem Einfluss des iranischen<br />
Dualismus auf die griechische Philosophie. <strong>Der</strong><br />
Dualismus bei EMPEDOKLES etwa könnte sich dem<br />
Kontakt mit persischen Wanderpredigern, magoi,<br />
verdanken.<br />
B.s große Leistung mit diesem kleinen<br />
Büchlein ist, die Anfänge der abendländischen<br />
Geisteswelt anschaulich und gut lesbar darzustellen<br />
– vor welchem Hintergrund des Wissens<br />
dies geschieht, kann ermessen, wer die benutzte<br />
Pr<strong>im</strong>är- und Sekundärliteratur <strong>im</strong> Anmerkungsapparat<br />
136-159 einsieht.<br />
MICHAEL LOBE, Bamberg<br />
K.W. Weeber: Luxus <strong>im</strong> alten <strong>Rom</strong>. Die Schwelgerei,<br />
das süße Gift ... Darmstadt (Pr<strong>im</strong>us) 2003.<br />
176 S., EUR 34,90 (ISBN 3-89678-239-8).<br />
Ex oriente lux, ex occidente luxus. Dies<br />
gewitzte Bonmot aus der Feder des polnischen<br />
Schriftstellers STANISLAW JERZY LEC aus seinen<br />
„Sämtlichen unfrisierten Gedanken“ mag auf die<br />
Besprechung eines Buches einst<strong>im</strong>men, das sich<br />
mit dem vielschichtigen Phänomen des Luxus<br />
<strong>im</strong> alten <strong>Rom</strong> beschäftigt. <strong>Der</strong> durch zahlreiche<br />
Buchveröffentlichungen zur römischem Kultur-<br />
und Alltagsgeschichte bekannte Althistoriker<br />
KARL-WILHELM WEEBER (W.) beleuchtet es unter<br />
den verschiedensten Aspekten: Tafel-, Villen-,<br />
Bade-, Erotik-, Kunst-, Schmuck-, Möbel-,<br />
Sklaven-, Gräberluxus - und auch die Darstellung<br />
der zeitgenössischen Kritik am Luxus fehlt<br />
nicht, ebensowenig wie ein „Who is who der 25<br />
reichsten Römer.“<br />
Im Vorwort konstatiert W., dass es „in der<br />
Weltgeschichte kaum eine Gesellschaft gegeben<br />
(hat), die so stark durch Statussymbole geprägt<br />
war wie die römische“. Im ersten Kapitel über<br />
„Armut und Reichtum in der römischen Gesellschaft“<br />
macht W. das Gefälle zwischen Arm<br />
und Reich anhand konkreten Zahlenmaterials<br />
sinnfällig: So dürfte die Zahl der jährlichen<br />
Arbeitstage bei Lohnarbeitern zwischen 330<br />
und 350 gelegen haben; arbeitsfreie Wochenenden<br />
waren unbekannt. Dass die kaiserlichen<br />
congiaria nur ein Tropfen auf dem heißen Stein<br />
waren, zeigt das Beispiel eines Geringverdieners,<br />
der, wenn er in den Genuss aller 7 congiaria in<br />
der 45jährigen Regierungszeit des AUGUSTUS<br />
gekommen wäre, pro Jahr damit nicht mehr<br />
als knapp zwei Wochenlöhne erhalten hätte.<br />
Gemessen an den „Superreichen“ wie etwa CRAS-<br />
SUS hätten CICERO und PLINIUS d. J. nur zu den<br />
„Normalreichen“gezählt. Die Gründe für die Stabilität<br />
der römischen Gesellschaftsordnung mit<br />
ihrer gewaltigen sozialen Kluft sieht W. in den<br />
öffentlichen Sozialmaßnahmen und – vergleichbar<br />
dem amerikanischen Tellerwäschermythos<br />
– der „grundsätzlich vertikalen Durchlässigkeit<br />
der römischen Gesellschaft“. Kap. 2 stellt<br />
römischen Tafelluxus am Beispiel historischer<br />
(LUCULLUS, APICIUS, VITELLIUS, ELAGABAL) bzw.<br />
literarischer Figuren (Nasidienus, Tr<strong>im</strong>alchio)<br />
49
dar. Kap. 3 befasst sich mit den deliciae der piscinarii,<br />
der Fischteichbesitzer. Kap. 4 beschreibt<br />
den Villenluxus der römischen Oberschicht und<br />
das Paradox, dass die Kritik daran „aus den<br />
Reihen derer (kommt), die Herren über eben<br />
solche prachtvollen Villen waren“ – namentlich<br />
CICERO, SALLUST und SENECA. Kap. 5 schildert in<br />
allen Facetten den Badeluxus des römischen St.<br />
Tropez Baiae, das SENECA als deversorium vitiorum<br />
galt. An die dort herrschende sexuelle Freizügigkeit<br />
schließt Kap. 6 mit dem Thema „Erotik<br />
und Sexualität der noblen Welt“ an. Ausdrücklich<br />
werden dort Klischeevorstellungen wie „So bunt<br />
trieben es die Römer“ Zügel angelegt. Kap. 7<br />
geht Statussymbolen wie Purpur, der „kostbarsten<br />
Flüssigkeit der alten Welt“ (12.000 Schnecken<br />
zur Gewinnung von 1,5 Gramm Farbstoff<br />
vonnöten), einer prestigeträchtigen Anzahl von<br />
Klienten und der Jagd nach griechischer Beutekunst<br />
nach. Kap. 8 und 9 handeln von kostbaren<br />
Perlen und Citrusholz-Tischen (citreae mensae)<br />
als Luxusobjekte für Frauen und Männer. Kap.<br />
10 befasst sich mit Parfüms und Schmuck, Kap.<br />
11 mit „Sklavenluxus“ bzw. „Luxussklaven“<br />
und Kap. 12 mit dem Ausstattungsluxus von<br />
Gräbern (etwa Grabmal der CAECILIA METELLA<br />
bzw. des Bäckers EURYSACES). Kap. 13 handelt<br />
von „Luxusschelte in luxuriösem Ambiente“ und<br />
zeigt auf, dass die Antiluxusgesetze (leges sumptuariae)<br />
zumeist schlicht ignoriert wurden. Die<br />
Stärke des Buches liegt in der Vielzahl hübscher,<br />
stets sauber belegter Anekdoten, opulent zu nennender<br />
Bebilderung, farbig unterlegter Kästchen<br />
mit Quellentexten bzw. Zusatzinformationen<br />
zum Fließtext und v. a. dem geschickten Arrangement<br />
des Erzählten. So beginnt jedes Kapitel<br />
mit einem Neugierde weckenden „Aufhänger“<br />
und ist durch oft launige Zwischenüberschriften<br />
gut gegliedert. Es ist best<strong>im</strong>mt keine Beleidigung,<br />
wenn man dies Werk als gehobenes Infotainment<br />
bezeichnet: Die wissenschaftliche Seriosität ist<br />
allenthalben gewahrt, die Vielzahl der zitierten<br />
Quellenautoren würde einem FRIEDLAENDER zur<br />
Ehre gereichen, und der Ausstattungsluxus des<br />
Buches wird dem behandelten Thema mehr als<br />
gerecht.<br />
MICHAEL LOBE, Bamberg<br />
50<br />
Fik Meijer: Gladiatoren. Das Spiel um Leben und<br />
Tod. Aus dem Niederländischen von Wolfgang<br />
H<strong>im</strong>melberg. Düsseldorf: Patmos Verlag 2004,<br />
230 S., EUR 19,90 (ISBN 3-7608-203-3).<br />
FIK MEIJER (M.), Professor für Alte Geschichte<br />
in Amsterdam, legt ein Buch vor, in dem er das<br />
Thema „Gladiatoren“ umfassend behandelt.<br />
So liefert er Informationen über den Ursprung<br />
und die Entwicklung der Gladiatorenspiele,<br />
zeichnet ein instruktives und anschauliches Bild<br />
der Hauptdarsteller, beschreibt eingehend den<br />
Ort der Handlung, womit <strong>im</strong> wesentlichen das<br />
Kolosseum in <strong>Rom</strong> gemeint ist, und äußert sich<br />
zu den Tieren, die bei den Kämpfen eine Rolle<br />
spielten. Er grenzt diese Art von Veranstaltungen<br />
deutlich von den Theateraufführungen,<br />
Wagenrennen und gespielten Seeschlachten ab.<br />
Das eigentliche Kernstück des Buches stellt das<br />
Kapitel: „Ein Tag <strong>im</strong> Kolosseum“ dar (116-149),<br />
in welchem M. den Tagesablauf <strong>im</strong> Kolosseum<br />
genau nachzeichnet. M. berichtet Einzelheiten<br />
über Naumachien, die einige Kaiser mit großem<br />
finanziellem Aufwand durchführen ließen. Er<br />
vergisst auch nicht zu erläutern, was mit all<br />
den Leichen und Kadavern nach den Kämpfen<br />
geschah. <strong>Der</strong> Leser erfährt Details über das Ende<br />
der Gladiatorenspiele am Ausgang der Spätantike.<br />
Was mit dem Kolosseum nach dem Fall<br />
des Römischen Reiches passierte, beschreibt M.<br />
und liefert damit eine kleine Kulturgeschichte<br />
<strong>Rom</strong>s. Ein Kapitel widmet der Autor der Verfilmung<br />
der Gladiatoren. Insbesondere Filme wie<br />
„Spartacus“ und „Gladiator“ untersucht M. auf<br />
die historische Genauigkeit und gelangt zu interessanten<br />
Erkenntnissen, die nur dem Zuschauer<br />
möglich sind, die wie M. die Thematik genauestens<br />
geprüft haben. Die Analyse der Spartacus-Verfilmung<br />
von STANLEY KUBRICK (1960)<br />
mit KIRK DOUGLAS in der Hauptrolle ergibt u.<br />
a., dass Spartacus zwar als thraex kämpft, seine<br />
Ausrüstung aber ganz und gar nicht einem solchen<br />
schwerbewaffneten Gladiator, ausgestattet<br />
mit einem Krummschwert, entspricht. Historisch<br />
völlig falsch wird der Gegner des Spartacus, der<br />
schwarze Athlet Draba, dargestellt; er stellt einen<br />
retiarius dar. Ein solcher Kämpfer ist eine Erfindung<br />
der Kaiserzeit (der Spartacus-Aufstand fand
ekanntlich 71-70 v. Chr. statt) und trat mit Netz<br />
und Dreizack gegen seinen Gegner an, der entweder<br />
ein secutor (Gladiator mit Helm, Schild und<br />
Schwert) oder ein murmillo (Gladiator mit einem<br />
großen länglichen Schild) war. <strong>Der</strong> Film „Gladiator“<br />
(2000 n. Chr.) weist historisch gesehen<br />
noch mehr Mängel auf; so soll Kaiser COMMODUS<br />
seinen Vater getötet haben. MARC AUREL ist aber<br />
nachweislich eines natürlichen Todes gestorben.<br />
Dieser Kaiser hatte auch nie die Absicht, die<br />
Staatsform der Republik wiederherzustellen<br />
– wie es <strong>im</strong> Film behauptet wird. Die Drehbuchautoren<br />
lassen Commodus drei Jahre nach dem<br />
Tod seines Vaters sterben, in Wirklichkeit fand er<br />
aber erst 192 n. Chr., also zehn Jahre später, den<br />
Tod anlässlich einer Palastrevolte. Mangelnde<br />
Lateinkenntnisse führten dazu, dass einer der<br />
Gladiatorenmeister (lanista) den Namen „Prox<strong>im</strong>o“<br />
trägt – richtig wäre natürlich Prox<strong>im</strong>us;<br />
desweiteren zeigt der Film folgende Aufschrift<br />
über dem Eingang der Gladiatorenschule: „LUDUS<br />
MAGNUS GLADIATORES“, richtig wäre: „LUDUS<br />
MAGNUS GLADIATORUM“. Hätten sich die Filmproduzenten<br />
bei Fachleuten erkundigt, so wären die<br />
Gladiatoren richtig ausgerüstet worden. In der Tat<br />
tragen die Gladiatoren <strong>im</strong> Film Waffen aus allen<br />
erdenklichen Kulturen und Epochen, mit dem<br />
Zweck, möglichst spektakuläre Szenen zeigen<br />
zu können.<br />
Nach dem Epilog, in dem sich M. vorwiegend<br />
mit der Frage befasst, wie er sich persönlich als<br />
Zuschauer <strong>im</strong> Kolosseum in der <strong>Antike</strong> verhalten<br />
hätte, bietet er <strong>im</strong> Anhang ein nützliches Glossar<br />
der lateinischen Fachbegriffe (204ff.), Anmerkungen<br />
(207ff.), Literaturhinweise (214ff.), eine<br />
Zeittafel (222ff.), ein Verzeichnis der bedeutendsten<br />
Amphitheater <strong>im</strong> Römischen Reich (225ff.)<br />
sowie einen Bildnachweis (228).<br />
Um es vorweg zu nehmen, M. bietet ein sehr<br />
instruktives und gut lesbares Buch, wobei der<br />
Verfasser stets auf wichtige Quellen zurückgreift.<br />
Er zitiert entscheidende Passagen dieser<br />
Quellen in deutscher Übersetzung und wertet sie<br />
nachvollziehbar aus. <strong>Der</strong> Leser erfährt zahllose<br />
Details über die Kultur der Römer und insbesondere<br />
die Gladiatoren.<br />
Desiderat ist lediglich eine bessere Illustration<br />
des Dargestellten. Zwar enthält das Buch einige<br />
Abbildungen, aber zum besseren Verständnis<br />
wäre es wünschenswert gewesen, wenn der<br />
Verlag einige Farbfotos und weitere detaillierte<br />
Bilder abgedruckt hätte. So fehlt ein Bild des<br />
Kolosseum, obwohl M. dieses Bauwerk in den<br />
Mittelpunkt seiner Ausführungen stellt.<br />
Auch wenn M. sich der Greueltaten der Römer<br />
bewusst ist, plädiert er dafür, die Gladiatorenspiele<br />
in ihrem eigenen kulturellen Kontext zu<br />
bewerten. Er verweist zu Recht darauf, dass<br />
sich in den folgenden Jahrhunderten bis heute<br />
zahlreiche Belege für grausame Akte finden<br />
lassen; so sollte man an öffentliche Hinrichtungen<br />
denken, die erst am Ende des 18. Jahrhunderts<br />
eingestellt wurden. M. lenkt den Blick des<br />
Lesers auf Gewaltfilme und auf Computerspiele,<br />
die das akzeptable Maß an Gewaltdarstellungen<br />
bei weitem überschreiten, und gelangt zu der<br />
Erkenntnis, dass „Gewalt die modernen Menschen<br />
genauso fasziniert wie die alten Römer“<br />
(17). Daher ist der Verfasser davon überzeugt,<br />
dass die Gladiatorenspiele dem Menschen der<br />
heutigen Zeit näher sind, als er zugeben will.<br />
Gleichwohl gab es auch antike St<strong>im</strong>men, die Gladiatorenspiele<br />
ablehnten oder zumindest erhebliche<br />
Bedenken bekundeten: CICERO (Tusculanae<br />
