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parkinson-krankheit - Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit

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PSYCHIATRIE HEUTE<br />

Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln<br />

Prof. Dr. med. Volker Faust<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>Psychosoziale</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />

PARKINSON-KRANKHEIT<br />

„Schüttellähmung“ – Paralysis agitans – Parkinson’sche Krankheit –<br />

Morbus (Krankheit) Parkinson – idiopathisches Parkinson-Syndrom (IPS)<br />

– primäres Parkinson-Syndrom – u.a.<br />

Die Parkinson-Krankheit gehört zu den häufigsten chronischen<br />

neurologischen Leiden mit seelischen und psychosozialen Folgen und<br />

belastet allein in Deutschland fast 200.000 Betroffene. Jährlich kommen rund<br />

13.000 Neuerkrankte hinzu. Das Leidensbild ist relativ charakteristisch und<br />

geht – je nach Intensitätsgrad – von der fast unmerklichen Behinderung bis<br />

zur Stigmatisierung, ja Diskriminierungsgefahr.<br />

Was gilt es deshalb zu wissen über möglicherweise bahnende Faktoren wie<br />

Alter, Persönlichkeitsstruktur, erbliche und Umwelteinflüsse, den „programmierten<br />

Gehirnzelltod“, über Krankheitsverlauf, Lebenserwartung, Todesursachen,<br />

besonders aber erste Warnhinweise aufgrund meist unbekannter Frühsymptome.<br />

Und nach der sicheren Diagnose, welche Störungen sind zu ertragen<br />

und vor allem wie am wenigstens beeinträchtigend: verminderte Beweglichkeit<br />

einschließlich Schreibstörung, Mimik, Sprechen, insbesondere was erhöhte<br />

Muskelspannung oder gar völlige Bewegungsunfähigkeit anbelangt, auf<br />

jeden Fall aber Gang- und Haltungsstörungen einschließlich der plötzlichen<br />

Neigung nach hinten, zur Seite oder nach vorne zu fallen, das lästige bis peinliche<br />

Zittern, und natürlich die geistigen Einbußen bis hin zur Demenz, depressive,<br />

Angst- und Schlafstörungen, von den übrigen organischen Regulationsstörungen<br />

ganz zu schweigen (Magen-Darm, Speichelfluss, Mundtrockenheit,<br />

Schwitzen, Atem-, Blasen- und sexuelle Funktionsstörungen, Schmerzen,<br />

Missempfindungen, Hautveränderungen, Riech- und Sehstörungen u.a.m.<br />

Schließlich die Frage: Welche Art von Parkinson-Krankheit liegt vor (denn hier<br />

gibt es eine ganze Reihe von möglichen Ursachen bis hin zu bestimmten<br />

Arzneimitteln und Kopfverletzungen). Dazu verwandte Störungen wie die unruhigen<br />

Beine, die Sitz-, Steh- und Gehunruhe usw.<br />

Danach einige Hinweise zur apparative Diagnostik der Parkinson-Krankheit<br />

einschließlich moderner Methoden zur Frühdiagnose.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 2 -<br />

Im letzten Teil geht es um die Therapie, beginnend mit der medikamentösen<br />

Parkinson-Behandlung, aber auch dem aktuellen Stand der operativen Parkinson-Therapie<br />

(Stereotaxie, Hochfrequenzstimulation bzw. tiefe Hirnstimulation<br />

sowie Neurotransplantation). Zuletzt die nicht-medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten:<br />

Physiotherapie (einschließlich Bewegungstipps für Parkinson-<br />

Betroffene), Ergotherapie, Logopädie, psychosoziale Betreuung (sowie konkrete<br />

Hinweise für PflegerInnen von Parkinson-Kranken), das wichtige Kapitel<br />

der Krankheitsbewältigung sowie sozialmedizinische Aspekte, und die (Internet-)Adressen<br />

der Parkinson-Vereinigungen.<br />

Erwähnte Fachbegriffe:<br />

Parkinson’sche Krankheit – Morbus Parkinson – idiopathisches Parkinson-<br />

Syndrom (IPS) – primäres Parkinson-Syndrom – Parkinson-Ursachen: programmierter<br />

Zelltod, Umweltfaktoren, Intoxikationen (Vergiftungen), Rauschdrogen,<br />

Zellschädigung durch oxidativen Stress, selbst-aggressive Autoimmunprozesse,<br />

weitere Hypothesen.<br />

Nicht-idiopathisches Parkinson-Syndrom – Multisystematrophie (MSA) – Progressive<br />

supranukleäre Blicklähmung (PSB) – Kortikobasale Degeneration<br />

(KBD) – Frontotemporale Demenz mit Parkinsonismus und Taupathien<br />

(FTDP) – Lewy-Körperchen-Krankheit – heredodegenerative Erkrankungen<br />

mit Parkinson-Symptomen – L-Dopa-sensitive Dystonie – Parkinson-Demenz-<br />

ALS-Komplex – Hallervorden-Spatz-Krankheit – progressive Pallidum-Atrophie<br />

– Neuroakanthozytose-Syndrom – u.a.<br />

Symptomatisches (sekundäres) Parkinson-Syndrom – neuroleptisches Parkinsonoid<br />

(Metoclopramid) – Kalzium-Antagonisten – Antidepressiva – Lithiumsalze<br />

– Wilson-Krankheit – hepatolentikuläre Degeneration – Pseudosklerose<br />

Westphal-Strümpell – Morbus Wilson – Intoxikations-Parkinson-Syndrom –<br />

Creutzfeld-Jakob-Krankheit – Pseudo-Parkinson-Syndrome – Normaldruck-<br />

Hydrozephalus – arteriosklerotisches Parkinson-Syndrom – vaskuläres<br />

Parkinson-Syndrom – Hirntumor und Parkinson – Hirnentzündung –<br />

Parkinson-Enzephalitis – Enzephalitis lethargica – posttraumatisches<br />

Parkinson-Syndrom – Boxer-Enzephalopathie – Restless-Legs-Syndrom<br />

(RLS) – Akathisie.<br />

Parkinson-Verlauf – Parkinson-Krankheitsstadien – Parkinson-Sterblichkeitsrate.<br />

Parkinson-Persönlichkeitsstruktur – Parkinson-Frühsymptome – Parkinson-<br />

Beschwerdebild.<br />

Akinese – verminderte Beweglichkeit – Hypokinese – Bradykinese –<br />

Störungen der Feinmotorik – Schreibstörung – Störung der Mimik –<br />

Hypomimie – Mimik-Verarmung – Maskengesicht – Gesichtshaut-Talkbildung<br />

– Salbengesicht – verringerte Lidschlagfolge – Mundöffnung – „Sabbern“ –<br />

Speichelfluss – Phonation – Tonbildung – Sprechstörungen – Aphonie –<br />

Dysphonie – Stimmlosigkeit – Heiserkeit – Hauchen – Dysarthrie –<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 3 -<br />

Artikulations-Störung – Lautbildungs-Störung – Aussprache-Störung – Stottern<br />

– Stammeln – Logoklonie – krampfhafte Silbenwiederholung – Tonfall-Störung<br />

– Echolalie – echoartiges Wiederholen – Mutismus – Verstummen –<br />

Hypophonie – Sprechtempo-Veränderung – Silbentaktgebungs-<br />

Beeinträchtigung – Stimm-Zittern – Stimm-Tremor – Sprachlaute-Auslassung<br />

– Sprechablauf-Blockierung – Sprechblockade – Freezing – Sprechablauf-<br />

Beschleunigung – Festination – kombinierte Artikulations-Phonations-Störung<br />

– kombinierte Sprech-Stimmbildungsstörung – Motorik – Psycho-Motorik –<br />

Akinese – Bewegungslosigkeit – Hypokinese – Bewegungsarmut –<br />

akinetische Krise – Bewegungsunfähigkeit – Rigor – Muskel-<br />

Spannungszustand – Muskelstarre – Muskelsteifheit – Spastik –<br />

Muskelkrampf – Zahnradphänomen – Kopfkissen-Phänomen –<br />

Halsmuskulatur-Rigor – Kopf-Fall-Test – Stuhlkipp-Versuch – Parkinson-<br />

Körperhaltung – angewinkelte Arme – Rumpfbeugung – Bradykinese –<br />

Bewegungsablauf-Verlangsamung – Arm-Mitschwingen – Hände-Schütteln –<br />

Gangstörung – Haltungsstörung – Schulter-Abfall – Hände-Beugung – Knie-<br />

Beugung – Startschwierigkeiten – Trippel-Schritte – Richtungs-Änderung –<br />

Anhalten-Erschwernis – kleinschrittiger Gang – Sturzgefahr – mehrschrittiges<br />

Umdrehen – Umdrehen im Bett – Gedränge-Gefahr – Gleichgewichts-<br />

Verunsicherung – posturale Instabilität – Pulsion – Retropulsion –<br />

Lateropulsion – Propulsion – Engpass-Schwierigkeiten – Kinesia paradoxa.<br />

Tremor – Zittern – Beben – Tremor-Frequenz – Tremor-Amplitude – Ruhe-<br />

Tremor – Halte-Tremor – Aktions-Tremor – Intentions-Tremor – Pillendreh-<br />

Tremor – Münzenzähl-Tremor – monosymptomatischer Ruhetremor – essentieller<br />

Tremor – aufgabenspezifischer Tremor – primärer Schreib-Tremor –<br />

Stimm-Tremor – Kinn-Tremor – Zungen-Tremor – orthostatischer Tremor –<br />

zerebellärer Tremor – Kleinhirn-Tremor – Wackel-Tremor – Kopf- und Oberkörper-Tremor<br />

– Holmes-Tremor – dystoner Tremor – Blepharospasmus –<br />

Torticollis spasmodicus – Schiefhals -Schreibkrampf – physiologischer Tremor<br />

– Kältezittern – Angstzittern – inneres Zittern – Reaktions-Zittern – Alkohol-<br />

Entzugs-Tremor – Vergiftungs-Tremor – toxischer Tremor – medikamentöser<br />

Tremor – pharmakogener Tremor – Stoffwechselstörungs-Tremor – psychogener<br />

Tremor – seelisch ausgelöster Tremor – Kriegszittern – organischer<br />

Tremor.<br />

Kognitive Störungen – geistige Einbußen – intellektuelle Defizite – Demenz –<br />

Geistesschwäche – kognitive Verlangsamung – Bradyphrenie – verlangsamter<br />

Denkvorgang – verlangsamter Wahrnehmungsvorgang – Spontaneitäts-Rückgang<br />

– erschwerte Umstellung – verminderte Aufmerksamkeit – reduzierte<br />

Entschlusskraft – Parkinson-Demenz – gutartige Altersvergesslichkeit – depressive<br />

Pseudo-Demenz – Alzheimer-Demenz – Nootropika – Ginkgo –<br />

Azetylcholinesterase-Hemmer – Kalzium-Antagonisten – Antidementiva – u.a.<br />

Affektive Störungen – Depression – Parkinson-Depression – Antidepressiva –<br />

Neuroleptika – Pflanzenheilmittel – Johanniskraut – Phasenprophylaktika –<br />

Lithiumsalze – Tranquilizer – Beruhigungsmittel – Benzodiazepine – Psychoedukation<br />

– Psychotherapie – Stressbewältigung – Selbsthilfegruppen – Freizeitaktivitäten<br />

– Angststörungen – Panikattacken – Furcht – Generalisiertes<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 4 -<br />

Angstsyndrom – Angstneurose – Phobien – Agoraphobie – Sozialphobie –<br />

spezifische Phobien – Parkinson-Ängste – Anxiolytika – u.a.<br />

Psychose – Geistes<strong>krankheit</strong> – organische Psychose – symptomatische Psychose<br />

– endogene Psychose – schizophrene Psychose – exogene Psychose<br />

– psychotische Episoden – pharmakogene Psychose – Demenz-Psychose –<br />

Parkinson-Psychose – Halluzinationen – Sinnestäuschungen – Trugwahrnehmungen<br />

– paranoide Vorgestellungen – Wahn u.a.<br />

Schlafstörungen – Einschlafstörungen – Durchschlafstörungen – Tagesmüdigkeit<br />

– Schlaf-Erwartungsangst – nächtliche Bewegungsstörungen – Bewegungslosigkeit<br />

– Steifheit – vegetative Störungen – Harndrang – Schweißausbrüche<br />

– belastende Träume – nächtliche Atemstörungen – Stridor – Fußverkrampfungen<br />

– Schlaf-Apnoe-Syndrom – u.a.<br />

Autonome Regulationsstörungen – Magen-Darm-Störungen – Verdauungs-<br />

Störungen – erschwertes Kauen – beeinträchtigter Nahrungstransport –<br />

Schluckstörungen – Verstopfung – Sättigungsgefühl – Unwohlsein –<br />

Aufstoßen – Völlegefühl – Oberbauchschmerzen – Darmträgheit – Obstipation<br />

– „innere Vergiftung“ – Hustenreflex – Aspiration – Mundtrockenheit –<br />

Schwitzen – Wärmeregulations-Störung – verminderte Hitzetoleranz –<br />

Schweißausbrüche – Hitze-Anfälligkeit – Schwüle-Anfälligkeit – kritische<br />

Fieberphasen – Thermoregulations-Störung – Kälte-Intoleranz –<br />

Kreislaufstörungen – Schwindel – Atemstörungen – Blasenstörungen –<br />

sexuelle Störungen – Libido-Verlust – Potenz-Verlust – Schmerzen –<br />

Parästhesien – Missempfindungen – Wadenkrämpfe – Fußkrämpfe –<br />

Zehenkrämpfe – Off-Phasen-Dystonie – „Frühmorgens-Dystonie“ –<br />

Fußdystonie – Nackensteifigkeit – Empfindungsstörungen –<br />

Sensibilitätsstörungen – Hautveränderungen – fettige Haut – trockene Haut –<br />

verminderte Tränensekretion – verminderte Blinkrate der Augenlider – Lidschlag-Verringerung<br />

– Riechstörungen – Geschmacksstörungen- Sehstörungen<br />

– Augenbewegungs-Störungen – u.a.<br />

Apparative Parkinson-Diagnostik<br />

Parkinson-Therapie: Parkinson-Medikamente – Anti<strong>parkinson</strong>-Mittel – Neurotransmitter<br />

– Botenstoffe – Dopamin – L-Dopa – MAO-B-Hemmer – COMT-<br />

Hemmer – Dopamin-Rezeptoren-Dopaminergika – Dopametika – Anticholinergika<br />

– glutamaterges System – NMDA-Rezeptor-Antagonisten – u.a.<br />

Operative Parkinson-Behandlung: Stereotaxie – Hochfrequenzstimulation –<br />

tiefe Hirnstimulation – Neurotransplantation – u.a.<br />

Nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten: Physiotherapie – Krankengymnastik<br />

– physikalische Therapie – Wärmebehandlung – Kältebehandlung<br />

– Wasseranwendung – Hydrotherapie – Bewegungstherapie – Massage –<br />

Elektrotherapie – Balneologie – Klimatherapie – Lichttherapie – Ergotherapie –<br />

Hirnleistungstraining – körperliches Training – Alltags-Aktivitäten – Hirn-Jogging<br />

– Angehörigen-Motivation – Logopädie – Sprachtherapeuten – Sonderpädagogen<br />

– Neurolinguisten – Sprechwissenschaftler – Sprechbrett – Toncassetten<br />

– psychosoziale Betreuung – Sozialarbeiter – Sozialpädagogen –<br />

Tagesplan – gesellschaftliche Aktivitäten – Krankheitsbewältigung – Arbeits-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 5 -<br />

platz-Anpassung – Leistungs-Anpassung – Alltags-Frustrationen – Alltags-<br />

Strategien – Belastungssituation u.a.<br />

Sozialmedizinische Aspekte: Grad der Behinderung (GdB) – Minderung der<br />

Erwerbsfähigkeit (MdE) – Schwerbehindertengesetzt (SchwbG) – steuerliche<br />

Erleichterungen – Hilfe im Haushalt – Wohngeld – Freifahrten – Krankenkassen-Leistungen<br />

– Pflegestufen – Pflegehilfen – Pflegegeld – Rehabilitation –<br />

Berufs- und Erwerbsunfähigkeit – vorzeitige Rente – Betreuungsgesetz – u.a.<br />

Alltagsbewältigung: Wohnungs-Einrichtung – Bad – Toilette – Schlafzimmer –<br />

An- und Auskleiden – Hausarbeit- Essen und Trinken – Freizeit und Beruf –<br />

Verkehrstüchtigkeit – Reisen – spezielle Pflegetipps – u.a.<br />

ALLGEMEINE ASPEKTE<br />

Die Krankheit, die den Namen des vor rund 200 Jahren lebenden englischen<br />

Arztes trägt (s.u.), ist so alt wie die Menschheit. Deshalb findet man auch die<br />

ersten Beschreibungen schon zwischen 1.000 und 1.500 v. Chr. Geburt in<br />

alten ajurvedischen Schriften, in denen bereits damals auf das Zittern der<br />

Hände, die körperliche Steifheit und Bewegungsverarmung der Betroffenen<br />

hingewiesen wird. Auch in griechischen und römischen Berichten (z. B. zwischen<br />

3. Jahrhundert vor und 2. Jahrhundert nach Christi) ist vor allem vom<br />

Zittern die Rede, der offensichtlich auffälligsten und damit<br />

zwischenmenschlich belastendsten Beeinträchtigung.<br />

James Parkinson war jedoch der Erste, der das alte Leiden umfassend als<br />

Krankheitseinheit anhand von sechs eigenen Fällen beschrieb, und zwar so<br />

treffend, dass seine Beobachtungen auch heute noch zu den gültigen Merkmalen<br />

der Parkinson’schen Krankheit zählen.<br />

James Parkinson<br />

Dr. James Parkinson war schon zu seiner Zeit ein interessantes Phänomen,<br />

und zwar nicht nur medizinisch, sondern auch politisch,<br />

geologisch (Geologie = Wissenschaft von der stofflichen Beschaffenheit der<br />

Erdkruste und ihrer Entwicklung) und paläontologisch (Paläontologie =<br />

Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Erdzeitalter). Er lebte von<br />

1755 bis 1825 in einem Vorort von London, hatte ursprünglich bei seinem<br />

Vater eine Ausbildung als Chirurg erhalten, engagierte sich aber vor allem für<br />

die englische Parlamentsreform (und veröffentlichte zahlreiche<br />

regierungskritische Streit-, ja Schmähschriften). Bekannt wurde er zu seiner<br />

Zeit insbesondere durch seine geologischen und paläontologischen Arbeiten<br />

und Publikationen. Später war er in einer privaten Irrenanstalt tätig, setzte sich<br />

für eine effektivere Kontrolle dieser Institutionen ein, vor allem zum Schutz der<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 6 -<br />

Patienten und veröffentlichte 1817 in seinem „Essay on the Shaking Palsy“<br />

erstmals eine Abhandlung über die Schüttellähmung, die so wegweisend<br />

wurde, dass man dieses Leiden nach ihm benannte.<br />

Die Bezeichnung Parkinson-Krankheit wurde aber erst sieben Jahrzehnte<br />

später geprägt, und zwar von dem französischen Arzt Brissaud („maladie de<br />

Parkinson“). Er war es übrigens, der schon vor über 100 Jahren eine bestimmte<br />

Gehirnregion bzw. deren krankhafte Veränderung (die so genannte<br />

Substantia nigra) als mögliche Ursache für die Entwicklung eines solchen<br />

Leidens vermutete, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann in einer Doktorarbeit<br />

von Tretiakoff schließlich bestätigt werden konnte.<br />

Die medikamentöse Parkinson-Therapie, ein bis heute noch nicht optimal<br />

gelöstes Problem (siehe später), nahm schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

ihren Anfang, und zwar durch die Extrakte aus der Tollkirsche (Atropa belladonna),<br />

dem Prototyp der so genannten Anticholinergika (Atropin) und lange<br />

Zeit die einzige medikamentöse Behandlungsmöglichkeit.<br />

Mitte des 20. Jahrhunderts griff man in seiner Not auch zur stereotaktischen<br />

Hirnoperation, vor allem zur Linderung des Zitterns. Dabei wurden mittels<br />

eines speziellen Zielgerätes über eine kleine Schädelöffnung bestimmte<br />

Gehirnstrukturen mechanisch beeinflusst. Doch der Meilenstein der<br />

Parkinson-Forschung war die Entdeckung, dass es ein bestimmter Botenstoff,<br />

nämlich der Neurotransmitter Dopamin ist, an dem es in bestimmten<br />

Gehirnstrukturen des Parkinson-Kranken mangelt und der deshalb als<br />

biochemischer Ersatz durch ein Medikament ergänzt werden muss. Die L-<br />

Dopa-Behandlung war geboren, später verbessert durch bewegungsfördernde<br />

andere Medikamente (z. B. Amantadin sowie selektive MAO-B-Hemmer u.a.).<br />

Neuere Behandlungsversuche (z. B. Transplantation von Dopamin produzierenden<br />

Zellen aus dem Nebennierenmark, Implantation (Einpflanzung) von<br />

embryonalem Mittelhirn-Gewebe, Stammzellforschung zur Entwicklung Dopamin-produzierender<br />

Zellen, chronische Hochfrequenz-Hirnstimulation u.a.)<br />

sind entweder noch in der Entwicklungsphase oder wurden wieder<br />

aufgegeben.<br />

Eines aber ist geblieben: Die Erkenntnis, dass die „Schüttellähmung“ die<br />

Menschheit seit Anbeginn heimgesucht, die Betroffenen seit jeher belastet<br />

und ihre Angehörigen irritiert hat und die nun schon fast zwei Jahrhunderte<br />

dauernden therapeutischen Bemühungen, die ganz offensichtlich immer<br />

wirkungsvoller werden – ein Trost, der Generationen fehlte und der den<br />

heutigen Patienten wieder Mut machen sollte.<br />

Parkinson – was heißt das?<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 7 -<br />

Wie so oft in der Medizin hat ein und dieselbe Krankheit mehrere Bezeichnungen,<br />

so auch hier. Früher hieß sie – wie erwähnt – „Schüttellähmung“, vor<br />

allem wegen des ganz offenkundigen Zitterns auf der einen und der Bewegungshemmung<br />

bis hin zur „Lähmung“ auf der anderen Seite.<br />

Der Fachbegriff dazu lautete deshalb auch folgerichtig „Paralysis agitans“ (mit<br />

Schüttellähmung am besten übersetzt). Beide Begriffe sind historisch und<br />

werden heute nicht mehr gebraucht.<br />

Bedeutungsgleich sind hingegen die Bezeichnungen Parkinson, Parkinson’sche<br />

Krankheit, Morbus (= Krankheit) Parkinson, idiopathisches Parkinson-Syndrom<br />

(IPS), was die überwiegende Mehrzahl ausmacht und primäres<br />

Parkinson-Syndrom.<br />

WEN TRIFFT DAS PARKINSON-SYNDROM?<br />

Die Parkinson-Krankheit zählt zu den häufigsten neurologischen Leiden (also<br />

jenem Fachgebiet der Humanmedizin, das sich mit Erkrankungen des zentralen,<br />

peripheren und vegetativen Nervensystems beschäftigt (Beispiele: Epilepsie,<br />

Multiple Sklerose, Hirn(haut-)entzündung, Tumoren, Muskelerkrankungen<br />

u.a.). Sie ist nicht zuletzt altersabhängig, weshalb mit der Zunahme der allgemeinen<br />

Lebenserwartung (überwiegend in den Industrienationen) mit einem<br />

weiteren Ansteigen zu rechnen ist (Weltgesundheitsorganisation – WHO:<br />

1997 = 380 Millionen, 2025 = 800 Millionen der über 65-Jährigen).<br />

– Die Prävalenz (Gesamtzahl der erkrankten Bevölkerung zu einem bestimmten<br />

Untersuchungszeitpunkt) der Parkinson-Krankheit streut breit, je nach<br />

Nation bzw. Region. Sie reicht von 18 als unterster Grenze (z. B. China) bis zu<br />

194 pro 100.000 Einwohner (Sizilien). Sie ist vor allem hoch in den USA und<br />

Europa, niedrig in Ländern wie dem erwähnten China, aber auch Japan sowie<br />

in Nigeria und – sonderbarerweise nicht weit entfernt vom Spitzenreiter<br />

Sizilien – in Sardinien.<br />

In Mitteleuropa sowie Nordamerika liegt die Häufigkeit mit 160 Erkrankten pro<br />

100.000 Einwohnern ähnlich wie in Deutschland. Allerdings gibt es auch bei<br />

uns regionale Unterschiede (mehr Betroffene in Schleswig-Holstein?).<br />

In nüchternen Zahlen heißt dies für Deutschland, dass wir mit rund 150.000<br />

Parkinson-Erkrankten rechnen müssen. Das ist aber nur die Zahl der<br />

erfassten Kranken. Geht man von einer Dunkelziffer (also nicht-erfasster<br />

Patienten, aus welchem Grund auch immer) von 30 bis 40% aus, dann sind es<br />

bereits rund 200.000 Parkinson-Kranke bei uns. Und wenn man das ja<br />

besonders bedrohte höhere Lebensalter herausgreift, dann entwickeln mehr<br />

als 700 von 100.000 Deutschen oberhalb des 65. Lebensjahres eine<br />

Parkinson-Krankheit.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 8 -<br />

Damit gehört die Parkinson-Krankheit zu den häufigsten chronischen (!)<br />

neurologischen Leiden und erfasst in Deutschland etwa 150.000 bis 200.000<br />

Betroffene.<br />

Die direkten Kosten bei der Behandlung des Parkinson-Syndroms – ein<br />

Faktor, der eigentlich medizinisch gesehen keine Rolle spielen sollte, in letzter<br />

Zeit sich aber eine unseligen Dominanz verschafft hat –, werden pro Monat<br />

und Patient auf über 620,- € geschätzt (nach S. Keller u. Mitarb. aus Aktuelle<br />

Neurologie Suppl.2 (2003) 279). Der größte Kostenfaktor in der Therapie sind<br />

dabei die Medikamente, zwei Drittel davon für die so genannten Dopamin-<br />

Agonisten (siehe später).<br />

– Die Inzidenz (Zahl der Neuerkrankten zum Zeitpunkt der Untersuchung)<br />

wird mit 16 pro 100.000 angegeben. Das heißt: Man muss in Deutschland pro<br />

Jahr mit fast 13.000 neuen Parkinson-Fällen rechnen.<br />

– Über das Erkrankungsalter wurde bereits berichtet. Möglich ist es in jedem<br />

Lebensalter, sogar vor dem 21. Lebensjahr (Fachbegriff: „juveniles“<br />

Parkinson-Syndrom). Etwa jeder 10. Patient erkrankt zwischen dem 21. und<br />

39. Lebensjahr. Vor 50 trifft es 30% und zwischen 50 und 60 Jahren 40%. Bei<br />

den über 65-Jährigen ist durchschnittlich jede 100. Person ein Parkinson-<br />

Kranker. Im hohen Alter (nach dem 84. Lebensjahr) soll die<br />

Erkrankungsgefahr wieder abnehmen.<br />

– Geschlechtsspezifisch scheinen Männer und Frauen gleich häufig betroffen<br />

zu sein (gelegentlich wird auch davon gesprochen, dass es Männer etwas<br />

häufiger trifft, statistisch geschehen aber unerheblich).<br />

– Welche Einflüsse eine Rolle spielen können, soll später noch einmal gesondert<br />

diskutiert werden. Genetische (Erb-)Faktoren sind nicht auszuschließen.<br />

Das Gleiche gilt für Umweltbelastungen, klimatische Verhältnisse, den<br />

Industrialisierungsgrad, Ernährungsgewohnheiten und andere soziokulturelle<br />

Aspekte. Damit erklärt man sich die regionalen Unterschiede, kann sie aber in<br />

der Mehrzahl der Fälle (noch) nicht schlüssig beweisen. Im Einzelnen:<br />

WIE ERKLÄRT MAN SICH EINE PARKINSON-ERKRANKUNG?<br />

Da es sich bei der Parkinson-Krankheit um eine Störung des Gehirnstoffwechsels<br />

handelt, sollte man sich von der Anatomie (Lehre vom Körperbau), der<br />

Physiologie (Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen und Funktionen<br />

des menschlichen Körpers), vor allem von den biochemischen<br />

Grundlagen (Wissenschaft von der Chemie des Organismus) ein Bild machen.<br />

Und hier insbesondere von den jeweiligen krankhaften Veränderungen<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 9 -<br />

(Fachbegriff: Neuropathologie, Pathoneurochemie). Das würde aber den<br />

hiesigen Rahmen sprengen. Einzelheiten deshalb siehe entsprechende<br />

Fachliteratur (z. B. die am Schluss erwähnte Grundlage der vorliegenden<br />

Ausführungen, nämlich das Fachbuch von R. Thümler: Morbus Parkinson. Ein<br />

Leitfaden für Klinik und Praxis. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York<br />

2002 sowie in populärmedizinischer Form R. Thümler: Die Parkinson-<br />

Krankheit. Antworten auf die 172 häufigsten Fragen. Trias-Verlag, Stuttgart<br />

2001).<br />

Nachfolgend aber wenigstens stichwortartig einige Hypothesen zur Ätiologie<br />

(den Krankheitsursachen). Dazu gehören die bereits erwähnten<br />

– genetischen (Erb-)Faktoren: In den meisten Fällen tritt die Parkinson-<br />

Krankheit sporadisch (vereinzelt) auf. Früher kam man allerdings zu relativ<br />

hohen Zahlen über den Anteil „vererbter“ Parkinson-Fälle. Das ist heute nicht<br />

mehr nachweisbar. Der Fehler von früher lag offenbar darin, dass nicht nur<br />

das konkrete Parkinson-Syndrom erfasst wurde, sondern auch Patienten mit<br />

anderen Formen von Zittern oder sogar ältere Patienten mit Haltungs- und<br />

Gangstörungen, die an eine Parkinson-Krankheit erinnern.<br />

Immerhin wird das Erkrankungsrisiko von Verwandten eines über 65-jährigen<br />

Parkinson-Patienten auf das Doppelte geschätzt. Oder in Zahlen: 1% der 65-<br />

Jährigen einer Normalbevölkerung erkranken an einem Parkinson-Syndrom,<br />

bei Verwandten eines Parkinson-Patienten liegt das Risiko bei 2%. Damit aber<br />

in beiden Fällen vernachlässigbar.<br />

Bei den meisten erblichen Fällen fällt allerdings auf, dass sich das Krankheitsbild<br />

relativ früh äußert, nämlich vor dem 50. Lebensjahr. Tatsächlich ließ sich<br />

in Familien mit hohem Parkinson-Anteil ein bestimmtes Gen (Erbträger in den<br />

Chromosomen, den Erbanlagen in jeder Zelle des Organismus) nachweisen.<br />

Später gab es noch weitere Entdeckungen, die aber letztlich alle nur die Wissenschaft<br />

interessiert, denn ihre reale Bedeutung ist zumindest bisher gering,<br />

weshalb sie für die genetische Beratung der Nachkommen von Parkinson-<br />

Patienten eine untergeordnete Rolle spielen. Oder kurz:<br />

Gen-Defekte können bei einzelnen Parkinson-Patienten einen ursächlichen<br />

Teilfaktor darstellen. Für den Parkinson-Betroffenen ist jedoch das Risiko,<br />

seine Krankheit weiter zu vererben eher gering. Dies insbesondere dann,<br />

wenn in der Vorgeschichte (Familien-Anamnese) bisher keine Parkinson-<br />

Patienten bekannt geworden sind oder die Erkrankung erst nach dem<br />

50. Lebensjahr ausgebrochen ist.<br />

– Programmierter Zelltod: Jeder Mensch besteht aus Milliarden von Zellen,<br />

von denen täglich eine stattliche Anzahl zugrunde geht (Fachbegriff:<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 10 -<br />

Apoptose, griechisch für das „Fallen der Blätter“ und bezeichnend für ein<br />

normales bzw. sogar gewünschtes Zellsterben im Organismus, um neuen<br />

Zellen Platz zu machen). Was sich hier abspielt, können wir am einfachsten<br />

an den Hautschuppen ablesen, was niemand aufregt. Problematisch wird es<br />

erst, wenn sich das Gleichgewicht von Zellneubildung und Zellsterben<br />

verschiebt, entweder zur unkontrollierten Neubildung (bis zum Tumor) oder zu<br />

einem beschleunigten Untergang (z. B. Gehirnzellen). In krankhafter Hinsicht<br />

kann es nun zu einer gesteigerten Apoptose kommen, entweder durch<br />

endogene (unbekannte „innere“) oder exogene (äußere, z. B. toxische, bzw.<br />

Vergiftungs-) Einflüsse.<br />

Solch ein aus dem Ruder gelaufener programmierter Zelltod war früher das<br />

wichtiges Erklärungsmuster für eine Parkinson-Krankheit. Heute hat es an Bedeutung<br />

verloren.<br />

– Umweltfaktoren: Es ist schon seit langem bekannt, dass sich nach<br />

Intoxikationen (Vergiftungen) mit Mangan, Kohlenmonoxid, Schwefelwasserstoff,<br />

Methanol u.a. <strong>parkinson</strong>-ähnliche Krankheitszeichen ausbilden können.<br />

Selbst die intensive Suche nach dem Auslöser brachte aber bisher keine<br />

einheitlichen Ergebnisse. Bei einigen Fremdstoffen ist es aber nicht<br />

auszuschließen, dass sie ein Parkinson-Syndrom zumindest anstoßen<br />

können. Dazu gehören Schwermetalle (Mangan, Quecksilber, Blei),<br />

Lösungsmittel (Methanol, Trichlor-ethylen), Pestizide<br />

(Schädlingsvernichtungsmittel wie Paraquat), Industriechemikalien (CO, H2S,<br />

CS2) und bestimmte Substanzen, wie sie beispielsweise in manchen<br />

Gewürzen vorkommen.<br />

Interessant ist auch die Erkenntnis, dass bestimmte Rauschmittel (oft undefinierbar<br />

im „Heimlabor“ hergestellt oder dem Heroin verwandt) ebenfalls<br />

<strong>parkinson</strong>-ähnliche Symptome auslösen können, was unter diesem Aspekt vor<br />

allem die Forschung beflügelt hat (und für den praktischen Alltag einfach zu<br />

der Warnung führt: keine Rauschdrogen!).<br />

Gesamthaft gesehen – und hier haben insbesondere die in der Landwirtschaft<br />

eingesetzten chemischen Mittel zu einer interessanten wissenschaftlichen Diskussion<br />

beigetragen –, lässt sich aber weder für das Leben in ländlichen<br />

Gegenden, bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten mit Pestizid-Einsatz, bei Brunnenwasser-Konsum,<br />

noch für Ernährungsgewohnheiten, Lebensstil, Tierkontakte<br />

und einzelne Infektions<strong>krankheit</strong>en ein sicherer ursächlicher Zusammenhang<br />

nachweisen.<br />

Das Gleiche gilt für die berufliche Tätigkeit in bestimmten Industriezeigen<br />

(z. B. Holz, Papier, Glasverarbeitung, Druckerei, Arbeiten im Steinbruch) oder<br />

für den Kontakt mit Werkstoffen wie Lösungsmittel in Lacken und<br />

Klebestoffen, Holzschutzmittel u.a.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 11 -<br />

Wenn solche Fällen aber dennoch immer wieder in der Wissenschaft und<br />

später in den Medien diskutiert werden, dann scheint es sich eher um eine unglückselige<br />

Kombination zu handeln, z. B. genetisch prädisponierender Defekt<br />

im Entgiftungsmechanismus (d. h. erblich eingeschränkte Entgiftungsfähigkeiten<br />

des Organismus), was die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten<br />

Umweltgiften erhöhen könnte und in Kombination mit anderen ursächlichen<br />

Parkinson-Faktoren schließlich das Krankheitsbild ausklinkt.<br />

– Zellschädigung durch oxidativen Stress: Schon im normalen Gehirnstoffwechsel<br />

entstehen kurzfristig Zellverbindungen, die – schlicht gesprochen –<br />

der <strong>Gesundheit</strong> abträglich sein können. Ein normaler Organismus aber neutralisiert<br />

eine solche Vergiftungs-Bedrohung „von innen“ rasch. Ist das – aus<br />

welchem Grund auch immer – aber nicht oder nur noch unzureichend möglich,<br />

kann es zu so genannten oxidativen Vergiftungen kommen, was im Organismus<br />

zumindest einen „oxidativen Stress“ auslöst (Stichwort in der Fachliteratur:<br />

freie Radikale).<br />

Im gesunden Gehirn spielt dies alles keine Rolle, bei Parkinson-Kranken aber<br />

könnte die vermehrte Produktion solcher Schädigungs-Stoffe oder deren verminderte<br />

Entgiftung das Krankheitsbild auslösen (helfen). Dabei wurde im<br />

Laufe der Forschung zusätzlich bekannt, dass bei diesen Patienten jene<br />

Stoffe im Gehirn vermindert sind, die zur Entgiftung maßgeblich beitragen. Ob<br />

diese Ver- bzw. Entgiftungstheorie von Bedeutung ist, steht bisher noch aus.<br />

Bedeutsam für die Allgemeinheit ist auf jeden Fall die Erkenntnis:<br />

Bisher gibt es keine äußeren Hilfsmittel, die hier vorbeugend oder therapeutisch<br />

entscheidend eingreifen könnten. Dies gilt vor allem für die Wirkung von<br />

Vitaminen (z. B. Vitamin E und C). Es reicht also eine ausgewogene Ernährung<br />

mit der üblichen Vitaminzufuhr, mehr bringt in diesem Fall nicht mehr.<br />

– Weitere wissenschaftliche Überlegungen: Neben wissenschaftlich sehr<br />

komplizierten Hypothesen (Fachbegriffe: mitochondriale Funktionsstörungen,<br />

Überladung der Zelle mit Calcium-Ionen, Mangel an Neurotrophen, also<br />

Nervenwachstumsfaktoren u.a.), die derzeit noch ihrer Bestätigung harren,<br />

gibt es aber auch Überlegungen, die in den Medien und damit auch unter<br />

Patienten und vor allem Angehörigen diskutiert werden.<br />

Dazu gehören beispielsweise Infektionen als Parkinson-Auslöser (unbewiesen),<br />

so genannte Autoimmunprozesse, also Störungen bei denen sich der<br />

Körper im Sinne einer zerstörten Abwehr durch Auto-(Selbst-)Aggression<br />

schädigen kann (derzeit in Forschung), Störungen der Eisenaufnahme- und<br />

speicherung (ebenfalls derzeit Forschungsthema, da auch bei anderen Krankheiten<br />

wie Alzheimer-Demenz u.a. anzutreffen) und schließlich Nikotin-, Alkohol-<br />

und Kaffeegenuss.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 12 -<br />

Dabei geht es allerdings – überraschenderweise – nicht um eine Schädigung,<br />

vor allem durch Nikotin, sondern eher um einen zumindest hypothetischen<br />

Schutz durch Rauchen, ggf. auch Alkohol und Kaffee. Die Forschung ist noch<br />

im Gange, und wenn sich hier tatsächlich ein Schutz-Teilfaktor herausstellen<br />

würde, dann sicherlich nicht durch Rauchen oder zu viel Alkohol und Kaffee,<br />

sondern über bestimmte Stoffe in diesen Genussmitteln, die dann wissenschaftlich<br />

geprüft, bewiesen und pharmakotherapeutisch abgesichert angeboten<br />

werden könnten.<br />

Rauchen, zu viel Alkohol und Kaffee sind jedenfalls kein Mittel gegen Parkinson<br />

(auch nicht die chronische Verwendung eines Nikotinpflasters, wie gelegentlich<br />

zu hören ist).<br />

WIE TEILT MAN EINE PARKINSON-KRANKHEIT EIN?<br />

Die Einteilung einer Parkinson-Krankheit, wissenschaftlich Klassifikation genannt,<br />

kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen (äußeres Erscheinungsbild,<br />

Ursachen, Art der Gehirnfunktionsstörung, Verlauf u.a.).<br />

– Derzeit richtet sich die Klassifikation nach ätiologischen Aspekten (Ätiologie<br />

= Krankheitsursachen). Der nachfolgende Kasten zeigt die wissenschaftliche<br />

Einteilung in Fachbegriffen (ohne Erklärung, da für das allgemeine Verständnis<br />

nicht so zwingend und im Bedarfsfalle ohnehin später ausführlicher<br />

erläutert).<br />

Einteilung der Parkinson-Syndrome nach ätiologischen Kriterien<br />

I. Idiopathisches Parkinson-Syndrom (Parkinson-Krankheit, Morbus Parkinson)<br />

II. Definierte neurodegenerative Parkinson-Syndrome<br />

- Multisystematrophie (MSA)<br />

- Progressive supranukleäre Blicklähmung (PSP)<br />

- Kortikobasale Degeneration (KBD)<br />

- Demenz-Syndrome mit Parkinson-Symptomatik<br />

- Lewy-Körperchen-Krankheit<br />

III. Symptomatische (sekundäre) Parkinson-Syndrome<br />

- Medikamenten-induziert<br />

- Toxisch induziert<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 13 -<br />

