parkinson-krankheit - Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit
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PSYCHIATRIE HEUTE<br />
Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln<br />
Prof. Dr. med. Volker Faust<br />
<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>Psychosoziale</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />
PARKINSON-KRANKHEIT<br />
„Schüttellähmung“ – Paralysis agitans – Parkinson’sche Krankheit –<br />
Morbus (Krankheit) Parkinson – idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS)<br />
– primäres Parkinson-Syndrom – u.a.<br />
Die Parkinson-Krankheit gehört zu den häufigsten chronischen<br />
neurologischen Leiden mit seelischen und psychosozialen Folgen und<br />
belastet allein in Deutschland fast 200.000 Betroffene. Jährlich kommen rund<br />
13.000 Neuerkrankte hinzu. Das Leidensbild ist relativ charakteristisch und<br />
geht – je nach Intensitätsgrad – von der fast unmerklichen Behinderung bis<br />
zur Stigmatisierung, ja Diskriminierungsgefahr.<br />
Was gilt es deshalb zu wissen über möglicherweise bahnende Faktoren wie<br />
Alter, Persönlichkeitsstruktur, erbliche und Umwelteinflüsse, den „programmierten<br />
Gehirnzelltod“, über Krankheitsverlauf, Lebenserwartung, Todesursachen,<br />
besonders aber erste Warnhinweise aufgrund meist unbekannter Frühsymptome.<br />
Und nach der sicheren Diagnose, welche Störungen sind zu ertragen<br />
und vor allem wie am wenigstens beeinträchtigend: verminderte Beweglichkeit<br />
einschließlich Schreibstörung, Mimik, Sprechen, insbesondere was erhöhte<br />
Muskelspannung oder gar völlige Bewegungsunfähigkeit anbelangt, auf<br />
jeden Fall aber Gang- und Haltungsstörungen einschließlich der plötzlichen<br />
Neigung nach hinten, zur Seite oder nach vorne zu fallen, das lästige bis peinliche<br />
Zittern, und natürlich die geistigen Einbußen bis hin zur Demenz, depressive,<br />
Angst- und Schlafstörungen, von den übrigen organischen Regulationsstörungen<br />
ganz zu schweigen (Magen-Darm, Speichelfluss, Mundtrockenheit,<br />
Schwitzen, Atem-, Blasen- und sexuelle Funktionsstörungen, Schmerzen,<br />
Missempfindungen, Hautveränderungen, Riech- und Sehstörungen u.a.m.<br />
Schließlich die Frage: Welche Art von Parkinson-Krankheit liegt vor (denn hier<br />
gibt es eine ganze Reihe von möglichen Ursachen bis hin zu bestimmten<br />
Arzneimitteln und Kopfverletzungen). Dazu verwandte Störungen wie die unruhigen<br />
Beine, die Sitz-, Steh- und Gehunruhe usw.<br />
Danach einige Hinweise zur apparative Diagnostik der Parkinson-Krankheit<br />
einschließlich moderner Methoden zur Frühdiagnose.<br />
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- 2 -<br />
Im letzten Teil geht es um die Therapie, beginnend mit der medikamentösen<br />
Parkinson-Behandlung, aber auch dem aktuellen Stand der operativen Parkinson-Therapie<br />
(Stereotaxie, Hochfrequenzstimulation bzw. tiefe Hirnstimulation<br />
sowie Neurotransplantation). Zuletzt die nicht-medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten:<br />
Physiotherapie (einschließlich Bewegungstipps für Parkinson-<br />
Betroffene), Ergotherapie, Logopädie, psychosoziale Betreuung (sowie konkrete<br />
Hinweise für PflegerInnen von Parkinson-Kranken), das wichtige Kapitel<br />
der Krankheitsbewältigung sowie sozialmedizinische Aspekte, und die (Internet-)Adressen<br />
der Parkinson-Vereinigungen.<br />
Erwähnte Fachbegriffe:<br />
Parkinson’sche Krankheit – Morbus Parkinson – idiopathisches Parkinson-<br />
Syndrom (IPS) – primäres Parkinson-Syndrom – Parkinson-Ursachen: programmierter<br />
Zelltod, Umweltfaktoren, Intoxikationen (Vergiftungen), Rauschdrogen,<br />
Zellschädigung durch oxidativen Stress, selbst-aggressive Autoimmunprozesse,<br />
weitere Hypothesen.<br />
Nicht-idiopathisches Parkinson-Syndrom – Multisystematrophie (MSA) – Progressive<br />
supranukleäre Blicklähmung (PSB) – Kortikobasale Degeneration<br />
(KBD) – Frontotemporale Demenz mit Parkinsonismus und Taupathien<br />
(FTDP) – Lewy-Körperchen-Krankheit – heredodegenerative Erkrankungen<br />
mit Parkinson-Symptomen – L-Dopa-sensitive Dystonie – Parkinson-Demenz-<br />
ALS-Komplex – Hallervorden-Spatz-Krankheit – progressive Pallidum-Atrophie<br />
– Neuroakanthozytose-Syndrom – u.a.<br />
Symptomatisches (sekundäres) Parkinson-Syndrom – neuroleptisches Parkinsonoid<br />
(Metoclopramid) – Kalzium-Antagonisten – Antidepressiva – Lithiumsalze<br />
– Wilson-Krankheit – hepatolentikuläre Degeneration – Pseudosklerose<br />
Westphal-Strümpell – Morbus Wilson – Intoxikations-Parkinson-Syndrom –<br />
Creutzfeld-Jakob-Krankheit – Pseudo-Parkinson-Syndrome – Normaldruck-<br />
Hydrozephalus – arteriosklerotisches Parkinson-Syndrom – vaskuläres<br />
Parkinson-Syndrom – Hirntumor und Parkinson – Hirnentzündung –<br />
Parkinson-Enzephalitis – Enzephalitis lethargica – posttraumatisches<br />
Parkinson-Syndrom – Boxer-Enzephalopathie – Restless-Legs-Syndrom<br />
(RLS) – Akathisie.<br />
Parkinson-Verlauf – Parkinson-Krankheitsstadien – Parkinson-Sterblichkeitsrate.<br />
Parkinson-Persönlichkeitsstruktur – Parkinson-Frühsymptome – Parkinson-<br />
Beschwerdebild.<br />
Akinese – verminderte Beweglichkeit – Hypokinese – Bradykinese –<br />
Störungen der Feinmotorik – Schreibstörung – Störung der Mimik –<br />
Hypomimie – Mimik-Verarmung – Maskengesicht – Gesichtshaut-Talkbildung<br />
– Salbengesicht – verringerte Lidschlagfolge – Mundöffnung – „Sabbern“ –<br />
Speichelfluss – Phonation – Tonbildung – Sprechstörungen – Aphonie –<br />
Dysphonie – Stimmlosigkeit – Heiserkeit – Hauchen – Dysarthrie –<br />
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- 3 -<br />
Artikulations-Störung – Lautbildungs-Störung – Aussprache-Störung – Stottern<br />
– Stammeln – Logoklonie – krampfhafte Silbenwiederholung – Tonfall-Störung<br />
– Echolalie – echoartiges Wiederholen – Mutismus – Verstummen –<br />
Hypophonie – Sprechtempo-Veränderung – Silbentaktgebungs-<br />
Beeinträchtigung – Stimm-Zittern – Stimm-Tremor – Sprachlaute-Auslassung<br />
– Sprechablauf-Blockierung – Sprechblockade – Freezing – Sprechablauf-<br />
Beschleunigung – Festination – kombinierte Artikulations-Phonations-Störung<br />
– kombinierte Sprech-Stimmbildungsstörung – Motorik – Psycho-Motorik –<br />
Akinese – Bewegungslosigkeit – Hypokinese – Bewegungsarmut –<br />
akinetische Krise – Bewegungsunfähigkeit – Rigor – Muskel-<br />
Spannungszustand – Muskelstarre – Muskelsteifheit – Spastik –<br />
Muskelkrampf – Zahnradphänomen – Kopfkissen-Phänomen –<br />
Halsmuskulatur-Rigor – Kopf-Fall-Test – Stuhlkipp-Versuch – Parkinson-<br />
Körperhaltung – angewinkelte Arme – Rumpfbeugung – Bradykinese –<br />
Bewegungsablauf-Verlangsamung – Arm-Mitschwingen – Hände-Schütteln –<br />
Gangstörung – Haltungsstörung – Schulter-Abfall – Hände-Beugung – Knie-<br />
Beugung – Startschwierigkeiten – Trippel-Schritte – Richtungs-Änderung –<br />
Anhalten-Erschwernis – kleinschrittiger Gang – Sturzgefahr – mehrschrittiges<br />
Umdrehen – Umdrehen im Bett – Gedränge-Gefahr – Gleichgewichts-<br />
Verunsicherung – posturale Instabilität – Pulsion – Retropulsion –<br />
Lateropulsion – Propulsion – Engpass-Schwierigkeiten – Kinesia paradoxa.<br />
Tremor – Zittern – Beben – Tremor-Frequenz – Tremor-Amplitude – Ruhe-<br />
Tremor – Halte-Tremor – Aktions-Tremor – Intentions-Tremor – Pillendreh-<br />
Tremor – Münzenzähl-Tremor – monosymptomatischer Ruhetremor – essentieller<br />
Tremor – aufgabenspezifischer Tremor – primärer Schreib-Tremor –<br />
Stimm-Tremor – Kinn-Tremor – Zungen-Tremor – orthostatischer Tremor –<br />
zerebellärer Tremor – Kleinhirn-Tremor – Wackel-Tremor – Kopf- und Oberkörper-Tremor<br />
– Holmes-Tremor – dystoner Tremor – Blepharospasmus –<br />
Torticollis spasmodicus – Schiefhals -Schreibkrampf – physiologischer Tremor<br />
– Kältezittern – Angstzittern – inneres Zittern – Reaktions-Zittern – Alkohol-<br />
Entzugs-Tremor – Vergiftungs-Tremor – toxischer Tremor – medikamentöser<br />
Tremor – pharmakogener Tremor – Stoffwechselstörungs-Tremor – psychogener<br />
Tremor – seelisch ausgelöster Tremor – Kriegszittern – organischer<br />
Tremor.<br />
Kognitive Störungen – geistige Einbußen – intellektuelle Defizite – Demenz –<br />
Geistesschwäche – kognitive Verlangsamung – Bradyphrenie – verlangsamter<br />
Denkvorgang – verlangsamter Wahrnehmungsvorgang – Spontaneitäts-Rückgang<br />
– erschwerte Umstellung – verminderte Aufmerksamkeit – reduzierte<br />
Entschlusskraft – Parkinson-Demenz – gutartige Altersvergesslichkeit – depressive<br />
Pseudo-Demenz – Alzheimer-Demenz – Nootropika – Ginkgo –<br />
Azetylcholinesterase-Hemmer – Kalzium-Antagonisten – Antidementiva – u.a.<br />
Affektive Störungen – Depression – Parkinson-Depression – Antidepressiva –<br />
Neuroleptika – Pflanzenheilmittel – Johanniskraut – Phasenprophylaktika –<br />
Lithiumsalze – Tranquilizer – Beruhigungsmittel – Benzodiazepine – Psychoedukation<br />
– Psychotherapie – Stressbewältigung – Selbsthilfegruppen – Freizeitaktivitäten<br />
– Angststörungen – Panikattacken – Furcht – Generalisiertes<br />
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Angstsyndrom – Angstneurose – Phobien – Agoraphobie – Sozialphobie –<br />
spezifische Phobien – Parkinson-Ängste – Anxiolytika – u.a.<br />
Psychose – Geistes<strong>krankheit</strong> – organische Psychose – symptomatische Psychose<br />
– endogene Psychose – schizophrene Psychose – exogene Psychose<br />
– psychotische Episoden – pharmakogene Psychose – Demenz-Psychose –<br />
Parkinson-Psychose – Halluzinationen – Sinnestäuschungen – Trugwahrnehmungen<br />
– paranoide Vorgestellungen – Wahn u.a.<br />
Schlafstörungen – Einschlafstörungen – Durchschlafstörungen – Tagesmüdigkeit<br />
– Schlaf-Erwartungsangst – nächtliche Bewegungsstörungen – Bewegungslosigkeit<br />
– Steifheit – vegetative Störungen – Harndrang – Schweißausbrüche<br />
– belastende Träume – nächtliche Atemstörungen – Stridor – Fußverkrampfungen<br />
– Schlaf-Apnoe-Syndrom – u.a.<br />
Autonome Regulationsstörungen – Magen-Darm-Störungen – Verdauungs-<br />
Störungen – erschwertes Kauen – beeinträchtigter Nahrungstransport –<br />
Schluckstörungen – Verstopfung – Sättigungsgefühl – Unwohlsein –<br />
Aufstoßen – Völlegefühl – Oberbauchschmerzen – Darmträgheit – Obstipation<br />
– „innere Vergiftung“ – Hustenreflex – Aspiration – Mundtrockenheit –<br />
Schwitzen – Wärmeregulations-Störung – verminderte Hitzetoleranz –<br />
Schweißausbrüche – Hitze-Anfälligkeit – Schwüle-Anfälligkeit – kritische<br />
Fieberphasen – Thermoregulations-Störung – Kälte-Intoleranz –<br />
Kreislaufstörungen – Schwindel – Atemstörungen – Blasenstörungen –<br />
sexuelle Störungen – Libido-Verlust – Potenz-Verlust – Schmerzen –<br />
Parästhesien – Missempfindungen – Wadenkrämpfe – Fußkrämpfe –<br />
Zehenkrämpfe – Off-Phasen-Dystonie – „Frühmorgens-Dystonie“ –<br />
Fußdystonie – Nackensteifigkeit – Empfindungsstörungen –<br />
Sensibilitätsstörungen – Hautveränderungen – fettige Haut – trockene Haut –<br />
verminderte Tränensekretion – verminderte Blinkrate der Augenlider – Lidschlag-Verringerung<br />
– Riechstörungen – Geschmacksstörungen- Sehstörungen<br />
– Augenbewegungs-Störungen – u.a.<br />
Apparative Parkinson-Diagnostik<br />
Parkinson-Therapie: Parkinson-Medikamente – Anti<strong>parkinson</strong>-Mittel – Neurotransmitter<br />
– Botenstoffe – Dopamin – L-Dopa – MAO-B-Hemmer – COMT-<br />
Hemmer – Dopamin-Rezeptoren-Dopaminergika – Dopametika – Anticholinergika<br />
– glutamaterges System – NMDA-Rezeptor-Antagonisten – u.a.<br />
Operative Parkinson-Behandlung: Stereotaxie – Hochfrequenzstimulation –<br />
tiefe Hirnstimulation – Neurotransplantation – u.a.<br />
Nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten: Physiotherapie – Krankengymnastik<br />
– physikalische Therapie – Wärmebehandlung – Kältebehandlung<br />
– Wasseranwendung – Hydrotherapie – Bewegungstherapie – Massage –<br />
Elektrotherapie – Balneologie – Klimatherapie – Lichttherapie – Ergotherapie –<br />
Hirnleistungstraining – körperliches Training – Alltags-Aktivitäten – Hirn-Jogging<br />
– Angehörigen-Motivation – Logopädie – Sprachtherapeuten – Sonderpädagogen<br />
– Neurolinguisten – Sprechwissenschaftler – Sprechbrett – Toncassetten<br />
– psychosoziale Betreuung – Sozialarbeiter – Sozialpädagogen –<br />
Tagesplan – gesellschaftliche Aktivitäten – Krankheitsbewältigung – Arbeits-<br />
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platz-Anpassung – Leistungs-Anpassung – Alltags-Frustrationen – Alltags-<br />
Strategien – Belastungssituation u.a.<br />
Sozialmedizinische Aspekte: Grad der Behinderung (GdB) – Minderung der<br />
Erwerbsfähigkeit (MdE) – Schwerbehindertengesetzt (SchwbG) – steuerliche<br />
Erleichterungen – Hilfe im Haushalt – Wohngeld – Freifahrten – Krankenkassen-Leistungen<br />
– Pflegestufen – Pflegehilfen – Pflegegeld – Rehabilitation –<br />
Berufs- und Erwerbsunfähigkeit – vorzeitige Rente – Betreuungsgesetz – u.a.<br />
Alltagsbewältigung: Wohnungs-Einrichtung – Bad – Toilette – Schlafzimmer –<br />
An- und Auskleiden – Hausarbeit- Essen und Trinken – Freizeit und Beruf –<br />
Verkehrstüchtigkeit – Reisen – spezielle Pflegetipps – u.a.<br />
ALLGEMEINE ASPEKTE<br />
Die Krankheit, die den Namen des vor rund 200 Jahren lebenden englischen<br />
Arztes trägt (s.u.), ist so alt wie die Menschheit. Deshalb findet man auch die<br />
ersten Beschreibungen schon zwischen 1.000 und 1.500 v. Chr. Geburt in<br />
alten ajurvedischen Schriften, in denen bereits damals auf das Zittern der<br />
Hände, die körperliche Steifheit und Bewegungsverarmung der Betroffenen<br />
hingewiesen wird. Auch in griechischen und römischen Berichten (z. B. zwischen<br />
3. Jahrhundert vor und 2. Jahrhundert nach Christi) ist vor allem vom<br />
Zittern die Rede, der offensichtlich auffälligsten und damit<br />
zwischenmenschlich belastendsten Beeinträchtigung.<br />
James Parkinson war jedoch der Erste, der das alte Leiden umfassend als<br />
Krankheitseinheit anhand von sechs eigenen Fällen beschrieb, und zwar so<br />
treffend, dass seine Beobachtungen auch heute noch zu den gültigen Merkmalen<br />
der Parkinson’schen Krankheit zählen.<br />
James Parkinson<br />
Dr. James Parkinson war schon zu seiner Zeit ein interessantes Phänomen,<br />
und zwar nicht nur medizinisch, sondern auch politisch,<br />
geologisch (Geologie = Wissenschaft von der stofflichen Beschaffenheit der<br />
Erdkruste und ihrer Entwicklung) und paläontologisch (Paläontologie =<br />
Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Erdzeitalter). Er lebte von<br />
1755 bis 1825 in einem Vorort von London, hatte ursprünglich bei seinem<br />
Vater eine Ausbildung als Chirurg erhalten, engagierte sich aber vor allem für<br />
die englische Parlamentsreform (und veröffentlichte zahlreiche<br />
regierungskritische Streit-, ja Schmähschriften). Bekannt wurde er zu seiner<br />
Zeit insbesondere durch seine geologischen und paläontologischen Arbeiten<br />
und Publikationen. Später war er in einer privaten Irrenanstalt tätig, setzte sich<br />
für eine effektivere Kontrolle dieser Institutionen ein, vor allem zum Schutz der<br />
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- 6 -<br />
Patienten und veröffentlichte 1817 in seinem „Essay on the Shaking Palsy“<br />
erstmals eine Abhandlung über die Schüttellähmung, die so wegweisend<br />
wurde, dass man dieses Leiden nach ihm benannte.<br />
Die Bezeichnung Parkinson-Krankheit wurde aber erst sieben Jahrzehnte<br />
später geprägt, und zwar von dem französischen Arzt Brissaud („maladie de<br />
Parkinson“). Er war es übrigens, der schon vor über 100 Jahren eine bestimmte<br />
Gehirnregion bzw. deren krankhafte Veränderung (die so genannte<br />
Substantia nigra) als mögliche Ursache für die Entwicklung eines solchen<br />
Leidens vermutete, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann in einer Doktorarbeit<br />
von Tretiakoff schließlich bestätigt werden konnte.<br />
Die medikamentöse Parkinson-Therapie, ein bis heute noch nicht optimal<br />
gelöstes Problem (siehe später), nahm schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />
ihren Anfang, und zwar durch die Extrakte aus der Tollkirsche (Atropa belladonna),<br />
dem Prototyp der so genannten Anticholinergika (Atropin) und lange<br />
Zeit die einzige medikamentöse Behandlungsmöglichkeit.<br />
Mitte des 20. Jahrhunderts griff man in seiner Not auch zur stereotaktischen<br />
Hirnoperation, vor allem zur Linderung des Zitterns. Dabei wurden mittels<br />
eines speziellen Zielgerätes über eine kleine Schädelöffnung bestimmte<br />
Gehirnstrukturen mechanisch beeinflusst. Doch der Meilenstein der<br />
Parkinson-Forschung war die Entdeckung, dass es ein bestimmter Botenstoff,<br />
nämlich der Neurotransmitter Dopamin ist, an dem es in bestimmten<br />
Gehirnstrukturen des Parkinson-Kranken mangelt und der deshalb als<br />
biochemischer Ersatz durch ein Medikament ergänzt werden muss. Die L-<br />
Dopa-Behandlung war geboren, später verbessert durch bewegungsfördernde<br />
andere Medikamente (z. B. Amantadin sowie selektive MAO-B-Hemmer u.a.).<br />
Neuere Behandlungsversuche (z. B. Transplantation von Dopamin produzierenden<br />
Zellen aus dem Nebennierenmark, Implantation (Einpflanzung) von<br />
embryonalem Mittelhirn-Gewebe, Stammzellforschung zur Entwicklung Dopamin-produzierender<br />
Zellen, chronische Hochfrequenz-Hirnstimulation u.a.)<br />
sind entweder noch in der Entwicklungsphase oder wurden wieder<br />
aufgegeben.<br />
Eines aber ist geblieben: Die Erkenntnis, dass die „Schüttellähmung“ die<br />
Menschheit seit Anbeginn heimgesucht, die Betroffenen seit jeher belastet<br />
und ihre Angehörigen irritiert hat und die nun schon fast zwei Jahrhunderte<br />
dauernden therapeutischen Bemühungen, die ganz offensichtlich immer<br />
wirkungsvoller werden – ein Trost, der Generationen fehlte und der den<br />
heutigen Patienten wieder Mut machen sollte.<br />
Parkinson – was heißt das?<br />
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- 7 -<br />
Wie so oft in der Medizin hat ein und dieselbe Krankheit mehrere Bezeichnungen,<br />
so auch hier. Früher hieß sie – wie erwähnt – „Schüttellähmung“, vor<br />
allem wegen des ganz offenkundigen Zitterns auf der einen und der Bewegungshemmung<br />
bis hin zur „Lähmung“ auf der anderen Seite.<br />
Der Fachbegriff dazu lautete deshalb auch folgerichtig „Paralysis agitans“ (mit<br />
Schüttellähmung am besten übersetzt). Beide Begriffe sind historisch und<br />
werden heute nicht mehr gebraucht.<br />
Bedeutungsgleich sind hingegen die Bezeichnungen Parkinson, Parkinson’sche<br />
Krankheit, Morbus (= Krankheit) Parkinson, idiopathisches Parkinson-Syndrom<br />
(IPS), was die überwiegende Mehrzahl ausmacht und primäres<br />
Parkinson-Syndrom.<br />
WEN TRIFFT DAS PARKINSON-SYNDROM?<br />
Die Parkinson-Krankheit zählt zu den häufigsten neurologischen Leiden (also<br />
jenem Fachgebiet der Humanmedizin, das sich mit Erkrankungen des zentralen,<br />
peripheren und vegetativen Nervensystems beschäftigt (Beispiele: Epilepsie,<br />
Multiple Sklerose, Hirn(haut-)entzündung, Tumoren, Muskelerkrankungen<br />
u.a.). Sie ist nicht zuletzt altersabhängig, weshalb mit der Zunahme der allgemeinen<br />
Lebenserwartung (überwiegend in den Industrienationen) mit einem<br />
weiteren Ansteigen zu rechnen ist (Weltgesundheitsorganisation – WHO:<br />
1997 = 380 Millionen, 2025 = 800 Millionen der über 65-Jährigen).<br />
– Die Prävalenz (Gesamtzahl der erkrankten Bevölkerung zu einem bestimmten<br />
Untersuchungszeitpunkt) der Parkinson-Krankheit streut breit, je nach<br />
Nation bzw. Region. Sie reicht von 18 als unterster Grenze (z. B. China) bis zu<br />
194 pro 100.000 Einwohner (Sizilien). Sie ist vor allem hoch in den USA und<br />
Europa, niedrig in Ländern wie dem erwähnten China, aber auch Japan sowie<br />
in Nigeria und – sonderbarerweise nicht weit entfernt vom Spitzenreiter<br />
Sizilien – in Sardinien.<br />
In Mitteleuropa sowie Nordamerika liegt die Häufigkeit mit 160 Erkrankten pro<br />
100.000 Einwohnern ähnlich wie in Deutschland. Allerdings gibt es auch bei<br />
uns regionale Unterschiede (mehr Betroffene in Schleswig-Holstein?).<br />
In nüchternen Zahlen heißt dies für Deutschland, dass wir mit rund 150.000<br />
Parkinson-Erkrankten rechnen müssen. Das ist aber nur die Zahl der<br />
erfassten Kranken. Geht man von einer Dunkelziffer (also nicht-erfasster<br />
Patienten, aus welchem Grund auch immer) von 30 bis 40% aus, dann sind es<br />
bereits rund 200.000 Parkinson-Kranke bei uns. Und wenn man das ja<br />
besonders bedrohte höhere Lebensalter herausgreift, dann entwickeln mehr<br />
als 700 von 100.000 Deutschen oberhalb des 65. Lebensjahres eine<br />
Parkinson-Krankheit.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 8 -<br />
Damit gehört die Parkinson-Krankheit zu den häufigsten chronischen (!)<br />
neurologischen Leiden und erfasst in Deutschland etwa 150.000 bis 200.000<br />
Betroffene.<br />
Die direkten Kosten bei der Behandlung des Parkinson-Syndroms – ein<br />
Faktor, der eigentlich medizinisch gesehen keine Rolle spielen sollte, in letzter<br />
Zeit sich aber eine unseligen Dominanz verschafft hat –, werden pro Monat<br />
und Patient auf über 620,- € geschätzt (nach S. Keller u. Mitarb. aus Aktuelle<br />
Neurologie Suppl.2 (2003) 279). Der größte Kostenfaktor in der Therapie sind<br />
dabei die Medikamente, zwei Drittel davon für die so genannten Dopamin-<br />
Agonisten (siehe später).<br />
– Die Inzidenz (Zahl der Neuerkrankten zum Zeitpunkt der Untersuchung)<br />
wird mit 16 pro 100.000 angegeben. Das heißt: Man muss in Deutschland pro<br />
Jahr mit fast 13.000 neuen Parkinson-Fällen rechnen.<br />
– Über das Erkrankungsalter wurde bereits berichtet. Möglich ist es in jedem<br />
Lebensalter, sogar vor dem 21. Lebensjahr (Fachbegriff: „juveniles“<br />
Parkinson-Syndrom). Etwa jeder 10. Patient erkrankt zwischen dem 21. und<br />
39. Lebensjahr. Vor 50 trifft es 30% und zwischen 50 und 60 Jahren 40%. Bei<br />
den über 65-Jährigen ist durchschnittlich jede 100. Person ein Parkinson-<br />
Kranker. Im hohen Alter (nach dem 84. Lebensjahr) soll die<br />
Erkrankungsgefahr wieder abnehmen.<br />
– Geschlechtsspezifisch scheinen Männer und Frauen gleich häufig betroffen<br />
zu sein (gelegentlich wird auch davon gesprochen, dass es Männer etwas<br />
häufiger trifft, statistisch geschehen aber unerheblich).<br />
– Welche Einflüsse eine Rolle spielen können, soll später noch einmal gesondert<br />
diskutiert werden. Genetische (Erb-)Faktoren sind nicht auszuschließen.<br />
Das Gleiche gilt für Umweltbelastungen, klimatische Verhältnisse, den<br />
Industrialisierungsgrad, Ernährungsgewohnheiten und andere soziokulturelle<br />
Aspekte. Damit erklärt man sich die regionalen Unterschiede, kann sie aber in<br />
der Mehrzahl der Fälle (noch) nicht schlüssig beweisen. Im Einzelnen:<br />
WIE ERKLÄRT MAN SICH EINE PARKINSON-ERKRANKUNG?<br />
Da es sich bei der Parkinson-Krankheit um eine Störung des Gehirnstoffwechsels<br />
handelt, sollte man sich von der Anatomie (Lehre vom Körperbau), der<br />
Physiologie (Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen und Funktionen<br />
des menschlichen Körpers), vor allem von den biochemischen<br />
Grundlagen (Wissenschaft von der Chemie des Organismus) ein Bild machen.<br />
Und hier insbesondere von den jeweiligen krankhaften Veränderungen<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 9 -<br />
(Fachbegriff: Neuropathologie, Pathoneurochemie). Das würde aber den<br />
hiesigen Rahmen sprengen. Einzelheiten deshalb siehe entsprechende<br />
Fachliteratur (z. B. die am Schluss erwähnte Grundlage der vorliegenden<br />
Ausführungen, nämlich das Fachbuch von R. Thümler: Morbus Parkinson. Ein<br />
Leitfaden für Klinik und Praxis. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York<br />
2002 sowie in populärmedizinischer Form R. Thümler: Die Parkinson-<br />
Krankheit. Antworten auf die 172 häufigsten Fragen. Trias-Verlag, Stuttgart<br />
2001).<br />
Nachfolgend aber wenigstens stichwortartig einige Hypothesen zur Ätiologie<br />
(den Krankheitsursachen). Dazu gehören die bereits erwähnten<br />
– genetischen (Erb-)Faktoren: In den meisten Fällen tritt die Parkinson-<br />
Krankheit sporadisch (vereinzelt) auf. Früher kam man allerdings zu relativ<br />
hohen Zahlen über den Anteil „vererbter“ Parkinson-Fälle. Das ist heute nicht<br />
mehr nachweisbar. Der Fehler von früher lag offenbar darin, dass nicht nur<br />
das konkrete Parkinson-Syndrom erfasst wurde, sondern auch Patienten mit<br />
anderen Formen von Zittern oder sogar ältere Patienten mit Haltungs- und<br />
Gangstörungen, die an eine Parkinson-Krankheit erinnern.<br />
Immerhin wird das Erkrankungsrisiko von Verwandten eines über 65-jährigen<br />
Parkinson-Patienten auf das Doppelte geschätzt. Oder in Zahlen: 1% der 65-<br />
Jährigen einer Normalbevölkerung erkranken an einem Parkinson-Syndrom,<br />
bei Verwandten eines Parkinson-Patienten liegt das Risiko bei 2%. Damit aber<br />
in beiden Fällen vernachlässigbar.<br />
Bei den meisten erblichen Fällen fällt allerdings auf, dass sich das Krankheitsbild<br />
relativ früh äußert, nämlich vor dem 50. Lebensjahr. Tatsächlich ließ sich<br />
in Familien mit hohem Parkinson-Anteil ein bestimmtes Gen (Erbträger in den<br />
Chromosomen, den Erbanlagen in jeder Zelle des Organismus) nachweisen.<br />
Später gab es noch weitere Entdeckungen, die aber letztlich alle nur die Wissenschaft<br />
interessiert, denn ihre reale Bedeutung ist zumindest bisher gering,<br />
weshalb sie für die genetische Beratung der Nachkommen von Parkinson-<br />
Patienten eine untergeordnete Rolle spielen. Oder kurz:<br />
Gen-Defekte können bei einzelnen Parkinson-Patienten einen ursächlichen<br />
Teilfaktor darstellen. Für den Parkinson-Betroffenen ist jedoch das Risiko,<br />
seine Krankheit weiter zu vererben eher gering. Dies insbesondere dann,<br />
wenn in der Vorgeschichte (Familien-Anamnese) bisher keine Parkinson-<br />
Patienten bekannt geworden sind oder die Erkrankung erst nach dem<br />
50. Lebensjahr ausgebrochen ist.<br />
– Programmierter Zelltod: Jeder Mensch besteht aus Milliarden von Zellen,<br />
von denen täglich eine stattliche Anzahl zugrunde geht (Fachbegriff:<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 10 -<br />
Apoptose, griechisch für das „Fallen der Blätter“ und bezeichnend für ein<br />
normales bzw. sogar gewünschtes Zellsterben im Organismus, um neuen<br />
Zellen Platz zu machen). Was sich hier abspielt, können wir am einfachsten<br />
an den Hautschuppen ablesen, was niemand aufregt. Problematisch wird es<br />
erst, wenn sich das Gleichgewicht von Zellneubildung und Zellsterben<br />
verschiebt, entweder zur unkontrollierten Neubildung (bis zum Tumor) oder zu<br />
einem beschleunigten Untergang (z. B. Gehirnzellen). In krankhafter Hinsicht<br />
kann es nun zu einer gesteigerten Apoptose kommen, entweder durch<br />
endogene (unbekannte „innere“) oder exogene (äußere, z. B. toxische, bzw.<br />
Vergiftungs-) Einflüsse.<br />
Solch ein aus dem Ruder gelaufener programmierter Zelltod war früher das<br />
wichtiges Erklärungsmuster für eine Parkinson-Krankheit. Heute hat es an Bedeutung<br />
verloren.<br />
– Umweltfaktoren: Es ist schon seit langem bekannt, dass sich nach<br />
Intoxikationen (Vergiftungen) mit Mangan, Kohlenmonoxid, Schwefelwasserstoff,<br />
Methanol u.a. <strong>parkinson</strong>-ähnliche Krankheitszeichen ausbilden können.<br />
Selbst die intensive Suche nach dem Auslöser brachte aber bisher keine<br />
einheitlichen Ergebnisse. Bei einigen Fremdstoffen ist es aber nicht<br />
auszuschließen, dass sie ein Parkinson-Syndrom zumindest anstoßen<br />
können. Dazu gehören Schwermetalle (Mangan, Quecksilber, Blei),<br />
Lösungsmittel (Methanol, Trichlor-ethylen), Pestizide<br />
(Schädlingsvernichtungsmittel wie Paraquat), Industriechemikalien (CO, H2S,<br />
CS2) und bestimmte Substanzen, wie sie beispielsweise in manchen<br />
Gewürzen vorkommen.<br />
Interessant ist auch die Erkenntnis, dass bestimmte Rauschmittel (oft undefinierbar<br />
im „Heimlabor“ hergestellt oder dem Heroin verwandt) ebenfalls<br />
<strong>parkinson</strong>-ähnliche Symptome auslösen können, was unter diesem Aspekt vor<br />
allem die Forschung beflügelt hat (und für den praktischen Alltag einfach zu<br />
der Warnung führt: keine Rauschdrogen!).<br />
Gesamthaft gesehen – und hier haben insbesondere die in der Landwirtschaft<br />
eingesetzten chemischen Mittel zu einer interessanten wissenschaftlichen Diskussion<br />
beigetragen –, lässt sich aber weder für das Leben in ländlichen<br />
Gegenden, bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten mit Pestizid-Einsatz, bei Brunnenwasser-Konsum,<br />
noch für Ernährungsgewohnheiten, Lebensstil, Tierkontakte<br />
und einzelne Infektions<strong>krankheit</strong>en ein sicherer ursächlicher Zusammenhang<br />
nachweisen.<br />
Das Gleiche gilt für die berufliche Tätigkeit in bestimmten Industriezeigen<br />
(z. B. Holz, Papier, Glasverarbeitung, Druckerei, Arbeiten im Steinbruch) oder<br />
für den Kontakt mit Werkstoffen wie Lösungsmittel in Lacken und<br />
Klebestoffen, Holzschutzmittel u.a.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 11 -<br />
Wenn solche Fällen aber dennoch immer wieder in der Wissenschaft und<br />
später in den Medien diskutiert werden, dann scheint es sich eher um eine unglückselige<br />
Kombination zu handeln, z. B. genetisch prädisponierender Defekt<br />
im Entgiftungsmechanismus (d. h. erblich eingeschränkte Entgiftungsfähigkeiten<br />
des Organismus), was die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten<br />
Umweltgiften erhöhen könnte und in Kombination mit anderen ursächlichen<br />
Parkinson-Faktoren schließlich das Krankheitsbild ausklinkt.<br />
– Zellschädigung durch oxidativen Stress: Schon im normalen Gehirnstoffwechsel<br />
entstehen kurzfristig Zellverbindungen, die – schlicht gesprochen –<br />
der <strong>Gesundheit</strong> abträglich sein können. Ein normaler Organismus aber neutralisiert<br />
eine solche Vergiftungs-Bedrohung „von innen“ rasch. Ist das – aus<br />
welchem Grund auch immer – aber nicht oder nur noch unzureichend möglich,<br />
kann es zu so genannten oxidativen Vergiftungen kommen, was im Organismus<br />
zumindest einen „oxidativen Stress“ auslöst (Stichwort in der Fachliteratur:<br />
freie Radikale).<br />
Im gesunden Gehirn spielt dies alles keine Rolle, bei Parkinson-Kranken aber<br />
könnte die vermehrte Produktion solcher Schädigungs-Stoffe oder deren verminderte<br />
Entgiftung das Krankheitsbild auslösen (helfen). Dabei wurde im<br />
Laufe der Forschung zusätzlich bekannt, dass bei diesen Patienten jene<br />
Stoffe im Gehirn vermindert sind, die zur Entgiftung maßgeblich beitragen. Ob<br />
diese Ver- bzw. Entgiftungstheorie von Bedeutung ist, steht bisher noch aus.<br />
Bedeutsam für die Allgemeinheit ist auf jeden Fall die Erkenntnis:<br />
Bisher gibt es keine äußeren Hilfsmittel, die hier vorbeugend oder therapeutisch<br />
entscheidend eingreifen könnten. Dies gilt vor allem für die Wirkung von<br />
Vitaminen (z. B. Vitamin E und C). Es reicht also eine ausgewogene Ernährung<br />
mit der üblichen Vitaminzufuhr, mehr bringt in diesem Fall nicht mehr.<br />
– Weitere wissenschaftliche Überlegungen: Neben wissenschaftlich sehr<br />
komplizierten Hypothesen (Fachbegriffe: mitochondriale Funktionsstörungen,<br />
Überladung der Zelle mit Calcium-Ionen, Mangel an Neurotrophen, also<br />
Nervenwachstumsfaktoren u.a.), die derzeit noch ihrer Bestätigung harren,<br />
gibt es aber auch Überlegungen, die in den Medien und damit auch unter<br />
Patienten und vor allem Angehörigen diskutiert werden.<br />
Dazu gehören beispielsweise Infektionen als Parkinson-Auslöser (unbewiesen),<br />
so genannte Autoimmunprozesse, also Störungen bei denen sich der<br />
Körper im Sinne einer zerstörten Abwehr durch Auto-(Selbst-)Aggression<br />
schädigen kann (derzeit in Forschung), Störungen der Eisenaufnahme- und<br />
speicherung (ebenfalls derzeit Forschungsthema, da auch bei anderen Krankheiten<br />
wie Alzheimer-Demenz u.a. anzutreffen) und schließlich Nikotin-, Alkohol-<br />
und Kaffeegenuss.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 12 -<br />
Dabei geht es allerdings – überraschenderweise – nicht um eine Schädigung,<br />
vor allem durch Nikotin, sondern eher um einen zumindest hypothetischen<br />
Schutz durch Rauchen, ggf. auch Alkohol und Kaffee. Die Forschung ist noch<br />
im Gange, und wenn sich hier tatsächlich ein Schutz-Teilfaktor herausstellen<br />
würde, dann sicherlich nicht durch Rauchen oder zu viel Alkohol und Kaffee,<br />
sondern über bestimmte Stoffe in diesen Genussmitteln, die dann wissenschaftlich<br />
geprüft, bewiesen und pharmakotherapeutisch abgesichert angeboten<br />
werden könnten.<br />
Rauchen, zu viel Alkohol und Kaffee sind jedenfalls kein Mittel gegen Parkinson<br />
(auch nicht die chronische Verwendung eines Nikotinpflasters, wie gelegentlich<br />
zu hören ist).<br />
WIE TEILT MAN EINE PARKINSON-KRANKHEIT EIN?<br />
Die Einteilung einer Parkinson-Krankheit, wissenschaftlich Klassifikation genannt,<br />
kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen (äußeres Erscheinungsbild,<br />
Ursachen, Art der Gehirnfunktionsstörung, Verlauf u.a.).<br />
– Derzeit richtet sich die Klassifikation nach ätiologischen Aspekten (Ätiologie<br />
= Krankheitsursachen). Der nachfolgende Kasten zeigt die wissenschaftliche<br />
Einteilung in Fachbegriffen (ohne Erklärung, da für das allgemeine Verständnis<br />
nicht so zwingend und im Bedarfsfalle ohnehin später ausführlicher<br />
erläutert).<br />
Einteilung der Parkinson-Syndrome nach ätiologischen Kriterien<br />
I. Idiopathisches Parkinson-Syndrom (Parkinson-Krankheit, Morbus Parkinson)<br />
II. Definierte neurodegenerative Parkinson-Syndrome<br />
- Multisystematrophie (MSA)<br />
- Progressive supranukleäre Blicklähmung (PSP)<br />
- Kortikobasale Degeneration (KBD)<br />
- Demenz-Syndrome mit Parkinson-Symptomatik<br />
- Lewy-Körperchen-Krankheit<br />
III. Symptomatische (sekundäre) Parkinson-Syndrome<br />
- Medikamenten-induziert<br />
- Toxisch induziert<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 13 -<br />
- Hypoxisch, metabolisch, traumatisch, postinfektiös<br />
- Tumor, Hydrozephalus<br />
IV. Heredodegenerative Erkrankungen mit Parkinson-Symptomatik<br />
Zahlenmäßig im Vordergrund steht das so genannte idiopathische Parkinson-<br />
Syndrom (Parkinson-Krankheit, Morbus Parkinson).<br />