disputationes II 41), SENECA (De tranquillitate<br />
an<strong>im</strong>i XI 1-6), vor allem christliche Autoren wie<br />
TERTULLIAN (De spectaculis XXII 2-4). Dass es<br />
übrigens auch weibliche Gladiatoren gegeben<br />
haben muss beweist ein Abschnitt aus JUVENALS<br />
Satiren (VI 246-264), in dem der Dichter seinen<br />
Widerwillen gegen solche Kämpfe in poetische<br />
Worte gekleidet hat.<br />
Wenn M. auch hauptsächlich die Gladiatorenkämpfe<br />
<strong>im</strong> Kolosseum in den Mittelpunkt seiner<br />
Ausführungen stellt, so liefert er auch einige Hinweise<br />
auf ähnliche Veranstaltungen <strong>im</strong> ganzen<br />
Römischen Reich. <strong>Der</strong> Rezensent empfiehlt die<br />
Lektüre dieses Buches nachdrücklich, wenn der<br />
Leser sich umfassend mit dem Themenbereich<br />
„Gladiatoren“ in der <strong>Antike</strong> auseinander setzen<br />
will.<br />
DIETMAR SCHMITZ, Oberhausen<br />
51
Hartwin Brandt, Das Ende der <strong>Antike</strong>. Geschichte<br />
des spätrömischen Reiches, München: C.H. Beck<br />
(Reihe: Beck Wissen) 2001. EUR 7,50 (ISBN 3-<br />
406-44751-1).<br />
Wer sich über die Geschichte des spätantiken<br />
Reiches informieren möchte, ist mit H. BRANDTS<br />
kleinem Buch über das Ende der <strong>Antike</strong> nur zum<br />
Teil gut beraten. Sehr gelungen ist der Einstieg,<br />
in dem er die Besonderheit der Epoche herausarbeitet:<br />
Die Spätantike ist für B. eine Zeit der<br />
Veränderung, des Wandels, der Umformung. Sie<br />
weist aber auch genug Konturen auf, um zu recht<br />
als „Epoche eigener Dignität“ (S. 8) wahrgenommen<br />
zu werden. Insofern ist der Buchtitel (Das<br />
Ende der <strong>Antike</strong>) ein wenig verwirrend, scheint<br />
das Werk doch das Ende der glanzvollen <strong>Antike</strong><br />
und den Übergang zum dunklen Mittelalter zum<br />
Inhalt zu haben.<br />
Anschließend wird die gesamte Epoche nach<br />
berühmten Herrschern geordnet durchgearbeitet:<br />
DIOKLETIAN, KONSTANTIN, die Konstantinsöhne,<br />
JULIAN, VALENTINIAN und VALENS, THEODOSIUS und<br />
schließlich von Theodosius zu THEODERICH und zu<br />
JUSTINIAN. Das Kapitel Ende und Anfang: auf dem<br />
Weg nach Europa beschließt das kleine Buch.<br />
Bei der Betrachtung der Kapitelüberschriften fällt<br />
sogleich die Beschränkung oder Hervorhebung<br />
der Herrscher auf. Dies ist umso verwunderlicher,<br />
als B. selbst an einer personenorientierten<br />
Geschichtsschreibung eines JORDANES kein gutes<br />
Haar lässt: (Eine solche Art des Geschichtsschreibung)<br />
… entspricht … dem üblichen,<br />
moralisierenden, personenzentrierten Charakter<br />
der spätantiken Geschichtsschreibung und trägt<br />
zur objektiven Ursachenanalyse wenig bei. (S.<br />
70). Und genau das macht B. in jedem Kapitel,<br />
das in der Überschrift den Namen der Herrscher<br />
trägt und eine Darstellung ihrer Taten beinhaltet.<br />
Ob das nun verwerflich ist oder nicht, sei dahingestellt.<br />
Merkwürdig ist es allerdings, wenn ein<br />
Autor etwas kritisiert, was er selbst macht. Durch<br />
diese personenzentrierte Darstellungsweise gerät<br />
B.s Darstellung sehr unübersichtlich. Wichtige<br />
sozial- und gesellschaftspolitische Entwicklungen<br />
werden gar nicht erst angesprochen. <strong>Der</strong><br />
Kampf zwischen Christentum und Heidentum,<br />
die innerchristlichen Bewegungen kommen in<br />
52<br />
jedem Kapitel <strong>im</strong>mer wieder von neuem zur<br />
Sprache. Es stellt sich in diesem Zusammenhang<br />
natürlich die Frage, ob die gewählte Gliederung<br />
wirklich sinnvoll war. Davon abgesehen, wären<br />
Unterkapitel zur Orientierung ebenfalls hilfreich<br />
gewesen.<br />
Neben diesen negativen Aspekten ist jedoch<br />
die Herangehensweise sehr zu loben: B. dekretiert<br />
nicht professoral die Ergebnisse der Forschung,<br />
sondern er bezieht das Quellenmaterial<br />
geschickt in seine Darstellung mit ein (z. B. S.<br />
12ff.). So wird ein Laie – gleichsam ohne es zu<br />
merken – mit der historischen Arbeitsweise vertraut<br />
gemacht.<br />
Nachfolgend sollen kurz weitere Probleme<br />
aber auch Highlights ausgewählter einzelner<br />
Kapitel aufgelistet werden:<br />
In dem KONSTANTIN-Kapitel beginnt B. mit einer<br />
Beschreibung der Herkunft Konstantins und einer<br />
ausführlichen Darstellung der verschiedenen<br />
Tetrarchien. Es ist gewiss richtig, dass Konstantin<br />
ein Legit<strong>im</strong>itätsproblem hatte; dieses darzustellen<br />
muss angesichts der Knappheit des zur<br />
Verfügung stehenden Raumes jedoch nicht fünf<br />
Seiten in Anspruch nehmen (20-24). Gelungen ist<br />
die Darstellung der „konstantinischen Wende“,<br />
mithin der Religionspolitik. B. macht deutlich,<br />
dass Konstantin nicht der christliche Herrscher<br />
schlechthin war, für den ihn manche gerne<br />
halten wollten, sondern sich bewusst vor einer<br />
eindeutigen Positionierung zu hüten verstand.<br />
Gut ist erneut der Quellenbezug: Wie schon <strong>im</strong><br />
vorherigen Kapitel, so werden auch hier Quellen<br />
kritisch hinterfragt und vor dem Hintergrund die<br />
Darstellung entwickelt. Die Verknüpfung von<br />
Religionspolitik und Stadtgründung ist sicherlich<br />
ein Glanzlicht dieses Kapitels (S. 29f.). Jedoch<br />
hätte die Neuorganisation der Verwaltung eine<br />
breitere Betonung verdient (S. 30f.).<br />
In dem Kapitel THEODOSIUS wird vor allem<br />
die Barbarisierung (vielleicht besser: Germanisierung)<br />
des Heeres herausgestellt. Danach geht<br />
B. ausführlich auf den Gotenvertrag ein. Die<br />
religiösen Konflikte werden auf S. 61ff. geschildert.<br />
Das hin und her der Religionsprobleme wäre<br />
durch eine andere Aufteilung des Buches besser<br />
gelungen.
Bei der Darstellung JUSTINIANS ist es geradezu<br />
eine Sünde, das Corpus iuris civilis auf ca. einer<br />
halben Seite abzuhandeln (S. 100f.).<br />
Im Schlusskapitel: „Ende und Anfang.<br />
Auf dem Weg nach Europa“ unterstreicht B.<br />
die Bedeutung der <strong>Antike</strong> für das Werden der<br />
Moderne. Die Bedeutung der <strong>Antike</strong> für die<br />
Gegenwart kann nur ein kultur- und geschichtsloser<br />
Barbar leugnen; dennoch stellt sich die<br />
Frage nach dem Sinn dieses Kapitels, wenn man<br />
den Buchtitel bedenkt und sich vor Augen führt,<br />
dass dieses Kapitel <strong>im</strong>merhin mehr als drei Seiten<br />
einn<strong>im</strong>mt.<br />
Die Literaturhinweise hinterlassen einen sehr<br />
zwiespältigen Eindruck (S. 110f.): Es beginnt mit<br />
einem – <strong>im</strong> Rahmen des engen Raumes – sehr<br />
guten kommentierten Quellenverzeichnis. Das<br />
Verzeichnis der Sekundärliteratur wirkt sehr<br />
beliebig. Sehr wichtige Standardwerke wie etwa<br />
von BLEICKEN oder SCHIEFFER fehlen; stattdessen<br />
finden sich vergleichsweise spezielle Titel von<br />
BLECKMANN, KOLB oder LIPPOLD. Wenn Leser<br />
– angeregt durch B.s Werk – einen Überblick<br />
über die Spätantike bekommen und selbstständig<br />
weiter lesen wollen und auch sollen, dann sind<br />
allgemeinere Werke sicherlich besser geeignet als<br />
spezielle Untersuchungen (auch wenn diese einen<br />
guten Ruf genießen).<br />
Um Fazit zu ziehen: B.s Buch hat genauso eine<br />
eigene Dignität, wie die von ihm besprochene<br />
Geschichtsepoche. Geradezu mustergültig führt<br />
er vor, wie man ausgehend von Geschichtsquellen<br />
eine Fragestellung bearbeitet. Insbesondere<br />
der Laie kann hieran viel lernen. Die Vielfalt der<br />
in den Kapiteln behandelten Themen ist jedoch<br />
ein großes Manko. Über die Bekämpfung des<br />
Heidentums etwa bekommt der Leser keine<br />
zusammenhängende Auskunft; wichtige Fragen<br />
wie z. B. die gesellschaftlichen Veränderungen<br />
oder die Neuorganisation der Verwaltung werden<br />
nicht extra abgehandelt. Und hier lässt einen auch<br />
das Verzeichnis der Sekundärliteratur teilweise<br />
<strong>im</strong> Stich.<br />
JENS NITSCHKE, Beelitz<br />
S. Schäfer: Würde und Bürde des Humanismus.<br />
Elf Abitur-Reden an einem (ehemals) altsprachlichen<br />
Gymnasium. Kelkhe<strong>im</strong> (M. G. Schmitz)<br />
2002. 74 S. (ISBN 3-922272-84-3).<br />
Bei diesem selbstverlegten schmalen Bändchen<br />
handelt es sich um eine Sammlung der Abiturreden,<br />
die SIEGFRIED SCHÄFER, Oberstudienrat<br />
a. D. an der Gießener Landgraf Ludwig-Schule,<br />
einem ehemaligen humanistisch-altsprachlichen<br />
Gymnasium, zwischen 1992 und 2002 gehalten<br />
hat. Eifrig werden dabei schmückende Versatzstücke<br />
der griechischen und römischen Literatur<br />
zitiert, etwa PLATONS Höhlengleichnis (1992), das<br />
Chorlied aus der Antigone des SOPHOKLES (1993),<br />
ein Auszug aus Platons Theaetet (1994), aus<br />
TACITUS Annalen (1995), aus SALLUSTS Catilina<br />
(1996) etc., um dann etwa folgendermaßen auf<br />
die Gegenwart hin ausgelegt zu werden: „Liebe<br />
Grüne (traditioneller Name der Absolventen<br />
dieser Schule, der Rez.), versuchen Sie – ganz<br />
gleich, in welchem Beruf – Ihre Ideen umzusetzen<br />
für die res publica, die öffentliche Sache, so<br />
die wörtliche Übersetzung – Staat ist ein Abstraktum,<br />
unter dem man sich wenig vorstellen<br />
kann – die öffentliche Sache, die uns alle angeht,<br />
<strong>im</strong> Sinne einer gerechteren, sozialeren Welt, in<br />
der das Geben vor dem Nehmen steht, in der der<br />
andere ich bin, damit wir alle – von den Jungen<br />
auf bessere Pfade gelenkt – uns „ewig strebend“<br />
bemühen, den steilen Pfad aus der Höhle – ein<br />
Bild aus Platons Höhlengleichnis – zu erkl<strong>im</strong>men<br />
in die Nähe der Sonne der Gerechtigkeit.“<br />
In der Abiturrede von 1997 liest man: „Wir<br />
verabschieden mit den heutigen Abiturienten<br />
die letzten 3 Griechen, die Einführung der<br />
Gesamtschule in Gießen ermöglicht den direkten<br />
Übergang der Realschüler in die Stufe 11 der<br />
gymnasialen Oberstufe.“ Und in der Rede von<br />
1999 heißt es: „Unsere heutigen Abiturienten<br />
haben den Cursus einer schulformbezogenen<br />
Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe erfolgreich<br />
abgeschlossen, alle ohne Griechisch, nur<br />
wenige (13!) bis zum nicht bitteren Ende einen<br />
Grundkurs Latein besucht.“ Es entbehrt nicht<br />
einer gewissen Tragikomik, dass nach diesem<br />
durch die hessische Bildungspolitik verursachten<br />
Abgesang dieses ehemals humanistischen Gymnasiums<br />
Schäfer scheinbar ungerührt weiterhin<br />
53
griechische Geistesgrößen paradieren lässt – vor<br />
einem Maturantenpublikum, das diese Namen<br />
kaum mehr aus dem Unterricht kennen kann.<br />
Dies Büchlein hat insofern großen Wert, als<br />
es durchaus als Menetekel für die Zukunft der<br />
altsprachlichen Gymnasien in ganz Deutschland<br />
gelesen werden kann. Schäfer zitiert LUDWIG<br />
MARCUSE, der voller Opt<strong>im</strong>ismus über sein<br />
ehemaliges Gymnasium schreibt: „So schwarz<br />
der Horizont auch sei, wir vertrauen auf Pallas<br />
Athene, sie wird das Schifflein unseres Gymnasiums<br />
nicht untergehen lassen...“ Das Gießener<br />
Schiff der Landgraf Ludwig-Schule ist offenkundig<br />
untergegangen, und ein auf Planken<br />
treibender Schiffbrüchiger feuert die Reste<br />
humanistischer Leuchtmunition ab – oraque<br />
caerulea patrium clamantia nomen | excipiuntur<br />
aqua. Um nicht missverstanden zu werden:<br />
Dies ist nicht <strong>im</strong> Spott gesagt, sondern <strong>im</strong> Verwundern<br />
darüber, wie der Autor angesichts des<br />
tiefgreifenden Identitätsverlustes seiner Schule<br />
solch maßvolle Worte finden kann: „An der<br />
Landgraf-Ludwig-Schule gibt es keine Schüler<br />
mehr, die Griechisch lernen, traurig, aber es<br />
darf keine Hybris aufkommen, die Erde wird<br />
sich weiter drehen (...) man muß das bedauern,<br />
aber bitte keine Threnoi, Klagegesänge wie in<br />
der frühgriechischen Lyrik (...) schon gar nicht:<br />
Untergang des Abendlandes! Schüler und Eltern<br />
setzen andere kulturelle Schwerpunkte...“ (S.<br />