- Hypoxisch, metabolisch, traumatisch, postinfektiös<br />

- Tumor, Hydrozephalus<br />

IV. Heredodegenerative Erkrankungen mit Parkinson-Symptomatik<br />

Zahlenmäßig im Vordergrund steht das so genannte idiopathische Parkinson-<br />

Syndrom (Parkinson-Krankheit, Morbus Parkinson).<br />

Unter idiopathisch (aus dem griechischen: idio = Wortteil für eigen, selbst,<br />

eigentümlich, von Natur aus, angeboren und pathos = Verfahren, Geschick,<br />

Zustand, Unglück, Leiden, Krankheit u.a.) versteht man einen krankhaften Zustand<br />

ohne erkennbare Ursache, gelegentlich als primär, genuin oder essentiell<br />

bezeichnet. Oder kurz: Man weiß nicht woher. Einzelheiten siehe Kasten.<br />

Was spricht für ein idiopathisches Parkinson-Syndrom?<br />

__________________________________________________________<br />

- Einseitiger Beginn des sichtbaren Leidens<br />

- Ruhe-Tremor (Zittern ohne Bewegung oder Anstrengung)<br />

- Ständig fortschreitende Erkrankung<br />

- Andauernd verstärkt betroffene Seite von Anfang an<br />

- Gutes Ansprechen auf Levodopa (siehe Therapieteil) über mindestens<br />

5 Jahre<br />

- Krankheitsverlauf von mindestens 10 Jahren<br />

Was macht ein idiopathisches Parkinson-Syndrom eher unwahrscheinlich?<br />

__________________________________________________________<br />

- Wiederholter Insult (Gehirnschlag) mit schrittweiser Zunahme von<br />

<strong>parkinson</strong>-ähnlichen Krankheitszeichen<br />

- Wiederholte Schädel-Hirn-Traumata (schwere Kopfunfälle) in der Vorgeschichte<br />

- Durchgemachte Enzephalitis (Gehirnentzündung)<br />

- Neuroleptische Behandlung zu Beginn der Erkrankung (mit antipsychotischen<br />

Psychopharmaka = Neuroleptika)<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 14 -<br />

- Spontane Rückbildung der Parkinson-Krankheitszeichen<br />

- Mehr als ein erkrankter Verwandter<br />

- Ausschließlich einseitige Krankheitszeichen nach 3 Jahren (sollte sich<br />

nach und nach auch auf die andere Seite ausbreiten)<br />

- Supranukleäre Blickparese (Augenlähmung) oder zerebelläre Symptome<br />

(Krankheitszeichen, die auf eine Kleinhirn-Veränderung hinweisen)<br />

- Frühe und schwere autonome Störungen (s. Fachliteratur)<br />

- Frühe und schwere Demenz (Geistesschwäche) oder umschriebene<br />

neuropsychologische Defizite oder positive Babinski-Zeichen (s. Fachliteratur)<br />

- Zerebraler Tumor (Gehirn-Geschwulst) oder kommunizierender Hydrozephalus<br />

(s. Fachliteratur) in der kraniellen Bildgebung (spezielle<br />

Röntgen-ähnliche Gehirn-Untersuchungen)<br />

- Fehlendes Ansprechen auf Levodopa (siehe Therapieteil)<br />

Modifiziert nach psychoneuro 29 (2003) 439<br />

Die überwiegende Mehrzahl von 70 bis 80% aller Parkinson-Krankheiten sind<br />

also ein idiopathisches Parkinson-Syndrom, dessen Ursachen man nicht (genau)<br />

kennt.<br />

Bei der Gruppe der nicht-idiopathischen Parkinson-Syndrome kennt man<br />

wenigstens (einen Teil) der Ursachen, vor allem bei den symptomatischen<br />

(sekundären) Fällen durch Medikamente, Giftstoffe, Sauerstoffmangel,<br />

Unfälle, Infektionen, Tumoren u.a.<br />

Darüber hinaus unterscheidet man Parkinson-Krankheiten mit frühem und<br />

spätem Beginn, bei denen bestimmte Eigentümlichkeiten des Krankheitsverlaufs<br />

erkennbar sind. Im Einzelnen:<br />

– Eine Parkinson-Krankheit mit frühem Krankheitsbeginn tritt vor dem<br />

50. Lebensjahr auf (siehe Einleitung). Ist das Leiden schon vor dem 21. Lebensjahr<br />

zu ertragen, spricht man von einem juvenilen Parkinson-Syndrom.<br />

Hier empfiehlt es sich ein Augenmerk auf andere Krankheitsursachen zu richten<br />

die ein Parkinson-Syndrom nachahmen können (Fachbegriffe: Wilson- und<br />

Huntington-Krankheiten).<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 15 -<br />

In 5 bis 10% der Fälle tritt die Parkinson-Krankheit vor dem 40. Lebensjahr auf<br />

(Fachbegriff: young onset-Parkinson-Syndrom – YOP). Diese Patienten entwickeln<br />

ihre wichtigsten Symptome nur langsam und ohne wesentliche vegetativen<br />

und seelischen Störungen (insbesondere keine Demenz, also Geistesschwäche).<br />

Sie sprechen zwar gut auf eine L-Dopa-Therapie an, entwickeln<br />

aber offenbar schon nach kurzer Zeit problematische Medikamenten-Nebenwirkungen,<br />

was zu einer gesonderten Behandlungsstrategie zwingt. Die<br />

Frage, ob bei diesem mittleren Parkinson-Beginn eine familiäre Häufung vorliegt,<br />

ist offenbar nicht schlüssig zu beantworten.<br />

– Die Parkinson-Krankheiten mit spätem Krankheitsbeginn nennt man<br />

beim Ausbruch nach dem 70. Lebensjahr ein seniles Parkinson-Syndrom. Hier<br />

liegen die Ursachen oft bei schweren Erkrankungen und Operationen, oder<br />

konkreter: die Auslösung des Leidens, weniger die Ursachen. Charakteristisch<br />

ist das rasche Fortschreiten des Beschwerdebildes mit häufig frühen seelischen<br />

Störungen (z. B. Psychose = Geistes<strong>krankheit</strong> und Demenz = Geistesschwäche).<br />

WIE<br />

VERLÄUFT EINE PARKINSON-KRANKHEIT?<br />

Eine<br />

Parkinson-Krankheit schreitet meist langsam fort. Das ist allerdings von<br />

Betroffenem zu Betroffenem unterschiedlich. Deshalb kann man eigentlich<br />

keine sichere Voraussage treffen, es sei denn bei einem Leiden mit frühem<br />

oder spätem Krankheitsbeginn (siehe oben).<br />

Wissenschaftlich<br />

wird der Verlauf nach einem bestimmten Einteilungsstadium<br />

beurteilt. Einzelheiten dazu siehe der nachfolgende Kasten.<br />

Einteilung der Krankheitsstadien<br />

______________________________________________________________<br />

_<br />

Stadium Beschwerdebild<br />

1 einseitig, keine oder nur geringe funktionelle Beeinträchtigungen<br />

1,5 einseitig, axial (längsachsig) betont<br />

2 beidseitig, keine Gleichgewichtsstörungen<br />

2,5 beidseitig, Ausgleich bei Pulsionsprovokation<br />

3 erste Anzeichen gestörter Reflexe: Unsicherheit beim Umdrehen.<br />

Der Patient kann das Gleichgewicht nicht halten, wenn er - mit geschlossenen<br />

Beinen und geschlossenen Augen stehend - ange-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 16 -<br />

stoßen wird. Der Patient ist funktionell eingeschränkt, aber (abhängig<br />

von der Art der Arbeit) noch teilweise arbeitsfähig. Der<br />

Patient kann sich selbst versorgen und unabhängig leben; die Behinderung<br />

ist schwach bis mäßig ausgeprägt<br />

4 voll entwickeltes, schwer beeinträchtigendes Beschwerdebild; der<br />

Patient kann noch gehen und stehen, ist aber stark behindert<br />

5 der Patient ist ohne Hilfe auf den Rollstuhl angewiesen oder bettlägerig<br />

Einteilung modifiziert nach Hoehn und Yahr (1967)<br />

Vor<br />

der Ära der L-Dopa-Behandlung erreichte der Parkinson-Kranke nach<br />

durchschnittlich 14 Jahren das Stadium 5 mit vollständiger Pflegebedürftigkeit.<br />

Die moderne medikamentöse Parkinson-Therapie kann zwar das<br />

Fortschreiten der Krankheit nicht aufhalten, jedoch so genannte Sekundär-<br />

Komplikationen mindern (Probleme, die sich erst nachträglich aus dem<br />

Beschwerdebild ergeben – siehe später). Und sie kann die Pflegeabhängigkeit<br />

hinauszögern.<br />

Unter<br />

der medikamentösen Behandlung zeigen die meisten Patienten in den<br />

ersten 3 bis 5 Jahren einen guten, „hoffnungsvollen“ Verlauf (etwas ironisch<br />

als „Honeymoon“) bezeichnet. Zwischen dem 5. und 8. Jahr treten erste<br />

Bewegungsstörungen unter der Behandlung auf (z. B. wechselnde<br />

Beweglichkeit) und erste seelische Beeinträchtigungen. Beides wird sich in<br />

den nächsten beiden Jahren verstärken. Etwa zwischen dem 11. und 12. Jahr<br />

treten Haltungs- und Gangstörungen hinzu. In diesem Stadium der<br />

wachsenden Immobilität (Unbeweglichkeit) muss auch mit vermehrten<br />

Sekundär-Erkrankungen gerechnet werden, nämlich Infektionen, Aspiration<br />

(Ansaugen von Flüssigkeit und festen Nahrungsanteilen in die Luftröhre) und<br />

Mangelernährung. In der Regel dauert es also durchschnittlich 2 bis 5 Jahre,<br />

bis der Patient das nächste Stadium nach obiger Skala erreicht.<br />

Bei<br />

einem Drittel der Patienten ist ein relativ günstiger Verlauf zu erwarten:<br />

Diese Patienten haben auch nach 10-jähriger Erkrankung nur ein leichtes<br />

Parkinson-Syndrom (Stadium 1 bis 2 – s. o.). Bei einem Teil der Betroffenen<br />

beschränkt sich im weiteren Verlauf das Beschwerdebild auf Bewegungs-<br />

Störungen, bei anderen drohen auch kognitive (geistige) Defizite. Eine dritte<br />

Gruppe meist älterer Patienten zeigt ein rasches Fortschreiten der Bewegungs-<br />

und seelischen Beeinträchtigungen.<br />

Patienten,<br />

bei denen das Zittern (Fachbegriff: Tremor) das wichtigste Krankheitszeichen<br />

ist, sollen einen günstigeren Verlauf haben. Wenn ein solcher<br />

Ruhe-Tremor (also Zittern in Ruhe) ohne sonstige Parkinson-Krankheits-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 17 -<br />

zeichen über Jahre hinweg bestehen bleibt, nennt man so etwas einen „monosymptomatischen<br />

Ruhetremor“ (nur ein Symptom, nämlich Zittern in Ruhe –<br />

siehe später).<br />

Lebenserwartung und Todesursachen<br />

Vor<br />

Einführung der L-Dopa-Behandlung war die Mortalität (Sterblichkeit) bei<br />

Parkinson-Patienten fast dreimal so hoch wie in einer vergleichbaren Altersgruppe.<br />

Dies hat sich seit Einführung der modernen medikamentösen<br />

Möglichkeiten deutlich verbessert. Parkinson-Betroffene haben heute eine<br />

höhere Lebenserwartung als früher, was sich im Wesentlichen durch die<br />

Vermeidung sekundärer Komplikationen (siehe oben) erklärt. Das<br />

durchschnittliche Todesalter wird derzeit mit etwa 70 Jahren angegeben und<br />

liegt damit zwar unterhalb der allgemeinen Lebenserwartung (Männer: 72,<br />

Frauen: 80), aber gemessen an früher doch um ein vielfaches hoffnungsvoller.<br />

Die<br />

Todesursachen sind die selben wie bei der altersgleichen Bevölkerung,<br />

nämlich Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen sowie Schlaganfälle. Warum<br />

Parkinson-Kranke allerdings seltener als die Vergleichsbevölkerung an bestimmten<br />

Krebs-, insbesondere Lebererkrankungen leiden, ist unbekannt. Ein<br />

erhöhtes Risiko findet sich für die Folgen einer Pneumonie (Lungenentzündung)<br />

oder Grippe, was sich durch die allgemeine Einschränkung der körperlichen<br />

Aktivität bzw. Beweglichkeit und mit dem Aspirationsrisiko (Verschlucken<br />

und Ansaugen von Nahrungsbestandteilen in die Luftröhre und damit<br />

Lunge) bei Schluckstörungen erklärt werden kann.<br />

Befürchtungen,<br />

dass unter L-Dopa-Behandlung mit mehr Melanomen zu rech-<br />

nen ist (bösartige Tumore der Haut und Schleimhäute) haben sich nicht bestätigt.<br />

Häufiger als sonst scheinen aber vorzukommen Schilddrüsenfunktionsstörungen,<br />

gutartige Schilddrüsentumore, Diabetes mellitus (Zucker<strong>krankheit</strong>),<br />

Gastritis (Magenschleimhautentzündung), Glaukom (grüner Star) und Katarakt<br />

(grauer Star). Die Gründe hierfür sind bisher nicht ausreichend geklärt. Etwa<br />

gleich häufig wie sonst treten Schlaganfall und etwas seltener Hypertonie<br />

(Bluthochdruck) auf.<br />

Zusammenfassend<br />

ist die Mortalität (Sterblichkeitsrate) gegenüber der<br />

Normalbevölkerung zwar erhöht, doch weniger ausgeprägt wie früher. Die<br />

Lebenserwartung nach der Diagnosestellung (bei durchschnittlichem<br />

Erkrankungsalter) lag früher zwischen 9 und 10 Jahren und liegt heute<br />

zwischen 13 und 14 Jahren. Das durchschnittliche Erkrankungsalter streut<br />

zwischen 55 und 65 (Gipfel zwischen 50 und 79 Jahren). Ein<br />

Häufigkeitsunterschied zwischen Frauen und Männern ist – wie bereits<br />

erwähnt – nicht zu erkennen.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 18 -<br />

DAS KÖRPERLICHE KRANKHEITSBILD<br />

WIE BEGINNT EINE PARKINSON-KRANKHEIT?<br />

Eine<br />

voll ausgebildete Parkinson-Krankheit ist lehrbuchmäßig charakterisiert<br />

durch die Symptome Akinese, Rigor und Tremor, gefolgt von einer Haltungsstörung<br />

im weiteren Verlauf. Einzelheiten dazu siehe später. Zuvor aber<br />

drängt sich die Frage auf: Gibt es Früh-Symptome, die rechtzeitig vorwarnen<br />

könnten, vielleicht sogar zuvor noch eine mehr oder weniger charakteristische<br />

Wesensart oder Persönlichkeitsstruktur?<br />

� Persönlichkeitsstruktur: Da es sich bei diesem Leiden um einen fort-<br />

schreitenden Krankheitsprozess handelt, bei dem erst nach Jahren die ersten<br />

lästigen bis schließlich behindernden Symptome deutlichen werden, hat man<br />

tatsächlich nach Persönlichkeitsmerkmalen gesucht, die schon im gesunden<br />

Vorstadium auf eine bevorstehende Erkrankung hinweisen könnten (Fachbegriff:<br />

prämorbide, d. h. vor der eigentlichen Erkrankung registrierbare spezifische<br />

Persönlichkeitszüge).<br />

Und<br />

in der Tat wurden überzufällig häufig folgende Merkmale gefunden (nach<br />

R. Thümler):<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

Introvertiertheit: nach innen gekehrt, d. h. seine Interesse mehr der Innenwelt,<br />

dem geistigen Leben zugewandt, vielleicht auch etwas zögerliches,<br />

abwägendes, abwartendes Wesen, das mehr beobachtet als handelt und<br />

sich leichter in eine Art ständige Verteidigungshaltung drängen lässt<br />

Zwanghaftigkeit: genau bis übergenau, perfektionistisch bis grenzwertig<br />

zwanghaft<br />

Verminderte Flexibilität (Anpassungsfähigkeit)<br />

Neigung zum Perfektionismus (siehe oben � Zwanghaftigkeit)<br />

Mangel an Spontaneität (etwa im Sinne von aktiv, dynamisch, zu unmittelbaren,<br />

eben spontanen Reaktionen neigend)<br />

Depressive Verstimmungen<br />

Pflichtbewusstsein<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 19 -<br />

Bei Zwillingsuntersuchungen schien der später an einem Parkinson-Syndrom<br />

erkrankte Zwilling schon vor dem Krankheitsausbruch zurückgezogener und<br />

weniger aktiv, so die oft rückwirkende Schilderung der Angehörigen.<br />

Allerdings muss man dazu sagen: Vergleichbare Persönlichkeitsmerkmale findet<br />

sich auch häufig bei anderen, vor allem chronischen Erkrankungen, so<br />

dass sich dadurch eigentlich keine zwingenden Schlussfolgerungen ergeben,<br />

was die mögliche Vorhersage in Bezug auf eine Parkinson-Anfälligkeit anbelangt.<br />

� Frühsymptome: Etwas anderes sind meist schleichend beginnende uncharakteristische<br />

Frühsymptome, die überwiegend körperlicher Art und hier<br />

vor allem den Bewegungsablauf betreffen, zum Teil auch seelisch,<br />

psychosozial und vegetativ einzuordnen sind. Im Einzelnen:<br />

– Schmerzhafte Muskelverspannungen, die meist einseitig betont sind und<br />

häufig als „rheumatische Beschwerden“ interpretiert werden – fälschlicherweise<br />

(Fachbegriff: Myalgien). Sie belasten häufig die Schulter-Arm- bzw.<br />

Becken-Oberschenkel-Region.<br />

Folgerichtig wenden sich diese Patienten zuerst an den Hausarzt und dann an<br />

den Orthopäden. Deshalb gehen die häufigsten Vermutungen, später als Fehl-<br />

Diagnosen erkannt auch in Richtung „Schulter-Arm-Syndrom, „Halswirbelsäulen-Syndrom“,<br />

„Ischias“, „Neuritis“, „Arthritis“ usw. So werden sie auch<br />

über längere Zeit behandelt – aber umsonst.<br />

So ganz abwegig sind allerdings diese Diagnosen nicht, denn vor allem die<br />

orthopädischen degenerativen Erkrankungen, die rheumatischen Störungen<br />

und besonders auch die Osteoporose fallen altersbedingt oft mit den ersten<br />

Parkinson-Frühsymptomen zusammen. Und da die erwähnten Leiden<br />

häufiger, ja deutlich häufiger sind als beispielsweise eine Parkinson-Krankheit,<br />

denkt man erst einmal im Sinne von „was häufig ist ist häufig – was selten ist<br />

ist selten“ an naheliegende Leiden.<br />

Allerdings sollte dies nicht viele Monate oder gar mehrere Jahre dauern,<br />

zumal ja die eingeleiteten Behandlungsverfahren dann auch nichts oder nur<br />

wenig gebracht haben. Das Rechzeitig-daran-Denken ist also eines der<br />

wichtigsten diagnostischen Aufgaben in der Früherkennung des Parkinson-<br />

Syndroms.<br />

– Ähnliches gilt für eine vorzeitige körperliche Ermüdbarkeit und verminderte<br />

seelische und körperliche Belastbarkeit, einschließlich einer eigenartigen<br />

dauerhaften Mattigkeit.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 20 -<br />

Erste, etwas „direktere“ Parkinson-Anzeichen sind dann im Folgenden so genannte<br />

feinmotorische Störungen der Hände, also eine Beeinträchtigung der<br />

feineren Bewegungsaufgaben wie sie beim Schreiben, Knöpfen, Kämmen,<br />

Rasieren und Zähneputzen nötig werden. Auch fällt den Betroffenen zunehmend<br />

schwerer, zwei Bewegungen gleichzeitig oder kurz hintereinander auszuführen.<br />

– Nach und nach ändert sich auch das Gangverhalten: Die Schrittlänge wird<br />

kürzer, ein Bein gelegentlich etwa nachgezogen, die Arme schwingen insgesamt<br />

weniger und asymmetrisch beim Gehen mit, die Gestik und Mimik als<br />

Mitbewegungen verarmen.<br />

– Bevor dann der Parkinson-Tremor, also das Händezittern sichtbar wird, verspüren<br />

die Patienten oft zu Beginn ihrer Erkrankung ein einseitig betontes<br />

„inneres Zittern“, das von der Zitter-„Häufigkeit“ und von der besonders befallenen<br />

Körperseite her dem späteren Parkinson-Tremor entspricht.<br />

– In vegetativer Hinsicht fallen dann nach und nach auch Verstopfung und<br />

Schlafstörungen auf.<br />

– Seelisch bzw. psychosozial sind es insbesondere Stimmungsschwankungen,<br />

schließlich immer öfter depressive Verstimmungen, eine Verminderung<br />

von Antrieb und Aktivität und auch gewisse kognitive (geistige) Störungen<br />

(siehe später).<br />

Doch bei allem muss man immer wieder einschränken:<br />

Typische Frühsymptome einer Parkinson-Krankheit gibt es nicht.<br />

Deshalb sollte man auch nicht zu leichtfertig oder ungerechtfertigt die Diagnose<br />

einer Parkinson-Krankheit stellen, möglicherweise auch noch mit nachfolgender<br />

Behandlung bei ggf. nebenwirkungs-belasteten oder gar unverträglichen<br />

Medikamenten. Hier hilft dann mitunter der umgekehrte Erfahrungshinweis,<br />

nämlich<br />

Parkinson-Warnzeichen, die aber für eine wirkliche Parkinson-Krankheit weniger<br />

typisch zu sein pflegen:<br />

- schubartiger Verlauf<br />

- früh Gleichgewichtsstörungen<br />

- früh Sprechstörungen<br />

- Blasenstörungen<br />

- Sexualfunktionsstörungen<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 21 -<br />

- weitere, vor allem neurologische Krankheitszeichen (z. B. Reflexstatus) u.a.<br />

Und ganz wichtig ist die grundsätzliche Frage, bevor man ein „echtes“ Parkinson-Syndrom<br />

annimmt:<br />

Nehmen Sie Medikamente und wenn ja, welche? Denn immer mehr<br />

Menschen leiden unter seelischen und psychosozialen Belastungen und<br />

bekommen Psychopharmaka: Beruhigungsmittel (Tranquilizer),<br />

Antidepressiva (stimmungsaufhellende Arzneimittel) und Neuroleptika<br />

(antipsychotisch wirkende Medikamente).<br />

Letztere aber, nämlich die Neuroleptika, und hier vor allem die so genannten<br />

hoch- und mittelpotenten Neuroleptika können Bewegungsstörungen verursachen,<br />

wozu das medikamentöse Parkinson-Syndrom (Fachbegriff: neuroleptisches<br />

Parkinsonoid) gar nicht so selten ist – und damit auf die richtige<br />

Diagnose, aber falsche Ursache verweist. Hier braucht es nämlich kein Anti-<br />

Parkinsonmittel, sondern eine Dosis-Reduktion bzw. das Absetzen dieser<br />

Medikamente und – falls notwendig – ein Umsetzen auf ein anderes, in dieser<br />

Hinsicht weniger belastendes Psychopharmakon. Weitere Einzelheiten dazu<br />

siehe später.<br />

WELCHES SIND DIE WICHTIGSTEN SYMPTOME EINER PARKINSON-<br />

KRANKHEIT?<br />

Die Hauptsymptome der Parkinson-Krankheit sind – wie bereits erwähnt –<br />

Akinese, Rigor, Tremor und später Haltungsstörungen. Einzelheiten siehe<br />

nachfolgend.<br />

Dabei können noch verschiedene Schwerpunkte unterschieden werden, z. B.<br />

vor allem Akinese und Rigor oder insbesondere Tremor. Oder ein „ausgeglichener“<br />

Beschwerdebild-Typ. Zu Beginn der Parkinson-Erkrankung kann<br />

der Tremor (das Zittern) vorherrschen, und zwar über einen durchaus längeren<br />

Zeitraum. Dieser „Einstand“ soll übrigens mit einem günstigeren<br />

Krankheitsverlauf gekoppelt sein. Im Weiteren findet man dann aber oft eine<br />

ähnliche Ausprägung der drei wichtigsten Symptome.<br />

Unterstützend für die richtige Diagnose gelten im Übrigen auch noch das gute<br />

Ansprechen auf eine typische Parkinson-Therapie, eine Seitenbetonung (eine<br />

Seite ist „schlechter“ als die andere) und ein unkomplizierter Verlauf über mindestens<br />

5 Jahre (bei dem also nur noch unvorhergesehene oder untypische<br />

Zusatzbelastungen irritieren).<br />

Was heißt dies im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 22 -<br />

Akinese = verminderte Beweglichkeit<br />

Akinese heißt wörtlich übersetzt „ohne Bewegung“ (aus dem griechischen: a =<br />

nicht und kinein = bewegen). Doch im Sprachgebrauch der Ärzte wird Akinese<br />

nicht nur für einen vollständigen Bewegungsverlust gebraucht (das ist ohnehin<br />

selten), mehr im Sinne einer Verlangsamung und Verminderung, und zwar vor<br />

allem der willkürlichen und automatisierten Bewegungen.<br />

Zutreffender für die Bewegungsstörung beim Parkinson-Syndrom sind deshalb<br />

abgewandelte Fachbegriffe wie Hypokinese und Bradykinese.<br />

Hypokinese (vom griechischen: hypo = unter, nach unten hin, also letztlich<br />

unter der Norm, vermindert, unzureichend oder zumindest leichteren Grades<br />

von ...) bezieht sich auf ein reduziertes Ausmaß der Bewegungsmöglichkeiten<br />

und Spontanbewegungen.<br />

Bradykinese (vom griechischen: brady = langsam) weist vor allem auf die Verlangsamung<br />

der Bewegungsabläufe hin.<br />

Im Spätstadium der Parkinson-Krankheit kann es allerdings auch zu vollständiger<br />

Bewegungsunfähigkeit im Sinne des ursprünglichen Wortes „A-Kinese“<br />

kommen.<br />

Diese drei Beweglichkeits-Einschränkungen, also<br />

– Akinese: vollständige Bewegungsunfähigkeit<br />

– Hypokinese: reduzierte Bewegungsausmaße<br />

– Bradykinese: Verlangsamung der Bewegungsabläufe<br />

stellen die ernsthaftesten und belastendsten Bewegungs-Beeinträchtigungen<br />

für die Betroffenen dar (und für ihre Angehörigen, Freunde und Mitarbeiter<br />

nebenbei auch). Die Bewegungsverlangsamung oder Bewegungshemmung<br />

kann sich dabei nicht nur auf Arme, Beine und Rumpf, sondern auch auf die<br />

Gesichtsmuskulatur (Verarmung der spontanen Mimik), ja sogar die Sprechmuskulatur<br />

ausdehnen (zuerst leiser, rauher und monotoner, schließlich sogar<br />

verwaschen). Wie kann sich das im einzelnen äußern?<br />

Störungen der feineren Bewegungsabläufe<br />

Was dem Parkinson-Kranken schon sehr früh auffällt und im Laufe der Erkrankung<br />

immer schwieriger wird, sind beeinträchtigte willkürliche Feinbewegungen,<br />

also besonders rasch wechselnde Bewegungsabläufe der Hände und<br />

insbesondere Finger. Die Betroffenen bemerken immer öfters, dass diese<br />

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- 23 -<br />

Bewegungen nur noch stockend möglich sind, was sich vor allem bei Drehbewegungen<br />

der Hand (Schraubenzieher, Glühbirne einschrauben) und beim<br />

raschen Tippen des Zeigefingers auf den Daumen auffällt (Letzteres als<br />

„Tapping-Test“ bezeichnet). Auch die Füße lassen sich durch dieses Tapping<br />

überprüfen, in dem man sitzend mit der Ferse auf den Boden klopft (Fersen-<br />

Tapping).<br />

Doch zuvor irritieren die alltäglichen Verrichtungen, die immer „komplizierter“<br />

werden: Ankleiden, Knöpfen, Zähneputzen, Rasieren, Schnürsenkel binden.<br />

Alles wird schwieriger und vor allem zeitaufwendiger. Und, eine häufig zu<br />

hörende Klage: Die feinmotorischen Störungen fallen zum Beginn der Erkrankung<br />

meist einseitig betont auf, bevor sie später beide Seiten mehr oder weniger<br />

gleich stark beeinträchtigen.<br />

Schreibstörung<br />

Auch das Schreiben wird mühsamer, kein Wunder, denn es gehört zu den<br />

aufwendigsten feinmotorischen Bewegungen. Dabei werden die ersten Buchstaben<br />

und Zahlen noch in normaler Schriftgröße möglich, verkleinern sich<br />

aber im Weiteren immer mehr. Und sie beginnen nach schräg oben, seltener<br />

auch nach unten abzuweichen (Fachbegriff: Mikrographie: wörtlich übersetzt<br />

mit „Klein(er werdender)-Schrift).<br />

Wenn das Schriftbild zusätzlich verzittert ist (siehe Tremor), wird es schließlich<br />

unleserlich. Es gibt aber auch Betroffene, die ihre Schrift bewusst verkleinern,<br />

damit verzitterte Großbuchstaben nicht so auffallen. Dann ist die Buchstabengröße<br />

von Anfang an verringert, zumeist aber verkleinert sie sich im Laufe der<br />

Zeilen.<br />

Viele Patienten machen das Beste aus ihrer Behinderung: Sie schreiben das<br />

wichtigste am Anfang, wo es noch einigermaßen leserlich ist (einschließlich<br />

Adressen auf Briefumschlägen) oder sie weichen auf Druckbuchstaben aus.<br />

Wer kann, nutzt die Schreibmaschine bzw. den PC. Das hat zwar auch seine<br />

Probleme (siehe oben: Tapping), kann aber lange Zeit und vor allem mit viel<br />

Zeit für den Einzelbrief ausreichend sein.<br />

Wichtige, nicht zuletzt für die psychosoziale Situation der Betroffenen, aber ist<br />

eines: Keine Scham aufkommen lassen, Durchhaltevermögen zeigen, alle Hilfen<br />

nutzen, die es gibt. Denn wer aufhört, den vielleicht früher üblichen Briefkontakt<br />

zu nutzen, gerät in den Teufelskreis von Resignation, Rückzug und<br />

damit Isolationsgefahr. Also: Lieber verzittert als gar nicht!<br />

Störung der Mimik<br />

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- 24 -<br />

Die Mimik, also die Ausdrucksbewegungen des Gesichtes gehören zum wichtigsten<br />

Kommunikationsmittel, und zum wertvollsten, wie sich besonders dann<br />

herausstellt, wenn das Minenspiel nicht mehr frei verfügbar ist. Dann kommt<br />

es zur Hypomimie, einer Verarmung der vor allem spontanen Mimik, die am<br />

Anfang sogar einseitig betont sein kann.<br />

Später erscheinen die Gesichtszüge starr und damit ausdruckslos. Man<br />

spricht deshalb auch von einer maskenartigen Starre bzw. gar von einem<br />

„Maskengesicht“.<br />

Manchmal kommt zu dieser mimischen Erstarrung noch ein weiterer Nachteil<br />

hinzu: eine vermehrte Talgbildung der Gesichtshaut. Das kann soweit gehen,<br />

dass man von einem „Salbengesicht“ spricht. Dann haben wir quasi ein<br />

maskenhaftes Salbengesicht vor uns, was schon sehr auffällig sein kann.<br />

Schließlich verringert sich auch noch die Lidschlagfolge (unter 5 Schläge pro<br />

Minute). Dadurch wirkt das Auge, das Zentrum des Gesichtes, irgendwie starrer,<br />

zumindest um einen Lebhaftigkeitsfaktor verringert, der einem ansonsten<br />

gar nicht so auffällt.<br />

Und zuletzt bleibt auch noch oftmals der Mund halboffen stehen, was einen<br />

irgendwie „schwachsinnigen“ Eindruck hinterlässt, zumal man dies von geistig<br />

Behinderten kennt.<br />

Und um das Ganze noch einen Grad diskriminierender zu machen, fangen<br />

manche Patienten an zu sabbern, und zwar nicht weil sie mehr Speichel als<br />

sonst produzieren, sondern diesen nicht (mehr) so schnell schlucken können.<br />

Also läuft oft aus dem halboffenen Mund noch die Spucke, tropft auf das<br />

Hemd – und hinterlässt einen oft deprimierend „geistig und körperlich<br />

verwahrlosten“ Eindruck.<br />

Diese mimische Beeinträchtigungen werden schließlich noch verstärkt durch<br />

eine verminderte Mitbewegung des übrigen Körpers, zumindest aber der<br />

Arme. Jeder hat seinen eigenen Gang-Stil und -Rhythmus, an dem die<br />

Mitbewegung der Arme einen großen Anteil hat. Und wenn diese nicht mehr<br />

so charakteristisch bewegt werden, wie es der betreffenden Person früher<br />

zukam, vielleicht sogar überhaupt nicht mehr (Fachbegriff: Verlust an<br />

gestischer Mitbewegung), dann haben wir nicht nur eine mimisch, sondern<br />

gesamthaft „versteinerte“ Motorik.<br />

Noch problematischer wird es, wenn sich dazu noch die bekannten weiteren<br />

Parkinson-Symptome hinzu gesellen, nämlich kleinschrittiger bis schlurfendtrippelnder<br />

Gang, Zittern und vornüber gebeugte Haltung (siehe später).<br />

Mimik und geistige Leistungseinbußen<br />

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- 25 -<br />

Schon hier bzw. besonders bei der Mimik aber muss auf etwas hingewiesen<br />

werden, dass den Betroffenen fast noch mehr zu schaffen macht als die äußeren<br />

Beeinträchtigungen. Die Rede ist von der irrtümlichen Annahme vor allem<br />

fremder Gesprächspartner, es handele sich um eine geistige Leistungseinbuße.<br />

Dabei kann man der näheren und weiteren Umgebung diesen<br />

falschen Eindruck nicht einmal verargen. Schließlich hängt die Beurteilung der<br />

geistigen Fähigkeiten nicht zuletzt vom äußeren Eindruck ab, insbesondere<br />

von der (Lebhaftigkeit der) Mimik. Über die intellektuelle Ausgangslage eines<br />

bisher Unbekannten machen wir uns schon ein Bild, bevor dieser den Mund<br />

aufgemacht hat und uns damit gezielter wissen lässt, „wes Geistes Kind er<br />

ist“.<br />

Das heißt: Die Einschränkung der persönlichen Ausdrucksfähigkeit hinterlässt<br />

bei zumindest fremden Gesprächspartnern den Eindruck eines geistigen Defizits<br />

– seit jeher oder eben erst später erworben. Dagegen kann der Betroffene<br />

– obwohl er es spürt und vor allem fürchtet – erst einmal gar nichts tun. Er gerät<br />

unverschuldet in die missliche Lage, intellektuell abgestempelt zu werden,<br />

bevor er überhaupt beweisen kann, dass das nicht stimmt.<br />

Die Therapeuten empfehlen deshalb den Parkinson-Patienten und nicht<br />

zuletzt ihren Angehörigen in solchen Situationen ruhig, sachlich und<br />

konsequent einfließen zu lassen, dass hier eine „leichte Schwäche der<br />

Gesichtsmuskulatur“ vorliegt, damit sich der andere kein falsches Bild macht.<br />

Ob es darüber hinaus sinnvoll ist, gleich die Behinderung als solche<br />

anzusprechen (Parkinson-Krankheit, bei der ja bekanntlich auch das<br />

Minenspiel beeinträchtigt ist), bleibt dem Einzelfall überlassen (was im Übrigen<br />

für jede körperliche Behinderung gilt).<br />

Sprache und Sprechen<br />

Sprechstörungen sind unterteilbar in Aphonie und Dysphonie (Stimmlosigkeit,<br />

Heiserkeit, Hauchen), Dysarthrie (Störung der Artikulation, d. h. Lautbildung,<br />

deutliche Aussprache), in Stottern, Stammeln, Logoklonie (krampfhafte Silbenwiederholung)<br />

u.a.<br />

Störungen des Redens äußern sich in Veränderungen der Lautstärke, der<br />

Modulation (z. B. Tonfall), in verlangsamtem, stockendem, abgerissenem oder<br />

überhastet wirkendem Reden sowie in bestimmten krankhaften Formen wie<br />

Echolalie (echoartiges Wiederholen), Mutismus (Verstummen) u.a.<br />

Sprache und Sprechen sind also überaus komplizierte und für den zwischenmenschlichen<br />

Kontakt entscheidende Faktoren. Und auch hier ist der Parkinson-Kranke<br />

überaus hinderlich beeinträchtigt. Immerhin wird die Sprache erst<br />

im fortgeschrittenen Krankheitsstadium leiser, rauer und monotoner (Fach-<br />

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- 26 -<br />

begriff: Hypophonie). Im Endzustand schließlich sogar verwaschen und damit<br />

schwer verständlich (Dysarthrie).<br />

Einige der Betroffenen stufen ihre Sprechweise als „weich und weinerlich“ ein.<br />

Damit entsteht für die anderen der irrtümlich Eindruck einer depressiven Verstimmung.<br />

Das muss aber nicht sein, der Patient sollte darauf hinweisen.<br />

Oft ist auch das Sprechtempo verändert: entweder verlangsamt oder zu<br />

schnell und damit überhastet, wobei besonders die Silbentaktgebung beeinträchtigt<br />

ist.<br />

Während des Sprechens kann man auch einen Tremor (ein Zittern) in der<br />

Stimme beobachten, manchmal ein Stottern mit Silbenwiederholungen oder<br />

das Auslassen von Sprachlauten.<br />

Plötzlich, besonders zu Beginn eines Satzes kann der Sprechablauf auch<br />

regelrecht blockiert sein, um sich dann aber anschließend fast abnorm zu<br />

beschleunigen. Dieses krankhaft beschleunigte Sprechen nennt man auch<br />

„Festination“ (vom lateinischen: festinare = sich beeilen). Umgekehrt wird die<br />

Sprechblockade als „Freezing“ (vom englischen: freezing = einfrieren) bezeichnet.<br />

Natürlich wird der Sprechablauf auch durch den vermehrten Speichelfluss behindert,<br />

vom Sabbern ganz zu schweigen.<br />

Und schließlich kann es zu einer Kombination von Sprech- und Stimmbildungsstörungen<br />

kommen (also Artikulation und Phonation). Dann sind sowohl<br />

die Muskeln beeinträchtigt, die zum Sprechen und zur Stimmbildung<br />

notwendig sind als auch die Atmung.<br />

Weitere Einzelheiten zu diesem bedeutsamen Bereich zwischenmenschlicher<br />

Kontakte und damit ggf. folgenschwerer Behinderung siehe das Therapie-<br />

Kapitel über die Logopädie.<br />

Wenn man das alles bedenkt, wird einem deutlich, wie schwer einem Parkinson-Betroffenen<br />

der zwischenmenschliche Kontakt gemacht wird, bis hin zur<br />

Sprache. Das heißt für die wohlwollende Umgebung, dass man sich gerade<br />

hier besonders viel Zeit lassen sollte. Denn wie deprimierend und kränkend<br />

muss es für diese Patienten sein, wenn ihnen die ohnehin schon mühsam formulierten<br />

Sätzen ständig abgeschnitten oder – in einer Art falsche<br />

Hilfestellung – vom anderen voreilig vervollständig werden. Die Folgen sind<br />

verständlich: zunehmendes Vermeiden von sprachlichen Kontakten,<br />

Rückzugsneigung und Isolationsgefahr (siehe oben).<br />

Akinetische Krisen<br />

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- 27 -<br />

Unter einer Akinese versteht man eine Störung der Motorik. Motorik heißt<br />

soviel wie Haltung und Bewegung, ausgedrückt in Mimik, Gestik, Haltung und<br />

kombinierten Bewegungsabläufen. Da Antrieb und Stimmung bei der Motorik<br />

eine große Rolle spielen, spricht man auch von Psychomotorik, und hier von<br />

einer gesteigerten, verminderten oder qualitativ abnormen Psychomotorik.<br />

Zur verminderten Motorik gehören die Hypokinesen und Akinesen, also quantitative<br />