Unter idiopathisch (aus dem griechischen: idio = Wortteil für eigen, selbst,<br />
eigentümlich, von Natur aus, angeboren und pathos = Verfahren, Geschick,<br />
Zustand, Unglück, Leiden, Krankheit u.a.) versteht man einen krankhaften Zustand<br />
ohne erkennbare Ursache, gelegentlich als primär, genuin oder essentiell<br />
bezeichnet. Oder kurz: Man weiß nicht woher. Einzelheiten siehe Kasten.<br />
Was spricht für ein idiopathisches Parkinson-Syndrom?<br />
__________________________________________________________<br />
- Einseitiger Beginn des sichtbaren Leidens<br />
- Ruhe-Tremor (Zittern ohne Bewegung oder Anstrengung)<br />
- Ständig fortschreitende Erkrankung<br />
- Andauernd verstärkt betroffene Seite von Anfang an<br />
- Gutes Ansprechen auf Levodopa (siehe Therapieteil) über mindestens<br />
5 Jahre<br />
- Krankheitsverlauf von mindestens 10 Jahren<br />
Was macht ein idiopathisches Parkinson-Syndrom eher unwahrscheinlich?<br />
__________________________________________________________<br />
- Wiederholter Insult (Gehirnschlag) mit schrittweiser Zunahme von<br />
<strong>parkinson</strong>-ähnlichen Krankheitszeichen<br />
- Wiederholte Schädel-Hirn-Traumata (schwere Kopfunfälle) in der Vorgeschichte<br />
- Durchgemachte Enzephalitis (Gehirnentzündung)<br />
- Neuroleptische Behandlung zu Beginn der Erkrankung (mit antipsychotischen<br />
Psychopharmaka = Neuroleptika)<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 14 -<br />
- Spontane Rückbildung der Parkinson-Krankheitszeichen<br />
- Mehr als ein erkrankter Verwandter<br />
- Ausschließlich einseitige Krankheitszeichen nach 3 Jahren (sollte sich<br />
nach und nach auch auf die andere Seite ausbreiten)<br />
- Supranukleäre Blickparese (Augenlähmung) oder zerebelläre Symptome<br />
(Krankheitszeichen, die auf eine Kleinhirn-Veränderung hinweisen)<br />
- Frühe und schwere autonome Störungen (s. Fachliteratur)<br />
- Frühe und schwere Demenz (Geistesschwäche) oder umschriebene<br />
neuropsychologische Defizite oder positive Babinski-Zeichen (s. Fachliteratur)<br />
- Zerebraler Tumor (Gehirn-Geschwulst) oder kommunizierender Hydrozephalus<br />
(s. Fachliteratur) in der kraniellen Bildgebung (spezielle<br />
Röntgen-ähnliche Gehirn-Untersuchungen)<br />
- Fehlendes Ansprechen auf Levodopa (siehe Therapieteil)<br />
Modifiziert nach psychoneuro 29 (2003) 439<br />
Die überwiegende Mehrzahl von 70 bis 80% aller Parkinson-Krankheiten sind<br />
also ein idiopathisches Parkinson-Syndrom, dessen Ursachen man nicht (genau)<br />
kennt.<br />
Bei der Gruppe der nicht-idiopathischen Parkinson-Syndrome kennt man<br />
wenigstens (einen Teil) der Ursachen, vor allem bei den symptomatischen<br />
(sekundären) Fällen durch Medikamente, Giftstoffe, Sauerstoffmangel,<br />
Unfälle, Infektionen, Tumoren u.a.<br />
Darüber hinaus unterscheidet man Parkinson-Krankheiten mit frühem und<br />
spätem Beginn, bei denen bestimmte Eigentümlichkeiten des Krankheitsverlaufs<br />
erkennbar sind. Im Einzelnen:<br />
– Eine Parkinson-Krankheit mit frühem Krankheitsbeginn tritt vor dem<br />
50. Lebensjahr auf (siehe Einleitung). Ist das Leiden schon vor dem 21. Lebensjahr<br />
zu ertragen, spricht man von einem juvenilen Parkinson-Syndrom.<br />
Hier empfiehlt es sich ein Augenmerk auf andere Krankheitsursachen zu richten<br />
die ein Parkinson-Syndrom nachahmen können (Fachbegriffe: Wilson- und<br />
Huntington-Krankheiten).<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 15 -<br />
In 5 bis 10% der Fälle tritt die Parkinson-Krankheit vor dem 40. Lebensjahr auf<br />
(Fachbegriff: young onset-Parkinson-Syndrom – YOP). Diese Patienten entwickeln<br />
ihre wichtigsten Symptome nur langsam und ohne wesentliche vegetativen<br />
und seelischen Störungen (insbesondere keine Demenz, also Geistesschwäche).<br />
Sie sprechen zwar gut auf eine L-Dopa-Therapie an, entwickeln<br />
aber offenbar schon nach kurzer Zeit problematische Medikamenten-Nebenwirkungen,<br />
was zu einer gesonderten Behandlungsstrategie zwingt. Die<br />
Frage, ob bei diesem mittleren Parkinson-Beginn eine familiäre Häufung vorliegt,<br />
ist offenbar nicht schlüssig zu beantworten.<br />
– Die Parkinson-Krankheiten mit spätem Krankheitsbeginn nennt man<br />
beim Ausbruch nach dem 70. Lebensjahr ein seniles Parkinson-Syndrom. Hier<br />
liegen die Ursachen oft bei schweren Erkrankungen und Operationen, oder<br />
konkreter: die Auslösung des Leidens, weniger die Ursachen. Charakteristisch<br />
ist das rasche Fortschreiten des Beschwerdebildes mit häufig frühen seelischen<br />
Störungen (z. B. Psychose = Geistes<strong>krankheit</strong> und Demenz = Geistesschwäche).<br />
WIE<br />
VERLÄUFT EINE PARKINSON-KRANKHEIT?<br />
Eine<br />
Parkinson-Krankheit schreitet meist langsam fort. Das ist allerdings von<br />
Betroffenem zu Betroffenem unterschiedlich. Deshalb kann man eigentlich<br />
keine sichere Voraussage treffen, es sei denn bei einem Leiden mit frühem<br />
oder spätem Krankheitsbeginn (siehe oben).<br />
Wissenschaftlich<br />
wird der Verlauf nach einem bestimmten Einteilungsstadium<br />
beurteilt. Einzelheiten dazu siehe der nachfolgende Kasten.<br />
Einteilung der Krankheitsstadien<br />
______________________________________________________________<br />
_<br />
Stadium Beschwerdebild<br />
1 einseitig, keine oder nur geringe funktionelle Beeinträchtigungen<br />
1,5 einseitig, axial (längsachsig) betont<br />
2 beidseitig, keine Gleichgewichtsstörungen<br />
2,5 beidseitig, Ausgleich bei Pulsionsprovokation<br />
3 erste Anzeichen gestörter Reflexe: Unsicherheit beim Umdrehen.<br />
Der Patient kann das Gleichgewicht nicht halten, wenn er - mit geschlossenen<br />
Beinen und geschlossenen Augen stehend - ange-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 16 -<br />
stoßen wird. Der Patient ist funktionell eingeschränkt, aber (abhängig<br />
von der Art der Arbeit) noch teilweise arbeitsfähig. Der<br />
Patient kann sich selbst versorgen und unabhängig leben; die Behinderung<br />
ist schwach bis mäßig ausgeprägt<br />
4 voll entwickeltes, schwer beeinträchtigendes Beschwerdebild; der<br />
Patient kann noch gehen und stehen, ist aber stark behindert<br />
5 der Patient ist ohne Hilfe auf den Rollstuhl angewiesen oder bettlägerig<br />
Einteilung modifiziert nach Hoehn und Yahr (1967)<br />
Vor<br />
der Ära der L-Dopa-Behandlung erreichte der Parkinson-Kranke nach<br />
durchschnittlich 14 Jahren das Stadium 5 mit vollständiger Pflegebedürftigkeit.<br />
Die moderne medikamentöse Parkinson-Therapie kann zwar das<br />
Fortschreiten der Krankheit nicht aufhalten, jedoch so genannte Sekundär-<br />
Komplikationen mindern (Probleme, die sich erst nachträglich aus dem<br />
Beschwerdebild ergeben – siehe später). Und sie kann die Pflegeabhängigkeit<br />
hinauszögern.<br />
Unter<br />
der medikamentösen Behandlung zeigen die meisten Patienten in den<br />
ersten 3 bis 5 Jahren einen guten, „hoffnungsvollen“ Verlauf (etwas ironisch<br />
als „Honeymoon“) bezeichnet. Zwischen dem 5. und 8. Jahr treten erste<br />
Bewegungsstörungen unter der Behandlung auf (z. B. wechselnde<br />
Beweglichkeit) und erste seelische Beeinträchtigungen. Beides wird sich in<br />
den nächsten beiden Jahren verstärken. Etwa zwischen dem 11. und 12. Jahr<br />
treten Haltungs- und Gangstörungen hinzu. In diesem Stadium der<br />
wachsenden Immobilität (Unbeweglichkeit) muss auch mit vermehrten<br />
Sekundär-Erkrankungen gerechnet werden, nämlich Infektionen, Aspiration<br />
(Ansaugen von Flüssigkeit und festen Nahrungsanteilen in die Luftröhre) und<br />
Mangelernährung. In der Regel dauert es also durchschnittlich 2 bis 5 Jahre,<br />
bis der Patient das nächste Stadium nach obiger Skala erreicht.<br />
Bei<br />
einem Drittel der Patienten ist ein relativ günstiger Verlauf zu erwarten:<br />
Diese Patienten haben auch nach 10-jähriger Erkrankung nur ein leichtes<br />
Parkinson-Syndrom (Stadium 1 bis 2 – s. o.). Bei einem Teil der Betroffenen<br />
beschränkt sich im weiteren Verlauf das Beschwerdebild auf Bewegungs-<br />
Störungen, bei anderen drohen auch kognitive (geistige) Defizite. Eine dritte<br />
Gruppe meist älterer Patienten zeigt ein rasches Fortschreiten der Bewegungs-<br />
und seelischen Beeinträchtigungen.<br />
Patienten,<br />
bei denen das Zittern (Fachbegriff: Tremor) das wichtigste Krankheitszeichen<br />
ist, sollen einen günstigeren Verlauf haben. Wenn ein solcher<br />
Ruhe-Tremor (also Zittern in Ruhe) ohne sonstige Parkinson-Krankheits-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 17 -<br />
zeichen über Jahre hinweg bestehen bleibt, nennt man so etwas einen „monosymptomatischen<br />
Ruhetremor“ (nur ein Symptom, nämlich Zittern in Ruhe –<br />
siehe später).<br />
Lebenserwartung und Todesursachen<br />
Vor<br />
Einführung der L-Dopa-Behandlung war die Mortalität (Sterblichkeit) bei<br />
Parkinson-Patienten fast dreimal so hoch wie in einer vergleichbaren Altersgruppe.<br />
Dies hat sich seit Einführung der modernen medikamentösen<br />
Möglichkeiten deutlich verbessert. Parkinson-Betroffene haben heute eine<br />
höhere Lebenserwartung als früher, was sich im Wesentlichen durch die<br />
Vermeidung sekundärer Komplikationen (siehe oben) erklärt. Das<br />
durchschnittliche Todesalter wird derzeit mit etwa 70 Jahren angegeben und<br />
liegt damit zwar unterhalb der allgemeinen Lebenserwartung (Männer: 72,<br />
Frauen: 80), aber gemessen an früher doch um ein vielfaches hoffnungsvoller.<br />
Die<br />
Todesursachen sind die selben wie bei der altersgleichen Bevölkerung,<br />
nämlich Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen sowie Schlaganfälle. Warum<br />
Parkinson-Kranke allerdings seltener als die Vergleichsbevölkerung an bestimmten<br />
Krebs-, insbesondere Lebererkrankungen leiden, ist unbekannt. Ein<br />
erhöhtes Risiko findet sich für die Folgen einer Pneumonie (Lungenentzündung)<br />
oder Grippe, was sich durch die allgemeine Einschränkung der körperlichen<br />
Aktivität bzw. Beweglichkeit und mit dem Aspirationsrisiko (Verschlucken<br />
und Ansaugen von Nahrungsbestandteilen in die Luftröhre und damit<br />
Lunge) bei Schluckstörungen erklärt werden kann.<br />
Befürchtungen,<br />
dass unter L-Dopa-Behandlung mit mehr Melanomen zu rech-<br />
nen ist (bösartige Tumore der Haut und Schleimhäute) haben sich nicht bestätigt.<br />
Häufiger als sonst scheinen aber vorzukommen Schilddrüsenfunktionsstörungen,<br />
gutartige Schilddrüsentumore, Diabetes mellitus (Zucker<strong>krankheit</strong>),<br />
Gastritis (Magenschleimhautentzündung), Glaukom (grüner Star) und Katarakt<br />
(grauer Star). Die Gründe hierfür sind bisher nicht ausreichend geklärt. Etwa<br />
gleich häufig wie sonst treten Schlaganfall und etwas seltener Hypertonie<br />
(Bluthochdruck) auf.<br />
Zusammenfassend<br />
ist die Mortalität (Sterblichkeitsrate) gegenüber der<br />
Normalbevölkerung zwar erhöht, doch weniger ausgeprägt wie früher. Die<br />
Lebenserwartung nach der Diagnosestellung (bei durchschnittlichem<br />
Erkrankungsalter) lag früher zwischen 9 und 10 Jahren und liegt heute<br />
zwischen 13 und 14 Jahren. Das durchschnittliche Erkrankungsalter streut<br />
zwischen 55 und 65 (Gipfel zwischen 50 und 79 Jahren). Ein<br />
Häufigkeitsunterschied zwischen Frauen und Männern ist – wie bereits<br />
erwähnt – nicht zu erkennen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 18 -<br />
DAS KÖRPERLICHE KRANKHEITSBILD<br />
WIE BEGINNT EINE PARKINSON-KRANKHEIT?<br />
Eine<br />
voll ausgebildete Parkinson-Krankheit ist lehrbuchmäßig charakterisiert<br />
durch die Symptome Akinese, Rigor und Tremor, gefolgt von einer Haltungsstörung<br />
im weiteren Verlauf. Einzelheiten dazu siehe später. Zuvor aber<br />
drängt sich die Frage auf: Gibt es Früh-Symptome, die rechtzeitig vorwarnen<br />
könnten, vielleicht sogar zuvor noch eine mehr oder weniger charakteristische<br />
Wesensart oder Persönlichkeitsstruktur?<br />
� Persönlichkeitsstruktur: Da es sich bei diesem Leiden um einen fort-<br />
schreitenden Krankheitsprozess handelt, bei dem erst nach Jahren die ersten<br />
lästigen bis schließlich behindernden Symptome deutlichen werden, hat man<br />
tatsächlich nach Persönlichkeitsmerkmalen gesucht, die schon im gesunden<br />
Vorstadium auf eine bevorstehende Erkrankung hinweisen könnten (Fachbegriff:<br />
prämorbide, d. h. vor der eigentlichen Erkrankung registrierbare spezifische<br />
Persönlichkeitszüge).<br />
Und<br />
in der Tat wurden überzufällig häufig folgende Merkmale gefunden (nach<br />
R. Thümler):<br />
-<br />
-<br />
-<br />
-<br />
-<br />
-<br />
-<br />
Introvertiertheit: nach innen gekehrt, d. h. seine Interesse mehr der Innenwelt,<br />
dem geistigen Leben zugewandt, vielleicht auch etwas zögerliches,<br />
abwägendes, abwartendes Wesen, das mehr beobachtet als handelt und<br />
sich leichter in eine Art ständige Verteidigungshaltung drängen lässt<br />
Zwanghaftigkeit: genau bis übergenau, perfektionistisch bis grenzwertig<br />
zwanghaft<br />
Verminderte Flexibilität (Anpassungsfähigkeit)<br />
Neigung zum Perfektionismus (siehe oben � Zwanghaftigkeit)<br />
Mangel an Spontaneität (etwa im Sinne von aktiv, dynamisch, zu unmittelbaren,<br />
eben spontanen Reaktionen neigend)<br />
Depressive Verstimmungen<br />
Pflichtbewusstsein<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 19 -<br />
Bei Zwillingsuntersuchungen schien der später an einem Parkinson-Syndrom<br />
erkrankte Zwilling schon vor dem Krankheitsausbruch zurückgezogener und<br />
weniger aktiv, so die oft rückwirkende Schilderung der Angehörigen.<br />
Allerdings muss man dazu sagen: Vergleichbare Persönlichkeitsmerkmale findet<br />
sich auch häufig bei anderen, vor allem chronischen Erkrankungen, so<br />
dass sich dadurch eigentlich keine zwingenden Schlussfolgerungen ergeben,<br />
was die mögliche Vorhersage in Bezug auf eine Parkinson-Anfälligkeit anbelangt.<br />
� Frühsymptome: Etwas anderes sind meist schleichend beginnende uncharakteristische<br />
Frühsymptome, die überwiegend körperlicher Art und hier<br />
vor allem den Bewegungsablauf betreffen, zum Teil auch seelisch,<br />
psychosozial und vegetativ einzuordnen sind. Im Einzelnen:<br />
– Schmerzhafte Muskelverspannungen, die meist einseitig betont sind und<br />
häufig als „rheumatische Beschwerden“ interpretiert werden – fälschlicherweise<br />
(Fachbegriff: Myalgien). Sie belasten häufig die Schulter-Arm- bzw.<br />
Becken-Oberschenkel-Region.<br />
Folgerichtig wenden sich diese Patienten zuerst an den Hausarzt und dann an<br />
den Orthopäden. Deshalb gehen die häufigsten Vermutungen, später als Fehl-<br />
Diagnosen erkannt auch in Richtung „Schulter-Arm-Syndrom, „Halswirbelsäulen-Syndrom“,<br />
„Ischias“, „Neuritis“, „Arthritis“ usw. So werden sie auch<br />
über längere Zeit behandelt – aber umsonst.<br />
So ganz abwegig sind allerdings diese Diagnosen nicht, denn vor allem die<br />
orthopädischen degenerativen Erkrankungen, die rheumatischen Störungen<br />
und besonders auch die Osteoporose fallen altersbedingt oft mit den ersten<br />
Parkinson-Frühsymptomen zusammen. Und da die erwähnten Leiden<br />
häufiger, ja deutlich häufiger sind als beispielsweise eine Parkinson-Krankheit,<br />
denkt man erst einmal im Sinne von „was häufig ist ist häufig – was selten ist<br />
ist selten“ an naheliegende Leiden.<br />
Allerdings sollte dies nicht viele Monate oder gar mehrere Jahre dauern,<br />
zumal ja die eingeleiteten Behandlungsverfahren dann auch nichts oder nur<br />
wenig gebracht haben. Das Rechzeitig-daran-Denken ist also eines der<br />
wichtigsten diagnostischen Aufgaben in der Früherkennung des Parkinson-<br />
Syndroms.<br />
– Ähnliches gilt für eine vorzeitige körperliche Ermüdbarkeit und verminderte<br />
seelische und körperliche Belastbarkeit, einschließlich einer eigenartigen<br />
dauerhaften Mattigkeit.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 20 -<br />
Erste, etwas „direktere“ Parkinson-Anzeichen sind dann im Folgenden so genannte<br />
feinmotorische Störungen der Hände, also eine Beeinträchtigung der<br />
feineren Bewegungsaufgaben wie sie beim Schreiben, Knöpfen, Kämmen,<br />
Rasieren und Zähneputzen nötig werden. Auch fällt den Betroffenen zunehmend<br />
schwerer, zwei Bewegungen gleichzeitig oder kurz hintereinander auszuführen.<br />
– Nach und nach ändert sich auch das Gangverhalten: Die Schrittlänge wird<br />
kürzer, ein Bein gelegentlich etwa nachgezogen, die Arme schwingen insgesamt<br />
weniger und asymmetrisch beim Gehen mit, die Gestik und Mimik als<br />
Mitbewegungen verarmen.<br />
– Bevor dann der Parkinson-Tremor, also das Händezittern sichtbar wird, verspüren<br />
die Patienten oft zu Beginn ihrer Erkrankung ein einseitig betontes<br />
„inneres Zittern“, das von der Zitter-„Häufigkeit“ und von der besonders befallenen<br />
Körperseite her dem späteren Parkinson-Tremor entspricht.<br />
– In vegetativer Hinsicht fallen dann nach und nach auch Verstopfung und<br />
Schlafstörungen auf.<br />
– Seelisch bzw. psychosozial sind es insbesondere Stimmungsschwankungen,<br />
schließlich immer öfter depressive Verstimmungen, eine Verminderung<br />
von Antrieb und Aktivität und auch gewisse kognitive (geistige) Störungen<br />
(siehe später).<br />
Doch bei allem muss man immer wieder einschränken:<br />
Typische Frühsymptome einer Parkinson-Krankheit gibt es nicht.<br />
Deshalb sollte man auch nicht zu leichtfertig oder ungerechtfertigt die Diagnose<br />
einer Parkinson-Krankheit stellen, möglicherweise auch noch mit nachfolgender<br />
Behandlung bei ggf. nebenwirkungs-belasteten oder gar unverträglichen<br />
Medikamenten. Hier hilft dann mitunter der umgekehrte Erfahrungshinweis,<br />
nämlich<br />
Parkinson-Warnzeichen, die aber für eine wirkliche Parkinson-Krankheit weniger<br />
typisch zu sein pflegen:<br />
- schubartiger Verlauf<br />
- früh Gleichgewichtsstörungen<br />
- früh Sprechstörungen<br />
- Blasenstörungen<br />
- Sexualfunktionsstörungen<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 21 -<br />
- weitere, vor allem neurologische Krankheitszeichen (z. B. Reflexstatus) u.a.<br />
Und ganz wichtig ist die grundsätzliche Frage, bevor man ein „echtes“ Parkinson-Syndrom<br />
annimmt:<br />
Nehmen Sie Medikamente und wenn ja, welche? Denn immer mehr<br />
Menschen leiden unter seelischen und psychosozialen Belastungen und<br />
bekommen Psychopharmaka: Beruhigungsmittel (Tranquilizer),<br />
Antidepressiva (stimmungsaufhellende Arzneimittel) und Neuroleptika<br />
(antipsychotisch wirkende Medikamente).<br />
Letztere aber, nämlich die Neuroleptika, und hier vor allem die so genannten<br />
hoch- und mittelpotenten Neuroleptika können Bewegungsstörungen verursachen,<br />
wozu das medikamentöse Parkinson-Syndrom (Fachbegriff: neuroleptisches<br />
Parkinsonoid) gar nicht so selten ist – und damit auf die richtige<br />
Diagnose, aber falsche Ursache verweist. Hier braucht es nämlich kein Anti-<br />
Parkinsonmittel, sondern eine Dosis-Reduktion bzw. das Absetzen dieser<br />
Medikamente und – falls notwendig – ein Umsetzen auf ein anderes, in dieser<br />
Hinsicht weniger belastendes Psychopharmakon. Weitere Einzelheiten dazu<br />
siehe später.<br />
WELCHES SIND DIE WICHTIGSTEN SYMPTOME EINER PARKINSON-<br />
KRANKHEIT?<br />
Die Hauptsymptome der Parkinson-Krankheit sind – wie bereits erwähnt –<br />
Akinese, Rigor, Tremor und später Haltungsstörungen. Einzelheiten siehe<br />
nachfolgend.<br />
Dabei können noch verschiedene Schwerpunkte unterschieden werden, z. B.<br />
vor allem Akinese und Rigor oder insbesondere Tremor. Oder ein „ausgeglichener“<br />
Beschwerdebild-Typ. Zu Beginn der Parkinson-Erkrankung kann<br />
der Tremor (das Zittern) vorherrschen, und zwar über einen durchaus längeren<br />
Zeitraum. Dieser „Einstand“ soll übrigens mit einem günstigeren<br />
Krankheitsverlauf gekoppelt sein. Im Weiteren findet man dann aber oft eine<br />
ähnliche Ausprägung der drei wichtigsten Symptome.<br />
Unterstützend für die richtige Diagnose gelten im Übrigen auch noch das gute<br />
Ansprechen auf eine typische Parkinson-Therapie, eine Seitenbetonung (eine<br />
Seite ist „schlechter“ als die andere) und ein unkomplizierter Verlauf über mindestens<br />
5 Jahre (bei dem also nur noch unvorhergesehene oder untypische<br />
Zusatzbelastungen irritieren).<br />
Was heißt dies im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 22 -<br />
Akinese = verminderte Beweglichkeit<br />
Akinese heißt wörtlich übersetzt „ohne Bewegung“ (aus dem griechischen: a =<br />
nicht und kinein = bewegen). Doch im Sprachgebrauch der Ärzte wird Akinese<br />
nicht nur für einen vollständigen Bewegungsverlust gebraucht (das ist ohnehin<br />
selten), mehr im Sinne einer Verlangsamung und Verminderung, und zwar vor<br />
allem der willkürlichen und automatisierten Bewegungen.<br />
Zutreffender für die Bewegungsstörung beim Parkinson-Syndrom sind deshalb<br />
abgewandelte Fachbegriffe wie Hypokinese und Bradykinese.<br />
Hypokinese (vom griechischen: hypo = unter, nach unten hin, also letztlich<br />
unter der Norm, vermindert, unzureichend oder zumindest leichteren Grades<br />
von ...) bezieht sich auf ein reduziertes Ausmaß der Bewegungsmöglichkeiten<br />
und Spontanbewegungen.<br />
Bradykinese (vom griechischen: brady = langsam) weist vor allem auf die Verlangsamung<br />
der Bewegungsabläufe hin.<br />
Im Spätstadium der Parkinson-Krankheit kann es allerdings auch zu vollständiger<br />
Bewegungsunfähigkeit im Sinne des ursprünglichen Wortes „A-Kinese“<br />
kommen.<br />
Diese drei Beweglichkeits-Einschränkungen, also<br />
– Akinese: vollständige Bewegungsunfähigkeit<br />
– Hypokinese: reduzierte Bewegungsausmaße<br />
– Bradykinese: Verlangsamung der Bewegungsabläufe<br />
stellen die ernsthaftesten und belastendsten Bewegungs-Beeinträchtigungen<br />
für die Betroffenen dar (und für ihre Angehörigen, Freunde und Mitarbeiter<br />
nebenbei auch). Die Bewegungsverlangsamung oder Bewegungshemmung<br />
kann sich dabei nicht nur auf Arme, Beine und Rumpf, sondern auch auf die<br />
Gesichtsmuskulatur (Verarmung der spontanen Mimik), ja sogar die Sprechmuskulatur<br />
ausdehnen (zuerst leiser, rauher und monotoner, schließlich sogar<br />
verwaschen). Wie kann sich das im einzelnen äußern?<br />
Störungen der feineren Bewegungsabläufe<br />
Was dem Parkinson-Kranken schon sehr früh auffällt und im Laufe der Erkrankung<br />
immer schwieriger wird, sind beeinträchtigte willkürliche Feinbewegungen,<br />
also besonders rasch wechselnde Bewegungsabläufe der Hände und<br />
insbesondere Finger. Die Betroffenen bemerken immer öfters, dass diese<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 23 -<br />
Bewegungen nur noch stockend möglich sind, was sich vor allem bei Drehbewegungen<br />
der Hand (Schraubenzieher, Glühbirne einschrauben) und beim<br />
raschen Tippen des Zeigefingers auf den Daumen auffällt (Letzteres als<br />
„Tapping-Test“ bezeichnet). Auch die Füße lassen sich durch dieses Tapping<br />
überprüfen, in dem man sitzend mit der Ferse auf den Boden klopft (Fersen-<br />
Tapping).<br />
Doch zuvor irritieren die alltäglichen Verrichtungen, die immer „komplizierter“<br />
werden: Ankleiden, Knöpfen, Zähneputzen, Rasieren, Schnürsenkel binden.<br />
Alles wird schwieriger und vor allem zeitaufwendiger. Und, eine häufig zu<br />
hörende Klage: Die feinmotorischen Störungen fallen zum Beginn der Erkrankung<br />
meist einseitig betont auf, bevor sie später beide Seiten mehr oder weniger<br />
gleich stark beeinträchtigen.<br />
Schreibstörung<br />
Auch das Schreiben wird mühsamer, kein Wunder, denn es gehört zu den<br />
aufwendigsten feinmotorischen Bewegungen. Dabei werden die ersten Buchstaben<br />
und Zahlen noch in normaler Schriftgröße möglich, verkleinern sich<br />
aber im Weiteren immer mehr. Und sie beginnen nach schräg oben, seltener<br />
auch nach unten abzuweichen (Fachbegriff: Mikrographie: wörtlich übersetzt<br />
mit „Klein(er werdender)-Schrift).<br />
Wenn das Schriftbild zusätzlich verzittert ist (siehe Tremor), wird es schließlich<br />
unleserlich. Es gibt aber auch Betroffene, die ihre Schrift bewusst verkleinern,<br />
damit verzitterte Großbuchstaben nicht so auffallen. Dann ist die Buchstabengröße<br />
von Anfang an verringert, zumeist aber verkleinert sie sich im Laufe der<br />
Zeilen.<br />
Viele Patienten machen das Beste aus ihrer Behinderung: Sie schreiben das<br />
wichtigste am Anfang, wo es noch einigermaßen leserlich ist (einschließlich<br />
Adressen auf Briefumschlägen) oder sie weichen auf Druckbuchstaben aus.<br />
Wer kann, nutzt die Schreibmaschine bzw. den PC. Das hat zwar auch seine<br />
Probleme (siehe oben: Tapping), kann aber lange Zeit und vor allem mit viel<br />
Zeit für den Einzelbrief ausreichend sein.<br />
Wichtige, nicht zuletzt für die psychosoziale Situation der Betroffenen, aber ist<br />
eines: Keine Scham aufkommen lassen, Durchhaltevermögen zeigen, alle Hilfen<br />
nutzen, die es gibt. Denn wer aufhört, den vielleicht früher üblichen Briefkontakt<br />
zu nutzen, gerät in den Teufelskreis von Resignation, Rückzug und<br />
damit Isolationsgefahr. Also: Lieber verzittert als gar nicht!<br />
Störung der Mimik<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 24 -<br />
Die Mimik, also die Ausdrucksbewegungen des Gesichtes gehören zum wichtigsten<br />
Kommunikationsmittel, und zum wertvollsten, wie sich besonders dann<br />
herausstellt, wenn das Minenspiel nicht mehr frei verfügbar ist. Dann kommt<br />
es zur Hypomimie, einer Verarmung der vor allem spontanen Mimik, die am<br />
Anfang sogar einseitig betont sein kann.<br />
Später erscheinen die Gesichtszüge starr und damit ausdruckslos. Man<br />
spricht deshalb auch von einer maskenartigen Starre bzw. gar von einem<br />
„Maskengesicht“.<br />
Manchmal kommt zu dieser mimischen Erstarrung noch ein weiterer Nachteil<br />
hinzu: eine vermehrte Talgbildung der Gesichtshaut. Das kann soweit gehen,<br />
dass man von einem „Salbengesicht“ spricht. Dann haben wir quasi ein<br />
maskenhaftes Salbengesicht vor uns, was schon sehr auffällig sein kann.<br />
Schließlich verringert sich auch noch die Lidschlagfolge (unter 5 Schläge pro<br />
Minute). Dadurch wirkt das Auge, das Zentrum des Gesichtes, irgendwie starrer,<br />
zumindest um einen Lebhaftigkeitsfaktor verringert, der einem ansonsten<br />
gar nicht so auffällt.<br />
Und zuletzt bleibt auch noch oftmals der Mund halboffen stehen, was einen<br />
irgendwie „schwachsinnigen“ Eindruck hinterlässt, zumal man dies von geistig<br />
Behinderten kennt.<br />
Und um das Ganze noch einen Grad diskriminierender zu machen, fangen<br />
manche Patienten an zu sabbern, und zwar nicht weil sie mehr Speichel als<br />
sonst produzieren, sondern diesen nicht (mehr) so schnell schlucken können.<br />
Also läuft oft aus dem halboffenen Mund noch die Spucke, tropft auf das<br />
Hemd – und hinterlässt einen oft deprimierend „geistig und körperlich<br />
verwahrlosten“ Eindruck.<br />
Diese mimische Beeinträchtigungen werden schließlich noch verstärkt durch<br />
eine verminderte Mitbewegung des übrigen Körpers, zumindest aber der<br />
Arme. Jeder hat seinen eigenen Gang-Stil und -Rhythmus, an dem die<br />
Mitbewegung der Arme einen großen Anteil hat. Und wenn diese nicht mehr<br />
so charakteristisch bewegt werden, wie es der betreffenden Person früher<br />
zukam, vielleicht sogar überhaupt nicht mehr (Fachbegriff: Verlust an<br />
gestischer Mitbewegung), dann haben wir nicht nur eine mimisch, sondern<br />
gesamthaft „versteinerte“ Motorik.<br />
Noch problematischer wird es, wenn sich dazu noch die bekannten weiteren<br />
Parkinson-Symptome hinzu gesellen, nämlich kleinschrittiger bis schlurfendtrippelnder<br />
Gang, Zittern und vornüber gebeugte Haltung (siehe später).<br />
Mimik und geistige Leistungseinbußen<br />
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- 25 -<br />
Schon hier bzw. besonders bei der Mimik aber muss auf etwas hingewiesen<br />
werden, dass den Betroffenen fast noch mehr zu schaffen macht als die äußeren<br />
Beeinträchtigungen. Die Rede ist von der irrtümlichen Annahme vor allem<br />
fremder Gesprächspartner, es handele sich um eine geistige Leistungseinbuße.<br />
Dabei kann man der näheren und weiteren Umgebung diesen<br />
falschen Eindruck nicht einmal verargen. Schließlich hängt die Beurteilung der<br />
geistigen Fähigkeiten nicht zuletzt vom äußeren Eindruck ab, insbesondere<br />
von der (Lebhaftigkeit der) Mimik. Über die intellektuelle Ausgangslage eines<br />
bisher Unbekannten machen wir uns schon ein Bild, bevor dieser den Mund<br />
aufgemacht hat und uns damit gezielter wissen lässt, „wes Geistes Kind er<br />
ist“.<br />
Das heißt: Die Einschränkung der persönlichen Ausdrucksfähigkeit hinterlässt<br />
bei zumindest fremden Gesprächspartnern den Eindruck eines geistigen Defizits<br />
– seit jeher oder eben erst später erworben. Dagegen kann der Betroffene<br />
– obwohl er es spürt und vor allem fürchtet – erst einmal gar nichts tun. Er gerät<br />
unverschuldet in die missliche Lage, intellektuell abgestempelt zu werden,<br />
bevor er überhaupt beweisen kann, dass das nicht stimmt.<br />
Die Therapeuten empfehlen deshalb den Parkinson-Patienten und nicht<br />
zuletzt ihren Angehörigen in solchen Situationen ruhig, sachlich und<br />
konsequent einfließen zu lassen, dass hier eine „leichte Schwäche der<br />
Gesichtsmuskulatur“ vorliegt, damit sich der andere kein falsches Bild macht.<br />
Ob es darüber hinaus sinnvoll ist, gleich die Behinderung als solche<br />
anzusprechen (Parkinson-Krankheit, bei der ja bekanntlich auch das<br />
Minenspiel beeinträchtigt ist), bleibt dem Einzelfall überlassen (was im Übrigen<br />
für jede körperliche Behinderung gilt).<br />
Sprache und Sprechen<br />
Sprechstörungen sind unterteilbar in Aphonie und Dysphonie (Stimmlosigkeit,<br />
Heiserkeit, Hauchen), Dysarthrie (Störung der Artikulation, d. h. Lautbildung,<br />
deutliche Aussprache), in Stottern, Stammeln, Logoklonie (krampfhafte Silbenwiederholung)<br />
u.a.<br />
Störungen des Redens äußern sich in Veränderungen der Lautstärke, der<br />
Modulation (z. B. Tonfall), in verlangsamtem, stockendem, abgerissenem oder<br />
überhastet wirkendem Reden sowie in bestimmten krankhaften Formen wie<br />
Echolalie (echoartiges Wiederholen), Mutismus (Verstummen) u.a.<br />
Sprache und Sprechen sind also überaus komplizierte und für den zwischenmenschlichen<br />
Kontakt entscheidende Faktoren. Und auch hier ist der Parkinson-Kranke<br />
überaus hinderlich beeinträchtigt. Immerhin wird die Sprache erst<br />
im fortgeschrittenen Krankheitsstadium leiser, rauer und monotoner (Fach-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 26 -<br />
begriff: Hypophonie). Im Endzustand schließlich sogar verwaschen und damit<br />
schwer verständlich (Dysarthrie).<br />
Einige der Betroffenen stufen ihre Sprechweise als „weich und weinerlich“ ein.<br />
Damit entsteht für die anderen der irrtümlich Eindruck einer depressiven Verstimmung.<br />
Das muss aber nicht sein, der Patient sollte darauf hinweisen.<br />
Oft ist auch das Sprechtempo verändert: entweder verlangsamt oder zu<br />
schnell und damit überhastet, wobei besonders die Silbentaktgebung beeinträchtigt<br />
ist.<br />
Während des Sprechens kann man auch einen Tremor (ein Zittern) in der<br />
Stimme beobachten, manchmal ein Stottern mit Silbenwiederholungen oder<br />
das Auslassen von Sprachlauten.<br />
Plötzlich, besonders zu Beginn eines Satzes kann der Sprechablauf auch<br />
regelrecht blockiert sein, um sich dann aber anschließend fast abnorm zu<br />
beschleunigen. Dieses krankhaft beschleunigte Sprechen nennt man auch<br />
„Festination“ (vom lateinischen: festinare = sich beeilen). Umgekehrt wird die<br />
Sprechblockade als „Freezing“ (vom englischen: freezing = einfrieren) bezeichnet.<br />
Natürlich wird der Sprechablauf auch durch den vermehrten Speichelfluss behindert,<br />
vom Sabbern ganz zu schweigen.<br />
Und schließlich kann es zu einer Kombination von Sprech- und Stimmbildungsstörungen<br />
kommen (also Artikulation und Phonation). Dann sind sowohl<br />
die Muskeln beeinträchtigt, die zum Sprechen und zur Stimmbildung<br />
notwendig sind als auch die Atmung.<br />
Weitere Einzelheiten zu diesem bedeutsamen Bereich zwischenmenschlicher<br />
Kontakte und damit ggf. folgenschwerer Behinderung siehe das Therapie-<br />
Kapitel über die Logopädie.<br />
Wenn man das alles bedenkt, wird einem deutlich, wie schwer einem Parkinson-Betroffenen<br />
der zwischenmenschliche Kontakt gemacht wird, bis hin zur<br />
Sprache. Das heißt für die wohlwollende Umgebung, dass man sich gerade<br />
hier besonders viel Zeit lassen sollte. Denn wie deprimierend und kränkend<br />
muss es für diese Patienten sein, wenn ihnen die ohnehin schon mühsam formulierten<br />
Sätzen ständig abgeschnitten oder – in einer Art falsche<br />
Hilfestellung – vom anderen voreilig vervollständig werden. Die Folgen sind<br />
verständlich: zunehmendes Vermeiden von sprachlichen Kontakten,<br />
Rückzugsneigung und Isolationsgefahr (siehe oben).<br />
Akinetische Krisen<br />
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- 27 -<br />
Unter einer Akinese versteht man eine Störung der Motorik. Motorik heißt<br />
soviel wie Haltung und Bewegung, ausgedrückt in Mimik, Gestik, Haltung und<br />
kombinierten Bewegungsabläufen. Da Antrieb und Stimmung bei der Motorik<br />
eine große Rolle spielen, spricht man auch von Psychomotorik, und hier von<br />
einer gesteigerten, verminderten oder qualitativ abnormen Psychomotorik.<br />
Zur verminderten Motorik gehören die Hypokinesen und Akinesen, also quantitative<br />
Abweichungen der Psychomotorik vom normalen Bewegungsablauf.<br />
Bei der Hypokinese werden die Bewegungen immer seltener. Die Akinese ist<br />
eine extreme Bewegungsarmut bis zur Bewegungslosigkeit (Ähnliches finden<br />
wir bei der schon erwähnten Hypomimie und Amimie, d. h. kaum oder keine<br />
mimischen Bewegungen mehr, s. o.).<br />
Unter einer akinetischen Krise versteht man den plötzlich eintretenden<br />
Zustand einer völligen Bewegungsunfähigkeit, wie er gerade beim Parkinson-<br />
Kranken öfters irritieren kann. Der Begriff „Krise“ soll also auf den kritischen, ja<br />
lebensbedrohlichen Zustand in einer solchen akinetischen Phase hinweisen.<br />
Eine akinetische Krise tritt relativ selten und dann meist erst im späten Erkrankungsstadium<br />
auf. War der Patient unter gezielter Behandlung noch beweglich,<br />
wird er in einer solchen Situation plötzlich oder im Verlauf von Tagen fast<br />