30).<br />
Um <strong>im</strong> Bilde der Seefahrt zu bleiben: Längst<br />
drohen Piraten, die unter der Totenkopf-Flagge<br />
„Effizienz“ und „Innovation“ segeln, die verbleibenden<br />
Schiffe der humanistischen Flotte zu<br />
kapern. <strong>Der</strong> Weite ihres vorwiegend ökonomisch<br />
geschulten Denkhorizontes hat ARNFRIED ASTEL<br />
ein bleibendes Denkmal gesetzt: „Wer ist eigentlich<br />
dieser Achill? fragte die Schildkröte und fraß<br />
weiter an ihrem Salatblatt.“<br />
MICHAEL LOBE, Bamberg<br />
Lektüre auf (ge)sicher(t)em Boden?<br />
Zu zwei Cicero-Lernwortschätzen<br />
Führt ein Sprachlehrgang konsequent auf ein<br />
best<strong>im</strong>mtes Lektüreziel, dürfte dies mit Scheuklappen<br />
der schier unüberschaubaren Fülle<br />
54<br />
gegenüber zu bezahlen sein, die links und rechts<br />
des eingeschlagenen Weges liegt und lockt; lässt<br />
ein Sprachlehrgang hingegen die anschließende<br />
Lektüre offen, steht zu befürchten, dass man für<br />
die jeweiligen Texte bzw. Autoren in ihrer ganzen<br />
Besonderheit und Eigenart auch nur sehr bedingt<br />
vorbereitet ist. 1<br />
Für die Lektüre selbst aber – oder sollte man<br />
vorsichtiger sagen: Beschäftigung mit den lateinischen<br />
(Original-)Texten? – steht wohl außer<br />
Frage, dass nur noch zählt und gefragt ist, was<br />
auch tatsächlich vorkommt und unmittelbar<br />
gebraucht wird.<br />
Die an das Zentralabitur gekoppelte Latinums-<br />
Ergänzungsprüfung hat in Baden-Württemberg<br />
ganz klare Vorgaben: Prüfungsautor ist CICERO,<br />
das prüfungsrelevante Textcorpus die Verrinen<br />
sowie Pompeiana und Catilinarien. Nun liegen<br />
seit geraumer Zeit für Ciceros Reden zwei<br />
Lernwortschätze vor, die <strong>im</strong> Folgenden knapp<br />
vorgestellt und an bzw. in einem Punkte problematisiert<br />
werden sollen: der Band Cicero Reden<br />
aus der Reihe Latein-Wortschatz aktiv von HEL-<br />
FRIED GSCHWANDTNER und anderen (zuerst Wien<br />
1994; kurz: G.) und das Lernvokabular zu Ciceros<br />
Reden von GOTTFRIED BLOCH (zuerst Stuttgart<br />
1995; kurz: B.).<br />
Man lasse sich vom Äußeren nicht täuschen<br />
– die 48 Seiten B. (etwas über DIN A6-Format)<br />
wollen mit 800 Wörtern (in meiner Zählung rund<br />
825) an die 90% eines Textes erfassen, die 78<br />
Seiten G. (etwas über DIN A5-Format) mit rund<br />
685 Wörtern (meine Zählung ohne gut 30 Einheiten<br />
‚Eigennamiges‘) 85%.<br />
G. ordnet die Wörter „nach der Häufigkeit ihres<br />
Vorkommens“, scheint aber nach einem ersten<br />
halben Hundert offenbar häufigster Einzelvokabeln<br />
Wortgruppen – wohl gleicher oder ‚ähnlicher‘<br />
Häufigkeit – zu bilden und diese alphabetisch<br />
anzuordnen, allerdings rückläufig: von vivo bis<br />
alius (p. 16-17), vita bis autem (p. 17-18) oder<br />
voco bis abhorreo (p. 60-72). Rechts unten in der<br />
Ecke einer Doppelseite ist jeweils angegeben,<br />
wie viel Prozent (Durchschnitts-)Text mit den bis<br />
dahin gebotenen Vokabeln erfasst werden könne<br />
– „als Anhaltspunkt für den Lernfortschritt“.<br />
B. untergliedert das Wortmaterial „allein nach<br />
der Frequenz“ in einen Basiswortschatz (gut 180
Wörter) und die eigentlichen Lernwörter („Die<br />
440 wichtigsten Lernwörter“), abgerundet durch<br />
weitere 180 „Lernwörter für Fortgeschrittene“.<br />
Beide Lernlisten präsentieren ihre Wörter nach<br />
Möglichkeit nicht nur isoliert als Einzelwort mit<br />
Bedeutungsgleichung(en), sondern in Min<strong>im</strong>al-<br />
Kontexten – G. überwiegend durch Wortgruppen<br />
und Verbindungen (ohne näheren Nachweis), B.<br />
durch Satzbeispiele (weitestgehend aus den Verrinen<br />
mit Einzelnachweis!).<br />
Sowohl G. als auch B. gehen ausdrücklich<br />
auf Fragen nach der Ermittlung und Präsentation<br />
der jeweiligen Bedeutungsangaben ein<br />
– die „Lerngrundlage und Voraussetzung für<br />
eine zügige Lektüre“ (B.) scheint so gegeben,<br />
für die „Bedürfnisse einer raschen Texterfassung“<br />
(G.) bestens gesorgt. Doch bei näherem<br />
Hinsehen zeigt sich – noch vor aller praktischen<br />
Erprobung und Bewährung – eine Schwierigkeit,<br />
die Auslöser dieser kleinen Betrachtung ist (und<br />
deren Ursache man nicht nur hier begegnet).<br />
„Das vorliegende Lernvokabular wurde unter<br />
Zuhilfenahme moderner Textanalysemethoden<br />
zusammengestellt“, heißt es bei G., noch<br />
‚objektiver‘ liest man bei B.: „Mehr als 6400<br />
verschiedene Einzelwörter verwendet Cicero<br />
in seinen Reden. Knapp 10% davon, die 620<br />
häufigsten, decken aber bereits etwa 80% der<br />
Textmenge eines beliebigen Textabschnittes ab.<br />
Weitere 180 erhöhen den Bekanntheitsgrad des<br />
Wortmaterials in einem Text auf nahezu 90%“<br />
– ist man mit diesen Angaben und Auskünften<br />
hinreichend informiert?<br />
Das gemeinsame Stichwort ‚Reden‘ und der<br />
praktisch identische, statistisch quantitative<br />
Ansatz lässt weithin ähnliche Ergebnisse erwarten,<br />
auch wenn man bei beiden Vokabularien<br />
nur mutmaßen kann, wer nun wie genau seine<br />
Lernwörter ermittelt hat (von der konkreten Textgrundlage<br />
bzw. -gestalt einmal ganz geschwiegen)<br />
– genau diese Bestätigung aber des einen<br />
Vokabulars durch das andere erfolgt nicht.<br />
Nicht weniger als 168 Lernwörter G. – von<br />
opt<strong>im</strong>ates (p. 31) bis abhorreo (p. 72) – finde(n<br />
s)ich bei B. nicht, und ebenso wenig lassen sich<br />
die knapp 300 Lernwörter B., die (s)ich bei G.<br />
nicht finde(n), mit dessen größerem Gesamtumfang<br />
erklären. 2<br />
Wenn nun in der österreichischen Einleitung<br />
steht: „Die Vokabularien dieser Reihe sind ... als<br />
Entscheidungshilfe, ob ein Vokabel auf Grund<br />
seiner Vorkommenshäufigkeit gelernt werden<br />
soll oder nicht, sehr gut geeignet“, kann ich dies<br />
aufgrund meines <strong>Vergleich</strong>s nicht unterschreiben<br />
– mangelnde Ausdrücklichkeit lässt den interessierten<br />
Benutzer in beiden Fällen ratlos-verlegen<br />
zurück: ‚Was soll ich denn nun lernen (lassen)?‘<br />
<strong>Der</strong>art mutieren durchaus problembewusste und<br />
grundsätzlich hoch erfreuliche Angebote und<br />
Arbeitshilfen zu Ärgernissen, ohne dass eine<br />
leichte ‚Lösung‘ oder Behebung des Problems<br />
in Sicht wäre.<br />
Vielleicht, dass sich in diesem Falle die Verfasser<br />
der Wortkunden hilfreich und klärend zu<br />
Wort melden (könnten) – allgemein scheint festzuhalten<br />
zu sein, dass man weder sich noch anderen<br />
mit allzu knappen (oder gleich ganz unterlassenen)<br />
Auskünften und Angaben zu Zielsetzung,<br />
Vorgehen und Grundlage(n) eigener Arbeit einen<br />
wirklichen Gefallen tut; es ist vielmehr, vielleicht<br />
auch etwas besorgt, zu fragen, ob wir uns derlei<br />
noch la(e)nge(r) leisten können.<br />
1) Bei dem Lehrbuchverfasser Rainer NICKEL findet<br />
sich das spannungs- und folgenreiche Nebeneinander<br />
dieser Ansätze ebenso unvermittelt wie offenbar<br />
ungerührt (unbemerkt?): „Normalerweise sind<br />
moderne Lehrbücher nicht auf einen best<strong>im</strong>mten<br />
Autor und seinen Wortschatz festgelegt“ (in: AU<br />
4/1999, S. 3, übernommen ins Lehrerheft [Bamberg<br />
/ München 2000] des Lehrgangs Latein drei, S. 6)<br />
neben „Dass die Auswahl des grammatischen Stoffes<br />
bzw. der Inhalte des Wissens über Sprache <strong>im</strong> Blick<br />
auf die zu erschließenden Textcorpora erfolgen sollte,<br />
braucht nicht eigens erwähnt zu werden. Die Lehrbücher<br />
entsprechen normalerweise diesem Prinzip,<br />
indem sie auf ein best<strong>im</strong>mtes Textcorpus zielen (z.<br />
B. auf Caesars Commentarii), so dass nicht nur der<br />
Wortschatz, sondern auch die Grammatik des oder<br />
der Autoren für die Lehrbuchkonzeption maßgebend<br />
ist“ (mit ANJA ZANINI in: AU 4+5/2003, S.4 f.).<br />
2) „Die Wörter des Basiswortschatzes sind in den Texten<br />
so häufig, daß die <strong>im</strong>manente Wiederholung <strong>im</strong> allgemeinen<br />
ein besonderes Lernen überflüssig macht,<br />
zumal kaum ein Wort nicht schon aus dem sprachlichen<br />
Grundkurs bekannt sein dürfte“ – beispielshalber<br />
nenne ich die zehn Wörter ‚Lücke‘ bei G. in diesem<br />
Bereich: accipere, adulescens, filius, melior, min<strong>im</strong>e,<br />
mittere, pecunia, pro, servus und verbum (nähere wie<br />
weitere Auskünfte be<strong>im</strong> Verfasser – bitte melden resp.<br />
mailden!).<br />
FRIEDEMANN WEITZ, Leutkirch <strong>im</strong> Allgäu<br />
55
56<br />
Leserforum<br />
Zum Richtungsstreit „erzkonservative Verengung“<br />
oder „Profilbildung“?<br />
<strong>Der</strong> Beitrag von GÜNTHER HOFFMANN in Forum<br />
Classicum 3/2003 hat eine Vielzahl mündlicher<br />
und schriftlicher Stellungnahmen provoziert. In<br />
Heft 4/03 hat KLAUS WESTPHALEN dazu Stellung<br />
genommen. Eine kurze Ergänzung hierzu steht<br />
am Anfang dieses Leserforums. Dann folgen eine<br />
Erwiderung von G. HOFFMANN und drei weitere<br />
engagierte Leserbriefe zum selben Thema.<br />
Auf meinen Beitrag zum Leserforum in Heft<br />
4/03 des FC habe ich einige recht zust<strong>im</strong>mende<br />
E-Mails erhalten, aber auch eine berechtigte<br />
Mahnung des Vandenhoeck & Ruprecht-Verlages.<br />
Daher möchte ich noch folgende Angabe<br />
nachtragen:<br />
Nachschub für Neuerungen! In meiner Aufzählung<br />
moderner Unterrichtswerke für Latein<br />
als zweite Fremdsprache in Heft 4/2003 des FC<br />
(„Panik angesichts von Neuerungen?“) habe ich<br />
unglücklicherweise den vorläufig jüngsten Spross<br />
der „dritten Generation“ übersehen. Es handelt<br />
sich um LUMINA, erschienen 1998 <strong>im</strong> Verlag<br />
Vandenhoeck & Ruprecht. Auf dieses Buch treffen<br />
alle Kriterien zu, die ich dort zugunsten zeitgemäßer<br />
Lehrwerke in Latein angeführt habe.<br />
KLAUS WESTPHALEN, Garmisch-Partenkirchen<br />
Für einen profilierten Sprachunterricht<br />
(Erwiderung auf Klaus Westphalen, FC4/2003)<br />
„In zwei temperamentvollen, polemischen<br />
Beiträgen“ habe ich <strong>im</strong> Heft 3/2003 des FORUM<br />
CLASSICUM sowohl das jüngste Produkt der<br />
FELIX-Reihe (Latein mit Felix) als auch den<br />
damit Hand in Hand gehenden bayerischen<br />
Lehrplan kritisiert. Mein Haupteinwand war, dass<br />
das Grundkonzept beider Objekte die sinnvolle<br />
traditionelle Anordnung insbesondere bei der<br />
Morphologie zertrümmert und damit ein Chaos<br />
erzeugt, das es dem Schüler nicht leichter, sondern<br />
schwerer macht.<br />
Diese Invektive versucht KLAUS WESTPHALEN<br />
<strong>im</strong> Heft 4/2003 zu entkräften und zu widerlegen.<br />
Er bedient sich dabei des Autoritätsargumentes,<br />
was an sich durchaus seine Berechtigung haben<br />
kann. Die eine Autorität, auf die er sich beruft,<br />
ist er selbst, der „seit 1954 bei allen drei Lehrbuchgenerationen<br />
mitgearbeitet“ hat und dessen<br />
Verdienste für die klassischen Sprachen hier<br />
keinesfalls in Abrede gestellt werden sollen.<br />
Die zweite Autorität ist für Westphalen die<br />
„didaktische Tendenz“ seit den 70er Jahren, die<br />
„die Aspekte von Stoff und Form oder Inhalt<br />
und Grammatik in den neueren lateinischen<br />
Unterrichtswerken tatsächlich gleichberechtigt<br />
zur Geltung kommen“ lässt. Während man in<br />
Westphalen durchaus eine berufungswürdige<br />
Autorität sehen kann, ist dies bei Tendenzen problematisch:<br />
Kann man die Qualität eines Buches<br />
oder eines Lehrplanes wirklich damit begründen,<br />
dass sie <strong>im</strong> Trend liegen bzw. modern sind oder<br />
dass es alle anderen neuen Werke auch so tun? Ist<br />
eine Kritik wie meine deswegen falsch, weil sie<br />
dem Trend widerspricht und daher erzkonservativ<br />
erscheint?<br />
Auch meine Ausführungen bemühen eine<br />
Autorität: FRANZ PETER WAIBLINGER, der den von<br />
Westphalen hochgehaltenen Trend einer herben<br />
Kritik unterzogen hat. Sein Fazit, das er <strong>im</strong><br />
FORUM CLASSICUM Heft 1/1998 über die letzten<br />