Abweichungen der Psychomotorik vom normalen Bewegungsablauf.<br />

Bei der Hypokinese werden die Bewegungen immer seltener. Die Akinese ist<br />

eine extreme Bewegungsarmut bis zur Bewegungslosigkeit (Ähnliches finden<br />

wir bei der schon erwähnten Hypomimie und Amimie, d. h. kaum oder keine<br />

mimischen Bewegungen mehr, s. o.).<br />

Unter einer akinetischen Krise versteht man den plötzlich eintretenden<br />

Zustand einer völligen Bewegungsunfähigkeit, wie er gerade beim Parkinson-<br />

Kranken öfters irritieren kann. Der Begriff „Krise“ soll also auf den kritischen, ja<br />

lebensbedrohlichen Zustand in einer solchen akinetischen Phase hinweisen.<br />

Eine akinetische Krise tritt relativ selten und dann meist erst im späten Erkrankungsstadium<br />

auf. War der Patient unter gezielter Behandlung noch beweglich,<br />

wird er in einer solchen Situation plötzlich oder im Verlauf von Tagen fast<br />

völlig bewegungsunfähig und damit bettlägerig. Außerdem zeigt er einen ausgeprägten<br />

Rigor (erhöhten Spannungszustand der Muskulatur – siehe später)<br />

und kann zuletzt weder sprechen noch schlucken.<br />

Letzteres ist am gefährlichsten, kann er doch selbständig keine Medikamente<br />

mehr einnehmen und fällt dadurch in ein „Behandlungs-Loch“. Und vor allem<br />

kann er nicht einmal mehr Flüssigkeit schlucken und trocknet damit rasch aus.<br />

Die Schluckstörung und eine abgeflachte Atmung fördern zudem eine drohende<br />

Aspirations-Pneumonie (Lungenentzündung durch Ansaugen von Flüssigkeit<br />

oder festen Bestandteilen durch den Luftleiter in die Lunge).<br />

Die akinetische Krise ist ein Notfall. Hier gilt es umgehend den Arzt zu holen,<br />

der dann in der Regel eine sofortige Klinikeinweisung veranlasst.<br />

Auslöser einer solchen akinetischen Krise sind meist plötzlich auftretende<br />

schwere körperliche Erkrankungen (hochfieberhafte Infektions<strong>krankheit</strong>en, Zustand<br />

nach ausgedehnten Operationen u.a.). Auch die Unterbrechung der<br />

Parkinson-Behandlung oder die Gabe von hochpotenten Neuroleptika (antipsychotisch<br />

wirkenden Psychopharmaka) kann eine solche akinetische Krise<br />

fördern.<br />

Die Behandlung sollte am besten in der Intensivmedizin erfolgen, deshalb die<br />

rasche Klinikeinweisung.<br />

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- 28 -<br />

Im Endstadium kann sich eine akinetische Krise durch einen fortgeschrittenen<br />

Nervenzell-Schwund im Gehirn ausbilden, dann jedoch langsam und erst spät<br />

mit den verhängnisvollen Schluckstörungen. Parallel dazu findet sich dann in<br />

der Regel eine Demenz (Geistesschwäche) und mitunter sogar psychotische<br />

Episoden (wie bei einer Schizophrenie mit Sinnestäuschungen, Wahn und so<br />

genannten Ich-Störungen).<br />

Rigor - erhöhter Spannungszustand der Muskulatur<br />

Ein Rigor (vom lateinischen: Starre, Steifheit) ist ein erhöhter Spannungszustand<br />

der Muskulatur, und zwar in jeder Bewegungsphase, und nicht nur<br />

dort, wo so etwas motorisch zweckmäßig ist. Deshalb besteht der Rigor auch<br />

in Ruhe und ermöglicht keine vollständig Entspannung mehr.<br />

Hierdurch unterscheidet sich der Rigor ganz wesentlich von der Spastik (lateinisch:<br />

Krampf). Bei der Spastik nimmt die Muskelspannung mit der Bewegungsgeschwindigkeit<br />

zu, d. h. eine rasche Bewegung wird von einer zunehmenden<br />

Muskelspannung „ausgebremst“. Und in völliger Ruhe ist die Muskelspannung<br />

dann auch nicht erhöht.<br />

Um sich aber die typische Muskelspannung des Rigors besser einprägen zu<br />

können, stellt man sich am besten ein Bleirohr vor, das mit entsprechendem<br />

Widerstand aber immerhin verbogen werden kann. Der zähe Widerstand ist<br />

während des gesamten Biegevorgangs gleichmäßig, unabhängig davon, ob<br />

man so etwas schnell oder langsam durchführt. Bei der Spastik würde sich der<br />

Widerstand des Muskels erhöhen, wenn man beispielsweise die Bewegung<br />

von Ellenbogen- oder Kniegelenk rasch durchführen wollte.<br />

Beim Parkinson findet sich also ein Rigor (siehe Bleirohr). Und noch etwas<br />

anderes, in diesem Fall sehr Spezielles und damit Charakteristisches, nämlich<br />

ein „Zahnradphänomen“. Die bei der Untersuchung durchgeführte Bewegung<br />

in den Gelenken (am besten im Ellenbogengelenk nachweisbar, aber auch<br />

Hand- und Kniegelenk) wird beim Zahnradphänomen ruckweise unterbrochen,<br />

so als ob ein Zahnrad in das Gelenk eingebaut wäre und die Bewegung damit<br />

ruckartig bestimmt. Auch der Laie kann dies gut nachprüfen, in dem er den<br />

Patienten bei der Hand nimmt, Unterarm und damit Ellenbogengelenk<br />

langsam auf und ab bewegt und das Zahnradphänomen schon bei dieser<br />

Bewegung, noch besser aber dadurch spürt, dass er Daumen oder<br />

Zeigefinger in die Ellenbeuge des Patienten legt.<br />

Dieser empfindet den Rigor als Steifigkeit, die oft mit Rückenschmerzen oder<br />

ziehenden Beschwerden im Schulter-Arm-Bereich verbunden ist. Daraus<br />

ergeben sich nebenbei die bekannten Fehldiagnosen wie „Schulter-Arm-<br />

Syndrom“ oder „Halswirbelsäulen-Syndrom“, bis man auf die richtige Diagnose<br />

kommt.<br />

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Der Rigor im Bereich der Halsmuskulatur kann so ausgeprägt sein, dass der<br />

Patient im Liegen den Kopf ohne Anstrengung angehoben halten kann und<br />

dass Kopfkissen damit kaum berührt (Fachbegriff: Kopfkissen-Phänomen).<br />

Man beobachte also einmal die Betroffenen und wenn das Kopfkissen des<br />

liegenden Patienten kaum eingedrückt erscheint, hat man einen Rigor der<br />

Halsmuskulatur diagnostiziert.<br />

Ähnliches sagt der so genannte „Kopffall-Test“ aus: Dabei hebt man den Kopf<br />

mit der Hand vom Kopfkissen ab, fordert den Patienten auf sich vollständig zu<br />

entspannen und zieht die Hand plötzlich weg. Beim Gesunden fällt der – ja in<br />

Hals- und Nackenmuskulatur entspannte – Kopf sofort auf das Kopfkissen<br />

zurück, der Parkinson-Kranke hingegen bleibt in seiner Stellung und sinkt erst<br />

langsam (und oft auch noch ruckweise) zurück.<br />

Ein weiterer Test, den man aber dem Arzt vorbehalten lassen sollte, ist der<br />

Stuhlkipp-Versuch: Kippt man einen im Stuhl sitzenden Gesunden ohne Vorwarnung<br />

den Stuhl nach hinten, reagiert dieser mit einer Gegenbewegung<br />

nach vorne – so rasch wie der „Kipp-Überfall“ es erfordert. Ein Parkinson-<br />

Patient hingegen kippt nach hinten, ohne die rettende Gegenbewegung verfügbar<br />

zu haben.<br />

Das Auffälligste beim Parkinson-Patienten aber ist seine typische Körperhaltung:<br />

Nach vorne gebeugt und Arme leicht angewinkelt (s. später). Ursache ist<br />

der Rigor der rumpfnahen Beugemuskulatur. Dazu kommt eine so genannte<br />

Bradykinese der Arme, also eine allgemeine Verlangsamung der Bewegungsabläufe.<br />

Das verhindert das natürliche Mitschwingen eines oder beider Arme<br />

beim Gehen (dieses verminderte Mitschwingen der Arme beim Gehen, vor<br />

allem noch mit Bevorzugung der stärker betroffenen Seite ist eines der frühesten<br />

Hinweise auf eine Parkinson-Krankheit).<br />

Leicht nachvollziehbar ist diese erhöhte Muskelspannung, indem man die<br />

Hände oder Arme schüttelt und damit rasch erfährt, wie schwer es diese<br />

Krankheit dem Betroffenen macht, so locker daherzukommen wie früher<br />

selber und andere um ihn herum ständig.<br />

Der Rigor ist ein weiteres Symptom, das den Betroffenen „öffentlich zeichnet“,<br />

vor allem durch Haltung, Mitbewegung der Arme und zuletzt einige Phänomene,<br />

die der ahnungslosen Umgebung als überaus absonderlich erscheinen<br />

müssen.<br />

Gang- und Haltungsstörungen<br />

Die Hinweise auf den Rigor und seine Folgen leiten zu einem der wichtigsten<br />

Störungen generell über, nämlich die Gang- und Haltungsstörungen.<br />

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- 30 -<br />

Mit zunehmender Krankheitsdauer entwickelt sich nämlich eine charakteristische<br />

Körperhaltung, wie bereits angedeutet:<br />

- Kopf und Oberkörper sind nach vorne geneigt<br />

- Die Schultern fallen ebenfalls nach vorne<br />

- Die Arme werden gebeugt und dicht am Rumpf gehalten<br />

- Die Hände sind in Beugestellung leicht nach innen gedreht<br />

- Die Knie sind ebenfalls leicht gebeugt und verstärken den Gesamteindruck<br />

einer gedrückten Haltung<br />

in der sich der Parkinson-Kranke tatsächlich wie eingebunden und gefesselt<br />

fühlt.<br />

Im weiteren Verlauf fällt es dem Betroffenen immer schwerer<br />

- von seinem Stuhl aufzustehen (was vor allem auf ein Kraftdefizit in den<br />

Hüft-weniger in den Kniegelenken zurückgeht)<br />

- die ersten Schritte einzuleiten (Startschwierigkeiten mit kurzen Trippelschritten)<br />

- eine Richtung zu ändern<br />

- oder plötzlich anzuhalten.<br />

Insgesamt wird das Gehen kleinschrittiger, oft schlurfend, hinkend oder trippelnd<br />

und damit mit erhöhter Sturzgefahr verbunden. Auch das Umdrehen erfolgt<br />

„mehr-schrittig“ und hinterlässt schon damit den Eindruck der verstärkten<br />

Hilflosigkeit. Nach einigen Schritten kann sich das Gangbild dann aber flüssiger<br />

und freier gestalten.<br />

Auf jeden Fall muss sich der Parkinson-Kranke auf das Gehen konzentrieren.<br />

Schon banale Ablenkungen (z. B. Unterhaltung während des Gehens, Regenschirm<br />

öffnen oder schließen) kann ein Sturzrisiko bedeuten. Parkinson-<br />

Betroffene haben also Schwierigkeiten, verschiedene Aufgaben<br />

(Bewegungen) gleichzeitig auszuführen.<br />

Ein weiteres Problem mit ernsten Folgen sind Schlafstörungen, die zumindest<br />

teilweise auf die Haltungsstörungen zurückzuführen sind. Denn auch im Bett<br />

kann sich der Parkinson-Patient – speziell im fortgeschrittenen Stadium –<br />

nachts nur noch mühsam umdrehen oder aufrichten, was beispielsweise den<br />

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Toilettengang erschwert und häufig fremde Hilfe erfordert. Aber allein schon<br />

das mehrfache nächtliche Umdrehen im Bett ist die Voraussetzung für einen<br />

ungestörten Schlaf, da man sonst durchliegt und am nächsten Tag wie<br />

„erschlagen“ aufwacht (auch als Gesunder gut nachprüfbar, wenn man sich in<br />

eine alkoholische „Narkose“ versetzt und am nächsten Tag trotz tiefstem<br />

„Schlaf“ wie gerädert aufwacht).<br />

Schließlich ist ein Parkinson-Kranker in Menschenmassen verstärkt gefährdet.<br />

Bei unerwarteten Stößen gegen den Körper, z. B. im Gedränge, kann er – wie<br />

schon mehrfach angedeutet – nicht rechtzeitig gegensteuern um das Gleichgewicht<br />

zu halten und neigt dadurch zum Hinstürzen. Die Ursache ist eine<br />

Störung der gleichgewichtsregulierenden Reflexe, was sich aber gewöhnlich<br />

erst in späteren Stadien behindernd äußert (Fachbegriff: posturale Instabilität).<br />

Die Neigung, passive Stöße nicht ausreichend ausbalancieren zu können,<br />

wird mit dem lateinischen Wort -pulsion bezeichnet (pulsus = stoßend,<br />

schlagend). Dabei haben sich folgende Fachbegriffe eingebürgert:<br />

- Retropulsion: die Neigung, nach hinten zu fallen<br />

- Lateropulsion: die Neigung, zur Seite zu fallen<br />

- Propulsion: die Neigung, nach vorne zu fallen<br />

Eine Propulsion, also Neigung nach vorne zu fallen, kann aber auch beim<br />

Start oder während des Gehens drohen, weshalb der Gang mit kurzen,<br />

schnellen Trippelschritten beschleunigt wird, um dies aufzufangen und<br />

schließlich wieder ein normales Gangbild zu erreichen.<br />

Das Propulsions-Phänomen beim Start oder beim Gehen wird – wie schon erwähnt<br />

– als Festination bezeichnet. In der Untersuchungssituation des Arztes<br />

gibt es dabei verschiedene Test‘s, die aber durch die besondere Sturzgefahr<br />

des Patienten nur dann vertretbar sind, wenn Hilfspersonen zum Abfangen<br />

einspringen können. Der Parkinson-Kranke benötigt auf jeden Fall mehrere<br />

Schritte, um solche Stöße auszubalancieren, der Gesunde gleicht dies mit ein<br />

bis zwei Korrekturschritten aus.<br />

Ein eigenartiges Phänomen sind so genannte Engpass-Schwierigkeiten.<br />

Eigenartiger Weise treten nämlich die Bewegungshemmungen beim<br />

Passieren (oder schon davor) von engen Stellen, auch vermeintlich engen<br />

Stellen wie Türrahmen oder Unebenheiten des Bodens auf. Das Gleiche gilt<br />

auch für enge Räume wie Toilette, Dusche usw. Schon ein Teppichrand kann<br />

für manche Patienten ein Problem bedeuten. Manche Betroffene scherzen:<br />

„Ich könnte über ein Blatt Papier stürzen“.<br />

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Bei psychischen Anspannungen kann es ebenfalls zur plötzlichen<br />

Bewegungshemmung kommen. Die Betroffenen fühlen sich in solchen<br />

Momenten wie „angeklebt“ oder gar „eingefroren“ („Freezing-Phänomen –<br />

siehe später).<br />

Eine solche Phase der Bewegungsblockade kann auch spontan während des<br />

Gehens oder vor Erreichen des Ziels auftreten und dann sogar Sekunden<br />

anhalten. Solche Ursachen sind nicht selten der Grund für ein plötzliches Hinstürzen.<br />

Andererseits kann man sich auch manchmal nur wundern, wie unter<br />

extremer Stress-Situation plötzlich eine zuvor nicht (mehr) gekannte Beweglichkeit<br />

möglich ist (Fachbegriff: Kinesia paradoxa).<br />

Kurz: Gang- und Haltungsstörungen sind beim Parkinson-Kranken eine Quelle<br />

ständiger Verwunderung – für die anderen, vor allem die Unaufgeklärten. Leider<br />

lassen sich solche Störungen mit Sturzneigung medikamentös nur schwer<br />

beeinflussen. Deshalb sind hier vor allem entsprechende technische und<br />

„strategische“ Hilfen gefragt, mit denen man insbesondere in häuslicher Umgebung<br />

Zahl und Folgen möglicher Stürze vermindern kann (siehe später).<br />

Außerdem können zur Parkinson-Beeinträchtigung weitere körperliche Störungen<br />

kommen, die zu einer Gang- und Haltungsstörung beitragen (Beispiele:<br />

Gelenkbeeinträchtigungen, Herz-Kreislauf-Krankheiten, vor allem zu niederer<br />

Blutdruck, Sehstörungen, Schwindel u.a.).$Hier gilt es fachärztlich abzuklären,<br />

um nicht alles auf die Parkinson-Problematik zu schieben und vor allem eine<br />

Mehrfach-Belastung so gut wie möglich zu verhindern.<br />

Tremor<br />

Der Tremor (vom lateinischen: tremor = Zittern, Beben) wurde schon von den<br />

Erst-Beschreibern der Parkinson-Krankheit als auffälligstes Krankheitszeichen<br />

erkannt, beschrieben und sogar in die erste Namensgebung eingefügt (James<br />

Parkinson: Paralysis agitans, auf deutsch „Schüttellähmung“, wobei die Bewegungsverlangsamung<br />

als Lähmung (miss-)deutet und das Zittern zum „Schütteln“<br />

erklärt wurde).<br />

Tatsächlich ist der Tremor bei über der Hälfte aller Patienten das erste und<br />

auffallendste Symptom und kann über Jahre vorherrschend, ja beherrschend<br />

verunsichern bis quälen. Im Spätstadium muss es so gut wie immer ertragen<br />

werden. Die Ursachen, teils morphologisch, teils pathophysiologisch, teils biochemisch<br />

(welche Gehirnregionen, Funktionen oder Defizite von Überträgerstoffen?)<br />

ist noch immer unklar. Um was handelt es sich nun rein äußerlich?<br />

Der Parkinson-Tremor ist eine unwillkürliche (d. h. nicht willentlich steuerbare),<br />

ziemlich regelmäßige und rhythmische Bewegung bestimmter Körperteile. Er<br />

entsteht durch die zwar gemeinsame, aber auch abwechselnde Anspannung<br />

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- 33 -<br />

verschiedener Muskelpaare, die gegensätzliche Funktionen haben (z. B. Arm,<br />

Finger u.a. beugen oder strecken).<br />

Betroffen sind vorwiegend die Hände und Füße, seltener Kopf oder Kinn. Die<br />

Einteilung erfolgt heute nach der Frequenz des Tremors, also der Bewegungshäufigkeit,<br />

aber auch nach der Amplitude, d. h. dem Ausschlag des Bewegungsumfanges,<br />

den Bedingungen, die zu einem verstärken Tremor führen<br />

und letztlich nach der Ursache bzw. dem Schädigungsort im Gehirn. Oder<br />

etwas konkreter:<br />

- Die Häufigkeit variiert zwischen hochfrequent (mehr als 7 Hz),<br />

mittelfrequent (4 bis 7 Hz) sowie niederfrequent (weniger als 4 Hz).<br />

- Die Amplitude wird nach grobschlägig oder feinschlägig beurteilt.<br />

- Die Aktivierung unterscheidet Ruhe-Tremor, Halte-Tremor, Aktions-Tremor<br />

und Intentions-Tremor.<br />

- Die Ursachen sind entweder „äußerlich“, beispielsweise medikamentös<br />

(z. B. hochpotente Neuroleptika, also antipsychotische Psychopharmaka)<br />

oder „innerlich“, d.h. durch eine Schädigung bestimmter Gehirnstrukturen<br />

bedingt.<br />

- Der Schädigungsort kann z. B. eine Störung im Kleinhirn sein (dann als<br />

Kleinhirn-Tremor bezeichnet).<br />

Am populärsten unter den Medizinern ist die frühere Bezeichnung des Finger-<br />

Tremors als „Pillendrehen“ (denn mit einer ähnlichen Bewegung formte der<br />

Apotheker früher seine Pillen). Später bevorzugte man die Bezeichnung<br />

„Münzenzähl-Tremor“. Am häufigsten aber spricht man heute in Abhängigkeit<br />

von den Aktivierungsbedingungen von Ruhe-, Halte- und Aktions- sowie kombiniertem<br />

Ruhe- und Halte-Tremor. Was heißt das?<br />

Ruhe-Tremor: Bei dreiviertel aller Parkinson-Patienten tritt der Tremor bei<br />

vollständig entspannter Muskulatur auf. Er hat gewöhnlich eine Frequenz von<br />

4 bis 6 Hz und beginnt meist an einer Hand. Seltener und erst im weiteren<br />

Verlauf sind auch Füße, Kopf oder gar Kinn betroffen. Ob grob- oder<br />

feinschlägig, das kann innerhalb kurzer Zeit wechseln.<br />

Meist tritt der Parkinson-Tremor zu Beginn der Erkrankung einseitig auf und<br />

bleibt auch lange Zeit einseitig betont, selbst wenn schließlich beide Seiten<br />

betroffen sind. Ein Ruhe-Tremor kann mitunter über Jahre vorkommen, ohne<br />

dass weitere Parkinson-Symptome auffallen. Dann bezeichnet man ihn als<br />

monosymptomatischen Ruhetremor (auch benigner, also zumindest bisher<br />

„gutartig“ Ruhetremor genannt). Dabei bleibt es aber leider nicht, zumindest<br />

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nicht in der Regel. Entsprechende Untersuchungen finden schon zu dieser<br />

Zeit Hinweise, dass weitere Parkinson-Zeichen und damit die Diagnose<br />

Parkinson-Krankheit drohen, wenngleich vielleicht erst langsam. Die Ärzte<br />

allerdings hüten sich, während der Phase eines monosymptomatischen<br />

Tremors bereits die Diagnose Parkinson-Krankheit zu stellen, denn es gibt<br />

tatsächlich Fälle, in denen es „nur“ beim Ruhe-Tremor bleibt.<br />

Der Ruhe-Tremor kann bei willkürlicher Muskelanspannung vollständig verschwinden.<br />

Dafür wird er durch psychische oder geistige Belastungen<br />

verstärkt. Er irritiert und verunsichert also vor allem dann, wenn man ihn am<br />

wenigsten zeigen möchte: im Gespräch, in einer Gesellschaft, im Restaurant,<br />

am Bankschalter, an der Kasse u.a. Dann wird er immer grobschlägiger (ausfahrender)<br />

und damit auch für die Umwelt deutlicher.<br />

Damit entwickelt sich leider oftmals eine „Beschwerde-Spirale“: Zunächst nur<br />

ein leichter und für die Umgebung fast nicht sichtbarer Tremor. Dann einige<br />

Negativ-Erlebnisse, zumindest aus der Sicht des Betroffenen („und dann fing<br />

ich plötzlich an wie wild zu zittern“). Jetzt kann der Teufelskreis einsetzten, vor<br />

allem wenn der Patient das Gefühl entwickelt, die Umgebung bemerke diesen<br />

Tremor, selbst wenn er sich kaum aufdrängt. Die Folgen sind Frustration,<br />

Ärger, ohnmächtiger Zorn, ja Angst und Deprimiertheit, was die psychische<br />

(Vor-)Belastung noch steigert – und damit auch den Tremor. Oder kurz: Der<br />

Tremor schaukelt sich zwischenmenschlich, gesellschaftlich, beruflich auf.<br />

Da der Ruhe-Tremor besonders bei willkürlicher Muskelanspannung abnimmt,<br />

behindert er weniger als ein Halte-Tremor oder Aktions-Tremor (siehe unten).<br />

Der Ruhe-Tremor beeinträchtigt weniger durch Bewegungsdefizite, mehr<br />

durch das Gefühl der psychosozialen Stigmatisierung („alle schauen“).<br />

Das hängt nicht zuletzt mit anderen Formen von Tremor zusammen, vor allem<br />

dem Zittern bei Alkoholmissbrauch oder gar -abhängigkeit, insbesondere im<br />

Entzug. Auch der Tremor bei der Demenz (Stichwort: Alzheimer) ist keine<br />

„gesellschaftlich erfreuliche Errungenschaft“ (Zitat). Kurz: Der Ruhe-Tremor<br />

könnte noch am erträglichsten sein, ist aber psychisch trotzdem belastend.<br />

Erschwerend ist der Umstand, dass der klassische Parkinson-Ruhetremor in<br />

fast der Hälfte aller Fälle auch mit einem Halte-Tremor kombiniert ist.<br />

Ein Halte- oder Aktions-Tremor wird erst deutlich, wenn die betroffene Seite<br />

(Arm oder Bein) in einer bestimmten Position gegen die Schwerkraft gehalten<br />

werden muss (Halte-Tremor) oder eine Bewegung (Aktions-Tremor) ausführt.<br />

Sichtbar werden Halte- und Aktions-Tremor zum Beispiel beim Halten eines<br />

gefüllten Wasserglases bzw. wenn das Glas zum Mund geführt wird. Der<br />

Aktions-Tremor hat eine höhere Frequenz als der Ruhe-Tremor und wird besonders<br />

bei Streck- und Beugebewegung der Hände aktiviert. Die Abgrenzung<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 35 -<br />

von einem so genannten essentiellen Tremor (siehe später) kann schwierig<br />

werden. Patienten mit einem Halte- oder Aktions-Tremor sind besonders im<br />

Alltag beeinträchtigt, wenn es um feinmotorische Bewegungsanforderungen<br />

geht (z. B. Knöpfen, Zeigen, Tastaturen).<br />

Anhang: Was gibt es sonst noch für Tremor-Formen?<br />

Die Frage: Was gibt es noch für Tremor-Formen? beschäftigt speziell den<br />

Neurologen, wobei der Parkinson-Tremor nach gründlicher Erhebung der<br />

Krankenvorgeschichte und klinischer Untersuchung relativ rasch abgrenzbar<br />

ist. Von Bedeutung – aber wie gesagt: eigentlich nur für Allgemeinärzte und<br />

Neurologen – sind noch essentielle Tremor-Formen (klassischer, orthostatischer,<br />

aufgabenspezifischer oder unklassifizierbarer Tremor), zerebellärer,<br />

Holmes-, dystoner, medikamentös oder toxisch ausgelöster, psychogener<br />

(z. B. Konfliktsituationen), physiologischer bzw. verstärkter physiologischer<br />

Tremor (z. B. Angstzittern).<br />

Was heißt das im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />

Essentieller Tremor<br />

Wenn ein offensichtlich krankhafter Tremor (und nicht nur ein Angstzittern<br />

u.ä.) vorliegt, dann ist am häufigsten von den Diagnosen Parkinson-Krankheit<br />

und essentieller Tremor die Rede. Da es sich bei Letzterem um ein Leiden<br />

handelt, das sogar häufiger ist als das Parkinson-Syndrom (zwischen 0,4 und<br />

5,6% der über 40-Jährigen, je nach Untersuchung), soll hier kurz darauf<br />

eingegangen werden:<br />

Unter essentiell versteht man soviel wie „wesentlich, wesenhaft, lebensnotwendig“<br />

(Essenz heißt philosophisch „Wesen einer Sache“, sonst im Alltag<br />

Hauptsache, Kernpunkt oder konzentrierter Auszug aus Naturprodukten). In<br />

der Medizin versteht man darunter am ehesten „selbständig“, das heißt nicht<br />

organisch bedingt bzw. ohne bekannte Ursache, wenn es sich um eine Krankheit<br />

handelt bzw. lebensnotwendig, wenn ein biologischer Vorgang damit gemeint<br />

ist.<br />

Ein essentieller Tremor ist also definitionsgemäß ein Zittern ohne bekannte<br />

Ursache (früher auch als benigner, also gutartiger Tremor bezeichnet, was<br />

aber angesichts einer psychosozialen Folgen als nicht gerechtfertigt gilt).<br />

Beim klassischen essentiellen Tremor liegt in der Hälfte der Fälle eine Vererbung<br />

vor, die über eine krankhafte Überaktivität in bestimmten Gehirn-<br />

Regionen schließlich zu diesem Zittern führt.<br />

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- 36 -<br />

Meist tritt er als Halte- oder Aktions-Tremor auf (siehe oben). Manche haben<br />

auch einen so genannten Intentions-Tremor, der erst dann auftritt, wenn man<br />

eine gezielte Bewegung ausführt (z. B. mit dem Finger auf die eigene Nase<br />

zeigen will). Eine Ruhe-Tremor ist ausgesprochen selten.<br />

Die Frequenz ist höher als beim klassischen Parkinson-Tremor, kann sich<br />

aber im höheren Lebensalter abschwächen. Meist sind beide Körperseiten<br />

gleich stark betroffen (beim Parkinson ist ein wesentliches Kennzeichen ein<br />

asymmetrischer Befall, d. h. eine Seite mehr als die andere).<br />

Der essentielle Tremor beginnt oft in der zweiten Lebenshälfte, ist aber auch<br />

schon im jugendlichen Alter möglich (so genannter juveniler (jugendlicher)<br />

essentieller Tremor). Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 40 Jahren.<br />

Manchmal kann es schwierig werden, beim älteren Menschen einen<br />

essentiellen Tremor vom Parkinson-Tremor zu unterscheiden. Denn der ältere<br />

Mensch neigt auch ohne Parkinson-Krankheit zu manchen Parkinson-Zeichen<br />

wie Körper nach vorne geneigt, Schrittlänge verkürzt, Mimik vermindert u.a.<br />

Hier hilft eine neurologische Untersuchung weiter (z. B. so genannte L-Dopa-<br />

Test).<br />

Am häufigsten betroffen sind beim essentiellen Tremor die Hände (80 bis<br />

100%), gefolgt vom Kopf (20 bis 40%), einem Stimmen-Tremor (9 bis 10%)<br />

sowie Kinn (0 bis 9%), Gesicht und Rumpf (0 bis 3%).<br />

Im weiteren Krankheitsverlauf können nicht nur die Tremor-Amplitude (der<br />

Ausschlag des Zitterns) zunehmen, sondern auch weitere Körperregionen betroffen<br />

sein. Die Ausprägung ist von verschiedenen Faktoren wie Ermüdung,<br />

seelische und geistige Anspannung, extreme Temperaturen, stimulierende<br />

Medikamente u.a. abhängig. Typischerweise lässt sich ein essentieller Tremor<br />

häufig durch Alkoholgenuss etwas erleichtern, was mitunter zum Alkoholmissbrauch<br />

verleitet. Koffeinhaltige Getränke hingegen können das Zittern verstärken.<br />

Die Frage, ob Patienten mit einem essentiellen Tremor ein erhöhtes Risiko für<br />

eine Parkinson-Krankheit entwickeln, bleibt bisher ungeklärt, zumal sich<br />

Parkinson-Krankheit und essentieller Tremor tatsächlich gehäuft nachweisen<br />

lassen.<br />

Auf jeden Fall ist die Diagnose eines essentiellen Tremors nicht mehr eindeutig und<br />

entsprechend zu überprüfen, wenn folgende zusätzliche Hinweise („Warnzeichen“)<br />

bestehen:<br />

- asymmetrischer (einseitig betonter) Tremor<br />

- Fuß-Tremor<br />

- Ruhe-Tremor<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 37 -<br />

- isoliertes Kopfzittern bei abnormer Kopfhaltung<br />

- plötzlicher Beginn<br />

- schrittweise Verschlechterung<br />

- zusätzliche neurologische Zeichen<br />

- Medikamente oder Giftstoffe, die den Tremor erst ausgelöst haben könnten<br />

- zusätzliche Hinweise wie Haltungsstörung, Schrittlänge, Mimik, insbesondere Rigor<br />

(erhöhte Muskelspannung), Bradykinese (langsame Bewegungsabläufe) u.a.<br />

Weitere Formen des essentiellen Tremors<br />

Weitere isolierte Tremor-Formen, die eher selten sind und dann vor allem den<br />

Neurologen beschäftigen, sind<br />

- aufgabenspezifischer Tremor (z. B. bei einseitigen beruflichen Tätigkeiten,<br />

bei Berufsmusikern, Sportlern u.a.)<br />

- der primäre Schreibtremor (also nur beim Schreiben auftretend)<br />

- der isolierte Stimm-, Kinn- und Zungentremor (der nur Stimme, Kinn und<br />

Zungen erzittern lässt).<br />

Orthostatischer Tremor<br />

Diese Tremorform ist erst seit einigen Jahren erforscht worden. Sie tritt im<br />

mittleren bis höheren Lebensalter auf und äußert sich durch eine sicht-<br />

und/oder tastbare Bewegungsunruhe der Beinmuskulatur. Die Betroffenen klagen<br />

über Standunsicherheit und können sogar – wenn auch selten – plötzlich<br />

ohne ersichtlichen Grund zu Boden stürzen.<br />

Dieser orthostatische (orthostatisch = die aufrechte Körperhaltung betreffend) Tremor<br />

tritt nur im Stehen und wenige Sekunden nach dem Aufrichten auf. Durch Anlehnen<br />

der Beine oder Umhergehen lässt sich die Sturzgefahr etwas mildern. Während des<br />

Gehens, im Sitzen oder Liegen besteht keine Gefahr.<br />

Das Phänomen ist – wie erläutert – erst seit wenigen Jahren erforscht und weitgehend<br />

unbekannt. Bei unklaren Sturzereignissen ohne Bewusstseinsstörung sollte<br />

deshalb auch an einen orthostatischen Tremor gedacht und ein Neurologe aufgesucht<br />

werden. Die Ursache liegt wahrscheinlich in einer Schädigung bestimmter<br />

Hirnregionen (Kleinhirn, Hirnstamm?).<br />

Int.1-Parkinson.doc


Zerebellärer Tremor<br />

- 38 -<br />

Das Cerebellum ist das Kleinhirn, das u.a. für die Koordination der Bewegungsabläufe<br />

zuständig ist. Kleinhirnschädigungen führen zur Ataxie (Störung<br />

der Bewegungsabläufe), Dysarthie (Sprechstörung), zu Beeinträchtigungen<br />

der Blickfolgebewegung u.a. Typisch für den Kleinhirn-Tremor ist eine<br />

deutliche Zunahme des Tremor-Ausschlags während einer Zielbewegung (in<br />

der neurologischen Untersuchung beispielsweise mit dem Finger die<br />

Nasenspitze oder mit der Ferse das Knie berühren).<br />

Sind mehrere Regionen des Kleinhirns geschädigt, kann dieser Tremor mehr beeinträchtigen<br />

als ein Parkinson-Patient zu ertragen hat.<br />

Ein so genannter „Wackeltremor“ (Fachbegriff: Titubation) betrifft rhythmische Zitterbewegungen<br />

von Kopf und Oberkörper, und zwar nur während des Stehens und<br />

kann sogar eine regelrechte Rumpf-Ataxie auslösen (Rumpfschwankungen).<br />

Holmes-Tremor<br />

Beim Holmes-Tremor handelt es sich um eine Kombination aus Ruhe- und<br />

Intentions-Tremor (Letzteres also bei zielgerichteten Bewegungen auftretend).<br />

Möglich ist dies nach umschriebenen Hirnschädigungen, und zwar wenige<br />

Wochen bis Jahre nach dem Ereignis. Die Folgen sind für den Alltag<br />

belastend bis behindernd (z. B. Essen, Ankleiden, u.a.).<br />

Dystoner Tremor<br />

Dystonien sind anhaltende Muskelkontraktionen (Zusammenziehungen) mit<br />

wiederholten (sinnlosen) Bewegungen und abnormen Haltungen. Bekannte<br />

Dystonien sind beispielsweise Blepharospasmus (Zusammenkneifen der<br />

Augen), Torticollis spasmodicus (Schiefhals) und Schreibkrampf. Manche<br />

dieser Dystonien können mit einem Halte- und Aktions-Tremor (selten Ruhe-<br />

Tremor) einhergehen. Das Zittern lässt sich immerhin durch bestimmte Manöver<br />

mildern, z. B. beim dystonen Kopftremor den Finger ans Kinn legen (was<br />

auch den Schiefhals wieder normalisiert – so lange der Finger am Kinn liegt).<br />

Verstärkter physiologischer Tremor<br />

Zittern ist nicht nur krankhaft, sondern auch ein natürliches Bewegungsmuster.<br />

In der Kälte zittern Mensch und Tier, um sich innerlich wieder aufzuwärmen<br />

(Kältezittern). Bei Anstrengung, Erschöpfung, Erregung und in Angstsituationen<br />

(Angstzittern) ist Zittern jedem geläufig. Hier ist das Zittern lediglich eine<br />

verstärkte physiologische, d. h. den normalen organischen Abläufen entspre-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 39 -<br />

chende Reaktion. Oft zittern wir auch nur „innerlich“ (inneres Zittern und<br />

Beben), doch wenn es stärker wird, kann es nicht nur subjektiv, sondern auch<br />

objektiv, von anderen wahrgenommen werden. Ähnliches gilt für den<br />

Medikamentös und toxisch ausgelösten Tremor<br />

Auch manche Arzneimittel können als Nebenwirkung ein Zittern auslösen. Das<br />

wird besonders bei gespreizten Fingern deutlich (und wenn man die Handinnenfläche<br />

an die Fingerkuppen legt). Beispiele sind trizyklische Antidepressiva<br />

(stimmungsaufhellende Psychopharmaka der älteren Generation), antipsychotisch<br />

wirkende Neuroleptika, Lithiumsalze (gegen immer wieder auftretende<br />

Depressionen und manische Hochstimmungen), Valproat (ein Anti-<br />

Epileptikum mit gleicher Wirkung), Schilddrüsenhormone, einzelne Zytostatika<br />

(Krebsmittel) u.a.<br />

Am bekanntesten aber ist der Tremor nach Alkoholentzug, den die<br />

Betroffenen in ihrer Verzweiflung nicht selten mit erneuter Alkoholzufuhr<br />

„behandeln“. Ähnliches gilt auch für den Entzug von Beruhigungsmitteln vom<br />

Typ der Benzodiazepine (Tranquilizer), ja sogar von Nikotin und Kaffee, falls<br />

im Übermaß genossen oder darauf besonders empfindlich reagierend. Nikotin<br />

und Kaffee können nebenbei auch ohne Entzug ein Zittern auslösen.<br />

Weitere Beispiele, insbesondere was die toxische (Vergiftungs-)Tremorauslösung<br />

anbelangt sind Quecksilber, Blei, Mangan, Kohlenmonoxid und Cyanid.<br />

Der medikamentöse oder toxisch ausgelöste Tremor ist meist ein feinschlägiges<br />

Zittern, das zwar die normalen Funktionen weniger beeinträchtigt, den<br />

Betreffenden aber gesellschaftlich verunsichert, gleichgültig, ob man wirklich<br />

merkt, dass er ständig zittert oder ob er dies nur selber glaubt (in Einzelfällen<br />

können es auch die berühmten alltäglichen Banalitäten sein, die ein Zittern<br />

„entlarven“, z. B. die klappernde Tasse auf der Untertasse, wenn beides hochgehalten<br />

bzw. wieder abgesetzt wird).<br />

Tremor bei Stoffwechselstörungen<br />

Auch so genannte metabolische Erkrankungen (Stoffwechsel-Leiden) können<br />

ein Zittern auslösen, meist einen hochfrequenten (rasch zitternden) Halte-<br />

Tremor, seltener auch einen Intentions-(gezielte Bewegung) oder Ruhe-<br />

Tremor. Die wichtigsten metabolischen Störungen sind<br />

- Hyperthyreose (Überfunktion der Schilddrüse)<br />

- Hypokalziämie (zu wenig Kalzium im Blut)<br />

- Hypoglykämie („Unterzuckerung“).<br />

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- 40 -<br />

Seltener ist es auch möglich bei Hypokaliämie (zu wenig Kalium im Blut),<br />

Magnesiummangel, Vitamin B12-Mangel, Leber- und Nierenfunktionsstörungen<br />

sowie beim Hyperparathyreoidismus (der Überfunktion der Nebenschilddrüse).<br />

Auch bei Neuropathien, also Nervenschädigungen (z. B. diabetes-bedingte<br />

Polyneuropathie) ist ein zusätzlicher Tremor nicht auszuschließen<br />

(neuropathischer Tremor).<br />

Ein besonders Phänomen, das zudem noch mit einem zwiespältig „lustigen“<br />

Namen ausgestattet wurde, ist der Flapping-Tremor („Asterixis“). Seinen<br />

Namen hat er von einer charakteristisches Bewegungsstörung, die dem<br />

Flügelschlagen oder Flattern (englisch: flapping) ähnelt, ein unregelmäßiger<br />