völlig bewegungsunfähig und damit bettlägerig. Außerdem zeigt er einen ausgeprägten<br />
Rigor (erhöhten Spannungszustand der Muskulatur – siehe später)<br />
und kann zuletzt weder sprechen noch schlucken.<br />
Letzteres ist am gefährlichsten, kann er doch selbständig keine Medikamente<br />
mehr einnehmen und fällt dadurch in ein „Behandlungs-Loch“. Und vor allem<br />
kann er nicht einmal mehr Flüssigkeit schlucken und trocknet damit rasch aus.<br />
Die Schluckstörung und eine abgeflachte Atmung fördern zudem eine drohende<br />
Aspirations-Pneumonie (Lungenentzündung durch Ansaugen von Flüssigkeit<br />
oder festen Bestandteilen durch den Luftleiter in die Lunge).<br />
Die akinetische Krise ist ein Notfall. Hier gilt es umgehend den Arzt zu holen,<br />
der dann in der Regel eine sofortige Klinikeinweisung veranlasst.<br />
Auslöser einer solchen akinetischen Krise sind meist plötzlich auftretende<br />
schwere körperliche Erkrankungen (hochfieberhafte Infektions<strong>krankheit</strong>en, Zustand<br />
nach ausgedehnten Operationen u.a.). Auch die Unterbrechung der<br />
Parkinson-Behandlung oder die Gabe von hochpotenten Neuroleptika (antipsychotisch<br />
wirkenden Psychopharmaka) kann eine solche akinetische Krise<br />
fördern.<br />
Die Behandlung sollte am besten in der Intensivmedizin erfolgen, deshalb die<br />
rasche Klinikeinweisung.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 28 -<br />
Im Endstadium kann sich eine akinetische Krise durch einen fortgeschrittenen<br />
Nervenzell-Schwund im Gehirn ausbilden, dann jedoch langsam und erst spät<br />
mit den verhängnisvollen Schluckstörungen. Parallel dazu findet sich dann in<br />
der Regel eine Demenz (Geistesschwäche) und mitunter sogar psychotische<br />
Episoden (wie bei einer Schizophrenie mit Sinnestäuschungen, Wahn und so<br />
genannten Ich-Störungen).<br />
Rigor - erhöhter Spannungszustand der Muskulatur<br />
Ein Rigor (vom lateinischen: Starre, Steifheit) ist ein erhöhter Spannungszustand<br />
der Muskulatur, und zwar in jeder Bewegungsphase, und nicht nur<br />
dort, wo so etwas motorisch zweckmäßig ist. Deshalb besteht der Rigor auch<br />
in Ruhe und ermöglicht keine vollständig Entspannung mehr.<br />
Hierdurch unterscheidet sich der Rigor ganz wesentlich von der Spastik (lateinisch:<br />
Krampf). Bei der Spastik nimmt die Muskelspannung mit der Bewegungsgeschwindigkeit<br />
zu, d. h. eine rasche Bewegung wird von einer zunehmenden<br />
Muskelspannung „ausgebremst“. Und in völliger Ruhe ist die Muskelspannung<br />
dann auch nicht erhöht.<br />
Um sich aber die typische Muskelspannung des Rigors besser einprägen zu<br />
können, stellt man sich am besten ein Bleirohr vor, das mit entsprechendem<br />
Widerstand aber immerhin verbogen werden kann. Der zähe Widerstand ist<br />
während des gesamten Biegevorgangs gleichmäßig, unabhängig davon, ob<br />
man so etwas schnell oder langsam durchführt. Bei der Spastik würde sich der<br />
Widerstand des Muskels erhöhen, wenn man beispielsweise die Bewegung<br />
von Ellenbogen- oder Kniegelenk rasch durchführen wollte.<br />
Beim Parkinson findet sich also ein Rigor (siehe Bleirohr). Und noch etwas<br />
anderes, in diesem Fall sehr Spezielles und damit Charakteristisches, nämlich<br />
ein „Zahnradphänomen“. Die bei der Untersuchung durchgeführte Bewegung<br />
in den Gelenken (am besten im Ellenbogengelenk nachweisbar, aber auch<br />
Hand- und Kniegelenk) wird beim Zahnradphänomen ruckweise unterbrochen,<br />
so als ob ein Zahnrad in das Gelenk eingebaut wäre und die Bewegung damit<br />
ruckartig bestimmt. Auch der Laie kann dies gut nachprüfen, in dem er den<br />
Patienten bei der Hand nimmt, Unterarm und damit Ellenbogengelenk<br />
langsam auf und ab bewegt und das Zahnradphänomen schon bei dieser<br />
Bewegung, noch besser aber dadurch spürt, dass er Daumen oder<br />
Zeigefinger in die Ellenbeuge des Patienten legt.<br />
Dieser empfindet den Rigor als Steifigkeit, die oft mit Rückenschmerzen oder<br />
ziehenden Beschwerden im Schulter-Arm-Bereich verbunden ist. Daraus<br />
ergeben sich nebenbei die bekannten Fehldiagnosen wie „Schulter-Arm-<br />
Syndrom“ oder „Halswirbelsäulen-Syndrom“, bis man auf die richtige Diagnose<br />
kommt.<br />
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- 29 -<br />
Der Rigor im Bereich der Halsmuskulatur kann so ausgeprägt sein, dass der<br />
Patient im Liegen den Kopf ohne Anstrengung angehoben halten kann und<br />
dass Kopfkissen damit kaum berührt (Fachbegriff: Kopfkissen-Phänomen).<br />
Man beobachte also einmal die Betroffenen und wenn das Kopfkissen des<br />
liegenden Patienten kaum eingedrückt erscheint, hat man einen Rigor der<br />
Halsmuskulatur diagnostiziert.<br />
Ähnliches sagt der so genannte „Kopffall-Test“ aus: Dabei hebt man den Kopf<br />
mit der Hand vom Kopfkissen ab, fordert den Patienten auf sich vollständig zu<br />
entspannen und zieht die Hand plötzlich weg. Beim Gesunden fällt der – ja in<br />
Hals- und Nackenmuskulatur entspannte – Kopf sofort auf das Kopfkissen<br />
zurück, der Parkinson-Kranke hingegen bleibt in seiner Stellung und sinkt erst<br />
langsam (und oft auch noch ruckweise) zurück.<br />
Ein weiterer Test, den man aber dem Arzt vorbehalten lassen sollte, ist der<br />
Stuhlkipp-Versuch: Kippt man einen im Stuhl sitzenden Gesunden ohne Vorwarnung<br />
den Stuhl nach hinten, reagiert dieser mit einer Gegenbewegung<br />
nach vorne – so rasch wie der „Kipp-Überfall“ es erfordert. Ein Parkinson-<br />
Patient hingegen kippt nach hinten, ohne die rettende Gegenbewegung verfügbar<br />
zu haben.<br />
Das Auffälligste beim Parkinson-Patienten aber ist seine typische Körperhaltung:<br />
Nach vorne gebeugt und Arme leicht angewinkelt (s. später). Ursache ist<br />
der Rigor der rumpfnahen Beugemuskulatur. Dazu kommt eine so genannte<br />
Bradykinese der Arme, also eine allgemeine Verlangsamung der Bewegungsabläufe.<br />
Das verhindert das natürliche Mitschwingen eines oder beider Arme<br />
beim Gehen (dieses verminderte Mitschwingen der Arme beim Gehen, vor<br />
allem noch mit Bevorzugung der stärker betroffenen Seite ist eines der frühesten<br />
Hinweise auf eine Parkinson-Krankheit).<br />
Leicht nachvollziehbar ist diese erhöhte Muskelspannung, indem man die<br />
Hände oder Arme schüttelt und damit rasch erfährt, wie schwer es diese<br />
Krankheit dem Betroffenen macht, so locker daherzukommen wie früher<br />
selber und andere um ihn herum ständig.<br />
Der Rigor ist ein weiteres Symptom, das den Betroffenen „öffentlich zeichnet“,<br />
vor allem durch Haltung, Mitbewegung der Arme und zuletzt einige Phänomene,<br />
die der ahnungslosen Umgebung als überaus absonderlich erscheinen<br />
müssen.<br />
Gang- und Haltungsstörungen<br />
Die Hinweise auf den Rigor und seine Folgen leiten zu einem der wichtigsten<br />
Störungen generell über, nämlich die Gang- und Haltungsstörungen.<br />
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- 30 -<br />
Mit zunehmender Krankheitsdauer entwickelt sich nämlich eine charakteristische<br />
Körperhaltung, wie bereits angedeutet:<br />
- Kopf und Oberkörper sind nach vorne geneigt<br />
- Die Schultern fallen ebenfalls nach vorne<br />
- Die Arme werden gebeugt und dicht am Rumpf gehalten<br />
- Die Hände sind in Beugestellung leicht nach innen gedreht<br />
- Die Knie sind ebenfalls leicht gebeugt und verstärken den Gesamteindruck<br />
einer gedrückten Haltung<br />
in der sich der Parkinson-Kranke tatsächlich wie eingebunden und gefesselt<br />
fühlt.<br />
Im weiteren Verlauf fällt es dem Betroffenen immer schwerer<br />
- von seinem Stuhl aufzustehen (was vor allem auf ein Kraftdefizit in den<br />
Hüft-weniger in den Kniegelenken zurückgeht)<br />
- die ersten Schritte einzuleiten (Startschwierigkeiten mit kurzen Trippelschritten)<br />
- eine Richtung zu ändern<br />
- oder plötzlich anzuhalten.<br />
Insgesamt wird das Gehen kleinschrittiger, oft schlurfend, hinkend oder trippelnd<br />
und damit mit erhöhter Sturzgefahr verbunden. Auch das Umdrehen erfolgt<br />
„mehr-schrittig“ und hinterlässt schon damit den Eindruck der verstärkten<br />
Hilflosigkeit. Nach einigen Schritten kann sich das Gangbild dann aber flüssiger<br />
und freier gestalten.<br />
Auf jeden Fall muss sich der Parkinson-Kranke auf das Gehen konzentrieren.<br />
Schon banale Ablenkungen (z. B. Unterhaltung während des Gehens, Regenschirm<br />
öffnen oder schließen) kann ein Sturzrisiko bedeuten. Parkinson-<br />
Betroffene haben also Schwierigkeiten, verschiedene Aufgaben<br />
(Bewegungen) gleichzeitig auszuführen.<br />
Ein weiteres Problem mit ernsten Folgen sind Schlafstörungen, die zumindest<br />
teilweise auf die Haltungsstörungen zurückzuführen sind. Denn auch im Bett<br />
kann sich der Parkinson-Patient – speziell im fortgeschrittenen Stadium –<br />
nachts nur noch mühsam umdrehen oder aufrichten, was beispielsweise den<br />
Int.1-Parkinson.doc
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Toilettengang erschwert und häufig fremde Hilfe erfordert. Aber allein schon<br />
das mehrfache nächtliche Umdrehen im Bett ist die Voraussetzung für einen<br />
ungestörten Schlaf, da man sonst durchliegt und am nächsten Tag wie<br />
„erschlagen“ aufwacht (auch als Gesunder gut nachprüfbar, wenn man sich in<br />
eine alkoholische „Narkose“ versetzt und am nächsten Tag trotz tiefstem<br />
„Schlaf“ wie gerädert aufwacht).<br />
Schließlich ist ein Parkinson-Kranker in Menschenmassen verstärkt gefährdet.<br />
Bei unerwarteten Stößen gegen den Körper, z. B. im Gedränge, kann er – wie<br />
schon mehrfach angedeutet – nicht rechtzeitig gegensteuern um das Gleichgewicht<br />
zu halten und neigt dadurch zum Hinstürzen. Die Ursache ist eine<br />
Störung der gleichgewichtsregulierenden Reflexe, was sich aber gewöhnlich<br />
erst in späteren Stadien behindernd äußert (Fachbegriff: posturale Instabilität).<br />
Die Neigung, passive Stöße nicht ausreichend ausbalancieren zu können,<br />
wird mit dem lateinischen Wort -pulsion bezeichnet (pulsus = stoßend,<br />
schlagend). Dabei haben sich folgende Fachbegriffe eingebürgert:<br />
- Retropulsion: die Neigung, nach hinten zu fallen<br />
- Lateropulsion: die Neigung, zur Seite zu fallen<br />
- Propulsion: die Neigung, nach vorne zu fallen<br />
Eine Propulsion, also Neigung nach vorne zu fallen, kann aber auch beim<br />
Start oder während des Gehens drohen, weshalb der Gang mit kurzen,<br />
schnellen Trippelschritten beschleunigt wird, um dies aufzufangen und<br />
schließlich wieder ein normales Gangbild zu erreichen.<br />
Das Propulsions-Phänomen beim Start oder beim Gehen wird – wie schon erwähnt<br />
– als Festination bezeichnet. In der Untersuchungssituation des Arztes<br />
gibt es dabei verschiedene Test‘s, die aber durch die besondere Sturzgefahr<br />
des Patienten nur dann vertretbar sind, wenn Hilfspersonen zum Abfangen<br />
einspringen können. Der Parkinson-Kranke benötigt auf jeden Fall mehrere<br />
Schritte, um solche Stöße auszubalancieren, der Gesunde gleicht dies mit ein<br />
bis zwei Korrekturschritten aus.<br />
Ein eigenartiges Phänomen sind so genannte Engpass-Schwierigkeiten.<br />
Eigenartiger Weise treten nämlich die Bewegungshemmungen beim<br />
Passieren (oder schon davor) von engen Stellen, auch vermeintlich engen<br />
Stellen wie Türrahmen oder Unebenheiten des Bodens auf. Das Gleiche gilt<br />
auch für enge Räume wie Toilette, Dusche usw. Schon ein Teppichrand kann<br />
für manche Patienten ein Problem bedeuten. Manche Betroffene scherzen:<br />
„Ich könnte über ein Blatt Papier stürzen“.<br />
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Bei psychischen Anspannungen kann es ebenfalls zur plötzlichen<br />
Bewegungshemmung kommen. Die Betroffenen fühlen sich in solchen<br />
Momenten wie „angeklebt“ oder gar „eingefroren“ („Freezing-Phänomen –<br />
siehe später).<br />
Eine solche Phase der Bewegungsblockade kann auch spontan während des<br />
Gehens oder vor Erreichen des Ziels auftreten und dann sogar Sekunden<br />
anhalten. Solche Ursachen sind nicht selten der Grund für ein plötzliches Hinstürzen.<br />
Andererseits kann man sich auch manchmal nur wundern, wie unter<br />
extremer Stress-Situation plötzlich eine zuvor nicht (mehr) gekannte Beweglichkeit<br />
möglich ist (Fachbegriff: Kinesia paradoxa).<br />
Kurz: Gang- und Haltungsstörungen sind beim Parkinson-Kranken eine Quelle<br />
ständiger Verwunderung – für die anderen, vor allem die Unaufgeklärten. Leider<br />
lassen sich solche Störungen mit Sturzneigung medikamentös nur schwer<br />
beeinflussen. Deshalb sind hier vor allem entsprechende technische und<br />
„strategische“ Hilfen gefragt, mit denen man insbesondere in häuslicher Umgebung<br />
Zahl und Folgen möglicher Stürze vermindern kann (siehe später).<br />
Außerdem können zur Parkinson-Beeinträchtigung weitere körperliche Störungen<br />
kommen, die zu einer Gang- und Haltungsstörung beitragen (Beispiele:<br />
Gelenkbeeinträchtigungen, Herz-Kreislauf-Krankheiten, vor allem zu niederer<br />
Blutdruck, Sehstörungen, Schwindel u.a.).$Hier gilt es fachärztlich abzuklären,<br />
um nicht alles auf die Parkinson-Problematik zu schieben und vor allem eine<br />
Mehrfach-Belastung so gut wie möglich zu verhindern.<br />
Tremor<br />
Der Tremor (vom lateinischen: tremor = Zittern, Beben) wurde schon von den<br />
Erst-Beschreibern der Parkinson-Krankheit als auffälligstes Krankheitszeichen<br />
erkannt, beschrieben und sogar in die erste Namensgebung eingefügt (James<br />
Parkinson: Paralysis agitans, auf deutsch „Schüttellähmung“, wobei die Bewegungsverlangsamung<br />
als Lähmung (miss-)deutet und das Zittern zum „Schütteln“<br />
erklärt wurde).<br />
Tatsächlich ist der Tremor bei über der Hälfte aller Patienten das erste und<br />
auffallendste Symptom und kann über Jahre vorherrschend, ja beherrschend<br />
verunsichern bis quälen. Im Spätstadium muss es so gut wie immer ertragen<br />
werden. Die Ursachen, teils morphologisch, teils pathophysiologisch, teils biochemisch<br />
(welche Gehirnregionen, Funktionen oder Defizite von Überträgerstoffen?)<br />
ist noch immer unklar. Um was handelt es sich nun rein äußerlich?<br />
Der Parkinson-Tremor ist eine unwillkürliche (d. h. nicht willentlich steuerbare),<br />
ziemlich regelmäßige und rhythmische Bewegung bestimmter Körperteile. Er<br />
entsteht durch die zwar gemeinsame, aber auch abwechselnde Anspannung<br />
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verschiedener Muskelpaare, die gegensätzliche Funktionen haben (z. B. Arm,<br />
Finger u.a. beugen oder strecken).<br />
Betroffen sind vorwiegend die Hände und Füße, seltener Kopf oder Kinn. Die<br />
Einteilung erfolgt heute nach der Frequenz des Tremors, also der Bewegungshäufigkeit,<br />
aber auch nach der Amplitude, d. h. dem Ausschlag des Bewegungsumfanges,<br />
den Bedingungen, die zu einem verstärken Tremor führen<br />
und letztlich nach der Ursache bzw. dem Schädigungsort im Gehirn. Oder<br />
etwas konkreter:<br />
- Die Häufigkeit variiert zwischen hochfrequent (mehr als 7 Hz),<br />
mittelfrequent (4 bis 7 Hz) sowie niederfrequent (weniger als 4 Hz).<br />
- Die Amplitude wird nach grobschlägig oder feinschlägig beurteilt.<br />
- Die Aktivierung unterscheidet Ruhe-Tremor, Halte-Tremor, Aktions-Tremor<br />
und Intentions-Tremor.<br />
- Die Ursachen sind entweder „äußerlich“, beispielsweise medikamentös<br />
(z. B. hochpotente Neuroleptika, also antipsychotische Psychopharmaka)<br />
oder „innerlich“, d.h. durch eine Schädigung bestimmter Gehirnstrukturen<br />
bedingt.<br />
- Der Schädigungsort kann z. B. eine Störung im Kleinhirn sein (dann als<br />
Kleinhirn-Tremor bezeichnet).<br />
Am populärsten unter den Medizinern ist die frühere Bezeichnung des Finger-<br />
Tremors als „Pillendrehen“ (denn mit einer ähnlichen Bewegung formte der<br />
Apotheker früher seine Pillen). Später bevorzugte man die Bezeichnung<br />
„Münzenzähl-Tremor“. Am häufigsten aber spricht man heute in Abhängigkeit<br />
von den Aktivierungsbedingungen von Ruhe-, Halte- und Aktions- sowie kombiniertem<br />
Ruhe- und Halte-Tremor. Was heißt das?<br />
Ruhe-Tremor: Bei dreiviertel aller Parkinson-Patienten tritt der Tremor bei<br />
vollständig entspannter Muskulatur auf. Er hat gewöhnlich eine Frequenz von<br />
4 bis 6 Hz und beginnt meist an einer Hand. Seltener und erst im weiteren<br />
Verlauf sind auch Füße, Kopf oder gar Kinn betroffen. Ob grob- oder<br />
feinschlägig, das kann innerhalb kurzer Zeit wechseln.<br />
Meist tritt der Parkinson-Tremor zu Beginn der Erkrankung einseitig auf und<br />
bleibt auch lange Zeit einseitig betont, selbst wenn schließlich beide Seiten<br />
betroffen sind. Ein Ruhe-Tremor kann mitunter über Jahre vorkommen, ohne<br />
dass weitere Parkinson-Symptome auffallen. Dann bezeichnet man ihn als<br />
monosymptomatischen Ruhetremor (auch benigner, also zumindest bisher<br />
„gutartig“ Ruhetremor genannt). Dabei bleibt es aber leider nicht, zumindest<br />
Int.1-Parkinson.doc
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nicht in der Regel. Entsprechende Untersuchungen finden schon zu dieser<br />
Zeit Hinweise, dass weitere Parkinson-Zeichen und damit die Diagnose<br />
Parkinson-Krankheit drohen, wenngleich vielleicht erst langsam. Die Ärzte<br />
allerdings hüten sich, während der Phase eines monosymptomatischen<br />
Tremors bereits die Diagnose Parkinson-Krankheit zu stellen, denn es gibt<br />
tatsächlich Fälle, in denen es „nur“ beim Ruhe-Tremor bleibt.<br />
Der Ruhe-Tremor kann bei willkürlicher Muskelanspannung vollständig verschwinden.<br />
Dafür wird er durch psychische oder geistige Belastungen<br />
verstärkt. Er irritiert und verunsichert also vor allem dann, wenn man ihn am<br />
wenigsten zeigen möchte: im Gespräch, in einer Gesellschaft, im Restaurant,<br />
am Bankschalter, an der Kasse u.a. Dann wird er immer grobschlägiger (ausfahrender)<br />
und damit auch für die Umwelt deutlicher.<br />
Damit entwickelt sich leider oftmals eine „Beschwerde-Spirale“: Zunächst nur<br />
ein leichter und für die Umgebung fast nicht sichtbarer Tremor. Dann einige<br />
Negativ-Erlebnisse, zumindest aus der Sicht des Betroffenen („und dann fing<br />
ich plötzlich an wie wild zu zittern“). Jetzt kann der Teufelskreis einsetzten, vor<br />
allem wenn der Patient das Gefühl entwickelt, die Umgebung bemerke diesen<br />
Tremor, selbst wenn er sich kaum aufdrängt. Die Folgen sind Frustration,<br />
Ärger, ohnmächtiger Zorn, ja Angst und Deprimiertheit, was die psychische<br />
(Vor-)Belastung noch steigert – und damit auch den Tremor. Oder kurz: Der<br />
Tremor schaukelt sich zwischenmenschlich, gesellschaftlich, beruflich auf.<br />
Da der Ruhe-Tremor besonders bei willkürlicher Muskelanspannung abnimmt,<br />
behindert er weniger als ein Halte-Tremor oder Aktions-Tremor (siehe unten).<br />
Der Ruhe-Tremor beeinträchtigt weniger durch Bewegungsdefizite, mehr<br />
durch das Gefühl der psychosozialen Stigmatisierung („alle schauen“).<br />
Das hängt nicht zuletzt mit anderen Formen von Tremor zusammen, vor allem<br />
dem Zittern bei Alkoholmissbrauch oder gar -abhängigkeit, insbesondere im<br />
Entzug. Auch der Tremor bei der Demenz (Stichwort: Alzheimer) ist keine<br />
„gesellschaftlich erfreuliche Errungenschaft“ (Zitat). Kurz: Der Ruhe-Tremor<br />
könnte noch am erträglichsten sein, ist aber psychisch trotzdem belastend.<br />
Erschwerend ist der Umstand, dass der klassische Parkinson-Ruhetremor in<br />
fast der Hälfte aller Fälle auch mit einem Halte-Tremor kombiniert ist.<br />
Ein Halte- oder Aktions-Tremor wird erst deutlich, wenn die betroffene Seite<br />
(Arm oder Bein) in einer bestimmten Position gegen die Schwerkraft gehalten<br />
werden muss (Halte-Tremor) oder eine Bewegung (Aktions-Tremor) ausführt.<br />
Sichtbar werden Halte- und Aktions-Tremor zum Beispiel beim Halten eines<br />
gefüllten Wasserglases bzw. wenn das Glas zum Mund geführt wird. Der<br />
Aktions-Tremor hat eine höhere Frequenz als der Ruhe-Tremor und wird besonders<br />
bei Streck- und Beugebewegung der Hände aktiviert. Die Abgrenzung<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 35 -<br />
von einem so genannten essentiellen Tremor (siehe später) kann schwierig<br />
werden. Patienten mit einem Halte- oder Aktions-Tremor sind besonders im<br />
Alltag beeinträchtigt, wenn es um feinmotorische Bewegungsanforderungen<br />
geht (z. B. Knöpfen, Zeigen, Tastaturen).<br />
Anhang: Was gibt es sonst noch für Tremor-Formen?<br />
Die Frage: Was gibt es noch für Tremor-Formen? beschäftigt speziell den<br />
Neurologen, wobei der Parkinson-Tremor nach gründlicher Erhebung der<br />
Krankenvorgeschichte und klinischer Untersuchung relativ rasch abgrenzbar<br />
ist. Von Bedeutung – aber wie gesagt: eigentlich nur für Allgemeinärzte und<br />
Neurologen – sind noch essentielle Tremor-Formen (klassischer, orthostatischer,<br />
aufgabenspezifischer oder unklassifizierbarer Tremor), zerebellärer,<br />
Holmes-, dystoner, medikamentös oder toxisch ausgelöster, psychogener<br />
(z. B. Konfliktsituationen), physiologischer bzw. verstärkter physiologischer<br />
Tremor (z. B. Angstzittern).<br />
Was heißt das im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />
Essentieller Tremor<br />
Wenn ein offensichtlich krankhafter Tremor (und nicht nur ein Angstzittern<br />
u.ä.) vorliegt, dann ist am häufigsten von den Diagnosen Parkinson-Krankheit<br />
und essentieller Tremor die Rede. Da es sich bei Letzterem um ein Leiden<br />
handelt, das sogar häufiger ist als das Parkinson-Syndrom (zwischen 0,4 und<br />
5,6% der über 40-Jährigen, je nach Untersuchung), soll hier kurz darauf<br />
eingegangen werden:<br />
Unter essentiell versteht man soviel wie „wesentlich, wesenhaft, lebensnotwendig“<br />
(Essenz heißt philosophisch „Wesen einer Sache“, sonst im Alltag<br />
Hauptsache, Kernpunkt oder konzentrierter Auszug aus Naturprodukten). In<br />
der Medizin versteht man darunter am ehesten „selbständig“, das heißt nicht<br />
organisch bedingt bzw. ohne bekannte Ursache, wenn es sich um eine Krankheit<br />
handelt bzw. lebensnotwendig, wenn ein biologischer Vorgang damit gemeint<br />
ist.<br />
Ein essentieller Tremor ist also definitionsgemäß ein Zittern ohne bekannte<br />
Ursache (früher auch als benigner, also gutartiger Tremor bezeichnet, was<br />
aber angesichts einer psychosozialen Folgen als nicht gerechtfertigt gilt).<br />
Beim klassischen essentiellen Tremor liegt in der Hälfte der Fälle eine Vererbung<br />
vor, die über eine krankhafte Überaktivität in bestimmten Gehirn-<br />
Regionen schließlich zu diesem Zittern führt.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 36 -<br />
Meist tritt er als Halte- oder Aktions-Tremor auf (siehe oben). Manche haben<br />
auch einen so genannten Intentions-Tremor, der erst dann auftritt, wenn man<br />
eine gezielte Bewegung ausführt (z. B. mit dem Finger auf die eigene Nase<br />
zeigen will). Eine Ruhe-Tremor ist ausgesprochen selten.<br />
Die Frequenz ist höher als beim klassischen Parkinson-Tremor, kann sich<br />
aber im höheren Lebensalter abschwächen. Meist sind beide Körperseiten<br />
gleich stark betroffen (beim Parkinson ist ein wesentliches Kennzeichen ein<br />
asymmetrischer Befall, d. h. eine Seite mehr als die andere).<br />
Der essentielle Tremor beginnt oft in der zweiten Lebenshälfte, ist aber auch<br />
schon im jugendlichen Alter möglich (so genannter juveniler (jugendlicher)<br />
essentieller Tremor). Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 40 Jahren.<br />
Manchmal kann es schwierig werden, beim älteren Menschen einen<br />
essentiellen Tremor vom Parkinson-Tremor zu unterscheiden. Denn der ältere<br />
Mensch neigt auch ohne Parkinson-Krankheit zu manchen Parkinson-Zeichen<br />
wie Körper nach vorne geneigt, Schrittlänge verkürzt, Mimik vermindert u.a.<br />
Hier hilft eine neurologische Untersuchung weiter (z. B. so genannte L-Dopa-<br />
Test).<br />
Am häufigsten betroffen sind beim essentiellen Tremor die Hände (80 bis<br />
100%), gefolgt vom Kopf (20 bis 40%), einem Stimmen-Tremor (9 bis 10%)<br />
sowie Kinn (0 bis 9%), Gesicht und Rumpf (0 bis 3%).<br />
Im weiteren Krankheitsverlauf können nicht nur die Tremor-Amplitude (der<br />
Ausschlag des Zitterns) zunehmen, sondern auch weitere Körperregionen betroffen<br />
sein. Die Ausprägung ist von verschiedenen Faktoren wie Ermüdung,<br />
seelische und geistige Anspannung, extreme Temperaturen, stimulierende<br />
Medikamente u.a. abhängig. Typischerweise lässt sich ein essentieller Tremor<br />
häufig durch Alkoholgenuss etwas erleichtern, was mitunter zum Alkoholmissbrauch<br />
verleitet. Koffeinhaltige Getränke hingegen können das Zittern verstärken.<br />
Die Frage, ob Patienten mit einem essentiellen Tremor ein erhöhtes Risiko für<br />
eine Parkinson-Krankheit entwickeln, bleibt bisher ungeklärt, zumal sich<br />
Parkinson-Krankheit und essentieller Tremor tatsächlich gehäuft nachweisen<br />
lassen.<br />
Auf jeden Fall ist die Diagnose eines essentiellen Tremors nicht mehr eindeutig und<br />
entsprechend zu überprüfen, wenn folgende zusätzliche Hinweise („Warnzeichen“)<br />
bestehen:<br />
- asymmetrischer (einseitig betonter) Tremor<br />
- Fuß-Tremor<br />
- Ruhe-Tremor<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 37 -<br />
- isoliertes Kopfzittern bei abnormer Kopfhaltung<br />
- plötzlicher Beginn<br />
- schrittweise Verschlechterung<br />
- zusätzliche neurologische Zeichen<br />
- Medikamente oder Giftstoffe, die den Tremor erst ausgelöst haben könnten<br />
- zusätzliche Hinweise wie Haltungsstörung, Schrittlänge, Mimik, insbesondere Rigor<br />
(erhöhte Muskelspannung), Bradykinese (langsame Bewegungsabläufe) u.a.<br />
Weitere Formen des essentiellen Tremors<br />
Weitere isolierte Tremor-Formen, die eher selten sind und dann vor allem den<br />
Neurologen beschäftigen, sind<br />
- aufgabenspezifischer Tremor (z. B. bei einseitigen beruflichen Tätigkeiten,<br />
bei Berufsmusikern, Sportlern u.a.)<br />
- der primäre Schreibtremor (also nur beim Schreiben auftretend)<br />
- der isolierte Stimm-, Kinn- und Zungentremor (der nur Stimme, Kinn und<br />
Zungen erzittern lässt).<br />
Orthostatischer Tremor<br />
Diese Tremorform ist erst seit einigen Jahren erforscht worden. Sie tritt im<br />
mittleren bis höheren Lebensalter auf und äußert sich durch eine sicht-<br />
und/oder tastbare Bewegungsunruhe der Beinmuskulatur. Die Betroffenen klagen<br />
über Standunsicherheit und können sogar – wenn auch selten – plötzlich<br />
ohne ersichtlichen Grund zu Boden stürzen.<br />
Dieser orthostatische (orthostatisch = die aufrechte Körperhaltung betreffend) Tremor<br />
tritt nur im Stehen und wenige Sekunden nach dem Aufrichten auf. Durch Anlehnen<br />
der Beine oder Umhergehen lässt sich die Sturzgefahr etwas mildern. Während des<br />
Gehens, im Sitzen oder Liegen besteht keine Gefahr.<br />
Das Phänomen ist – wie erläutert – erst seit wenigen Jahren erforscht und weitgehend<br />
unbekannt. Bei unklaren Sturzereignissen ohne Bewusstseinsstörung sollte<br />
deshalb auch an einen orthostatischen Tremor gedacht und ein Neurologe aufgesucht<br />
werden. Die Ursache liegt wahrscheinlich in einer Schädigung bestimmter<br />
Hirnregionen (Kleinhirn, Hirnstamm?).<br />
Int.1-Parkinson.doc
Zerebellärer Tremor<br />
- 38 -<br />
Das Cerebellum ist das Kleinhirn, das u.a. für die Koordination der Bewegungsabläufe<br />
zuständig ist. Kleinhirnschädigungen führen zur Ataxie (Störung<br />
der Bewegungsabläufe), Dysarthie (Sprechstörung), zu Beeinträchtigungen<br />
der Blickfolgebewegung u.a. Typisch für den Kleinhirn-Tremor ist eine<br />
deutliche Zunahme des Tremor-Ausschlags während einer Zielbewegung (in<br />
der neurologischen Untersuchung beispielsweise mit dem Finger die<br />
Nasenspitze oder mit der Ferse das Knie berühren).<br />
Sind mehrere Regionen des Kleinhirns geschädigt, kann dieser Tremor mehr beeinträchtigen<br />
als ein Parkinson-Patient zu ertragen hat.<br />
Ein so genannter „Wackeltremor“ (Fachbegriff: Titubation) betrifft rhythmische Zitterbewegungen<br />
von Kopf und Oberkörper, und zwar nur während des Stehens und<br />
kann sogar eine regelrechte Rumpf-Ataxie auslösen (Rumpfschwankungen).<br />
Holmes-Tremor<br />
Beim Holmes-Tremor handelt es sich um eine Kombination aus Ruhe- und<br />
Intentions-Tremor (Letzteres also bei zielgerichteten Bewegungen auftretend).<br />
Möglich ist dies nach umschriebenen Hirnschädigungen, und zwar wenige<br />
Wochen bis Jahre nach dem Ereignis. Die Folgen sind für den Alltag<br />
belastend bis behindernd (z. B. Essen, Ankleiden, u.a.).<br />
Dystoner Tremor<br />
Dystonien sind anhaltende Muskelkontraktionen (Zusammenziehungen) mit<br />
wiederholten (sinnlosen) Bewegungen und abnormen Haltungen. Bekannte<br />
Dystonien sind beispielsweise Blepharospasmus (Zusammenkneifen der<br />
Augen), Torticollis spasmodicus (Schiefhals) und Schreibkrampf. Manche<br />
dieser Dystonien können mit einem Halte- und Aktions-Tremor (selten Ruhe-<br />
Tremor) einhergehen. Das Zittern lässt sich immerhin durch bestimmte Manöver<br />
mildern, z. B. beim dystonen Kopftremor den Finger ans Kinn legen (was<br />
auch den Schiefhals wieder normalisiert – so lange der Finger am Kinn liegt).<br />
Verstärkter physiologischer Tremor<br />
Zittern ist nicht nur krankhaft, sondern auch ein natürliches Bewegungsmuster.<br />
In der Kälte zittern Mensch und Tier, um sich innerlich wieder aufzuwärmen<br />
(Kältezittern). Bei Anstrengung, Erschöpfung, Erregung und in Angstsituationen<br />
(Angstzittern) ist Zittern jedem geläufig. Hier ist das Zittern lediglich eine<br />
verstärkte physiologische, d. h. den normalen organischen Abläufen entspre-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 39 -<br />
chende Reaktion. Oft zittern wir auch nur „innerlich“ (inneres Zittern und<br />
Beben), doch wenn es stärker wird, kann es nicht nur subjektiv, sondern auch<br />
objektiv, von anderen wahrgenommen werden. Ähnliches gilt für den<br />
Medikamentös und toxisch ausgelösten Tremor<br />
Auch manche Arzneimittel können als Nebenwirkung ein Zittern auslösen. Das<br />
wird besonders bei gespreizten Fingern deutlich (und wenn man die Handinnenfläche<br />
an die Fingerkuppen legt). Beispiele sind trizyklische Antidepressiva<br />
(stimmungsaufhellende Psychopharmaka der älteren Generation), antipsychotisch<br />
wirkende Neuroleptika, Lithiumsalze (gegen immer wieder auftretende<br />
Depressionen und manische Hochstimmungen), Valproat (ein Anti-<br />
Epileptikum mit gleicher Wirkung), Schilddrüsenhormone, einzelne Zytostatika<br />
(Krebsmittel) u.a.<br />
Am bekanntesten aber ist der Tremor nach Alkoholentzug, den die<br />
Betroffenen in ihrer Verzweiflung nicht selten mit erneuter Alkoholzufuhr<br />
„behandeln“. Ähnliches gilt auch für den Entzug von Beruhigungsmitteln vom<br />
Typ der Benzodiazepine (Tranquilizer), ja sogar von Nikotin und Kaffee, falls<br />
im Übermaß genossen oder darauf besonders empfindlich reagierend. Nikotin<br />
und Kaffee können nebenbei auch ohne Entzug ein Zittern auslösen.<br />
Weitere Beispiele, insbesondere was die toxische (Vergiftungs-)Tremorauslösung<br />
anbelangt sind Quecksilber, Blei, Mangan, Kohlenmonoxid und Cyanid.<br />
Der medikamentöse oder toxisch ausgelöste Tremor ist meist ein feinschlägiges<br />
Zittern, das zwar die normalen Funktionen weniger beeinträchtigt, den<br />
Betreffenden aber gesellschaftlich verunsichert, gleichgültig, ob man wirklich<br />
merkt, dass er ständig zittert oder ob er dies nur selber glaubt (in Einzelfällen<br />
können es auch die berühmten alltäglichen Banalitäten sein, die ein Zittern<br />
„entlarven“, z. B. die klappernde Tasse auf der Untertasse, wenn beides hochgehalten<br />
bzw. wieder abgesetzt wird).<br />
Tremor bei Stoffwechselstörungen<br />
Auch so genannte metabolische Erkrankungen (Stoffwechsel-Leiden) können<br />
ein Zittern auslösen, meist einen hochfrequenten (rasch zitternden) Halte-<br />
Tremor, seltener auch einen Intentions-(gezielte Bewegung) oder Ruhe-<br />
Tremor. Die wichtigsten metabolischen Störungen sind<br />
- Hyperthyreose (Überfunktion der Schilddrüse)<br />
- Hypokalziämie (zu wenig Kalzium im Blut)<br />
- Hypoglykämie („Unterzuckerung“).<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 40 -<br />
Seltener ist es auch möglich bei Hypokaliämie (zu wenig Kalium im Blut),<br />
Magnesiummangel, Vitamin B12-Mangel, Leber- und Nierenfunktionsstörungen<br />
sowie beim Hyperparathyreoidismus (der Überfunktion der Nebenschilddrüse).<br />
Auch bei Neuropathien, also Nervenschädigungen (z. B. diabetes-bedingte<br />
Polyneuropathie) ist ein zusätzlicher Tremor nicht auszuschließen<br />
(neuropathischer Tremor).<br />
Ein besonders Phänomen, das zudem noch mit einem zwiespältig „lustigen“<br />
Namen ausgestattet wurde, ist der Flapping-Tremor („Asterixis“). Seinen<br />
Namen hat er von einer charakteristisches Bewegungsstörung, die dem<br />
Flügelschlagen oder Flattern (englisch: flapping) ähnelt, ein unregelmäßiger<br />
„Wackel-Tremor“, der auf die Wilson-Krankheit (eine komplizierte Stoffwechselstörung)<br />
zurückgeht.<br />
Psychogener Tremor<br />
Der psychogene (rein seelisch ausgelöste) Tremor wurde früher als „Kriegszittern“<br />
bezeichnet und ist heute selten zu sehen. Bevor man eine solche<br />
Diagnose stellt, muss die gesamte neurologische Untersuchungs-Palette ausgeschöpft<br />
sein, sonst macht man es sich ggf. zu leicht.<br />
Bei einem nicht geringen Teil psychogener Tremor-Betroffener lässt sich nämlich<br />
gleichzeitig eine organisch begründbare Störung nachweisen. Das heißt,<br />
wir finden einen „Schwachpunkt“ oder „organischen Kern“, auf dem sich dann<br />
in psychosozialen Konfliktsituationen gleichsam ein rein seelisches<br />
Geschehen aufpfropft, besonders bei entsprechend disponierten Menschen<br />
(die zu psychosomatischen Reaktionen neigen).<br />
Die heute gängigen, übergeordneten Fachbegriffe für ein solches Phänomen<br />
lautet Konversion (nach dem DSM-IV) bzw. dissoziatives Phänomen (nach<br />
ICD-10, Einzelheiten zu diesen beiden Klassifikations-Systemen siehe die<br />
spezielle Fachliteratur).<br />
Der psychogene Tremor ist oft mit anderen Konversions- oder Somatisierungsphänomenen<br />
kombiniert. Konversion (vom lateinischen: convertere =<br />
umwenden) bedeutet, dass sich ein seelisches und vor allem ungelöstes<br />
Problem in körperlichen Reaktionsformen äußert. Das Gleiche bezeichnet der<br />
moderne Begriff Somatisierung bzw. Somatisierungsstörung (vom griechischen:<br />
soma = Körper) und lässt sich zwar etwas schlicht, aber dafür einprägsam<br />