Jahrzehnte gezogen hat, ist düster: Lehrpläne<br />
und Bücher wurden <strong>im</strong>mer anspruchsvoller,<br />
die Ergebnisse bzw. die Kenntnisse <strong>im</strong>mer<br />
erbärmlicher. Natürlich sind daran auch der<br />
„Rückgang des bürgerlichen Bildungsideals“<br />
(Westphalen) und der vielzitierte neue Schüler<br />
schuld, aber auch die Didaktik, die sich bei der<br />
Spracherwerbsphase einfach verrannt hat und mit<br />
Waiblinger re-formiert werden muss. Insofern ist<br />
die historische Didaktik des Lateinischen – auch<br />
oder gerade <strong>im</strong> FORUM CLASSICUM 1 – weitergegangen,<br />
als sie die didaktischen Moden und<br />
Innovationen mit der Schulwirklichkeit und ihren<br />
(Miss-)Erfolgen korreliert.<br />
Bayern hatte sich in den letzten Jahrzehnten<br />
den genannten fachdidaktischen Tendenzen<br />
eher zögerlich angeschlossen und ist damit<br />
nicht schlecht gefahren. Ursache dafür waren<br />
meines Erachtens Lehrbücher, in denen – wie
Westphalen richtig betont – „der leichten Überschaubarkeit<br />
der Vorzug gegeben“ wurde. Dass<br />
man diese didaktische Tugend – jedem Studienreferendar<br />
wird sie als Grundvoraussetzung für<br />
einen guten Unterricht einge<strong>im</strong>pft – hintanstellt<br />
und das Gegenteil (Unüberschaubarkeit oder<br />
– zum sechsten Mal und öfter: Chaos) in Kauf<br />
n<strong>im</strong>mt, halten nicht nur Waiblinger, sondern auch<br />
viele Basisarbeiter für das Grundübel moderner<br />
Sprachdidaktik. Noch niemand ist <strong>im</strong> Lateinischen<br />
gescheitert, weil er die Aspekte bzw.<br />
die funktionalen Nuancen von Imperfekt und<br />
Perfekt nicht klar unterschieden konnte. Aber<br />
das Verkennen von Formen bzw. Endungen hat<br />
schon manchem das Genick gebrochen, wovor<br />
ihn der attackierte Formalismus mit Formendrill<br />
vielleicht bewahrt hätte.<br />
Die Bedeutung der Syntax soll damit nicht<br />
geleugnet werden und auch nicht die allgemeinbildenden<br />
Werte und die Gesellschaft oder sonst<br />
irgendwelche Bildungsziele des Lateinunterrichts<br />
insgesamt, dessen Zielsetzung sicher weitergeht<br />
als die Grammatik. Nur heißt Ausgewogenheit<br />
nicht, dass man den zweiten Schritt gleichzeitig<br />
mit dem ersten oder alle Schritte auf einmal<br />
macht, <strong>im</strong> Gegenteil: Die Ausgewogenheit muss<br />
sich <strong>im</strong> Gesamt des Unterrichtes zeigen und<br />
nicht in jeder Einzelstunde, die <strong>im</strong>mer einseitig<br />
sein muss, weil ihr ein best<strong>im</strong>mter Lerninhalt<br />
zugrunde liegt und andere Inhalte eben nicht.<br />
So kommt von der inneren Logik und damit<br />
von der Ausgewogenheit her zuerst die Sicherheit<br />
mit Wortschatz und Endungen und dies i n<br />
e i n e r v o n d e r M o r p h o l o g i e h e r<br />
s i n n v o l l e n O r d n u n g , dann die S y n t a x<br />
m i t i h r e m s p e z i f i s c h e n Vo r a n -<br />
s c h r e i t e n und dann die anspruchsvollen<br />
Texte mit ihren Aussagen, für deren Verständnis<br />
Morphologie und (in dieser Reihenfolge) Syntax<br />
Voraus(!)-Setzungen und nicht Gleichsetzungen<br />
sind. Gegenteilige Konzepte, sei es von FELIX<br />
oder anderen modernen Unterrichtswerken, sind<br />
sowohl durch die vielen negativen Rückmeldungen<br />
aus der Praxis als auch durch Waiblingers<br />
kritische Reflexionen obsolet geworden.<br />
Hinter Westphalens Forderung nach Gleichberechtigung<br />
von Inhalt und Sprache steht ein<br />
verengtes Verständnis von Ausgewogenheit <strong>im</strong><br />
Sinne einer arithmetischen Ausgewogenheit.<br />
Dem gegenüber ist für die Spracherwerbsphase<br />
des Lateinunterrichts eine geometrische Ausgewogenheit<br />
gefordert, welche der lateinischen<br />
Sprache und ihren Strukturen die eindeutige<br />
Priorität zuerkennt. Nur so kann diese Phase<br />
letztlich ihr Profil, ihre „philosophische D<strong>im</strong>ension“<br />
(Waiblinger) gewinnen. Anders käme ein<br />
profilloses Mischmaschfach „Lateinische Kulturkunde<br />
(incl. Sprache)“ heraus, und das wäre<br />
weder für unser Fach noch für den Schüler ein<br />
Gewinn.<br />
Betrachtet man die Forderung nach Ausgewogenheit<br />
bzw. Gleichberechtigung von<br />
Sprache und Inhalt historisch genauer, entdeckt<br />
man, dass sie ihren ursprünglichen Sitz ganz<br />
woanders hatte. Westphalens wissenschaftlicher<br />
Werdegang belegt dies: Als er Anfang der 70er<br />
Jahre Inhalt und Sprache gleichberechtigt nebeneinander<br />
stellte, ging es nicht um eine Opt<strong>im</strong>ierung<br />
des Grammatikunterrichts. Vielmehr musste<br />
man mit der „Multivalenzwaffe Latein“ Angriffe<br />
von außen (SAUL B. ROBINSOHN) abwehren und<br />
das Fach als ganzes vor dem Richterstuhl außerfachlicher<br />
Bildungsströmungen legit<strong>im</strong>ieren.<br />
Dies hat Westphalen mit der legendären DAV-<br />
Matrix bravourös geschafft. Dabei ging es aber<br />
vorwiegend um die Gestaltung der Oberstufe:<br />
Durch deren Reform, die Westphalen seinerzeit<br />
in Bayern federführend begleitete, war der<br />
Lateinunterricht auf einmal dem freien Markt<br />
von Angebot und Nachfrage ausgesetzt; dort,<br />
bei der „Kollegstufenarbeit in den alten Sprachen“<br />
(Donauwörth 1971) hat Westphalen die<br />
„kopernikanische Wende“ des Lateinunterrichts<br />
postuliert. Diese Postulate für die Oberstufe<br />
und für den Lektüreunterricht lassen sich aber<br />
nicht <strong>im</strong>mer weiter nach unten verlagern, wenn<br />
man aus guten Gründen an einer eigenständigen<br />
Spracherwerbsphase festhalten will. In einer solchen<br />
geht es überwiegend um das Sprachlernen,<br />
in einer solchen muss ein Schulbuch auch vom<br />
Äußeren her ein profiliertes Sprachbuch und darf<br />
kein <strong>Reis</strong>eführer oder Kulturkundelesebuch mit<br />
Bilderflut und Grammatik und Projekten und<br />
Vokabeln und Karikaturen sein. Letztere scheint<br />
Westphalen in seiner Entgegnung als Inbegriff<br />
einer erweiterten Zielsetzung des Lateinunter-<br />
57
ichts anzusehen, da eine asketische Beschränkung<br />
wohl nicht der Spaßgesellschaftsmatrix<br />
gerecht werden würde.<br />
Was Westphalen als erzkonservative Verengung<br />
abtut, ist letztlich Profilbildung. Und nur<br />
durch ein spezifisches, d. h. der jeweiligen Phase<br />
des Lateinunterrichts angemessenes Profil erhält<br />
der Lateinunterricht langfristig seine Legit<strong>im</strong>ation<br />
und seine Achtung in der Schule.<br />
1) Vgl. dazu auch die Beiträge von Rupert Farbowski:<br />
Latein – eine starke Marke. in: FC 4/1997 und Matthias<br />
Ferber, Latein als Kernfach des „kulturellen Gedächtnisses“<br />
in: FC 1/2003.<br />
58<br />
GÜNTHER HOFFMANN<br />
„Cottidie peius“?<br />
Anmerkungen zur Besprechung von LATEIN<br />
MIT FELIX Band 1 von GÜNTHER HOFFMANN<br />
(FC 3/2003 S. 170-174)<br />
In seiner umfangreichen und sehr genauen<br />
Besprechung hat GÜNTHER HOFFMANN massive<br />
und grundsätzliche Kritik am neuen Lehrbuch<br />
LATEIN MIT FELIX geübt und damit einen<br />
unter bayerischen Kollegen (ich schließe mich<br />
mit ein) nicht selten anzutreffenden Unmut über<br />
Konzeption und Umsetzung von LATEIN MIT<br />
FELIX (und FELIX) zum Ausdruck gebracht.<br />
Zugegeben: Auch ich trauere dem bisherigen<br />
Lehrbuch ROMA A nach und ärgere mich bei<br />
LATEIN MIT FELIX besonders über die (vom<br />
Kollegen Hoffmann kürzer behandelte) unbefriedigende<br />
Aufbereitung des Wortschatzes: Die<br />
Schüler lernen bei stat<strong>im</strong> (L 4) u. a. die Bedeutung<br />
„auf der Stelle“ und kommen natürlich bei<br />
Lektion 4 Übung f, in der Wörter (auch stat<strong>im</strong>)<br />
nach Orts- und Zeitangaben zu sortieren sind,<br />
sofort in Schwierigkeiten. Ähnliches gilt für est<br />
(„es gibt“) und dat („er, sie, es gibt“) in Lektion<br />
5 und 6. Warum macht man es Schülern unnötig<br />
schwer? Muss componit (L 8) wirklich auch „er<br />
fasst ab“ (statt „er verfasst“) heißen? Reicht bei<br />
interea (L 9) nicht „inzwischen“ oder braucht man<br />
zusätzlich „unterdessen“? Um die Beispiele nicht<br />
endlos auszudehnen: Ich habe den Eindruck, die<br />
Autoren des „Bamberger Wortschatzes“ waren<br />
zu oft Sklaven ihrer eigenen Statistik und haben<br />
sich (aus Zeitdruck?) kaum Gedanken über ihre<br />
„Zielkundschaft“ gemacht.<br />
Dennoch ist es mir wichtig, die Kritik an LATEIN<br />
MIT FELIX mit einigen Hinweisen grundsätzlicher<br />
Art zu relativieren:<br />
Dieses Lehrbuch ist das einzige in Bayern<br />
für Latein als 1. Fremdsprache zugelassene und<br />
wird wohl auch das einzige bleiben. Es völlig in<br />
Frage zu stellen, heißt zwangsläufig auch, L1 in<br />
Frage zu stellen. Wie müssen sich Schüler und<br />
Eltern fühlen, wenn ihnen der eigene Lehrer den<br />
Eindruck vermittelt, mit diesem Buch könne man<br />
nicht erfolgreich Latein lernen?<br />
Und: Kann man das wirklich nicht? Fairerweise<br />
sollten wir dem Lehrwerk (und den Lehrern,<br />
die mit ihm unterrichten, also uns!) die<br />
Chance und die Zeit (d. h. die gesamte Grammatikphase)<br />
geben zu zeigen, was in LATEIN MIT<br />
FELIX steckt und mit ihm möglich ist. Dies aber<br />
erfordert den unvoreingenommenen Lehrer, der<br />
gerne mit dem Buch arbeitet und diese Freude die<br />
Schüler spüren lässt. Denn über die Qualität des<br />
Lateinunterrichts entscheidet letzten Endes nicht<br />
das Lehrbuch, sondern gottlob <strong>im</strong>mer noch der<br />
Lehrer, der mit diesem Buch einen engagierten,<br />
effizienten und durchdachten Unterricht hält.<br />
Dafür ist es freilich sehr wichtig, auf Schwachstellen<br />
aufmerksam gemacht zu werden. Dass<br />
Günther Hoffmann dies in seiner Besprechung<br />
getan hat, sollten nicht nur wir ihm hoch anrechnen,<br />
sondern auch Herausgeber und Bearbeiter<br />
von LATEIN MIT FELIX – auch wenn es Überwindung<br />
kosten mag.<br />
DIETMAR ABSCH, Bamberg<br />
Zu G. Hoffmann: <strong>Der</strong> neue Lehrplan für<br />
Latein, in: FORUM CLASSICUM 3/2003<br />
In der Ausgabe 3/2003 des FORUM CLASSICUM<br />
unterzog OStR G. HOFFMANN den neuen Lehrplan<br />
Latein einer kritischen Untersuchung, an deren<br />
Ende er zu einem depr<strong>im</strong>ierenden Fazit gelangte:<br />
<strong>Der</strong> neue Lehrplan führe zu chaotischem Sprachunterricht,<br />
von dem kein sprachliches Fundament<br />
zu erwarten sei. Die Konsequenz sei, dass an einen<br />
Oberstufenunterricht mit anspruchsvollen Texten<br />
[…] überhaupt nicht mehr zu denken sei.<br />
Diese harsche, z. T. recht polemisch formulierte<br />
und sachlich falsche Kritik überrascht zum einen<br />
durch den Zeitpunkt ihres Erscheinens: waren doch
alle Phasen der Lehrplanerarbeitung jedem Interessierten<br />
jederzeit zugänglich: die jeweiligen Entwürfe<br />
konnten auf der Internetseite des ISB München<br />
eingesehen werden, zu einer konstruktiv-kritischen<br />
Begleitung der Lehrplanerarbeitung wurde von<br />
Beginn der Arbeit an aufgerufen. Eine Reaktion<br />
oder kritische Begleitung durch Herrn Hoffmann<br />
ist während dieses Zeitraums nicht erfolgt.<br />
Zum anderen überrascht die „Rezension“<br />
durch ihre generelle Ablehnung des neuen<br />
Lehrplans. Dies entspricht in keiner Weise der<br />
allgemeinen Resonanz <strong>im</strong> Kreise der Kollegen,<br />
die, belegbar durch die <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
der Lehrplan<strong>im</strong>plementation erfolgte Evaluation,<br />
positiv bis sehr positiv auf Geist und Inhalt des<br />
neuen Lehrplans reagierten.<br />
Dieser fundamentalen Kritik soll <strong>im</strong> folgenden<br />
widersprochen werden, wobei die einzelnen<br />
Kritikpunkte Hoffmanns zunächst genannt und<br />
anschließend einer genauen Prüfung unterzogen<br />
werden.<br />
Hoffmann geht zunächst auf die veränderte<br />
Stundentafel ein. Hier kritisiert er die Kürzung in<br />
L1 von 31 Wochenstunden <strong>im</strong> alten Lehrplan auf<br />