„Wackel-Tremor“, der auf die Wilson-Krankheit (eine komplizierte Stoffwechselstörung)<br />

zurückgeht.<br />

Psychogener Tremor<br />

Der psychogene (rein seelisch ausgelöste) Tremor wurde früher als „Kriegszittern“<br />

bezeichnet und ist heute selten zu sehen. Bevor man eine solche<br />

Diagnose stellt, muss die gesamte neurologische Untersuchungs-Palette ausgeschöpft<br />

sein, sonst macht man es sich ggf. zu leicht.<br />

Bei einem nicht geringen Teil psychogener Tremor-Betroffener lässt sich nämlich<br />

gleichzeitig eine organisch begründbare Störung nachweisen. Das heißt,<br />

wir finden einen „Schwachpunkt“ oder „organischen Kern“, auf dem sich dann<br />

in psychosozialen Konfliktsituationen gleichsam ein rein seelisches<br />

Geschehen aufpfropft, besonders bei entsprechend disponierten Menschen<br />

(die zu psychosomatischen Reaktionen neigen).<br />

Die heute gängigen, übergeordneten Fachbegriffe für ein solches Phänomen<br />

lautet Konversion (nach dem DSM-IV) bzw. dissoziatives Phänomen (nach<br />

ICD-10, Einzelheiten zu diesen beiden Klassifikations-Systemen siehe die<br />

spezielle Fachliteratur).<br />

Der psychogene Tremor ist oft mit anderen Konversions- oder Somatisierungsphänomenen<br />

kombiniert. Konversion (vom lateinischen: convertere =<br />

umwenden) bedeutet, dass sich ein seelisches und vor allem ungelöstes<br />

Problem in körperlichen Reaktionsformen äußert. Das Gleiche bezeichnet der<br />

moderne Begriff Somatisierung bzw. Somatisierungsstörung (vom griechischen:<br />

soma = Körper) und lässt sich zwar etwas schlicht, aber dafür einprägsam<br />

mit „Verkörperlichung“ seelischer Störungen übersetzen.<br />

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- 41 -<br />

Der psychogene Tremor ist oft mit anderen Störungen aus der gleichen<br />

Gruppe kombiniert. Betroffen sind meist beide Arme, seltener Arme und Beine<br />

zugleich. Ist nur ein Arm beteiligt, ist es oft die dominante Seite (rechts beim<br />

Rechtshänder).<br />

Im Gegensatz zu organisch verursachten Tremorformen tritt das seelisch<br />

bedingte Zittern oft plötzlich auf, zeigt unterschiedliche Zitter-Ausschläge und -<br />

Häufigkeit und wird nicht stärker. Meist sind größere Muskelgruppen betroffen,<br />

kaum allein die Hände oder Finger. Neurologisch handelt es sich oft um ein<br />

Zusammenfallen von Ruhe- und Aktions-Tremor.<br />

Typischerweise sind viele Patienten vor allem dann nicht beeinträchtigt, wenn<br />

sie sich unbeobachtet glauben. Das Gleiche gilt für alltägliche Verrichtungen<br />

(Essen, Trinken, Ankleiden), während spezifische Bewegungsmuster wieder<br />

stärker betroffen sind. Bei Ablenkung und gezielter Muskelentspannung kann<br />

der Tremor verschwinden, wenn auch nur für kurze Zeit. Sind größere Muskelgruppen<br />

betroffen, endet er wegen der baldigen Ermüdung ebenfalls rasch.<br />

Im Gegensatz zu den organischen Tremor-Formen wirken viele psychogene<br />

Tremor-Patienten nicht gerade kooperativ, behandlungswillig und vor allem<br />

konsequent, was die notwendigen Maßnahmen anbelangt (z. B. so genannte<br />

psychoedukative Behandlung). Das kann die Heilungsaussichten drastisch<br />

verschlechtern. Erschwerend ist der Umstand, dass den meisten Patienten<br />

dieser seelisch ausgelöste Tremor gar nicht seelisch bewusst ist, weshalb sie<br />

noch unwilliger auf entsprechende psychotherapeutische Maßnahmen reagieren.<br />

PSYCHISCHE UND GEISTIGE STÖRUNGEN DURCH PARKINSON<br />

Während der Erstbeschreiber und spätere Namens-Geber James Parkinson in<br />

seiner Monographie 1817 noch die Meinung vertrat: psychische Störungen<br />

gehören nicht zum Krankheitsbild dieses Leidens, besteht heute kein Zweifel<br />

mehr, dass seelische Beeinträchtigungen vielen Parkinson-Kranken im Laufe<br />

ihres Leidens als die noch größere Belastung vorkommen. Manchmal gehen<br />

sie sogar den Bewegungsstörungen zeitlich voraus. Auf jeden Fall muss bei<br />

über der Hälfte der Betroffenen mit so genannten neuropsychologischen bzw.<br />

neuropsychiatrischen Symptomen gerechnet werden. Dazu zählen:<br />

- kognitive Störungen<br />

- Demenz<br />

- depressive Verstimmungen<br />

- Angststörungen (z. B. mit Panikattacken)<br />

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- psychotische Episoden<br />

- Schlafstörungen<br />

- 42 -<br />

Was heißt das im Einzelnen und was kann man tun?<br />

� Kognitive Störungen<br />

Kognitive Leistungen (vom lateinischen: cognoscere = erkennen) sind also<br />

geistige, intellektuelle Funktionen und betreffen beispielsweise das Erkennen,<br />

Wahrnehmen, Denken und Beurteilen.<br />

Geistige Einbußen beeinträchtigen etwa jeden fünften Parkinson-Patienten<br />

und sind nicht selten Vorboten einer späteren Demenz (Geistesschwäche).<br />

Das größte Problem ist die Verlangsamung der Denk- und Wahrnehmungsvorgänge<br />

(Fachbegriff: kognitive Verlangsamung oder Bradyphrenie vom griechischen:<br />

brady = langsam und phren = Zwerchfell, wohin man in der Antike<br />

Geist und Seele und damit auch das Gedächtnis lokalisierte).<br />

Mit der Verlangsamung der Denk- und Wahrnehmungsvorgänge geht vor<br />

allem ein Rückgang der Spontaneität (d.h. aus eigenem, plötzlichem Antrieb,<br />

unmittelbar, eben spontan) einher. Im Alltag äußert sich das in einer Verlangsamung,<br />

Minderung und Verzögerung emotionaler (gemütsmäßiger) Reaktionen,<br />

in erschwerter Umstellung auf neue Aufgaben oder eine neue Umgebung<br />

und in verminderter Aufmerksamkeit und damit Entschlusskraft. Die Grenze zu<br />

einer dementiellen Entwicklung (Geistesschwäche) kann fließend sein.<br />

Zu den kognitiven Beeinträchtigungen beim Parkinson-Syndrom im<br />

erweiterten Sinne zählen auch Störungen der räumlichen Wahrnehmung und<br />

Raumorientierung. Und vor allem ein beeinträchtigtes Problemlöse-Vermögen.<br />

Diese Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung,<br />

optisch-räumlichen und anderen Fähigkeiten sind offenbar umso<br />

ausgeprägter, je geringer der Bildungsstand, die beruflichen Fertigkeiten und<br />

das Sprachvermögen des Patienten schon vor der Erkrankung waren. So<br />

etwas nennt man in der Fachsprache heute „kognitive Reserven“ – über die<br />

ein Mensch verfügt oder auch nicht. Letzteres ist besonders nachteilig. Denn<br />

eine gut „geistige Ausstattung“ verlängert offensichtlich die Zeitspanne, in der<br />

krankhaften Hirnprozesse noch soweit kompensiert werden können, dass es<br />

nicht zu auffälligen Konsequenzen im Alltag kommt. Deshalb gilt es schon im<br />

Vorfeld durch entsprechende Anregungen und Kompensations-Strategien<br />

diese „kognitiven Reserven“ zu vergrößern (nach ZNS-Spektrum 4/2003).<br />

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- 43 -<br />

Solche kognitive Störungen sind – wie erwähnt – in jedem fünften Fall zu erwarten<br />

und dann auch testpsychologisch nachweisbar. In Wirklichkeit<br />

scheinen es sogar noch mehr Betroffene zu sein, doch das täuscht. Denn die<br />

verlangsamten Bewegungsabläufe, die mimische Starre und der verminderte<br />

Sprachfluss können den Eindruck geistiger Defizite vortäuschen, obgleich der<br />

Patient in intellektueller und seelischer Hinsicht (noch) weitgehend unauffällig<br />

ist.<br />

Kognitive Störungen können auch eine Depression nachahmen, weil nicht<br />

wenige Symptome ähnlich oder gar gleich sind bzw. von der Allgemeinheit so<br />

beurteilt und eingeordnet werden. Nun sind solche geistigen Defizite in der Tat<br />

eine große Belastung und manchmal muss der Patient unter kognitiven und<br />

depressiven Beeinträchtigungen zugleich leiden, doch kann man davon ausgehen:<br />

Nicht jeder geistig beeinträchtigte Parkinson-Kranke ist (deshalb) auch<br />

depressiv. Beides hängt – zumindest biologisch gesehen – nicht zwingend zusammen.<br />

Die Behandlung solcher Einbußen ist schwierig. Manche Parkinson-Mittel<br />

können kognitive Störungen verstärken und müssen deshalb mit besonderer<br />

Vorsicht eingesetzt werden. Auch die ältere Generation der (trizyklischen)<br />

Antidepressiva ist hier eher von Nachteil (falls beides zusammenfällt und antidepressiv<br />

behandelt werden muss). Die so genannten Antidementiva, die bei<br />

Demenz versucht werden und oftmals auch das Fortschreiten einer Geistesschwäche<br />

verlangsamen können, sind unter fachärztlicher Kontrolle ggf. gerechtfertigt.<br />

In manchen Fällen muss man allerdings Arzneimittel-Interaktionen<br />

beachten, also Wechselwirkungen zwischen Medikamenten, die<br />

beispielsweise ihre Nebenwirkungen verstärken.<br />

� Demenz<br />

Demenz heißt soviel wie Geistesschwäche. Nun sind aber geistige<br />

Fähigkeiten ein sehr komplexes Phänomen, bei dem man beispielsweise<br />

Intelligenz und Gedächtnisleistung unterscheiden muss. Einige Hinweise<br />

deshalb im Kasten.<br />

Intelligenz – Gedächtnis – Denkvermögen – Orientierung<br />

- Unter Intelligenz versteht man die Fähigkeit, abstrakt und vernünftig zu denken<br />

und damit ein zweckgerichtetes Handeln zu sichern. Man unterscheidet<br />

heute zwei Formen von Intelligenz: 1. die Prozesse der Informationsverarbeitung<br />

und des Denkens (Fachbegriff: fluide Intelligenz) und 2. die inhaltliche<br />

Ausgestaltung des Denkens (kristalline Intelligenz). Die fluide Intelli-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 44 -<br />

genz nimmt im Alter ab, während die auf Erfahrung beruhende kristalline<br />

Intelligenz relativ stabil bleiben kann.<br />

- Unter Gedächtnis versteht man die Fähigkeit, Erlerntes, Sinneswahrnehmungen<br />

und seelische Vorgänge im Gehirn zu speichern und diese Erinnerungen<br />

bei Bedarf abzurufen. Eine Gedächtnisschwäche betrifft zuerst die<br />

Merkfähigkeit, danach das Neu- oder Kurzzeit-Gedächtnis (speichert Informationen<br />

der letzten Sekunden bis Minuten) und zuletzt das Alt- oder Langzeit-Gedächtnis<br />

(dessen Inhalte jederzeit, bis hin zu Jahren oder Jahrzehnten<br />

abrufbar sind).<br />

- Unter Störungen des Denkvermögens fallen die Einschränkung der Fähigkeit<br />

zu vernünftigem Urteilen, die Beeinträchtigung der Informationsverarbeitung<br />

und die Verminderung des Ideenflusses.<br />

- Orientierungsstörungen betreffen Raum, Zeit, Personen und aktuelle Ereignisse.<br />

Nach heutiger Definition ist Demenz eine so genannte kognitiv-intellektuelle<br />

Störung, bei der die Bereiche Gedächtnis, Denkvermögen und emotionale<br />

(gemütsmäßige) Kontrolle beeinträchtigt sind. Meist handelt es sich um den<br />

Verlust von intellektuellen Fähigkeiten, die im früheren Leben erworben wurden.<br />

Von einer Demenz spricht man dann, wenn diese Störungen ein Ausmaß<br />

erreicht haben, das zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten<br />

geführt hat und mehrere Monate andauert. Einzelheiten siehe Kasten.<br />

Demenz<br />

Störungen des Gedächtnisses, der Aufnahme und Wiedergabe neuerer Informationen,<br />

des Denkvermögens, der Fähigkeit zu vernünftigem Urteilen, der<br />

emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens und der Motivation. Verlust früher<br />

erlernter und vertrauter Inhalte, Verminderung des Ideenflusses und Beeinträchtigung<br />

der Informationsverarbeitung (nach ICD-10 der WHO).<br />

Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff Demenz meist schwersten Formen<br />

geistiger Störungen vorbehalten, die vor allem den Betroffenen in seiner beruflichen<br />

und häuslichen Tätigkeit, in seinen sozialen Alltagsaktivitäten sowie<br />

persönlichen Beziehungen erheblich beeinträchtigen. Im angelsächsischen<br />

Sprachgebrauch wird dies sehr viel weiter gefasst und betrifft schon leichtere<br />

intellektuelle und kognitive Leistungsdefizite, die bei uns als leichte kognitive<br />

Beeinträchtigungen bezeichnet werden. Einzelheiten dazu siehe das spezielle<br />

Kapitel über die Alzheimer-Demenz.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 45 -<br />

Die Wahrscheinlichkeit im Verlaufe einer Parkinson-Krankheit eines Demenz<br />

zu entwickeln liegt bei 20 bis 30%.<br />

Das Risiko steigt aber mit dem Alter der Patienten generell und der Parkinson-<br />

Kranken im Speziellen, so dass es<br />

- bei den unter 65-Jährigen jeden Zehnten<br />

- bei den 65 bis 75-Jährigen jeden Fünften<br />

- bei den über 75-Jährigen jeden Zweiten<br />

treffen kann.<br />

Bei Parkinson-Patienten, die vor dem 40. Lebensjahr erkrankten, wird das<br />

Risiko einer Demenz-Entwicklung im Alter geringer eingeschätzt.<br />

Die Parkinson-Demenz beginnt meist schleichend und wird relativ lange Zeit<br />

weder von den Betroffenen noch ihren Angehörigen bemerkt. Erst nach und<br />

nach werden in der Regel zuerst Verwandte, Freunde oder Bekannte darauf<br />

aufmerksam, vor allem jene, die nur von Zeit zu Zeit kommen und denen deshalb<br />

der schleichende Prozess der Geistesschwäche dadurch eher auffällt, als<br />

wenn man mit dem Patienten täglich zusammen ist.<br />

Wissenschaftlich gibt es eine „globale Verschlechterungsskala“ der Demenz<br />

(Fachbegriff: Global Deterioration Scale – GDS), nach der sich folgende<br />

Schweregrade unterscheiden lassen:<br />

1. Sehr leichte Ausprägung der kognitiven Störung, d.h. subjektive Klagen über<br />

Gedächtnisstörungen mit folgendem Schwerpunkt: Nichtwiederfinden von häufig<br />

gebrauchten Gegenständen und Vergessen von Namen. Bei gezielter Befragung<br />

lassen sich jedoch keine weiteren Gedächtnisstörungen erkennen, auch keine<br />

Veränderungen des beruflichen und sozialen Lebens.<br />

2. Leichte Ausprägung der kognitiven Störung, bei der erste erkennbare Defizite<br />

nachweisbar sind: Der Patient verirrt sich leicht, seine berufliche Leistungsfähigkeit<br />

nimmt ab. Es häufen sich Wort- und Namenfindungsstörungen, Beeinträchtigung<br />

der Merkfähigkeit und Konzentration. Immer öfter verliert oder verlegt er<br />

auch Gegenstände, die er nicht mehr wiederfindet.<br />

3. Mäßige Ausprägung der kognitiven Störung mit inzwischen deutlichen Defiziten<br />

bei Befragung: Jetzt ist der Patient auch über das aktuellen Geschehen schlecht<br />

informiert, lässt Erinnerungslücken erkennen, hat erhebliche Konzentrationsprobleme<br />

beim Rechentest u.a. Im Alltag nimmt die Fähigkeit, beispielsweise<br />

alleine zu verreisen oder das eigene Geld zu verwalten deutlich ab. Komplexe<br />

Aufgaben können nicht mehr allein ausgeführt werden. Der Patient selber ver-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 46 -<br />

drängt aber diese offensichtlichen Störungen und vermeidet es (mehr oder<br />

weniger gezielt), sich entsprechenden Situationen auszusetzen.<br />

4. Mittelgradige Ausprägung der kognitiven Störung im Sinne einer beginnenden<br />

Demenz: Jetzt ist der Patient auf Hilfe angewiesen, vergisst zunehmend wichtige<br />

Dinge des täglichen Lebens (z. B. Namen naher Verwandter, Telefonnummern<br />

von Angehörigen, den Namen seiner Schule oder Universität, Ausbildungsstätte<br />

oder Firma u.a.). Räumlich und zeitlich wird er immer desorientierter, d. h. er<br />

weiß nicht wo er sich befindet und kann die Tageszeit nicht mehr einschätzen.<br />

Auch macht er inzwischen Fehler beim Ankleiden (z. B. Vertauschen von<br />

Schuhen, Handschuhen u.a.) oder beim Verrichten bisher problemlos gemeisterter<br />

Tätigkeiten.<br />

5. Schwere kognitive Störungen im Sinne einer mittleren Demenz: Selbst kurz zurückliegende<br />

Ereignisse können nicht mehr erinnert werden. Es besteht nur noch<br />

eine ungenaue Erinnerung an die eigene Vergangenheit. Sogar an die Namen<br />

seines Ehepartners oder seiner Kindern kann sich der Kranke nur noch schwer<br />

oder gar nicht mehr erinnern. Die Umwelt nimmt er nicht mehr bewusst wahr.<br />

Selbst einfache Rechenaufgaben lassen sich nicht mehr lösen. Jetzt treten auch<br />

Störungen des Tag-/Nacht-Rhythmus sowie Angstreaktionen, seelisch-körperliche<br />

Unruhezustände und ggf. Sinnestäuschungen (z. B. des Hörens, Sehens,<br />

Schmeckens, Fühlens) auf.<br />

6. Sehr schwere kognitive Störungen im Sinne einer fortgeschrittenen Demenz: Der<br />

Parkinson-Patient ist unfähig, ein sinnvolles Gespräch zu führen. Meist bestehen<br />

auch Geh-Unfähigkeit, Urin- und sogar Stuhl-Inkontinenz.<br />

Diese dementielle Entwicklung hört sich beunruhigend bis furchterregend an.<br />

Dies gilt nicht nur für eine Parkinson-Erkrankung, dies gilt auch für jeden ansonsten<br />

gesunden Menschen, der ja ab einem gewissen Alter ebenfalls mit<br />

einer solchen Geistesschwäche rechnen muss, zumindest rein statistisch gesehen.<br />

Einzelheiten dazu, insbesondere was die beiden Aspekte<br />

- „gutartige oder normale Altersvergesslichkeit“ anbelangt sowie die<br />

- so genannte „depressive Pseudo-Demenz“<br />

siehe die entsprechenden Kapitel über Alzheimer und Depressionen.<br />

Die Kenntnis über solche möglichen Einbußen ist nie falsch, überzogene<br />

Befürchtungen hingegen sehr wohl. Letztere können aber schlecht gesteuert<br />

werden, vor allem wenn man zu übertriebener Selbstbeobachtung oder gar<br />

hypochondrischen Befürchtungen neigt. Und so gibt es auch Parkinson-<br />

Patienten, die subjektiv das Gefühl geistiger Beeinträchtigung haben und<br />

schließlich in einer Art Teufelskreis auch immer häufiger jene Fehler machen,<br />

vor denen sie sich am meisten ängstigen – jedoch ohne dass man in einer<br />

neuropsychologischen Untersuchung entsprechende Hinweise findet. Hier gilt<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 47 -<br />

es seinen Arzt zu konsultieren, der dann ggf. einen Facharzt, nämlich Psychiater<br />

oder Geronto-Psychiater empfiehlt, um hier unnötige Befürchtungen gar<br />

nicht erst aufkommen zu lassen.<br />

Da aber die meisten Parkinson-Patienten ohnehin in nervenärztlicher, d. h.<br />

psychiatrisch-neurologischer Behandlung stehen, sollten entsprechende Befürchtungen<br />

früh gestanden und dann auch ausgeräumt oder objektiviert werden,<br />

wobei man bei Letzterem dann gezielt etwas tun kann.<br />

Es muss allerdings auch eingestanden werden, dass die erwähnten leichteren<br />

kognitiven Beeinträchtigungen ein erhöhtes Risiko für eine spätere Demenzentwicklung<br />

darstellen. Doch kann eine wirkliche Demenz erst dann angenommen<br />

werden, wenn die geistige Bewältigung der beruflichen und sozialen<br />

Aufgaben deutlich eingeschränkt und die persönlichen Beziehungen, insbesondere<br />

die Alltagsaufgaben spürbar beeinträchtigt sind.<br />

Doch muss dies alles über längere Zeit, d. h. mindestens ein halbes Jahr andauern.<br />

Ansonsten könnte es sich nämlich um die erwähnte „depressive<br />

Pseudo-Demenz“ handeln, die aber „lediglich“ auf einer Depression beruht,<br />

die nach einiger Zeit wieder zurückgeht und damit auch die depressionsbedingte<br />

Demenz. Einzelheiten dazu, insbesondere was die Unterscheidung<br />

zwischen Demenz und depressiver Pseudo-Demenz anbelangt, siehe<br />

wiederum die beiden Kapitel über Alzheimer-Demenz und Depressionen.<br />

Die Therapie dementieller Symptome hängt von der Art der Demenz ab. Demenzen<br />

können organische Ursachen haben (z. B. chronische Mangelversorgung des<br />

Gehirns durch Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Zucker<strong>krankheit</strong>, Schilddrüsen-<br />

Funktionsstörungen, Vitaminmangel), sie können auf einen Hirntumor, eine Hirnblutung<br />

u.a. zurückgehen. Dies alles ist aber relativ schnell erkennbar und wird dann<br />

gezielt behandelt, das heißt die Ursache und damit indirekt die Demenz-Folgen.<br />

Bei einer Parkinson-bedingten Demenz müssen Hausarzt, Nervenarzt bzw. Psychiater<br />

und Neurologe eng zusammenarbeiten. Einzelheiten dazu siehe die entsprechende<br />

Fachliteratur. Einige Hinweise aber seien schon hier gegeben:<br />

– Manche Parkinson-Medikamente können geistige Störungen verstärken oder bahnen.<br />

Diese müssen dann gegen solche ausgetauscht werden, die in dieser Hinsicht<br />

nicht noch zusätzlich beeinträchtigen.<br />

Manche Ärzte befürworten so genannte Nootropika, also Substanzen, die die<br />

Gehirnfunktionen über spezielle biologische Mechanismen verbessern (das geht von<br />

Ginkgo-Trockenextrakten bis zu spezifischen Arzneimitteln).<br />

Neuere Erkenntnisse stellen die Azetylcholinesterase-Hemmer zur Diskussion, die<br />

dann allerdings dauerhaft gegeben werden müssen, leider aber auch Nebenwirkungen<br />

haben, die gerade den Parkinson-Patienten belasten (z. B. den Tremor, das<br />

Zittern verstärken). Hält sich dies jedoch in Grenzen, kann sich ein Versuch lohnen.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 48 -<br />

Ähnliches gilt für die Kalziumantagonisten sowie weitere antidementiv (gegen die<br />

Geistesschwäche wirkende) Medikamente aus der neueren Forschung.<br />

Zu den nicht-medikamentösen Maßnahmen gehören besonders die Aufklärung und<br />

gezielte Informationen über die Art der Erkrankung und den zu erwartenden Verlauf.<br />

Hier gilt es vor allem einen Fehler zu vermeiden: das verschämte oder einfach durch<br />

reine Mutlosigkeit und Ängstlichkeit gebahnte Verschweigen der Folgen einer beginnenden<br />

Demenz in Kombination mit der Parkinson-Krankheit.<br />

Dies betrifft nicht nur Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen und Bekannte, selbst die<br />

Ärzte vermeiden es in der Regel, offen über die Geistesschwäche und ihre Folgen im<br />

Alltag zu sprechen, es sei denn, die Beeinträchtigungen haben jenen Grad erreicht,<br />

der keine andere Wahl mehr lässt. Dann steigen aber auch die Risiken und der Mut<br />

zur Aufklärung wächst in jenem Maße, wie man vom dem Patienten keine entsetzte,<br />

erboste oder gar wütende Reaktion mehr befürchten muss. Diese Verzögerungstaktiken<br />

aber sind problematisch, jeder weiß es, doch die Realität spricht eine deutliche<br />

Sprache.<br />

Als erstes gilt es also die Diagnose zu sichern und dann konsequent und ungeschönt<br />

(wenngleich mit aller Rücksichtsnahme) auf den fortschreitenden Prozess hinzuweisen,<br />

gleichzeitig aber die therapeutischen Möglichkeiten aufzuzählen und einzuleiten.<br />

Einzelheiten dazu wiederum der Hinweis auf das entsprechende Kapitel über die<br />

Alzheimer-Demenz und die Alzheimer-Pflege. In diesem Rahmen nur folgende<br />

Einschränkungen oder Bedenken: Das mit Recht empfohlene Gedächtnistraining<br />

(„Hirn-Jogging“) kann vorübergehend durchaus wirksam sein. Es kann aber auch<br />

seine Grenzen haben, vor allem wenn der Patient und seine Angehörigen mehr<br />

erwartet haben. Einerseits sollte man nicht zu früh aufgeben und allzu viel erhoffen,<br />

andererseits aber hat so manches sein Limit, besonders wenn Frustrationen, Niedergeschlagenheit<br />

und Verzweiflung überhand nehmen, weil selbst intensive Trainingsmaßnahmen<br />

offensichtlich wenig bringen.<br />

Hier gilt es einen Mittelweg zu beschreiten, der aber nicht eigenmächtig, d. h. ohne<br />

den Rat der zuständigen Experten verfolgt werden darf. Denn vor allem die Faktoren<br />

„Ungeduld“ und „verfrühte Resignation“ sind der Feind eines jeden Behandlungserfolgs,<br />

auch wenn sich dieser „lediglich hinter dem Komma bewegt“. Zu frühe Aufgabe<br />

kann deshalb den „freien Fall in die Hoffnungslosigkeit“ nur beschleunigen,<br />

während sich „zäher Widerstand durchaus auszahlt“ (alles Zitate).<br />

Scheinbar weniger anspruchsvoll, aber durchaus wirksam sind künstlerisch-expressive<br />

Therapieformen wie Musik, Malen, ja Tanz, die zu den psychosozial stabilisierenden<br />

Maßnahmen gehören, auch wenn alle diese Behandlungsangebote gerade<br />

durch das typische Parkinson-Beschwerdebild oft erheblich erschwert werden.<br />

Wichtig sind auch die speziellen Institutionen wie Selbsthilfegruppen, Sozialdienste<br />

u.a., um Erfahrungen und Hilfestellungen im Umgang mit Demenz-Kranken zu erlangen.<br />

Einzelheiten dazu siehe das ausführliche Kapitel über die Demenz-Betreuung<br />

(Kapitel Alzheimer-Pflege), wo es nicht nur um die Patienten, sondern auch um die<br />

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- 49 -<br />

pflegenden Angehörigen geht (eigene Lebensgestaltung nicht zu sehr einschränken!).<br />

� Depressionen<br />

Depressionen gehören inzwischen nicht nur zu den häufigsten seelischen Störungen<br />

in der Allgemeinbevölkerung, sie belasten auch zwischen 30 bis 70%<br />

aller Parkinson-Patienten zusätzlich mit dieser quälenden seelischen Störung<br />

(im Schnitt fast jeden Zweiten).<br />

Drei Aspekte sind besonders bedeutsam:<br />

1. Gemütsstörungen (Fachbegriff: affektive Symptome) äußern sich bei etwa<br />

20 % der depressiven Parkinson-Betroffenen bereits mehrere Jahre vor den<br />

ersten Bewegungs-Einschränkungen, die schließlich zur Diagnose einer<br />

Parkinson-Krankheit führen.<br />

Damit ist die Depression bei jedem fünften Parkinson-Patienten eine der<br />

wichtigsten Früh-Hinweise, und zwar lange, bevor man an einen Morbus<br />

Parkinson zu denken pflegt.<br />

Patienten mit einem depressiven und Angst-Beschwerdebild, das sich länger<br />

als üblich hinzieht und früher eigentlich nie belastete, sollten deshalb im<br />

Verlaufe ihrer Gemüts<strong>krankheit</strong> sorgfältig von einem Facharzt (Psychiater,<br />

Neurologe, Nervenarzt) auch auf mögliche motorische Phänomene (siehe<br />

die Erst-Hinweise für eine Parkinson-Krankheit) hin beobachtet werden.<br />

Das kann sich zwar lange und erst einmal unergiebig hinziehen, hat aber<br />

letztlich einen hohen Stellenwert, was Früherkennung und rechtzeitigen<br />

Therapiebeginn anbelangt.<br />

2. Zwischen einer Parkinson-Erkrankung und Depression besteht weder zur<br />

Dauer noch zur Schwere des neurologischen Leidens eine direkte Beziehung<br />

(z. B. depressiver durch besonders hinderliche Bewegungseinschränkungen),<br />

so dass man die Depression nicht nur als depressive Reaktion auf<br />

das neurologische Leiden deuten kann. Es muss eine organische Ursache<br />

vorliegen, die für beide Leiden zugleich verantwortlich ist, z. B. eine bestimmte<br />

Störung der Gehirn-Botenstoffe (siehe später).<br />

3. Trotz Häufigkeit (jeder Zweite – s. o.) und schwerwiegender Zusatzbelastung<br />

sind Depressionen gerade bei Parkinson-Patienten offensichtlich<br />

unterversorgt, was das rechtzeitige Erkennen, das durch entsprechendes<br />

Wissen, fundierte Verstehen, gezielte Behandeln und fachgerechte<br />

Betreuen anbelangt.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 50 -<br />

Oder konkret: Wer zu seiner Parkinson-Erkrankung noch eine Depression<br />

entwickelt, ist nicht nur doppelt belastet, sondern auch meist nicht adäquat<br />

versorgt, was die heutigen medikamentösen, psycho- und soziotherapeutischen<br />

Möglichkeiten anbelangt.<br />

Gibt es nun Unterschiede im Beschwerdebild depressiver Symptome bei Parkinson-Patienten<br />

im Vergleich zu depressiven Zuständen bei „reinen“, also nur<br />

als Depression auftretenden Gemütsstörungen?<br />

Dazu wäre es gut, wenn man die entsprechenden Kapitel in dieser Serie über<br />

Depressionen studieren würde, insbesondere die Abschnitte über das Beschwerdebild,<br />

was gerade bei diesem Leiden zum Vielfältigsten gehört, was<br />

einem Menschen <strong>krankheit</strong>sbedingt aufgebürdet werden kann. Nachfolgend<br />

nur einige Stichworte im Kasten, wie sie offiziell (gemäß ICD-10 der WHO) angeführt<br />

werden.<br />

Depressives Syndrom nach ICD-10<br />

- Hauptsymptome: depressive Stimmung, Verlust an Interesse und Freude,<br />

Verminderung des Antriebs und erhöhte Ermüdbarkeit.<br />

- Weitere Kennzeichen: Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, vermindertes<br />

Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von Schuld und<br />

Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Schlafstörung,<br />

Appetitmangel, Selbsttötungsgedanken u.a.<br />

Darüber hinaus unterscheidet man – gerade bei depressiven Parkinson-Patienten<br />

– auch die gehemmte und agitierte (unruhig-gespannte) Depression. Im<br />

Vergleich zu den „reinen“ Depressions-Zuständen ist die Parkinson-Depression<br />

– zumindest nach außen – offenbar milder ausgeprägt.<br />

Erste Hinweise sind aber auch hier uncharakteristische Klagen wie Appetitmangel,<br />

Gewichtsabnahme, Verstopfung, Müdigkeit, Schlafstörungen, körperliche<br />

Missempfindungen, undefinierbare Schmerzbilder, Merk- und Konzentrationsstörungen<br />

u.a.<br />

Die nahe liegende Frage, was weist eher auf eine <strong>parkinson</strong>-bedingte Depression<br />

bzw. mehr auf eine „reine“ Depression im Rahmen einer affektiven (Gemüts-)Störung<br />

hin, wird im Allgemeinen wie folgt beantwortet:<br />

- Parkinson-Depressive leiden eher unter Dysphorie (missgestimmt-reizbar),<br />

sind leichter irritierbar (durcheinander zu bringen), eher traurig, pessimistisch<br />

und von Suizidgedanken gequält.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 51 -<br />

- Depressive im Rahmen einer affektiven Störung sind besonders betroffen<br />

von einer nicht nur seelisch, sondern auch regelrecht körperlich empfundenen<br />

Niedergeschlagenheit („körperlich traurig“), ferner von Hoffnungslosigkeit,<br />

Angst-, Schuld-, Bestrafungs- und Versagensgefühlen, von Verzweiflung,<br />

innerer Leere, Problem-Grübeleien mit Gedankenkreisen, wenn nicht<br />

gar zusätzlich von inhaltlichen Denkstörungen (Wahn) und Wahrnehmungsstörungen<br />

(Sinnestäuschungen), was dann gesamthaft auch eher zu Suizidhandlungen<br />

führen kann.<br />

Zur Unterscheidung fragt der erfahrene Arzt vor allem nach subjektiv erlebten<br />

Beeinträchtigungen und findet<br />

- bei rein depressiv Erkrankten insbesondere ein Gefühl der Gefühllosigkeit,<br />

der inneren Leere, der Hoffnungslosigkeit sowie den Verlust der<br />

Fähigkeit, Freude zu empfinden (obgleich es an freudigen Ereignissen<br />

nicht mangelt).<br />

- Bei den depressiven Parkinson-Patienten dagegen einen wachsenden<br />

Motivations- und Antriebsverlust sowie Partnerschaftsprobleme, insbesondere<br />

die Furcht, vom gesunden Partner abhängig und damit letztlich<br />

für den Rest des Lebens hilflos ausgeliefert zu sein.<br />

Tagesschwankungen drohen bei beiden Krankheitsbildern gleich häufig, am<br />

ehesten die gedrückte Stimmung am Morgen, die sich erst nachmittags oder<br />

abends aufzuhellen beginnt (Morgentief, „Morgengrauen“).<br />

Die Depression bei Parkinson-Patienten kann vor allem an akinetische<br />

Phasen (der Bewegungsverlangsamung bzw. gar Bewegungslosigkeit)<br />

gebunden sein, aber auch unabhängig von der Bewegungseinschränkung<br />

chronisch oder phasenhaft verlaufen. Schwere Parkinson-Depressionen treten<br />

eher beim akinetisch-rigiden Typ als beim Äquivalenztyp auf, wo sich keine<br />

Symptom-Schwerpunkte finden.<br />

Zur Erinnerung: Wenn Akinese und Rigor, also Bewegungseinschränkung und<br />

wachsartiger Widerstand bei passiver Bewegung beispielsweise der Arme das<br />

Krankheitsbild beherrschen, nennt man es einen akinetisch-rigiden Typ, auch<br />

Akinese-Rigor-dominantes Parkinson-Syndrom genannt. Wenn Tremor (Zittern),<br />

Akinese und Rigor annähernd gleich ausgeprägt sind, wird dies als Äquivalenztyp<br />

bezeichnet.<br />

Parkinson-Patienten äußern häufiger Suizidgedanken als andere Menschen<br />

(siehe oben), wobei schwer depressiv Erkrankte anderer Ursachen aber offenbar<br />

schneller Hand an sich legen. Immerhin sind es bei den Parkinson-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 52 -<br />

Depressiven auch rund 5%, die sich in ihrer Verzweiflung schließlich selber<br />

das Leben nehmen.<br />

Besonderheiten bei der Parkinson-Depression<br />

Wie erwähnt hängt der Schweregrad des depressiven Zustandes in den meisten<br />

Fällen nicht mit dem Schweregrad und der Dauer der Parkinson-Krankheit<br />

zusammen. Depressive Verstimmungen können in einem fortgeschrittenen<br />

Parkinson-Stadium sogar wieder zurücktreten. Ja, sie können – zumindest<br />

durch die immer mehr auch den Alltag beeinträchtigenden Parkinson-<br />

Syndrome – scheinbar völlig zurückgedrängt werden.<br />

Ohne direkten Zusammenhang mit der Parkinson-Krankheit kann sich eine<br />

Depression auch in späteren Lebensabschnitten entwickeln, was man dann<br />

eine Altersdepression nennt. Das ist in der Regel eine mehrschichtige Depression<br />

aus reaktiven Anteilen (z. B. zunehmende Verlusterlebnisse wie Tod<br />

naher Angehöriger oder Freunde, zermürbt durch Krankheiten u.a.), gehirnorganische<br />

oder sonstige körperliche Ursachen und vielleicht auch aus endogenen<br />

(biologischen, z. B. erblichen) Anteilen, die erst im 3. Lebensalter<br />

durchschlagen. Tritt hier eine Parkinson-Depression hinzu, wird das<br />

Leidensbild noch vielschichtiger und natürlich quälender.<br />

Was die Parkinson-Depression anbelangt, so wird sie meist deshalb so lange<br />

nicht erkannt,<br />

- weil man sie anfangs als „alltägliche Befindensschwankungen“ einzustufen<br />

pflegt,<br />

- weil die Betroffenen selber sie zu verbergen suchen wo immer es geht,<br />

- weil die Parkinson-Krankheit in der Tat manche Symptome aufweist, die<br />

auch bei reiner Depression vorkommen, jetzt aber der vom Arzt diagnostizierten<br />

Parkinson-Krankheit zugeschrieben werden. Beispiele: psychomotorische<br />

Verlangsamung (seelisch und schließlich auch körperlich wie<br />

blockiert), mimische Starre (Einzelheiten siehe das Depressionskapitel) und<br />

die Unfähigkeit, seine Gefühle nicht mehr adäquat vermitteln zu können.<br />

Was spielt nun eine besonders nachteilige Rolle, vor allem mittel- und langfristig<br />

(was ja besonders bei einer fortschreitenden Parkinson-Krankheit zu erwarten<br />

steht)? Am häufigsten beklagt werden bei der Parkinson-Depression<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 53 -<br />

- Verstärkung der psychosozialen Krankheitszeichen und zwischenmenschlichen,<br />

beruflichen und sonstigen Folgen durch Stress aller Art, vor allem<br />

aufgrund körperlicher Einschränkungen<br />

- reduzierter Antrieb, verringerte Motivation<br />

- Ängstlichkeit wegen Hilflosigkeit<br />

- Unsicherheit im sozialen Umgang<br />

- Partnerschaftsprobleme<br />

Hier geht es insbesondere um den Faktor: öffentlich sichtbare Behinderung,<br />

Einschränkung und damit Rückzug und Isolationsgefahr.<br />

Biologische Ursachen<br />

Als biologische Ursachen für die Parkinson-Depression werden Verschiebungen<br />

im Gehirnstoffwechsel angenommen, am ehesten Neurotransmitter-<br />

Defizite, also je nach Gehirnlokalisation örtlich bedeutsame Einbußen an bestimmten<br />

Botenstoffen (Fachbegriffe: degenerative Veränderungen in den<br />

katecholaminergen Neurotransmitter-Systemen).<br />

Was kann man tun?<br />

Wenn es sich um eine Parkinson-Depression handelt, wird man als erstes das<br />

Parkinson-Syndrom medikamentös einzustellen versuchen. In dem Maße, wie<br />

dies gelingt, wird auch die <strong>parkinson</strong>-bedingte Depression zurückgehen.<br />

Daneben kann aber auch eine gezielte antidepressive Pharmakotherapie nötig<br />

werden. Einzelheiten dazu siehe die spezielle Fachliteratur, wobei die behandelnden<br />

Ärzte folgende Aspekte berücksichtigen:<br />

1. Welches Antidepressivum bietet sich an, beispielsweise aus der älteren<br />

Generation oder neuere Produkte? Denn hier spielen vor allem Faktoren<br />

wie Nebenwirkungs-Belastung und Wechselwirkungen mit den Parkinson-<br />

Medikamenten eine wichtige Rolle.<br />

2. Gibt es außer antidepressiven auch noch andere Arzneimittel, die zur<br />

Stimmungsstabilisierung versucht werden können (z. B. Johanniskraut,<br />

Beruhigungsmittel vom Typ der Benzodiazepine, sedierende, leicht<br />

stimmungsstabilisierende mittelpotente Neuroleptika bzw. auch<br />

Phasenprophylaktika mit langfristigem Einsatz, z. B. Lithiumsalze). Oder<br />

möglicherweise die antidepressive Wirkung neuerer Arzneimittel aus der<br />

Gruppe der so genannten Dopamin-Agonisten (Einzelheiten siehe<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 54 -<br />

Spezialliteratur). Und als allerletzte Möglichkeit, die man allerdings nicht<br />

gering schätzen sollte, wenn alles andere versagt hat, eine<br />

Elektrokrampftherapie.<br />

Genauso wichtig, wenngleich für das Umfeld sicher belastender, mühsamer und nicht<br />

immer auf den ersten Blick so erfolgreich wie erhofft, sind nicht-medikamentöse,<br />

insbesondere psychagogische Maßnahmen, also eine Kombination aus<br />

Psychotherapie und alltags-bezogenen Trainingsmaßnahmen (Fachbegriff: Psychoedukation)bei<br />