mit „Verkörperlichung“ seelischer Störungen übersetzen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 41 -<br />
Der psychogene Tremor ist oft mit anderen Störungen aus der gleichen<br />
Gruppe kombiniert. Betroffen sind meist beide Arme, seltener Arme und Beine<br />
zugleich. Ist nur ein Arm beteiligt, ist es oft die dominante Seite (rechts beim<br />
Rechtshänder).<br />
Im Gegensatz zu organisch verursachten Tremorformen tritt das seelisch<br />
bedingte Zittern oft plötzlich auf, zeigt unterschiedliche Zitter-Ausschläge und -<br />
Häufigkeit und wird nicht stärker. Meist sind größere Muskelgruppen betroffen,<br />
kaum allein die Hände oder Finger. Neurologisch handelt es sich oft um ein<br />
Zusammenfallen von Ruhe- und Aktions-Tremor.<br />
Typischerweise sind viele Patienten vor allem dann nicht beeinträchtigt, wenn<br />
sie sich unbeobachtet glauben. Das Gleiche gilt für alltägliche Verrichtungen<br />
(Essen, Trinken, Ankleiden), während spezifische Bewegungsmuster wieder<br />
stärker betroffen sind. Bei Ablenkung und gezielter Muskelentspannung kann<br />
der Tremor verschwinden, wenn auch nur für kurze Zeit. Sind größere Muskelgruppen<br />
betroffen, endet er wegen der baldigen Ermüdung ebenfalls rasch.<br />
Im Gegensatz zu den organischen Tremor-Formen wirken viele psychogene<br />
Tremor-Patienten nicht gerade kooperativ, behandlungswillig und vor allem<br />
konsequent, was die notwendigen Maßnahmen anbelangt (z. B. so genannte<br />
psychoedukative Behandlung). Das kann die Heilungsaussichten drastisch<br />
verschlechtern. Erschwerend ist der Umstand, dass den meisten Patienten<br />
dieser seelisch ausgelöste Tremor gar nicht seelisch bewusst ist, weshalb sie<br />
noch unwilliger auf entsprechende psychotherapeutische Maßnahmen reagieren.<br />
PSYCHISCHE UND GEISTIGE STÖRUNGEN DURCH PARKINSON<br />
Während der Erstbeschreiber und spätere Namens-Geber James Parkinson in<br />
seiner Monographie 1817 noch die Meinung vertrat: psychische Störungen<br />
gehören nicht zum Krankheitsbild dieses Leidens, besteht heute kein Zweifel<br />
mehr, dass seelische Beeinträchtigungen vielen Parkinson-Kranken im Laufe<br />
ihres Leidens als die noch größere Belastung vorkommen. Manchmal gehen<br />
sie sogar den Bewegungsstörungen zeitlich voraus. Auf jeden Fall muss bei<br />
über der Hälfte der Betroffenen mit so genannten neuropsychologischen bzw.<br />
neuropsychiatrischen Symptomen gerechnet werden. Dazu zählen:<br />
- kognitive Störungen<br />
- Demenz<br />
- depressive Verstimmungen<br />
- Angststörungen (z. B. mit Panikattacken)<br />
Int.1-Parkinson.doc
- psychotische Episoden<br />
- Schlafstörungen<br />
- 42 -<br />
Was heißt das im Einzelnen und was kann man tun?<br />
� Kognitive Störungen<br />
Kognitive Leistungen (vom lateinischen: cognoscere = erkennen) sind also<br />
geistige, intellektuelle Funktionen und betreffen beispielsweise das Erkennen,<br />
Wahrnehmen, Denken und Beurteilen.<br />
Geistige Einbußen beeinträchtigen etwa jeden fünften Parkinson-Patienten<br />
und sind nicht selten Vorboten einer späteren Demenz (Geistesschwäche).<br />
Das größte Problem ist die Verlangsamung der Denk- und Wahrnehmungsvorgänge<br />
(Fachbegriff: kognitive Verlangsamung oder Bradyphrenie vom griechischen:<br />
brady = langsam und phren = Zwerchfell, wohin man in der Antike<br />
Geist und Seele und damit auch das Gedächtnis lokalisierte).<br />
Mit der Verlangsamung der Denk- und Wahrnehmungsvorgänge geht vor<br />
allem ein Rückgang der Spontaneität (d.h. aus eigenem, plötzlichem Antrieb,<br />
unmittelbar, eben spontan) einher. Im Alltag äußert sich das in einer Verlangsamung,<br />
Minderung und Verzögerung emotionaler (gemütsmäßiger) Reaktionen,<br />
in erschwerter Umstellung auf neue Aufgaben oder eine neue Umgebung<br />
und in verminderter Aufmerksamkeit und damit Entschlusskraft. Die Grenze zu<br />
einer dementiellen Entwicklung (Geistesschwäche) kann fließend sein.<br />
Zu den kognitiven Beeinträchtigungen beim Parkinson-Syndrom im<br />
erweiterten Sinne zählen auch Störungen der räumlichen Wahrnehmung und<br />
Raumorientierung. Und vor allem ein beeinträchtigtes Problemlöse-Vermögen.<br />
Diese Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung,<br />
optisch-räumlichen und anderen Fähigkeiten sind offenbar umso<br />
ausgeprägter, je geringer der Bildungsstand, die beruflichen Fertigkeiten und<br />
das Sprachvermögen des Patienten schon vor der Erkrankung waren. So<br />
etwas nennt man in der Fachsprache heute „kognitive Reserven“ – über die<br />
ein Mensch verfügt oder auch nicht. Letzteres ist besonders nachteilig. Denn<br />
eine gut „geistige Ausstattung“ verlängert offensichtlich die Zeitspanne, in der<br />
krankhaften Hirnprozesse noch soweit kompensiert werden können, dass es<br />
nicht zu auffälligen Konsequenzen im Alltag kommt. Deshalb gilt es schon im<br />
Vorfeld durch entsprechende Anregungen und Kompensations-Strategien<br />
diese „kognitiven Reserven“ zu vergrößern (nach ZNS-Spektrum 4/2003).<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 43 -<br />
Solche kognitive Störungen sind – wie erwähnt – in jedem fünften Fall zu erwarten<br />
und dann auch testpsychologisch nachweisbar. In Wirklichkeit<br />
scheinen es sogar noch mehr Betroffene zu sein, doch das täuscht. Denn die<br />
verlangsamten Bewegungsabläufe, die mimische Starre und der verminderte<br />
Sprachfluss können den Eindruck geistiger Defizite vortäuschen, obgleich der<br />
Patient in intellektueller und seelischer Hinsicht (noch) weitgehend unauffällig<br />
ist.<br />
Kognitive Störungen können auch eine Depression nachahmen, weil nicht<br />
wenige Symptome ähnlich oder gar gleich sind bzw. von der Allgemeinheit so<br />
beurteilt und eingeordnet werden. Nun sind solche geistigen Defizite in der Tat<br />
eine große Belastung und manchmal muss der Patient unter kognitiven und<br />
depressiven Beeinträchtigungen zugleich leiden, doch kann man davon ausgehen:<br />
Nicht jeder geistig beeinträchtigte Parkinson-Kranke ist (deshalb) auch<br />
depressiv. Beides hängt – zumindest biologisch gesehen – nicht zwingend zusammen.<br />
Die Behandlung solcher Einbußen ist schwierig. Manche Parkinson-Mittel<br />
können kognitive Störungen verstärken und müssen deshalb mit besonderer<br />
Vorsicht eingesetzt werden. Auch die ältere Generation der (trizyklischen)<br />
Antidepressiva ist hier eher von Nachteil (falls beides zusammenfällt und antidepressiv<br />
behandelt werden muss). Die so genannten Antidementiva, die bei<br />
Demenz versucht werden und oftmals auch das Fortschreiten einer Geistesschwäche<br />
verlangsamen können, sind unter fachärztlicher Kontrolle ggf. gerechtfertigt.<br />
In manchen Fällen muss man allerdings Arzneimittel-Interaktionen<br />
beachten, also Wechselwirkungen zwischen Medikamenten, die<br />
beispielsweise ihre Nebenwirkungen verstärken.<br />
� Demenz<br />
Demenz heißt soviel wie Geistesschwäche. Nun sind aber geistige<br />
Fähigkeiten ein sehr komplexes Phänomen, bei dem man beispielsweise<br />
Intelligenz und Gedächtnisleistung unterscheiden muss. Einige Hinweise<br />
deshalb im Kasten.<br />
Intelligenz – Gedächtnis – Denkvermögen – Orientierung<br />
- Unter Intelligenz versteht man die Fähigkeit, abstrakt und vernünftig zu denken<br />
und damit ein zweckgerichtetes Handeln zu sichern. Man unterscheidet<br />
heute zwei Formen von Intelligenz: 1. die Prozesse der Informationsverarbeitung<br />
und des Denkens (Fachbegriff: fluide Intelligenz) und 2. die inhaltliche<br />
Ausgestaltung des Denkens (kristalline Intelligenz). Die fluide Intelli-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 44 -<br />
genz nimmt im Alter ab, während die auf Erfahrung beruhende kristalline<br />
Intelligenz relativ stabil bleiben kann.<br />
- Unter Gedächtnis versteht man die Fähigkeit, Erlerntes, Sinneswahrnehmungen<br />
und seelische Vorgänge im Gehirn zu speichern und diese Erinnerungen<br />
bei Bedarf abzurufen. Eine Gedächtnisschwäche betrifft zuerst die<br />
Merkfähigkeit, danach das Neu- oder Kurzzeit-Gedächtnis (speichert Informationen<br />
der letzten Sekunden bis Minuten) und zuletzt das Alt- oder Langzeit-Gedächtnis<br />
(dessen Inhalte jederzeit, bis hin zu Jahren oder Jahrzehnten<br />
abrufbar sind).<br />
- Unter Störungen des Denkvermögens fallen die Einschränkung der Fähigkeit<br />
zu vernünftigem Urteilen, die Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung<br />
und die Verminderung des Ideenflusses.<br />
- Orientierungsstörungen betreffen Raum, Zeit, Personen und aktuelle Ereignisse.<br />
Nach heutiger Definition ist Demenz eine so genannte kognitiv-intellektuelle<br />
Störung, bei der die Bereiche Gedächtnis, Denkvermögen und emotionale<br />
(gemütsmäßige) Kontrolle beeinträchtigt sind. Meist handelt es sich um den<br />
Verlust von intellektuellen Fähigkeiten, die im früheren Leben erworben wurden.<br />
Von einer Demenz spricht man dann, wenn diese Störungen ein Ausmaß<br />
erreicht haben, das zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten<br />
geführt hat und mehrere Monate andauert. Einzelheiten siehe Kasten.<br />
Demenz<br />
Störungen des Gedächtnisses, der Aufnahme und Wiedergabe neuerer Informationen,<br />
des Denkvermögens, der Fähigkeit zu vernünftigem Urteilen, der<br />
emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens und der Motivation. Verlust früher<br />
erlernter und vertrauter Inhalte, Verminderung des Ideenflusses und Beeinträchtigung<br />
der Informationsverarbeitung (nach ICD-10 der WHO).<br />
Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff Demenz meist schwersten Formen<br />
geistiger Störungen vorbehalten, die vor allem den Betroffenen in seiner beruflichen<br />
und häuslichen Tätigkeit, in seinen sozialen Alltagsaktivitäten sowie<br />
persönlichen Beziehungen erheblich beeinträchtigen. Im angelsächsischen<br />
Sprachgebrauch wird dies sehr viel weiter gefasst und betrifft schon leichtere<br />
intellektuelle und kognitive Leistungsdefizite, die bei uns als leichte kognitive<br />
Beeinträchtigungen bezeichnet werden. Einzelheiten dazu siehe das spezielle<br />
Kapitel über die Alzheimer-Demenz.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 45 -<br />
Die Wahrscheinlichkeit im Verlaufe einer Parkinson-Krankheit eines Demenz<br />
zu entwickeln liegt bei 20 bis 30%.<br />
Das Risiko steigt aber mit dem Alter der Patienten generell und der Parkinson-<br />
Kranken im Speziellen, so dass es<br />
- bei den unter 65-Jährigen jeden Zehnten<br />
- bei den 65 bis 75-Jährigen jeden Fünften<br />
- bei den über 75-Jährigen jeden Zweiten<br />
treffen kann.<br />
Bei Parkinson-Patienten, die vor dem 40. Lebensjahr erkrankten, wird das<br />
Risiko einer Demenz-Entwicklung im Alter geringer eingeschätzt.<br />
Die Parkinson-Demenz beginnt meist schleichend und wird relativ lange Zeit<br />
weder von den Betroffenen noch ihren Angehörigen bemerkt. Erst nach und<br />
nach werden in der Regel zuerst Verwandte, Freunde oder Bekannte darauf<br />
aufmerksam, vor allem jene, die nur von Zeit zu Zeit kommen und denen deshalb<br />
der schleichende Prozess der Geistesschwäche dadurch eher auffällt, als<br />
wenn man mit dem Patienten täglich zusammen ist.<br />
Wissenschaftlich gibt es eine „globale Verschlechterungsskala“ der Demenz<br />
(Fachbegriff: Global Deterioration Scale – GDS), nach der sich folgende<br />
Schweregrade unterscheiden lassen:<br />
1. Sehr leichte Ausprägung der kognitiven Störung, d.h. subjektive Klagen über<br />
Gedächtnisstörungen mit folgendem Schwerpunkt: Nichtwiederfinden von häufig<br />
gebrauchten Gegenständen und Vergessen von Namen. Bei gezielter Befragung<br />
lassen sich jedoch keine weiteren Gedächtnisstörungen erkennen, auch keine<br />
Veränderungen des beruflichen und sozialen Lebens.<br />
2. Leichte Ausprägung der kognitiven Störung, bei der erste erkennbare Defizite<br />
nachweisbar sind: Der Patient verirrt sich leicht, seine berufliche Leistungsfähigkeit<br />
nimmt ab. Es häufen sich Wort- und Namenfindungsstörungen, Beeinträchtigung<br />
der Merkfähigkeit und Konzentration. Immer öfter verliert oder verlegt er<br />
auch Gegenstände, die er nicht mehr wiederfindet.<br />
3. Mäßige Ausprägung der kognitiven Störung mit inzwischen deutlichen Defiziten<br />
bei Befragung: Jetzt ist der Patient auch über das aktuellen Geschehen schlecht<br />
informiert, lässt Erinnerungslücken erkennen, hat erhebliche Konzentrationsprobleme<br />
beim Rechentest u.a. Im Alltag nimmt die Fähigkeit, beispielsweise<br />
alleine zu verreisen oder das eigene Geld zu verwalten deutlich ab. Komplexe<br />
Aufgaben können nicht mehr allein ausgeführt werden. Der Patient selber ver-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 46 -<br />
drängt aber diese offensichtlichen Störungen und vermeidet es (mehr oder<br />
weniger gezielt), sich entsprechenden Situationen auszusetzen.<br />
4. Mittelgradige Ausprägung der kognitiven Störung im Sinne einer beginnenden<br />
Demenz: Jetzt ist der Patient auf Hilfe angewiesen, vergisst zunehmend wichtige<br />
Dinge des täglichen Lebens (z. B. Namen naher Verwandter, Telefonnummern<br />
von Angehörigen, den Namen seiner Schule oder Universität, Ausbildungsstätte<br />
oder Firma u.a.). Räumlich und zeitlich wird er immer desorientierter, d. h. er<br />
weiß nicht wo er sich befindet und kann die Tageszeit nicht mehr einschätzen.<br />
Auch macht er inzwischen Fehler beim Ankleiden (z. B. Vertauschen von<br />
Schuhen, Handschuhen u.a.) oder beim Verrichten bisher problemlos gemeisterter<br />
Tätigkeiten.<br />
5. Schwere kognitive Störungen im Sinne einer mittleren Demenz: Selbst kurz zurückliegende<br />
Ereignisse können nicht mehr erinnert werden. Es besteht nur noch<br />
eine ungenaue Erinnerung an die eigene Vergangenheit. Sogar an die Namen<br />
seines Ehepartners oder seiner Kindern kann sich der Kranke nur noch schwer<br />
oder gar nicht mehr erinnern. Die Umwelt nimmt er nicht mehr bewusst wahr.<br />
Selbst einfache Rechenaufgaben lassen sich nicht mehr lösen. Jetzt treten auch<br />
Störungen des Tag-/Nacht-Rhythmus sowie Angstreaktionen, seelisch-körperliche<br />
Unruhezustände und ggf. Sinnestäuschungen (z. B. des Hörens, Sehens,<br />
Schmeckens, Fühlens) auf.<br />
6. Sehr schwere kognitive Störungen im Sinne einer fortgeschrittenen Demenz: Der<br />
Parkinson-Patient ist unfähig, ein sinnvolles Gespräch zu führen. Meist bestehen<br />
auch Geh-Unfähigkeit, Urin- und sogar Stuhl-Inkontinenz.<br />
Diese dementielle Entwicklung hört sich beunruhigend bis furchterregend an.<br />
Dies gilt nicht nur für eine Parkinson-Erkrankung, dies gilt auch für jeden ansonsten<br />
gesunden Menschen, der ja ab einem gewissen Alter ebenfalls mit<br />
einer solchen Geistesschwäche rechnen muss, zumindest rein statistisch gesehen.<br />
Einzelheiten dazu, insbesondere was die beiden Aspekte<br />
- „gutartige oder normale Altersvergesslichkeit“ anbelangt sowie die<br />
- so genannte „depressive Pseudo-Demenz“<br />
siehe die entsprechenden Kapitel über Alzheimer und Depressionen.<br />
Die Kenntnis über solche möglichen Einbußen ist nie falsch, überzogene<br />
Befürchtungen hingegen sehr wohl. Letztere können aber schlecht gesteuert<br />
werden, vor allem wenn man zu übertriebener Selbstbeobachtung oder gar<br />
hypochondrischen Befürchtungen neigt. Und so gibt es auch Parkinson-<br />
Patienten, die subjektiv das Gefühl geistiger Beeinträchtigung haben und<br />
schließlich in einer Art Teufelskreis auch immer häufiger jene Fehler machen,<br />
vor denen sie sich am meisten ängstigen – jedoch ohne dass man in einer<br />
neuropsychologischen Untersuchung entsprechende Hinweise findet. Hier gilt<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 47 -<br />
es seinen Arzt zu konsultieren, der dann ggf. einen Facharzt, nämlich Psychiater<br />
oder Geronto-Psychiater empfiehlt, um hier unnötige Befürchtungen gar<br />
nicht erst aufkommen zu lassen.<br />
Da aber die meisten Parkinson-Patienten ohnehin in nervenärztlicher, d. h.<br />
psychiatrisch-neurologischer Behandlung stehen, sollten entsprechende Befürchtungen<br />
früh gestanden und dann auch ausgeräumt oder objektiviert werden,<br />
wobei man bei Letzterem dann gezielt etwas tun kann.<br />
Es muss allerdings auch eingestanden werden, dass die erwähnten leichteren<br />
kognitiven Beeinträchtigungen ein erhöhtes Risiko für eine spätere Demenzentwicklung<br />
darstellen. Doch kann eine wirkliche Demenz erst dann angenommen<br />
werden, wenn die geistige Bewältigung der beruflichen und sozialen<br />
Aufgaben deutlich eingeschränkt und die persönlichen Beziehungen, insbesondere<br />
die Alltagsaufgaben spürbar beeinträchtigt sind.<br />
Doch muss dies alles über längere Zeit, d. h. mindestens ein halbes Jahr andauern.<br />
Ansonsten könnte es sich nämlich um die erwähnte „depressive<br />
Pseudo-Demenz“ handeln, die aber „lediglich“ auf einer Depression beruht,<br />
die nach einiger Zeit wieder zurückgeht und damit auch die depressionsbedingte<br />
Demenz. Einzelheiten dazu, insbesondere was die Unterscheidung<br />
zwischen Demenz und depressiver Pseudo-Demenz anbelangt, siehe<br />
wiederum die beiden Kapitel über Alzheimer-Demenz und Depressionen.<br />
Die Therapie dementieller Symptome hängt von der Art der Demenz ab. Demenzen<br />
können organische Ursachen haben (z. B. chronische Mangelversorgung des<br />
Gehirns durch Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Zucker<strong>krankheit</strong>, Schilddrüsen-<br />
Funktionsstörungen, Vitaminmangel), sie können auf einen Hirntumor, eine Hirnblutung<br />
u.a. zurückgehen. Dies alles ist aber relativ schnell erkennbar und wird dann<br />
gezielt behandelt, das heißt die Ursache und damit indirekt die Demenz-Folgen.<br />
Bei einer Parkinson-bedingten Demenz müssen Hausarzt, Nervenarzt bzw. Psychiater<br />
und Neurologe eng zusammenarbeiten. Einzelheiten dazu siehe die entsprechende<br />
Fachliteratur. Einige Hinweise aber seien schon hier gegeben:<br />
– Manche Parkinson-Medikamente können geistige Störungen verstärken oder bahnen.<br />
Diese müssen dann gegen solche ausgetauscht werden, die in dieser Hinsicht<br />
nicht noch zusätzlich beeinträchtigen.<br />
Manche Ärzte befürworten so genannte Nootropika, also Substanzen, die die<br />
Gehirnfunktionen über spezielle biologische Mechanismen verbessern (das geht von<br />
Ginkgo-Trockenextrakten bis zu spezifischen Arzneimitteln).<br />
Neuere Erkenntnisse stellen die Azetylcholinesterase-Hemmer zur Diskussion, die<br />
dann allerdings dauerhaft gegeben werden müssen, leider aber auch Nebenwirkungen<br />
haben, die gerade den Parkinson-Patienten belasten (z. B. den Tremor, das<br />
Zittern verstärken). Hält sich dies jedoch in Grenzen, kann sich ein Versuch lohnen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 48 -<br />
Ähnliches gilt für die Kalziumantagonisten sowie weitere antidementiv (gegen die<br />
Geistesschwäche wirkende) Medikamente aus der neueren Forschung.<br />
Zu den nicht-medikamentösen Maßnahmen gehören besonders die Aufklärung und<br />
gezielte Informationen über die Art der Erkrankung und den zu erwartenden Verlauf.<br />
Hier gilt es vor allem einen Fehler zu vermeiden: das verschämte oder einfach durch<br />
reine Mutlosigkeit und Ängstlichkeit gebahnte Verschweigen der Folgen einer beginnenden<br />
Demenz in Kombination mit der Parkinson-Krankheit.<br />
Dies betrifft nicht nur Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen und Bekannte, selbst die<br />
Ärzte vermeiden es in der Regel, offen über die Geistesschwäche und ihre Folgen im<br />
Alltag zu sprechen, es sei denn, die Beeinträchtigungen haben jenen Grad erreicht,<br />
der keine andere Wahl mehr lässt. Dann steigen aber auch die Risiken und der Mut<br />
zur Aufklärung wächst in jenem Maße, wie man vom dem Patienten keine entsetzte,<br />
erboste oder gar wütende Reaktion mehr befürchten muss. Diese Verzögerungstaktiken<br />
aber sind problematisch, jeder weiß es, doch die Realität spricht eine deutliche<br />
Sprache.<br />
Als erstes gilt es also die Diagnose zu sichern und dann konsequent und ungeschönt<br />
(wenngleich mit aller Rücksichtsnahme) auf den fortschreitenden Prozess hinzuweisen,<br />
gleichzeitig aber die therapeutischen Möglichkeiten aufzuzählen und einzuleiten.<br />
Einzelheiten dazu wiederum der Hinweis auf das entsprechende Kapitel über die<br />
Alzheimer-Demenz und die Alzheimer-Pflege. In diesem Rahmen nur folgende<br />
Einschränkungen oder Bedenken: Das mit Recht empfohlene Gedächtnistraining<br />
(„Hirn-Jogging“) kann vorübergehend durchaus wirksam sein. Es kann aber auch<br />
seine Grenzen haben, vor allem wenn der Patient und seine Angehörigen mehr<br />
erwartet haben. Einerseits sollte man nicht zu früh aufgeben und allzu viel erhoffen,<br />
andererseits aber hat so manches sein Limit, besonders wenn Frustrationen, Niedergeschlagenheit<br />
und Verzweiflung überhand nehmen, weil selbst intensive Trainingsmaßnahmen<br />
offensichtlich wenig bringen.<br />
Hier gilt es einen Mittelweg zu beschreiten, der aber nicht eigenmächtig, d. h. ohne<br />
den Rat der zuständigen Experten verfolgt werden darf. Denn vor allem die Faktoren<br />
„Ungeduld“ und „verfrühte Resignation“ sind der Feind eines jeden Behandlungserfolgs,<br />
auch wenn sich dieser „lediglich hinter dem Komma bewegt“. Zu frühe Aufgabe<br />
kann deshalb den „freien Fall in die Hoffnungslosigkeit“ nur beschleunigen,<br />
während sich „zäher Widerstand durchaus auszahlt“ (alles Zitate).<br />
Scheinbar weniger anspruchsvoll, aber durchaus wirksam sind künstlerisch-expressive<br />
Therapieformen wie Musik, Malen, ja Tanz, die zu den psychosozial stabilisierenden<br />
Maßnahmen gehören, auch wenn alle diese Behandlungsangebote gerade<br />
durch das typische Parkinson-Beschwerdebild oft erheblich erschwert werden.<br />
Wichtig sind auch die speziellen Institutionen wie Selbsthilfegruppen, Sozialdienste<br />
u.a., um Erfahrungen und Hilfestellungen im Umgang mit Demenz-Kranken zu erlangen.<br />
Einzelheiten dazu siehe das ausführliche Kapitel über die Demenz-Betreuung<br />
(Kapitel Alzheimer-Pflege), wo es nicht nur um die Patienten, sondern auch um die<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 49 -<br />
pflegenden Angehörigen geht (eigene Lebensgestaltung nicht zu sehr einschränken!).<br />
� Depressionen<br />
Depressionen gehören inzwischen nicht nur zu den häufigsten seelischen Störungen<br />
in der Allgemeinbevölkerung, sie belasten auch zwischen 30 bis 70%<br />
aller Parkinson-Patienten zusätzlich mit dieser quälenden seelischen Störung<br />
(im Schnitt fast jeden Zweiten).<br />
Drei Aspekte sind besonders bedeutsam:<br />
1. Gemütsstörungen (Fachbegriff: affektive Symptome) äußern sich bei etwa<br />
20 % der depressiven Parkinson-Betroffenen bereits mehrere Jahre vor den<br />
ersten Bewegungs-Einschränkungen, die schließlich zur Diagnose einer<br />
Parkinson-Krankheit führen.<br />
Damit ist die Depression bei jedem fünften Parkinson-Patienten eine der<br />
wichtigsten Früh-Hinweise, und zwar lange, bevor man an einen Morbus<br />
Parkinson zu denken pflegt.<br />
Patienten mit einem depressiven und Angst-Beschwerdebild, das sich länger<br />
als üblich hinzieht und früher eigentlich nie belastete, sollten deshalb im<br />
Verlaufe ihrer Gemüts<strong>krankheit</strong> sorgfältig von einem Facharzt (Psychiater,<br />
Neurologe, Nervenarzt) auch auf mögliche motorische Phänomene (siehe<br />
die Erst-Hinweise für eine Parkinson-Krankheit) hin beobachtet werden.<br />
Das kann sich zwar lange und erst einmal unergiebig hinziehen, hat aber<br />
letztlich einen hohen Stellenwert, was Früherkennung und rechtzeitigen<br />
Therapiebeginn anbelangt.<br />
2. Zwischen einer Parkinson-Erkrankung und Depression besteht weder zur<br />
Dauer noch zur Schwere des neurologischen Leidens eine direkte Beziehung<br />
(z. B. depressiver durch besonders hinderliche Bewegungseinschränkungen),<br />
so dass man die Depression nicht nur als depressive Reaktion auf<br />
das neurologische Leiden deuten kann. Es muss eine organische Ursache<br />
vorliegen, die für beide Leiden zugleich verantwortlich ist, z. B. eine bestimmte<br />
Störung der Gehirn-Botenstoffe (siehe später).<br />
3. Trotz Häufigkeit (jeder Zweite – s. o.) und schwerwiegender Zusatzbelastung<br />
sind Depressionen gerade bei Parkinson-Patienten offensichtlich<br />
unterversorgt, was das rechtzeitige Erkennen, das durch entsprechendes<br />
Wissen, fundierte Verstehen, gezielte Behandeln und fachgerechte<br />
Betreuen anbelangt.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 50 -<br />
Oder konkret: Wer zu seiner Parkinson-Erkrankung noch eine Depression<br />
entwickelt, ist nicht nur doppelt belastet, sondern auch meist nicht adäquat<br />
versorgt, was die heutigen medikamentösen, psycho- und soziotherapeutischen<br />
Möglichkeiten anbelangt.<br />
Gibt es nun Unterschiede im Beschwerdebild depressiver Symptome bei Parkinson-Patienten<br />
im Vergleich zu depressiven Zuständen bei „reinen“, also nur<br />
als Depression auftretenden Gemütsstörungen?<br />
Dazu wäre es gut, wenn man die entsprechenden Kapitel in dieser Serie über<br />
Depressionen studieren würde, insbesondere die Abschnitte über das Beschwerdebild,<br />
was gerade bei diesem Leiden zum Vielfältigsten gehört, was<br />
einem Menschen <strong>krankheit</strong>sbedingt aufgebürdet werden kann. Nachfolgend<br />
nur einige Stichworte im Kasten, wie sie offiziell (gemäß ICD-10 der WHO) angeführt<br />
werden.<br />
Depressives Syndrom nach ICD-10<br />
- Hauptsymptome: depressive Stimmung, Verlust an Interesse und Freude,<br />
Verminderung des Antriebs und erhöhte Ermüdbarkeit.<br />
- Weitere Kennzeichen: Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, vermindertes<br />
Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Schuld und<br />
Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Schlafstörung,<br />
Appetitmangel, Selbsttötungsgedanken u.a.<br />
Darüber hinaus unterscheidet man – gerade bei depressiven Parkinson-Patienten<br />
– auch die gehemmte und agitierte (unruhig-gespannte) Depression. Im<br />
Vergleich zu den „reinen“ Depressions-Zuständen ist die Parkinson-Depression<br />
– zumindest nach außen – offenbar milder ausgeprägt.<br />
Erste Hinweise sind aber auch hier uncharakteristische Klagen wie Appetitmangel,<br />
Gewichtsabnahme, Verstopfung, Müdigkeit, Schlafstörungen, körperliche<br />
Missempfindungen, undefinierbare Schmerzbilder, Merk- und Konzentrationsstörungen<br />
u.a.<br />
Die nahe liegende Frage, was weist eher auf eine <strong>parkinson</strong>-bedingte Depression<br />
bzw. mehr auf eine „reine“ Depression im Rahmen einer affektiven (Gemüts-)Störung<br />
hin, wird im Allgemeinen wie folgt beantwortet:<br />
- Parkinson-Depressive leiden eher unter Dysphorie (missgestimmt-reizbar),<br />
sind leichter irritierbar (durcheinander zu bringen), eher traurig, pessimistisch<br />
und von Suizidgedanken gequält.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 51 -<br />
- Depressive im Rahmen einer affektiven Störung sind besonders betroffen<br />
von einer nicht nur seelisch, sondern auch regelrecht körperlich empfundenen<br />
Niedergeschlagenheit („körperlich traurig“), ferner von Hoffnungslosigkeit,<br />
Angst-, Schuld-, Bestrafungs- und Versagensgefühlen, von Verzweiflung,<br />
innerer Leere, Problem-Grübeleien mit Gedankenkreisen, wenn nicht<br />
gar zusätzlich von inhaltlichen Denkstörungen (Wahn) und Wahrnehmungsstörungen<br />
(Sinnestäuschungen), was dann gesamthaft auch eher zu Suizidhandlungen<br />
führen kann.<br />
Zur Unterscheidung fragt der erfahrene Arzt vor allem nach subjektiv erlebten<br />
Beeinträchtigungen und findet<br />
- bei rein depressiv Erkrankten insbesondere ein Gefühl der Gefühllosigkeit,<br />
der inneren Leere, der Hoffnungslosigkeit sowie den Verlust der<br />
Fähigkeit, Freude zu empfinden (obgleich es an freudigen Ereignissen<br />
nicht mangelt).<br />
- Bei den depressiven Parkinson-Patienten dagegen einen wachsenden<br />
Motivations- und Antriebsverlust sowie Partnerschaftsprobleme, insbesondere<br />
die Furcht, vom gesunden Partner abhängig und damit letztlich<br />
für den Rest des Lebens hilflos ausgeliefert zu sein.<br />
Tagesschwankungen drohen bei beiden Krankheitsbildern gleich häufig, am<br />
ehesten die gedrückte Stimmung am Morgen, die sich erst nachmittags oder<br />
abends aufzuhellen beginnt (Morgentief, „Morgengrauen“).<br />
Die Depression bei Parkinson-Patienten kann vor allem an akinetische<br />
Phasen (der Bewegungsverlangsamung bzw. gar Bewegungslosigkeit)<br />
gebunden sein, aber auch unabhängig von der Bewegungseinschränkung<br />
chronisch oder phasenhaft verlaufen. Schwere Parkinson-Depressionen treten<br />
eher beim akinetisch-rigiden Typ als beim Äquivalenztyp auf, wo sich keine<br />
Symptom-Schwerpunkte finden.<br />
Zur Erinnerung: Wenn Akinese und Rigor, also Bewegungseinschränkung und<br />
wachsartiger Widerstand bei passiver Bewegung beispielsweise der Arme das<br />
Krankheitsbild beherrschen, nennt man es einen akinetisch-rigiden Typ, auch<br />
Akinese-Rigor-dominantes Parkinson-Syndrom genannt. Wenn Tremor (Zittern),<br />
Akinese und Rigor annähernd gleich ausgeprägt sind, wird dies als Äquivalenztyp<br />
bezeichnet.<br />
Parkinson-Patienten äußern häufiger Suizidgedanken als andere Menschen<br />
(siehe oben), wobei schwer depressiv Erkrankte anderer Ursachen aber offenbar<br />
schneller Hand an sich legen. Immerhin sind es bei den Parkinson-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 52 -<br />
Depressiven auch rund 5%, die sich in ihrer Verzweiflung schließlich selber<br />
das Leben nehmen.<br />
Besonderheiten bei der Parkinson-Depression<br />
Wie erwähnt hängt der Schweregrad des depressiven Zustandes in den meisten<br />
Fällen nicht mit dem Schweregrad und der Dauer der Parkinson-Krankheit<br />
zusammen. Depressive Verstimmungen können in einem fortgeschrittenen<br />
Parkinson-Stadium sogar wieder zurücktreten. Ja, sie können – zumindest<br />
durch die immer mehr auch den Alltag beeinträchtigenden Parkinson-<br />
Syndrome – scheinbar völlig zurückgedrängt werden.<br />
Ohne direkten Zusammenhang mit der Parkinson-Krankheit kann sich eine<br />
Depression auch in späteren Lebensabschnitten entwickeln, was man dann<br />
eine Altersdepression nennt. Das ist in der Regel eine mehrschichtige Depression<br />
aus reaktiven Anteilen (z. B. zunehmende Verlusterlebnisse wie Tod<br />
naher Angehöriger oder Freunde, zermürbt durch Krankheiten u.a.), gehirnorganische<br />
oder sonstige körperliche Ursachen und vielleicht auch aus endogenen<br />
(biologischen, z. B. erblichen) Anteilen, die erst im 3. Lebensalter<br />
durchschlagen. Tritt hier eine Parkinson-Depression hinzu, wird das<br />
Leidensbild noch vielschichtiger und natürlich quälender.<br />
Was die Parkinson-Depression anbelangt, so wird sie meist deshalb so lange<br />
nicht erkannt,<br />
- weil man sie anfangs als „alltägliche Befindensschwankungen“ einzustufen<br />
pflegt,<br />
- weil die Betroffenen selber sie zu verbergen suchen wo immer es geht,<br />
- weil die Parkinson-Krankheit in der Tat manche Symptome aufweist, die<br />
auch bei reiner Depression vorkommen, jetzt aber der vom Arzt diagnostizierten<br />
Parkinson-Krankheit zugeschrieben werden. Beispiele: psychomotorische<br />
Verlangsamung (seelisch und schließlich auch körperlich wie<br />
blockiert), mimische Starre (Einzelheiten siehe das Depressionskapitel) und<br />
die Unfähigkeit, seine Gefühle nicht mehr adäquat vermitteln zu können.<br />
Was spielt nun eine besonders nachteilige Rolle, vor allem mittel- und langfristig<br />
(was ja besonders bei einer fortschreitenden Parkinson-Krankheit zu erwarten<br />
steht)? Am häufigsten beklagt werden bei der Parkinson-Depression<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 53 -<br />
- Verstärkung der psychosozialen Krankheitszeichen und zwischenmenschlichen,<br />
beruflichen und sonstigen Folgen durch Stress aller Art, vor allem<br />
aufgrund körperlicher Einschränkungen<br />
- reduzierter Antrieb, verringerte Motivation<br />
- Ängstlichkeit wegen Hilflosigkeit<br />
- Unsicherheit im sozialen Umgang<br />
- Partnerschaftsprobleme<br />
Hier geht es insbesondere um den Faktor: öffentlich sichtbare Behinderung,<br />
Einschränkung und damit Rückzug und Isolationsgefahr.<br />
Biologische Ursachen<br />
Als biologische Ursachen für die Parkinson-Depression werden Verschiebungen<br />
im Gehirnstoffwechsel angenommen, am ehesten Neurotransmitter-<br />
Defizite, also je nach Gehirnlokalisation örtlich bedeutsame Einbußen an bestimmten<br />
Botenstoffen (Fachbegriffe: degenerative Veränderungen in den<br />
katecholaminergen Neurotransmitter-Systemen).<br />
Was kann man tun?<br />
Wenn es sich um eine Parkinson-Depression handelt, wird man als erstes das<br />
Parkinson-Syndrom medikamentös einzustellen versuchen. In dem Maße, wie<br />
dies gelingt, wird auch die <strong>parkinson</strong>-bedingte Depression zurückgehen.<br />
Daneben kann aber auch eine gezielte antidepressive Pharmakotherapie nötig<br />
werden. Einzelheiten dazu siehe die spezielle Fachliteratur, wobei die behandelnden<br />
Ärzte folgende Aspekte berücksichtigen:<br />
1. Welches Antidepressivum bietet sich an, beispielsweise aus der älteren<br />
Generation oder neuere Produkte? Denn hier spielen vor allem Faktoren<br />
wie Nebenwirkungs-Belastung und Wechselwirkungen mit den Parkinson-<br />
Medikamenten eine wichtige Rolle.<br />
2. Gibt es außer antidepressiven auch noch andere Arzneimittel, die zur<br />
Stimmungsstabilisierung versucht werden können (z. B. Johanniskraut,<br />
Beruhigungsmittel vom Typ der Benzodiazepine, sedierende, leicht<br />
stimmungsstabilisierende mittelpotente Neuroleptika bzw. auch<br />
Phasenprophylaktika mit langfristigem Einsatz, z. B. Lithiumsalze). Oder<br />
möglicherweise die antidepressive Wirkung neuerer Arzneimittel aus der<br />
Gruppe der so genannten Dopamin-Agonisten (Einzelheiten siehe<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 54 -<br />
Spezialliteratur). Und als allerletzte Möglichkeit, die man allerdings nicht<br />
gering schätzen sollte, wenn alles andere versagt hat, eine<br />
Elektrokrampftherapie.<br />
Genauso wichtig, wenngleich für das Umfeld sicher belastender, mühsamer und nicht<br />
immer auf den ersten Blick so erfolgreich wie erhofft, sind nicht-medikamentöse,<br />
insbesondere psychagogische Maßnahmen, also eine Kombination aus<br />