27 <strong>im</strong> neuen. Die Zahl von 31 Wochenstunden<br />
trat mit Einsetzen des alten Lehrplans 1991 in<br />
Kraft, vor einigen Jahren wurde diese Zahl auf<br />
29 Wochenstunden gesenkt (Jgst. 6 von 6 auf 5,<br />
Jgst. 11 von 5 auf 4 Wochenstunden); bedingt<br />
durch die Einführung neuer Fächer <strong>im</strong> neuen<br />
Lehrplan (Natur und Technik, Informatik in Jgst.<br />
6) wurde diese Zahl auf 27 Wochenstunden verkürzt,<br />
wobei diese Senkung die 1. Fremdsprache<br />
allgemein betrifft, also auch Englisch und Französisch,<br />
mithin keine willkürliche Beschneidung<br />
des Faches Latein darstellt. <strong>Der</strong> Zugewinn von 2<br />
Wochenstunden gegenüber dem alten Lehrplan<br />
in L2 wird von Hoffmann zwar registriert, <strong>im</strong><br />
selben Atemzug aber als wertlos abgetan, da der<br />
Zuwachs ja „nur“ für die Lektürephase gelte.<br />
Am Rande sei in diesem Zusammenhang<br />
erwähnt, dass die Festlegung der Stundentafel<br />
nicht durch die Lehrplankommission oder ähnliche<br />
Institutionen erfolgt, sondern durch die<br />
zuständigen bildungspolitischen Ausschüsse<br />
<strong>im</strong> bayerischen Landtag, die Kritik Hoffmanns<br />
also schlichtweg an die falsche Adresse gerichtet<br />
ist.<br />
Zur Kritik Hoffmanns am neuen Lehrplan<br />
(dessen Geist und grundsätzliche Konzeption<br />
übrigens auch für den neuen Lehrplan des<br />
künftigen achtjährigen Gymnasiums gelten)<br />
selbst: Ausgangs- und einziger Bezugspunkt<br />
für Hoffmanns Kritik sind die beiden Aufsätze<br />
FRANZ-PETER WAIBLINGERS 1 , der die häufig mangelhaften<br />
Sprachkenntnisse von Lateinschülern<br />
zum Anlass n<strong>im</strong>mt und eine Neuorientierung des<br />
Lateinunterrichts weg von der Fixierung auf die<br />
Textmethode fordert.<br />
Diese Auffassung, die von großer Zust<strong>im</strong>mung<br />
getragen werde, wird nun von Hoffmann<br />
zur Basis seiner Kritik gemacht, d. h. Waiblingers<br />
fraglos wichtige und interessante These, die in<br />
der Fachwelt nicht nur Zust<strong>im</strong>mung gefunden<br />
hat und seit ihrer Veröffentlichung intensiv und<br />
auch kontrovers diskutiert worden ist, wird absolut<br />
gesetzt und von Hoffmann zum einzig möglichen<br />
Ansatzpunkt für die Erarbeitung eines neuen<br />
Lehrplans gemacht. Das mag für die persönliche<br />
Haltung eines einzelnen angehen, die Arbeit einer<br />
Lehrplankommission muss freilich auf einer breiteren<br />
Basis beruhen und alle wichtigen Positionen<br />
und Ansichten der aktuellen fachdidaktischen<br />
Diskussion mit einbeziehen. Selbstverständlich<br />
wurden bei der konkreten Entwicklung des Lehrplans<br />
Waiblingers Ansichten diskutiert und z. T.<br />
auch in den Lehrplan eingearbeitet (was Hoffmann<br />
offensichtlich entgangen ist), nur eben<br />
nicht diese allein.<br />
Nach seiner allgemeinen Kritik an der Stundentafel<br />
geht Hoffmann auf die Jahrgangsstufenprofile<br />
– oder die Präambeln des Lehrplans<br />
ein. Abgesehen von der Verwendung einer falschen<br />
Terminologie (was Hoffmann mit Jahrgangsstufenprofile<br />
bezeichnet, sind fächerübergreifende<br />
Darstellungen der Schüler und ihres<br />
jahrgangsspezischen Entwicklungsstandes,<br />
also Schülerprofile) existieren Präambeln des<br />
Lehrplans nicht, in den allgemeinen Vorbemerkungen<br />
auf S. 7, die den Jahrgangsstufenplänen<br />
vorgeblendet sind, kann man nachlesen, dass<br />
es sich bei den von Hoffmann angesprochenen<br />
Passagen um Jahrgangsstufenzieltexte handelt,<br />
die einen Überblick über die inhaltlichen und<br />
methodischen Ziele aus der Sicht des Schülers<br />
bieten.<br />
59
Hier erkennt Hoffmann: Gestrichen wird in<br />
der Regel das, was mit Sprache zu tun hat, und<br />
bemängelt, dass die Beschäftigung mit Sprache<br />
keinen Eigenwert hat, die Morphologie bleibt<br />
draußen. Abgesehen von der Diskussionswürdigkeit<br />
der Ansicht, Beschäftigung mit Sprache<br />
sei für Schüler ein Eigenwert an sich, sind diese<br />
Aussagen schlicht falsch. Es wird <strong>im</strong> neuen Lehrplan<br />
in jeder Jahrgangsstufe und explizit natürlich<br />
in der Spracherwerbsphase dargelegt, was Schüler<br />
sprachlich lernen und beherrschen müssen.<br />
Dies ist zum einen <strong>im</strong> Bereich Grundwissen<br />
(übrigens einem Novum des neuen Lehrplans)<br />
farblich abgehoben und deutlich gekennzeichnet.<br />
Als Beispiel seien nur drei Passagen aus der Jahrgangsstufe<br />
5 angeführt:<br />
• Grundvokabular; … wesentliche Prinzipien<br />
der Wortbildung<br />
• Formen- und Satzlehre; grammatische Strukturen<br />
best<strong>im</strong>men und benennen; Stammformen<br />
von Verben<br />
• Kurze lateinische Texte übersetzen, einfache<br />
lateinische Sätze bilden (aktive Sprachbeherrschung<br />
ist also explizit gefordert!); Techniken<br />
des Übersetzens<br />
Mit welchen konkreten sprachlichen Inhalten<br />
diese Angaben gefüllt werden, ist <strong>im</strong> folgenden<br />
Bereich Sprache (!) detailliert aufgeführt. Hier<br />
finden sich dann selbstverständlich ganz konkrete<br />
Aussagen zur Morphologie (L1 5.1, Formenlehre<br />
(!): Substantive: alle Deklinationsklassen;<br />
Adjektive: alle Deklinationsklassen; Verben:<br />
alle Konjugationsklassen; Prinzipien der Wortbildungslehre<br />
etc.), das Erlernen der Sprache und<br />
die reflektierende Beschäftigung mit ihr wird als<br />
essentieller Bestandteil der Unterrichtsarbeit klar<br />
erkennbar. (Systematisierung und Anwendung<br />
der einzelnen sprachlichen Elemente, L1 5.1,<br />
S. 100). Wenn Hoffmann all diese Punkte nicht<br />
berücksichtigt, ist ihm das Strukturprinzip des<br />
neuen Lehrplans: einführender Jahrgangsstufenzieltext<br />
– Grundwissenskatalog – konkrete und<br />
differenzierte Auflistung der einzelnen Inhalte so<br />
offensichtlich nicht erkennbar gewesen.<br />
Diese Gliederung, aber auch die gesamte<br />
sprachliche Formulierung sprechen also klar an,<br />
dass die Arbeit an und mit der Sprache <strong>im</strong>mer<br />
<strong>im</strong> Zentrum des Unterrichtens steht, andererseits<br />
60<br />
aber auch der Bereich „<strong>Antike</strong> Kultur“ einen<br />
wichtigen Stellenwert, gerade <strong>im</strong> Unterricht der<br />
Unterstufe, besitzt. Die Schüler werden in ihrer<br />
Entscheidung, Latein als 1. Fremdsprache am<br />
Gymnasium zu wählen, sicherlich nicht pr<strong>im</strong>är<br />
von der Faszination, die der Eigenwert der<br />
lateinischen Sprache ausübt, geleitet, sie sind<br />
vielmehr von der Vielfalt der römischen Kultur<br />
und Geschichte beeindruckt. Die Kinder dort<br />
abzuholen, wo sie sich von ihrem Interesse her<br />
befinden und dieses für den Lateinunterricht (und<br />
den Sprachunterricht innerhalb des Lateinunterrichts)<br />
fruchtbar zu machen, ist eine der wichtigsten<br />
Aufgaben und Herausforderungen des<br />
Unterstufenlehrers. Die Einbeziehung der antiken<br />
Kultur ist also keineswegs eine Aufplusterung der<br />
Welt der Römer, sondern sinnvoller, integrativer<br />
und unverzichtbarer Teil eines modernen Sprachunterrichts<br />
– eine Erkenntnis, die sich seit vielen<br />
Jahren in der lateinischen Didaktik durchgesetzt<br />
hat und den „Drillunterricht“, wie ihn Hoffmann<br />
in seiner Besprechung des neuen L1-Lehrbuchs<br />
in der gleichen Ausgabe von FORUM CLASSICUM<br />
wiederholt favorisiert, als didaktisches Grundprinzip<br />
abgelöst hat.<br />
Auch die Behauptung, <strong>im</strong> neuen Lehrplan<br />
werde das Interesse an Sprache nicht mehr<br />
berücksichtigt, Sprache als geschlossenes System<br />
werde nicht mehr als wichtiger Unterrichtsbestandteil<br />
angesehen, wird durch verschiedene<br />
Passagen <strong>im</strong> Lehrplan klar widerlegt: So wird<br />
<strong>im</strong> Fachprofil für das Fach Latein (einem Teil<br />
des Lehrplans, der in Hoffmanns Kritik weder<br />
erwähnt noch kritisch reflektiert wird) explizit<br />
darauf hingewiesen, dass „die Systematik der<br />
lateinischen Grammatik […] Verständnis für<br />
das Zusammenwirken sprachlicher Elemente<br />
und für das Funktionieren von Sprache an sich“<br />
(S. 29f.) bewirke. Ferner wird in den Rubriken<br />
Sprache speziell in den unteren Jahrgangsstufen<br />
<strong>im</strong>mer wieder auf den Wert der Systematik der<br />
lateinischen Sprache verwiesen.<br />
Des weiteren kritisiert Hoffmann, <strong>im</strong> neuen<br />
Lehrplan gebe es nur noch Texte, <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu früher, wo einfache Sätze und zusammenhängende<br />
Lesestücke gefordert waren. Abgesehen<br />
von dem Verständnisproblem, das sich dem Leser<br />
bei der Unterscheidung zwischen einem zusam-
menhängenden Lesestück und einem Text ergibt,<br />
ist diese Feststellung falsch. Die von Hoffmann<br />
geforderten Einzelsätze sind vom Lehrplan her<br />
durchaus möglich und vorgesehen (z. B. Übersetzung<br />
lateinischer Sätze…, Übersetzung einfacher<br />
deutscher Sätze ins Lateinische, L1 5.2,<br />
S. 101). Es ist also jedem Lehrer unbenommen,<br />
best<strong>im</strong>mte grammatische Phänomene durch Einzelsätze<br />
einzuführen oder einüben zu lassen. Die<br />
didaktisch – methodische Flexibilität des Lehrers<br />
– ein weiteres Grundprinzip des neuen Lehrplans<br />
– soll also nach Möglichkeit nicht eingeschränkt<br />
werden. Genaue Lektüre des Lehrplans macht<br />
dies ganz offensichtlich.<br />
Jeglicher Grundlage entbehrt auch der Vorwurf,<br />
dass grammatische Phänomene nunmehr<br />
mehr in ihrer Vereinzelung gelernt werden sollen;<br />
bisher seien vollständige Paradigmen bereits von<br />
Anfang an präsent gewesen (das der Substantiva<br />
war Stoff des ersten Lateinmonats). Nun dürfte es<br />
in Deutschland wohl kaum ein Lehrbuch geben,<br />
das sämtliche Formen der Substantive der o-<br />
Deklination, geschweige denn der Substantiva<br />
nach einem Monat als Lernstoff präsentiert, aber<br />
ganz abgesehen davon liegt hier ein Verständnisfehler<br />
Hoffmanns vor. Natürlich wird keineswegs<br />
angestrebt, grammatische Phänomene isoliert<br />
lernen zu lassen (zum Thema Systematik s.<br />
o.), nur ist es aus der Sicht einer vernünftigen<br />
Arbeitsökonomie bei best<strong>im</strong>mten Grammatikphänomenen<br />
sinnvoll und möglich, diese in den<br />
Wortschatz zu verlagern. Ein eigenes Kapitel zum<br />
Possessivpronomen muss nicht unbedingt sein,<br />
meus kann beispielsweise problemlos als Lernvokabel<br />
behandelt und besprochen werden. <strong>Der</strong><br />
etwas polemische Nachsatz Hoffmanns: Systematisiert<br />
wird hinterher. findet keinen Angriffspunkt<br />
<strong>im</strong> Lehrplantext, offenbart aber einen weiteren<br />
grundsätzlichen Denkfehler:<br />
Hoffmann verwechselt offensichtlich die<br />
Kriterien, die für die Erstellung eines Lehrplans<br />
gelten, mit denen für die Erarbeitung eines Lehrbuchs.<br />
Diese beiden Bereiche sind aber strikt<br />
voneinander zu trennen. Methodische Überlegungen,<br />
Vorschläge zur Umsetzung oder zeitlichen<br />
Positionierung von Stoffen <strong>im</strong> Schuljahresverlauf<br />
sind nicht Gegenstand eines Lehrplans. Auch die<br />
Umsetzung der <strong>im</strong> Lehrplan geforderten Syste-<br />
matisierung liegt allein in Händen der Lehrbuchmacher<br />
und Lehrer vor Ort. Dementsprechende<br />
Kritik Hoffmanns muss also zwangsläufig ins<br />
Leere laufen.<br />
Bei der Verteilung des Stoffes auf die einzelnen<br />
Jahrgangsstufen beklagt Hoffmann einen<br />
nicht zu verantwortenden Paradigmenwechsel.<br />
Speziell mit der Verschiebung des Konjunktivs<br />
in das zweite Lernjahr werde der Schüler überfordert,<br />
<strong>im</strong> Kopf des Schülers bleibe nur Chaos<br />
zurück, da das vollständige Paradigma nicht<br />
gelernt werden könne. Diesem Gedanken stand<br />
bei der Erarbeitung des Lehrplans ein anderer<br />
Gedanke entgegen: Gerade dadurch, dass der<br />
Konjunktiv (und v. a. der Konjunktiv Präsens)<br />