Parkinson-Patienten im Allgemeinen und Parkinson-Depressiven im<br />

Speziellen.<br />

Denn als Parkinson-Betroffener und mit einer zusätzlichen Schwermut noch viel<br />

mehr benötigt der Patient ein hohes Maß an persönlicher Zuwendung. Gerade diese<br />

Kranken müssen besonders ernst genommen werden, was ihre Niedergeschlagenheit,<br />

Mutlosigkeit, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, was ihre Minderwertigkeitsgefühle,<br />

Zukunftsängste, ihre scheinbare Freudlosigkeit, Energielosigkeit, ihre Denkstörung,<br />

Verlangsamung, Entscheidungsunfähigkeit, innere Leere u.a. anbelangt. Das heißt,<br />

man muss sie stärker als bisher in das Familiengeschehen einbeziehen, darf sie<br />

praktisch nie (seelisch) allein lassen und muss ihnen ständig den Eindruck vermitteln,<br />

dass sie für alle Angehörigen wichtig geblieben sind, auch in ihrer seelischkörperlichen<br />

und psychosozialen Behinderung.<br />

Ob man ihnen einen ungebührlichen Schonrahmen zubilligen soll, hängt von ihrer<br />

Belastbarkeit, ihrer (früheren) Stellung im Familienverbund, von ihrer Wesensart und<br />

weiteren Faktoren ab. Doch in einer tiefen Depression wird man sie wohl eher<br />

schonen müssen. Denn die Reaktion ist Verzweiflung ohne Fähigkeit zu (früher vielleicht<br />

problemlos möglichen) Gegenmaßnahmen. Das heizt einen Teufelskreis an.<br />

Zur gezielten Psychoedukation zählen deshalb<br />

Verständliche Aufklärung (biologische Aspekte wie Anatomie, physiologische<br />

Normalverläufe im Gehirn, also Ursachen, Dauer, Verlauf sowie medikamentöse<br />

Behandlungsmöglichkeiten)<br />

- Maßnahmen zur positiven Lebensbewältigung auf allen Ebenen<br />

- Möglichkeiten zur Stressbewältigung<br />

- Hinweise zur Erhaltung der Selbständigkeit<br />

- Einbeziehung der Angehörigen (die die wichtigsten Ko-Therapeuten, also nicht nur<br />

Mitbetreuer, sondern letztlich auch Mitbehandler sind und bleiben)<br />

- Notwendigkeit von Freizeitaktivitäten<br />

- Hinweise auf Selbsthilfegruppen<br />

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Und schließlich noch etwas, das den Angehörigen vielleicht manchmal schwer fällt<br />

oder im langwierigen Verlauf „wegschmilzt“, nämlich die Vermittlung von Hoffnung:<br />

Dass sich dieser Zustand unter der modernen Medikation bessern wird (neue Substanzen<br />

sind in Entwicklung), damit vor allem die Neigung zu Rückzug und Isolation<br />

gebremst wird, was am Ende nicht nur seelische und psychosoziale, sondern auch<br />

körperliche Konsequenzen haben kann. Beispiele: nicht ausreichend Flüssigkeit und<br />

Nahrung zu sich nehmen, erhöhte Verletzungsgefahr, Vernachlässigung wenn nicht<br />

gar Verwahrlosung mit allen Folgen. Also: Hoffnung aufrechterhalten und damit einer<br />

gefährlichen Resignation und Gleichgültigkeit entgegen wirken.<br />

� Angststörungen<br />

Angststörungen sind im Begriff die andere Form der Gemütsstörungen, die<br />

Depressionen zahlenmäßig einzuholen. Einzelheiten siehe das spezielle<br />

Kapitel über Angststörungen (Generalisiertes Angstsyndrom, Panikattacken<br />

sowie Phobien, z. B. Agoraphobie, Sozialphobie, spezifische Phobien u.a.).<br />

So nimmt es nicht Wunder, dass Angststörungen auch beim Parkinson-<br />

Syndrom immer häufiger diagnostiziert und glücklicherweise auch erfolgreich<br />

therapiert werden (können).<br />

Man vermutet, dass sowohl im Gefolge einer Depression als auch unabhängig<br />

davon bis zu 40% der Parkinson-Patienten eine Angststörung entwickeln. Sie<br />

kann an eine Off-Phase (also einen plötzlichen Wechsel von ausreichender<br />

Beweglichkeit zu schockierender Unbeweglichkeit) gebunden sind oder auch<br />

unabhängig von Fluktuationen (Schwankungen der Beweglichkeit – siehe<br />

später) auftreten.<br />

Wenn sich die Angststörungen ganz besonders qualvoll verdichten, handelt es<br />

sich um eine Panikattacke, also eine überfallartige Angststörungen extremen<br />

Ausmaßes (s. u.).<br />

Dabei gilt es zwischen Angst und Furcht zu unterscheiden:<br />

– Furcht hat man vor etwas, also Krankheit, Schicksalsschlag, sonstige<br />

Belastungen. Furcht kann quälend werden, aber man weiß wenigstens,<br />

wovor man Furcht hat (im Volksmund der Einfachheit halber auch als Angst<br />

bezeichnet).<br />

– Angst hingegen ist ein unangenehmer gemütsmäßiger Zustand mit meist<br />

physiologischen Begleiterscheinungen (Zittern, Schweißausbrüche, Herzrasen,<br />

weiche Knie), hervorgegangen aus einem Gefühl der Bedrohung,<br />

dass entweder konkret oder nicht objektivierbar ist.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 56 -<br />

Furcht hat der Parkinson-Patient vor vielerlei Folgen: seelisch, körperlich,<br />

psychosozial, was seine Krankheit an Problemen aufwirft. Beispiele: Die gefürchteten<br />

Bewegungsblockaden (Freezing – siehe später) oder Stürze oder<br />

die Ungewissheit vor dem weiteren Krankheitsverlauf, vor einer drohenden<br />

Pflegebedürftigkeit, von einem völlig hilflosen Ende ganz zu schweigen.<br />

Die Angst bzw. die Angststörungen bei Parkinson-Patienten können – wie die<br />

Depressionen auch – endogener Ursache sein, d. h. biologisch, im Gehirnstoffwechsel<br />

verankert, so wie man heute die Angststörungen (auch ohne<br />

Parkinson-Erkrankung) wissenschaftlich erklärt.<br />

Die wichtigsten Angststörungen sind wie bereits erwähnt:<br />

1. Das Generalisierte Angstsyndrom (früher Angstneurose genannt): allgemeiner<br />

krankhafter Angstzustand, d. h. dauerhafte und vor allem unangemessene exzessive<br />

Befürchtungen, Grübeleien oder Sorgen um ein oder mehrere Lebensbereiche<br />

(z. B. Arbeit, Finanzen, Partnerschaft, „allgemein grüblerisch“ oder<br />

Krankheiten). Diese ständige Sorgenbereitschaft ist nicht zu kontrollieren bzw.<br />

einzudämmen. Typisch sind ständig erhöhte Erregung, Nervosität, Anspannung,<br />

Überwachheit und zahlreiche vegetative Beschwerden.<br />

2. Paniksyndrom (Panikstörung, Panikattacken, Panikzustände, Angstattacken):<br />

plötzlicher, meist „spontaner“, vor allem aber überfallartiger und schwerer Angstanfall<br />

ohne äußerlichen Anlass oder nachvollziehbare Ursache mit einer Vielzahl<br />

körperlicher und seelischer Symptome und dem Gefühl drohender Gefahr: Herzrasen,<br />

Herzstolpern, Atemnot, Würgegefühl im Hals, Schmerzen oder Unwohlsein<br />

in der Brust, Schweißausbrüche, schwindelige Benommenheit, Übelkeit,<br />

weiche Knie oder Beine, zittrig, allgemeines Schwächegefühl, vielleicht sogar die<br />

Furcht verrückt zu werden oder sterben zu müssen.<br />

3. Phobien sind abnorme, sich entgegen besserer Einsicht zwanghaft aufdrängende<br />

Angstzustände. Man unterscheidet<br />

- Agoraphobie: früher ausschließlich die Angst vor weiten Plätzen und Straßen<br />

(„Platzangst“), heute vor allem die Angst und damit das Vermeiden von Situationen,<br />

in denen es besonders wahrscheinlich, unangenehm oder gefährlich<br />

sein könnte, einen Angstanfall zu bekommen: große oder enge Räume, Tunnel,<br />

Pkw, Tiefgaragen, Menschenmengen, Warteschlangen u.a.<br />

- Sozialphobie: „Angst vor anderen Menschen“, auch als „Versagensangst“ bezeichnet.<br />

Dauerhafte und angemessene Furcht vor anderen (z. B. lächerlich<br />

gemacht, gedemütigt und beschämt zu werden - auch wenn kein Grund vorhanden<br />

ist) und damit Rückzug und Isolationsgefahr.<br />

- Spezifische Phobien: längerfristige, unangemessene und exzessive Ängste<br />

vor bestimmten Situationen, Gegenständen, Lebewesen u.a.: Türme, Berge,<br />

Gewitter, Dunkelheit, Flugreisen, Tiere usw.<br />

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- 57 -<br />

Spezielle Parkinson-Ängste finden sich vor allem in Phasen schlechter<br />

Beweglichkeit (Off-Phasen – siehe oben) und können sich dabei bis zu<br />

Panikattacken steigern.<br />

Therapeutisch fördert man hauptsächlich Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung,<br />

insbesondere verhaltenstherapeutisch orientiert sowie stützende Psychotherapieverfahren.<br />

Bei den an die Off-Phasen (plötzliche Beweglichkeits-<br />

Einschränkungen) gebundenen Angstzuständen (im Grunde eine Mischung<br />

aus Angst und nachvollziehbarer Furcht) steht die optimierte medikamentöse<br />

Parkinson-Behandlung im Vordergrund.<br />

Führt dies nicht zum Erfolg oder treten auch außerhalb von Beweglichkeits-Einschränkungen<br />

Angststörungen auf, empfiehlt sich die Gabe von angstlösenden Psychopharmaka<br />

(Fachbegriff: Anxiolytika), was im Einzelfall Tranquilizer (Beruhigungsmittel)<br />

vom Typ der Benzodiazepine sein können, meist aber spezielle Antidepressiva<br />

der neuen Generation (in der Regel vom Typ der so genannten SSRI-<br />

Antidepressiva).<br />

� Psychosen<br />

Eine Psychose ist eine Seelen- bzw. Geistes<strong>krankheit</strong>, so die frühere Definition,<br />

die schon damals nicht sehr trennscharf war. Das hat sich nicht gebessert,<br />

im Gegenteil: Heute versucht man den Begriff „Psychose“ möglichst zu<br />

umgehen und durch „Störung“ zu ersetzen, was sich aber nicht befriedigend<br />

realisieren lässt. Deshalb hört man immer häufiger die Bezeichnungen „psychotisch“<br />

bzw. psychotische Störung. Meist handelt es sich um eine seelische<br />

Erkrankung, die teils durch erkennbare Organ- oder Gehirn<strong>krankheit</strong>en hervorgerufen<br />

wird und dann nachvollziehbar ist oder durch einen krankhaften<br />

Gehirnstoffwechsel erklärt werden kann (endogene Psychose, vor allem die<br />

schizophrene Psychose).<br />

Auf jeden Fall steht im Vordergrund einer solchen Psychose das, was die Experten<br />

einen gestörten Realitätsbezug und mangelnde Einsichtfähigkeit nennen. Konkret:<br />

Verwirrtheitszustände, schwere Gemütsstörungen (z. B. Depression oder manische<br />

Hochstimmung), Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen u.a.<br />

Psychosen werden - wie erwähnt - noch immer in exogene (auch organische oder<br />

symptomatische) Psychosen eingeteilt, wobei die häufigsten Ursachen Schädel-Hirn-<br />

Unfälle, internistische (also nicht Gehirn-)Stoffwechselstörungen, Infektionen, Arzneimittel,<br />

Rauschdrogen oder andere Gifte sind. Bei älteren Menschen mit ihrer gehäuften<br />

Sturzneigung kann es auch einmal eine Gehirnblutung sein.<br />

Endogene, also von „innen“ kommende Psychosen sind schwere Gemütsstörungen<br />

(die erwähnten Depressionen und manischen Hochstimmungen) oder wahnhafte<br />

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- 58 -<br />

Erkrankungen (paranoide Psychosen, wenn Sinnestäuschungen dazukommen paranoid-halluzinatorische<br />

Psychosen). Hier handelt es sich um die bereits erläuterten<br />

Störungen im Gehirn-Stoffwechsel (so genannte Botenstoffe oder Neurotransmitter).<br />

Immer häufiger werden auch die Kombinationen aus verschiedenen seelischen<br />

Störungen, z. B. Angst-Depressionen oder schizo-affektive Psychosen (bei denen<br />

Schizophrenie, Depression oder manische Hochstimmung zusammen bzw. kurz<br />

hintereinander belasten).<br />

Psychotische Episoden, also kurzfristige Verwirrtheitszustände mit Sinnestäuschungen<br />

und wahnhaften Reaktionen gehörten schon immer zu den schwierigsten<br />

Langzeitproblemen einer Parkinson-Krankheit, insbesondere bei älteren<br />

Patienten im Allgemeinen und solchen mit fortgeschrittenem Parkinson-<br />

Stadium im Speziellen. Seit Einführung der ja an sich segensreichen<br />

Parkinson-Behandlung mit L-Dopa und den Dopamin-Agonisten (siehe später)<br />

werden sie sogar vermehrt beobachtet (Fachbegriffe: pharmakogene, also<br />

medikamentös ausgelöste Psychosen).<br />

Eine verstärkte Psychose-Anfälligkeit droht durch zusätzliche Demenz (Geistesschwäche,<br />

z. B. Alzheimer-Krankheit, siehe diese), schwere körperliche<br />

Leiden, mangelnde Flüssigkeitszufuhr und fieberhafte Infekte.<br />

Wie äußert sich nun eine Psychose im Rahmen einer Parkinson-Krankheit?<br />

Meist beginnt es mit ängstlicher Unruhe, mit Schlafstörungen nachts und<br />

Dösigkeit am Tag (Fachbegriff: Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus) mit lebhaften<br />

Träumen, wenn schließlich einmal Schlaf sein darf, mit<br />

Stimmungsschwankungen u.a. Dann folgen illusionäre Verkennungen, d. h.<br />

die Fehldeutung realer Sinneseindrücke wie Fratzen im Tapetenmuster oder<br />

in der Wanduhr, Gestalten im Nebel usw. Schließlich brechen regelrechte<br />

psychotische Episoden mit Halluzinationen (Sinnestäuschungen) und<br />

paranoiden (wahnhaften) Vorstellungen aus.<br />

Gefährdet sind einerseits ältere Parkinson-Patienten und andererseits solche,<br />

bei denen schon früher seelische Auffälligkeiten bestanden, auch wenn es<br />

nicht unbedingt psychotische Krankheitszeichen gewesen sein müssen.<br />

Halluzinationen, also Sinnestäuschungen oder Trugwahrnehmungen treten<br />

bei Parkinson-Patienten vorwiegend optisch auf, seltener akustisch (also mehr<br />

Gesichts- als Gehörs-Halluzinationen). Gehäuft entwickeln sie sich in der<br />

Dämmerung, und zwar nicht nur wegen der dann eher erklärbaren Fehl-Interpretationen,<br />

sondern auch bei abnehmender Wachheit und damit schwindendem<br />

Überblick aus Gründen verminderter Gehirnaktivität – und damit in frühen<br />

Abend- oder Morgenstunden, seltener auch tagsüber.<br />

Im Gegensatz zu manchen schizophren Erkrankten wirken diese Sinnestäuschungen<br />

aber weniger bedrohlich, tauchen plötzlich auf und verschwinden<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 59 -<br />

meist rasch wieder: bekannte oder unbekannte Gestalten, Fahrzeuge, Tiere<br />

wie Spinnen, Käfer, Würmer u.a.<br />

Bei den akustischen Sinnestäuschungen verunsichern bekannte oder unbekannte<br />

Stimmen oder Geräusche. Während der Trugwahrnehmungen ist dem<br />

Betroffenen zwar oft bewusst, dass das was er sieht oder hört nicht der Realität<br />

entspricht, trotzdem kann er sich nicht von dem letztlich überwältigenden<br />

(trügerischen) Geschehen distanzieren. Deshalb sind seine Reaktionen zwar<br />

für ihn selber unangenehm, aber meist leidlich ertragbar. Für die Angehörigen<br />

hingegen, wenn sie ihre unerklärlichen Beobachtungen machen oder gar in<br />

diese Phänomene einbezogen werden, oft noch irritierender bis belastender<br />

(„spinnt er jetzt auch noch?“).<br />

Tröstlicherweise arten aber solche Halluzinationen nur selten so bedrohlich<br />

aus, dass es zu ausgeprägten Unruhe-, Angst- oder gar Panikreaktionen<br />

kommt, was dann auch einmal Polizei, Feuerwehr, Sanität, zumindest aber<br />

andere Verwandte, Freunde und Bekannte mobilisieren kann.<br />

Therapeutisch geht man gegen solche Phänomene mit den früheren „klassischen“<br />

mittel- und hochpotenten Neuroleptika (antipsychotisch wirkenden Psychopharmaka -<br />

siehe Neuroleptika) vor bzw. inzwischen mehr und mehr mit den modernen atypischen<br />

Neuroleptika in angepasster Dosierung. Allerdings pflegt dies in der Regel nur<br />

vorübergehend notwendig zu sein, falls überhaupt.<br />

� Schlafstörungen<br />

Auch Schlafstörungen gehören zum Leidensbild einer Parkinson-Krankheit<br />

(worauf übrigens schon James Parkinson 1817 hingewiesen hat). Dreiviertel<br />

aller Betroffenen klagen über Ein- und Durchschlafstörungen, d. h. sie finden<br />

keinen Schlaf und wenn, dann unruhig, ständig unterbrochen und flach. Das<br />

führt naturgemäß zu vermehrter Tagesmüdigkeit. Und zu dem, was man eine<br />

Schlaf-Erwartungsangst nennt, d. h. sich bereits tagsüber mit dem Gedanken<br />

quälen, auch diese Nacht wieder keinen Schlaf finden zu können, dafür aber<br />

am nächsten Morgen müde, abgeschlagen, matt und leistungsschwach zu<br />

sein.<br />

Als Ursachen werden folgende Aspekte diskutiert:<br />

- Nächtliche Bewegungsstörungen, d. h. Bewegungslosigkeit, Steifheit, Zittern,<br />

und dies sogar verstärkt, weil die dagegen tagsüber eingenommenen<br />

Medikamente im Verlaufe der Nacht ihre Wirkung verlieren.<br />

- Vegetative Störungen, vor allem vermehrter Harndrang, aber auch<br />

Schweißausbrüche u.a.<br />

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- 60 -<br />

- Seelische Beeinträchtigungen, d. h. lebhafte bis belastende Träume, depressive<br />

und Angstzustände, ggf. Panik vor dem neuen Tag, vielleicht sogar<br />

Verwirrtheit und Sinnestäuschungen.<br />

- Das Restless-legs-Syndrom, d. h. die unbeeinflussbar unruhigen Beine, die<br />

alles zerwühlen und schon dadurch keinen Schlaf finden lassen.<br />

- Periodische Arm- und Beinbewegungen mit dem gleichen Effekt, die sich<br />

ebenfalls nicht willentlich und dauerhaft unter Kontrolle bringen lassen.<br />

- Und schließlich vielleicht sogar nächtliche Atemstörungen, d. h. Enge,<br />

Schwere auf der Brust, Atemnot, und nicht selten das pfeifende<br />

Einatmungs-Geräusch bei Verengung oder Verlegung der oberen Luftwege<br />

(Fachbegriff: Stridor).<br />

Vor allem Schlafstörungen während des Traumschlafs (Fachbegriff: REM-<br />

Schlaf) führen gerade beim Parkinson-Patienten mitunter zu nächtlichem<br />

Reden oder Schreien im Schlaf sowie ausfahrenden Bewegungen, was dann<br />

einerseits den Patienten selber, oft aber auch den Partner und damit letztlich<br />

beide weckt.<br />

Am häufigsten aber stört der nächtliche Harndrang, von dem fast 80% der Betroffenen<br />

berichten, wobei viele zwei- bis dreimal pro Nacht die Toilette aufsuchen<br />

müssen.<br />

Was die nachlassende Wirkung der Parkinson-Medikamente im Verlaufe der<br />

Nacht anbelangt, so ist es vor allem der Dopamin-Mangel (siehe dieser), der<br />

in der zweiten Nachthälfte zu schmerzhaften Muskelverspannungen, ja Verkrampfungen<br />

in den Waden und Füßen führt („Früh morgens – Fußverkrampfungen“).<br />

Außerdem erschwert die nächtliche Bewegungshemmung bzw. im Extremfall<br />

Unbeweglichkeit (inzwischen bekannter Fachbegriff: Akinese) das Umdrehen<br />

im Bett, das der Gesunde viel öfter praktiziert, als ihm bewusst wird (zwei bis<br />

drei Dutzend Mal pro Nacht und mehr), was vor allem für einen entspannten<br />

Schlaf notwendig ist. Wer das nicht kann, z. B. der Parkinson-Kranke oder der<br />

Gesunde mit einem hinderlichen Gipsbein u. ä., der erwacht am anderen<br />

Morgen wie gerädert oder gar zerschlagen, nur weil er sich nächtlich nicht<br />

ausreichend umdrehen konnte, um damit ein Durchliegen zu vermeiden.<br />

Manche Parkinson-Patienten halten sogar ihren Tremor, ihr Hände- oder Kopf-<br />

Zittern für die Ursache ihrer Schlafstörung. Zwar vermindert sich der Parkinson-Tremor<br />

im Schlaf, wird jedoch während der Aufwachphase sofort wieder<br />

deutlicher und damit bewusster. Ein ausgeprägter Ruhe-Tremor kann natürlich<br />

auch das Einschlafen behindern. Und in den flacheren Schlafstadien kann das<br />

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- 61 -<br />

Zittern bereits wieder vor dem Erwachen auftreten und damit das Aufwachen<br />

geradezu provozieren.<br />

Und schließlich sind es die ängstlich-depressiven Zustände, die den Parkinson-Kranken<br />

zermürben, quälen, in Furcht und Schrecken versetzen. Dies insbesondere<br />

beim nächtlichen Wachliegen, oder nach dem Aufwachen, nachts<br />

oder am Morgen. Das kennt zwar jeder von sich selber, wer hat nicht schon<br />

nächteweise gegrübelt, aber in der Regel schläft man wieder ein und kann<br />

sich deshalb kaum mehr daran erinnern. Depressive im allgemeinen und<br />

Parkinson-Depressive im speziellen werden durch ihre Stimmungstiefs und<br />

vielfältigen Befürchtungen so verunsichert, dass sie überhaupt keinen Schlaf<br />

mehr finden, eine besonders quälende Form des nächtlichen Problem-<br />

Grübelns.<br />

Die Therapie einer Schlafstörung für ansonsten Gesunde gliedert sich in Arzneimittel<br />

und nicht-medikamentöse Maßnahmen. Einzelheiten dazu siehe das spezielle Kapitel<br />

über die Schlafstörungen. Dort geht es auch um die Schlafhygiene, schlafstörende<br />

und -fördernde Verhaltensweisen, ja um die richtige Lebensweise (der Tag<br />

entscheidet mehr über die Nacht, als sich die meisten eingestehen), um den sinnvollen<br />

Einsatz von Mittagsschlaf, körperlicher Aktivität, Mahlzeiten, Alkohol-, Kaffee-<br />

und Zigarettenkonsum sowie um Einschlaf-Rituale, die nicht nur für Kinder, auch für<br />

Erwachsene nützlich sind. Das Gleiche gilt für die Gestaltung des Schlafzimmers (wo<br />

man mehr Fehler machen kann, als den meisten bekannt sein dürfte), um den geregelten<br />

Schlaf-Wach-Rhythmus („innere Uhr“) und eine Vielzahl von äußeren<br />

Belastungen, vom Schnarchen des Partners bis zum Verkehrslärm.<br />

Was die medikamentösen Möglichkeiten bei der <strong>parkinson</strong>-bedingten Schlafstörung<br />

anbelangt, so müssen gerade hier Hausarzt und Neurologe eng zusammenarbeiten<br />

(Parkinson-Arzneimittel, Antidepressiva, schlaffördernde Neuroleptika oder Pflanzenheilmittel,<br />

synthetische („chemische“) Schlafmittel u.a.).<br />

� Schlaf-Apnoe-Syndrom<br />

Das Schlaf-Apnoe-Syndrom tritt gehäuft bei Männern in der mittleren Altersgruppe<br />

auf, verschont aber auch nicht das weibliche Geschlecht. Auffällig sind<br />

lautes Schnarchen, Bewegungsunruhe, schwere Erweckbarkeit und vor allem<br />

lange Atempausen. Letztere mehrmals in der Nacht und zwar über ungewöhnlich<br />

lange Zeit (d. h. mehr als 10 Sekunden, was für einen Atemstopp schon<br />

beunruhigend und vor allem nicht ungefährlich ist – s. u.).<br />

Ursache ist der Verschluss der oberen Atemwege, gelegentlich auch einmal<br />

eine zentrale (Gehirn-) Funktionsstörung. Die nächtlichen Atempausen führen<br />

nicht nur zu einem gestörten Schlafprofil, sondern durch die Sauerstoff-Unterbrechung<br />

bzw. damit ständige Unterversorgung zu riskanter Tagesmüdigkeit<br />

und Leistungsminderung bis hin zu ernsteren sonstigen Beeinträchtigungen.<br />

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- 62 -<br />

Wer nun unter beiden Erkrankungen zu leiden hat, nämlich Parkinson und<br />

Schlaf-Apnoe-Syndrom, der kann tatsächlich in eine riskante Situation<br />

geraten, die möglicherweise nicht nur einen Nervenarzt, sondern auch einen<br />

speziell ausgebildeten Arzt für Schlafmedizin nahe legt. Einzelheiten siehe<br />

das entsprechende Unter-Kapitel in dem Beitrag über Schlafstörungen.<br />

REGULATIONSSTÖRUNGEN ORGANISCHER FUNKTIONEN<br />

Zu den wichtigsten Regulationsstörungen organischer Funktionen, auch vegetative<br />

(autonome) Regulationsstörungen genannt, die bei einem Parkinson-<br />

Syndrom auftreten können, gehören (nach R. Thümler):<br />

- Magen-Darm-Störungen (Schluckstörungen, Verstopfung)<br />

- Kreislaufstörungen (vor allem Blutdruckabfall im Stehen)<br />

- Blasen-Entleerungsstörungen (Harndrang, Inkontinenz)<br />

- eine gestörte Wärmeregulation<br />

- sexuelle-Funktionsstörungen (Libido-Verlust, Erektionsstörungen).<br />

Im Einzelnen in Stichworten:<br />

� Magen-Darm-Störungen<br />

Magen-Darm-Störungen zählen zu den häufigsten Klagen, vor allem was<br />

Darmträgheit mit Verstopfung anbelangt. Natürlich ist dies auch als Nebenwirkung<br />

bestimmter Parkinson-Mittel möglich. Doch der Parkinson-Kranke hat<br />

ohnehin Verdauungs-Störungen, von der Mundhöhle bis zum Darmausgang:<br />

erschwertes Kauen, beeinträchtiger Nahrungstransport in der Mundhöhle,<br />

Schluckstörungen, schließlich Verstopfung. Außerdem klagen viele Betroffene<br />

über ein frühzeitiges Sättigungsgefühl, ein allgemeines Unwohlsein nach dem<br />

Essen mit Aufstoßen, über Völlegefühl und Oberbauchschmerzen und die bekannten<br />

Beeinträchtigungen durch Darmträgheit generell.<br />

Besonders die Verstopfung (Fachbegriff: Obstipation) beunruhigt viele Betroffene,<br />

vor allem durch die verlängerte Verweildauer des Stuhls im Dickdarm<br />

und die verminderte und erschwerte Entleerung des oft verhärteten Stuhls –<br />

ganz zu schweigen von den Ängsten, die man sich damit zusätzlich, wenngleich<br />

unnötig macht („innere Vergiftung?“).<br />

Die Ursachen sind zum einen die vegetativen Regulationsstörungen der<br />

Darmpassage, wie der Fachausdruck heißt, zum anderen verminderte<br />

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- 63 -<br />

Anspannungsmöglichkeiten der Bauch- und Beckenmuskulatur, aber auch<br />

unzureichende Flüssigkeitsaufnahme, falsche Ernährung (zu wenig<br />

Ballaststoffe) und beeinträchtigte körperliche Aktivität.<br />

Einzelheiten zu nicht-medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen<br />

siehe die Maßnahmen des Hausarztes und die spezielle Literatur.<br />

� Schluckstörungen, Speichelfluss und Hustenreflex<br />

Auf den lästigen Speichelfluss wurde schon 1817 hingewiesen. Und auch<br />

heute ist dies ein unangenehmes, ärgerliches bis peinliches und oftmals therapeutisch<br />

kaum beherrschbares Übel. Viele Parkinson-Patienten tragen<br />

deshalb ein ständig durchnässtes Taschentuch bei sich. Dabei können sie<br />

aufgrund ihrer Bewegungsbehinderung den Speichel oft nur mit Mühe und vor<br />

allem nicht rechtzeitig abwischen.<br />

Ursache ist nicht die vermehrte Speichelproduktion, sondern die Dysphagie,<br />

die Schluckstörung. Bei Parkinson-Patienten sind nämlich sämtliche Muskeln<br />

betroffen, die am Kau- und Schluckakt beteiligt sind (Wangen-, Zungen- und<br />

Rachenmuskeln). Die Speichelproduktion an sich ist normal oder gar vermindert.<br />

Doch wenn selbst das Zuwenig nicht regelmäßig und vor allem<br />

rechtzeitig geschluckt werden kann, dann vergrößert sich die Speichelmenge<br />

und läuft schließlich über. Deshalb sind Schluckstörungen und damit<br />

unangenehmer Speichelfluss in Phasen schlechter Beweglichkeit besonders<br />

stark ausgeprägt, weil auch die entsprechenden Muskeln in Mund, Rachen<br />

und Schlund beeinträchtigt sind.<br />

Aber nicht nur der Speichel, auch die Nahrung und die Medikamente werden<br />

nur unvollständig mit der Zunge in den Rachen geschoben. Oft bleiben deshalb<br />

vor allem die Arzneimittel in der Mundhöhle hängen, werden dort<br />

natürlich nicht resorbiert, fehlen im Magen und schließlich im Blut, haben<br />

damit keinen Einfluss auf das Gehirn – und dem Patient geht es schlechter,<br />

obgleich er die Medikamente eingenommen, nur eben nicht richtig geschluckt<br />

und damit verwertet hat.<br />

Manchmal ist auch zusätzlich noch der Hustenreflex abgeschwächt. Dadurch<br />

können Nahrungsreste in die Luftröhre und von dort in die Lunge gelangen<br />

(Fachbegriff: Aspiration). Eine so genannte „stille Aspiration“ ist oft die<br />

Ursache für eine Lungenentzündung, wie sie manche Parkinson-Patienten<br />

noch zusätzlich belastet.<br />

� Mundtrockenheit<br />

Ein weiteres Problem ist die Mundtrockenheit: Sie geht allerdings überwiegend<br />

auf Anti-Parkinsonmittel zurück (Einzelheiten siehe Fachliteratur). Oft ver-<br />

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- 64 -<br />

schwindet aber diese Nebenwirkung wieder, selbst wenn man die Dosis beibehält.<br />

Wichtig ist auf jeden Fall eine gute Mundpflege und häufiger ein<br />

Schluck Wasser oder Tee, oder ein saures Bonbon, um die<br />

Speichelproduktion wieder anzuregen. In hartnäckigen Fällen gibt es auch<br />

künstlichen Speichel aus der Spraydose (mit und ohne Geschmack).<br />

Zur Therapie dieser Phänomene siehe die spezifischen Maßnahmen von<br />

Haus- und Facharzt.<br />

� Schwitzen und Störungen der Wärmeregulation<br />

Verminderte Hitze-Toleranz und Neigung zu massiven Schweißausbrüchen<br />

lassen sich schon zu Beginn einer Parkinson-Krankheit registrieren. Dies verstärkt<br />

sich noch in Phasen schlechter Beweglichkeit, besonders was Nacken-<br />

und Kopfregion, Handflächen, Fußsohlen oder gar den gesamten Körper anbelangt.<br />

Vor allem nachts kann es zu massiven und wiederholten Schweißausbrüchen<br />

kommen.<br />

Deshalb fühlen sich Parkinson-Patienten während der heißen Jahreszeit noch<br />

unwohler als sonst, weil ihre Körpertemperatur stärker als bei den Gesunden<br />

anzusteigen droht. Es kann sogar zu kritischen Fieberphasen kommen, und<br />

zwar ohne erkennbaren Infekt, nur durch höhere Außentemperatur ausgelöst<br />

(was sich nebenbei medikamentös auch noch schwer beeinflussen lässt).<br />

Als Ursache wird eine Störung der zentralen Thermoregulation im Gehirn angenommen<br />

(Verstellung des Sollwerts der Temperatur-Regelung, wie bei einer<br />

Heizung). Andererseits soll es auch zu einer verstärkten Kälte-Toleranz kommen<br />

können. Das ist jedoch kein Vorteil, denn bei niedrigen Temperaturen<br />

droht dadurch eine Unterkühlung.<br />

Die erforderlichen Maßnahmen beziehen sich vor allem auf den häufigeren<br />

Wäsche- und Kleiderwechsel (Naturstoffe bevorzugen), auf Kälteschutz und<br />

Austausch von Überzügen, die die Schweißbildung und Hautreizung fördern.<br />

Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und sinnvolle Urlaubsplanung<br />

(gemäßigtes Klima bevorzugen). Und notfalls entsprechende Medikamente,<br />

die von Haus- und Facharzt verordnet werden.<br />

� Kreislaufstörungen<br />

Parkinson-Patienten haben vor allem in späteren Erkrankungs-Stadien durch<br />

ihre Haltungsinstabilität ohnehin eine vermehrte Sturzneigung. Darüber hinaus<br />

leiden sie im Vergleich zur Normalbevölkerung unter einem leicht<br />

verminderten Ruhe-Blutdruck (und nur selten Hochdruck), was nicht zuletzt<br />

durch ihre mangelnde Bewegungs- und Kreislaufaktivität ausgelöst wird<br />

(gelegentlich auch durch die Nebenwirkungen bestimmter Parkinson-Mittel).<br />

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Auch scheinen sie vermehrt Zeichen einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche)<br />

oder koronaren Herz<strong>krankheit</strong> (der Herzkranzgefäße) aufzuweisen. Darüber<br />

hinaus klagen sie oft über unsystematischen Schwindel (also nicht Drehschwindel,<br />

nicht Schwankschwindel, eher „durcheinander“), und zwar mit<br />

Schwarzwerden vor den Augen bis hin zur Fallneigung. Dies vor allem kurz<br />

nach dem Aufstehen oder nach längerem Stehen. Das scheint u. a. auf ein<br />

direktes Funktionsdefizit in bestimmten Gehirnregionen zurückzugehen, von<br />

den übrigen Bewegungsmängeln ganz zu schweigen.<br />

Auch hier sind es wieder Haus- und Nervenarzt, die durch gezielte medikamentöse<br />

und nicht-medikamentöse Maßnahmen dann doch noch eine befriedigende<br />

Besserung ermöglichen: körperliches Training, genügend Flüssigkeit<br />

und Kochsalz, Trockenmassagen, Wechselduschen, Kneippsche Anwendungen,<br />

angepasste Stützstrümpfe, nicht flach auf dem Bauch schlafen, Kopf um<br />

30% erhöht lagern, Fußende bei bettlägerigen Patienten mehrmals am Tag<br />

nach hinten neigen u.a.).<br />

� Atemstörungen<br />

Atemstörungen beunruhigen nicht selten, vor allem zusammen mit Sprechstörungen<br />

in Folge einer Beeinträchtigung der an der Sprechbewegung<br />

beteiligten Muskeln (Fachbegriff: Dysarthrie). Das macht sich besonders durch<br />

eine Störung der Artikulation (Sprechlautbildung, letztlich Aussprache)<br />

bemerkbar. Parkinson-Patienten haben ja auch eine erhöhte Atem-Ruhe-<br />

Frequenz, d. h. atmen selbst ohne Anstrengung schneller. Körperliche<br />

Belastung führt dann rasch zu Atemnot, was zusätzlich die Atemtechnik<br />

beeinträchtigt.<br />

Bei mangelnder körperlicher Aktivität ist auch die Gefahr einer Lungenentzündung<br />

größer. Ist zudem der Hustenreflex abgeschwächt, wird es noch problematischer<br />

(siehe oben: „stille Aspiration“). Kurz: Bei manchen Patienten bedarf<br />

es einer spezifischen Atemtherapie mit Atemübungen, die der Patient auch<br />

selber ausführen kann, notfalls medikamentös unterstützt (schleimlösende<br />

Mittel).<br />

� Blasen-Funktionsstörungen<br />

Blasen-Funktionsstörungen belasten fast die Hälfte aller Parkinson-Kranken,<br />

vor allem mit zunehmendem Alter und wachsender Dauer der Erkrankung.<br />

Männer sind häufiger betroffen.<br />

Am ehesten handelt es sich um eine Stress-Inkontinenz unter körperlicher<br />

Belastung wie Husten, Niesen, Heben u.a. mit unfreiwilligem Urinabgang,<br />

ohne dass ein Harndrang verspürt wird. Die Ursache ist eine Senkung bzw.<br />

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Erschlaffung der Beckenboden-Muskulatur. Dagegen geht eine Drang-Inkontinenz<br />

mit einem unaufschiebbaren Harndrang einher, was jedoch die Toilette<br />

noch rechtzeitig erreichen lässt.<br />

Letzteres findet sich speziell bei Parkinson-Patienten. Sie müssen – insbesondere<br />

nachts – mehrmals die Toilette aufsuchen, ohne dass es sich lohnt.<br />

Belastend und frustrierend zugleich wird es dann, wenn man nachts ohnehin<br />

<strong>krankheit</strong>sbedingt nur mühsam aufstehen und tags erschwert die Kleidung öffnen<br />

kann.<br />

Relativ selten ist dafür eine so genannte Überlauf-Blase mit Restharnbildung,<br />

in der Regel als Nebenwirkung durch bestimmte Arzneimittel.<br />

Die Therapie bezieht sich meist auf nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren:<br />

weniger nach dem Abendessen trinken, ggf. Windeln oder Vorlagen benutzen,<br />

Urinal mit Auffangbeutel, Blasenkatheter (aber kein Dauerkatheter),<br />

dazu Blasentraining u.a. Einzelheiten, unterstützt durch bestimmte Arzneimittel,<br />

siehe Hausarzt.<br />

� Sexuelle Funktionsstörungen<br />

Sexuelle Funktionsstörungen beeinträchtigen etwa die Hälfte aller männlichen<br />

Parkinson-Patienten, insbesondere die unter 50-Jährigen. Geklagt wird weniger<br />

über einen Libido-Verlust mit sexuellen Gleichgültigkeit, eher über eine<br />

erektile Dysfunktion, also die mangelhafte Funktionstüchtigkeit des Penis.<br />

Über sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen ist bisher weniger bekannt.<br />

Die Ursachen (z. B. Zucker<strong>krankheit</strong>, Durchblutungsstörung, Prostata- bzw.<br />

gynäkologische Operationen u.a.) werden auch bei Parkinson-Patienten in der<br />

Regel zuvor abgeklärt sein. Auch wird man den Betroffenen eingestehen müssen,<br />

das bestimmte Parkinson- und ggf. Zusatzmedikamente ihre eigenen<br />

Nebenwirkungen entfalten, was sexuell nachteilige Begleiterscheinungen anbelangt.<br />

Was das Parkinson-Leiden selber betrifft, so scheinen Erkrankungsalter und<br />

Intensität des Leidens mit Ausnahme eines späten und damit besonders ausgeprägten<br />

Krankheitsstadiums keinen wesentlichen Einfluss auf die Potenz zu<br />

haben, wohl aber die Dauer der Parkinson-Krankheit.<br />

Ein besonderes Problem ergibt sich dann, wenn bestimmte Arzneimittel zur<br />

Verstärkung der Libido führen, ohne dass die Erektionsstörung gebessert werden<br />

konnte. Das größte Übel aber ist die Unfähigkeit aller Beteiligten (einschließlich<br />

Hausarzt, leider oft auch Neurologe), über die Folgen dieser Beeinträchtigungen<br />

miteinander zu reden. Deshalb gilt es erst einmal die offene<br />

Aussprache zu lernen. Und Befürchtungen, Enttäuschungen, Unterstellungen,<br />

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- 67 -<br />

unausgesprochene Vorwürfe u.a. auszudrücken, abzubauen, zu<br />

neutralisieren.<br />

Denn es sind ja nicht nur Libido und Potenz betroffen, es geht beim sexuellen<br />