Psychotherapie und alltags-bezogenen Trainingsmaßnahmen (Fachbegriff: Psychoedukation)bei<br />
Parkinson-Patienten im Allgemeinen und Parkinson-Depressiven im<br />
Speziellen.<br />
Denn als Parkinson-Betroffener und mit einer zusätzlichen Schwermut noch viel<br />
mehr benötigt der Patient ein hohes Maß an persönlicher Zuwendung. Gerade diese<br />
Kranken müssen besonders ernst genommen werden, was ihre Niedergeschlagenheit,<br />
Mutlosigkeit, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, was ihre Minderwertigkeitsgefühle,<br />
Zukunftsängste, ihre scheinbare Freudlosigkeit, Energielosigkeit, ihre Denkstörung,<br />
Verlangsamung, Entscheidungsunfähigkeit, innere Leere u.a. anbelangt. Das heißt,<br />
man muss sie stärker als bisher in das Familiengeschehen einbeziehen, darf sie<br />
praktisch nie (seelisch) allein lassen und muss ihnen ständig den Eindruck vermitteln,<br />
dass sie für alle Angehörigen wichtig geblieben sind, auch in ihrer seelischkörperlichen<br />
und psychosozialen Behinderung.<br />
Ob man ihnen einen ungebührlichen Schonrahmen zubilligen soll, hängt von ihrer<br />
Belastbarkeit, ihrer (früheren) Stellung im Familienverbund, von ihrer Wesensart und<br />
weiteren Faktoren ab. Doch in einer tiefen Depression wird man sie wohl eher<br />
schonen müssen. Denn die Reaktion ist Verzweiflung ohne Fähigkeit zu (früher vielleicht<br />
problemlos möglichen) Gegenmaßnahmen. Das heizt einen Teufelskreis an.<br />
Zur gezielten Psychoedukation zählen deshalb<br />
Verständliche Aufklärung (biologische Aspekte wie Anatomie, physiologische<br />
Normalverläufe im Gehirn, also Ursachen, Dauer, Verlauf sowie medikamentöse<br />
Behandlungsmöglichkeiten)<br />
- Maßnahmen zur positiven Lebensbewältigung auf allen Ebenen<br />
- Möglichkeiten zur Stressbewältigung<br />
- Hinweise zur Erhaltung der Selbständigkeit<br />
- Einbeziehung der Angehörigen (die die wichtigsten Ko-Therapeuten, also nicht nur<br />
Mitbetreuer, sondern letztlich auch Mitbehandler sind und bleiben)<br />
- Notwendigkeit von Freizeitaktivitäten<br />
- Hinweise auf Selbsthilfegruppen<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 55 -<br />
Und schließlich noch etwas, das den Angehörigen vielleicht manchmal schwer fällt<br />
oder im langwierigen Verlauf „wegschmilzt“, nämlich die Vermittlung von Hoffnung:<br />
Dass sich dieser Zustand unter der modernen Medikation bessern wird (neue Substanzen<br />
sind in Entwicklung), damit vor allem die Neigung zu Rückzug und Isolation<br />
gebremst wird, was am Ende nicht nur seelische und psychosoziale, sondern auch<br />
körperliche Konsequenzen haben kann. Beispiele: nicht ausreichend Flüssigkeit und<br />
Nahrung zu sich nehmen, erhöhte Verletzungsgefahr, Vernachlässigung wenn nicht<br />
gar Verwahrlosung mit allen Folgen. Also: Hoffnung aufrechterhalten und damit einer<br />
gefährlichen Resignation und Gleichgültigkeit entgegen wirken.<br />
� Angststörungen<br />
Angststörungen sind im Begriff die andere Form der Gemütsstörungen, die<br />
Depressionen zahlenmäßig einzuholen. Einzelheiten siehe das spezielle<br />
Kapitel über Angststörungen (Generalisiertes Angstsyndrom, Panikattacken<br />
sowie Phobien, z. B. Agoraphobie, Sozialphobie, spezifische Phobien u.a.).<br />
So nimmt es nicht Wunder, dass Angststörungen auch beim Parkinson-<br />
Syndrom immer häufiger diagnostiziert und glücklicherweise auch erfolgreich<br />
therapiert werden (können).<br />
Man vermutet, dass sowohl im Gefolge einer Depression als auch unabhängig<br />
davon bis zu 40% der Parkinson-Patienten eine Angststörung entwickeln. Sie<br />
kann an eine Off-Phase (also einen plötzlichen Wechsel von ausreichender<br />
Beweglichkeit zu schockierender Unbeweglichkeit) gebunden sind oder auch<br />
unabhängig von Fluktuationen (Schwankungen der Beweglichkeit – siehe<br />
später) auftreten.<br />
Wenn sich die Angststörungen ganz besonders qualvoll verdichten, handelt es<br />
sich um eine Panikattacke, also eine überfallartige Angststörungen extremen<br />
Ausmaßes (s. u.).<br />
Dabei gilt es zwischen Angst und Furcht zu unterscheiden:<br />
– Furcht hat man vor etwas, also Krankheit, Schicksalsschlag, sonstige<br />
Belastungen. Furcht kann quälend werden, aber man weiß wenigstens,<br />
wovor man Furcht hat (im Volksmund der Einfachheit halber auch als Angst<br />
bezeichnet).<br />
– Angst hingegen ist ein unangenehmer gemütsmäßiger Zustand mit meist<br />
physiologischen Begleiterscheinungen (Zittern, Schweißausbrüche, Herzrasen,<br />
weiche Knie), hervorgegangen aus einem Gefühl der Bedrohung,<br />
dass entweder konkret oder nicht objektivierbar ist.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 56 -<br />
Furcht hat der Parkinson-Patient vor vielerlei Folgen: seelisch, körperlich,<br />
psychosozial, was seine Krankheit an Problemen aufwirft. Beispiele: Die gefürchteten<br />
Bewegungsblockaden (Freezing – siehe später) oder Stürze oder<br />
die Ungewissheit vor dem weiteren Krankheitsverlauf, vor einer drohenden<br />
Pflegebedürftigkeit, von einem völlig hilflosen Ende ganz zu schweigen.<br />
Die Angst bzw. die Angststörungen bei Parkinson-Patienten können – wie die<br />
Depressionen auch – endogener Ursache sein, d. h. biologisch, im Gehirnstoffwechsel<br />
verankert, so wie man heute die Angststörungen (auch ohne<br />
Parkinson-Erkrankung) wissenschaftlich erklärt.<br />
Die wichtigsten Angststörungen sind wie bereits erwähnt:<br />
1. Das Generalisierte Angstsyndrom (früher Angstneurose genannt): allgemeiner<br />
krankhafter Angstzustand, d. h. dauerhafte und vor allem unangemessene exzessive<br />
Befürchtungen, Grübeleien oder Sorgen um ein oder mehrere Lebensbereiche<br />
(z. B. Arbeit, Finanzen, Partnerschaft, „allgemein grüblerisch“ oder<br />
Krankheiten). Diese ständige Sorgenbereitschaft ist nicht zu kontrollieren bzw.<br />
einzudämmen. Typisch sind ständig erhöhte Erregung, Nervosität, Anspannung,<br />
Überwachheit und zahlreiche vegetative Beschwerden.<br />
2. Paniksyndrom (Panikstörung, Panikattacken, Panikzustände, Angstattacken):<br />
plötzlicher, meist „spontaner“, vor allem aber überfallartiger und schwerer Angstanfall<br />
ohne äußerlichen Anlass oder nachvollziehbare Ursache mit einer Vielzahl<br />
körperlicher und seelischer Symptome und dem Gefühl drohender Gefahr: Herzrasen,<br />
Herzstolpern, Atemnot, Würgegefühl im Hals, Schmerzen oder Unwohlsein<br />
in der Brust, Schweißausbrüche, schwindelige Benommenheit, Übelkeit,<br />
weiche Knie oder Beine, zittrig, allgemeines Schwächegefühl, vielleicht sogar die<br />
Furcht verrückt zu werden oder sterben zu müssen.<br />
3. Phobien sind abnorme, sich entgegen besserer Einsicht zwanghaft aufdrängende<br />
Angstzustände. Man unterscheidet<br />
- Agoraphobie: früher ausschließlich die Angst vor weiten Plätzen und Straßen<br />
(„Platzangst“), heute vor allem die Angst und damit das Vermeiden von Situationen,<br />
in denen es besonders wahrscheinlich, unangenehm oder gefährlich<br />
sein könnte, einen Angstanfall zu bekommen: große oder enge Räume, Tunnel,<br />
Pkw, Tiefgaragen, Menschenmengen, Warteschlangen u.a.<br />
- Sozialphobie: „Angst vor anderen Menschen“, auch als „Versagensangst“ bezeichnet.<br />
Dauerhafte und angemessene Furcht vor anderen (z. B. lächerlich<br />
gemacht, gedemütigt und beschämt zu werden - auch wenn kein Grund vorhanden<br />
ist) und damit Rückzug und Isolationsgefahr.<br />
- Spezifische Phobien: längerfristige, unangemessene und exzessive Ängste<br />
vor bestimmten Situationen, Gegenständen, Lebewesen u.a.: Türme, Berge,<br />
Gewitter, Dunkelheit, Flugreisen, Tiere usw.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 57 -<br />
Spezielle Parkinson-Ängste finden sich vor allem in Phasen schlechter<br />
Beweglichkeit (Off-Phasen – siehe oben) und können sich dabei bis zu<br />
Panikattacken steigern.<br />
Therapeutisch fördert man hauptsächlich Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung,<br />
insbesondere verhaltenstherapeutisch orientiert sowie stützende Psychotherapieverfahren.<br />
Bei den an die Off-Phasen (plötzliche Beweglichkeits-<br />
Einschränkungen) gebundenen Angstzuständen (im Grunde eine Mischung<br />
aus Angst und nachvollziehbarer Furcht) steht die optimierte medikamentöse<br />
Parkinson-Behandlung im Vordergrund.<br />
Führt dies nicht zum Erfolg oder treten auch außerhalb von Beweglichkeits-Einschränkungen<br />
Angststörungen auf, empfiehlt sich die Gabe von angstlösenden Psychopharmaka<br />
(Fachbegriff: Anxiolytika), was im Einzelfall Tranquilizer (Beruhigungsmittel)<br />
vom Typ der Benzodiazepine sein können, meist aber spezielle Antidepressiva<br />
der neuen Generation (in der Regel vom Typ der so genannten SSRI-<br />
Antidepressiva).<br />
� Psychosen<br />
Eine Psychose ist eine Seelen- bzw. Geistes<strong>krankheit</strong>, so die frühere Definition,<br />
die schon damals nicht sehr trennscharf war. Das hat sich nicht gebessert,<br />
im Gegenteil: Heute versucht man den Begriff „Psychose“ möglichst zu<br />
umgehen und durch „Störung“ zu ersetzen, was sich aber nicht befriedigend<br />
realisieren lässt. Deshalb hört man immer häufiger die Bezeichnungen „psychotisch“<br />
bzw. psychotische Störung. Meist handelt es sich um eine seelische<br />
Erkrankung, die teils durch erkennbare Organ- oder Gehirn<strong>krankheit</strong>en hervorgerufen<br />
wird und dann nachvollziehbar ist oder durch einen krankhaften<br />
Gehirnstoffwechsel erklärt werden kann (endogene Psychose, vor allem die<br />
schizophrene Psychose).<br />
Auf jeden Fall steht im Vordergrund einer solchen Psychose das, was die Experten<br />
einen gestörten Realitätsbezug und mangelnde Einsichtfähigkeit nennen. Konkret:<br />
Verwirrtheitszustände, schwere Gemütsstörungen (z. B. Depression oder manische<br />
Hochstimmung), Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen u.a.<br />
Psychosen werden - wie erwähnt - noch immer in exogene (auch organische oder<br />
symptomatische) Psychosen eingeteilt, wobei die häufigsten Ursachen Schädel-Hirn-<br />
Unfälle, internistische (also nicht Gehirn-)Stoffwechselstörungen, Infektionen, Arzneimittel,<br />
Rauschdrogen oder andere Gifte sind. Bei älteren Menschen mit ihrer gehäuften<br />
Sturzneigung kann es auch einmal eine Gehirnblutung sein.<br />
Endogene, also von „innen“ kommende Psychosen sind schwere Gemütsstörungen<br />
(die erwähnten Depressionen und manischen Hochstimmungen) oder wahnhafte<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 58 -<br />
Erkrankungen (paranoide Psychosen, wenn Sinnestäuschungen dazukommen paranoid-halluzinatorische<br />
Psychosen). Hier handelt es sich um die bereits erläuterten<br />
Störungen im Gehirn-Stoffwechsel (so genannte Botenstoffe oder Neurotransmitter).<br />
Immer häufiger werden auch die Kombinationen aus verschiedenen seelischen<br />
Störungen, z. B. Angst-Depressionen oder schizo-affektive Psychosen (bei denen<br />
Schizophrenie, Depression oder manische Hochstimmung zusammen bzw. kurz<br />
hintereinander belasten).<br />
Psychotische Episoden, also kurzfristige Verwirrtheitszustände mit Sinnestäuschungen<br />
und wahnhaften Reaktionen gehörten schon immer zu den schwierigsten<br />
Langzeitproblemen einer Parkinson-Krankheit, insbesondere bei älteren<br />
Patienten im Allgemeinen und solchen mit fortgeschrittenem Parkinson-<br />
Stadium im Speziellen. Seit Einführung der ja an sich segensreichen<br />
Parkinson-Behandlung mit L-Dopa und den Dopamin-Agonisten (siehe später)<br />
werden sie sogar vermehrt beobachtet (Fachbegriffe: pharmakogene, also<br />
medikamentös ausgelöste Psychosen).<br />
Eine verstärkte Psychose-Anfälligkeit droht durch zusätzliche Demenz (Geistesschwäche,<br />
z. B. Alzheimer-Krankheit, siehe diese), schwere körperliche<br />
Leiden, mangelnde Flüssigkeitszufuhr und fieberhafte Infekte.<br />
Wie äußert sich nun eine Psychose im Rahmen einer Parkinson-Krankheit?<br />
Meist beginnt es mit ängstlicher Unruhe, mit Schlafstörungen nachts und<br />
Dösigkeit am Tag (Fachbegriff: Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus) mit lebhaften<br />
Träumen, wenn schließlich einmal Schlaf sein darf, mit<br />
Stimmungsschwankungen u.a. Dann folgen illusionäre Verkennungen, d. h.<br />
die Fehldeutung realer Sinneseindrücke wie Fratzen im Tapetenmuster oder<br />
in der Wanduhr, Gestalten im Nebel usw. Schließlich brechen regelrechte<br />
psychotische Episoden mit Halluzinationen (Sinnestäuschungen) und<br />
paranoiden (wahnhaften) Vorstellungen aus.<br />
Gefährdet sind einerseits ältere Parkinson-Patienten und andererseits solche,<br />
bei denen schon früher seelische Auffälligkeiten bestanden, auch wenn es<br />
nicht unbedingt psychotische Krankheitszeichen gewesen sein müssen.<br />
Halluzinationen, also Sinnestäuschungen oder Trugwahrnehmungen treten<br />
bei Parkinson-Patienten vorwiegend optisch auf, seltener akustisch (also mehr<br />
Gesichts- als Gehörs-Halluzinationen). Gehäuft entwickeln sie sich in der<br />
Dämmerung, und zwar nicht nur wegen der dann eher erklärbaren Fehl-Interpretationen,<br />
sondern auch bei abnehmender Wachheit und damit schwindendem<br />
Überblick aus Gründen verminderter Gehirnaktivität – und damit in frühen<br />
Abend- oder Morgenstunden, seltener auch tagsüber.<br />
Im Gegensatz zu manchen schizophren Erkrankten wirken diese Sinnestäuschungen<br />
aber weniger bedrohlich, tauchen plötzlich auf und verschwinden<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 59 -<br />
meist rasch wieder: bekannte oder unbekannte Gestalten, Fahrzeuge, Tiere<br />
wie Spinnen, Käfer, Würmer u.a.<br />
Bei den akustischen Sinnestäuschungen verunsichern bekannte oder unbekannte<br />
Stimmen oder Geräusche. Während der Trugwahrnehmungen ist dem<br />
Betroffenen zwar oft bewusst, dass das was er sieht oder hört nicht der Realität<br />
entspricht, trotzdem kann er sich nicht von dem letztlich überwältigenden<br />
(trügerischen) Geschehen distanzieren. Deshalb sind seine Reaktionen zwar<br />
für ihn selber unangenehm, aber meist leidlich ertragbar. Für die Angehörigen<br />
hingegen, wenn sie ihre unerklärlichen Beobachtungen machen oder gar in<br />
diese Phänomene einbezogen werden, oft noch irritierender bis belastender<br />
(„spinnt er jetzt auch noch?“).<br />
Tröstlicherweise arten aber solche Halluzinationen nur selten so bedrohlich<br />
aus, dass es zu ausgeprägten Unruhe-, Angst- oder gar Panikreaktionen<br />
kommt, was dann auch einmal Polizei, Feuerwehr, Sanität, zumindest aber<br />
andere Verwandte, Freunde und Bekannte mobilisieren kann.<br />
Therapeutisch geht man gegen solche Phänomene mit den früheren „klassischen“<br />
mittel- und hochpotenten Neuroleptika (antipsychotisch wirkenden Psychopharmaka -<br />
siehe Neuroleptika) vor bzw. inzwischen mehr und mehr mit den modernen atypischen<br />
Neuroleptika in angepasster Dosierung. Allerdings pflegt dies in der Regel nur<br />
vorübergehend notwendig zu sein, falls überhaupt.<br />
� Schlafstörungen<br />
Auch Schlafstörungen gehören zum Leidensbild einer Parkinson-Krankheit<br />
(worauf übrigens schon James Parkinson 1817 hingewiesen hat). Dreiviertel<br />
aller Betroffenen klagen über Ein- und Durchschlafstörungen, d. h. sie finden<br />
keinen Schlaf und wenn, dann unruhig, ständig unterbrochen und flach. Das<br />
führt naturgemäß zu vermehrter Tagesmüdigkeit. Und zu dem, was man eine<br />
Schlaf-Erwartungsangst nennt, d. h. sich bereits tagsüber mit dem Gedanken<br />
quälen, auch diese Nacht wieder keinen Schlaf finden zu können, dafür aber<br />
am nächsten Morgen müde, abgeschlagen, matt und leistungsschwach zu<br />
sein.<br />
Als Ursachen werden folgende Aspekte diskutiert:<br />
- Nächtliche Bewegungsstörungen, d. h. Bewegungslosigkeit, Steifheit, Zittern,<br />
und dies sogar verstärkt, weil die dagegen tagsüber eingenommenen<br />
Medikamente im Verlaufe der Nacht ihre Wirkung verlieren.<br />
- Vegetative Störungen, vor allem vermehrter Harndrang, aber auch<br />
Schweißausbrüche u.a.<br />
Int.1-Parkinson.doc
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- Seelische Beeinträchtigungen, d. h. lebhafte bis belastende Träume, depressive<br />
und Angstzustände, ggf. Panik vor dem neuen Tag, vielleicht sogar<br />
Verwirrtheit und Sinnestäuschungen.<br />
- Das Restless-legs-Syndrom, d. h. die unbeeinflussbar unruhigen Beine, die<br />
alles zerwühlen und schon dadurch keinen Schlaf finden lassen.<br />
- Periodische Arm- und Beinbewegungen mit dem gleichen Effekt, die sich<br />
ebenfalls nicht willentlich und dauerhaft unter Kontrolle bringen lassen.<br />
- Und schließlich vielleicht sogar nächtliche Atemstörungen, d. h. Enge,<br />
Schwere auf der Brust, Atemnot, und nicht selten das pfeifende<br />
Einatmungs-Geräusch bei Verengung oder Verlegung der oberen Luftwege<br />
(Fachbegriff: Stridor).<br />
Vor allem Schlafstörungen während des Traumschlafs (Fachbegriff: REM-<br />
Schlaf) führen gerade beim Parkinson-Patienten mitunter zu nächtlichem<br />
Reden oder Schreien im Schlaf sowie ausfahrenden Bewegungen, was dann<br />
einerseits den Patienten selber, oft aber auch den Partner und damit letztlich<br />
beide weckt.<br />
Am häufigsten aber stört der nächtliche Harndrang, von dem fast 80% der Betroffenen<br />
berichten, wobei viele zwei- bis dreimal pro Nacht die Toilette aufsuchen<br />
müssen.<br />
Was die nachlassende Wirkung der Parkinson-Medikamente im Verlaufe der<br />
Nacht anbelangt, so ist es vor allem der Dopamin-Mangel (siehe dieser), der<br />
in der zweiten Nachthälfte zu schmerzhaften Muskelverspannungen, ja Verkrampfungen<br />
in den Waden und Füßen führt („Früh morgens – Fußverkrampfungen“).<br />
Außerdem erschwert die nächtliche Bewegungshemmung bzw. im Extremfall<br />
Unbeweglichkeit (inzwischen bekannter Fachbegriff: Akinese) das Umdrehen<br />
im Bett, das der Gesunde viel öfter praktiziert, als ihm bewusst wird (zwei bis<br />
drei Dutzend Mal pro Nacht und mehr), was vor allem für einen entspannten<br />
Schlaf notwendig ist. Wer das nicht kann, z. B. der Parkinson-Kranke oder der<br />
Gesunde mit einem hinderlichen Gipsbein u. ä., der erwacht am anderen<br />
Morgen wie gerädert oder gar zerschlagen, nur weil er sich nächtlich nicht<br />
ausreichend umdrehen konnte, um damit ein Durchliegen zu vermeiden.<br />
Manche Parkinson-Patienten halten sogar ihren Tremor, ihr Hände- oder Kopf-<br />
Zittern für die Ursache ihrer Schlafstörung. Zwar vermindert sich der Parkinson-Tremor<br />
im Schlaf, wird jedoch während der Aufwachphase sofort wieder<br />
deutlicher und damit bewusster. Ein ausgeprägter Ruhe-Tremor kann natürlich<br />
auch das Einschlafen behindern. Und in den flacheren Schlafstadien kann das<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 61 -<br />
Zittern bereits wieder vor dem Erwachen auftreten und damit das Aufwachen<br />
geradezu provozieren.<br />
Und schließlich sind es die ängstlich-depressiven Zustände, die den Parkinson-Kranken<br />
zermürben, quälen, in Furcht und Schrecken versetzen. Dies insbesondere<br />
beim nächtlichen Wachliegen, oder nach dem Aufwachen, nachts<br />
oder am Morgen. Das kennt zwar jeder von sich selber, wer hat nicht schon<br />
nächteweise gegrübelt, aber in der Regel schläft man wieder ein und kann<br />
sich deshalb kaum mehr daran erinnern. Depressive im allgemeinen und<br />
Parkinson-Depressive im speziellen werden durch ihre Stimmungstiefs und<br />
vielfältigen Befürchtungen so verunsichert, dass sie überhaupt keinen Schlaf<br />
mehr finden, eine besonders quälende Form des nächtlichen Problem-<br />
Grübelns.<br />
Die Therapie einer Schlafstörung für ansonsten Gesunde gliedert sich in Arzneimittel<br />
und nicht-medikamentöse Maßnahmen. Einzelheiten dazu siehe das spezielle Kapitel<br />
über die Schlafstörungen. Dort geht es auch um die Schlafhygiene, schlafstörende<br />
und -fördernde Verhaltensweisen, ja um die richtige Lebensweise (der Tag<br />
entscheidet mehr über die Nacht, als sich die meisten eingestehen), um den sinnvollen<br />
Einsatz von Mittagsschlaf, körperlicher Aktivität, Mahlzeiten, Alkohol-, Kaffee-<br />
und Zigarettenkonsum sowie um Einschlaf-Rituale, die nicht nur für Kinder, auch für<br />
Erwachsene nützlich sind. Das Gleiche gilt für die Gestaltung des Schlafzimmers (wo<br />
man mehr Fehler machen kann, als den meisten bekannt sein dürfte), um den geregelten<br />
Schlaf-Wach-Rhythmus („innere Uhr“) und eine Vielzahl von äußeren<br />
Belastungen, vom Schnarchen des Partners bis zum Verkehrslärm.<br />
Was die medikamentösen Möglichkeiten bei der <strong>parkinson</strong>-bedingten Schlafstörung<br />
anbelangt, so müssen gerade hier Hausarzt und Neurologe eng zusammenarbeiten<br />
(Parkinson-Arzneimittel, Antidepressiva, schlaffördernde Neuroleptika oder Pflanzenheilmittel,<br />
synthetische („chemische“) Schlafmittel u.a.).<br />
� Schlaf-Apnoe-Syndrom<br />
Das Schlaf-Apnoe-Syndrom tritt gehäuft bei Männern in der mittleren Altersgruppe<br />
auf, verschont aber auch nicht das weibliche Geschlecht. Auffällig sind<br />
lautes Schnarchen, Bewegungsunruhe, schwere Erweckbarkeit und vor allem<br />
lange Atempausen. Letztere mehrmals in der Nacht und zwar über ungewöhnlich<br />
lange Zeit (d. h. mehr als 10 Sekunden, was für einen Atemstopp schon<br />
beunruhigend und vor allem nicht ungefährlich ist – s. u.).<br />
Ursache ist der Verschluss der oberen Atemwege, gelegentlich auch einmal<br />
eine zentrale (Gehirn-) Funktionsstörung. Die nächtlichen Atempausen führen<br />
nicht nur zu einem gestörten Schlafprofil, sondern durch die Sauerstoff-Unterbrechung<br />
bzw. damit ständige Unterversorgung zu riskanter Tagesmüdigkeit<br />
und Leistungsminderung bis hin zu ernsteren sonstigen Beeinträchtigungen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 62 -<br />
Wer nun unter beiden Erkrankungen zu leiden hat, nämlich Parkinson und<br />
Schlaf-Apnoe-Syndrom, der kann tatsächlich in eine riskante Situation<br />
geraten, die möglicherweise nicht nur einen Nervenarzt, sondern auch einen<br />
speziell ausgebildeten Arzt für Schlafmedizin nahe legt. Einzelheiten siehe<br />
das entsprechende Unter-Kapitel in dem Beitrag über Schlafstörungen.<br />
REGULATIONSSTÖRUNGEN ORGANISCHER FUNKTIONEN<br />
Zu den wichtigsten Regulationsstörungen organischer Funktionen, auch vegetative<br />
(autonome) Regulationsstörungen genannt, die bei einem Parkinson-<br />
Syndrom auftreten können, gehören (nach R. Thümler):<br />
- Magen-Darm-Störungen (Schluckstörungen, Verstopfung)<br />
- Kreislaufstörungen (vor allem Blutdruckabfall im Stehen)<br />
- Blasen-Entleerungsstörungen (Harndrang, Inkontinenz)<br />
- eine gestörte Wärmeregulation<br />
- sexuelle-Funktionsstörungen (Libido-Verlust, Erektionsstörungen).<br />
Im Einzelnen in Stichworten:<br />
� Magen-Darm-Störungen<br />
Magen-Darm-Störungen zählen zu den häufigsten Klagen, vor allem was<br />
Darmträgheit mit Verstopfung anbelangt. Natürlich ist dies auch als Nebenwirkung<br />
bestimmter Parkinson-Mittel möglich. Doch der Parkinson-Kranke hat<br />
ohnehin Verdauungs-Störungen, von der Mundhöhle bis zum Darmausgang:<br />
erschwertes Kauen, beeinträchtiger Nahrungstransport in der Mundhöhle,<br />
Schluckstörungen, schließlich Verstopfung. Außerdem klagen viele Betroffene<br />
über ein frühzeitiges Sättigungsgefühl, ein allgemeines Unwohlsein nach dem<br />
Essen mit Aufstoßen, über Völlegefühl und Oberbauchschmerzen und die bekannten<br />
Beeinträchtigungen durch Darmträgheit generell.<br />
Besonders die Verstopfung (Fachbegriff: Obstipation) beunruhigt viele Betroffene,<br />
vor allem durch die verlängerte Verweildauer des Stuhls im Dickdarm<br />
und die verminderte und erschwerte Entleerung des oft verhärteten Stuhls –<br />
ganz zu schweigen von den Ängsten, die man sich damit zusätzlich, wenngleich<br />
unnötig macht („innere Vergiftung?“).<br />
Die Ursachen sind zum einen die vegetativen Regulationsstörungen der<br />
Darmpassage, wie der Fachausdruck heißt, zum anderen verminderte<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 63 -<br />
Anspannungsmöglichkeiten der Bauch- und Beckenmuskulatur, aber auch<br />
unzureichende Flüssigkeitsaufnahme, falsche Ernährung (zu wenig<br />
Ballaststoffe) und beeinträchtigte körperliche Aktivität.<br />
Einzelheiten zu nicht-medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen<br />
siehe die Maßnahmen des Hausarztes und die spezielle Literatur.<br />
� Schluckstörungen, Speichelfluss und Hustenreflex<br />
Auf den lästigen Speichelfluss wurde schon 1817 hingewiesen. Und auch<br />
heute ist dies ein unangenehmes, ärgerliches bis peinliches und oftmals therapeutisch<br />
kaum beherrschbares Übel. Viele Parkinson-Patienten tragen<br />
deshalb ein ständig durchnässtes Taschentuch bei sich. Dabei können sie<br />
aufgrund ihrer Bewegungsbehinderung den Speichel oft nur mit Mühe und vor<br />
allem nicht rechtzeitig abwischen.<br />
Ursache ist nicht die vermehrte Speichelproduktion, sondern die Dysphagie,<br />
die Schluckstörung. Bei Parkinson-Patienten sind nämlich sämtliche Muskeln<br />
betroffen, die am Kau- und Schluckakt beteiligt sind (Wangen-, Zungen- und<br />
Rachenmuskeln). Die Speichelproduktion an sich ist normal oder gar vermindert.<br />
Doch wenn selbst das Zuwenig nicht regelmäßig und vor allem<br />
rechtzeitig geschluckt werden kann, dann vergrößert sich die Speichelmenge<br />
und läuft schließlich über. Deshalb sind Schluckstörungen und damit<br />
unangenehmer Speichelfluss in Phasen schlechter Beweglichkeit besonders<br />
stark ausgeprägt, weil auch die entsprechenden Muskeln in Mund, Rachen<br />
und Schlund beeinträchtigt sind.<br />
Aber nicht nur der Speichel, auch die Nahrung und die Medikamente werden<br />
nur unvollständig mit der Zunge in den Rachen geschoben. Oft bleiben deshalb<br />
vor allem die Arzneimittel in der Mundhöhle hängen, werden dort<br />
natürlich nicht resorbiert, fehlen im Magen und schließlich im Blut, haben<br />
damit keinen Einfluss auf das Gehirn – und dem Patient geht es schlechter,<br />
obgleich er die Medikamente eingenommen, nur eben nicht richtig geschluckt<br />
und damit verwertet hat.<br />
Manchmal ist auch zusätzlich noch der Hustenreflex abgeschwächt. Dadurch<br />
können Nahrungsreste in die Luftröhre und von dort in die Lunge gelangen<br />
(Fachbegriff: Aspiration). Eine so genannte „stille Aspiration“ ist oft die<br />
Ursache für eine Lungenentzündung, wie sie manche Parkinson-Patienten<br />
noch zusätzlich belastet.<br />
� Mundtrockenheit<br />
Ein weiteres Problem ist die Mundtrockenheit: Sie geht allerdings überwiegend<br />
auf Anti-Parkinsonmittel zurück (Einzelheiten siehe Fachliteratur). Oft ver-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 64 -<br />
schwindet aber diese Nebenwirkung wieder, selbst wenn man die Dosis beibehält.<br />
Wichtig ist auf jeden Fall eine gute Mundpflege und häufiger ein<br />
Schluck Wasser oder Tee, oder ein saures Bonbon, um die<br />
Speichelproduktion wieder anzuregen. In hartnäckigen Fällen gibt es auch<br />
künstlichen Speichel aus der Spraydose (mit und ohne Geschmack).<br />
Zur Therapie dieser Phänomene siehe die spezifischen Maßnahmen von<br />
Haus- und Facharzt.<br />
� Schwitzen und Störungen der Wärmeregulation<br />
Verminderte Hitze-Toleranz und Neigung zu massiven Schweißausbrüchen<br />
lassen sich schon zu Beginn einer Parkinson-Krankheit registrieren. Dies verstärkt<br />
sich noch in Phasen schlechter Beweglichkeit, besonders was Nacken-<br />
und Kopfregion, Handflächen, Fußsohlen oder gar den gesamten Körper anbelangt.<br />
Vor allem nachts kann es zu massiven und wiederholten Schweißausbrüchen<br />
kommen.<br />
Deshalb fühlen sich Parkinson-Patienten während der heißen Jahreszeit noch<br />
unwohler als sonst, weil ihre Körpertemperatur stärker als bei den Gesunden<br />
anzusteigen droht. Es kann sogar zu kritischen Fieberphasen kommen, und<br />
zwar ohne erkennbaren Infekt, nur durch höhere Außentemperatur ausgelöst<br />
(was sich nebenbei medikamentös auch noch schwer beeinflussen lässt).<br />
Als Ursache wird eine Störung der zentralen Thermoregulation im Gehirn angenommen<br />
(Verstellung des Sollwerts der Temperatur-Regelung, wie bei einer<br />
Heizung). Andererseits soll es auch zu einer verstärkten Kälte-Toleranz kommen<br />
können. Das ist jedoch kein Vorteil, denn bei niedrigen Temperaturen<br />
droht dadurch eine Unterkühlung.<br />
Die erforderlichen Maßnahmen beziehen sich vor allem auf den häufigeren<br />
Wäsche- und Kleiderwechsel (Naturstoffe bevorzugen), auf Kälteschutz und<br />
Austausch von Überzügen, die die Schweißbildung und Hautreizung fördern.<br />
Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und sinnvolle Urlaubsplanung<br />
(gemäßigtes Klima bevorzugen). Und notfalls entsprechende Medikamente,<br />
die von Haus- und Facharzt verordnet werden.<br />
� Kreislaufstörungen<br />
Parkinson-Patienten haben vor allem in späteren Erkrankungs-Stadien durch<br />
ihre Haltungsinstabilität ohnehin eine vermehrte Sturzneigung. Darüber hinaus<br />
leiden sie im Vergleich zur Normalbevölkerung unter einem leicht<br />
verminderten Ruhe-Blutdruck (und nur selten Hochdruck), was nicht zuletzt<br />
durch ihre mangelnde Bewegungs- und Kreislaufaktivität ausgelöst wird<br />
(gelegentlich auch durch die Nebenwirkungen bestimmter Parkinson-Mittel).<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 65 -<br />
Auch scheinen sie vermehrt Zeichen einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche)<br />
oder koronaren Herz<strong>krankheit</strong> (der Herzkranzgefäße) aufzuweisen. Darüber<br />
hinaus klagen sie oft über unsystematischen Schwindel (also nicht Drehschwindel,<br />
nicht Schwankschwindel, eher „durcheinander“), und zwar mit<br />
Schwarzwerden vor den Augen bis hin zur Fallneigung. Dies vor allem kurz<br />
nach dem Aufstehen oder nach längerem Stehen. Das scheint u. a. auf ein<br />
direktes Funktionsdefizit in bestimmten Gehirnregionen zurückzugehen, von<br />
den übrigen Bewegungsmängeln ganz zu schweigen.<br />
Auch hier sind es wieder Haus- und Nervenarzt, die durch gezielte medikamentöse<br />
und nicht-medikamentöse Maßnahmen dann doch noch eine befriedigende<br />
Besserung ermöglichen: körperliches Training, genügend Flüssigkeit<br />
und Kochsalz, Trockenmassagen, Wechselduschen, Kneippsche Anwendungen,<br />
angepasste Stützstrümpfe, nicht flach auf dem Bauch schlafen, Kopf um<br />
30% erhöht lagern, Fußende bei bettlägerigen Patienten mehrmals am Tag<br />
nach hinten neigen u.a.).<br />
� Atemstörungen<br />
Atemstörungen beunruhigen nicht selten, vor allem zusammen mit Sprechstörungen<br />
in Folge einer Beeinträchtigung der an der Sprechbewegung<br />
beteiligten Muskeln (Fachbegriff: Dysarthrie). Das macht sich besonders durch<br />
eine Störung der Artikulation (Sprechlautbildung, letztlich Aussprache)<br />
bemerkbar. Parkinson-Patienten haben ja auch eine erhöhte Atem-Ruhe-<br />
Frequenz, d. h. atmen selbst ohne Anstrengung schneller. Körperliche<br />
Belastung führt dann rasch zu Atemnot, was zusätzlich die Atemtechnik<br />
beeinträchtigt.<br />
Bei mangelnder körperlicher Aktivität ist auch die Gefahr einer Lungenentzündung<br />
größer. Ist zudem der Hustenreflex abgeschwächt, wird es noch problematischer<br />
(siehe oben: „stille Aspiration“). Kurz: Bei manchen Patienten bedarf<br />
es einer spezifischen Atemtherapie mit Atemübungen, die der Patient auch<br />
selber ausführen kann, notfalls medikamentös unterstützt (schleimlösende<br />
Mittel).<br />
� Blasen-Funktionsstörungen<br />
Blasen-Funktionsstörungen belasten fast die Hälfte aller Parkinson-Kranken,<br />
vor allem mit zunehmendem Alter und wachsender Dauer der Erkrankung.<br />
Männer sind häufiger betroffen.<br />
Am ehesten handelt es sich um eine Stress-Inkontinenz unter körperlicher<br />
Belastung wie Husten, Niesen, Heben u.a. mit unfreiwilligem Urinabgang,<br />
ohne dass ein Harndrang verspürt wird. Die Ursache ist eine Senkung bzw.<br />
Int.1-Parkinson.doc
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Erschlaffung der Beckenboden-Muskulatur. Dagegen geht eine Drang-Inkontinenz<br />
mit einem unaufschiebbaren Harndrang einher, was jedoch die Toilette<br />
noch rechtzeitig erreichen lässt.<br />
Letzteres findet sich speziell bei Parkinson-Patienten. Sie müssen – insbesondere<br />
nachts – mehrmals die Toilette aufsuchen, ohne dass es sich lohnt.<br />
Belastend und frustrierend zugleich wird es dann, wenn man nachts ohnehin<br />
<strong>krankheit</strong>sbedingt nur mühsam aufstehen und tags erschwert die Kleidung öffnen<br />
kann.<br />
Relativ selten ist dafür eine so genannte Überlauf-Blase mit Restharnbildung,<br />
in der Regel als Nebenwirkung durch bestimmte Arzneimittel.<br />
Die Therapie bezieht sich meist auf nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren:<br />
weniger nach dem Abendessen trinken, ggf. Windeln oder Vorlagen benutzen,<br />
Urinal mit Auffangbeutel, Blasenkatheter (aber kein Dauerkatheter),<br />
dazu Blasentraining u.a. Einzelheiten, unterstützt durch bestimmte Arzneimittel,<br />
siehe Hausarzt.<br />
� Sexuelle Funktionsstörungen<br />
Sexuelle Funktionsstörungen beeinträchtigen etwa die Hälfte aller männlichen<br />
Parkinson-Patienten, insbesondere die unter 50-Jährigen. Geklagt wird weniger<br />
über einen Libido-Verlust mit sexuellen Gleichgültigkeit, eher über eine<br />
erektile Dysfunktion, also die mangelhafte Funktionstüchtigkeit des Penis.<br />
Über sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen ist bisher weniger bekannt.<br />
Die Ursachen (z. B. Zucker<strong>krankheit</strong>, Durchblutungsstörung, Prostata- bzw.<br />
gynäkologische Operationen u.a.) werden auch bei Parkinson-Patienten in der<br />
Regel zuvor abgeklärt sein. Auch wird man den Betroffenen eingestehen müssen,<br />
das bestimmte Parkinson- und ggf. Zusatzmedikamente ihre eigenen<br />
Nebenwirkungen entfalten, was sexuell nachteilige Begleiterscheinungen anbelangt.<br />
Was das Parkinson-Leiden selber betrifft, so scheinen Erkrankungsalter und<br />
Intensität des Leidens mit Ausnahme eines späten und damit besonders ausgeprägten<br />
Krankheitsstadiums keinen wesentlichen Einfluss auf die Potenz zu<br />
haben, wohl aber die Dauer der Parkinson-Krankheit.<br />
Ein besonderes Problem ergibt sich dann, wenn bestimmte Arzneimittel zur<br />
Verstärkung der Libido führen, ohne dass die Erektionsstörung gebessert werden<br />
konnte. Das größte Übel aber ist die Unfähigkeit aller Beteiligten (einschließlich<br />
Hausarzt, leider oft auch Neurologe), über die Folgen dieser Beeinträchtigungen<br />
miteinander zu reden. Deshalb gilt es erst einmal die offene<br />