aus dem ersten Lernjahr entfernt wird, vermeidet<br />
man ein Durcheinander <strong>im</strong> Kopf des Schülers.<br />
Wenn er sich nur auf die Formen des Indikativs<br />
konzentrieren kann, fällt ihm, gerade zu Beginn<br />
seiner Beschäftigung mit der Systematik einer<br />
Sprache das Schaffen von klaren Ordnungsstrukturen<br />
wesentlich leichter; in einem überschaubaren<br />
Lernfeld erwirbt er die Fähigkeit zur Sprachreflexion<br />
und Sprachbeherrschung leichter und<br />
dauerhafter, als wenn er durch das Erlernen des<br />
(<strong>im</strong> Deutschen ohnehin kaum gebräuchlichen)<br />
Konjunktiv Präsens und dessen problematische<br />
Wiedergabe – beispielsweise bei ut- oder cum-<br />
Sätzen – zusätzlich verwirrt wird. Was nutzt<br />
also eine vollständig ausgefüllte Tabelle mit<br />
allen Formen des Indikativs und Konjunktivs,<br />
wenn sie zwar, wie von Hoffmann vorgesehen,<br />
auswendig aufgesagt werden kann, die Formen<br />
<strong>im</strong> laufenden Text aber nicht erkannt und wegen<br />
fehlender kognitiver Durchdringung nicht korrekt<br />
übersetzt werden können?<br />
Von diesem Aspekt einmal abgesehen erwerben<br />
die Schüler <strong>im</strong> ersten Lernjahr ohnehin kein<br />
wirklich vollständiges Paradigma, da ja – auch<br />
schon <strong>im</strong> bisherigen Lehrplan – das Passiv sinnvollerweise<br />
ausgeblendet war.<br />
Im Bereich der Syntax behauptet Hoffmann,<br />
vom Anfänger werde mehr verlangt als früher.<br />
Dem widersprechen folgende Tatsachen: So<br />
wurden aus der von Hoffmann als Beispiel herangezogenen<br />
Jahrgangsstufe 5 L1 folgende Inhalte<br />
entfernt: Konjunktiv Präsens, Konjunktiv Imperfekt,<br />
Perfekt, Plusquamperfekt, Imperativ II, Par-<br />
61
tizip Präsens (Hoffmann erwähnt dies in seiner<br />
Darstellung nicht). Wenn man nun vergleicht,<br />
welche grammatischen Phänomene an die Stelle<br />
dieser Inhalte getreten sind – AcI und Relativsatz<br />
– wird man feststellen, dass nicht nur eine<br />
quantitative, sondern auch qualitative Reduktion<br />
des Grammatikstoffes eingetreten ist. Jeder, der<br />
in der Praxis den Konjunktiv Präsens oder (am<br />
Ende des Schuljahres!) das Partizip Präsens mit<br />
seinen Schülern erarbeitet hat, kennt die damit<br />
verbundenen Schwierigkeiten und Probleme.<br />
Häufig sind die Schüler mit diesem Problem<br />
(noch) überfordert, wohingegen der Relativsatz<br />
mit seiner zum Deutschen parallelen Struktur<br />
oder der AcI mit seiner ebenfalls vorhandenen<br />
Nähe zum Deutschen und seinen Anknüpfungsmöglichkeiten<br />
zum Englischen weitaus leichter<br />
und besser zu vermitteln ist. Auch hier treten<br />
zwar Unterschiede zur Muttersprache auf, diese<br />
können aber von den Schülern, da sie ihrem<br />
geistigen Entwicklungsstand angemessener sind,<br />
besser bewältigt werden. Von einem chaotischen<br />
Sprachunterricht, von dem kein sprachliches<br />
Fundament mehr für den Lektüreunterricht mehr<br />
zu erwarten sei, kann also keine Rede sein.<br />
<strong>Der</strong>artige apodiktischen und auch, wie die<br />
bisherigen Ausführungen gezeigt haben dürften,<br />
sachlich widerlegbaren und teilweise sogar falschen<br />
Aussagen müssen in einer eigentlich zur<br />
Sachlichkeit verpflichteten „Rezension“ zumindest<br />
verwundern.<br />
Gegen Ende seiner Ausführungen behandelt<br />
Hoffmann noch kurz den Bereich Wortschatz.<br />
Hier wird hauptsächlich die Fetischisierung<br />
statistischer Erhebungen zur Vokabelfrequenz<br />
kritisiert. Jedes Wort müsse durch die Mühlen<br />
der Statistik gedreht werden, vor deren unerbittlichem<br />
Richterstuhl es seine Existenz rechtfertigen<br />
muss. Zudem sei die damit verbundene<br />
Wortschatzreduzierung der falsche Weg, um die<br />
Malaise des Lateinunterrichts zu heilen (Auch<br />
hier beruft sich Hoffmann auf Waiblinger): Es sei<br />
egal, wie viel Vokabeln der Schüler lernt, er vergesse<br />
ohnehin <strong>im</strong>mer den gleichen Prozentsatz.<br />
Daraus muss man <strong>im</strong>plizit den Schluss ableiten,<br />
dass der Schüler eben nur mehr Vokabeln<br />
lernen müsse, dann blieben auch mehr Wörter<br />
hängen.<br />
62<br />
Dieser Gedankengang ist nicht nur aus lernpsychologischer<br />
Sicht bedenklich, er n<strong>im</strong>mt auch zu<br />
wenig Rücksicht auf das Lernverhalten heutiger<br />
Schüler: Diese lernen in der Regel sehr wohl<br />
ihre Vokabeln, nur ist – nicht zuletzt durch die<br />
intensive Reizüberflutung, wie auch Hoffmann<br />
zugesteht – die Behaltensleistung und -dauer<br />
erheblich geringer als bei Schülern früherer<br />
Generationen. Und hier setzt genau das Konzept<br />
des neuen Lehrplans an: Gerade diesem geänderten<br />
Lernverhalten trägt er Rechnung, indem<br />
er der Komponente des Übens, Wiederholens,<br />
Vertiefens breiten Raum gewährt. Diese Phase<br />
soll nach Möglichkeit ein Drittel des gesamten<br />
Unterrichts ausmachen, also auch – und gerade<br />
– der Wortschatzwiederholung dienen.<br />
Diese kann nun wesentlich effektiver und<br />
nachhaltiger erfolgen, wenn die Wortschatzmenge<br />
geringer ist als die bisherige. Anders gesprochen:<br />
Habe ich weniger Wörter zu wiederholen, kann<br />
ich diese öfter und intensiver umwälzen und<br />
erhöhe damit meine Behaltensleistung. Zudem<br />
ist diese reduzierte Vokabelmenge genau auf die<br />
Bedürfnisse des Lektüreunterrichts zugeschnitten,<br />
d. h. es brauchen viele, z. T. von uns Lehrern<br />
auch „lieb gewonnene“ Vokabeln nicht mehr<br />
gelernt zu werden, da sie in der Lektüre schlicht<br />
und einfach nicht oder nur sehr selten auftauchen.<br />
Die Anhäufung von „Ballastwörtern“, die einmal<br />
in der Unterstufe auf Vorrat gelernt wurden, nur<br />
um irgendwann ein- oder zwe<strong>im</strong>al in der 10.<br />
Klasse Verwendung zu finden, entfällt damit<br />
also. Ferner bedeutet Wortschatzreduzierung<br />
nicht einfach wahllose Entfernung von Wörtern,<br />
sondern lernökonomisch sinnvolle Konzentration<br />
auf das Wesentliche.<br />
Zudem wurde dem Vorwurf der Verabsolutierung<br />
statistischer Werte <strong>im</strong> Lehrplan durch<br />
die Gewichtung des so genannten Kulturwortschatzes<br />
entgegengetreten. Hier werden in jeder<br />
Jahrgangsstufe 10 bis 20 Prozent des Vokabelbestandes<br />
durch Wörter gebildet, die rein statistisch<br />
gesehen nicht repräsentativ sind, in unserem heutigen<br />
Sprachgebrauch und für unser kulturelles<br />
Selbstverständnis aber von großer Bedeutung<br />
sind.<br />
Trotz dieser sinnvollen und notwendigen<br />
Ergänzung konnte eine spürbare Entschlackung
des Wortschatzes erreicht werden, die dem Schüler<br />
die Möglichkeit der Konzentration auf das<br />
Wesentliche und der sinnvollen und effektiven<br />
Sicherung seines Vokabelbestandes ermöglicht.<br />
Bleibt noch, ein Fazit zu ziehen. Ein depr<strong>im</strong>ierendes,<br />
wie Hoffmann es tut?<br />
Im Hinblick auf den Lehrplan keineswegs.<br />
In ihm steht allen Kolleginnen und Kollegen<br />
eine von vielen, auch außerfachlichen Seiten<br />
positiv bewertete Arbeitsgrundlage zur Verfügung,<br />
die auf den Erkenntnissen der modernen<br />
Fachdidaktik ebenso beruht wie den täglichen<br />
Erfahrungen vieler Kollegen vor Ort. Dass nicht<br />
jeder mit jedem Punkt des neuen Lehrplans<br />
übereinst<strong>im</strong>mt, liegt in der Natur der Sache.<br />
Dies liefert die Grundlage für viele interessante<br />
und wichtige Diskussionen. Dass aber eine kritische<br />
„Würdigung“ , z. T. unter Hintansetzung<br />
bzw. Nichtberücksichtigung sachlicher Argumente<br />
einem Lehrplan unterstellt, er mache den<br />
Lateinunterricht in Bayern kaputt, kann nicht<br />
unwidersprochen bleiben und mag als subjektives<br />
Empfinden eines Einzelnen vielleicht zur Kenntnis<br />
genommen, in keinem Falle aber akzeptiert<br />
werden.<br />
Auf diese Weise wird dem Lateinunterricht in<br />
Bayern kein Dienst getan. Das ist das eigentlich<br />
depr<strong>im</strong>ierende Fazit dieses Artikels.<br />
Anzeige Bögl<br />
Anmerkung:<br />
1) Waiblinger, F-P.: Überlegungen zum Konzept des<br />
lateinischen Sprachunterrichts, in: FORUM CLASSICUM<br />
1/1998, 9ff. (Die Zitation Hoffmanns 11/1995 ist<br />
falsch und irreführend, FORUM CLASSICUM als Fortführung<br />
des Mitteilungsblattes des Deutschen Altphilologenverbandes<br />
erscheint seit 1997 unter diesem<br />
Namen!) und ders.: Lateinunterricht 2000 in Bayern,<br />
in: Neukam, P., O’Connor, B. (Hrsg.), Tradition und<br />
Zukunft. München 2001, 150ff.<br />
MICHAEL HOTZ, Kirchseeon<br />
Latein trotz FELIX –<br />
Zu den Beiträgen von GÜNTHER HOFFMANN in<br />
FORUM CLASSICUM 3/2003<br />
Selten nur hat man das Glück, als Leser einer<br />
Zeitschrift Artikel zu finden, die einem aus vollstem<br />
Herzen sprechen; doch ebendies widerfuhr<br />
mir bei den Beiträgen von Günther Hoffmann,<br />
Nürnberg.<br />
Als Berufsanfänger und Angehöriger der<br />
jüngeren Generation von Altphilologen (Jahrgang<br />
1968) hatte ich das Glück, Latein als erste<br />
Fremdsprache mittels eines Unterrichtswerkes zu<br />
erlernen, welches den Schüler behutsam in die<br />
Systematik der lateinischen Sprache einführte,<br />
zwar auf überladene Buntheit verzichtete, aber<br />
dafür dem Lehrer ein reichhaltiges Übungsmaterial<br />
an die Hand gab, das er <strong>im</strong> Rahmen seiner<br />
63
eigenen Kreativität in einen lebendigen Lateinunterricht<br />
umsetzen konnte – so er wollte.<br />
Ebendiese didaktischen Grundpfeiler des<br />
Lateinunterrichtes, auf welche Herr Hoffmann<br />
Bezug nahm, sind jetzt (wie aus FORUM CLASSI-<br />
CUM 4/2003 zu entnehmen war) als „erzkonservativ“<br />
zu erachten.<br />
Wenn aber conservare nichts anderes bedeutet<br />
als „bewahren, retten“, so wandelt sich das wohl<br />
als polemisch gedachte Etikett, das Herrn Hoffmann<br />
angeheftet wird, nämlich auch <strong>im</strong> Lateinunterricht<br />
der heutigen Zeit zu retten, was zu retten<br />
ist, in ein Kompl<strong>im</strong>ent außerordentlicher Güte.<br />
Demgegenüber muss doch die „erfolgreiche<br />
FELIX – Konzeption“ mit mehr als einem Fragezeichen<br />
versehen werden. Wo liegen denn die<br />
Erfolge?<br />
• In dem Bestreben, dem Schüler schon in den<br />
Anfangsstunden möglichst alle Deklinationen<br />
und Konjugationen in buntem Gemisch an den<br />
Kopf zu werfen, um so alle Chancen zu einem<br />
Erkennen des systematischen Grundgerüstes<br />
der lateinischen Sprache von vornherein zu<br />
vereiteln? Von dem Selbstverständnis des<br />
Unterrichtsfaches Latein, wie es sich <strong>im</strong> Lehrplan<br />
für das Gymnasium in Bayern vom Juli<br />
2003 darstellt, nämlich dem Schüler Sprachkompetenz<br />
zu vermitteln (S. 29f.), bleibt da<br />
nicht mehr viel übrig.<br />
• Oder in der „Verbuntung“ des Lateinunterrichtes<br />
bei allen passenden und – wie Günther<br />
Hoffmann deutlich nachgewiesen hat<br />
– unpassenden Gelegenheiten? Soll nicht ein<br />
Unterrichtswerk für die lateinische Sprache<br />
zunächst dem Lehrer genügend Material an<br />
die Hand geben, um für ausreichende Vertiefung<br />
des zu lernenden Stoffes zu sorgen (mag<br />
64<br />
man wie Günther Hoffmann das Wort „Drill“<br />
verwenden oder eine gemilderte Bezeichnung,<br />
an der Richtigkeit von Hoffmanns Einwand<br />
ändert dies gar nichts) und die Präsentation<br />
der Kreativität des Lehrenden – diese in sich<br />
selbst zu wecken sollte eigentlich ein Postulat<br />
sein, das jede Lehrkraft an sich stellt – zu<br />
überlassen? Buntheit allein kann nicht über<br />
inhaltliche Mängel hinwegtäuschen, zumal<br />
der Verfasser dieser Zeilen selbst <strong>im</strong> eigenen<br />
Unterricht feststellen konnte, dass die so zentrale<br />
„Persönlichkeit“ des „stets gut gelaunten“<br />
FELIX einem Neuntklässler, der FELIX<br />
B III in die Hand n<strong>im</strong>mt, nur mehr ein müdes<br />
Lächeln (wenn überhaupt!) abringt.<br />
Natürlich kann darauf verwiesen werden, dass<br />