Kontakt auch um Speichelfluss, Bewegungseinschränkungen, Harn-Inkontinenz<br />

u.a., alles irritierende bis beschämende Krankheits-Folgen, über die<br />

niemand spricht, die aber gleichwohl (ästhetisch) belasten, von der Furcht,<br />

seelisch und vor allem körperlich überfordert zu werden, ja zu versagen ganz<br />

zu schweigen. Nachfolgend deshalb einige Hinweise im Kasten.<br />

Parkinson und sexuelle Störung – was tun?<br />

Die Sexualpartner sollten bedenken, dass sich die Sexualfunktion im Alter<br />

ändert und die verminderte sexuelle Aktivität ein natürlicher Vorgang ist.<br />

Männlichen Parkinson-Patienten sollte klar gemacht werden, dass im Alter<br />

über 50 die Zeit bis zur vollständigen Erektion verdoppelt oder verdreifacht ist<br />

und eine kürzere Zeit anhält.<br />

Der Arzt sollte darauf hinweisen, dass in vielen Fällen von Sexual-Funktionsstörungen<br />

– auch bei Parkinson-Patienten – psychische Faktoren eine<br />

wesentliche Rolle spielen (beispielsweise Stress, Ärger oder Ermüdung). Eine<br />

deutliche Bewegungsbehinderung hat natürlich ebenfalls Einfluss auf die<br />

sexuelle Aktivität. Der Partner hat sicherlich Verständnis dafür, dass diese<br />

nicht mehr so spontan, sondern geplant und in Phasen guter Beweglichkeit<br />

erfolgen sollte.<br />

Wenn <strong>krankheit</strong>sbedingt die „Technik“ der bisherigen sexuellen Praxis modifiziert<br />

werden muss, braucht dies nicht unbedingt mit einem reduzierten Lustgewinn<br />

einhergehen. Die Art des sexuellen Umgangs mit Verständnis, Liebe,<br />

Zuneigung und Zärtlichkeit führt ebenfalls zu Befriedigung und Zufriedenheit<br />

und kann die körperlichen Unzulänglichkeiten durchaus kompensieren.<br />

Die Partner werden dabei feststellen, dass ihre neue zärtliche Sexualität zu<br />

einer besonderen und schönen Form in ihrem Sexualverhalten werden kann.<br />

Die Vorstellung, dass Sexualität für Frauen in späterem Alter eine untergeordnete<br />

Rolle spiele und dass die Sexualität des Mannes auch später einer der<br />

wichtigsten Faktoren der Männlichkeit sei, ist glücklicherweise überholt. Beide<br />

Partner haben Anspruch auf ein befriedigendes Sexualleben und sollten ihre<br />

Sexualpraktiken ohne schambedingte Hemmungen so den Krankheitszeichen<br />

anpassen, dass das Ergebnis nicht nur Verzicht bedeutet (nach R. Thümler).<br />

In medikamentöser Hinsicht gab es schon früher entsprechende<br />

Möglichkeiten, die aber jetzt so weit gediehen sind, dass man durch die<br />

Einnahme bestimmter Medikamente (weitere sind wissenschaftlich in<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 68 -<br />

Erprobung) Erektionsstörungen auch bei Parkinson-Kranken erfolgreich<br />

behandeln kann. Zwar wird dadurch nicht die Libido, sondern nur die erektile<br />

Potenz verbessert, doch das ist schon ein bedeutsamer Fortschritt, zumal es<br />

vor allem Letztere ist, deren Rückgang beklagt wird und die oft einen<br />

Teufelskreis einleitet (Versagen � Angst vor dem Versagen �<br />

„programmiertes Versagen“).<br />

Allerdings gilt es gerade bei den neuen Produkten vorher abzuklären, ob der<br />

Betreffende diese Medikamente auch risikolos einnehmen darf (Herzerkrankungen,<br />

bestimmte Arzneimittel-Wechselwirkungen usw.).<br />

WEITERE PARKINSON-BEGLEITSTÖRUNGEN<br />

Weitere Parkinson-Begleitstörungen sind Schmerzen, Parästhesien, Hautveränderungen,<br />

Seh- und Riechstörungen. Im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />

� Schmerzen und Missempfindungen<br />

Schmerzen und Parästhesien (Missempfindungen) beklagt fast die Hälfte aller<br />

Parkinson-Patienten, und zwar schon im Frühstadium des Leidens.<br />

Schmerzen beispielsweise werden als Ziehen, Brennen, teilweise kampfartig<br />

und nicht selten als „rheuma-ähnlich“ beschrieben. Die Betroffenen gehen mit<br />

ihren Rücken-, Glieder- und Brustschmerzen zum Arzt, der noch keine<br />

Parkinson-Hinweise findet und deshalb das Leiden beispielsweise als<br />

rheumatisch fehldeuten kann.<br />

Solche irrtümlichen Diagnosen lauten dann oftmals „Schulter-Arm-Syndrom“<br />

oder „HWS-Syndrom“ (HWS = Halswirbelsäule). Später verstärken sich dann<br />

die Schmerzen, vor allem in den Phasen schlechterer Beweglichkeit und<br />

beeinträchtigen besonders die Schulter- und Beckenregion auf der ohnehin<br />

stärker betroffenen Seite.<br />

Als quälend werden auch einseitige krampfartige Schmerzen in Waden,<br />

Füßen und Zehen empfunden (vor allem während der frühen Morgenstunden;<br />

Fachbegriff: Off-Phasen-Dystonie oder „Frühmorgens-Dystonie“).<br />

Schmerzhafte Verkrampfung des Fußes mit Steckstellung der Großzehe und<br />

Einwertswendung des Fußes wird als „Fußdystonie“ bezeichnet.<br />

Ein Teil der Schmerzen ist auf den Rigor (also die Steifigkeit der Muskulatur<br />

mit erhöhter Muskelspannung) zurückzuführen. Kommt eine depressive „Überlagerung“<br />

hinzu, verstärkt sich das Schmerzbild erfahrungsgemäß noch mehr.<br />

� Sensibilitätsstörungen<br />

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- 69 -<br />

Empfindungs- oder Sensibilitätsstörungen äußern sich beim Parkinson-<br />

Patienten meistens als so genannten Parästhesien, oft als Brennen, Ameisenlaufen,<br />

als Taubheits- oder Kältegefühl, in der Regel in Beinen und Füßen.<br />

Die Behandlung fällt einerseits in das Aufgabengebiet des Hausarztes, kann<br />

aber auch den Neurologen beanspruchen. Neben physiotherapeutischen<br />

Maßnahmen (z. B. Massage, Wechselgüsse) ist es vor allem eine gezielte<br />

Schmerztherapie, die hier unumgänglich werden kann.<br />

� Hautveränderungen<br />

Hautveränderungen sind eine häufige Begleiterscheinung und oft auch ein<br />

ästhetisches Problem.<br />

Bei vermehrter Talgproduktion kommt es zu einer fettigen Haut, so als ob man<br />

sich gerade überreichlich eingecremt hätte. Bevorzugte Stellen sind auch die,<br />

die am meisten auffallen: Stirn, Schläfe und Nacken. Das im Extremfall<br />

regelrecht glänzend-fettige Gesicht führte schließlich zu dem Begriff des<br />

„Salbengesichts“, was das ganze Problem am besten umschreibt.<br />

Bei trockener Haut ist der äußere Eindruck weniger auffällig, die Haut dafür<br />

aber mehr anfällig. Viele Patienten klagen auch über eine verstärkte Schuppen-<br />

und Aknebildung. Medikamentös geht man vor allem gezielt gegen die<br />

vermehrte und verminderte Talgproduktion vor.<br />

� Tränensekretion und Lidschlag<br />

Vermindert sind beim Parkinson-Kranken auch Tränensekretion und Blinkrate<br />

der Augenlieder. Weniger Tränen heißt weniger Augenschutz und damit verstärkte<br />

Entzündungsneigung. Und wenn dann noch der Lidschlag vermindert<br />

ist, wird es noch kritischer.<br />

Dagegen gibt es inzwischen eine künstliche Tränenflüssigkeit. Einzelheiten<br />

siehe Haus- oder Augenarzt.<br />

� Riechstörungen<br />

Riechstörungen finden sich auch beim Parkinson-Patienten häufig, allerdings<br />

nur dann, wenn man gezielt danach fragt und untersucht. Da der Geschmack<br />

auch durch das Riechen ergänzt wird, klagen viele darüber hinaus noch über<br />

vermindertes Geschmacksempfinden. Die therapeutischen Möglichkeiten halten<br />

sich selbst unter fachärztlicher (HNO-)Betreuung leider in Grenzen.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 70 -<br />

Riechstörungen gehen auf das so genannte dopaminerge System im<br />

Zentralen Nervensystem, vor allem im Bereich der Substantia nigra des<br />

Gehirns zurück. Und das ist ja auch das entscheidende Defizit bei der<br />

Parkinson-Krankheit generell.<br />

Damit hat man aber auch einen frühen Indikator, also einen schon im Vorfeld<br />

des Leidens relativ typischen Hinweis für eine möglicherweise später ausbrechende<br />

Parkinson-Krankheit – sofern man darauf achtet. Und dies relativ<br />

lange, bevor die ersten Bewegungs-Störungen und anderen Symptome zu irritieren<br />

beginnen.<br />

„Störungen der Identifikation und Diskrimination von Geruchsstoffen“ (wie die<br />

Fachbegriffe heißen) sind ein häufiges Symptom der Parkinson-Krankheit,<br />

was allerdings – wie erwähnt – selten spontan berichtet wird und mit<br />

spezifischen Tests nachgewiesen werden muss. Zwar sind diese Störungen<br />

des Riechsinnes nicht charakteristisch für den Morbus Parkinson, sondern<br />

können auch bei anderen Erkrankungen vorkommen (z. B. bei Störungen des<br />

Riechorganes oder bei Patienten mit der Alzheimer’schen Krankheit). Bei<br />

atypischen Parkinson-Syndromen sind sie sogar eher selten und vor allem<br />

weniger ausgeprägt. Doch bei der eigentlichen Parkinson-Krankheit oftmals<br />

so, dass man in der Tat einen frühen Warn-Hinweis daraus ableiten kann;<br />

man spricht in Fachkreisen von einer diagnostischen Spezifität von über 80%<br />

(nach G. Becker: Methoden zur Frühdiagnose der Morbus Parkinson.<br />

Nervenarzt, Suppl.1 (2003) 7).<br />

� Sehstörungen<br />

Sehstörungen drohen hauptsächlich als medikamentöse Nebenwirkungen<br />

einer Parkinson-Behandlung (Unschärfe, da die Sehziele in wechselnder Entfernung<br />

vom Auge nicht mehr scharf eingestellt werden können). Auch die<br />

Netzhaut kann unter dieser Krankheit leiden und sogar die Farb-Unterscheidung<br />

(Blau-Grün-Schwäche). Selbst Sehschärfe und Kontrastsehen können<br />

betroffen sein.<br />

Im Übrigen gilt auch für Sehstörungen, vor allem so genannte Farbsinnes-<br />

Störungen (Fachbegriffe: Störungen des Kontrastsehens, der Farbdiskrimination<br />

und Farbperzeption) das Gleiche wie für Riechstörungen: Sie können ein<br />

wichtiger Hinweis auf eine möglicherweise später auftretende Parkinson’sche<br />

Krankheit sein – und zwar lange bevor auch hier ernstere Symptome, insbesondere<br />

Bewegungseinschränkungen beeinträchtigen. Hilfreich sind dabei<br />

elektrophysiologische Untersuchungen (Elektroretinographie), die schon früh<br />

auf Störungen der retinalen Funktion (Netzhaut) hinweisen können. Das Ausmaß<br />

der Sehstörungen entspricht übrigens der Schwere der allgemeinen<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 71 -<br />

Bewegungs-Einbußen (und kann außerdem durch erfolgreiche Parkinson-<br />

Behandlung wieder gemildert werden).<br />

Auch hier also zuerst den zuständigen Spezialisten, nämlich den Augenarzt<br />

und anschließend ggf. einen Nervenarzt oder Neurologen konsultieren, ob<br />

früh-diagnostische Maßnahmen zur rechtzeitigen Erkennung eines Morbus<br />

Parkinson angezeigt sind (nach G. Becker: Methoden zur Frühdiagnose der<br />

Morbus Parkinson – s. o.).<br />

� Augenbewegungsstörungen<br />

Augenbewegungsstörungen sind möglich, brauchen aber spezielle Untersuchungsverfahren.<br />

Die wichtigsten Beeinträchtigungen in Stichworten: herabgesetzte<br />

Blinkrate (also verminderte Häufigkeit des Lidschlusses – siehe<br />

oben), Einschränkung der Blickbewegung noch oben, leichte Konvergenzschwäche<br />

(also unzureichende Augen-Innenwendung um ein sauberes Nahsehen<br />

zu ermöglichen) u.a.<br />

Auch hier Augen- und Nervenarzt gemeinsam zur Beurteilung nutzen.<br />

NICHT-IDIOPATHISCHE PARKINSON-SYNDROME<br />

Bisher war die Rede von der „eigentlichen“ Parkinson-Krankheit, auch idiopathisches<br />

Parkinson-Syndrom, Morbus (Krankheit) Parkinson oder primäres<br />

Parkinson-Syndrom, früher auch „Schüttellähmung“ oder „Paralysis agitans“<br />

genannt. Dieser Parkinson-Formenkreis macht rund 80% aller Parkinson-<br />

Krankheitsbilder aus.<br />

Es gibt aber auch atypische oder nicht-idiopathische Parkinson-Syndrome, die<br />

zwar ein gleiches oder ähnliches Beschwerdebild auslösen, aber andere Ursachen<br />

haben. Nachfolgend deshalb eine stichwortartige Übersicht, wobei wir<br />

uns auf Fachbegriffe beschränken und bei Interesse auf die Spezial-Literatur<br />

verweisen müssen. Im Einzelnen (nach R. Thümler):<br />

� Multisystematrophie (MSA)<br />

- Charakteristika: Erstausbruch zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr, Männer<br />

häufiger, rasches Fortschreiten, frühe Rollstuhlpflichtigkeit.<br />

- Parkinson-Zeichen: akinetisch-rigide, myoklonusartiger Tremor, frühe Gang-<br />

und Standunsicherheit mit Sturzneigung, starker Rigor der Nackenmuskulatur.<br />

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- 72 -<br />

- Autonome Zeichen: orthostatische Hypotension (Synkopen, Schwindel), Impotenz<br />

(erektile Dysfunktion), Drang-Inkontinenz, kalte und blauverfärbte Hände.<br />

- Weitere Merkmale: Dysarthrie, Dsyphagie, inspiratorischer Stridor, Schnarchen,<br />

Affektlabilität (enthemmtes Lachen und Weinen).<br />

� Progressive supranukleare Blicklähmung (PSP)<br />

- Charakteristika: jenseits der 40, langsame Progredienz, Augenbewegungsstörung<br />

mit Blickparese nach oben, später nach unten, Gangunsicherheit mit Stürzen<br />

u.a.<br />

� Kortikobasale Degeneration (KBD)<br />

- Charakteristika: um das 60. Lebensjahr, Krankheitsdauer 7 bis 10 Jahre, akinetisch-rigides<br />

Parkinson-Beschwerdebild<br />

- Leitsymptome: Tremor einer Hand, distale Myoklonien, Apraxie im Hand- und<br />

Mundbereich, Fremdgefühl für Extremitäten, dystone Bewegungsstörungen der<br />

oberen Extremitäten, Dysarthrie, Dysphagie, Pyramidenbahnzeichen. Ferner<br />

Frontalhirnsyndrom (später dementielle Entwicklung), Blickstörungen, Blepharospasmus,<br />

choreatische Bewegungsstörungen, Enthemmungszeichen (orale<br />

und Handgreif-Reflexe) u.a.<br />

� Frontotemporale Demenz mit Parkinsonismus und Tauopathien (FTDP)<br />

- Charakteristika: familiäre Erkrankung, meist um das 50. Lebensjahr, Gemütsstörungen,<br />

optische und akustische Halluzinationen, Sprachstörungen, rigidakinetisches<br />

Parkinson-Syndrom, später frontotemporale Demenz.<br />

� Lewy-Körperchen-Krankheit<br />

- Charakteristika: Nachweis von Lewy-Körperchen und Alzheimer-Plaques und<br />

Neurofibrillen.<br />

- Hauptkriterien: progressives kognitives Defizit (berufliche und soziale Beeinträchtigung),<br />

eindeutig mnestische Störungen zu Beginn oder dominierend im<br />

weiteren Verlauf, Aufmerksamkeitsstörung, fluktuierende Intensität der Aufmerksamkeits-<br />

und Vigilanzstörung, Parkinson-Syndrom sowie ggf. Sturzneigung,<br />

wiederholte Somnolenzphasen, Synkopen, Halluzinationen.<br />

� Heredodegenerative Erkrankungen mit Parkinson-Symptomen<br />

Heredodegenerative Erkrankungen (erblich mit Zell-Abbau im Bereich des Zentralen<br />

Nervensystems) mit Parkinson-Symptomen sind beispielsweise<br />

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- 73 -<br />

- der rigid-akinetische Typ der Huntington-Krankheit: Nervosität, Reizbarkeit, erhöhte<br />

Aggressivität, Konzentrationsschwäche, ausgeprägter Rigor, zunehmende<br />

Bewegungsarmut, aber auch choreatische Hyperkinesen. Zuletzt Augenbewegungsstörungen,<br />

Blickparesen, Pseudobulbärparalyse und schwere Demenz.<br />

- L-Dopa-sensitive Dystonie: vorwiegend bei Mädchen im Kindesalter, belastungsabhängige<br />

Fußdystonie, Parkinson-Zeichen.<br />

- Parkinson-Demenz – ALS-Komplex: Kombination von Parkinson-Syndrom und<br />

Demenz.<br />

- Hallervorden-Spatz-Krankheit: Kinder und Jugendliche mit Parkinson-Symptomen,<br />

Gangstörung, dystonen und choreoathetotischen Bewegungsstörungen,<br />

Spastik u.a. sowie seelischen Veränderung. Später Rigor und Akinese.<br />

- Progressive Pallidum-Atrophie: Tremor, komplexe Dyskinesien, schließlich rigidakinetische<br />

Parkinson-Symptomatik. Früher Beginn, chronisch-progredienter<br />

Verlauf, früher Tod.<br />

- Neuroakanthozytose-Syndrom: Erb<strong>krankheit</strong> mit choreatischen und anderen<br />

Bewegungsstörungen sowie einer Sonderform der roten Blutkörperchen im<br />

Blutbild (Stechapfelform). Beginn im mittleren Lebensalter, orofazialbetonte<br />

progrediente Dyskinesien, choreatische Bewegungsstörungen der Gliedmaßen,<br />

Tics, Dystonien, akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom, Verhaltensauffälligkeiten<br />

(sozialer Rückzug) u.a.<br />

SYMPTOMATISCHE (SEKUNDÄRE) PARKINSON-SYNDROME<br />

Wenn ein Krankheitsbild als „symptomatisch“ (Symptom = Krankheitszeichen)<br />

bezeichnet wird, dann heißt dies: Das Beschwerdebild deutet auf eine bestimmte<br />

Krankheit hin. Doch die Ursache dieses Leidens ist etwas anderes,<br />

eine andere Erkrankung. Beispiel: Eine Depression hat meist biologische Ursachen,<br />

d. h. geht in der Mehrzahl der Fälle auf eine Stoffwechselstörung im<br />

Gehirn zurück, wo bestimmte Botenstoffe (Fachbegriff: Neurotransmitter) in<br />

bestimmten Regionen des Gehirns zu wenig zur Verfügung stehen. Depressionen<br />

können aber auch durch körperliche Erkrankungen ausgelöst werden<br />

(Herz-Kreislauf, Gehirntumor u.a.). Dann nennt man dies eine symptomatische<br />

Depression, bei der das Grundleiden behandelt werden muss – und die<br />

Begleit-Depression geht zurück.<br />

Gleiches gilt für das symptomatisches Parkinson-Syndrom (also nicht als<br />

Parkinson-Krankheit bezeichnet, nur als Syndrom, als zusammengehörige<br />

Symptome). Deshalb spricht man auch von sekundärem Parkinson-Syndrom<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 74 -<br />

(und meint mit dem primären Parkinson-Syndrom die eigentliche Parkinson-<br />

Krankheit).<br />

Was kann nun ein symptomatisches (sekundäres) Parkinson-Syndrom auslösen?<br />

Eine ganze Reihe von Ursachen, teils Medikamente mit entsprechenden<br />

Nebenwirkungen, teils Gehirnschädigung durch Vergiftung, Blutung,<br />

Tumor oder Entzündung u.a. Die wichtigsten Ursachen sind Folgende (nach<br />

R. Thümler):<br />

� Medikamentös ausgelöstes Parkinson-Syndrom<br />

Nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist man sich sicher,<br />

dass die eigentliche Parkinson-Krankheit nicht durch Medikamente oder<br />

andere Substanzen ausgelöst wird, auch wenn man bis heute nicht weiß, was<br />

die wirklichen Ursachen sind (siehe das entsprechende Kapitel). Andererseits<br />

gibt es eine Reihe von Wirkstoffen, deren unerwünschte oder<br />

Nebenwirkungen „klassische“ Parkinson-Krankheitszeichen auszulösen<br />

vermögen wie Tremor (Zittern), Bradykinese (Verlangsamung der<br />

Bewegungsabläufe) und Rigor (erhöhte Muskelspannung).<br />

Am häufigsten sind Neuroleptika (vor allem die hochpotenten antipsychotisch<br />

wirksamen Arzneimittel gegen Geistes<strong>krankheit</strong>en), Antiemetika (Übelkeit und<br />

Brechreiz verhindernde Arzneimittel), hochpotente Neuroleptike in niedriger<br />

Dosierung, die nicht antipsychotisch wirken, sondern „nur“ beruhigend, gemütsmäßig<br />

und vegetativ ausgleichend wirken sollen (z. B. „Wochenspritze“<br />

mit verschiedenen Substanzen) sowie so genannte Kalzium-Antagonisten zur<br />

Behandlung von Schwindel, Gleichgewichts- und Hirndurchblutungsstörungen<br />

sowie Migräneattacken.<br />

Weitere Wirkstoffe, die ein Parkinson-Syndrom auslösen können, finden sich<br />

in einigen Antidepressiva (stimmungsaufhellenden Psychopharmaka) sowie in<br />

dem Phasen-Prophylaktikum Lithium (zur Verhinderung von immer wieder auftretenden<br />

depressiven und manisch-hochgestimmten Episoden). Im<br />

Einzelnen:<br />

– Neuroleptika sind die häufigsten Ursachen für ein symptomatisches oder<br />

sekundäres Parkinson-Syndrom, auch als neuroleptisches Parkinsonoid (also<br />

<strong>parkinson</strong>-ähnliches Beschwerdebild) u.ä. bezeichnet. Einzelheiten dazu siehe<br />

das ausführliche Kapitel über Neuroleptika.<br />

Ein neuroleptika-bedingtes Parkinson-Syndrom findet sich je nach individueller<br />

Empfindlichkeit je nach Geschlecht, Alter und vor allem Dosishöhe bei 15 bis<br />

60% aller behandelten Patienten, jedenfalls bei Therapie mit den früheren<br />

Generationen dieser Psychopharmaka (neuere, so genannte atypische Neuro-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 75 -<br />

leptika werfen in dieser Hinsicht weit weniger Probleme auf, weshalb sie heute<br />

in der antipsychotischen Behandlung bevorzugt werden). Einige Patienten<br />

sind sogar durch einen besonders unangenehmen Tremor im Mundbereich<br />

betroffen. Da diese schnellen Mundbewegungen an das Mümmeln eines<br />

Hasen erinnern, nennt man es auch etwas respektlos „Rapid-Syndrom“.<br />

Besonders belastet sind durch neuroleptika-bedingte Parkinson-Symptome<br />

ältere Menschen. Man vermutet, dass etwa die Hälfte aller mit diesen Antipsychotika<br />

behandelten „geriatrischen Patienten“ ein Parkinsonoid entwickeln,<br />

jedenfalls bei Bevorzugung der früheren (hoch- und mittelpotenten) Neuroleptika.<br />

Da in diesem Alter auch die „klassische“ Parkinson-Krankheit zuzunehmen<br />

pflegt, kann die Abgrenzung zwischen diesen beiden Formen<br />

schwierig werden (was ist medikamentös bedingt, was eine Parkinson-Krankheit?).<br />

Dies besonders dann, wenn das medikamentös ausgelöste Parkinson-Syndrom<br />

asymmetrisch beginnt, was eher für ein richtiges Parkinson-Syndrom<br />

spricht (ein medikamentös-bedingtes Parkinson-Syndrom entwickelt sich<br />

meist symmetrisch, d.h. auf beiden Körperhälften gleich stark ausgeprägt, nur<br />

in etwa einem Drittel der Fälle einseitig betont). Die Folge ist eine<br />

Fehldiagnose und damit erfolglose Therapie mit Parkinson-Mitteln. Denn ein<br />

neuroleptisches Parkinson-Syndrom spricht nicht auf Parkinson-Arzneimittel<br />

an, sondern nur auf eine Dosis-Reduktion oder ein Absetzen der für dieses<br />

Leiden verantwortlichen Arzneimittel.<br />

Da nicht wenige ältere Patienten nicht nur mit antipsychotischen Neuroleptika<br />

sondern auch stimmungsaufhellenden Antidepressiva behandelt werden müssen,<br />

also einer Kombinationsbehandlung und damit doppelten<br />

Nebenwirkungs-Belastung, erhöht sich bei diesen Patienten auch das Risiko<br />

für ein medikamentös ausgelöstes Parkinson-Syndrom.<br />

Was spricht nun für das eine bzw. das andere als Ursache?<br />

Beim medikamentösen Parkinsonoid muss also ebenfalls mit Tremor, Bradykinese<br />

und Rigor gerechnet werden (Erklärung siehe oben). Auffallend ist<br />

auch eine sich rasch ausbildende Hypomimie (Verarmung der Mimik, am<br />

Schluss fast maskenhafte Gesichtsstarre) und eine Veränderung der Sprache<br />

(„kloßige“ bzw. „schleifende“ Aussprache). Der Muskeltonus (Spannung) ist<br />

erhöht. Ein „Zahnradphänomen“ (also als ob ein Zahnrad in das<br />

entsprechende Gelenk eingebaut und nur ruckartig zu bewegen sei) findet<br />

sich jedoch selten. Das Gleiche gilt für Festinations-Phänomene (Start- und<br />

Engpass-Schwierigkeiten) sowie Freezing-Phänomene (plötzlich wie<br />

„angeklebt“ oder „eingefroren“ erstarren).<br />

Glücklicherweise bildet sich ein medikamentöse bzw. neuroleptisch bedingtes<br />

Parkinsonoid nach Absetzen der Arzneimittel innerhalb von Tagen,<br />

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- 76 -<br />

wenigstens aber Wochen wieder zurück. So etwas ist natürlich bei der<br />

Parkinson-Krankheit nicht zu erwarten. Allerdings kann der medikamentöse<br />

Auslöser selbst nach Absetzen der Arzneimittel-Ursache weiterwirken,<br />

wenngleich selten. Immerhin müssen etwa 1% aller Betroffenen auch ohne<br />

„schuldiges“ Arzneimittel ihr (ehemals neuroleptisch bedingtes)<br />

Beschwerdebild über mehrere Jahre ertragen lernen, bisweilen sogar für den<br />

Rest des Lebens. Leider kann auch eine einschleichende oder einschleichend<br />

und niedrig gehaltene Dosierung mit Neuroleptika (gleichgültig ob hoch- oder<br />

mittelpotent bzw. sogar niederpotent, was an sich die wenigsten Probleme<br />

machen sollte) nicht völlig vermieden werden, je nach individueller<br />

Empfindlichkeit. So etwas muss man dem Patienten vorher erläutern.<br />

Charakteristische Warnhinweise vor Medikamenten-Einnahme gibt es nicht,<br />

mit Ausnahme vielleicht von erblichen Belastungen („schon mein Vater<br />

reagierte auf diese Medikamente überempfindlich“), aber das wird sich selten<br />

als hilfreich erweisen.<br />

Glücklicherweise sind – wie erwähnt – die neuen atypischen Neuroleptika, von<br />

denen immer mehr auf den Markt kommen (und im Laufe der Zeit auch wieder<br />

preiswerter werden) mit einem deutlich geringeren Parkinsonoid-Risiko behaftet.<br />

– Metoclopramid ist ein sehr wirksames und deshalb häufig eingesetztes<br />

Antiemetikum bei Unwohlsein, Übelkeit oder Magenbeschwerden jeglicher Art.<br />

Da es so spontan hilfreich ist, wird es sehr häufig genutzt, vor allem in eigener<br />

Regie.<br />

Zwar müssen hier schon höhere und häufigere Einnahmen vorliegen, um ein<br />

solches Parkinsonoid auszulösen, doch ist bei besonders empfindlichen<br />

Menschen mit allem zu rechnen. Deshalb gehen die Fachleute auch davon<br />

aus, dass der Einsatz von Metoclopramid (mit verschiedenen Handelsnamen,<br />

siehe Hausarzt) wahrscheinlich die häufigste Ursache für ein übersehenes<br />

Parkinson-Syndrom auf medikamentöser Grundlage ist.<br />

– Kalzium-Antagonisten wie Flunarizin und Cinnarizin u.a. werden zur<br />

Behandlung von Schwindelerscheinungen, Gleichgewichts- und Hirndurchblutungsstörungen<br />

sowie zur Migränetherapie eingesetzt. Ein durch diese<br />

Arzneimittel mögliches Parkinsonoid zeichnet sich häufig durch Dyskinesien<br />

(Bewegungsstörungen) und eine Akathesie (Sitz-, Steh- und Geh-Unruhe)<br />

aus.<br />

– Bei den (vor allem trizyklischen, d. h. älteren) Antidepressiva und bei dem<br />

Phasen-Prophylaktikum Lithium zur Rückfallvorbeugung kann es – wenn<br />

auch selten – ebenfalls zu medikamentös bedingten Parkinson-Symptomen<br />

kommen.<br />

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� Wilson-Krankheit<br />

- 77 -<br />

Bei der Wilson-Krankheit (weitere Fachbegriffe: hepatolentikuläre Degeneration,<br />

Pseudosklerose Westphal-Strümpell, Morbus Wilson) handelt es sich um<br />

eine Stoffwechselstörung mit krankhafter Kupferanreicherung in Gehirn, Leber<br />

und anderen Organen.<br />

- Charakteristika: vor dem 40. Lebensjahr (Jugendalter 5 bis 20, Erwachsenenalter<br />

20 bis 40. Lebensjahr). Selten, vererbt.<br />

- Klinisches Bild: Dysarthrie, Dysphagie, Dystonie, selten Pyramidenzeichen.<br />

Ferner Halte-Tremor (selten Ruhe-Tremor) sowie Pseudo-Parkinson-<br />

Syndrom (akinetisch-rigider Typ) mit seelischen und psychosomatischen<br />

Folgen (Verhaltungsstörung, Depression, geistige Einbußen).<br />

- Wichtig: Wenn ein solches, scheinbar so früh auftretendes Parkinson-<br />

Syndrom diagnostiziert wird, muss eine Wilson-Krankheit ausgeschlossen<br />

werden. Denn hier lässt sich etwas erreichen, vor allem durch eine kupferarme<br />

Diät und bestimmte Arzneimittel zur Verminderung der Kupferaufnahme<br />

in Magen und Darm.<br />

� Vergiftungs-bedingtes Parkinson-Syndrom<br />

Auch Intoxikationen (Vergiftungen mit toxischen Stoffen) können ggf. ein<br />

<strong>parkinson</strong>-ähnliches Bild auslösen. Dazu gehören – wie teilweise schon<br />

erwähnt – Mangan-Vergiftungen (z. B. bei Minenarbeitern), Bleivergiftungen<br />

(die häufigste Ursache) sowie Kohlemonoxid, Organophosphate, Quecksilber,<br />

Karbondisulfid, Methanol, Zyanid, Arsen u.a.<br />

Einzelheiten siehe Fachliteratur. Eines aber gilt es grundsätzlich zu bedenken:<br />

Ein toxisch ausgelöstes Parkinson-Syndrom kann auch dann fortschreiten und<br />

sogar chronisch werden, wenn die Ursache schließlich behoben werden<br />

konnte. Auch hier ist also eine rechtzeitige Diagnose und Reaktion (Vergiftungs-Ursache<br />

verhindern) bzw. Therapie der wichtigste Schritt.<br />

� Creutzfeld-Jakob-Krankheit<br />

Die Creutzfeld-Jakob-Krankheit ist eine sehr seltene Hirnerkrankung mit allerdings<br />

raschem Fortschreiten (durchschnittliche Überlebenszeit 6 Monate). Sie<br />

gehört nicht zu den Parkinson-Syndromen, kann aber insofern täuschen, als<br />

es auch hier zu extrapyramidal-motorischen (Bewegungs-)Störungen mit rigorartiger<br />

Erhöhung der Muskelspannung kommen kann. Bei einer neueren Variante<br />

dieses Leidens ist das Erst-Erkrankungsalter niedriger (durchschnittlich<br />

29 Jahre) und der Krankheitsverlauf etwas länger (etwa 13 Monate). Unter-<br />

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- 78 -<br />

schieden werden eine sporadische Form (keine bekannte Risikofaktoren:<br />

überwiegende Mehrzahl der Fälle), eine hereditäre (erbliche) Form sowie eine<br />

iatrogene Form (also durch ärztlichen Einfluss, beispielsweise Kontakt mit<br />

Hirn- und Nervengewebe, Verabreichung bestimmter Hormone, die aus<br />

Leichen-Gehirnteilen gewonnen wurde) sowie ggf. durch neurochirurgische<br />

Instrumente(?).<br />

Die Creutzfeld-Jakob-Krankheit hat auch eine makabre Komponente bzw.<br />

Variante. Sie zählt zu den neurodegenerativ übertragbaren spongioformen<br />

Enzephalopathien, wie man sie auch als „Kuru“ (Lach- und Schüttel<strong>krankheit</strong>)<br />

unter jenen Eingeborenen Westguineas gefunden hat, die sich durch Kannibalismus<br />

ein solches Leiden zugezogen haben (siehe Kontakt mit Hirn- und<br />

Nervengewebe).<br />

� Pseudo-Parkinson-Syndrome<br />

Zu den Pseudo-Parkinson-Syndromen, die also nur scheinbar eine Parkinson-<br />

Krankheit sind oder nachahmen, gehören der Normaldruck-Hydrozephalus,<br />

die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie, die AIDS-<br />

Enzephalopathie, die traumatische Enzephalopathie (Boxer-Enzephalopathie)<br />

sowie die Folgen frontaler (Stirnhirn-)Tumoren. Im Einzelnen:<br />

- Ein Normaldruck-Hydrozephalus ist relativ selten. Es handelt sich um<br />

eine Erweiterung der nervenwasser-haltigen Hirnkammern (abwertender<br />

populärmedizinischer Begriff: „Wasserkopf“), obgleich scheinbar keine<br />

Druckerhöhungen in den Gehirnkammern nachgewiesen werden können, was<br />

sich allerdings bei fortlaufender Druckmessung als Irrtum herausgestellt hat.<br />

Bei den überwiegend älteren Patienten fällt vor allem eine <strong>parkinson</strong>-ähnliches<br />

Gangstörung auf (während die Arme unauffällig mitschwingen und auch die<br />

Fingerbewegungen kaum gestört sind). Deshalb spricht man auch von einem<br />

Parkinson-Syndrom der unteren Körperhälfte (englische Fachbezeichnung:<br />

lower body <strong>parkinson</strong>isme).<br />

Allerdings laufen diese Patienten breitbeiniger und mit großem Unsicherheitsgefühl.<br />

Der Gang ist nicht nur langsam und schlurfend, sondern auch unbeholfen,<br />

als müsste man das Gehen neu erlernen. Die üblichen Parkinson-<br />

Schwierigkeiten wie Start und Blockierung während des Gehens sowie die<br />

Probleme beim Drehen und Anhalten ähneln allerdings der echten Parkinson-<br />

Krankheit. Außerdem belasten eine ungehemmte Blasenentleerung und auf<br />

geistig-psychischer Ebene Orientierungs-, Antriebs- und Gemütsstörungen.<br />

Die Therapie besteht in einem Druckausgleich durch Entlastungspunktion,<br />

d. h. Entnahme von Gehirnwasser, ggf. durch spezielle Entlastungs-Operationen<br />

(Fachbegriff: Shunt).<br />

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- 79 -<br />

- Früher wurde die Diagnose „arteriosklerotisches“ oder „vaskuläres<br />

Parkinson-Syndrom“ sehr häufig gestellt. Ohne die heutigen Untersuchungstechniken<br />

(Computertomographie, Kernspintomographie, Ultraschalldiagnose<br />

u.a.) nahm man allzu zu oft degenerative Hirnerkrankungen an, insbesondere<br />

was ein mögliches „gefäßbedingtes Parkinson-Syndrom“ anbelangt. Heute<br />

weiß man, diese Form ist eher selten.<br />

Auch treten Schlaganfälle beim Parkinson-Patienten nicht häufiger auf wie im<br />

statischen Mittel und selbst der wichtigste Risikofaktor für die Arteriosklerose,<br />

der Bluthochdruck, ist bei diesen Patienten seltener. Oder kurz: Bei den meisten<br />

Parkinson-Kranken mit selbst ausgeprägten Parkinson-Symptomen findet<br />

man kaum gröbere Hinweise auf eine „Verkalkung“ der Hirngefäße.<br />

Etwas anderes ist hingegen die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie,<br />

die auf eine degenerative Hirngefäßerkrankung zurückgeht. Wichtige<br />

Risikofaktoren sind dabei Bluthochdruck, ausgeprägte<br />

Herzrhythmusstörungen und eine Zucker<strong>krankheit</strong>. Diese Patienten entwickeln<br />

in der Tat mehrere kleinere Schlaganfälle in Gehirnbereichen unterhalb der<br />

Großhirnrinde (= subkortikal), was auch jene Gehirnteile einbezieht, die mit<br />

einer Gang- und Standstörung reagieren. Das erinnert dann durch die<br />

breitbeinigen, unbeholfenen und schlurfenden Schritten an ein Parkinson-<br />

Syndrom. Die heutigen Untersuchungsverfahren sowie weitere neurologische<br />

Ausfallserscheinungen und Zeichen lassen die richtige Diagnose jedoch<br />

relativ rasch zu.<br />

- Hirntumor und Parkinson-Syndrom: Je nach Lokalisation (Ort) eines<br />

raumfordernden Prozesses, ob Blutung, vor allem aber Hirntumor, kann es zu<br />

bestimmten Krankheitszeichen und Ausfallserscheinungen kommen. So<br />

lassen sich auch Parkinson-Hinweise durch Hirnabszesse,<br />

Gefäßmissbildungen, Verkalkungen und Blutergüsse finden, wenn auch<br />

selten. So etwas führt mit den heutigen Untersuchungsmöglichkeiten (s. o.)<br />

nicht mehr lange zu Fehl-Diagnosen und damit Fehl-Therapien. Das gilt im<br />

Übrigen nicht nur für Tumore im Gehirn, sondern auch für bösartige<br />

Geschwülste in anderen Bereichen des Körpers, die durch ihre Metastasen<br />

(Tochtergeschwülste) auch im Gehirn Ausfallserscheinungen auslösen<br />

können.<br />

- Parkinson-Syndrom bei Hirnentzündung: Früher sah man ein Parkinson-Bild<br />

bei Enzephalitis (Hirnentzündung) öfter (Beispiel: Encephalitis lethargica).<br />

Heute gibt es so etwas nur noch selten, wenngleich nicht ausschließbar<br />

(durch Viren, Pilze, Tuberkulose, nach Schutzimpfungen). Ähnliches gilt für<br />

erworbene Immunschwächen (AIDS mit Toxoplasmose), für Multiple Sklerose<br />

(MS) und sogar für die Borreliose, was vorübergehende Parkinson-Zeichen<br />

anbelangt.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 80 -<br />

Bekannt ist auch die alte Erkenntnis, dass ein grippaler Infekt, ja eine banale<br />