Aussprache zu lernen. Und Befürchtungen, Enttäuschungen, Unterstellungen,<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 67 -<br />
unausgesprochene Vorwürfe u.a. auszudrücken, abzubauen, zu<br />
neutralisieren.<br />
Denn es sind ja nicht nur Libido und Potenz betroffen, es geht beim sexuellen<br />
Kontakt auch um Speichelfluss, Bewegungseinschränkungen, Harn-Inkontinenz<br />
u.a., alles irritierende bis beschämende Krankheits-Folgen, über die<br />
niemand spricht, die aber gleichwohl (ästhetisch) belasten, von der Furcht,<br />
seelisch und vor allem körperlich überfordert zu werden, ja zu versagen ganz<br />
zu schweigen. Nachfolgend deshalb einige Hinweise im Kasten.<br />
Parkinson und sexuelle Störung – was tun?<br />
Die Sexualpartner sollten bedenken, dass sich die Sexualfunktion im Alter<br />
ändert und die verminderte sexuelle Aktivität ein natürlicher Vorgang ist.<br />
Männlichen Parkinson-Patienten sollte klar gemacht werden, dass im Alter<br />
über 50 die Zeit bis zur vollständigen Erektion verdoppelt oder verdreifacht ist<br />
und eine kürzere Zeit anhält.<br />
Der Arzt sollte darauf hinweisen, dass in vielen Fällen von Sexual-Funktionsstörungen<br />
– auch bei Parkinson-Patienten – psychische Faktoren eine<br />
wesentliche Rolle spielen (beispielsweise Stress, Ärger oder Ermüdung). Eine<br />
deutliche Bewegungsbehinderung hat natürlich ebenfalls Einfluss auf die<br />
sexuelle Aktivität. Der Partner hat sicherlich Verständnis dafür, dass diese<br />
nicht mehr so spontan, sondern geplant und in Phasen guter Beweglichkeit<br />
erfolgen sollte.<br />
Wenn <strong>krankheit</strong>sbedingt die „Technik“ der bisherigen sexuellen Praxis modifiziert<br />
werden muss, braucht dies nicht unbedingt mit einem reduzierten Lustgewinn<br />
einhergehen. Die Art des sexuellen Umgangs mit Verständnis, Liebe,<br />
Zuneigung und Zärtlichkeit führt ebenfalls zu Befriedigung und Zufriedenheit<br />
und kann die körperlichen Unzulänglichkeiten durchaus kompensieren.<br />
Die Partner werden dabei feststellen, dass ihre neue zärtliche Sexualität zu<br />
einer besonderen und schönen Form in ihrem Sexualverhalten werden kann.<br />
Die Vorstellung, dass Sexualität für Frauen in späterem Alter eine untergeordnete<br />
Rolle spiele und dass die Sexualität des Mannes auch später einer der<br />
wichtigsten Faktoren der Männlichkeit sei, ist glücklicherweise überholt. Beide<br />
Partner haben Anspruch auf ein befriedigendes Sexualleben und sollten ihre<br />
Sexualpraktiken ohne schambedingte Hemmungen so den Krankheitszeichen<br />
anpassen, dass das Ergebnis nicht nur Verzicht bedeutet (nach R. Thümler).<br />
In medikamentöser Hinsicht gab es schon früher entsprechende<br />
Möglichkeiten, die aber jetzt so weit gediehen sind, dass man durch die<br />
Einnahme bestimmter Medikamente (weitere sind wissenschaftlich in<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 68 -<br />
Erprobung) Erektionsstörungen auch bei Parkinson-Kranken erfolgreich<br />
behandeln kann. Zwar wird dadurch nicht die Libido, sondern nur die erektile<br />
Potenz verbessert, doch das ist schon ein bedeutsamer Fortschritt, zumal es<br />
vor allem Letztere ist, deren Rückgang beklagt wird und die oft einen<br />
Teufelskreis einleitet (Versagen � Angst vor dem Versagen �<br />
„programmiertes Versagen“).<br />
Allerdings gilt es gerade bei den neuen Produkten vorher abzuklären, ob der<br />
Betreffende diese Medikamente auch risikolos einnehmen darf (Herzerkrankungen,<br />
bestimmte Arzneimittel-Wechselwirkungen usw.).<br />
WEITERE PARKINSON-BEGLEITSTÖRUNGEN<br />
Weitere Parkinson-Begleitstörungen sind Schmerzen, Parästhesien, Hautveränderungen,<br />
Seh- und Riechstörungen. Im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />
� Schmerzen und Missempfindungen<br />
Schmerzen und Parästhesien (Missempfindungen) beklagt fast die Hälfte aller<br />
Parkinson-Patienten, und zwar schon im Frühstadium des Leidens.<br />
Schmerzen beispielsweise werden als Ziehen, Brennen, teilweise kampfartig<br />
und nicht selten als „rheuma-ähnlich“ beschrieben. Die Betroffenen gehen mit<br />
ihren Rücken-, Glieder- und Brustschmerzen zum Arzt, der noch keine<br />
Parkinson-Hinweise findet und deshalb das Leiden beispielsweise als<br />
rheumatisch fehldeuten kann.<br />
Solche irrtümlichen Diagnosen lauten dann oftmals „Schulter-Arm-Syndrom“<br />
oder „HWS-Syndrom“ (HWS = Halswirbelsäule). Später verstärken sich dann<br />
die Schmerzen, vor allem in den Phasen schlechterer Beweglichkeit und<br />
beeinträchtigen besonders die Schulter- und Beckenregion auf der ohnehin<br />
stärker betroffenen Seite.<br />
Als quälend werden auch einseitige krampfartige Schmerzen in Waden,<br />
Füßen und Zehen empfunden (vor allem während der frühen Morgenstunden;<br />
Fachbegriff: Off-Phasen-Dystonie oder „Frühmorgens-Dystonie“).<br />
Schmerzhafte Verkrampfung des Fußes mit Steckstellung der Großzehe und<br />
Einwertswendung des Fußes wird als „Fußdystonie“ bezeichnet.<br />
Ein Teil der Schmerzen ist auf den Rigor (also die Steifigkeit der Muskulatur<br />
mit erhöhter Muskelspannung) zurückzuführen. Kommt eine depressive „Überlagerung“<br />
hinzu, verstärkt sich das Schmerzbild erfahrungsgemäß noch mehr.<br />
� Sensibilitätsstörungen<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 69 -<br />
Empfindungs- oder Sensibilitätsstörungen äußern sich beim Parkinson-<br />
Patienten meistens als so genannten Parästhesien, oft als Brennen, Ameisenlaufen,<br />
als Taubheits- oder Kältegefühl, in der Regel in Beinen und Füßen.<br />
Die Behandlung fällt einerseits in das Aufgabengebiet des Hausarztes, kann<br />
aber auch den Neurologen beanspruchen. Neben physiotherapeutischen<br />
Maßnahmen (z. B. Massage, Wechselgüsse) ist es vor allem eine gezielte<br />
Schmerztherapie, die hier unumgänglich werden kann.<br />
� Hautveränderungen<br />
Hautveränderungen sind eine häufige Begleiterscheinung und oft auch ein<br />
ästhetisches Problem.<br />
Bei vermehrter Talgproduktion kommt es zu einer fettigen Haut, so als ob man<br />
sich gerade überreichlich eingecremt hätte. Bevorzugte Stellen sind auch die,<br />
die am meisten auffallen: Stirn, Schläfe und Nacken. Das im Extremfall<br />
regelrecht glänzend-fettige Gesicht führte schließlich zu dem Begriff des<br />
„Salbengesichts“, was das ganze Problem am besten umschreibt.<br />
Bei trockener Haut ist der äußere Eindruck weniger auffällig, die Haut dafür<br />
aber mehr anfällig. Viele Patienten klagen auch über eine verstärkte Schuppen-<br />
und Aknebildung. Medikamentös geht man vor allem gezielt gegen die<br />
vermehrte und verminderte Talgproduktion vor.<br />
� Tränensekretion und Lidschlag<br />
Vermindert sind beim Parkinson-Kranken auch Tränensekretion und Blinkrate<br />
der Augenlieder. Weniger Tränen heißt weniger Augenschutz und damit verstärkte<br />
Entzündungsneigung. Und wenn dann noch der Lidschlag vermindert<br />
ist, wird es noch kritischer.<br />
Dagegen gibt es inzwischen eine künstliche Tränenflüssigkeit. Einzelheiten<br />
siehe Haus- oder Augenarzt.<br />
� Riechstörungen<br />
Riechstörungen finden sich auch beim Parkinson-Patienten häufig, allerdings<br />
nur dann, wenn man gezielt danach fragt und untersucht. Da der Geschmack<br />
auch durch das Riechen ergänzt wird, klagen viele darüber hinaus noch über<br />
vermindertes Geschmacksempfinden. Die therapeutischen Möglichkeiten halten<br />
sich selbst unter fachärztlicher (HNO-)Betreuung leider in Grenzen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 70 -<br />
Riechstörungen gehen auf das so genannte dopaminerge System im<br />
Zentralen Nervensystem, vor allem im Bereich der Substantia nigra des<br />
Gehirns zurück. Und das ist ja auch das entscheidende Defizit bei der<br />
Parkinson-Krankheit generell.<br />
Damit hat man aber auch einen frühen Indikator, also einen schon im Vorfeld<br />
des Leidens relativ typischen Hinweis für eine möglicherweise später ausbrechende<br />
Parkinson-Krankheit – sofern man darauf achtet. Und dies relativ<br />
lange, bevor die ersten Bewegungs-Störungen und anderen Symptome zu irritieren<br />
beginnen.<br />
„Störungen der Identifikation und Diskrimination von Geruchsstoffen“ (wie die<br />
Fachbegriffe heißen) sind ein häufiges Symptom der Parkinson-Krankheit,<br />
was allerdings – wie erwähnt – selten spontan berichtet wird und mit<br />
spezifischen Tests nachgewiesen werden muss. Zwar sind diese Störungen<br />
des Riechsinnes nicht charakteristisch für den Morbus Parkinson, sondern<br />
können auch bei anderen Erkrankungen vorkommen (z. B. bei Störungen des<br />
Riechorganes oder bei Patienten mit der Alzheimer’schen Krankheit). Bei<br />
atypischen Parkinson-Syndromen sind sie sogar eher selten und vor allem<br />
weniger ausgeprägt. Doch bei der eigentlichen Parkinson-Krankheit oftmals<br />
so, dass man in der Tat einen frühen Warn-Hinweis daraus ableiten kann;<br />
man spricht in Fachkreisen von einer diagnostischen Spezifität von über 80%<br />
(nach G. Becker: Methoden zur Frühdiagnose der Morbus Parkinson.<br />
Nervenarzt, Suppl.1 (2003) 7).<br />
� Sehstörungen<br />
Sehstörungen drohen hauptsächlich als medikamentöse Nebenwirkungen<br />
einer Parkinson-Behandlung (Unschärfe, da die Sehziele in wechselnder Entfernung<br />
vom Auge nicht mehr scharf eingestellt werden können). Auch die<br />
Netzhaut kann unter dieser Krankheit leiden und sogar die Farb-Unterscheidung<br />
(Blau-Grün-Schwäche). Selbst Sehschärfe und Kontrastsehen können<br />
betroffen sein.<br />
Im Übrigen gilt auch für Sehstörungen, vor allem so genannte Farbsinnes-<br />
Störungen (Fachbegriffe: Störungen des Kontrastsehens, der Farbdiskrimination<br />
und Farbperzeption) das Gleiche wie für Riechstörungen: Sie können ein<br />
wichtiger Hinweis auf eine möglicherweise später auftretende Parkinson’sche<br />
Krankheit sein – und zwar lange bevor auch hier ernstere Symptome, insbesondere<br />
Bewegungseinschränkungen beeinträchtigen. Hilfreich sind dabei<br />
elektrophysiologische Untersuchungen (Elektroretinographie), die schon früh<br />
auf Störungen der retinalen Funktion (Netzhaut) hinweisen können. Das Ausmaß<br />
der Sehstörungen entspricht übrigens der Schwere der allgemeinen<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 71 -<br />
Bewegungs-Einbußen (und kann außerdem durch erfolgreiche Parkinson-<br />
Behandlung wieder gemildert werden).<br />
Auch hier also zuerst den zuständigen Spezialisten, nämlich den Augenarzt<br />
und anschließend ggf. einen Nervenarzt oder Neurologen konsultieren, ob<br />
früh-diagnostische Maßnahmen zur rechtzeitigen Erkennung eines Morbus<br />
Parkinson angezeigt sind (nach G. Becker: Methoden zur Frühdiagnose der<br />
Morbus Parkinson – s. o.).<br />
� Augenbewegungsstörungen<br />
Augenbewegungsstörungen sind möglich, brauchen aber spezielle Untersuchungsverfahren.<br />
Die wichtigsten Beeinträchtigungen in Stichworten: herabgesetzte<br />
Blinkrate (also verminderte Häufigkeit des Lidschlusses – siehe<br />
oben), Einschränkung der Blickbewegung noch oben, leichte Konvergenzschwäche<br />
(also unzureichende Augen-Innenwendung um ein sauberes Nahsehen<br />
zu ermöglichen) u.a.<br />
Auch hier Augen- und Nervenarzt gemeinsam zur Beurteilung nutzen.<br />
NICHT-IDIOPATHISCHE PARKINSON-SYNDROME<br />
Bisher war die Rede von der „eigentlichen“ Parkinson-Krankheit, auch idiopathisches<br />
Parkinson-Syndrom, Morbus (Krankheit) Parkinson oder primäres<br />
Parkinson-Syndrom, früher auch „Schüttellähmung“ oder „Paralysis agitans“<br />
genannt. Dieser Parkinson-Formenkreis macht rund 80% aller Parkinson-<br />
Krankheitsbilder aus.<br />
Es gibt aber auch atypische oder nicht-idiopathische Parkinson-Syndrome, die<br />
zwar ein gleiches oder ähnliches Beschwerdebild auslösen, aber andere Ursachen<br />
haben. Nachfolgend deshalb eine stichwortartige Übersicht, wobei wir<br />
uns auf Fachbegriffe beschränken und bei Interesse auf die Spezial-Literatur<br />
verweisen müssen. Im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />
� Multisystematrophie (MSA)<br />
- Charakteristika: Erstausbruch zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr, Männer<br />
häufiger, rasches Fortschreiten, frühe Rollstuhlpflichtigkeit.<br />
- Parkinson-Zeichen: akinetisch-rigide, myoklonusartiger Tremor, frühe Gang-<br />
und Standunsicherheit mit Sturzneigung, starker Rigor der Nackenmuskulatur.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 72 -<br />
- Autonome Zeichen: orthostatische Hypotension (Synkopen, Schwindel), Impotenz<br />
(erektile Dysfunktion), Drang-Inkontinenz, kalte und blauverfärbte Hände.<br />
- Weitere Merkmale: Dysarthrie, Dsyphagie, inspiratorischer Stridor, Schnarchen,<br />
Affektlabilität (enthemmtes Lachen und Weinen).<br />
� Progressive supranukleare Blicklähmung (PSP)<br />
- Charakteristika: jenseits der 40, langsame Progredienz, Augenbewegungsstörung<br />
mit Blickparese nach oben, später nach unten, Gangunsicherheit mit Stürzen<br />
u.a.<br />
� Kortikobasale Degeneration (KBD)<br />
- Charakteristika: um das 60. Lebensjahr, Krankheitsdauer 7 bis 10 Jahre, akinetisch-rigides<br />
Parkinson-Beschwerdebild<br />
- Leitsymptome: Tremor einer Hand, distale Myoklonien, Apraxie im Hand- und<br />
Mundbereich, Fremdgefühl für Extremitäten, dystone Bewegungsstörungen der<br />
oberen Extremitäten, Dysarthrie, Dysphagie, Pyramidenbahnzeichen. Ferner<br />
Frontalhirnsyndrom (später dementielle Entwicklung), Blickstörungen, Blepharospasmus,<br />
choreatische Bewegungsstörungen, Enthemmungszeichen (orale<br />
und Handgreif-Reflexe) u.a.<br />
� Frontotemporale Demenz mit Parkinsonismus und Tauopathien (FTDP)<br />
- Charakteristika: familiäre Erkrankung, meist um das 50. Lebensjahr, Gemütsstörungen,<br />
optische und akustische Halluzinationen, Sprachstörungen, rigidakinetisches<br />
Parkinson-Syndrom, später frontotemporale Demenz.<br />
� Lewy-Körperchen-Krankheit<br />
- Charakteristika: Nachweis von Lewy-Körperchen und Alzheimer-Plaques und<br />
Neurofibrillen.<br />
- Hauptkriterien: progressives kognitives Defizit (berufliche und soziale Beeinträchtigung),<br />
eindeutig mnestische Störungen zu Beginn oder dominierend im<br />
weiteren Verlauf, Aufmerksamkeitsstörung, fluktuierende Intensität der Aufmerksamkeits-<br />
und Vigilanzstörung, Parkinson-Syndrom sowie ggf. Sturzneigung,<br />
wiederholte Somnolenzphasen, Synkopen, Halluzinationen.<br />
� Heredodegenerative Erkrankungen mit Parkinson-Symptomen<br />
Heredodegenerative Erkrankungen (erblich mit Zell-Abbau im Bereich des Zentralen<br />
Nervensystems) mit Parkinson-Symptomen sind beispielsweise<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 73 -<br />
- der rigid-akinetische Typ der Huntington-Krankheit: Nervosität, Reizbarkeit, erhöhte<br />
Aggressivität, Konzentrationsschwäche, ausgeprägter Rigor, zunehmende<br />
Bewegungsarmut, aber auch choreatische Hyperkinesen. Zuletzt Augenbewegungsstörungen,<br />
Blickparesen, Pseudobulbärparalyse und schwere Demenz.<br />
- L-Dopa-sensitive Dystonie: vorwiegend bei Mädchen im Kindesalter, belastungsabhängige<br />
Fußdystonie, Parkinson-Zeichen.<br />
- Parkinson-Demenz – ALS-Komplex: Kombination von Parkinson-Syndrom und<br />
Demenz.<br />
- Hallervorden-Spatz-Krankheit: Kinder und Jugendliche mit Parkinson-Symptomen,<br />
Gangstörung, dystonen und choreoathetotischen Bewegungsstörungen,<br />
Spastik u.a. sowie seelischen Veränderung. Später Rigor und Akinese.<br />
- Progressive Pallidum-Atrophie: Tremor, komplexe Dyskinesien, schließlich rigidakinetische<br />
Parkinson-Symptomatik. Früher Beginn, chronisch-progredienter<br />
Verlauf, früher Tod.<br />
- Neuroakanthozytose-Syndrom: Erb<strong>krankheit</strong> mit choreatischen und anderen<br />
Bewegungsstörungen sowie einer Sonderform der roten Blutkörperchen im<br />
Blutbild (Stechapfelform). Beginn im mittleren Lebensalter, orofazialbetonte<br />
progrediente Dyskinesien, choreatische Bewegungsstörungen der Gliedmaßen,<br />
Tics, Dystonien, akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom, Verhaltensauffälligkeiten<br />
(sozialer Rückzug) u.a.<br />
SYMPTOMATISCHE (SEKUNDÄRE) PARKINSON-SYNDROME<br />
Wenn ein Krankheitsbild als „symptomatisch“ (Symptom = Krankheitszeichen)<br />
bezeichnet wird, dann heißt dies: Das Beschwerdebild deutet auf eine bestimmte<br />
Krankheit hin. Doch die Ursache dieses Leidens ist etwas anderes,<br />
eine andere Erkrankung. Beispiel: Eine Depression hat meist biologische Ursachen,<br />
d. h. geht in der Mehrzahl der Fälle auf eine Stoffwechselstörung im<br />
Gehirn zurück, wo bestimmte Botenstoffe (Fachbegriff: Neurotransmitter) in<br />
bestimmten Regionen des Gehirns zu wenig zur Verfügung stehen. Depressionen<br />
können aber auch durch körperliche Erkrankungen ausgelöst werden<br />
(Herz-Kreislauf, Gehirntumor u.a.). Dann nennt man dies eine symptomatische<br />
Depression, bei der das Grundleiden behandelt werden muss – und die<br />
Begleit-Depression geht zurück.<br />
Gleiches gilt für das symptomatisches Parkinson-Syndrom (also nicht als<br />
Parkinson-Krankheit bezeichnet, nur als Syndrom, als zusammengehörige<br />
Symptome). Deshalb spricht man auch von sekundärem Parkinson-Syndrom<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 74 -<br />
(und meint mit dem primären Parkinson-Syndrom die eigentliche Parkinson-<br />
Krankheit).<br />
Was kann nun ein symptomatisches (sekundäres) Parkinson-Syndrom auslösen?<br />
Eine ganze Reihe von Ursachen, teils Medikamente mit entsprechenden<br />
Nebenwirkungen, teils Gehirnschädigung durch Vergiftung, Blutung,<br />
Tumor oder Entzündung u.a. Die wichtigsten Ursachen sind Folgende (nach<br />
R. Thümler):<br />
� Medikamentös ausgelöstes Parkinson-Syndrom<br />
Nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist man sich sicher,<br />
dass die eigentliche Parkinson-Krankheit nicht durch Medikamente oder<br />
andere Substanzen ausgelöst wird, auch wenn man bis heute nicht weiß, was<br />
die wirklichen Ursachen sind (siehe das entsprechende Kapitel). Andererseits<br />
gibt es eine Reihe von Wirkstoffen, deren unerwünschte oder<br />
Nebenwirkungen „klassische“ Parkinson-Krankheitszeichen auszulösen<br />
vermögen wie Tremor (Zittern), Bradykinese (Verlangsamung der<br />
Bewegungsabläufe) und Rigor (erhöhte Muskelspannung).<br />
Am häufigsten sind Neuroleptika (vor allem die hochpotenten antipsychotisch<br />
wirksamen Arzneimittel gegen Geistes<strong>krankheit</strong>en), Antiemetika (Übelkeit und<br />
Brechreiz verhindernde Arzneimittel), hochpotente Neuroleptike in niedriger<br />
Dosierung, die nicht antipsychotisch wirken, sondern „nur“ beruhigend, gemütsmäßig<br />
und vegetativ ausgleichend wirken sollen (z. B. „Wochenspritze“<br />
mit verschiedenen Substanzen) sowie so genannte Kalzium-Antagonisten zur<br />
Behandlung von Schwindel, Gleichgewichts- und Hirndurchblutungsstörungen<br />
sowie Migräneattacken.<br />
Weitere Wirkstoffe, die ein Parkinson-Syndrom auslösen können, finden sich<br />
in einigen Antidepressiva (stimmungsaufhellenden Psychopharmaka) sowie in<br />
dem Phasen-Prophylaktikum Lithium (zur Verhinderung von immer wieder auftretenden<br />
depressiven und manisch-hochgestimmten Episoden). Im<br />
Einzelnen:<br />
– Neuroleptika sind die häufigsten Ursachen für ein symptomatisches oder<br />
sekundäres Parkinson-Syndrom, auch als neuroleptisches Parkinsonoid (also<br />
<strong>parkinson</strong>-ähnliches Beschwerdebild) u.ä. bezeichnet. Einzelheiten dazu siehe<br />
das ausführliche Kapitel über Neuroleptika.<br />
Ein neuroleptika-bedingtes Parkinson-Syndrom findet sich je nach individueller<br />
Empfindlichkeit je nach Geschlecht, Alter und vor allem Dosishöhe bei 15 bis<br />
60% aller behandelten Patienten, jedenfalls bei Therapie mit den früheren<br />
Generationen dieser Psychopharmaka (neuere, so genannte atypische Neuro-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 75 -<br />
leptika werfen in dieser Hinsicht weit weniger Probleme auf, weshalb sie heute<br />
in der antipsychotischen Behandlung bevorzugt werden). Einige Patienten<br />
sind sogar durch einen besonders unangenehmen Tremor im Mundbereich<br />
betroffen. Da diese schnellen Mundbewegungen an das Mümmeln eines<br />
Hasen erinnern, nennt man es auch etwas respektlos „Rapid-Syndrom“.<br />
Besonders belastet sind durch neuroleptika-bedingte Parkinson-Symptome<br />
ältere Menschen. Man vermutet, dass etwa die Hälfte aller mit diesen Antipsychotika<br />
behandelten „geriatrischen Patienten“ ein Parkinsonoid entwickeln,<br />
jedenfalls bei Bevorzugung der früheren (hoch- und mittelpotenten) Neuroleptika.<br />
Da in diesem Alter auch die „klassische“ Parkinson-Krankheit zuzunehmen<br />
pflegt, kann die Abgrenzung zwischen diesen beiden Formen<br />
schwierig werden (was ist medikamentös bedingt, was eine Parkinson-Krankheit?).<br />
Dies besonders dann, wenn das medikamentös ausgelöste Parkinson-Syndrom<br />
asymmetrisch beginnt, was eher für ein richtiges Parkinson-Syndrom<br />
spricht (ein medikamentös-bedingtes Parkinson-Syndrom entwickelt sich<br />
meist symmetrisch, d.h. auf beiden Körperhälften gleich stark ausgeprägt, nur<br />
in etwa einem Drittel der Fälle einseitig betont). Die Folge ist eine<br />
Fehldiagnose und damit erfolglose Therapie mit Parkinson-Mitteln. Denn ein<br />
neuroleptisches Parkinson-Syndrom spricht nicht auf Parkinson-Arzneimittel<br />
an, sondern nur auf eine Dosis-Reduktion oder ein Absetzen der für dieses<br />
Leiden verantwortlichen Arzneimittel.<br />
Da nicht wenige ältere Patienten nicht nur mit antipsychotischen Neuroleptika<br />
sondern auch stimmungsaufhellenden Antidepressiva behandelt werden müssen,<br />
also einer Kombinationsbehandlung und damit doppelten<br />
Nebenwirkungs-Belastung, erhöht sich bei diesen Patienten auch das Risiko<br />
für ein medikamentös ausgelöstes Parkinson-Syndrom.<br />
Was spricht nun für das eine bzw. das andere als Ursache?<br />
Beim medikamentösen Parkinsonoid muss also ebenfalls mit Tremor, Bradykinese<br />
und Rigor gerechnet werden (Erklärung siehe oben). Auffallend ist<br />
auch eine sich rasch ausbildende Hypomimie (Verarmung der Mimik, am<br />
Schluss fast maskenhafte Gesichtsstarre) und eine Veränderung der Sprache<br />
(„kloßige“ bzw. „schleifende“ Aussprache). Der Muskeltonus (Spannung) ist<br />
erhöht. Ein „Zahnradphänomen“ (also als ob ein Zahnrad in das<br />
entsprechende Gelenk eingebaut und nur ruckartig zu bewegen sei) findet<br />
sich jedoch selten. Das Gleiche gilt für Festinations-Phänomene (Start- und<br />
Engpass-Schwierigkeiten) sowie Freezing-Phänomene (plötzlich wie<br />
„angeklebt“ oder „eingefroren“ erstarren).<br />
Glücklicherweise bildet sich ein medikamentöse bzw. neuroleptisch bedingtes<br />
Parkinsonoid nach Absetzen der Arzneimittel innerhalb von Tagen,<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 76 -<br />
wenigstens aber Wochen wieder zurück. So etwas ist natürlich bei der<br />
Parkinson-Krankheit nicht zu erwarten. Allerdings kann der medikamentöse<br />
Auslöser selbst nach Absetzen der Arzneimittel-Ursache weiterwirken,<br />
wenngleich selten. Immerhin müssen etwa 1% aller Betroffenen auch ohne<br />
„schuldiges“ Arzneimittel ihr (ehemals neuroleptisch bedingtes)<br />
Beschwerdebild über mehrere Jahre ertragen lernen, bisweilen sogar für den<br />
Rest des Lebens. Leider kann auch eine einschleichende oder einschleichend<br />
und niedrig gehaltene Dosierung mit Neuroleptika (gleichgültig ob hoch- oder<br />
mittelpotent bzw. sogar niederpotent, was an sich die wenigsten Probleme<br />
machen sollte) nicht völlig vermieden werden, je nach individueller<br />
Empfindlichkeit. So etwas muss man dem Patienten vorher erläutern.<br />
Charakteristische Warnhinweise vor Medikamenten-Einnahme gibt es nicht,<br />
mit Ausnahme vielleicht von erblichen Belastungen („schon mein Vater<br />
reagierte auf diese Medikamente überempfindlich“), aber das wird sich selten<br />
als hilfreich erweisen.<br />
Glücklicherweise sind – wie erwähnt – die neuen atypischen Neuroleptika, von<br />
denen immer mehr auf den Markt kommen (und im Laufe der Zeit auch wieder<br />
preiswerter werden) mit einem deutlich geringeren Parkinsonoid-Risiko behaftet.<br />
– Metoclopramid ist ein sehr wirksames und deshalb häufig eingesetztes<br />
Antiemetikum bei Unwohlsein, Übelkeit oder Magenbeschwerden jeglicher Art.<br />
Da es so spontan hilfreich ist, wird es sehr häufig genutzt, vor allem in eigener<br />
Regie.<br />
Zwar müssen hier schon höhere und häufigere Einnahmen vorliegen, um ein<br />
solches Parkinsonoid auszulösen, doch ist bei besonders empfindlichen<br />
Menschen mit allem zu rechnen. Deshalb gehen die Fachleute auch davon<br />
aus, dass der Einsatz von Metoclopramid (mit verschiedenen Handelsnamen,<br />
siehe Hausarzt) wahrscheinlich die häufigste Ursache für ein übersehenes<br />
Parkinson-Syndrom auf medikamentöser Grundlage ist.<br />
– Kalzium-Antagonisten wie Flunarizin und Cinnarizin u.a. werden zur<br />
Behandlung von Schwindelerscheinungen, Gleichgewichts- und Hirndurchblutungsstörungen<br />
sowie zur Migränetherapie eingesetzt. Ein durch diese<br />
Arzneimittel mögliches Parkinsonoid zeichnet sich häufig durch Dyskinesien<br />
(Bewegungsstörungen) und eine Akathesie (Sitz-, Steh- und Geh-Unruhe)<br />
aus.<br />
– Bei den (vor allem trizyklischen, d. h. älteren) Antidepressiva und bei dem<br />
Phasen-Prophylaktikum Lithium zur Rückfallvorbeugung kann es – wenn<br />
auch selten – ebenfalls zu medikamentös bedingten Parkinson-Symptomen<br />
kommen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
� Wilson-Krankheit<br />
- 77 -<br />
Bei der Wilson-Krankheit (weitere Fachbegriffe: hepatolentikuläre Degeneration,<br />
Pseudosklerose Westphal-Strümpell, Morbus Wilson) handelt es sich um<br />
eine Stoffwechselstörung mit krankhafter Kupferanreicherung in Gehirn, Leber<br />
und anderen Organen.<br />
- Charakteristika: vor dem 40. Lebensjahr (Jugendalter 5 bis 20, Erwachsenenalter<br />
20 bis 40. Lebensjahr). Selten, vererbt.<br />
- Klinisches Bild: Dysarthrie, Dysphagie, Dystonie, selten Pyramidenzeichen.<br />
Ferner Halte-Tremor (selten Ruhe-Tremor) sowie Pseudo-Parkinson-<br />
Syndrom (akinetisch-rigider Typ) mit seelischen und psychosomatischen<br />
Folgen (Verhaltungsstörung, Depression, geistige Einbußen).<br />
- Wichtig: Wenn ein solches, scheinbar so früh auftretendes Parkinson-<br />
Syndrom diagnostiziert wird, muss eine Wilson-Krankheit ausgeschlossen<br />
werden. Denn hier lässt sich etwas erreichen, vor allem durch eine kupferarme<br />
Diät und bestimmte Arzneimittel zur Verminderung der Kupferaufnahme<br />
in Magen und Darm.<br />
� Vergiftungs-bedingtes Parkinson-Syndrom<br />
Auch Intoxikationen (Vergiftungen mit toxischen Stoffen) können ggf. ein<br />
<strong>parkinson</strong>-ähnliches Bild auslösen. Dazu gehören – wie teilweise schon<br />
erwähnt – Mangan-Vergiftungen (z. B. bei Minenarbeitern), Bleivergiftungen<br />
(die häufigste Ursache) sowie Kohlemonoxid, Organophosphate, Quecksilber,<br />
Karbondisulfid, Methanol, Zyanid, Arsen u.a.<br />
Einzelheiten siehe Fachliteratur. Eines aber gilt es grundsätzlich zu bedenken:<br />
Ein toxisch ausgelöstes Parkinson-Syndrom kann auch dann fortschreiten und<br />
sogar chronisch werden, wenn die Ursache schließlich behoben werden<br />
konnte. Auch hier ist also eine rechtzeitige Diagnose und Reaktion (Vergiftungs-Ursache<br />
verhindern) bzw. Therapie der wichtigste Schritt.<br />
� Creutzfeld-Jakob-Krankheit<br />
Die Creutzfeld-Jakob-Krankheit ist eine sehr seltene Hirnerkrankung mit allerdings<br />
raschem Fortschreiten (durchschnittliche Überlebenszeit 6 Monate). Sie<br />
gehört nicht zu den Parkinson-Syndromen, kann aber insofern täuschen, als<br />
es auch hier zu extrapyramidal-motorischen (Bewegungs-)Störungen mit rigorartiger<br />
Erhöhung der Muskelspannung kommen kann. Bei einer neueren Variante<br />
dieses Leidens ist das Erst-Erkrankungsalter niedriger (durchschnittlich<br />
29 Jahre) und der Krankheitsverlauf etwas länger (etwa 13 Monate). Unter-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 78 -<br />
schieden werden eine sporadische Form (keine bekannte Risikofaktoren:<br />
überwiegende Mehrzahl der Fälle), eine hereditäre (erbliche) Form sowie eine<br />
iatrogene Form (also durch ärztlichen Einfluss, beispielsweise Kontakt mit<br />
Hirn- und Nervengewebe, Verabreichung bestimmter Hormone, die aus<br />
Leichen-Gehirnteilen gewonnen wurde) sowie ggf. durch neurochirurgische<br />
Instrumente(?).<br />
Die Creutzfeld-Jakob-Krankheit hat auch eine makabre Komponente bzw.<br />
Variante. Sie zählt zu den neurodegenerativ übertragbaren spongioformen<br />
Enzephalopathien, wie man sie auch als „Kuru“ (Lach- und Schüttel<strong>krankheit</strong>)<br />
unter jenen Eingeborenen Westguineas gefunden hat, die sich durch Kannibalismus<br />
ein solches Leiden zugezogen haben (siehe Kontakt mit Hirn- und<br />
Nervengewebe).<br />
� Pseudo-Parkinson-Syndrome<br />
Zu den Pseudo-Parkinson-Syndromen, die also nur scheinbar eine Parkinson-<br />
Krankheit sind oder nachahmen, gehören der Normaldruck-Hydrozephalus,<br />
die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, die AIDS-<br />
Enzephalopathie, die traumatische Enzephalopathie (Boxer-Enzephalopathie)<br />
sowie die Folgen frontaler (Stirnhirn-)Tumoren. Im Einzelnen:<br />
- Ein Normaldruck-Hydrozephalus ist relativ selten. Es handelt sich um<br />
eine Erweiterung der nervenwasser-haltigen Hirnkammern (abwertender<br />
populärmedizinischer Begriff: „Wasserkopf“), obgleich scheinbar keine<br />
Druckerhöhungen in den Gehirnkammern nachgewiesen werden können, was<br />
sich allerdings bei fortlaufender Druckmessung als Irrtum herausgestellt hat.<br />
Bei den überwiegend älteren Patienten fällt vor allem eine <strong>parkinson</strong>-ähnliches<br />
Gangstörung auf (während die Arme unauffällig mitschwingen und auch die<br />
Fingerbewegungen kaum gestört sind). Deshalb spricht man auch von einem<br />
Parkinson-Syndrom der unteren Körperhälfte (englische Fachbezeichnung:<br />
lower body <strong>parkinson</strong>isme).<br />
Allerdings laufen diese Patienten breitbeiniger und mit großem Unsicherheitsgefühl.<br />
Der Gang ist nicht nur langsam und schlurfend, sondern auch unbeholfen,<br />
als müsste man das Gehen neu erlernen. Die üblichen Parkinson-<br />
Schwierigkeiten wie Start und Blockierung während des Gehens sowie die<br />
Probleme beim Drehen und Anhalten ähneln allerdings der echten Parkinson-<br />
Krankheit. Außerdem belasten eine ungehemmte Blasenentleerung und auf<br />
geistig-psychischer Ebene Orientierungs-, Antriebs- und Gemütsstörungen.<br />
Die Therapie besteht in einem Druckausgleich durch Entlastungspunktion,<br />
d. h. Entnahme von Gehirnwasser, ggf. durch spezielle Entlastungs-Operationen<br />
(Fachbegriff: Shunt).<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 79 -<br />
- Früher wurde die Diagnose „arteriosklerotisches“ oder „vaskuläres<br />
Parkinson-Syndrom“ sehr häufig gestellt. Ohne die heutigen Untersuchungstechniken<br />
(Computertomographie, Kernspintomographie, Ultraschalldiagnose<br />
u.a.) nahm man allzu zu oft degenerative Hirnerkrankungen an, insbesondere<br />
was ein mögliches „gefäßbedingtes Parkinson-Syndrom“ anbelangt. Heute<br />
weiß man, diese Form ist eher selten.<br />
Auch treten Schlaganfälle beim Parkinson-Patienten nicht häufiger auf wie im<br />
statischen Mittel und selbst der wichtigste Risikofaktor für die Arteriosklerose,<br />
der Bluthochdruck, ist bei diesen Patienten seltener. Oder kurz: Bei den meisten<br />
Parkinson-Kranken mit selbst ausgeprägten Parkinson-Symptomen findet<br />
man kaum gröbere Hinweise auf eine „Verkalkung“ der Hirngefäße.<br />
Etwas anderes ist hingegen die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie,<br />
die auf eine degenerative Hirngefäßerkrankung zurückgeht. Wichtige<br />
Risikofaktoren sind dabei Bluthochdruck, ausgeprägte<br />
Herzrhythmusstörungen und eine Zucker<strong>krankheit</strong>. Diese Patienten entwickeln<br />
in der Tat mehrere kleinere Schlaganfälle in Gehirnbereichen unterhalb der<br />
Großhirnrinde (= subkortikal), was auch jene Gehirnteile einbezieht, die mit<br />
einer Gang- und Standstörung reagieren. Das erinnert dann durch die<br />
breitbeinigen, unbeholfenen und schlurfenden Schritten an ein Parkinson-<br />
Syndrom. Die heutigen Untersuchungsverfahren sowie weitere neurologische<br />
Ausfallserscheinungen und Zeichen lassen die richtige Diagnose jedoch<br />
relativ rasch zu.<br />
- Hirntumor und Parkinson-Syndrom: Je nach Lokalisation (Ort) eines<br />
raumfordernden Prozesses, ob Blutung, vor allem aber Hirntumor, kann es zu<br />
bestimmten Krankheitszeichen und Ausfallserscheinungen kommen. So<br />
lassen sich auch Parkinson-Hinweise durch Hirnabszesse,<br />
Gefäßmissbildungen, Verkalkungen und Blutergüsse finden, wenn auch<br />
selten. So etwas führt mit den heutigen Untersuchungsmöglichkeiten (s. o.)<br />
nicht mehr lange zu Fehl-Diagnosen und damit Fehl-Therapien. Das gilt im<br />
Übrigen nicht nur für Tumore im Gehirn, sondern auch für bösartige<br />
Geschwülste in anderen Bereichen des Körpers, die durch ihre Metastasen<br />
(Tochtergeschwülste) auch im Gehirn Ausfallserscheinungen auslösen<br />
können.<br />
- Parkinson-Syndrom bei Hirnentzündung: Früher sah man ein Parkinson-Bild<br />
bei Enzephalitis (Hirnentzündung) öfter (Beispiel: Encephalitis lethargica).<br />
Heute gibt es so etwas nur noch selten, wenngleich nicht ausschließbar<br />
(durch Viren, Pilze, Tuberkulose, nach Schutzimpfungen). Ähnliches gilt für<br />
erworbene Immunschwächen (AIDS mit Toxoplasmose), für Multiple Sklerose<br />
(MS) und sogar für die Borreliose, was vorübergehende Parkinson-Zeichen<br />
anbelangt.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 80 -<br />
Bekannt ist auch die alte Erkenntnis, dass ein grippaler Infekt, ja eine banale<br />
Erkältung zur vorrübergehenden Verschlimmerung eines Parkinson-Leidens<br />
führen kann (was nach Genesung wieder zurückgeht).<br />
- Posttraumatisches Parkinson-Syndrom (Boxer-Enzephalopathie):<br />
Schädel-Hirn-Verletzungen nach Unfällen, insbesondere mit ausgedehnteren<br />
Hirnschädigungen, können zu einzelnen Parkinson-Symptomen (und weiteren<br />
neurologischen Störungen) führen. Sie nehmen jedoch im weiteren Verlauf<br />
nicht zu, bleiben meist einseitig betont und sind in der Regel auch von deutlicheren<br />
seelischen und psychosozialen Folgen begleitet.<br />