das neue Lehrbuch „Latein mit Felix“ genau mit<br />
den Anforderungen des neuen Lehrplanes für das<br />
Fach Latein übereinst<strong>im</strong>mt. Die Unsystematik<br />
ist also gewissermaßen „von oben“ vorgegeben.<br />
Doch hätte es – man mag mir dieses kühne<br />
Gedankenspiel verzeihen – so weit kommen<br />
müssen, wenn nicht so viele Gymnasien in<br />
Bayern in den letzten Jahren das „erfolgreiche<br />
FELIX – Konzept“ als Nonplusultra für Latein<br />
als zweite Fremdsprache erachtet hätten? Das<br />
Zitat von den Geistern, die ich rief, kommt mir<br />
unweigerlich in den Sinn.<br />
Was bleibt, ist die Besinnung auf das π�ντα<br />
�ε� (Lehrpläne und -bücher kommen und gehen),<br />
der Wille, Schülern in den kommenden Jahren<br />
Latein t r o t z FELIX beizubringen und das<br />
Warten auf eine Neubewertung des „Systematischen“<br />
<strong>im</strong> Lateinunterricht – wenn möglich, noch<br />
während meiner eigenen Dienstzeit...<br />
JÖRG WEINER, Bamberg
Varia<br />
Beflügelt vom Hexameter<br />
Ein neuer Ton in der deutschen<br />
Theaterlandschaft<br />
„Moira!“ nennt das Dramatische Theater von<br />
MATTHIAS MERKLE und seiner Dramaturgin ANTJE<br />
BORCHARDT seine jüngste Inszenierung an suggestivem<br />
Ort: <strong>Der</strong> Friedrichwerderschen Kirche<br />
SCHINKELS <strong>im</strong> Zentrum Berlins. Die Moiren, das<br />
sind die drei griechischen Schicksalsgöttinnen,<br />
die uns Menschen unseren Anteil am Leben<br />
zuteilen, in der römischen Mythologie sind es<br />
die Parzen, in der germanischen die Nornen.<br />
Wir mögen uns heute sehr säkularisiert vorkommen<br />
– aber dass es so etwas wie das Fatum, ein<br />
unerkennbares und doch über uns waltendes<br />
Schicksal gebe, das anzuerkennen ohne sich<br />
deswegen damit stumm ergeben abzufinden, das<br />
dürfte ein sehr tief sitzendes Gefühl bei vielen<br />
sein. Glücklich die Kultur, die dafür Namen und<br />
Begriff gefunden hat. <strong>Der</strong> amerikanische Dichter<br />
THORNTON WILDER, der sich in der <strong>Antike</strong> gut auskannte,<br />
hat einen kleinen dramatischen Sketch<br />
hinterlassen, in dem die drei Schicksalsfrauen<br />
Klotho, Lachesis und Atropos auftreten und sich<br />
mit Apoll geistreich streiten – damit, hoch von<br />
der Kirchenempore sprechend, wird der Textabend<br />
auf scheinbar leichtfüßige Art eingeleitet.<br />
Gleich darauf aber wird es ernst, muss man alle<br />
Konzentationskraft aufbringen, um dem Vortrag<br />
zu folgen – und es wird spannend, wenn man sich<br />
hineinziehen lässt in die geistige Welt HOMERS,<br />
in die Unterwelt der toten Helden des Trojanischen<br />
Krieges, in die Visionen PLATOS, vermittelt<br />
durch Textstücke aus der „Götterlehre“ des<br />
blitzgescheiten GOETHE-Freundes KARL PHILIPP<br />
MORITZ (auch das eine kleine Entdeckung dieser<br />
Theatermacher) oder auch des Parzenliedes von<br />
HÖLDERLIN.<br />
Vor allem aber ist es die Sprache, die hier<br />
fesselt, die Sprache der ganz zu unrecht bildungsbürgerlich<br />
diskreditierten VOß’schen<br />
Übersetzung der Odyssee. Im Juni hatte das<br />
Dramatische Theater mit seiner Nachdichtung<br />
der Ilias <strong>im</strong> sechsfüßigen Hexameter, der sich so<br />
leicht mechanisch ableiern lässt, dass darunter<br />
die Sprach- und Bildkraft dieses Kunstwerkes<br />
jahrzehntelang unerkannt begraben lag, damals<br />
auf der Museumsinsel einen kleinen, viel zu<br />
wenig beachteten Triumph gefeiert. Dann zog die<br />
Truppe – man höre und staune – nach Troja und<br />
verfilmte den in verteilte Rollen aufgebrochenen<br />
Text am historischen Ort für das kommende<br />
Olympiade-Jahr. Einige der Schauspielerinnen<br />
von damals sind auch nun bei „Moira!“ wieder<br />
dabei – und wenn man bereit ist, sich anstecken<br />
zu lassen von ihrer ganz und gar ungewöhnlichen,<br />
speziell dafür entwickelten Sprechkunst und<br />
Rhythmik (wo findet man das noch auf unseren<br />
Bühnen?), dann sollte man sich diese einmalige<br />
Gelegenheit nicht entgehen lassen. Man könnte<br />
sogar versucht sein, anschließend den Voß’schen<br />
Text selber zu lesen (so wie ihn GOETHE bewundernd<br />
wiederholt <strong>im</strong> Freundeskreis laut vorgelesen<br />
hat) – etwa Poseidons Liebesglück mit einer<br />
Irdischen: „Und beschlief sie <strong>im</strong> Sand, an der<br />
Mündung des wirbelnden Stromes. / Rings um<br />
die Liebenden stand, wie ein Berg, die purpurne<br />
Woge, / Hochgewölbt, und verbarg den Gott und<br />
die sterbliche Jungfrau. / Schmeichelnd löst’<br />
er den Gürtel der Keuschheit, und ließ sie entschlummern.<br />
/ Aber nachdem vollendet der Gott<br />
die Liebesumarmung ...“ Einen nicht geringen<br />
Anteil an der Lebendigkeit einer <strong>im</strong>mer wieder<br />
neu gruppierenden Choreographie haben die farblich<br />
und stilistisch aufs Schönste abgest<strong>im</strong>mten<br />
Kostüme von ISA MEHNERT.<br />
Allerdings sei nicht verschwiegen, dass bei<br />
aller Suggestivität des geradezu idealen Ambientes<br />
des mit klassizistischen Skulpturen bevölkerten<br />
Kirchenraumes die Akkustik mehr von<br />
der Sprache – und damit vom Wortverständnis<br />
– verschlingt, als der Sache zuträglich ist; das<br />
geht nicht auf Kosten der Theaterleute (und war<br />
wohl in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar),<br />
beschädigt aber doch dieses wichtige Unternehmen<br />
beträchtlich. – Warum wichtig? Weil hier<br />
nicht nur ein eigenwilliger Typus von Theater<br />
„gegen den Zeitgeist“ vorgestellt, sondern auch<br />
ein Diskurs öffentlich gemacht wird, der eine <strong>im</strong><br />
weitesten und ernsthaftesten Sinne „politische“<br />
D<strong>im</strong>ension hat: <strong>Der</strong> Rekurs auf die vorchristliche<br />
Mythologie enthält ja auch eine Kritik am dicho-<br />
65
tomen Weltbild der monotheistischen Moderne,<br />
der „mosaischen Unterscheidung“ (ASSMANN)<br />
und macht, wie die Theatermacher in ihrem<br />
Programmblatt schreiben, „Gegenvorschläge zu<br />
bestehenden Weltbildern, kein schlichtes Gut und<br />
Böse“, also keine schrecklichen Vereinfachungen,<br />
sondern die Anerkennung des Unaufgelösten und<br />
vielleicht auch Unauflösbaren – eben Moira.<br />
EKKEHART KRIPPENDORFF, Berlin<br />
Vom Nutzen des Lateinischen<br />
Vorbemerkung: (Aus dem Brief des Verfassers<br />
an den Bundesvorsitzenden des DAV, Herrn Dr.<br />
HELMUT MEIßNER) „... Ihr heutiger Anruf hat<br />
mich sehr gefreut. Für Ihr Interesse an meinem<br />
Beitrag zur Sendung des Deutschlandfunks<br />
‚Forum Pisa‘ am 9. Januar 2004 bedanke ich<br />
mich. Gern stelle ich Ihnen diesen Beitrag zur<br />
Nutzung in Ihrem beruflichen Umfeld zur Verfügung.<br />
Ich habe ihn um einen 5. Punkt ergänzt,<br />
den ich während der Sendung aus Zeitgründen<br />
nicht mehr ausformulieren konnte, aber der Fairness<br />
wegen gern mitgeteilt hätte. Dankbar denke<br />
ich an meine Lateinlehrer HELMUT GÖRNE (5.-6.<br />
Klasse; lebt in Leipzig), Herrn RUDOLPH (9.-10.<br />
Klasse; wurde 1973 aus politischen Gründen<br />
von der Schule entfernt; Spur verloren) und Dr.<br />
GERHARD LÖWE (Latein und Altgriechisch 11.-12.<br />
Klasse, Mitarbeiter an Schulbüchern und Wörterbüchern,<br />
Herausgeber von: ‚Philogelos oder <strong>Der</strong><br />
Lach-Fan‘ von Hierikles und Philagrios, Koehler<br />
& Amelang Leipzig 1881; lebt in Leipzig). ...“<br />
Ich habe zwischen 1967 und 1975 an einer der<br />
wenigen Erweiteren Oberschulen mit altsprachlichem<br />
Profil in der DDR – an der Thomasschule<br />
in Leipzig – neben Russisch und Englisch auch<br />
Latein und Altgriechisch gelernt; Latein in der<br />
5.-6. Klasse und in der 9.-12. Klasse.<br />
Mein Fazit:<br />
1. Latein vermittelte über die Sprachkenntnisse<br />
hinaus den Kontakt zu einem Weltbild, einer<br />
Hochkultur. Was der auf die Entwicklung von<br />
Klassengesellschaften verengte Geschichtsunterricht<br />
in der DDR verschwieg, offenbarte der<br />
Lateinunterricht. Freilich in der Vermittlung<br />
durch einen politisch couragierten Lehrer.<br />
66<br />
Beispiel: Die DDR rühmte sich der Preisstabilität<br />
bei steigender Subvention der Preise<br />
und zunehmendem Mangel an Waren. Unser<br />
Lateinlehrer erwähnte das Höchstpreisedikt des<br />
DIOKLETIAN und nannte die Folge: <strong>Der</strong> Schwarzmarkt<br />
blühte. Damit war alles gesagt.<br />
2. Die Beschäftigung mit dem Kulturkreis des<br />
Lateinischen lehrt Demut. Es relativiert den<br />
Fortschrittsglauben und die Überheblichkeit, erst<br />
in unserer Zeit seien kulturelle und technische<br />
Höchstleistungen erreicht worden. Die Aquädukte<br />
und Brücken, die zum Teil noch heute<br />
genutzt werden, sind ein lebendiges Beispiel<br />
für solides und auf Dauer berechnetes Bauen,<br />
welches heute kaum noch vorzufinden ist.<br />
3. Die Beschäftigung mit Politik und Rhetorik<br />
der Römerzeit hilft den Wert von Äußerungen<br />
heutiger Eliten aus Politik und Wirtschaft<br />
einzuschätzen. Insbesondere lässt sich leichter<br />
erkennen, wo es um wirkliche Probleme und<br />
um historische D<strong>im</strong>ensionen oder um Seifenblasen<br />
und Scheindiskussionen geht.<br />
4. Latein liefert ein Sprachgerüst. Das Erlernen<br />
jeder romanischen Sprache bedeutet dann<br />
nur noch, Fleisch ans Skelett zu bringen. Ich<br />
habe es später mit Französisch und Spanisch<br />
probiert. Es war kein Neulernen, sondern ein<br />
Einordnen der Entsprechungen zum Lateinischen<br />
nach einem Analogieverfahren. Selbst<br />
be<strong>im</strong> Übersetzen von fachenglischen Texten<br />
auf dem Gebiet der EDV konnte ich auf Latein<br />
zurückgreifen, wo das auf politische Konversation<br />
ausgerichtete Englisch der DDR nicht<br />
weiterhalf und eine Rückfrage jenseits des<br />
Eisernen Vorhangs nicht möglich war.<br />
5. Einschränkend muss ich sagen, dass ich in den<br />
ersten Schuljahren bereits sehr für den muttersprachlichen<br />
Unterricht aufgeschlossen war<br />
und dieses Interesse an abstrakten Strukturen<br />
durch den Fremdsprachenunterricht nicht erst<br />
geweckt werden musste. Bei etlichen meiner<br />
Mitschüler zeigte sich <strong>im</strong> Latein-Unterricht,<br />
dass sie Schwierigkeiten hatten, weil ihnen<br />
die deutschen Entsprechungen nicht geläufig<br />
waren. Und dieses Nichtwissen lässt sich <strong>im</strong><br />
Lateinischen nicht durch elegante Konversation<br />
überspielen.<br />
GERALD VOGEL, Geithain
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��� ��� ��� ����� �������� ��� ����������� �µ��� Helmut Quack, Eritstr. 23,<br />
D-25813 Husum, ���. ��� ��� 04841/5429. e-mail: helquack@freenet.de<br />
Hellenikon Idyllion, Andreas Drekis, GR-25100 Selianitika/Egion<br />
Tel. 0030/26910/72488 Fax: 0030/26910/72791 � /68040<br />
e-mail: hellenikon@idyllion.gr internet: http://www.idyllion.gr<br />
Klassisches Griechisch sprechen und geistvolle<br />
Texte lesen – 22. August bis 5. September 2004<br />
<strong>im</strong> Hellenikon Idyllion<br />
Sich in Griechenland erholen und gleichzeitig<br />
seine bisherigen Sprachkenntnisse erweitern und<br />
vertiefen, – wen unter den Freunden von Hellas<br />
sollte das nicht verlocken? Es gibt dafür in der<br />
ganzen Welt nur diese eine Möglichkeit.<br />
In einem großen, schattigen Garten dicht<br />
am Meer treffen sich Schüler, Studenten und<br />
Erwachsene aus vielen Ländern, entdecken zu<br />
ihrer eigenen Überraschung, dass sie sich in<br />
der Sprache Platons miteinander verständigen<br />
können, und lesen gemeinsam unterhaltsame<br />
und gedankenschwere Texte.<br />
Die Ferienanlage beherbergt gleichzeitig meistens<br />
auch Musiker und andere kulturinteressierte<br />
Gäste. Deshalb beleben Konzerte und Vorträge<br />
manche Abende. Möglich sind ein Ausflug und<br />
der Besuch einer Aufführung in einem antiken<br />
Theater.<br />
Das Hellenikon Idyllion liegt an der Nordküste<br />
der Peloponnes in der Nähe von Ägion in einem<br />