Erkältung zur vorrübergehenden Verschlimmerung eines Parkinson-Leidens<br />

führen kann (was nach Genesung wieder zurückgeht).<br />

- Posttraumatisches Parkinson-Syndrom (Boxer-Enzephalopathie):<br />

Schädel-Hirn-Verletzungen nach Unfällen, insbesondere mit ausgedehnteren<br />

Hirnschädigungen, können zu einzelnen Parkinson-Symptomen (und weiteren<br />

neurologischen Störungen) führen. Sie nehmen jedoch im weiteren Verlauf<br />

nicht zu, bleiben meist einseitig betont und sind in der Regel auch von deutlicheren<br />

seelischen und psychosozialen Folgen begleitet.<br />

Eine fast schon spektakuläre Aufmerksamkeit errang schließlich eine alte<br />

Sport-Folge (früher ging man ohne gepolsterte Fausthandschuhe aufeinander<br />

los!), nämlich die Boxer-Enzephalopathie oder der Boxer-Parkinsonismus. Er<br />

geht auf viele kleine Blutungen und Gewebequetschungen in bestimmten<br />

Hirnarealen zurück, wie sie durch wiederholte Faustschläge ausgelöst werden<br />

können (was auch einmal durch einen Überfall nicht auszuschließen ist, in der<br />

Regel aber die erwähnten wiederholten Beeinträchtigungen voraussetzt). Begleitet<br />

wird dieses Parkinson-Beschwerdebild mitunter von bestimmten Beeinträchtigungen<br />

des Kleinhirns und einer dementiellen Entwicklung (erworbene<br />

Geistesschwäche).<br />

Einzelheiten zu diesem Phänomen, was vor allem durch berühmte Boxer und<br />

insbesondere den wohl bekanntesten Boxweltmeister, nämlich Muhamed Ali<br />

(Cassius Clay) ins Gespräch geriet, siehe das ausführliche Kapitel über Hirnstörungen<br />

und psychische Folgen.<br />

ANHANG:<br />

RESTLESS-LEGS-SYNDROM UND AKATHISIE<br />

Und schließlich soll noch abschließend zu zwei weiteren Syndromen (also<br />

charakteristischen Leiden aus zusammenpassenden Symptomen) kurz<br />

Stellung genommen werden, weil sie mit der Parkinson-Krankheit gewisse<br />

Berührungspunkte aufweisen.<br />

- Das Restless-legs-Syndrom (RLS) oder Syndrom der unruhigen Beine<br />

ist zwar relativ häufig (1 bis 5%), außerordentlich lästig bis quälend (s. u.) und<br />

leider in Ärztekreisen nicht so bekannt, wie es die wachsende Zahl von<br />

Betroffenen und ihre Beeinträchtigungen nahe legt. Es gehört auch nicht zum<br />

weiteren Parkinson-Kreis, scheint aber auf eine ähnliche Störung<br />

zurückzugehen und kann deshalb mit vergleichbaren Mitteln behandelt<br />

werden wie das Parkinson-Syndrom.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 81 -<br />

Gemeint sind quälende Missempfindungen, vorwiegend in den Beinen und ein<br />

ausgeprägter Bewegungsdrang – zur ungünstigsten Zeit, denn zumeist in<br />

Ruhe und vor allem verstärkt vor dem Einschlafen und gegen Mitternacht.<br />

Die Missempfindungen, vor allem in den Füße und Waden, werden als brennend,<br />

ziehend, kribbelnd, seltener auch als schmerzhaft oder gar krampfartig<br />

beschrieben. Gelindert werden sie, wenn auch unzureichend, durch ständiges<br />

Umdrehen und gymnastische Bewegungen, durch Aufstehen und Umherlaufen,<br />

durch Fußbäder und Massagen. Doch der Leidensdruck wächst und hat<br />

oftmals depressive Verstimmungen, Resignation, Hoffnungslosigkeit,<br />

Verzweiflung und sogar „dunkle Gedanken“ zur Folge (Suizidgefahr).<br />

Die Missempfindungen sind in der Mehrzahl der Fälle mit wiederholt auftretenden<br />

unwillkürlichen Muskelzuckungen in der Beinmuskulatur gekoppelt, und<br />

zwar sowohl im Schlaf als auch im entspannten Wachzustand. Sie gehen<br />

meist mit kurzen Bewegungen im Zehen-, Knie- und mitunter im Hüftgelenk<br />

einher. Deshalb nennt man sie auch periodische Extremitätenbewegungen.<br />

Sie dauern nur wenige Sekunden, wiederholen sich aber innerhalb kurzer Zeit<br />

(also periodisch) und treten mindestens 5 x pro Stunde auf (was dann die<br />

Diagnose sichert).<br />

Die Arme sind nur selten mitbetroffen. Doch es reichen auch die Beinbewegungen,<br />

denn sie stören den Nachtschlaf und führen durch vermehrte Tagesmüdigkeit<br />

zu einem Teufelskreis.<br />

Ursächlich unterscheidet man eine idiopathische sowie symptomatische Form.<br />

Die idiopathische, also ohne nachweisbaren Grund, scheint in etwa der Hälfte<br />

der Fälle auf eine erbliche Belastung zurückzugehen. Die zweite Gruppe<br />

beruht auf einer nachweisbaren Erkrankung, z. B. rheumatische Arthritis,<br />

Eisenmangel, chronische Lungenleiden, entzündliche Muskelerkrankungen,<br />

Schwangerschaft oder Dialyse (wohl eher Nierenleiden). Ähnliches gilt für das<br />

Schlaf-Apnoe-Syndrom, Vitamin B12-Mangel,<br />

Schilddrüsenfunktionsstörungen, die Einnahme von Antidepressiva,<br />

Neuroleptika und Lithium sowie eine Parkinson-Krankheit, die jedenfalls die<br />

unruhigen Beine verstärken können. Auch Alkohol und Koffein können das<br />

Beschwerdebild verschlimmern.<br />

Besonders riskant kann dieses – noch immer allzu lange verkannte – Leiden<br />

für bestimmte Berufsgruppen werden, nämlich Berufskraftfahrer,<br />

Berufspiloten, Lokführer, Arbeiter an gefährlichen Maschinen u.a. Hier kann<br />

sogar die Berufs- oder gar Erwerbsunfähigkeit diskutiert werden.<br />

Die Therapie ist nicht einfach, d.h. bei bekannter Ursache hängt die Linderung<br />

davon ab, wie man das auslösende Krankheitsbildes in den Griff bekommt.<br />

Bei idiopathischen Formen bieten sich jene Arzneimittel an, die auch beim<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 82 -<br />

Parkinson-Syndrom erfolgreich sind (z. B. L-Dopa (retard), Dopaminagonisten<br />

oder - 2. Wahl - Opiate, Benzodiazpine, Carbamazepin u.a).<br />

- Akathisie kommt vom griechischen und bezeichnet die Unfähigkeit zu<br />

sitzen. Wenn es nur das wäre. Es quält nicht nur eine erhebliche innere Unruhe<br />

mit dem Zwang zur ständigen Bewegung, die erst durch Umherlaufen<br />

gemildert wird, es droht auch eine lästige und nach und nach auffallende und<br />

damit stigmatisierende Geh- und Stehunruhe (Hin- und Herrutschen, Beine<br />

übereinander schlagen mit wippenden Bewegungen, Aufstehen, Hin- und Hergehen,<br />

Hinsetzen, manchmal sogar „stampfende“ Fußbewegungen u.a.).<br />

Dazu kommen Missempfindungen und brennende Schmerzen, meist im<br />

Bereich der Beine. Selbst so genannte Vokalisationen, also Lautäußerungen<br />

wie stöhnen, ächzen und brummen sind möglich.<br />

Die Akathisie wurde früher auch häufig mit einer Parkinson-Krankheit in Verbindung<br />

gebracht. Später registrierte man sie vor allem als belastende Nebenwirkung<br />

nach Behandlung mit hoch- und mittelpotenten Neuroleptika (antipsychotisch<br />

wirkende Psychopharmaka), und zwar bei Therapiebeginn als<br />

akute Akathisie und unter Langzeitbehandlung als so genannte tardive Akathisie<br />

(mit sehr begrenzten Behandlungs- bzw. wenigstens Linderungsmöglichkeiten).<br />

Heute findet sich die Akathisie vor allem im Rahmen eines medikamentös ausgelösten<br />

Parkinson-Syndroms (medikamentöses Parkinsonoid – siehe<br />

dieses). Die Behandlung besteht in dieser wenigstens günstigen Form im<br />

Absetzen des auslösenden Arzneimittels – sofern möglich. Lindernd werden<br />

auch bestimmte weitere Arzneimittel versucht (siehe Fachliteratur).<br />

APPARATIVE DIAGNOSTIK DER PARKINSON-KRANKHEIT<br />

Die Diagnose einer Parkinson-Krankheit ist klinisch zu stellen, d. h. durch eine<br />

gezielte Exploration (Befragung) von Patient und Angehörigen sowie eine<br />

fachärztliche (neurologische) Untersuchung.<br />

Aparative Zusatz-Untersuchungen sind zwar hilfreich, können aber den fachärztlichen<br />

Befund weder beweisen noch ausschließen. Sie sind aber wichtige<br />

zusätzliche Informationen, insbesondere was die Einschätzung des weiteren<br />

Verlaufs und eine Abgrenzung gegenüber anderen Krankheitsbildern anbelangt,<br />

die ähnliche Beschwerden machen können (Fachbegriff: Differentialdiagnose).<br />

Die wichtigsten derzeit verfügbaren apparativen Methoden sind: Elektroenzephalogramm<br />

- EEG/Hirnstrombild, visuell, akustisch und motorisch evozierte<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 83 -<br />

Potentiale, Elektrookulographie, Blinkreflex, apparative Tremor- und Bewegungsanalysen,<br />

bildgebende Verfahren wie transkranielle Ultraschallsonographie,<br />

Computertomographie, Magnetresonanztomographie, Positronen-<br />

Emissions-Tomographie (PET), Single-Photon-Emissions-Computertomographie<br />

(SPECT) u.a. Einzelheiten siehe Fachliteratur.<br />

Moderne Methoden zur Frühdiagnose des Morbus Parkinson<br />

Nachfolgend trotzdem einige Hinweise, die zwar nur den Spezialisten, also<br />

Nervenarzt oder Neurologen interessieren dürften, nämlich einige Methoden<br />

zur Frühdiagnose des Morbus Parkinson. Allerdings sind die Fachärzte auf<br />

mehr oder weniger gezielte Informationen durch die betroffenen Patienten und<br />

vor allem ihre Angehörigen angewiesen, was das rechtzeitige Erkennen unklarer,<br />

irritierender, dann aber wenigstens die rechtzeitige Diagnose anregender<br />

Beobachtungen anbelangt. Denn wer nichts merkt, zumindest nicht registriert<br />

bzw. entsprechend reagiert, der sucht auch keinen Arzt auf – und die<br />

Krankheit nimmt ihren Lauf, zuerst unbemerkt und damit mit unnötigem,<br />

manchmal sogar entscheidendem Zeitverlust (je früher, desto erfolgreicher).<br />

Also kann es nicht schaden, auch hier – allgemein verständlich – die neuesten<br />

früh-diagnostischen Methoden anzusprechen, um den Betroffenen und ihrem<br />

Umfeld nützliche Beobachtungs-Anregungen an die Hand zu geben. Ob sich<br />

das dann als bedeutsam oder gar entscheidend heraus stellt oder nicht, das<br />

zu entscheiden ist Aufgabe der Spezialisten. Aber diese können – wie erwähnt<br />

– nur tätig werden, wenn zuvor die Betroffenen „heilsam beunruhigt“ ihren Arzt<br />

um Rat fragen. Um was handelt es sich (nach G. Becker in der Fachzeitschrift<br />

Der Nervenarzt Suppl. 1/2003):<br />

Neben den im bisherigen Leben des Betreffenden eigentlich ungewöhnlichen und<br />

deshalb letztlich abklärungsbedürftigen Gemütsstörungen Angst und Depressionen<br />

sowie den plötzlichen Beeinträchtigungen zweier Sinnesorgane in Form von Riech-<br />

und Sehstörungen (siehe die entsprechenden Kapitel) sind es vor allem folgende<br />

apparative Methoden, die grundlegende Hoffnungen für eine effektive Früh-Diagnose<br />

vermitteln:<br />

- Die transkranielle Sonographie ist ein neues Untersuchungsverfahren, mit dem<br />

das Gehirn zweidimensional dargestellt wevden kann. Dabei weisen 90% der Patienten<br />

mit einem Morbus Parkinson eine deutlich angehobene „Echogenität der<br />

Substantia nigra“ auf, wobei „die Signalsteigerung kontralateral zur stärker betroffenen<br />

Seite ausgeprägter ist“, wie es in der neuroradiologischen Fachsprache<br />

heißt. Oder kurz auf Deutsch: Es lassen sich im Gegensatz zur klinisch gesunden<br />

Allgemeinbevölkerung bemerkenswerte Strukturveränderungen in bestimmten Gehirnbereichen<br />

erkennen, die als früh-diagnostische Maßnahmen genutzt werden<br />

können.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 84 -<br />

Und wiederum in der Fachsprache: „Es scheint eine erhöhte sonographische<br />

Signal-Intensität mit einer Reduktion des dopaminergen Neuronengehaltes in dieser<br />

Hirnregion einher zu gehen. Ursache dafür könnte ein zu hoher Eisen-Gehalt<br />

und die dadurch begünstigte Bildung von zellschädigenden reaktiven Sauerstoffspezies<br />

sein“. Erläuterung: Der so genannte Neurotransmitter Dopamin gehört zu<br />

den wichtigsten Botenstoffen im Gehirnstoffwechsel; seine unzureichende Verfügbarkeit<br />

führt zu einem Teil der Parkinson-Syndrome und muss dann therapeutisch<br />

entsprechend ergänzt werden (siehe später).<br />

- Eine weitere, allerdings aufwendige und kosten-intensive Methode wären nuklearmedizinische<br />

Verfahren. Auch hier ein kurzer neuropathologischer Exkurs: Histopathologische<br />

Untersuchungen (also des krankhaften (Gehirn-)Gewebes) weisen<br />

darauf hin, dass bis zu 10% der über 60-Jährigen in einem prä-diagnostischen<br />

Parkinson-Stadium (Phase II) so genannte Lewy-Körperchen im Bereich der<br />

mehrfach erwähnten Substantia nigra auftreten, die zu einem verstärkten Verlust<br />

bestimmter Nervenzellen (pigmentierter Neurone) führen. Deshalb wäre es nützlich,<br />

mit spezifischen Verfahren eine solche Schädigung vor Ausbruch der ja erst<br />

später eindeutigen Bewegungs-Störungen erkennen zu können.<br />

Dem dienen die oben erwähnten PET- und SPECT-Verfahren, die derzeit als die<br />

genauesten Untersuchungs-Methoden am lebenden Menschen (in-vivo-Methoden)<br />

gelten, was diese Fragestellung anbelangt. Tatsächlich kann in vielen Fällen damit<br />

eine frühe Schädigung des für diese Beeinträchtigungen entscheidenden Gehirn-<br />

Systems mit diesen nuklearmedizinischen Verfahren erkannt werden. Allerdings ist<br />

bis heute nicht ganz klar, ab welchem Schwellenwert man solche Defizite als<br />

auffällig zu bezeichnen hat. Deshalb kommen diese Methoden als Vorfeld-<br />

Untersuchungen heute nicht in Betracht, wohl aber zur Bestätigung einer frühen<br />

Schädigung dieser Gehirn-Strukturen.<br />

- Ein weiterer, derzeit in wissenschaftlicher Bearbeitung stehender Forschungsansatz<br />

richtet sich - auf den ersten Blick irritierend - nicht auf das Gehirn, sondern<br />

auf das Herz. Denn bei der Parkinson-Krankheit sind nicht nur spezielle Nervenzellen<br />

in bestimmten Gehirnregionen betroffen, sondern - und zwar schon in der<br />

Frühphase der Erkrankung - der Vagus-Nerv sowie weitere so genannte sympathische<br />

Nerven (Einzelheiten siehe Fachliteratur).<br />

Hier handelt es sich offensichtlich um eine Schädigungs-Kaskade (also einen<br />

mehrstufigen Ablauf), der nicht nur das zentrale (= Gehirn und Rückenmark), sondern<br />

auch das so genannte periphere Nervensystem (z. B. Herz- und anderen<br />

Nervenleitbahnen) außerhalb des Gehirns betrifft. Spezifische Gewebeuntersuchungen<br />

könnten also ggf. in einem noch nicht erkannten Früh-Stadium auf eine<br />

Parkinson-Krankheit „im Wartestand“ hinweisen.<br />

Zusammenfassend wird auf jeden Fall eines klar: Es gibt bereits Verfahren<br />

und man arbeitet an ihrer Perfektionierung, die eine relativ frühe Diagnostik<br />

des Morbus Parkinson ermöglichen, und zwar bevor die sonst typischen<br />

Symptome gemüts- und bewegungsmäßig und damit partnerschaftlich,<br />

familiär und vor allem beruflich zu belasten beginnen. Damit sind natürlich<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 85 -<br />

auch die Behandlungs-Chancen ungleich größer (nochmals: je früher, desto<br />

besser).<br />

ZUR THERAPIE DER PARKINSON-KRANKHEIT<br />

Eine kausale Behandlung (vom lateinischen: causa = Grund, Ursache), d. h.<br />

die eigentlichen Ursachen des Leidens betreffende Therapie ist bis heute nicht<br />

möglich. Was man nicht (genau) weiß, kann man auch nicht gezielt<br />

behandeln. Immerhin bleibt noch die Möglichkeit der symptomatischen<br />

medikamentösen Therapie und die ist erfolgreicher denn je, vor allem was die<br />

Lebensqualität der Patienten und Angehörigen betrifft. Sie setzt sich<br />

zusammen aus medikamentöser Behandlung, Krankengymnastik, Logopädie,<br />

Ergotherapie, aus sozialmedizinischer und psychologischer Beratung und –<br />

falls notwendig – aus operativen Maßnahmen. Im Einzelnen (nach R. Thümler,<br />

H. Reichmann, W. Jost, W. Vogel, J. Schwarz, A. Storch u.a. – siehe<br />

Fachliteratur):<br />

� MEDIKAMENTÖSE PARKINSON-BEHANDLUNG<br />

Die medikamentöse Behandlung der Parkinson-Krankheit ist die wichtigste<br />

Therapie-Säule, auch wenn sie – wie oben erwähnt – bisher nur symptomatisch<br />

möglich ist, d. h. die Symptome, nicht die Krankheitsursache angeht, dies<br />

aber wenigstens erfolgreich.<br />

Das wichtigste Therapieprinzip einer Arzneimittel-Behandlung ist die Substitution<br />

von Dopamin.<br />

Unter einer Substituation versteht man in diesem Fall die Ersetzung, also eine<br />

Art Nachschub von Substanzen an denen es offenbar mangelt. Dies ist vor<br />

allem der Neurotransmitter, also Botenstoff im Stoffwechsel des Gehirns<br />

namens Dopamin.<br />

Diesen Dopamin-Mangel (auf den die meisten, nach neueren Erkenntnissen<br />

aber bei Leibe nicht alle(!) Symptome einer Parkinson-Krankheit<br />

zurückgehen), versucht man dadurch auszugleichen,<br />

- dass man eine Vorstufe des Dopamins, nämlich L-Dopa (Levo-Dopa) –<br />

sparsam eingesetzt, um Spätfolgen zu vermeiden – hinzuführt,<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 86 -<br />

- dass man den Abbau von L-Dopa bzw. Dopamin durch so genannte MAO-<br />

B-Hemmer sowie COMT-Hemmer zu hemmen versucht bzw.<br />

- die Dopamin-Rezeptoren (also die reizempfindlichen Enden der entscheidenden<br />

Nervenfasern) direkt stimuliert, und zwar mit so genannten<br />

Dopamin-Agonisten. Sie scheinen sich vor allem in der Frühbehandlung der<br />

Parkinson-Krankheit zu bewähren, zumal sie auch deutlich weniger Nebenwirkungen<br />

(insbesondere Dyskinesien) auslösen als L-Dopa. Diese Arzneimittel<br />

werden in absehbarer Zeit wohl nicht nur als Tabletten u.a., sondern<br />

auch als Pflaster zur Verfügung stehen.<br />

Damit versucht man den <strong>krankheit</strong>s-entscheidenden Mangel an Dopamin<br />

direkt oder indirekt auszugleichen.<br />

Substanzen, die das Dopamin-System also durch Substitution (Ergänzung),<br />

Abbaublockade (die entscheidenden Substanzen gleichsam nicht unnötig zu<br />

verschwenden) oder durch direkte Stimulation der Dopamin-Rezeptoren<br />

(Empfindlichkeits-Verbesserung) stärken, werden meist unter dem Begriff der<br />

Dopaminergika oder Dopaminmetika zusammengefasst.<br />

„Während man früher noch glaubte, dass die Parkinson-Erkrankung eine<br />

reine Dopamin-Mangel-Krankheit ist, weiß man heute, dass auch das glutamaterge,<br />

adrenerge, noradrenerge, serotonerge, cholinerge und wohl weitere<br />

Transmittersysteme in ihrer Balance gestört sind. Aus der Grundlagenforschung<br />

sind darüber hinaus neue Erkenntnisse zur Entstehung des nigralen<br />

Zelltodes bekannt ..., so dass es vermessen wäre, darauf zu hoffen, dass ein<br />

einzelnes Medikament alle Mechanismen korrigiert und somit zur Behandlung<br />

multipler Transmitterstörungen ausreichen würde“ (H. Reichmann, psychoneuro<br />

29 (2003) 442).<br />

Eine Besserung des Beschwerdebildes ist auch durch nicht-dopaminhaltige,<br />

aber dennoch gezielt wirksame Substanzen möglich, z. B. über das cholinerge<br />

System (Wirkstoffe: Anticholinergika) und das glutamaterge-System (Wirkstoffe:<br />

NMDA-Rezeptor-Antagonisten).<br />

Dies zum neurophysiologischen, d. h. den Gehirnstoffwechsel betreffenden<br />

Hintergrund. Weitere Einzelheiten würden hier aber zu weit führen. Denn dies<br />

ist das ureigene Gebiet der behandelnden Ärzte (Neurologe, Nervenarzt, Psychiater,<br />

Allgemeinarzt bzw. hausärztlich tätiger Internist), die den Patienten<br />

und ihren Angehörigen dann auch die entsprechenden Informationen zukommen<br />

lassen.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 87 -<br />

Weitere Einzelheiten siehe Spezial-Literatur (die es nebenbei auch von den<br />

Experten selber als allgemein-verständliche Beiträge gibt), am günstigsten<br />

aber vom behandelnden Arzt.<br />

� OPERATIVE PARKINSON-BEHANDLUNG<br />

Das Gleiche gilt für die operative Parkinson-Behandlung, also neurochirurgische<br />

Maßnahmen (Fachbegriffe: Stereotaxie, Hochfrequenzstimulation bzw.<br />

tiefe Hirnstimulation sowie Neurotransplantation). Sie kommen ohnehin nur für<br />

jene Patienten in Betracht, bei denen mit medikamentösen Maßnahmen keine<br />

befriedigenden Ergebnisse erreicht werden konnten, vor allem was die Spätkomplikationen<br />

des Leidens anbelangt.<br />

Einzelheiten deshalb auch hier siehe Fachliteratur bzw. Fachärzte oder auch<br />

die Deutsche Parkinson-Vereinigung. Da das Interesse in letzter Zeit aber<br />

vor allem zu den in Entwicklung begriffenen neuen Behandlungsmethoden:<br />

1. „stereotaktische Interventionen“ und 2. „Neurorestauration durch Zellersatz<br />

und endogene Regeneration“ spürbar zugenommen hat, nachfolgend einige<br />

Stichworte im Kasten.<br />

Stereotaktischen Interventionen<br />

Zu den stereotaktischen Interventionen (Fachbegriff) gehört vor allem die „tiefe<br />

Hirnstimulation“. Das ist ein mechanischer Eingriff durch Elektroden (dünne<br />

Drähte) in Vollnarkose durch einen Neurochirurgen in bestimmte Hirnregionen.<br />

Diese werden elektrisch vorübergehend „ruhiggestellt“. Die heute am meisten<br />

inaktivierte Gehirnregion ist der so genannte Nucleus subthalamicus. Damit ist<br />

es möglich, die wichtigsten Bewegungs-Beeinträchtigungen der Parkinson-<br />

Krankheit, nämlich Bradykinese und Rigor sowie – etwas schwächer – den<br />

Tremor zu verringern (man spricht von 30 bis 70%). Außerdem lässt sich die<br />

Dosis der medikamentösen L-Dopa-Behandlung deutlich senken. Und auch<br />

andere lästige bis quälende Symptome nehmen offenbar ab.<br />

Dieser Eingriff ist unter den heutigen technischen Bedingungen „komplikationsarm“.<br />

D. h. Blutungen oder Infektionen im Gehirn sind lediglich in 1 bis 4%<br />

der Fälle zu erwarten. Bei etwa 10% der Operierten muss aber mit psychischen<br />

Veränderungen gerechnet werden.<br />

Die „tiefe Hirnstimulation“ hat den Vorteil, dass sie kein Hirngewebe zerstört,<br />

sondern nur die Funktion bestimmter Nervenzellen beeinflusst. Leider lässt<br />

sich damit das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit nicht aufhalten. Auch<br />

eignet sich nicht jeder Betroffene für diesen Eingriff (z. B. nicht bei hohem<br />

Alter, eingeschränkter geistiger Leistungsfähigkeit und bestimmten Begleit-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 88 -<br />

erkrankungen). Auch ist nach der Operation für eine gewisse Zeit eine engmaschige<br />

fachärztliche Nachbetreuung erforderlich.<br />

Insgesamt aber sind sich die Fachärzte einig: Die „tiefe Hirnstimulation“ hat<br />

zur überzeugenden Besserung der Parkinson-Symptomatik geführt und ist<br />

mittlerweile eine akzeptierte Behandlungsmethode. Offen bleibt die Frage, ob<br />

man – wie bisher – nur weit fortgeschrittene Fälle einbeziehen oder dieses<br />

operative Verfahren früher nutzen soll. Hier stehen noch entsprechende<br />

Langzeit-Rückblicke aus (bisher überschaut man etwas mehr als 10 Jahre).<br />

Transplantation von embryonalen Zellen und Stammzellen<br />

Die – so die Fachbegriffe – Neurorestauration durch Zellersatz und endogene<br />

Regeneration kann auf eine noch nicht so lange Erfahrung zurückblicken und<br />

hat auch ethische Klippen zu überwinden. Der Morbus Parkinson ist ja durch<br />

die fortlaufende Degeneration (krankhafter Abbau) dopaminerger Neuronen in<br />

einer bestimmten Hirnregion namens Substantia nigra pars compacta charakterisiert.<br />

Das führt zu einem Mangel des Botenstoffs Dopamin in dem Gehirnteil<br />

Striatum mit den bekannten Bewegungseinbußen (s.o.). Deshalb hat man<br />

sich schon früh überlegt, ob man nicht diese untergegangenen oder<br />

erkrankten dopaminergen Nervenzellen auf irgendeine Weise ersetzen<br />

könnte. So etwas ist beispielsweise möglich mit der intrastriatalen<br />

Transplantation von primärem, embryonalem, humanem, mesenzephalem<br />

Gewebe, das bekanntlich reich an dopaminergen Neuronen ist. Einzelheiten<br />

zu dieser regenerativen Therapie siehe Fachliteratur.<br />

Leider ist diese Technik bisher noch nicht so ausgereift, dass sie zu weiterreichenden<br />

konkreten Hoffnungen Anlass geben könnte. Dabei wirft sie nicht<br />

nur eine Reihe wissenschaftlicher, vor allem logistischer, sondern eben auch<br />

ethischer Fragen auf.<br />

Hoffnungsvoll erscheinen jedoch die Überlegungen der Wissenschaftler, die<br />

feststellen: Die kontrollierte Produktion von dopaminergen Neuronen erscheint<br />

technisch möglich. Auch hat das erwachsene Gehirn des Menschen<br />

zumindest eine begrenzte regenerative Möglichkeit, ähnlich wie in jüngeren<br />

Entwicklungsstadien. Denn darauf kommt es an. Man will ja nicht nur<br />

ersetzen, man will auch zur „Eigen-Produktion“ anregen. Bisherige<br />

Untersuchungen stützen sich vor allem auf Tier-Experimente. Die Frage lautet:<br />

Inwieweit ist dies auf den Menschen übertragbar und nochmals: ist es auch<br />

ethisch vertretbar (nach Aktuelle Neurologie Suppl.2, Bd.30/2003 und<br />

psychoneuro 29/2003).<br />

� NICHT-MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 89 -<br />

Zu den nicht-medikamentösen Behandlungsformen, auch konservative Therapiearten<br />

genannt, gehören Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und psychosoziale<br />

Betreuung.<br />

Das sind nach heutiger Erkenntnis nicht nur wichtige Ergänzungen, sondern<br />

wesentlicher Bestandteil im langfristigen Gesamt-Behandlungskonzept der<br />

Parkinson-Krankheit. Sie müssen individuell angepasst werden, was Krankheitsstadium,<br />

Art des Leidens, Persönlichkeitsstruktur und sonstige (psychosoziale)<br />

Bedingungen, vor allem aber auch das Alter anbelangt. Sie stehen<br />

heute, repräsentiert von den jeweiligen speziell ausgebildeten Experten, praktisch<br />

überall zur Verfügung und optimieren das derzeitige<br />

Behandlungsangebot in einer Weise, wie man sich dies vor einigen<br />

Jahrzehnten noch nicht hätte vorstellen können. Im Einzelnen:<br />

– Physiotherapie<br />

PhysiotherapeutenInnen (früher als KrankengymnastInnen bezeichnet) sind<br />

die Spezialisten der physikalischen Therapie, auch als Physiotherapie bezeichnet.<br />

Das ist die Anwendung physikalischer Reize im weitesten Sinne zur<br />

Vorbeugung, Therapie und Rehabilitation. Dazu gehören Wärme- und Kältebehandlungen,<br />

Wasseranwendungen (Hydrotherapie), Bewegungs- und Massagetherapien,<br />

die Anwendung von Elektrizität (Elektrotherapie), von Heilquellen<br />

(Balneologie), Klima-, Licht - u.a. Behandlungsverfahren.<br />

Ziel der Physiotherapie beim Parkinson-Syndrom ist die Erhaltung und Förderung<br />

der verbliebenen Bewegungsfähigkeit, um vor allem die Bewegungsabläufe<br />

neu einzuüben. Damit unterscheiden sich die Übungsprogramme bei<br />

Parkinson-Patienten deutlich von der Krankengymnastik anderer neurologischer<br />

Leiden (z. B. Schlaganfall, denn hier handelt es sich nicht um Lähmungen,<br />

denn die Bewegungen des Parkinson-Kranken mögen zwar verlangsamt<br />

sein, jedoch weitgehend im gewohnten Kräfte-Rahmen).<br />

Dabei wird das krankengymnastische Programm möglichst individuell erstellt,<br />

je nach den entsprechenden Bedingungen (Alter, Schwerpunkt der Behinderung,<br />

sonstige Beeinträchtigungen). Manche Patienten tun sich schwer, sollten<br />

aber wissen (und ihre Angehörigen auch): Leichte bis mäßige körperliche Belastungen<br />

sind auch für den Parkinson-Patienten unbedenklich, fördern außerdem<br />

die Herz-Kreislauf-Funktionen und damit Ausdauer, Wohlbefinden und<br />

sogar die geistige Leistungsfähigkeit. Was die jeweiligen Schwachpunkte anbelangt,<br />

so werden sie für spezielle Übungsabläufe gemildert, die später<br />

selbstständig (oder ggf. mit Unterstützung des Umfeldes) und vor allem regelmäßig<br />

durchgeführt werden sollen.<br />

Hilfreich ist dabei auch eine Parkinson-Selbsthilfegruppe, nützlich nicht nur<br />

durch die dort angebotene Gruppengymnastik, sondern auch durch die Er-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 90 -<br />

kenntnis, nicht alleine zu sein, sich nicht unnötig einer Rückzugs- und damit<br />

Isolationsgefahr preis zu geben. Auch erfährt man dort am meisten über Hilfsmittel<br />

und -geräte.<br />

Das Wichtigste aber ist ein regelmäßiges Training. Zeitlich begrenzte physiotherapeutische<br />

Maßnahmen, und seien sie noch so intensiv, bringen auf<br />

Dauer nichts, wenn sie der Patient nicht selber fortzuführen gewillt ist.<br />

Einzelheiten zur den spezifischen krankengymnastischen Übungsprogrammen<br />

siehe die spezielle Literatur, insbesondere was Startprobleme, Gleichgewicht,<br />

Blockierungen, vermeintliche Hindernisse wie Bodenwellen, Türschwellen,<br />

Bordsteinkanten, Teppiche, enge Durchgänge, Sturzrisiko u.a. und entsprechende<br />

Tricks anbelangt, mit denen man Behinderungen erstaunlich erfolgreich<br />

neutralisieren kann (z. B. lautes Zählen, Kommandos, kurzer Schlag auf<br />

den Oberschenkel, Marschmusik, Metronom, Freezing-Stock, Laserpointer als<br />

optische Hilfe usw.). Ähnliches gilt für Schwimmen, Massage und Sport jeglicher<br />

Art, sofern angepasst und erst einmal physiotherapeutisch kontrolliert.<br />

– Anhang: Bewegungstipps für Parkinson-Betroffene<br />

Viele Parkinson-Patienten befürchten, dass körperliche bzw. sportliche Betätigung<br />

ihren Zustand verschlechtern könnte. Diese Sorge ist nicht nur unbegründet,<br />

das Gegenteil ist der Fall. Was sollte man beachten (modifiziert nach<br />

ZNS-Spektrum 1/2003) ?<br />

- Als erstes sollte man vermeiden, alle neu auftretenden körperlichen Einschränkungen<br />

auf seine Parkinson-Krankheit zurückzuführen. Vieles hängt<br />

auch mit dem zunehmenden Alter zusammen, beispielsweise die Abnahme<br />

von Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit sowie Gelenkbeschwerden und Osteoporose.<br />

Vor allem altersbedingte körperliche Leistungseinbußen lassen sich ja<br />

durch ein vernünftiges Training deutlich verlangsamen (nicht beheben, nicht<br />

bessern, aber verlangsamen, man sollte zwar bescheiden, aber auch konstruktiv<br />

optimistisch und aktiv sein!).<br />

- Parkinson-Kranke spüren ihr Leiden oft in Ruhe weniger als bei Bewegung.<br />

Deshalb neigen sie dazu, sich übermäßig zu schonen. Hierdurch verstärken<br />

sich aber manche Probleme unnötig. Beispiele: Weiterer Muskelschwund,<br />

mangelndes Herz-Kreislauf-Training.<br />

Also sollte man sich nicht zu übermäßiger Schonung verleiten oder überreden<br />

lassen. Das beste ist eine sportmedizinische Untersuchung und Beratung, die<br />

Hausarzt oder Neurologe in die Wege leiten können. Dabei wird auch die<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 91 -<br />

Kreislaufregulation überprüft. Denn Parkinson-Kranke neigen bekanntlich zu<br />

Blutdruckabfall (vor allem beim Aufstehen oder nach Mahlzeiten). Bei einigen<br />

passt sich der Puls nicht flexibel genug dem Ausmaß der körperlichen Belastung<br />

an.<br />

- Deshalb sollte man mindestens zwei Mal in der Woche trainieren, optimal<br />

sind sogar drei Trainings-Einheiten. Mit spürbaren Leistungssteigerungen darf<br />

man allerdings erst nach ein bis zwei Monaten rechnen. Auch sollte man pro<br />

Übungseinheit nicht länger als 45 bis 60 Minuten trainieren. Bekanntlich ist<br />

vorher und nachher auch genügend Zeit zum Umkleiden einzuplanen.<br />

Intensität und Dauer der Übungen sollten langsam erhöht werden, damit sich<br />

der Organismus anpassen kann. Besonderer Wert ist auf Übungen zu legen,<br />

die Beweglichkeit, Gleichgewichtsvermögen, Kraft, Körperhaltung, Koordination<br />

unterschiedlicher Aufgaben sowie den Start und den Wechsel von Bewegungen<br />

(vorwärts, rückwärts, seitwärts Laufen) fördern. Das geht am besten<br />

durch dauerhaften Sport-Einsatz, da die Trainingserfolge sonst innerhalb weniger<br />

Wochen und Monate wieder komplett verloren gehen.<br />

- Günstig ist der Anschluss an eine Parkinson-Sportgruppe (die Adressen<br />

über Hausarzt, Neurologen oder die Deutsche Parkinson-Vereinigung – siehe<br />

im Anhang). Solche Gruppen werden meist von erfahrenen und speziell ausgebildeten<br />

Übungsleitern betreut. Wenn der behandelnde Arzt eine Verordnung<br />

über Rehabilitationssport ausstellt, kann der betreffende Sportanbieter<br />

die Kosten des Trainings teilweise der Krankenkasse in Rechnung stellen.<br />

Gruppen haben auch den Vorteil, dass sie vor sozialem Rückzug schützen,<br />

entsprechende Ängste nehmen und durch gemeinsame Sportspiele wieder<br />

Spaß an entsprechenden Aktivitäten ermöglichen. Gut wäre es, einer Gruppe<br />

anzugehören, deren Mitglieder ungefähr das gleiche Beeinträchtigungs-<br />

Ausmaß zu ertragen haben. So beugt man Über- oder Unterforderungen vor,<br />

von den resignativen, pessimistischen oder gar deprimierten Reaktionen ganz<br />

zu schweigen. Auch lassen sich dadurch leichter Partner-Übungen realisieren.<br />

- Die sportlichen Angebote sind aber nicht nur dazu da, um Beweglichkeit<br />

oder Fitness auf einem möglichst hohen Niveau zu halten. Sportliches<br />

Training verhindert auch Komplikationen als Folge von Bewegungsmangel.<br />

Beispiele: Haltungsschäden, Muskelschwund, Kreislaufschwäche,<br />

Übergewicht, Atemwegsprobleme.<br />

Neurophysiologische Erkenntnisse sprechen beispielsweise dafür, dass für<br />

das bekanntlich mühsame Aufstehen des Parkinson-Kranken eine besondere<br />

Schwäche der Hüftmuskulatur verantwortlich ist (wobei die Schwäche in den<br />

Kniegelenken weitaus weniger problematisch zu sein scheint). Offenbar ent-<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 92 -<br />

wickeln die meisten Parkinson-Patienten im Hüftgelenk nur 70% jener Kraft,<br />

die Gesunden zur Verfügung steht. Das heißt aber, dass man sich sowohl<br />

krankengymnastisch als auch im persönlichen Engagement vor allem auf ein<br />

Krafttraining der Beine, insbesondere der Muskeln im Bereich des Hüftgelenkes<br />

konzentrieren sollte.<br />

Auch ein anderes Untersuchungsergebnis bestätigt eine alte Erfahrung: Massagen<br />

(von etwa je 30-minütiger Dauer) scheinen sich nicht nur besonders<br />

günstig auf die Alltagsbewältigung und den Schlaf von Parkinson-Kranken<br />

auszuwirken, sie verringern auch im Urin die Konzentrationen der Stress-<br />

Hormone Adrenalin und Nor-Adrenalin, oder kurz: Massage entspannt – vor<br />

allem den Parkinson-Kranken mit seinen individuellen, aber eben auch nachvollziehbaren<br />

Stress-Problemen in der Bewältigung eines Alltags, was den<br />

Gesunden gar nicht als besondere Leistung auffällt (nach ZNS-Spektrum<br />

4/2003).<br />

Auch beugt der Ausdauersport einer ohnehin allseits zunehmenden und beim<br />

Parkinson ja besonders lästigen „chronischen Müdigkeit“ oder gar Mattigkeit<br />

vor und hilft sogar eine Depression zu verhindern (siehe die entsprechenden<br />

Kapitel). Noch günstiger ist es, sich durch passende Musik rhythmisch<br />

stimulieren zu lassen.<br />

- Schließlich geht es darum, selber herauszufinden, welche sportlichen Angebote<br />

besonders zusagen oder nützlich sind. So hat beispielsweise Wassergymnastik<br />

für einige Patienten durchaus Vorteile, vor allem beim Training in<br />

warmem Wasser (27 bis 31 °C), da sich dort die Muskulatur besonders gut<br />

entspannt und auch die Körperwahrnehmung verbessert wird. Auch ist die<br />

Überwindung des Wasserwiderstandes eine angenehme Form von Krafttraining,<br />

wobei man aber ausschließlich im Nichtschwimmer-Becken und in der<br />

Nähe von Haltegriffen trainieren sollte.<br />

- Zuletzt der Rat, der jedem einleuchtet, aber nicht immer umgesetzt wird,<br />

nämlich die zeitliche Abstimmung von sportlicher Aktivität und Medikamenten-<br />