Eine fast schon spektakuläre Aufmerksamkeit errang schließlich eine alte<br />
Sport-Folge (früher ging man ohne gepolsterte Fausthandschuhe aufeinander<br />
los!), nämlich die Boxer-Enzephalopathie oder der Boxer-Parkinsonismus. Er<br />
geht auf viele kleine Blutungen und Gewebequetschungen in bestimmten<br />
Hirnarealen zurück, wie sie durch wiederholte Faustschläge ausgelöst werden<br />
können (was auch einmal durch einen Überfall nicht auszuschließen ist, in der<br />
Regel aber die erwähnten wiederholten Beeinträchtigungen voraussetzt). Begleitet<br />
wird dieses Parkinson-Beschwerdebild mitunter von bestimmten Beeinträchtigungen<br />
des Kleinhirns und einer dementiellen Entwicklung (erworbene<br />
Geistesschwäche).<br />
Einzelheiten zu diesem Phänomen, was vor allem durch berühmte Boxer und<br />
insbesondere den wohl bekanntesten Boxweltmeister, nämlich Muhamed Ali<br />
(Cassius Clay) ins Gespräch geriet, siehe das ausführliche Kapitel über Hirnstörungen<br />
und psychische Folgen.<br />
ANHANG:<br />
RESTLESS-LEGS-SYNDROM UND AKATHISIE<br />
Und schließlich soll noch abschließend zu zwei weiteren Syndromen (also<br />
charakteristischen Leiden aus zusammenpassenden Symptomen) kurz<br />
Stellung genommen werden, weil sie mit der Parkinson-Krankheit gewisse<br />
Berührungspunkte aufweisen.<br />
- Das Restless-legs-Syndrom (RLS) oder Syndrom der unruhigen Beine<br />
ist zwar relativ häufig (1 bis 5%), außerordentlich lästig bis quälend (s. u.) und<br />
leider in Ärztekreisen nicht so bekannt, wie es die wachsende Zahl von<br />
Betroffenen und ihre Beeinträchtigungen nahe legt. Es gehört auch nicht zum<br />
weiteren Parkinson-Kreis, scheint aber auf eine ähnliche Störung<br />
zurückzugehen und kann deshalb mit vergleichbaren Mitteln behandelt<br />
werden wie das Parkinson-Syndrom.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 81 -<br />
Gemeint sind quälende Missempfindungen, vorwiegend in den Beinen und ein<br />
ausgeprägter Bewegungsdrang – zur ungünstigsten Zeit, denn zumeist in<br />
Ruhe und vor allem verstärkt vor dem Einschlafen und gegen Mitternacht.<br />
Die Missempfindungen, vor allem in den Füße und Waden, werden als brennend,<br />
ziehend, kribbelnd, seltener auch als schmerzhaft oder gar krampfartig<br />
beschrieben. Gelindert werden sie, wenn auch unzureichend, durch ständiges<br />
Umdrehen und gymnastische Bewegungen, durch Aufstehen und Umherlaufen,<br />
durch Fußbäder und Massagen. Doch der Leidensdruck wächst und hat<br />
oftmals depressive Verstimmungen, Resignation, Hoffnungslosigkeit,<br />
Verzweiflung und sogar „dunkle Gedanken“ zur Folge (Suizidgefahr).<br />
Die Missempfindungen sind in der Mehrzahl der Fälle mit wiederholt auftretenden<br />
unwillkürlichen Muskelzuckungen in der Beinmuskulatur gekoppelt, und<br />
zwar sowohl im Schlaf als auch im entspannten Wachzustand. Sie gehen<br />
meist mit kurzen Bewegungen im Zehen-, Knie- und mitunter im Hüftgelenk<br />
einher. Deshalb nennt man sie auch periodische Extremitätenbewegungen.<br />
Sie dauern nur wenige Sekunden, wiederholen sich aber innerhalb kurzer Zeit<br />
(also periodisch) und treten mindestens 5 x pro Stunde auf (was dann die<br />
Diagnose sichert).<br />
Die Arme sind nur selten mitbetroffen. Doch es reichen auch die Beinbewegungen,<br />
denn sie stören den Nachtschlaf und führen durch vermehrte Tagesmüdigkeit<br />
zu einem Teufelskreis.<br />
Ursächlich unterscheidet man eine idiopathische sowie symptomatische Form.<br />
Die idiopathische, also ohne nachweisbaren Grund, scheint in etwa der Hälfte<br />
der Fälle auf eine erbliche Belastung zurückzugehen. Die zweite Gruppe<br />
beruht auf einer nachweisbaren Erkrankung, z. B. rheumatische Arthritis,<br />
Eisenmangel, chronische Lungenleiden, entzündliche Muskelerkrankungen,<br />
Schwangerschaft oder Dialyse (wohl eher Nierenleiden). Ähnliches gilt für das<br />
Schlaf-Apnoe-Syndrom, Vitamin B12-Mangel,<br />
Schilddrüsenfunktionsstörungen, die Einnahme von Antidepressiva,<br />
Neuroleptika und Lithium sowie eine Parkinson-Krankheit, die jedenfalls die<br />
unruhigen Beine verstärken können. Auch Alkohol und Koffein können das<br />
Beschwerdebild verschlimmern.<br />
Besonders riskant kann dieses – noch immer allzu lange verkannte – Leiden<br />
für bestimmte Berufsgruppen werden, nämlich Berufskraftfahrer,<br />
Berufspiloten, Lokführer, Arbeiter an gefährlichen Maschinen u.a. Hier kann<br />
sogar die Berufs- oder gar Erwerbsunfähigkeit diskutiert werden.<br />
Die Therapie ist nicht einfach, d.h. bei bekannter Ursache hängt die Linderung<br />
davon ab, wie man das auslösende Krankheitsbildes in den Griff bekommt.<br />
Bei idiopathischen Formen bieten sich jene Arzneimittel an, die auch beim<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 82 -<br />
Parkinson-Syndrom erfolgreich sind (z. B. L-Dopa (retard), Dopaminagonisten<br />
oder - 2. Wahl - Opiate, Benzodiazpine, Carbamazepin u.a).<br />
- Akathisie kommt vom griechischen und bezeichnet die Unfähigkeit zu<br />
sitzen. Wenn es nur das wäre. Es quält nicht nur eine erhebliche innere Unruhe<br />
mit dem Zwang zur ständigen Bewegung, die erst durch Umherlaufen<br />
gemildert wird, es droht auch eine lästige und nach und nach auffallende und<br />
damit stigmatisierende Geh- und Stehunruhe (Hin- und Herrutschen, Beine<br />
übereinander schlagen mit wippenden Bewegungen, Aufstehen, Hin- und Hergehen,<br />
Hinsetzen, manchmal sogar „stampfende“ Fußbewegungen u.a.).<br />
Dazu kommen Missempfindungen und brennende Schmerzen, meist im<br />
Bereich der Beine. Selbst so genannte Vokalisationen, also Lautäußerungen<br />
wie stöhnen, ächzen und brummen sind möglich.<br />
Die Akathisie wurde früher auch häufig mit einer Parkinson-Krankheit in Verbindung<br />
gebracht. Später registrierte man sie vor allem als belastende Nebenwirkung<br />
nach Behandlung mit hoch- und mittelpotenten Neuroleptika (antipsychotisch<br />
wirkende Psychopharmaka), und zwar bei Therapiebeginn als<br />
akute Akathisie und unter Langzeitbehandlung als so genannte tardive Akathisie<br />
(mit sehr begrenzten Behandlungs- bzw. wenigstens Linderungsmöglichkeiten).<br />
Heute findet sich die Akathisie vor allem im Rahmen eines medikamentös ausgelösten<br />
Parkinson-Syndroms (medikamentöses Parkinsonoid – siehe<br />
dieses). Die Behandlung besteht in dieser wenigstens günstigen Form im<br />
Absetzen des auslösenden Arzneimittels – sofern möglich. Lindernd werden<br />
auch bestimmte weitere Arzneimittel versucht (siehe Fachliteratur).<br />
APPARATIVE DIAGNOSTIK DER PARKINSON-KRANKHEIT<br />
Die Diagnose einer Parkinson-Krankheit ist klinisch zu stellen, d. h. durch eine<br />
gezielte Exploration (Befragung) von Patient und Angehörigen sowie eine<br />
fachärztliche (neurologische) Untersuchung.<br />
Aparative Zusatz-Untersuchungen sind zwar hilfreich, können aber den fachärztlichen<br />
Befund weder beweisen noch ausschließen. Sie sind aber wichtige<br />
zusätzliche Informationen, insbesondere was die Einschätzung des weiteren<br />
Verlaufs und eine Abgrenzung gegenüber anderen Krankheitsbildern anbelangt,<br />
die ähnliche Beschwerden machen können (Fachbegriff: Differentialdiagnose).<br />
Die wichtigsten derzeit verfügbaren apparativen Methoden sind: Elektroenzephalogramm<br />
- EEG/Hirnstrombild, visuell, akustisch und motorisch evozierte<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 83 -<br />
Potentiale, Elektrookulographie, Blinkreflex, apparative Tremor- und Bewegungsanalysen,<br />
bildgebende Verfahren wie transkranielle Ultraschallsonographie,<br />
Computertomographie, Magnetresonanztomographie, Positronen-<br />
Emissions-Tomographie (PET), Single-Photon-Emissions-Computertomographie<br />
(SPECT) u.a. Einzelheiten siehe Fachliteratur.<br />
Moderne Methoden zur Frühdiagnose des Morbus Parkinson<br />
Nachfolgend trotzdem einige Hinweise, die zwar nur den Spezialisten, also<br />
Nervenarzt oder Neurologen interessieren dürften, nämlich einige Methoden<br />
zur Frühdiagnose des Morbus Parkinson. Allerdings sind die Fachärzte auf<br />
mehr oder weniger gezielte Informationen durch die betroffenen Patienten und<br />
vor allem ihre Angehörigen angewiesen, was das rechtzeitige Erkennen unklarer,<br />
irritierender, dann aber wenigstens die rechtzeitige Diagnose anregender<br />
Beobachtungen anbelangt. Denn wer nichts merkt, zumindest nicht registriert<br />
bzw. entsprechend reagiert, der sucht auch keinen Arzt auf – und die<br />
Krankheit nimmt ihren Lauf, zuerst unbemerkt und damit mit unnötigem,<br />
manchmal sogar entscheidendem Zeitverlust (je früher, desto erfolgreicher).<br />
Also kann es nicht schaden, auch hier – allgemein verständlich – die neuesten<br />
früh-diagnostischen Methoden anzusprechen, um den Betroffenen und ihrem<br />
Umfeld nützliche Beobachtungs-Anregungen an die Hand zu geben. Ob sich<br />
das dann als bedeutsam oder gar entscheidend heraus stellt oder nicht, das<br />
zu entscheiden ist Aufgabe der Spezialisten. Aber diese können – wie erwähnt<br />
– nur tätig werden, wenn zuvor die Betroffenen „heilsam beunruhigt“ ihren Arzt<br />
um Rat fragen. Um was handelt es sich (nach G. Becker in der Fachzeitschrift<br />
Der Nervenarzt Suppl. 1/2003):<br />
Neben den im bisherigen Leben des Betreffenden eigentlich ungewöhnlichen und<br />
deshalb letztlich abklärungsbedürftigen Gemütsstörungen Angst und Depressionen<br />
sowie den plötzlichen Beeinträchtigungen zweier Sinnesorgane in Form von Riech-<br />
und Sehstörungen (siehe die entsprechenden Kapitel) sind es vor allem folgende<br />
apparative Methoden, die grundlegende Hoffnungen für eine effektive Früh-Diagnose<br />
vermitteln:<br />
- Die transkranielle Sonographie ist ein neues Untersuchungsverfahren, mit dem<br />
das Gehirn zweidimensional dargestellt wevden kann. Dabei weisen 90% der Patienten<br />
mit einem Morbus Parkinson eine deutlich angehobene „Echogenität der<br />
Substantia nigra“ auf, wobei „die Signalsteigerung kontralateral zur stärker betroffenen<br />
Seite ausgeprägter ist“, wie es in der neuroradiologischen Fachsprache<br />
heißt. Oder kurz auf Deutsch: Es lassen sich im Gegensatz zur klinisch gesunden<br />
Allgemeinbevölkerung bemerkenswerte Strukturveränderungen in bestimmten Gehirnbereichen<br />
erkennen, die als früh-diagnostische Maßnahmen genutzt werden<br />
können.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 84 -<br />
Und wiederum in der Fachsprache: „Es scheint eine erhöhte sonographische<br />
Signal-Intensität mit einer Reduktion des dopaminergen Neuronengehaltes in dieser<br />
Hirnregion einher zu gehen. Ursache dafür könnte ein zu hoher Eisen-Gehalt<br />
und die dadurch begünstigte Bildung von zellschädigenden reaktiven Sauerstoffspezies<br />
sein“. Erläuterung: Der so genannte Neurotransmitter Dopamin gehört zu<br />
den wichtigsten Botenstoffen im Gehirnstoffwechsel; seine unzureichende Verfügbarkeit<br />
führt zu einem Teil der Parkinson-Syndrome und muss dann therapeutisch<br />
entsprechend ergänzt werden (siehe später).<br />
- Eine weitere, allerdings aufwendige und kosten-intensive Methode wären nuklearmedizinische<br />
Verfahren. Auch hier ein kurzer neuropathologischer Exkurs: Histopathologische<br />
Untersuchungen (also des krankhaften (Gehirn-)Gewebes) weisen<br />
darauf hin, dass bis zu 10% der über 60-Jährigen in einem prä-diagnostischen<br />
Parkinson-Stadium (Phase II) so genannte Lewy-Körperchen im Bereich der<br />
mehrfach erwähnten Substantia nigra auftreten, die zu einem verstärkten Verlust<br />
bestimmter Nervenzellen (pigmentierter Neurone) führen. Deshalb wäre es nützlich,<br />
mit spezifischen Verfahren eine solche Schädigung vor Ausbruch der ja erst<br />
später eindeutigen Bewegungs-Störungen erkennen zu können.<br />
Dem dienen die oben erwähnten PET- und SPECT-Verfahren, die derzeit als die<br />
genauesten Untersuchungs-Methoden am lebenden Menschen (in-vivo-Methoden)<br />
gelten, was diese Fragestellung anbelangt. Tatsächlich kann in vielen Fällen damit<br />
eine frühe Schädigung des für diese Beeinträchtigungen entscheidenden Gehirn-<br />
Systems mit diesen nuklearmedizinischen Verfahren erkannt werden. Allerdings ist<br />
bis heute nicht ganz klar, ab welchem Schwellenwert man solche Defizite als<br />
auffällig zu bezeichnen hat. Deshalb kommen diese Methoden als Vorfeld-<br />
Untersuchungen heute nicht in Betracht, wohl aber zur Bestätigung einer frühen<br />
Schädigung dieser Gehirn-Strukturen.<br />
- Ein weiterer, derzeit in wissenschaftlicher Bearbeitung stehender Forschungsansatz<br />
richtet sich - auf den ersten Blick irritierend - nicht auf das Gehirn, sondern<br />
auf das Herz. Denn bei der Parkinson-Krankheit sind nicht nur spezielle Nervenzellen<br />
in bestimmten Gehirnregionen betroffen, sondern - und zwar schon in der<br />
Frühphase der Erkrankung - der Vagus-Nerv sowie weitere so genannte sympathische<br />
Nerven (Einzelheiten siehe Fachliteratur).<br />
Hier handelt es sich offensichtlich um eine Schädigungs-Kaskade (also einen<br />
mehrstufigen Ablauf), der nicht nur das zentrale (= Gehirn und Rückenmark), sondern<br />
auch das so genannte periphere Nervensystem (z. B. Herz- und anderen<br />
Nervenleitbahnen) außerhalb des Gehirns betrifft. Spezifische Gewebeuntersuchungen<br />
könnten also ggf. in einem noch nicht erkannten Früh-Stadium auf eine<br />
Parkinson-Krankheit „im Wartestand“ hinweisen.<br />
Zusammenfassend wird auf jeden Fall eines klar: Es gibt bereits Verfahren<br />
und man arbeitet an ihrer Perfektionierung, die eine relativ frühe Diagnostik<br />
des Morbus Parkinson ermöglichen, und zwar bevor die sonst typischen<br />
Symptome gemüts- und bewegungsmäßig und damit partnerschaftlich,<br />
familiär und vor allem beruflich zu belasten beginnen. Damit sind natürlich<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 85 -<br />
auch die Behandlungs-Chancen ungleich größer (nochmals: je früher, desto<br />
besser).<br />
ZUR THERAPIE DER PARKINSON-KRANKHEIT<br />
Eine kausale Behandlung (vom lateinischen: causa = Grund, Ursache), d. h.<br />
die eigentlichen Ursachen des Leidens betreffende Therapie ist bis heute nicht<br />
möglich. Was man nicht (genau) weiß, kann man auch nicht gezielt<br />
behandeln. Immerhin bleibt noch die Möglichkeit der symptomatischen<br />
medikamentösen Therapie und die ist erfolgreicher denn je, vor allem was die<br />
Lebensqualität der Patienten und Angehörigen betrifft. Sie setzt sich<br />
zusammen aus medikamentöser Behandlung, Krankengymnastik, Logopädie,<br />
Ergotherapie, aus sozialmedizinischer und psychologischer Beratung und –<br />
falls notwendig – aus operativen Maßnahmen. Im Einzelnen (nach R. Thümler,<br />
H. Reichmann, W. Jost, W. Vogel, J. Schwarz, A. Storch u.a. – siehe<br />
Fachliteratur):<br />
� MEDIKAMENTÖSE PARKINSON-BEHANDLUNG<br />
Die medikamentöse Behandlung der Parkinson-Krankheit ist die wichtigste<br />
Therapie-Säule, auch wenn sie – wie oben erwähnt – bisher nur symptomatisch<br />
möglich ist, d. h. die Symptome, nicht die Krankheitsursache angeht, dies<br />
aber wenigstens erfolgreich.<br />
Das wichtigste Therapieprinzip einer Arzneimittel-Behandlung ist die Substitution<br />
von Dopamin.<br />
Unter einer Substituation versteht man in diesem Fall die Ersetzung, also eine<br />
Art Nachschub von Substanzen an denen es offenbar mangelt. Dies ist vor<br />
allem der Neurotransmitter, also Botenstoff im Stoffwechsel des Gehirns<br />
namens Dopamin.<br />
Diesen Dopamin-Mangel (auf den die meisten, nach neueren Erkenntnissen<br />
aber bei Leibe nicht alle(!) Symptome einer Parkinson-Krankheit<br />
zurückgehen), versucht man dadurch auszugleichen,<br />
- dass man eine Vorstufe des Dopamins, nämlich L-Dopa (Levo-Dopa) –<br />
sparsam eingesetzt, um Spätfolgen zu vermeiden – hinzuführt,<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 86 -<br />
- dass man den Abbau von L-Dopa bzw. Dopamin durch so genannte MAO-<br />
B-Hemmer sowie COMT-Hemmer zu hemmen versucht bzw.<br />
- die Dopamin-Rezeptoren (also die reizempfindlichen Enden der entscheidenden<br />
Nervenfasern) direkt stimuliert, und zwar mit so genannten<br />
Dopamin-Agonisten. Sie scheinen sich vor allem in der Frühbehandlung der<br />
Parkinson-Krankheit zu bewähren, zumal sie auch deutlich weniger Nebenwirkungen<br />
(insbesondere Dyskinesien) auslösen als L-Dopa. Diese Arzneimittel<br />
werden in absehbarer Zeit wohl nicht nur als Tabletten u.a., sondern<br />
auch als Pflaster zur Verfügung stehen.<br />
Damit versucht man den <strong>krankheit</strong>s-entscheidenden Mangel an Dopamin<br />
direkt oder indirekt auszugleichen.<br />
Substanzen, die das Dopamin-System also durch Substitution (Ergänzung),<br />
Abbaublockade (die entscheidenden Substanzen gleichsam nicht unnötig zu<br />
verschwenden) oder durch direkte Stimulation der Dopamin-Rezeptoren<br />
(Empfindlichkeits-Verbesserung) stärken, werden meist unter dem Begriff der<br />
Dopaminergika oder Dopaminmetika zusammengefasst.<br />
„Während man früher noch glaubte, dass die Parkinson-Erkrankung eine<br />
reine Dopamin-Mangel-Krankheit ist, weiß man heute, dass auch das glutamaterge,<br />
adrenerge, noradrenerge, serotonerge, cholinerge und wohl weitere<br />
Transmittersysteme in ihrer Balance gestört sind. Aus der Grundlagenforschung<br />
sind darüber hinaus neue Erkenntnisse zur Entstehung des nigralen<br />
Zelltodes bekannt ..., so dass es vermessen wäre, darauf zu hoffen, dass ein<br />
einzelnes Medikament alle Mechanismen korrigiert und somit zur Behandlung<br />
multipler Transmitterstörungen ausreichen würde“ (H. Reichmann, psychoneuro<br />
29 (2003) 442).<br />
Eine Besserung des Beschwerdebildes ist auch durch nicht-dopaminhaltige,<br />
aber dennoch gezielt wirksame Substanzen möglich, z. B. über das cholinerge<br />
System (Wirkstoffe: Anticholinergika) und das glutamaterge-System (Wirkstoffe:<br />
NMDA-Rezeptor-Antagonisten).<br />
Dies zum neurophysiologischen, d. h. den Gehirnstoffwechsel betreffenden<br />
Hintergrund. Weitere Einzelheiten würden hier aber zu weit führen. Denn dies<br />
ist das ureigene Gebiet der behandelnden Ärzte (Neurologe, Nervenarzt, Psychiater,<br />
Allgemeinarzt bzw. hausärztlich tätiger Internist), die den Patienten<br />
und ihren Angehörigen dann auch die entsprechenden Informationen zukommen<br />
lassen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 87 -<br />
Weitere Einzelheiten siehe Spezial-Literatur (die es nebenbei auch von den<br />
Experten selber als allgemein-verständliche Beiträge gibt), am günstigsten<br />
aber vom behandelnden Arzt.<br />
� OPERATIVE PARKINSON-BEHANDLUNG<br />
Das Gleiche gilt für die operative Parkinson-Behandlung, also neurochirurgische<br />
Maßnahmen (Fachbegriffe: Stereotaxie, Hochfrequenzstimulation bzw.<br />
tiefe Hirnstimulation sowie Neurotransplantation). Sie kommen ohnehin nur für<br />
jene Patienten in Betracht, bei denen mit medikamentösen Maßnahmen keine<br />
befriedigenden Ergebnisse erreicht werden konnten, vor allem was die Spätkomplikationen<br />
des Leidens anbelangt.<br />
Einzelheiten deshalb auch hier siehe Fachliteratur bzw. Fachärzte oder auch<br />
die Deutsche Parkinson-Vereinigung. Da das Interesse in letzter Zeit aber<br />
vor allem zu den in Entwicklung begriffenen neuen Behandlungsmethoden:<br />
1. „stereotaktische Interventionen“ und 2. „Neurorestauration durch Zellersatz<br />
und endogene Regeneration“ spürbar zugenommen hat, nachfolgend einige<br />
Stichworte im Kasten.<br />
Stereotaktischen Interventionen<br />
Zu den stereotaktischen Interventionen (Fachbegriff) gehört vor allem die „tiefe<br />
Hirnstimulation“. Das ist ein mechanischer Eingriff durch Elektroden (dünne<br />
Drähte) in Vollnarkose durch einen Neurochirurgen in bestimmte Hirnregionen.<br />
Diese werden elektrisch vorübergehend „ruhiggestellt“. Die heute am meisten<br />
inaktivierte Gehirnregion ist der so genannte Nucleus subthalamicus. Damit ist<br />
es möglich, die wichtigsten Bewegungs-Beeinträchtigungen der Parkinson-<br />
Krankheit, nämlich Bradykinese und Rigor sowie – etwas schwächer – den<br />
Tremor zu verringern (man spricht von 30 bis 70%). Außerdem lässt sich die<br />
Dosis der medikamentösen L-Dopa-Behandlung deutlich senken. Und auch<br />
andere lästige bis quälende Symptome nehmen offenbar ab.<br />
Dieser Eingriff ist unter den heutigen technischen Bedingungen „komplikationsarm“.<br />
D. h. Blutungen oder Infektionen im Gehirn sind lediglich in 1 bis 4%<br />
der Fälle zu erwarten. Bei etwa 10% der Operierten muss aber mit psychischen<br />
Veränderungen gerechnet werden.<br />
Die „tiefe Hirnstimulation“ hat den Vorteil, dass sie kein Hirngewebe zerstört,<br />
sondern nur die Funktion bestimmter Nervenzellen beeinflusst. Leider lässt<br />
sich damit das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit nicht aufhalten. Auch<br />
eignet sich nicht jeder Betroffene für diesen Eingriff (z. B. nicht bei hohem<br />
Alter, eingeschränkter geistiger Leistungsfähigkeit und bestimmten Begleit-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 88 -<br />
erkrankungen). Auch ist nach der Operation für eine gewisse Zeit eine engmaschige<br />
fachärztliche Nachbetreuung erforderlich.<br />
Insgesamt aber sind sich die Fachärzte einig: Die „tiefe Hirnstimulation“ hat<br />
zur überzeugenden Besserung der Parkinson-Symptomatik geführt und ist<br />
mittlerweile eine akzeptierte Behandlungsmethode. Offen bleibt die Frage, ob<br />
man – wie bisher – nur weit fortgeschrittene Fälle einbeziehen oder dieses<br />
operative Verfahren früher nutzen soll. Hier stehen noch entsprechende<br />
Langzeit-Rückblicke aus (bisher überschaut man etwas mehr als 10 Jahre).<br />
Transplantation von embryonalen Zellen und Stammzellen<br />
Die – so die Fachbegriffe – Neurorestauration durch Zellersatz und endogene<br />
Regeneration kann auf eine noch nicht so lange Erfahrung zurückblicken und<br />
hat auch ethische Klippen zu überwinden. Der Morbus Parkinson ist ja durch<br />
die fortlaufende Degeneration (krankhafter Abbau) dopaminerger Neuronen in<br />
einer bestimmten Hirnregion namens Substantia nigra pars compacta charakterisiert.<br />
Das führt zu einem Mangel des Botenstoffs Dopamin in dem Gehirnteil<br />
Striatum mit den bekannten Bewegungseinbußen (s.o.). Deshalb hat man<br />
sich schon früh überlegt, ob man nicht diese untergegangenen oder<br />
erkrankten dopaminergen Nervenzellen auf irgendeine Weise ersetzen<br />
könnte. So etwas ist beispielsweise möglich mit der intrastriatalen<br />
Transplantation von primärem, embryonalem, humanem, mesenzephalem<br />
Gewebe, das bekanntlich reich an dopaminergen Neuronen ist. Einzelheiten<br />
zu dieser regenerativen Therapie siehe Fachliteratur.<br />
Leider ist diese Technik bisher noch nicht so ausgereift, dass sie zu weiterreichenden<br />
konkreten Hoffnungen Anlass geben könnte. Dabei wirft sie nicht<br />
nur eine Reihe wissenschaftlicher, vor allem logistischer, sondern eben auch<br />
ethischer Fragen auf.<br />
Hoffnungsvoll erscheinen jedoch die Überlegungen der Wissenschaftler, die<br />
feststellen: Die kontrollierte Produktion von dopaminergen Neuronen erscheint<br />
technisch möglich. Auch hat das erwachsene Gehirn des Menschen<br />
zumindest eine begrenzte regenerative Möglichkeit, ähnlich wie in jüngeren<br />
Entwicklungsstadien. Denn darauf kommt es an. Man will ja nicht nur<br />
ersetzen, man will auch zur „Eigen-Produktion“ anregen. Bisherige<br />
Untersuchungen stützen sich vor allem auf Tier-Experimente. Die Frage lautet:<br />
Inwieweit ist dies auf den Menschen übertragbar und nochmals: ist es auch<br />
ethisch vertretbar (nach Aktuelle Neurologie Suppl.2, Bd.30/2003 und<br />
psychoneuro 29/2003).<br />
� NICHT-MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 89 -<br />
Zu den nicht-medikamentösen Behandlungsformen, auch konservative Therapiearten<br />
genannt, gehören Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und psychosoziale<br />
Betreuung.<br />
Das sind nach heutiger Erkenntnis nicht nur wichtige Ergänzungen, sondern<br />
wesentlicher Bestandteil im langfristigen Gesamt-Behandlungskonzept der<br />
Parkinson-Krankheit. Sie müssen individuell angepasst werden, was Krankheitsstadium,<br />
Art des Leidens, Persönlichkeitsstruktur und sonstige (psychosoziale)<br />
Bedingungen, vor allem aber auch das Alter anbelangt. Sie stehen<br />
heute, repräsentiert von den jeweiligen speziell ausgebildeten Experten, praktisch<br />
überall zur Verfügung und optimieren das derzeitige<br />
Behandlungsangebot in einer Weise, wie man sich dies vor einigen<br />
Jahrzehnten noch nicht hätte vorstellen können. Im Einzelnen:<br />
– Physiotherapie<br />
PhysiotherapeutenInnen (früher als KrankengymnastInnen bezeichnet) sind<br />
die Spezialisten der physikalischen Therapie, auch als Physiotherapie bezeichnet.<br />
Das ist die Anwendung physikalischer Reize im weitesten Sinne zur<br />
Vorbeugung, Therapie und Rehabilitation. Dazu gehören Wärme- und Kältebehandlungen,<br />
Wasseranwendungen (Hydrotherapie), Bewegungs- und Massagetherapien,<br />
die Anwendung von Elektrizität (Elektrotherapie), von Heilquellen<br />
(Balneologie), Klima-, Licht - u.a. Behandlungsverfahren.<br />
Ziel der Physiotherapie beim Parkinson-Syndrom ist die Erhaltung und Förderung<br />
der verbliebenen Bewegungsfähigkeit, um vor allem die Bewegungsabläufe<br />
neu einzuüben. Damit unterscheiden sich die Übungsprogramme bei<br />
Parkinson-Patienten deutlich von der Krankengymnastik anderer neurologischer<br />
Leiden (z. B. Schlaganfall, denn hier handelt es sich nicht um Lähmungen,<br />
denn die Bewegungen des Parkinson-Kranken mögen zwar verlangsamt<br />
sein, jedoch weitgehend im gewohnten Kräfte-Rahmen).<br />
Dabei wird das krankengymnastische Programm möglichst individuell erstellt,<br />
je nach den entsprechenden Bedingungen (Alter, Schwerpunkt der Behinderung,<br />
sonstige Beeinträchtigungen). Manche Patienten tun sich schwer, sollten<br />
aber wissen (und ihre Angehörigen auch): Leichte bis mäßige körperliche Belastungen<br />
sind auch für den Parkinson-Patienten unbedenklich, fördern außerdem<br />
die Herz-Kreislauf-Funktionen und damit Ausdauer, Wohlbefinden und<br />
sogar die geistige Leistungsfähigkeit. Was die jeweiligen Schwachpunkte anbelangt,<br />
so werden sie für spezielle Übungsabläufe gemildert, die später<br />
selbstständig (oder ggf. mit Unterstützung des Umfeldes) und vor allem regelmäßig<br />
durchgeführt werden sollen.<br />
Hilfreich ist dabei auch eine Parkinson-Selbsthilfegruppe, nützlich nicht nur<br />
durch die dort angebotene Gruppengymnastik, sondern auch durch die Er-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 90 -<br />
kenntnis, nicht alleine zu sein, sich nicht unnötig einer Rückzugs- und damit<br />
Isolationsgefahr preis zu geben. Auch erfährt man dort am meisten über Hilfsmittel<br />
und -geräte.<br />
Das Wichtigste aber ist ein regelmäßiges Training. Zeitlich begrenzte physiotherapeutische<br />
Maßnahmen, und seien sie noch so intensiv, bringen auf<br />
Dauer nichts, wenn sie der Patient nicht selber fortzuführen gewillt ist.<br />
Einzelheiten zur den spezifischen krankengymnastischen Übungsprogrammen<br />
siehe die spezielle Literatur, insbesondere was Startprobleme, Gleichgewicht,<br />
Blockierungen, vermeintliche Hindernisse wie Bodenwellen, Türschwellen,<br />
Bordsteinkanten, Teppiche, enge Durchgänge, Sturzrisiko u.a. und entsprechende<br />
Tricks anbelangt, mit denen man Behinderungen erstaunlich erfolgreich<br />
neutralisieren kann (z. B. lautes Zählen, Kommandos, kurzer Schlag auf<br />
den Oberschenkel, Marschmusik, Metronom, Freezing-Stock, Laserpointer als<br />
optische Hilfe usw.). Ähnliches gilt für Schwimmen, Massage und Sport jeglicher<br />
Art, sofern angepasst und erst einmal physiotherapeutisch kontrolliert.<br />
– Anhang: Bewegungstipps für Parkinson-Betroffene<br />
Viele Parkinson-Patienten befürchten, dass körperliche bzw. sportliche Betätigung<br />
ihren Zustand verschlechtern könnte. Diese Sorge ist nicht nur unbegründet,<br />
das Gegenteil ist der Fall. Was sollte man beachten (modifiziert nach<br />
ZNS-Spektrum 1/2003) ?<br />
- Als erstes sollte man vermeiden, alle neu auftretenden körperlichen Einschränkungen<br />
auf seine Parkinson-Krankheit zurückzuführen. Vieles hängt<br />
auch mit dem zunehmenden Alter zusammen, beispielsweise die Abnahme<br />
von Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit sowie Gelenkbeschwerden und Osteoporose.<br />
Vor allem altersbedingte körperliche Leistungseinbußen lassen sich ja<br />
durch ein vernünftiges Training deutlich verlangsamen (nicht beheben, nicht<br />
bessern, aber verlangsamen, man sollte zwar bescheiden, aber auch konstruktiv<br />
optimistisch und aktiv sein!).<br />
- Parkinson-Kranke spüren ihr Leiden oft in Ruhe weniger als bei Bewegung.<br />
Deshalb neigen sie dazu, sich übermäßig zu schonen. Hierdurch verstärken<br />
sich aber manche Probleme unnötig. Beispiele: Weiterer Muskelschwund,<br />
mangelndes Herz-Kreislauf-Training.<br />
Also sollte man sich nicht zu übermäßiger Schonung verleiten oder überreden<br />
lassen. Das beste ist eine sportmedizinische Untersuchung und Beratung, die<br />
Hausarzt oder Neurologe in die Wege leiten können. Dabei wird auch die<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 91 -<br />
Kreislaufregulation überprüft. Denn Parkinson-Kranke neigen bekanntlich zu<br />
Blutdruckabfall (vor allem beim Aufstehen oder nach Mahlzeiten). Bei einigen<br />
passt sich der Puls nicht flexibel genug dem Ausmaß der körperlichen Belastung<br />
an.<br />
- Deshalb sollte man mindestens zwei Mal in der Woche trainieren, optimal<br />
sind sogar drei Trainings-Einheiten. Mit spürbaren Leistungssteigerungen darf<br />
man allerdings erst nach ein bis zwei Monaten rechnen. Auch sollte man pro<br />
Übungseinheit nicht länger als 45 bis 60 Minuten trainieren. Bekanntlich ist<br />
vorher und nachher auch genügend Zeit zum Umkleiden einzuplanen.<br />
Intensität und Dauer der Übungen sollten langsam erhöht werden, damit sich<br />
der Organismus anpassen kann. Besonderer Wert ist auf Übungen zu legen,<br />
die Beweglichkeit, Gleichgewichtsvermögen, Kraft, Körperhaltung, Koordination<br />
unterschiedlicher Aufgaben sowie den Start und den Wechsel von Bewegungen<br />
(vorwärts, rückwärts, seitwärts Laufen) fördern. Das geht am besten<br />
durch dauerhaften Sport-Einsatz, da die Trainingserfolge sonst innerhalb weniger<br />
Wochen und Monate wieder komplett verloren gehen.<br />
- Günstig ist der Anschluss an eine Parkinson-Sportgruppe (die Adressen<br />
über Hausarzt, Neurologen oder die Deutsche Parkinson-Vereinigung – siehe<br />
im Anhang). Solche Gruppen werden meist von erfahrenen und speziell ausgebildeten<br />
Übungsleitern betreut. Wenn der behandelnde Arzt eine Verordnung<br />
über Rehabilitationssport ausstellt, kann der betreffende Sportanbieter<br />
die Kosten des Trainings teilweise der Krankenkasse in Rechnung stellen.<br />
Gruppen haben auch den Vorteil, dass sie vor sozialem Rückzug schützen,<br />
entsprechende Ängste nehmen und durch gemeinsame Sportspiele wieder<br />
Spaß an entsprechenden Aktivitäten ermöglichen. Gut wäre es, einer Gruppe<br />
anzugehören, deren Mitglieder ungefähr das gleiche Beeinträchtigungs-<br />
Ausmaß zu ertragen haben. So beugt man Über- oder Unterforderungen vor,<br />
von den resignativen, pessimistischen oder gar deprimierten Reaktionen ganz<br />
zu schweigen. Auch lassen sich dadurch leichter Partner-Übungen realisieren.<br />
- Die sportlichen Angebote sind aber nicht nur dazu da, um Beweglichkeit<br />
oder Fitness auf einem möglichst hohen Niveau zu halten. Sportliches<br />
Training verhindert auch Komplikationen als Folge von Bewegungsmangel.<br />
Beispiele: Haltungsschäden, Muskelschwund, Kreislaufschwäche,<br />
Übergewicht, Atemwegsprobleme.<br />
Neurophysiologische Erkenntnisse sprechen beispielsweise dafür, dass für<br />
das bekanntlich mühsame Aufstehen des Parkinson-Kranken eine besondere<br />
Schwäche der Hüftmuskulatur verantwortlich ist (wobei die Schwäche in den<br />
Kniegelenken weitaus weniger problematisch zu sein scheint). Offenbar ent-<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 92 -<br />
wickeln die meisten Parkinson-Patienten im Hüftgelenk nur 70% jener Kraft,<br />
die Gesunden zur Verfügung steht. Das heißt aber, dass man sich sowohl<br />
krankengymnastisch als auch im persönlichen Engagement vor allem auf ein<br />
Krafttraining der Beine, insbesondere der Muskeln im Bereich des Hüftgelenkes<br />
konzentrieren sollte.<br />
Auch ein anderes Untersuchungsergebnis bestätigt eine alte Erfahrung: Massagen<br />
(von etwa je 30-minütiger Dauer) scheinen sich nicht nur besonders<br />
günstig auf die Alltagsbewältigung und den Schlaf von Parkinson-Kranken<br />
auszuwirken, sie verringern auch im Urin die Konzentrationen der Stress-<br />
Hormone Adrenalin und Nor-Adrenalin, oder kurz: Massage entspannt – vor<br />
allem den Parkinson-Kranken mit seinen individuellen, aber eben auch nachvollziehbaren<br />
Stress-Problemen in der Bewältigung eines Alltags, was den<br />
Gesunden gar nicht als besondere Leistung auffällt (nach ZNS-Spektrum<br />
4/2003).<br />
Auch beugt der Ausdauersport einer ohnehin allseits zunehmenden und beim<br />
Parkinson ja besonders lästigen „chronischen Müdigkeit“ oder gar Mattigkeit<br />
vor und hilft sogar eine Depression zu verhindern (siehe die entsprechenden<br />
Kapitel). Noch günstiger ist es, sich durch passende Musik rhythmisch<br />
stimulieren zu lassen.<br />
- Schließlich geht es darum, selber herauszufinden, welche sportlichen Angebote<br />
besonders zusagen oder nützlich sind. So hat beispielsweise Wassergymnastik<br />
für einige Patienten durchaus Vorteile, vor allem beim Training in<br />
warmem Wasser (27 bis 31 °C), da sich dort die Muskulatur besonders gut<br />
entspannt und auch die Körperwahrnehmung verbessert wird. Auch ist die<br />
Überwindung des Wasserwiderstandes eine angenehme Form von Krafttraining,<br />
wobei man aber ausschließlich im Nichtschwimmer-Becken und in der<br />
Nähe von Haltegriffen trainieren sollte.<br />
- Zuletzt der Rat, der jedem einleuchtet, aber nicht immer umgesetzt wird,<br />
nämlich die zeitliche Abstimmung von sportlicher Aktivität und Medikamenten-<br />
Einnahme. Beides sollte so gelegt werden, dass die Trainingszeit möglichst in<br />
die Phase der stärksten Medikamenten-Wirkung fällt (so genannte „On-<br />
Phasen“). Auch wird der Haus- oder Nervenarzt entscheiden müssen, ob bei<br />
intensiver sportlicher Betätigung die Anti-Parkinson-Medikation entsprechend<br />