Ort, der wegen seines Charakters vor allem griechische<br />
Gäste anzieht. <strong>Der</strong> Besitzer unterstützt<br />
den Altgriechischkurs, indem er Mehrbetträume,<br />
67
so weit sie frei sind, für die Kursteilnehmer<br />
kostenlos zur Verfügung stellt. Auf besonderen<br />
Wunsch besorgt er auch Unterkunft <strong>im</strong> Einzel-<br />
und Doppelz<strong>im</strong>mer.<br />
Kursgebühr für 2 Wochen: 200,- EUR, für<br />
Studenten/Schüler 150,- EUR. Anfragen zu weiteren<br />
Einzelheiten und verbindliche Anmeldung<br />
be<strong>im</strong> Leiter des Kurses: Helmut Quack, Gräzist,<br />
Eritstr. 23, D-25813 Husum, Tel. und Fax 04841/<br />
5429, e-mail: helquack@freenet.de<br />
Hellenikon Idyllion, Andreas Drekis, GR-<br />
25100 Selianitika/Egion, Tel. 0030/26910/<br />
72488 – Fax: 0030/26910/72791 – oder /68040;<br />
e-mail: hellenikon@idyllion.gr internet: http:<br />
//www.idyllion.gr<br />
Die Alten Sprachen <strong>im</strong> neuen<br />
Eltern-Ratgeber von KNAUR<br />
„Die richtige Schule für mein Kind“ – unter<br />
diesem Titel hat der KNAUR-Verlag einen neuen<br />
Eltern-Ratgeber herausgebracht. 1 Im Kapitel<br />
„Alte Sprachen neu entdeckt?“ heißt es u. a.:<br />
„Alte Sprachen waren lange aus der Mode, besonders<br />
Griechisch. Nur 0,13 Prozent der Schüler befassen<br />
sich heute noch mit der Sprache Homers. Auch<br />
Latein schien auf dem besten Wege, zum Fach für<br />
einen kleinen elitären Kreis zu werden. Doch das<br />
mag sich ändern. Die Talsohle, so der Deutsche Altphilologenverband,<br />
sei durchlaufen und eine Trendwende,<br />
wenn auch in winzigen Schritten, in Sicht.<br />
Das Statistische Bundesamt vermeldet nach Jahren<br />
des Rückgangs einen Anstieg der Lateinschüler um<br />
1,4 Prozent auf exakt 627.122 (Stand Schuljahr<br />
2001/2002). <strong>Der</strong> Altphilologenverband registriert<br />
gar eine neue ‚Wertschätzung von Latein‘ und<br />
wirbt unter dem Motto ‚Zukunft braucht Herkunft‘.<br />
Fast 2000 Jahre lang war Latein die Hauptsprache<br />
Westeuropas. Aus der lateinischen Volkssprache,<br />
dem „Vulgärlatein“, entwickelten sich die romanischen<br />
Sprachen, darunter Französisch, Italienisch<br />
und Spanisch. ...<br />
Latein gilt als ideale Basis für das Erlernen<br />
anderer Fremdsprachen. Es sind aber auch St<strong>im</strong>men<br />
zu hören, die Kenntnisse in einer modernen<br />
Fremdsprache für eine mindestens genauso gute<br />
Voraussetzung dafür halten.<br />
68<br />
Doch allen Unkenrufen zum Trotz: Die Sprache<br />
der großen Autoren wie VERGIL oder HORAZ, hat<br />
noch <strong>im</strong>mer überzeugte Anhänger. Seit die PISA-<br />
Studie deutschen Schülern Nachholbedarf in der<br />
Lesekompetenz bescheinigt hat, erscheint das<br />
Lernen von Latein in neuem Licht. <strong>Der</strong> Lateinunterricht<br />
ist eng verknüpft mit einer bewussten<br />
Durchdringung sprachlicher Strukturen. Anders<br />
ausgedrückt: Wer einen Satz ins Deutsche übersetzen<br />
will, muss ihn zuvor gründlich analysieren<br />
– eine Übung, die dem allgemeinen Sprachverständnis<br />
zugute kommt.<br />
Schüler, die frühzeitig die Weichen für eine<br />
akademische Ausbildung stellen und konkrete<br />
Vorstellungen bezüglich eines Studiums haben,<br />
können sich später einen ‚Crash-Kurs‘ an der<br />
Universität sparen, wenn sie sich beizeiten über die<br />
Modalitäten des angepeilten Studienganges informieren.<br />
Für nicht wenige Fachbereiche nämlich<br />
ist das Latinum <strong>im</strong>mer noch Voraussetzung, etwa<br />
für <strong>Rom</strong>anistik, Anglistik, Geschichte, Theologie<br />
und Kunstgeschichte. Andererseits gilt es in den<br />
Reihen der EU-Kommission schon länger als ausgemacht,<br />
dass der ideale Europäer in Zukunft zwei<br />
moderne Fremdsprachen beherrschen sollte.<br />
Vielleicht kommen alte Sprachen trotzdem wieder<br />
in Mode. Sachsen rühmt sich, einige renommierte<br />
altsprachliche Gymnasien <strong>im</strong> Lande zu haben, wie<br />
die Thomasschule in Leipzig mit einer mehrere hundert<br />
Jahre alten Tradition. Das Kultusministerium in<br />
Hessen bestätigt derzeit ‚verstärkte Nachfrage‘ nach<br />
humanistischer Bildung. ...<br />
Selbst in Bereichen, die auf den ersten Blick<br />
weit entfernt scheinen von der alten Welt, hat<br />
humanistische Bildung offenbar einen guten<br />
Klang. Welcher Kaufmann braucht heute noch<br />
Latein? Das Ergebnis einer von Altphilologen<br />
gern zitierten Untersuchung des Instituts der<br />
deutschen Wirtschaft ist überraschend: Mehr als<br />
60 Prozent der Führungskräfte, die Latein gelernt<br />
hatten, würden es demnach auch kommenden<br />
Generationen empfehlen. Von denen, die es selbst<br />
nicht können, bedauern es nahezu 40 Prozent.“<br />
1) Beate Herfurth-Uber: Die richtige Schule für mein<br />
Kind. So gelingt der Start ins Leben. München (Droemer<br />
Knaur) 2003. 144 S. EUR 12,90. (ISBN 3-426-<br />
66837-8).
Argumente für den PISA-Disput<br />
<strong>im</strong> Buchhandel erhältlich<br />
Wer <strong>im</strong> verwirrenden PISA-Disput klärende Informationen und<br />
stichhaltige Argumente sucht, wird dieses Buch mit Gewinn<br />
lesen. Es sind recht unterschiedliche Fächer und Berufe, von<br />
denen die Autoren geprägt sind. Ihr Anliegen aber ist <strong>im</strong><br />
wesentlichen das gleiche: eine am Humanum orientierte Neubegründung<br />
unserer Bildungsarbeit. (Helmut Meißner)<br />
Beiträge von<br />
Manfred Fuhrmann<br />
Jörg Gauger<br />
Hermann Giesecke<br />
Jürgen Kaube<br />
Josef Kraus<br />
Günter Loew<br />
Christa Meves<br />
R. Schmidt-Rost u.a.<br />
Vorwort von<br />
Gertrud Höhler<br />
Aus den Beiträgen:<br />
Deshalb ist die Aufwertung der Erziehungsarbeit<br />
und die Unterstützung<br />
der Familie eine zwingende Notwendigkeit.<br />
Ohne sie wird es keine Zukunft<br />
geben. Christa Meves<br />
Die sogenannte kindzentrierte Schule<br />
raubt den Schülern die Zukunft, weil sie<br />
die Kinder in der kindlichen Gegenwart<br />
einkerkert. Josef Kraus<br />
Die alten Griechen bezeichneten diese<br />
Haltung des ängstlichen Fixiertseins auf<br />
das materielle Dasein als banausisch.<br />
Manfred Fuhrmann<br />
Mit der Spaßgesellschaft in den<br />
Bildungsnotstand<br />
17 streitbare Beiträge für einen Aufbruch aus der<br />
Bildungsmisere<br />
Hrsg. v. Claudia Ludwig und Astrid Mannes.<br />
Kartoniert, 336 Seiten. 3-931155-20-X. EUR(D) 14,90<br />
Leibniz Verlag St. Goar, 1. Aufl.2003<br />
69
Autoren dieses Heftes (siehe Impressum, ferner):<br />
Dieter A b s c h , DiAb@gmx.de<br />
Klaus E y s e l e i n , Kurpfalzstr. 6, 67112 Mutterstadt<br />
Kurt G i e s e k i n g , Sarstedt, Gieseking.Sarstedt@t-online.de<br />
Prof. Dr. Dieter H a r l f i n g e r , Institut f. Griechische und Lateinische Philologie, Univ. Hamburg,<br />
Von-Melle-Park 6, 20146 Hamburg<br />
Gabriele K a i s e r , Kirchstr. 8, 56581 Ehlscheid, kaiser.ehlscheid@freenet.de<br />
Prof. Dr. Ekkehart K r i p p e n d o r f f , Schulenburgring 5, 12101 Berlin<br />
Dr. Michael L o b e , StR am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg, priv.: Franz-Ludwig-Str. 22,<br />
96047 Bamberg<br />
Prof. Dr. Friedrich M a i e r , Mitterlängstr. 13, 82178 Puchhe<strong>im</strong><br />
Dr. Heinz M u n d i n g , Beethovenstraße 18, 67365 Schwegenhe<strong>im</strong> († 15. 1. 2004)<br />
Dr. Jens N i t s c h k e , Montepulcianoweg 13, 14547 Beelitz<br />
Günter R e i n h a r t , Ministerialrat, Kultusministerium Baden-Württemberg, Neues Schloss,<br />
70173 Stuttgart, E-Mail: guenter.reinhart@km.kv.bwl.de<br />
Dr. <strong>Burkhard</strong> R e i s , StR, Schlicksweg 24, 22307 Hamburg, surculus@aol.com<br />
Prof. Dr. Wilfried S t r o h , Institut für Klassische Philologie, Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität,<br />
Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München<br />
Gerald Vo g e l , Kantorgasse 1, 04643 Geithain<br />
Jörg We i n e r , Stangstr. 5, 96047 Bamberg<br />
Friedemann We i t z , Hochvogelstraße 7, 88299 Leutkirch <strong>im</strong> Allgäu<br />
Herbert Z i m m e r m a n n , StD, Artilleriestraße 7 A, 52429 Jülich<br />
FORUM CLASSICUM auf CD-ROM<br />
Eine Archiv-CD zu FORUM CLASSICUM und MDAV (ab 1994) kann weiterhin gegen eine Aufwandsentschädigung<br />
von EUR 10,- (incl. Porto) zugesandt werden. Sie enthält – vierteljährlich aktualisiert<br />
– sämtliche Dateien der gedruckten Ausgaben seit 1994 <strong>im</strong> Adobe®-PDF-Format zur Volltext-<br />
Recherche (vgl. dazu den Artikel in FC 4/99, 212f.). Die jeweils aktuellsten Dateien sind abzurufen unter<br />
www.ruediger-hobohm.de. Beachten Sie auch die Hinweise auf den Homepages des Verbandes: http:<br />
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Sie bitte (wenn möglich, unter Beilage eines Verrechnungsschecks oder des Betrages in Briefmarken)<br />
an: StR Rüdiger Hobohm, Mühlweg 9, 91807 Solnhofen, E-mail: ruediger.hobohm@altmuehlnet.de<br />
Wichtiger Hinweis:<br />
Mit allen Fragen, die die Mitgliedschaft <strong>im</strong> DAV oder das Abonnement dieser Zeitschrift betreffen,<br />
wende man sich bitte nicht an den Bundesvorsitzenden. Für Fragen der Mitgliedschaft sind die Vorsitzenden<br />
der 15 Landesverbände zuständig, deren Anschriften auf der folgenden Seite abgedruckt<br />
sind. Für Institute und Abonnenten ohne Mitgliedschaft <strong>im</strong> DAV ist der Buchners Verlag zuständig<br />
(siehe Impressum).<br />
70
1. Baden-Württemberg<br />
Prof. Dr. Bernhard Z<strong>im</strong>mermann<br />
Am Pfarrgarten 10<br />
79219 Staufen<br />
Tel.: (0 76 33) 80 11 39<br />
Bernhard.Z<strong>im</strong>mermann@altphil.uni-freiburg.de<br />
2. Bayern<br />
StR Harald Kloiber<br />
Pfalzgrafenstr. 1e<br />
93128 Regenstauf (Oberpfalz)<br />
Tel.: (0 94 02) 76 52<br />
harald.kloiber@t-online.de<br />
3. Berlin und Brandenburg<br />
StD Dr. Josef Rabl<br />
Kühler Weg 6a<br />
14055 Berlin<br />
Tel.: (0 30) 3 01 98 97<br />
Josef.Rabl@t-online.de<br />
4. Bremen<br />
Renate Albler<br />
Leerer Str. 43<br />
28219 Bremen<br />
Tel.: (04 21) 39 27 57<br />
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5. Hamburg<br />
OStR Dr. Uwe Petersen<br />
Humannstr. 13<br />
22609 Hamburg<br />
Tel.: (0 40) 82 17 92<br />
uwe.petersen@hamburg.de<br />
6. Hessen<br />
Prof. Dr. Jürgen Leonhardt<br />
Wolfshäuser Str. 8<br />
35096 We<strong>im</strong>ar<br />
Tel.: (0 64 26) 96 60 40<br />
juergen.leonhardt@t-online.de<br />
7. Mecklenburg-Vorpommern<br />
Dipl.-Phil. Leif Berling<br />
Blumenstr. 25<br />
18258 Rukieten<br />
Tel.: (03 84 53) 2 00 11<br />
Leif.Berling@t-online.de<br />
8. Niedersachsen<br />
OStD Dr. Walter Jarecki<br />
Rosenweg 20<br />
27283 Verden/Aller<br />
Tel.: (0 42 31) 8 41 25<br />
rosenweg20@ewetel.net<br />
DEUTSCHER ALTPHILOLOGENVERBAND<br />
Adressen der Landesvorsitzenden<br />
9. Nordrhein-Westfalen<br />
StD Reinhard Spänle<br />
Franz-Lütgenau-Str. 21<br />
44287 Dortmund<br />
Tel. (02 31) 44 14 64<br />
rspaenle@t-online.de<br />
10. Rheinland-Pfalz<br />
StD Hartmut Loos<br />
Am Roßsprung 83<br />
67346 Speyer<br />
Tel.: (0 62 32) 8 31 77<br />
loos-speyer@t-online.de<br />
11. Saarland<br />
OStR Walter Siewert<br />
Sulzbachtalstr. 194<br />
66280 Sulzbach<br />
Tel.: (0 68 97) 6 45 51<br />
WSiewert@t-online.de<br />
12. Sachsen<br />
Dr. Bettina Meitzner<br />
Auensteig 26<br />
09648 Mittweida<br />
Tel.: (0 37 27) 9 02 02<br />
bettina.meitzner@t-online.de<br />
13. Sachsen-Anhalt<br />
Dipl.-Phil. Kristine Schulz<br />
Schulstr. 4<br />
06198 Salzmünde<br />
Tel.: (03 46 09) 2 03 60<br />
schulz@altertum.uni-halle.de<br />
14. Schleswig-Holstein<br />
OStD Rainer Schöneich<br />
Kieler Gelehrtenschule<br />
Feldstr. 19<br />
24105 Kiel<br />
Tel. priv.: (04 31) 31 16 72<br />
r.i.schoeneich@t-online.de<br />
15. Thüringen<br />
Dipl.-Phil. Reinhard Bode<br />
Vippacher Gasse 6<br />
99880 Mechterstädt<br />
Tel.: (0 36 22) 90 48 50<br />
Reinhard.Bode@t-online.de<br />
(Stand: April 2004)<br />
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