Einnahme. Beides sollte so gelegt werden, dass die Trainingszeit möglichst in<br />

die Phase der stärksten Medikamenten-Wirkung fällt (so genannte „On-<br />

Phasen“). Auch wird der Haus- oder Nervenarzt entscheiden müssen, ob bei<br />

intensiver sportlicher Betätigung die Anti-Parkinson-Medikation entsprechend<br />

angepasst (z. B. bei L-Dopa) werden muss (modifiziert nach ZNS-Spektrum<br />

1/2003).<br />

– Ergotherapie<br />

Die Ergotherapie bemüht sich um die Förderung und Wiederherstellung eingeschränkter<br />

körperlicher, seelischer, geistiger und psychosozialer Funktionen.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 93 -<br />

Sie sollte nicht mit dem früher gebräuchlicheren Begriff „Beschäftigungstherapie“<br />

verwechselt werden, zumal sie ein weitaus größeres Aufgaben-Spektrum<br />

wahrnimmt. Wichtigstes Ziel ist die größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag,<br />

d. h. zu Hause und – wenn noch im Berufsleben stehend – am Arbeitsplatz.<br />

Bei Parkinson-Patienten geht es vor allem um das Training der so genannten<br />

feinmotorischen Leistungsfähigkeit und die Aufrechterhaltung bzw. Koordination<br />

des Gleichgewichts. Stehen Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen<br />

im Vordergrund, nutzt die Ergotherapie neuropsychologisch<br />

orientierte Trainingsmethoden, z. B. ein Hirnleistungstraining. Wichtig ist auch<br />

die Motivation, d. h. Ermunterung, Zuspruch und vor allem Geduld (und die<br />

Fähigkeit, sich von einer möglicherweise negativen Sichtweise des<br />

Betroffenen nicht anstecken zu lassen, eine Empfehlung, die für alle im<br />

Umfeld der Parkinson-Erkrankten gilt).<br />

Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass der Leistungsgrad zwar kontinuierlich,<br />

aber angepasst gesteigert werden soll. Überforderungen führen rasch zu Resignation,<br />

Depressivität, Miss-Stimmung, Reizbarkeit, kurz: der Patient, seine<br />

Angehörigen und Therapeuten geben vielleicht auf. Das gilt es zu verhindern<br />

bzw. rechtzeitig zu erspüren, ob sich so eine Entwicklung anzubahnen droht.<br />

Die Alltags-Aktivitäten bzw. ihre entsprechenden Übungen umfassen vor allem<br />

Körperpflege, An- und Auskleiden, das selbstständige Essen und die Haushaltsführung.<br />

Dem dienen vor allem manuelle Therapieverfahren (vom lateinischen:<br />

manus = Hand), d. h. Malen, Plastilieren, Bastelarbeiten u.a. Sie<br />

mögen auf den ersten Blick schlicht, unterfordernd, vielleicht sogar<br />

diskriminierend einfältig wirken, sind aber äußerst nützliche Hilfsmittel und<br />

müssen – wie der Therapieverlauf rasch zeigen wird – in Einzelfällen<br />

überhaupt erst wieder erlernt werden, vom fortlaufenden Training und vor<br />

allem von der Erhaltung dieser Fähigkeiten ganz zu schweigen.<br />

Bei den kognitiven Störungen gibt es spezielle Übungsmaterialien zum Gedächtnistraining,<br />

auch als „Hirn-Jogging“ bekannt. Dabei kommen inzwischen<br />

auch verschiedene Computerprogramme zum Einsatz. Trainiert werden vor<br />

allem Gedächtnisleistung, Konzentrationsfähigkeit sowie Denk- und Handlungsabläufe.<br />

Und ein letzter Aspekt ist bedeutsam und fällt im erweiterten Sinne ebenfalls in<br />

den Aufgabenkatalog der Ergotherapie: Der Patient (und seine Angehörigen)<br />

müssen fortlaufend (Stichwort: leidenschaftslos, aber beharrlich) dazu ermuntert<br />

werden, die Geselligkeit weiterzuführen und die alten Hobbies zu pflegen.<br />

Sicherlich, der Kräfte- und vor allem Zeitaufwand sind ungleich größer geworden,<br />

aber das Ergebnis rechtfertigt jeglichen Einsatz und wirke er auf den<br />

ersten Blick noch so mühsam oder gar frustrierend.<br />

– Logopädie<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 94 -<br />

Die Logopädie befasst sich mit Stimm-, Sprach- und Sprechstörungen. Dazu<br />

gehören auch Lesen, Schreiben und der Umgang mit Zahlen. Parkinson-<br />

Patienten haben in dieser Sparte ebenfalls Probleme, nämlich ihre<br />

charakteristischen Stimm- und Sprechstörungen (Fachbegriff:<br />

Dysarthrophonie). Schuld daran sind Störungen der Artikulation (die Formung<br />

der Sprachlaute durch koordiniert abgestimmte Bewegungen von<br />

Mundhöhlenwandung, Lippen, Zähnen, Zunge, Gaumensegel, Rachen und<br />

Kehlkopf), der Phonation (Tonbildung im Kehlkopf durch Einatmungsluft und<br />

entsprechende Bewegung der Stimmbänder), der Atmung u.a.<br />

Da sich die Stimm-, Sprach- und Sprechstörungen im zwischenmenschlichen<br />

Bereich, d. h. im Alltag besonders negativ auswirken können und zu entsprechender<br />

Resignation bzw. schamhaftem Rückzug mit Isolationsgefahr führen,<br />

nachfolgend eine etwas ausführlichere Darstellung des Problems und seiner<br />

logopädischen Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Die Dysarthrophonie bei Parkinson-Kranken wird durch folgende Beeinträchtigungen<br />

nachvollziehbar:<br />

- leise, monotone Sprechweise (Fachbegriffe: Hypophonie, Monotonie)<br />

- Störung in der Formung der Sprachlaute (Dysarthrie)<br />

- rasche Ermüdbarkeit der Stimme<br />

- veränderte Sprachmelodie (Prosodie)<br />

- Stimmtremor (zittrige Stimme)<br />

- verlangsamter oder beschleunigter Silbenfluss<br />

- Dyskinesien (Bewegungsstörung) im Mund-Zungen-Bereich<br />

- Sprechblockade (Fachbegriff: Freezing („Vereisung“) des Sprechens)<br />

- beschleunigtes Sprechen (Fachbegriff: „Festination“ des Sprechens)<br />

Die ungewöhnliche Sprachmelodie, d. h. eigenartige Betonung beim Sprechen<br />

und die unerwarteten Pausen dazwischen gehen einerseits auf die gestörte<br />

Atemtechnik, andererseits auf den Rigor, also den erhöhten Spannungszustand<br />

der Schlundmuskulatur zurück. Die Störung der Artikulation, also die<br />

Formung der Sprachlaute dagegen wird vor allem der erhöhten Muskelspannung<br />

der Zungen- und Mundmuskulatur angelastet. Der Silbenfluss, auch als<br />

Sprachrate bezeichnet, kann verlangsamt, beschleunigt oder normal sein und<br />

auch seine Geschwindigkeit (Sprachfluss-Frequenz) verändern. Bewegungsstörungen<br />

im Mundbereich, vermehrter Speichelfluss oder Mundtrockenheit<br />

können das Sprechen natürlich zusätzlich behindern. Je früher die<br />

erfolgreiche medikamentöse Gesamt-Behandlung, desto erträglicher auch die<br />

Sprechstörungen.<br />

Wird es aber in diesem Bereich immer enger, d. h. kommt es zu Verständigungs-Problemen<br />

im Alltag und damit zu den befürchteten psychosozialen<br />

Reaktionen (insbesondere Rückzug und Isolationsgefahr), ist die Logopädie<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 95 -<br />

gefordert, zumal ja neben der Sprechstörung auch noch eine verminderte<br />

Mimik und Gestik das Gesamtbild beeinträchtigt (und das weiß der Patient –<br />

und der Teufelskreis ist programmiert).<br />

Die Logopädie beim Parkinson-Syndrom zielt deshalb auf eine bessere Koordination<br />

von Atmung und Stimmproduktion, auf die Beeinflussung der<br />

Sprachmelodie, auf die Motivation, sich dem zwischenmenschlichen Kontakt<br />

zu stellen und sei es noch so mühsam oder frustrierend und auf die Behandlung<br />

von Kau- und Schluckstörungen ab. Beteiligt sind neben Logopäden auch<br />

Sprachtherapeuten (z. B. Sonderpädagogen mit Schwerpunkt Sprachtherapie)<br />

und Neurolinguisten (Sprechwissenschaftler), die – jeder auf seinem Gebiet –<br />

unterschiedliche Methoden und Techniken zur Förderung zwischenmenschlicher<br />

Kontakte erarbeitet haben, was sich dann auch für den Parkinson-<br />

Betroffenen auszahlt.<br />

Allerdings ist ein länger anhaltender Erfolg nur bei sehr motivierten und geistig<br />

nicht (allzu sehr) eingeschränktenn Patienten zu erwarten. Und wenn das<br />

Umfeld einbezogen wird und aktiv mitmacht.<br />

Aktiv heißt aber für die anderen: Sich ständig daran erinnern, dass man sich<br />

beim Kontakt mit Parkinson-Patienten für ein Gespräch Zeit lassen muss,<br />

dass man lernen sollte zuzuhören, auch wenn es noch so „stockend daher<br />

kommt“. Und dass man vor allem vermeiden sollte, die ja offensichtlich<br />

mühsam formulierten Sätze ständig abzuschneiden um sie selber zu Ende zu<br />

führen. Beziehungsweise in jeder Hinsicht spüren zu lassen, dass das<br />

Gespräch als mühsam, zeitraubend oder gar wenig ergiebig empfunden wird.<br />

Denn auch hier gilt der Satz: Die Form ist ein Teil des Inhalts.<br />

Deshalb müssen Parkinson-Patienten ihre verbliebenen Sprechfunktionen<br />

auch ständig trainieren, vor allem was die alltägliche Kommunikation anbelangt.<br />

Dazu gehören so genannte mund-motorische Übungen (z. B. vor dem<br />

Spiegel), Sprechübungen mit lautem Sprechen sowie die Kontrolle der<br />

Sprechgeschwindigkeit und Sprachmelodie (evtl. mit akustischer Taktgebung).<br />

Und natürlich Atem- und Schluck-Übungen.<br />

Die zusätzlichen Mimik-Übungen (Fachbegriff: Innervations-Übungen der<br />

mimischen Muskulatur) unterstützen diese Bemühungen, woraus diejenigen,<br />

die gesund bleiben durften ersehen können, was alles im<br />

zwischenmenschlichen Bereich gleichsam anatomisch-„automatisch“ und<br />

damit weitgehend unbewusst-mühelos abläuft.<br />

Darüber hinaus gibt es noch Unterstützungsmöglichkeiten, die immer häufiger<br />

genutzt werden, z. B. „Sprechbrett“, Biofeed-back-Verfahren sowie Tonkassetten<br />

zu Übungszwecken.<br />

Int.1-Parkinson.doc


– <strong>Psychosoziale</strong> Betreuung<br />

- 96 -<br />

Wer die Ausführungen bis hierher verfolgt hat wird bestätigen: Die psychosoziale<br />

Betreuung gehört gerade beim Parkinson-Syndrom zum wichtigsten<br />

Behandlungs-Faktor, gleichsam eine unersetzliche Therapie-Säule. Da das<br />

Leben aber vielschichtig ist braucht es auch mehrere Spezialisten, die in diesem<br />

Falle gezielt weiterhelfen: Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, spezialisierte<br />

Schwestern und Pfleger, die schon in der Klinik die zukünftige Richtung<br />

bestimmen helfen, denn danach geht es in den Alltag, und der ist für Parkinson-Beeinträchtigte<br />

nicht der gleiche wie für Gesunde. Um was geht es?<br />

Als erstes gilt es einen strukturierten Tagesplan zu erstellen – und<br />

einzuhalten. So sollte man sich neben den Routine-Aufgaben auch für jeden<br />

neuen Tag Aufgaben vornehmen, die nicht nur zur Pflicht, sondern auch zur<br />

Freude gehören, Spaß machen, vor allem aber die Bewegungsfähigkeit<br />

erhalten und fördern:<br />

Zum Beispiel sollte man nicht zu spät aufstehen und schon vor dem Frühstück<br />

seine gymnastischen Übungen absolvieren (ein voller Bauch turnt nicht gern,<br />

allerdings muss man natürlich zuvor die Medikamentenwirkung abwarten,<br />

sonst wird es mühsam). Nach dem Mittagessen spricht nichts gegen ein<br />

Mittagsschläfchen, das aus den bekannten Kreislauf-Gründen zwischen einer<br />

Viertel- und ganzen Stunde variieren darf (darüber hinaus kommen vor allem<br />

Menschen mit niederem Blutdruck nicht mehr so recht auf die Beine; außerdem<br />

kann bei den Älteren mit ihrer manchmal reduzierten Nachtschlaf-Fähigkeit<br />

der notwendige Schlafdruck verringert werden, was dann mit unnötigem<br />

nächtlichem Wachliegen bezahlt werden muss).<br />

Während des Tages gilt es an Geselligkeiten teilzunehmen, auch wenn es<br />

natürlich mühsamer ist als in gesunden Zeiten (siehe Bewegungs- und<br />

Sprech-Einschränkungen). Banal erscheinend, aber wichtig sind<br />

Unternehmungen mit Kindern, Enkeln, sonstigen Verwandten, Freunden,<br />

Nachbarn, Arbeitskollegen, die (Re-)Aktivierung eines Stammtisches<br />

(Kartenspiele fördern die geistige Leistungsfähigkeit), die Teilnahme an<br />

entsprechenden Angeboten von Volkshochschulen, Ausstellungen, Museen<br />

u.a.<br />

Die Frage, ob ein Haustier angeschafft werden soll, ist nur individuell zu lösen.<br />

Es hängt auch von der Art des Haustiers ab. Wer nur den „Gewinn“ einer solchen<br />

und dann meist neuen „Partnerschaft“ im Auge hat, kann natürlich auch<br />

mit Problemen konfrontiert werden, die ihm die Freude verderben. Eine entsprechende<br />

Einstellung sollte zuvor schon vorhanden sein. So kann zwar ein<br />

Hund die notwendigen Bewegungs-Anforderungen unterstützen, ist aber bekanntlich<br />

nicht nur ein Haustier, sondern ein Familienmitglied, das auch eine<br />

entsprechende Behandlung erwarten darf.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 97 -<br />

Konkrete Hinweise für PflegerInnen von Parkinson-Kranken siehe nachfolgender<br />

Kasten.<br />

Hinweise für PflegerInnen von Parkinson-Kranken<br />

______________________________________________________________<br />

_<br />

Auf was muss man achten, besonders wenn man bisher noch wenig<br />

Erfahrung mit Parkinson-Patienten machen konnte? Nachfolgend einige<br />

Hinweise aus den Empfehlungen der Deutschen Parkinson-Vereinigung:<br />

- Achten und unterstützen Sie die Selbstständigkeit des Patienten.<br />

- Schätzen und nutzen Sie die Kenntnisse und Erfahrungen seiner Angehörigen.<br />

- Nehmen Sie dem Patienten möglichst nicht die Verantwortung für die Einnahme<br />

seiner Medikamente ab. Helfen Sie ihm dabei, seine Arzneimittel<br />

selbstständig und genau einzunehmen. Dabei gilt es, die empfohlenen<br />

Einnahmezeiten und Dosierungen einzuhalten.<br />

- Beachten Sie bei zusätzlich verordneten Medikamenten, dass sich Wechselwirkungen<br />

bzw. Unverträglichkeiten neu ergeben können. Halten Sie<br />

mit dem behandelnden Arzt Rücksprache, sobald Ihnen Unregelmäßigkeiten<br />

auffallen.<br />

- Unterstützen Sie den Kranken dahin, dass er sich viel bewegt, wenig liegt<br />

und ausreichend Krankengymnastik erhält.<br />

- Achten Sie darauf, dass der Kranke viel trinkt und u. U. Hilfe beim Essen<br />

benötigt. Vielleicht muss ihm das Fleisch klein geschnitten werden.<br />

- Verhindern Sie, dass L-Dopa-haltige Medikamente nicht gleichzeitig mit<br />

eiweißreichen Mahlzeiten eingenommen werden.<br />

- Beugen Sie der Entstehung von Druckgeschwüren vor, wenn der Kranke<br />

viel liegt. Betreiben Sie konsequent Dekubitus-Vorsorge („Durchliegen“).<br />

- Helfen Sie den Angehörigen mit Ihrem Fachwissen. Zeigen Sie ihnen,<br />

wie man rückenschonend arbeiten kann. Arbeiten Sie Hand in Hand mit<br />

seiner Familie. So erleichtern Sie es diesen auch die seelische<br />

Anspannung zu ertragen.<br />

- Achten Sie auf neu hinzukommende Symptome wie Schluckstörungen,<br />

starken Speichelfluss, Blasen- und Darmstörungen, Verwirrtheit, Halluzinationen<br />

(Sinnestäuschungen), Depressionen, Sprech- und Gleichgewichtsstörungen.<br />

Machen Sie möglichst rasch den behandelnden Neurologen<br />

darauf aufmerksam, damit er neu auftretende Probleme in seinem<br />

Behandlungsplan berücksichtigen kann. Beziehen Sie bei trockenen, geröteten<br />

oder juckenden Augen den Augenarzt ein. Wenden Sie sich bei<br />

Problemen in der Mundhöhle an den Hausarzt und informieren Sie den<br />

Zahnarzt, wenn Zahnschmerzen auftreten sollten.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 98 -<br />

Bei weiteren Fragen wenden Sie sich an die Deutsche Parkinson-Vereinigung,<br />

Bundesverband, Moselstr. 31, 41464 Neuss, Telefon: (0213) 41016/7 – Fax:<br />

(02131) 45445 – e-Mail: ParkinsonV@aol.com – Internet: www.<strong>parkinson</strong>selbsthilfe.de<br />

bzw. www.<strong>parkinson</strong>-vereinigung.de<br />

Dort erhalten Sie auch die Broschüre: Pflegehinweise für Parkinson-Patienten.<br />

Nach ZNS-Spektrum 3/2003<br />

– Krankheitsbewältigung<br />

Eine wichtige Teil-Aufgabe der psychosozialen Betreuung im weitesten Sinne<br />

ist die Krankheitsbewältigung. Sie hat für alle, besonders für chronisch fortschreitende<br />

Leiden einen hohen Stellenwert. Dort, wo man es auch sofort<br />

noch sieht oder hört, wie beim Parkinson-Patienten, kann die<br />

Krankheitsbewältigung im Guten wie im Schlechten das weitere Leben<br />

entscheidend prägen. Was heißt das im strategischen Sinne?<br />

- Nachdem die Diagnose feststeht, muss sich der Parkinson-Patient erst einmal<br />

fangen. Doch das will bewältigt sein und es ist leicht gesagt, nicht zu<br />

resignieren, sondern „das Beste daraus machen“. Das hängt von vielerlei Voraussetzungen<br />

ab, auf die man teilweise nicht einmal genügend Einfluss hat.<br />

Einzelheiten würden hier zu weit führen. Doch kann man sich vorstellen: Die<br />

berühmte Sequenz: erkennen � akzeptieren � konsequent behandeln und<br />

betreuen lassen, das muss auch erst einmal „verinnerlicht“ und schließlich<br />

durchgestanden sein.<br />

- Danach aber empfiehlt es sich schon möglichst viel Informationen zu nutzen,<br />

denn an Angeboten mangelt es nicht (beispielsweise durch die „Deutsche<br />

Parkinson-Vereinigung). Das geht von Faltzetteln über allgemein<br />

verständliche Sach- bis zu dickleibigen Fachbüchern und – neueste und<br />

durchaus ergiebige Informationsquelle – das Internet. Ein guter<br />

Informationsstand hilft über vieles hinweg. Dass es den Betroffenen und ihren<br />

Angehörigen aber meist nicht zumute ist, ist verständlich. Es hilft aber nichts,<br />

„hier muss man durch“. Und das am besten mit optimalen Kenntnissen über<br />

Möglichkeiten und Grenzen in der heutigen Parkinson-Behandlung. Und ohne<br />

Resignation, Ratlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und depressive Apathie, denn<br />

dafür ist das Angebot an Unterstützungsmaßnahmen gegenüber nur wenigen<br />

Generationen zuvor dann doch überaus eindrucksvoll (und trotz aller Not<br />

sogar ein wenig Dankbarkeit angebracht).<br />

- Nach und nach (sofort geht das so gut wie nie) müssen sich der Parkinson-<br />

Betroffene und seine Angehörigen damit auseinandersetzen, dass der Patient<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 99 -<br />

an einer chronisch fortschreitenden Erkrankung leidet, für die es – man muss<br />

es schon so direkt ausdrücken – derzeit (!) keine Heilung gibt. Umso wichtiger<br />

ist deshalb die Erkenntnis, dass es trotz dieser schmerzlichen Erkenntnis um<br />

ein Leiden mit in der Regel relativ gutartigem Krankheitsverlauf handelt. Und<br />

dass inzwischen überaus wirksame therapeutische Maßnahmen auf allen<br />

Ebenen zur Verfügung stehen, auf die man vor wenigen Jahrzehnten noch<br />

nicht zu hoffen wagte.<br />

Dennoch bleibt die Ungewissheit über die eigene, individuelle Krankheitsentwicklung<br />

bestehen. Und leider gibt es ja auch keine verlässlichen Parameter<br />

(Hilfsgrößen der Beurteilung einer Sachlage), die den weiteren Krankheitsverlauf<br />

halbwegs sicher voraussagen könnten.<br />

- Bekannt und entsprechend zu werten ist auch folgende Erkenntnis: Wer<br />

eine Diagnose mit vor allem psychosozial folgenschweren Konsequenzen hinnehmen<br />

muss, der wird plötzlich auf alles achten, was mit dieser Belastung in<br />

Zusammenhang gebracht werden kann, also alle Nachrichten in Presse,<br />

Rundfunk, Fernsehen, im Internet u.a. Und er wird darauf überaus sensibel<br />

reagieren, und zwar meist negativ („siehst du ...“). Da muss man kein Pessimist<br />

sein, um sich vor allem die negativen Seiten herauszufischen, entsprechende<br />

Befürchtungen zu nähren und damit einen Angst-Teufelskreis einzuleiten.<br />

Der Betroffene wird dieser Entwicklung kaum entgehen können, das ist<br />

eine schon fast normale Reaktion im Falle einer beginnenden bzw. diagnostisch<br />

gesicherten Krankheit.<br />

Hier sind deshalb die Angehörigen, die Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn<br />

u.a. gefordert, die sich ein wenig einlesen sollten, und zwar im positiven<br />

Sinne, um ermutigend auf den Patienten einzuwirken. Er wird es zwar kaum<br />

mit dem erwarteten Dank, nicht einmal mit größerer Erleichterung registrieren,<br />

da sollte man sich nicht täuschen. Vieles fällt aber doch auf fruchtbaren Boden<br />

und keimt schließlich im Rahmen einer erst langsam stabiler werdenden<br />

Einstellung mit konstruktiven Bewältigungs-Elementen. Oder kurz:<br />

„leidenschaftslos, aber beharrlich konstruktiv, ja optimistisch bleiben“.<br />

- Und was den Arbeitsplatz anbelangt, so muss man einen Mittelweg versuchen:<br />

Zum einen sollte man mögliche Leistungseinbußen nicht verbergen, so<br />

etwas heizt nur Gerüchte an. Im Gegenteil, man soll sowohl mit seinen Kollegen<br />

als auch Vorgesetzten über die Erkrankung sprechen, schließlich ist sie<br />

weder selten noch ehrenrührig. Am besten man schildert in einfachen Worten<br />

ihren Mechanismus, beispielsweise im Sinne unzureichend produzierter<br />

Botenstoffe im Gehirn, die die Bewegung steuern. Denn so etwas hört man<br />

immer öfter (z. B. bei Depressionen, Angststörungen, beim hyperaktiven<br />

Syndrom im Kindes- und Erwachsenenalter u.a.), das leuchtet ein und<br />

entspricht im Übrigen der Realität. Riskanter ist es hingegen von einem<br />

Zelluntergang bestimmter Hirnareale zu sprechen. Das legt immer die falsche<br />

Assoziation einer intellektuellen Störung nahe, Stichwort: Alzheimer-Demenz.<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 100 -<br />

- Mit den Arbeitskollegen abzuklären ist das Maß der Anforderung, wobei<br />

eine Unterforderung vermieden, eine Überforderung aber nicht hingenommen<br />

werden sollte, vor allem was zeitliche Bedrängnis anbelangt. Hier wird man im<br />

Übrigen ganz erstaunt registrieren müssen, dass bei einer<br />

<strong>krankheit</strong>sbedingten Einbuße und gutem Willen (allseits!) innerbetriebliche<br />

Umorganisationen durchaus möglich sind.<br />

- Und was die beschwerde-verstärkenden Stress-Situationen im Alltag anbelangen,<br />

so sind es die Betroffenen selber, die hier nach und nach wirksame<br />

Strategien entwickeln und unterstützend einsetzen. Besonders beeinträchtigend<br />

ist natürlich der Tremor, das Zittern, und die Verlangsamung der Bewegungsabläufe.<br />

An der Kasse bezahlen, während die Schlange wie üblich<br />

ungeduldig wartet, am Bankschalter etwas unterschreiben, im Restaurant das<br />

Besteck oder das Glas führen, das alles kann sehr wohl zu einem „Spießrutenlaufen“<br />

werden, da muss man rechtzeitig Vorsorge treffen, beispielsweise<br />

den besonders geforderten Arm bzw. die Hand gezielt entspannen oder unterstützen.<br />

Oft hilft auch der rasche Wechsel kurzer An- und Entspannung vor der notwendigen<br />

Handlung (nützlich ist es auch, wenn man die gegenseitige Hand<br />

kurz anspannt). Wichtig ist vor allem die Erwartungsangst in Grenzen zu<br />

halten oder erst gar nicht aufkommen lassen. Hier hilft beispielsweise das<br />

Autogene Training (Leitsatz: „Meine Hand ist ganz ruhig, nichts kann mich<br />

stören“).<br />

Umgekehrt führen Vermeidungsstrategien zu Rückzug und Isolationsgefahr,<br />

vor allem zu einer kontinuierlich wachsenden Unselbstständigkeit mit Frustration,<br />

Resignation, Deprimiertheit oder gar reizbar-ärgerlichen Reaktionen. Der<br />

Satz: „Ich setze mich erst gar nicht der belastenden Situation aus“ klingt auf<br />

den ersten Blick vernünftig und schonend, ist aber in Wirklichkeit eine nicht<br />

nur bequeme, sondern später auch verhängnisvolle Falle, in die man sich<br />

selbst gebracht hat.<br />

- In diesem Zusammenhang soll auch die besondere Belastungssituation der<br />

Angehörigen, der Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen nicht verschwiegen<br />

werden. Das fängt mit deren eigenen Gefühlen an und hört mit der möglichen<br />

Überforderung auf, ganz zu schweigen von einer Betreuung oder pflegebedingten<br />

Einschränkung der eigenen Bewegungsfreiheit bzw. Lebensqualität.<br />

Deshalb sollte jede psychosoziale Betreuung nicht nur so früh wie möglich<br />

einsetzen, sondern auch die Angehörigen und nahen Bekannte mit<br />

einbeziehen.<br />

– Sozialmedizinische Aspekte<br />

Int.1-Parkinson.doc


- 101 -<br />

Dieser Beitrag bemüht sich vor allem um die Wissensvermittlung, was rechtzeitiges<br />

Erkennen und Akzeptieren einer Parkinson’schen Krankheit<br />

anbelangt. Über den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand was die<br />

biologischen (konkret: biochemischen, physiolosichen und anatomischen)<br />

Ursachen betrifft gibt es eine große Zahl von Fachbüchern und inzwischen<br />

sogar allgemein verständlichen Sachbüchern (siehe Literatur-Auswahl). Das<br />

Gleiche gilt für die medikamentöse Therapie, die kurz erwähnten psycho- und<br />

soziotherapeutischen Maßnahmen und zum Schluss auch für die<br />

sozialmedizinischen Informationen, die gerade bei dieser Krankheit von<br />

großer Bedeutung sind. Nachfolgend deshalb nur noch eine stichwortartige<br />

Übersicht, was die wichtigsten Hilfen, Erleichterungen und Erkenntnisse für<br />

den Alltag anbelangt (nach R. Thümler):<br />

- Über den Grad der Behinderung (GdB) und die Minderung der Erwerbsfähigkeit<br />

(MdB) sowie über das Schwerbehindertengesetz (SchwbG) siehe die<br />

entsprechenden behördlichen Informationen.<br />

- Das Gleiche gilt für finanzielle und steuerliche Erleichterungen: Kfz-Steuer<br />

und -Haftpflichtversicherung, Hilfe im Haushalt oder Pflegeheim, Wohngeld,<br />

Freifahrten im Nah- und Fernverkehr, ferner Zuzahlungen bei Krankenkassenleistungen,<br />

Pflegen und Hilfen zur Pflege, Beurteilung der Schwerpflegebedürftigkeit,<br />

Pflegestufen, häusliche Pflegehilfen, Pflegegeld, Ersatzpflege,<br />

Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege, häusliche Krankenpflege, zu Pflegehilfsmitteln,<br />

stationärer Rehabilitation, den Möglichkeiten sozialer Dienste u.a.,<br />

zur Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, vorzeitigen Rente, zum Betreuungsgesetz<br />

u.a. (siehe ebenfalls die entsprechenden Institutionen, die mit persönlichem<br />

Rat, Merkblättern u.a. aushelfen).<br />

- Ganz wichtig sind die Hilfen bei der Alltagsbewältigung: Auch hier ist ein<br />

ausreichender Informationsstand unerlässlich – und seine Umsetzung gerade<br />

beim Parkinson-Kranken überaus hilfreich. Nachfolgend einige Stichworte:<br />

- - Wohnungs-Einrichtung: Türschwellen entfernen, keine scharfkantigen<br />

Möbelstücke, dafürTreppen mit Handläufen, niedrige Fenster und<br />

Auslegeware, schwer verrückbare Stühle mit breiten Füßen, freie<br />

Stützflächen, Sitzauflagen mit nach vorne abfallender Schräge, gut<br />

erreichbare Lichtschalter, Rufanlage (Klingel, Gegensprechanlage),<br />

elektronische Hilfsmittel (z. B. Fernsteuerung für Licht, Heizung, Rollläden)<br />

u.a.<br />

- - Bad und Toilette: Haltegriffe an der Badewanne, Badewannensitz mit<br />

Rückenlehne und Hygieneausschnitt, Badebrett, Stützgriff-Sitz-Kombination,<br />

Duschhocker, Thermostate, Toilettensitzerhöhung und -stützgestelle,<br />

elektrische Zahnbürste u.a.<br />

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- 102 -<br />

- - Schlafzimmer: schmales Bett, harte Matratze, Betterhöhung (Holzböcke),<br />

Bett-Haltegriffe („Bettgalgen“), Geländer an der Schlafzimmerwand, stabiler<br />

Stuhl mit Armlehnen, Klingel- oder Rufanlage u.a.<br />

- - An- und Auskleiden: Reiß- und Klettverschlüsse, Knöpfhilfen, festes, gut<br />

sitzendes Schuhwerk, keine Hauspantoffeln benutzen, Schuhanzieher mit<br />

langem Griff u. a.<br />

- - Hausarbeit: Bürsten mit Saugern befestigen, Fixierbrett, Universalhalter für<br />

das Drehen von Schlüsseln und Drehknöpfen, Schraubverschlussöffner u. a.<br />

- - Essen und Trinken: Abgewinkelte Bestecke mit verbreiterten Griffen,<br />

Küchenmesser mit abgewinkelten Griffen, spezielle Halter für Trinkgefäße,<br />

Frühstücksbretter zum Aufstecken von Schneidgut, Gefäße mit Saugfüßen,<br />

Tabletts mit einem Anti-Rutschbelag usw.<br />

- - Freizeit und Beruf: Spezielle Gartengeräte, Greifzangen mit Magneten,<br />

Telefone mit großen Tasten, Personalcomputer, Spielkartenhalter, angepasste<br />

Kugelschreiber, spezielle Schlüsseladapter u.a.<br />

- Verkehrstüchtigkeit: Dass der Führerschein nicht nur eine amtliche Fahrerlaubnis,<br />

sondern auch ein überaus wichtiges Symbol für Selbstständigkeit,<br />

Mobilität, ja Selbstwerterleben ist, kann jeder nachempfinden, der schon einmal<br />

selber oder in seinem näheren Umfeld in eine entsprechende Situation<br />

geraten ist. Wer ihn „selbstverschuldet“ riskierte, mag ja bei einiger Selbstkritik<br />

noch etwas duldsamer sein (in der Mehrzahl natürlich nicht ...), wer durch eine<br />

Krankheit „unschuldig um seine Führerschein-Selbstständigkeit“ bangen<br />

muss, sicher weniger.<br />

Nun ist der Parkinson-Kranke nicht verpflichtet, seine Behinderung der Behörde<br />

zu melden. Die Straßenverkehrsordnung nimmt ihn dennoch in die<br />

Pflicht, weil er „in geeigneter Weise Vorsorge treffen muss“.<br />

Dabei gibt es inzwischen auch neue Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrzeugs-Eignung<br />

mit verschiedenen Stufen bzw. Gruppierungen, bei denen folgende<br />

Kriterien zur Anwendung kommen (Fachbegriffe: siehe die jeweiligen<br />

Erklärungen im vorangegangen Text): Grad der motorischen<br />

Beeinträchtigung, Tremor, Fluktuationen, Dyskinesien, Dystonien, Grad der<br />

kognitiven Störung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Reaktionsvermögen,<br />

Grad der seelischen Störung, Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie<br />

(Schlaf, Tagesmüdigkeit, plötzliche Einschlafneigung u.a.), Progredienz<br />

(Fortschreiten) der Erkrankung u.a.<br />

- Reisen sind natürlich auch weiterhin möglich, müssen aber in Abhängigkeit<br />

von der Behinderung sorgfältiger als früher geplant, vorbereitet und durchgeführt<br />

werden. Zu meiden sind Länder oder Zeiten mit extrem heißem tropi-<br />

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- 103 -<br />

schem Klima oder auch das Gegenteil, nämlich sehr kaltes und feuchtes<br />

Klima. Auf jeden Fall gilt es den zuständigen Arzt zu konsultieren und entsprechende<br />

Vorbereitungen zu treffen (auch was möglicherweise zusätzliche<br />

Beeinträchtigungen, z. B. Herz-Kreislauf-Störungen anbelangt).<br />

Grundsätzlich sinnvoll ist es einen zusammenfassenden Arztbericht mit sich<br />

zu führen, der auch entsprechende Diagnosen und Fachausdrücke enthält,<br />

die dem Arzt am Urlaubsort einen raschen Überblick und ein gezieltes<br />

Eingreifen ermöglichen.<br />

Bei Flugreisen mit Zeitverschiebung muss die Parkinson-Behandlung dem<br />

Zielort angepasst werden (auf die dortige Tageszeit umstellen). Bei längeren<br />

Flugreisen gilt es die üblichen Vorsorgemaßnahmen zu beachten (z. B.<br />

Thrombose-Bildung, viel Trinken (aber keinen Alkohol) usw.<br />

Und schließlich gilt es sorgfältiger als sonst alle möglichen Belastungen nüchtern<br />

abzuwägen, die bei Reisen nie auszuschließen sind. Das sind neben den<br />

klimatischen Bedingungen vor allem ungewohnte Ernährungsangebote<br />

(Durchfall, Verstopfung), ferner erhöhtes Infektionsrisiko, Übermüdung bei<br />

Fernreisen mit Zeitzonenumstellung, Wegfall der vielleicht sonst gewohnten<br />

krankengymnastischen Übungen und sonstigen Betreuungsmöglichkeiten u.a.<br />

Parkinson-Vereinigungen<br />

Zum Abschluss sei noch einmal auf die wichtigsten Parkinson-Vereinigungen<br />

hingewiesen. Das sind<br />

Dachverband Deutschland, nämlich die Deutsche Parkinson Vereinigung Bundesverband,<br />

Moselstraße 31, 41464 Neuss 1, Telefon: (02131) 41016/41017,<br />

Fax: (02131) 45445, E-Mail: <strong>parkinson</strong>V@aol.com, Internet: www.<strong>parkinson</strong>selbsthilfe.de<br />

/ www.<strong>parkinson</strong>-vereinigung.de<br />

sowie das<br />

- Parkinson-Kompetenznetzwerk: aktuelle Informationen zu diagnostischen<br />

und therapeutischen Problemen, die der Arzt (!) im Internet abrufen kann:<br />

www.kompetenznetz-<strong>parkinson</strong>.de<br />

Außerdem haben sich in nahezu allen Bundesländern Regionalgruppen, Kontaktstellen<br />

und Clubs für junge und ältere Parkinson-Kranke gebildet.<br />

Adressen über die Parkinson-Vereinigung.<br />

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LITERATUR<br />

- 104 -<br />

Grundlage vorliegender Ausführungen ist das empfehlenswerte Fach(!)buch<br />

Reiner Thümler: Morbus Parkinson. Ein Leitfaden für Klinik und Praxis.<br />

Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2002<br />

Außerdem ein umfangreiches Angebot an Fachbüchern und auch fundierten,<br />

weil von Experten allgemein verständlich dargestellten populär-medizinischen<br />

Sachbüchern. Nachfolgend eine begrenzte Auswahl:<br />

Brandt T. u. Mitarb. (Hrsg.): Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen.<br />

Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1998<br />

Conrad, B. u. Mitarb. (Hrsg.): Bewegungsstörung in der Neurologie.<br />

Thieme-Verlag, Stuttgart 1996<br />

Deuschl, G., P. Krack: Morbus Parkinson. In: H. Hopf u. Mitarb. (Hrsg.):<br />

Neurologie in Klinik und Praxis. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1999<br />

Fischer, P.A., A. Engfer (Hrsg.): Klinik und Therapie des Parkinson-<br />

Syndroms. Verlag Walter de Gruyter, Berlin-New York 1998<br />

Gehlen, W.: Stammganglienerkrankungen (Parkinson-Syndrom u.a.). In:<br />

W. Fröscher (Hrsg.): Neurologie mit Repetitorium. Verlag Walter de Gruyter,<br />

Berlin-New York 1991<br />

Gerlach, M. u. Mitarb.: Die Parkinson-Krankheit. Springer-Verlag, Wien-New<br />

York 2003<br />

Glass, J.: Klinik und Therapie des Parkinson-Syndroms. Barth-Verlag,<br />

Leipzig 1998<br />

Gräulich, W., D. Schäfer (Hrsg.): Parkinson: Schlaf und Atmung. Blackwell-<br />

Verlag, Berlin 2000<br />

Gsell, W. u. Mitarb. (Hrsg.): Schering-Lexikon Morbus Parkinson. Aesopus-<br />

Verlag, Stuttgart 1997<br />

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- 105 -<br />

Jost, W.: Therapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms. UNIMED-<br />

Verlag, Bremen 2000<br />

Klockgether, T., B.H. Oertel: Parkinson-Syndrome. In: T. Brandt u. Mitarb.<br />

(Hrsg.): Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer-<br />

Verlag, Stuttgart 1998<br />

Kunze, K. (Hrsg.): Praxis der Neurologie. Thieme-Verlag, Stuttgart 1999<br />

Müller, T.: Medikamentöse Therapie des Morbus Parkinson. UNIMED-<br />

Verlag, Bremen 1999<br />

Poewe, B. u. Mitarb.: Parkinson-Krankheit. In: B. Conrad, A.O. Ceballos-<br />

Baumann (Hrsg.): Bewegungsstörungen in der Neurologie. Thieme-Verlag,<br />

Stuttgart-New York 1996<br />

Poewe, W. u. Mitarb.: Nicht-idiopathische Parkinson-Syndrome. In: H. Hopf<br />

u. Mitarb. (Hrsg.): Neurologie in Klinik und Praxis. Thieme-Verlag, Stuttgart-<br />

New York 1999<br />

Przuntek, H., T. Müller (Hrsg.): Nicht-medikamentöse, adjuvante Therapie<br />

bei der Behandlung des Parkinson-Syndroms. Thieme-Verlag, Stuttgart-<br />

New York 1999<br />

Reichmann, H.: Die Parkinson-Krankheit.: In H. Reichmann (Hrsg.): Praxis<br />

der neurodegenerativen Erkrankungen. UNIMED-Verlag, Bremen 1999<br />

Schneider, E.: Diagnostik und Therapie des Morbus Parkinson. Verlag<br />

Walter de Gruyter, Berlin-New York 1997<br />

Schneider, E.: Das Parkinson-Syndrom. In: B. Neundörfer u. Mitarb. (Hrsg.):<br />

Atlas der Nervenheilkunde. Braun-Verlag, Karlsruhe 1996<br />

Thümler, R.: Die Parkinson-Krankheit. Antworten auf die 172 häufigsten<br />

Fragen. Trias-Verlag, Stuttgart 2001<br />

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