angepasst (z. B. bei L-Dopa) werden muss (modifiziert nach ZNS-Spektrum<br />
1/2003).<br />
– Ergotherapie<br />
Die Ergotherapie bemüht sich um die Förderung und Wiederherstellung eingeschränkter<br />
körperlicher, seelischer, geistiger und psychosozialer Funktionen.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 93 -<br />
Sie sollte nicht mit dem früher gebräuchlicheren Begriff „Beschäftigungstherapie“<br />
verwechselt werden, zumal sie ein weitaus größeres Aufgaben-Spektrum<br />
wahrnimmt. Wichtigstes Ziel ist die größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag,<br />
d. h. zu Hause und – wenn noch im Berufsleben stehend – am Arbeitsplatz.<br />
Bei Parkinson-Patienten geht es vor allem um das Training der so genannten<br />
feinmotorischen Leistungsfähigkeit und die Aufrechterhaltung bzw. Koordination<br />
des Gleichgewichts. Stehen Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen<br />
im Vordergrund, nutzt die Ergotherapie neuropsychologisch<br />
orientierte Trainingsmethoden, z. B. ein Hirnleistungstraining. Wichtig ist auch<br />
die Motivation, d. h. Ermunterung, Zuspruch und vor allem Geduld (und die<br />
Fähigkeit, sich von einer möglicherweise negativen Sichtweise des<br />
Betroffenen nicht anstecken zu lassen, eine Empfehlung, die für alle im<br />
Umfeld der Parkinson-Erkrankten gilt).<br />
Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass der Leistungsgrad zwar kontinuierlich,<br />
aber angepasst gesteigert werden soll. Überforderungen führen rasch zu Resignation,<br />
Depressivität, Miss-Stimmung, Reizbarkeit, kurz: der Patient, seine<br />
Angehörigen und Therapeuten geben vielleicht auf. Das gilt es zu verhindern<br />
bzw. rechtzeitig zu erspüren, ob sich so eine Entwicklung anzubahnen droht.<br />
Die Alltags-Aktivitäten bzw. ihre entsprechenden Übungen umfassen vor allem<br />
Körperpflege, An- und Auskleiden, das selbstständige Essen und die Haushaltsführung.<br />
Dem dienen vor allem manuelle Therapieverfahren (vom lateinischen:<br />
manus = Hand), d. h. Malen, Plastilieren, Bastelarbeiten u.a. Sie<br />
mögen auf den ersten Blick schlicht, unterfordernd, vielleicht sogar<br />
diskriminierend einfältig wirken, sind aber äußerst nützliche Hilfsmittel und<br />
müssen – wie der Therapieverlauf rasch zeigen wird – in Einzelfällen<br />
überhaupt erst wieder erlernt werden, vom fortlaufenden Training und vor<br />
allem von der Erhaltung dieser Fähigkeiten ganz zu schweigen.<br />
Bei den kognitiven Störungen gibt es spezielle Übungsmaterialien zum Gedächtnistraining,<br />
auch als „Hirn-Jogging“ bekannt. Dabei kommen inzwischen<br />
auch verschiedene Computerprogramme zum Einsatz. Trainiert werden vor<br />
allem Gedächtnisleistung, Konzentrationsfähigkeit sowie Denk- und Handlungsabläufe.<br />
Und ein letzter Aspekt ist bedeutsam und fällt im erweiterten Sinne ebenfalls in<br />
den Aufgabenkatalog der Ergotherapie: Der Patient (und seine Angehörigen)<br />
müssen fortlaufend (Stichwort: leidenschaftslos, aber beharrlich) dazu ermuntert<br />
werden, die Geselligkeit weiterzuführen und die alten Hobbies zu pflegen.<br />
Sicherlich, der Kräfte- und vor allem Zeitaufwand sind ungleich größer geworden,<br />
aber das Ergebnis rechtfertigt jeglichen Einsatz und wirke er auf den<br />
ersten Blick noch so mühsam oder gar frustrierend.<br />
– Logopädie<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 94 -<br />
Die Logopädie befasst sich mit Stimm-, Sprach- und Sprechstörungen. Dazu<br />
gehören auch Lesen, Schreiben und der Umgang mit Zahlen. Parkinson-<br />
Patienten haben in dieser Sparte ebenfalls Probleme, nämlich ihre<br />
charakteristischen Stimm- und Sprechstörungen (Fachbegriff:<br />
Dysarthrophonie). Schuld daran sind Störungen der Artikulation (die Formung<br />
der Sprachlaute durch koordiniert abgestimmte Bewegungen von<br />
Mundhöhlenwandung, Lippen, Zähnen, Zunge, Gaumensegel, Rachen und<br />
Kehlkopf), der Phonation (Tonbildung im Kehlkopf durch Einatmungsluft und<br />
entsprechende Bewegung der Stimmbänder), der Atmung u.a.<br />
Da sich die Stimm-, Sprach- und Sprechstörungen im zwischenmenschlichen<br />
Bereich, d. h. im Alltag besonders negativ auswirken können und zu entsprechender<br />
Resignation bzw. schamhaftem Rückzug mit Isolationsgefahr führen,<br />
nachfolgend eine etwas ausführlichere Darstellung des Problems und seiner<br />
logopädischen Behandlungsmöglichkeiten.<br />
Die Dysarthrophonie bei Parkinson-Kranken wird durch folgende Beeinträchtigungen<br />
nachvollziehbar:<br />
- leise, monotone Sprechweise (Fachbegriffe: Hypophonie, Monotonie)<br />
- Störung in der Formung der Sprachlaute (Dysarthrie)<br />
- rasche Ermüdbarkeit der Stimme<br />
- veränderte Sprachmelodie (Prosodie)<br />
- Stimmtremor (zittrige Stimme)<br />
- verlangsamter oder beschleunigter Silbenfluss<br />
- Dyskinesien (Bewegungsstörung) im Mund-Zungen-Bereich<br />
- Sprechblockade (Fachbegriff: Freezing („Vereisung“) des Sprechens)<br />
- beschleunigtes Sprechen (Fachbegriff: „Festination“ des Sprechens)<br />
Die ungewöhnliche Sprachmelodie, d. h. eigenartige Betonung beim Sprechen<br />
und die unerwarteten Pausen dazwischen gehen einerseits auf die gestörte<br />
Atemtechnik, andererseits auf den Rigor, also den erhöhten Spannungszustand<br />
der Schlundmuskulatur zurück. Die Störung der Artikulation, also die<br />
Formung der Sprachlaute dagegen wird vor allem der erhöhten Muskelspannung<br />
der Zungen- und Mundmuskulatur angelastet. Der Silbenfluss, auch als<br />
Sprachrate bezeichnet, kann verlangsamt, beschleunigt oder normal sein und<br />
auch seine Geschwindigkeit (Sprachfluss-Frequenz) verändern. Bewegungsstörungen<br />
im Mundbereich, vermehrter Speichelfluss oder Mundtrockenheit<br />
können das Sprechen natürlich zusätzlich behindern. Je früher die<br />
erfolgreiche medikamentöse Gesamt-Behandlung, desto erträglicher auch die<br />
Sprechstörungen.<br />
Wird es aber in diesem Bereich immer enger, d. h. kommt es zu Verständigungs-Problemen<br />
im Alltag und damit zu den befürchteten psychosozialen<br />
Reaktionen (insbesondere Rückzug und Isolationsgefahr), ist die Logopädie<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 95 -<br />
gefordert, zumal ja neben der Sprechstörung auch noch eine verminderte<br />
Mimik und Gestik das Gesamtbild beeinträchtigt (und das weiß der Patient –<br />
und der Teufelskreis ist programmiert).<br />
Die Logopädie beim Parkinson-Syndrom zielt deshalb auf eine bessere Koordination<br />
von Atmung und Stimmproduktion, auf die Beeinflussung der<br />
Sprachmelodie, auf die Motivation, sich dem zwischenmenschlichen Kontakt<br />
zu stellen und sei es noch so mühsam oder frustrierend und auf die Behandlung<br />
von Kau- und Schluckstörungen ab. Beteiligt sind neben Logopäden auch<br />
Sprachtherapeuten (z. B. Sonderpädagogen mit Schwerpunkt Sprachtherapie)<br />
und Neurolinguisten (Sprechwissenschaftler), die – jeder auf seinem Gebiet –<br />
unterschiedliche Methoden und Techniken zur Förderung zwischenmenschlicher<br />
Kontakte erarbeitet haben, was sich dann auch für den Parkinson-<br />
Betroffenen auszahlt.<br />
Allerdings ist ein länger anhaltender Erfolg nur bei sehr motivierten und geistig<br />
nicht (allzu sehr) eingeschränktenn Patienten zu erwarten. Und wenn das<br />
Umfeld einbezogen wird und aktiv mitmacht.<br />
Aktiv heißt aber für die anderen: Sich ständig daran erinnern, dass man sich<br />
beim Kontakt mit Parkinson-Patienten für ein Gespräch Zeit lassen muss,<br />
dass man lernen sollte zuzuhören, auch wenn es noch so „stockend daher<br />
kommt“. Und dass man vor allem vermeiden sollte, die ja offensichtlich<br />
mühsam formulierten Sätze ständig abzuschneiden um sie selber zu Ende zu<br />
führen. Beziehungsweise in jeder Hinsicht spüren zu lassen, dass das<br />
Gespräch als mühsam, zeitraubend oder gar wenig ergiebig empfunden wird.<br />
Denn auch hier gilt der Satz: Die Form ist ein Teil des Inhalts.<br />
Deshalb müssen Parkinson-Patienten ihre verbliebenen Sprechfunktionen<br />
auch ständig trainieren, vor allem was die alltägliche Kommunikation anbelangt.<br />
Dazu gehören so genannte mund-motorische Übungen (z. B. vor dem<br />
Spiegel), Sprechübungen mit lautem Sprechen sowie die Kontrolle der<br />
Sprechgeschwindigkeit und Sprachmelodie (evtl. mit akustischer Taktgebung).<br />
Und natürlich Atem- und Schluck-Übungen.<br />
Die zusätzlichen Mimik-Übungen (Fachbegriff: Innervations-Übungen der<br />
mimischen Muskulatur) unterstützen diese Bemühungen, woraus diejenigen,<br />
die gesund bleiben durften ersehen können, was alles im<br />
zwischenmenschlichen Bereich gleichsam anatomisch-„automatisch“ und<br />
damit weitgehend unbewusst-mühelos abläuft.<br />
Darüber hinaus gibt es noch Unterstützungsmöglichkeiten, die immer häufiger<br />
genutzt werden, z. B. „Sprechbrett“, Biofeed-back-Verfahren sowie Tonkassetten<br />
zu Übungszwecken.<br />
Int.1-Parkinson.doc
– <strong>Psychosoziale</strong> Betreuung<br />
- 96 -<br />
Wer die Ausführungen bis hierher verfolgt hat wird bestätigen: Die psychosoziale<br />
Betreuung gehört gerade beim Parkinson-Syndrom zum wichtigsten<br />
Behandlungs-Faktor, gleichsam eine unersetzliche Therapie-Säule. Da das<br />
Leben aber vielschichtig ist braucht es auch mehrere Spezialisten, die in diesem<br />
Falle gezielt weiterhelfen: Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, spezialisierte<br />
Schwestern und Pfleger, die schon in der Klinik die zukünftige Richtung<br />
bestimmen helfen, denn danach geht es in den Alltag, und der ist für Parkinson-Beeinträchtigte<br />
nicht der gleiche wie für Gesunde. Um was geht es?<br />
Als erstes gilt es einen strukturierten Tagesplan zu erstellen – und<br />
einzuhalten. So sollte man sich neben den Routine-Aufgaben auch für jeden<br />
neuen Tag Aufgaben vornehmen, die nicht nur zur Pflicht, sondern auch zur<br />
Freude gehören, Spaß machen, vor allem aber die Bewegungsfähigkeit<br />
erhalten und fördern:<br />
Zum Beispiel sollte man nicht zu spät aufstehen und schon vor dem Frühstück<br />
seine gymnastischen Übungen absolvieren (ein voller Bauch turnt nicht gern,<br />
allerdings muss man natürlich zuvor die Medikamentenwirkung abwarten,<br />
sonst wird es mühsam). Nach dem Mittagessen spricht nichts gegen ein<br />
Mittagsschläfchen, das aus den bekannten Kreislauf-Gründen zwischen einer<br />
Viertel- und ganzen Stunde variieren darf (darüber hinaus kommen vor allem<br />
Menschen mit niederem Blutdruck nicht mehr so recht auf die Beine; außerdem<br />
kann bei den Älteren mit ihrer manchmal reduzierten Nachtschlaf-Fähigkeit<br />
der notwendige Schlafdruck verringert werden, was dann mit unnötigem<br />
nächtlichem Wachliegen bezahlt werden muss).<br />
Während des Tages gilt es an Geselligkeiten teilzunehmen, auch wenn es<br />
natürlich mühsamer ist als in gesunden Zeiten (siehe Bewegungs- und<br />
Sprech-Einschränkungen). Banal erscheinend, aber wichtig sind<br />
Unternehmungen mit Kindern, Enkeln, sonstigen Verwandten, Freunden,<br />
Nachbarn, Arbeitskollegen, die (Re-)Aktivierung eines Stammtisches<br />
(Kartenspiele fördern die geistige Leistungsfähigkeit), die Teilnahme an<br />
entsprechenden Angeboten von Volkshochschulen, Ausstellungen, Museen<br />
u.a.<br />
Die Frage, ob ein Haustier angeschafft werden soll, ist nur individuell zu lösen.<br />
Es hängt auch von der Art des Haustiers ab. Wer nur den „Gewinn“ einer solchen<br />
und dann meist neuen „Partnerschaft“ im Auge hat, kann natürlich auch<br />
mit Problemen konfrontiert werden, die ihm die Freude verderben. Eine entsprechende<br />
Einstellung sollte zuvor schon vorhanden sein. So kann zwar ein<br />
Hund die notwendigen Bewegungs-Anforderungen unterstützen, ist aber bekanntlich<br />
nicht nur ein Haustier, sondern ein Familienmitglied, das auch eine<br />
entsprechende Behandlung erwarten darf.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 97 -<br />
Konkrete Hinweise für PflegerInnen von Parkinson-Kranken siehe nachfolgender<br />
Kasten.<br />
Hinweise für PflegerInnen von Parkinson-Kranken<br />
______________________________________________________________<br />
_<br />
Auf was muss man achten, besonders wenn man bisher noch wenig<br />
Erfahrung mit Parkinson-Patienten machen konnte? Nachfolgend einige<br />
Hinweise aus den Empfehlungen der Deutschen Parkinson-Vereinigung:<br />
- Achten und unterstützen Sie die Selbstständigkeit des Patienten.<br />
- Schätzen und nutzen Sie die Kenntnisse und Erfahrungen seiner Angehörigen.<br />
- Nehmen Sie dem Patienten möglichst nicht die Verantwortung für die Einnahme<br />
seiner Medikamente ab. Helfen Sie ihm dabei, seine Arzneimittel<br />
selbstständig und genau einzunehmen. Dabei gilt es, die empfohlenen<br />
Einnahmezeiten und Dosierungen einzuhalten.<br />
- Beachten Sie bei zusätzlich verordneten Medikamenten, dass sich Wechselwirkungen<br />
bzw. Unverträglichkeiten neu ergeben können. Halten Sie<br />
mit dem behandelnden Arzt Rücksprache, sobald Ihnen Unregelmäßigkeiten<br />
auffallen.<br />
- Unterstützen Sie den Kranken dahin, dass er sich viel bewegt, wenig liegt<br />
und ausreichend Krankengymnastik erhält.<br />
- Achten Sie darauf, dass der Kranke viel trinkt und u. U. Hilfe beim Essen<br />
benötigt. Vielleicht muss ihm das Fleisch klein geschnitten werden.<br />
- Verhindern Sie, dass L-Dopa-haltige Medikamente nicht gleichzeitig mit<br />
eiweißreichen Mahlzeiten eingenommen werden.<br />
- Beugen Sie der Entstehung von Druckgeschwüren vor, wenn der Kranke<br />
viel liegt. Betreiben Sie konsequent Dekubitus-Vorsorge („Durchliegen“).<br />
- Helfen Sie den Angehörigen mit Ihrem Fachwissen. Zeigen Sie ihnen,<br />
wie man rückenschonend arbeiten kann. Arbeiten Sie Hand in Hand mit<br />
seiner Familie. So erleichtern Sie es diesen auch die seelische<br />
Anspannung zu ertragen.<br />
- Achten Sie auf neu hinzukommende Symptome wie Schluckstörungen,<br />
starken Speichelfluss, Blasen- und Darmstörungen, Verwirrtheit, Halluzinationen<br />
(Sinnestäuschungen), Depressionen, Sprech- und Gleichgewichtsstörungen.<br />
Machen Sie möglichst rasch den behandelnden Neurologen<br />
darauf aufmerksam, damit er neu auftretende Probleme in seinem<br />
Behandlungsplan berücksichtigen kann. Beziehen Sie bei trockenen, geröteten<br />
oder juckenden Augen den Augenarzt ein. Wenden Sie sich bei<br />
Problemen in der Mundhöhle an den Hausarzt und informieren Sie den<br />
Zahnarzt, wenn Zahnschmerzen auftreten sollten.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 98 -<br />
Bei weiteren Fragen wenden Sie sich an die Deutsche Parkinson-Vereinigung,<br />
Bundesverband, Moselstr. 31, 41464 Neuss, Telefon: (0213) 41016/7 – Fax:<br />
(02131) 45445 – e-Mail: ParkinsonV@aol.com – Internet: www.<strong>parkinson</strong>selbsthilfe.de<br />
bzw. www.<strong>parkinson</strong>-vereinigung.de<br />
Dort erhalten Sie auch die Broschüre: Pflegehinweise für Parkinson-Patienten.<br />
Nach ZNS-Spektrum 3/2003<br />
– Krankheitsbewältigung<br />
Eine wichtige Teil-Aufgabe der psychosozialen Betreuung im weitesten Sinne<br />
ist die Krankheitsbewältigung. Sie hat für alle, besonders für chronisch fortschreitende<br />
Leiden einen hohen Stellenwert. Dort, wo man es auch sofort<br />
noch sieht oder hört, wie beim Parkinson-Patienten, kann die<br />
Krankheitsbewältigung im Guten wie im Schlechten das weitere Leben<br />
entscheidend prägen. Was heißt das im strategischen Sinne?<br />
- Nachdem die Diagnose feststeht, muss sich der Parkinson-Patient erst einmal<br />
fangen. Doch das will bewältigt sein und es ist leicht gesagt, nicht zu<br />
resignieren, sondern „das Beste daraus machen“. Das hängt von vielerlei Voraussetzungen<br />
ab, auf die man teilweise nicht einmal genügend Einfluss hat.<br />
Einzelheiten würden hier zu weit führen. Doch kann man sich vorstellen: Die<br />
berühmte Sequenz: erkennen � akzeptieren � konsequent behandeln und<br />
betreuen lassen, das muss auch erst einmal „verinnerlicht“ und schließlich<br />
durchgestanden sein.<br />
- Danach aber empfiehlt es sich schon möglichst viel Informationen zu nutzen,<br />
denn an Angeboten mangelt es nicht (beispielsweise durch die „Deutsche<br />
Parkinson-Vereinigung). Das geht von Faltzetteln über allgemein<br />
verständliche Sach- bis zu dickleibigen Fachbüchern und – neueste und<br />
durchaus ergiebige Informationsquelle – das Internet. Ein guter<br />
Informationsstand hilft über vieles hinweg. Dass es den Betroffenen und ihren<br />
Angehörigen aber meist nicht zumute ist, ist verständlich. Es hilft aber nichts,<br />
„hier muss man durch“. Und das am besten mit optimalen Kenntnissen über<br />
Möglichkeiten und Grenzen in der heutigen Parkinson-Behandlung. Und ohne<br />
Resignation, Ratlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und depressive Apathie, denn<br />
dafür ist das Angebot an Unterstützungsmaßnahmen gegenüber nur wenigen<br />
Generationen zuvor dann doch überaus eindrucksvoll (und trotz aller Not<br />
sogar ein wenig Dankbarkeit angebracht).<br />
- Nach und nach (sofort geht das so gut wie nie) müssen sich der Parkinson-<br />
Betroffene und seine Angehörigen damit auseinandersetzen, dass der Patient<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 99 -<br />
an einer chronisch fortschreitenden Erkrankung leidet, für die es – man muss<br />
es schon so direkt ausdrücken – derzeit (!) keine Heilung gibt. Umso wichtiger<br />
ist deshalb die Erkenntnis, dass es trotz dieser schmerzlichen Erkenntnis um<br />
ein Leiden mit in der Regel relativ gutartigem Krankheitsverlauf handelt. Und<br />
dass inzwischen überaus wirksame therapeutische Maßnahmen auf allen<br />
Ebenen zur Verfügung stehen, auf die man vor wenigen Jahrzehnten noch<br />
nicht zu hoffen wagte.<br />
Dennoch bleibt die Ungewissheit über die eigene, individuelle Krankheitsentwicklung<br />
bestehen. Und leider gibt es ja auch keine verlässlichen Parameter<br />
(Hilfsgrößen der Beurteilung einer Sachlage), die den weiteren Krankheitsverlauf<br />
halbwegs sicher voraussagen könnten.<br />
- Bekannt und entsprechend zu werten ist auch folgende Erkenntnis: Wer<br />
eine Diagnose mit vor allem psychosozial folgenschweren Konsequenzen hinnehmen<br />
muss, der wird plötzlich auf alles achten, was mit dieser Belastung in<br />
Zusammenhang gebracht werden kann, also alle Nachrichten in Presse,<br />
Rundfunk, Fernsehen, im Internet u.a. Und er wird darauf überaus sensibel<br />
reagieren, und zwar meist negativ („siehst du ...“). Da muss man kein Pessimist<br />
sein, um sich vor allem die negativen Seiten herauszufischen, entsprechende<br />
Befürchtungen zu nähren und damit einen Angst-Teufelskreis einzuleiten.<br />
Der Betroffene wird dieser Entwicklung kaum entgehen können, das ist<br />
eine schon fast normale Reaktion im Falle einer beginnenden bzw. diagnostisch<br />
gesicherten Krankheit.<br />
Hier sind deshalb die Angehörigen, die Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn<br />
u.a. gefordert, die sich ein wenig einlesen sollten, und zwar im positiven<br />
Sinne, um ermutigend auf den Patienten einzuwirken. Er wird es zwar kaum<br />
mit dem erwarteten Dank, nicht einmal mit größerer Erleichterung registrieren,<br />
da sollte man sich nicht täuschen. Vieles fällt aber doch auf fruchtbaren Boden<br />
und keimt schließlich im Rahmen einer erst langsam stabiler werdenden<br />
Einstellung mit konstruktiven Bewältigungs-Elementen. Oder kurz:<br />
„leidenschaftslos, aber beharrlich konstruktiv, ja optimistisch bleiben“.<br />
- Und was den Arbeitsplatz anbelangt, so muss man einen Mittelweg versuchen:<br />
Zum einen sollte man mögliche Leistungseinbußen nicht verbergen, so<br />
etwas heizt nur Gerüchte an. Im Gegenteil, man soll sowohl mit seinen Kollegen<br />
als auch Vorgesetzten über die Erkrankung sprechen, schließlich ist sie<br />
weder selten noch ehrenrührig. Am besten man schildert in einfachen Worten<br />
ihren Mechanismus, beispielsweise im Sinne unzureichend produzierter<br />
Botenstoffe im Gehirn, die die Bewegung steuern. Denn so etwas hört man<br />
immer öfter (z. B. bei Depressionen, Angststörungen, beim hyperaktiven<br />
Syndrom im Kindes- und Erwachsenenalter u.a.), das leuchtet ein und<br />
entspricht im Übrigen der Realität. Riskanter ist es hingegen von einem<br />
Zelluntergang bestimmter Hirnareale zu sprechen. Das legt immer die falsche<br />
Assoziation einer intellektuellen Störung nahe, Stichwort: Alzheimer-Demenz.<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 100 -<br />
- Mit den Arbeitskollegen abzuklären ist das Maß der Anforderung, wobei<br />
eine Unterforderung vermieden, eine Überforderung aber nicht hingenommen<br />
werden sollte, vor allem was zeitliche Bedrängnis anbelangt. Hier wird man im<br />
Übrigen ganz erstaunt registrieren müssen, dass bei einer<br />
<strong>krankheit</strong>sbedingten Einbuße und gutem Willen (allseits!) innerbetriebliche<br />
Umorganisationen durchaus möglich sind.<br />
- Und was die beschwerde-verstärkenden Stress-Situationen im Alltag anbelangen,<br />
so sind es die Betroffenen selber, die hier nach und nach wirksame<br />
Strategien entwickeln und unterstützend einsetzen. Besonders beeinträchtigend<br />
ist natürlich der Tremor, das Zittern, und die Verlangsamung der Bewegungsabläufe.<br />
An der Kasse bezahlen, während die Schlange wie üblich<br />
ungeduldig wartet, am Bankschalter etwas unterschreiben, im Restaurant das<br />
Besteck oder das Glas führen, das alles kann sehr wohl zu einem „Spießrutenlaufen“<br />
werden, da muss man rechtzeitig Vorsorge treffen, beispielsweise<br />
den besonders geforderten Arm bzw. die Hand gezielt entspannen oder unterstützen.<br />
Oft hilft auch der rasche Wechsel kurzer An- und Entspannung vor der notwendigen<br />
Handlung (nützlich ist es auch, wenn man die gegenseitige Hand<br />
kurz anspannt). Wichtig ist vor allem die Erwartungsangst in Grenzen zu<br />
halten oder erst gar nicht aufkommen lassen. Hier hilft beispielsweise das<br />
Autogene Training (Leitsatz: „Meine Hand ist ganz ruhig, nichts kann mich<br />
stören“).<br />
Umgekehrt führen Vermeidungsstrategien zu Rückzug und Isolationsgefahr,<br />
vor allem zu einer kontinuierlich wachsenden Unselbstständigkeit mit Frustration,<br />
Resignation, Deprimiertheit oder gar reizbar-ärgerlichen Reaktionen. Der<br />
Satz: „Ich setze mich erst gar nicht der belastenden Situation aus“ klingt auf<br />
den ersten Blick vernünftig und schonend, ist aber in Wirklichkeit eine nicht<br />
nur bequeme, sondern später auch verhängnisvolle Falle, in die man sich<br />
selbst gebracht hat.<br />
- In diesem Zusammenhang soll auch die besondere Belastungssituation der<br />
Angehörigen, der Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen nicht verschwiegen<br />
werden. Das fängt mit deren eigenen Gefühlen an und hört mit der möglichen<br />
Überforderung auf, ganz zu schweigen von einer Betreuung oder pflegebedingten<br />
Einschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit bzw. Lebensqualität.<br />
Deshalb sollte jede psychosoziale Betreuung nicht nur so früh wie möglich<br />
einsetzen, sondern auch die Angehörigen und nahen Bekannte mit<br />
einbeziehen.<br />
– Sozialmedizinische Aspekte<br />
Int.1-Parkinson.doc
- 101 -<br />
Dieser Beitrag bemüht sich vor allem um die Wissensvermittlung, was rechtzeitiges<br />
Erkennen und Akzeptieren einer Parkinson’schen Krankheit<br />
anbelangt. Über den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand was die<br />
biologischen (konkret: biochemischen, physiolosichen und anatomischen)<br />
Ursachen betrifft gibt es eine große Zahl von Fachbüchern und inzwischen<br />
sogar allgemein verständlichen Sachbüchern (siehe Literatur-Auswahl). Das<br />
Gleiche gilt für die medikamentöse Therapie, die kurz erwähnten psycho- und<br />
soziotherapeutischen Maßnahmen und zum Schluss auch für die<br />
sozialmedizinischen Informationen, die gerade bei dieser Krankheit von<br />
großer Bedeutung sind. Nachfolgend deshalb nur noch eine stichwortartige<br />
Übersicht, was die wichtigsten Hilfen, Erleichterungen und Erkenntnisse für<br />
den Alltag anbelangt (nach R. Thümler):<br />
- Über den Grad der Behinderung (GdB) und die Minderung der Erwerbsfähigkeit<br />
(MdB) sowie über das Schwerbehindertengesetz (SchwbG) siehe die<br />
entsprechenden behördlichen Informationen.<br />
- Das Gleiche gilt für finanzielle und steuerliche Erleichterungen: Kfz-Steuer<br />
und -Haftpflichtversicherung, Hilfe im Haushalt oder Pflegeheim, Wohngeld,<br />
Freifahrten im Nah- und Fernverkehr, ferner Zuzahlungen bei Krankenkassenleistungen,<br />
Pflegen und Hilfen zur Pflege, Beurteilung der Schwerpflegebedürftigkeit,<br />
Pflegestufen, häusliche Pflegehilfen, Pflegegeld, Ersatzpflege,<br />
Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege, häusliche Krankenpflege, zu Pflegehilfsmitteln,<br />
stationärer Rehabilitation, den Möglichkeiten sozialer Dienste u.a.,<br />
zur Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, vorzeitigen Rente, zum Betreuungsgesetz<br />
u.a. (siehe ebenfalls die entsprechenden Institutionen, die mit persönlichem<br />
Rat, Merkblättern u.a. aushelfen).<br />
- Ganz wichtig sind die Hilfen bei der Alltagsbewältigung: Auch hier ist ein<br />
ausreichender Informationsstand unerlässlich – und seine Umsetzung gerade<br />
beim Parkinson-Kranken überaus hilfreich. Nachfolgend einige Stichworte:<br />
- - Wohnungs-Einrichtung: Türschwellen entfernen, keine scharfkantigen<br />
Möbelstücke, dafürTreppen mit Handläufen, niedrige Fenster und<br />
Auslegeware, schwer verrückbare Stühle mit breiten Füßen, freie<br />
Stützflächen, Sitzauflagen mit nach vorne abfallender Schräge, gut<br />
erreichbare Lichtschalter, Rufanlage (Klingel, Gegensprechanlage),<br />
elektronische Hilfsmittel (z. B. Fernsteuerung für Licht, Heizung, Rollläden)<br />
u.a.<br />
- - Bad und Toilette: Haltegriffe an der Badewanne, Badewannensitz mit<br />
Rückenlehne und Hygieneausschnitt, Badebrett, Stützgriff-Sitz-Kombination,<br />
Duschhocker, Thermostate, Toilettensitzerhöhung und -stützgestelle,<br />
elektrische Zahnbürste u.a.<br />
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- 102 -<br />
- - Schlafzimmer: schmales Bett, harte Matratze, Betterhöhung (Holzböcke),<br />
Bett-Haltegriffe („Bettgalgen“), Geländer an der Schlafzimmerwand, stabiler<br />
Stuhl mit Armlehnen, Klingel- oder Rufanlage u.a.<br />
- - An- und Auskleiden: Reiß- und Klettverschlüsse, Knöpfhilfen, festes, gut<br />
sitzendes Schuhwerk, keine Hauspantoffeln benutzen, Schuhanzieher mit<br />
langem Griff u. a.<br />
- - Hausarbeit: Bürsten mit Saugern befestigen, Fixierbrett, Universalhalter für<br />
das Drehen von Schlüsseln und Drehknöpfen, Schraubverschlussöffner u. a.<br />
- - Essen und Trinken: Abgewinkelte Bestecke mit verbreiterten Griffen,<br />
Küchenmesser mit abgewinkelten Griffen, spezielle Halter für Trinkgefäße,<br />
Frühstücksbretter zum Aufstecken von Schneidgut, Gefäße mit Saugfüßen,<br />
Tabletts mit einem Anti-Rutschbelag usw.<br />
- - Freizeit und Beruf: Spezielle Gartengeräte, Greifzangen mit Magneten,<br />
Telefone mit großen Tasten, Personalcomputer, Spielkartenhalter, angepasste<br />
Kugelschreiber, spezielle Schlüsseladapter u.a.<br />
- Verkehrstüchtigkeit: Dass der Führerschein nicht nur eine amtliche Fahrerlaubnis,<br />
sondern auch ein überaus wichtiges Symbol für Selbstständigkeit,<br />
Mobilität, ja Selbstwerterleben ist, kann jeder nachempfinden, der schon einmal<br />
selber oder in seinem näheren Umfeld in eine entsprechende Situation<br />
geraten ist. Wer ihn „selbstverschuldet“ riskierte, mag ja bei einiger Selbstkritik<br />
noch etwas duldsamer sein (in der Mehrzahl natürlich nicht ...), wer durch eine<br />
Krankheit „unschuldig um seine Führerschein-Selbstständigkeit“ bangen<br />
muss, sicher weniger.<br />
Nun ist der Parkinson-Kranke nicht verpflichtet, seine Behinderung der Behörde<br />
zu melden. Die Straßenverkehrsordnung nimmt ihn dennoch in die<br />
Pflicht, weil er „in geeigneter Weise Vorsorge treffen muss“.<br />
Dabei gibt es inzwischen auch neue Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrzeugs-Eignung<br />
mit verschiedenen Stufen bzw. Gruppierungen, bei denen folgende<br />
Kriterien zur Anwendung kommen (Fachbegriffe: siehe die jeweiligen<br />
Erklärungen im vorangegangen Text): Grad der motorischen<br />
Beeinträchtigung, Tremor, Fluktuationen, Dyskinesien, Dystonien, Grad der<br />
kognitiven Störung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Reaktionsvermögen,<br />
Grad der seelischen Störung, Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie<br />
(Schlaf, Tagesmüdigkeit, plötzliche Einschlafneigung u.a.), Progredienz<br />
(Fortschreiten) der Erkrankung u.a.<br />
- Reisen sind natürlich auch weiterhin möglich, müssen aber in Abhängigkeit<br />
von der Behinderung sorgfältiger als früher geplant, vorbereitet und durchgeführt<br />
werden. Zu meiden sind Länder oder Zeiten mit extrem heißem tropi-<br />
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- 103 -<br />
schem Klima oder auch das Gegenteil, nämlich sehr kaltes und feuchtes<br />
Klima. Auf jeden Fall gilt es den zuständigen Arzt zu konsultieren und entsprechende<br />
Vorbereitungen zu treffen (auch was möglicherweise zusätzliche<br />
Beeinträchtigungen, z. B. Herz-Kreislauf-Störungen anbelangt).<br />
Grundsätzlich sinnvoll ist es einen zusammenfassenden Arztbericht mit sich<br />
zu führen, der auch entsprechende Diagnosen und Fachausdrücke enthält,<br />
die dem Arzt am Urlaubsort einen raschen Überblick und ein gezieltes<br />
Eingreifen ermöglichen.<br />
Bei Flugreisen mit Zeitverschiebung muss die Parkinson-Behandlung dem<br />
Zielort angepasst werden (auf die dortige Tageszeit umstellen). Bei längeren<br />
Flugreisen gilt es die üblichen Vorsorgemaßnahmen zu beachten (z. B.<br />
Thrombose-Bildung, viel Trinken (aber keinen Alkohol) usw.<br />
Und schließlich gilt es sorgfältiger als sonst alle möglichen Belastungen nüchtern<br />
abzuwägen, die bei Reisen nie auszuschließen sind. Das sind neben den<br />
klimatischen Bedingungen vor allem ungewohnte Ernährungsangebote<br />
(Durchfall, Verstopfung), ferner erhöhtes Infektionsrisiko, Übermüdung bei<br />
Fernreisen mit Zeitzonenumstellung, Wegfall der vielleicht sonst gewohnten<br />
krankengymnastischen Übungen und sonstigen Betreuungsmöglichkeiten u.a.<br />
Parkinson-Vereinigungen<br />
Zum Abschluss sei noch einmal auf die wichtigsten Parkinson-Vereinigungen<br />
hingewiesen. Das sind<br />
Dachverband Deutschland, nämlich die Deutsche Parkinson Vereinigung Bundesverband,<br />
Moselstraße 31, 41464 Neuss 1, Telefon: (02131) 41016/41017,<br />
Fax: (02131) 45445, E-Mail: <strong>parkinson</strong>V@aol.com, Internet: www.<strong>parkinson</strong>selbsthilfe.de<br />
/ www.<strong>parkinson</strong>-vereinigung.de<br />
sowie das<br />
- Parkinson-Kompetenznetzwerk: aktuelle Informationen zu diagnostischen<br />
und therapeutischen Problemen, die der Arzt (!) im Internet abrufen kann:<br />
www.kompetenznetz-<strong>parkinson</strong>.de<br />
Außerdem haben sich in nahezu allen Bundesländern Regionalgruppen, Kontaktstellen<br />
und Clubs für junge und ältere Parkinson-Kranke gebildet.<br />
Adressen über die Parkinson-Vereinigung.<br />
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LITERATUR<br />
- 104 -<br />
Grundlage vorliegender Ausführungen ist das empfehlenswerte Fach(!)buch<br />
Reiner Thümler: Morbus Parkinson. Ein Leitfaden für Klinik und Praxis.<br />
Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2002<br />
Außerdem ein umfangreiches Angebot an Fachbüchern und auch fundierten,<br />
weil von Experten allgemein verständlich dargestellten populär-medizinischen<br />
Sachbüchern. Nachfolgend eine begrenzte Auswahl:<br />
Brandt T. u. Mitarb. (Hrsg.): Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen.<br />
Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1998<br />
Conrad, B. u. Mitarb. (Hrsg.): Bewegungsstörung in der Neurologie.<br />
Thieme-Verlag, Stuttgart 1996<br />
Deuschl, G., P. Krack: Morbus Parkinson. In: H. Hopf u. Mitarb. (Hrsg.):<br />
Neurologie in Klinik und Praxis. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1999<br />
Fischer, P.A., A. Engfer (Hrsg.): Klinik und Therapie des Parkinson-<br />
Syndroms. Verlag Walter de Gruyter, Berlin-New York 1998<br />
Gehlen, W.: Stammganglienerkrankungen (Parkinson-Syndrom u.a.). In:<br />
W. Fröscher (Hrsg.): Neurologie mit Repetitorium. Verlag Walter de Gruyter,<br />
Berlin-New York 1991<br />
Gerlach, M. u. Mitarb.: Die Parkinson-Krankheit. Springer-Verlag, Wien-New<br />
York 2003<br />
Glass, J.: Klinik und Therapie des Parkinson-Syndroms. Barth-Verlag,<br />
Leipzig 1998<br />
Gräulich, W., D. Schäfer (Hrsg.): Parkinson: Schlaf und Atmung. Blackwell-<br />
Verlag, Berlin 2000<br />
Gsell, W. u. Mitarb. (Hrsg.): Schering-Lexikon Morbus Parkinson. Aesopus-<br />
Verlag, Stuttgart 1997<br />
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- 105 -<br />
Jost, W.: Therapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms. UNIMED-<br />
Verlag, Bremen 2000<br />
Klockgether, T., B.H. Oertel: Parkinson-Syndrome. In: T. Brandt u. Mitarb.<br />
(Hrsg.): Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer-<br />
Verlag, Stuttgart 1998<br />
Kunze, K. (Hrsg.): Praxis der Neurologie. Thieme-Verlag, Stuttgart 1999<br />
Müller, T.: Medikamentöse Therapie des Morbus Parkinson. UNIMED-<br />
Verlag, Bremen 1999<br />
Poewe, B. u. Mitarb.: Parkinson-Krankheit. In: B. Conrad, A.O. Ceballos-<br />
Baumann (Hrsg.): Bewegungsstörungen in der Neurologie. Thieme-Verlag,<br />
Stuttgart-New York 1996<br />
Poewe, W. u. Mitarb.: Nicht-idiopathische Parkinson-Syndrome. In: H. Hopf<br />
u. Mitarb. (Hrsg.): Neurologie in Klinik und Praxis. Thieme-Verlag, Stuttgart-<br />
New York 1999<br />
Przuntek, H., T. Müller (Hrsg.): Nicht-medikamentöse, adjuvante Therapie<br />
bei der Behandlung des Parkinson-Syndroms. Thieme-Verlag, Stuttgart-<br />
New York 1999<br />
Reichmann, H.: Die Parkinson-Krankheit.: In H. Reichmann (Hrsg.): Praxis<br />
der neurodegenerativen Erkrankungen. UNIMED-Verlag, Bremen 1999<br />
Schneider, E.: Diagnostik und Therapie des Morbus Parkinson. Verlag<br />
Walter de Gruyter, Berlin-New York 1997<br />
Schneider, E.: Das Parkinson-Syndrom. In: B. Neundörfer u. Mitarb. (Hrsg.):<br />
Atlas der Nervenheilkunde. Braun-Verlag, Karlsruhe 1996<br />
Thümler, R.: Die Parkinson-Krankheit. Antworten auf die 172 häufigsten<br />
Fragen. Trias-Verlag, Stuttgart 2001<br />
Int.1-Parkinson.doc