30.11.2012 Aufrufe

Lösungsvorschlag Fall 8

Lösungsvorschlag Fall 8

Lösungsvorschlag Fall 8

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

<strong>Lösungsvorschlag</strong> <strong>Fall</strong> 8<br />

1. Handlungsabschnitt: Geschehen mit P 1<br />

Strafbarkeit des A<br />

I. Versuchter Totschlag, §§ 212 I, 22, 23 I 2<br />

A könnte sich durch das Verhandeln mit P wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212 I, 22, 23 I<br />

strafbar gemacht haben.<br />

1. Vorprüfung<br />

P ist nicht tot, daher wurde das Delikt nicht vollendet.<br />

Der Versuch eines Totschlags strafbar, §§ 23 I, 12 I (Totschlag = Verbrechen).<br />

2. Tatbestand<br />

1) Tatentschluss<br />

A müsste Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestandes des § 212 I gehabt haben. Vorsatz ist<br />

das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung bezüglich aller Merkmale des objektiven<br />

Tatbestandes zum Tatzeitpunkt. A wollte P töten. Er handelte daher mit dolus directus 1. Grades.<br />

Tatentschluss ist folglich gegeben.<br />

2) Unmittelbares Ansetzen<br />

Fraglich ist, ob A nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar<br />

angesetzt hat, § 22. Die Grenze von der Vorbereitung zum Versuch wird nicht erst überschritten,<br />

wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern dann, wenn er nach seiner<br />

Vorstellung von der Tat die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet und objektiv Handlungen<br />

vornimmt, die - nach seinem Tatplan- in ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenakte<br />

unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder in einem unmittelbar räumlichen und<br />

zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. 3 Im vorliegenden <strong>Fall</strong>e ist jedoch festzustellen, dass zur<br />

Tatbestandsverwirklichung noch weitere wesentliche Zwischenakte hätten folgen müssen: P hätte<br />

sich erst einmal einverstanden erklären und sich mit A zurückziehen müssen. Das Ansinnen des<br />

A sollte nicht unmittelbar in die Tatbestandsausführung münden, sondern die Tatbestandsausführung<br />

erst ermöglichen. Daher stellte es eine bloße Vorbereitungshandlung dar. Folglich hatte A<br />

nicht i.S.v. § 22 unmittelbar zur Tatbestandsausführung angesetzt.<br />

1 <strong>Fall</strong> frei nach BayObLG NJW 1990, 781 (zum Ansinnen eines HIV-Infizierten auf ungeschützten Geschlechtsverkehr).<br />

2 Alle Paragrafen ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des StGB.<br />

3 BGHSt 48,34,35f.<br />

1


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

Anmerkung: Das Urteil des BayObLG nennt weitere Beispielsfälle, in denen kein unmittelbares<br />

Ansetzen festgestellt werden konnte: Erfolglose Aufforderung einer Schwangeren, ihre Leibesfrucht<br />

abzutöten 4 , wörtliches Angebot der Lieferung von Falschgeld, das erst noch beschafft werden<br />

muss, um die in Aussicht gestellte Übergabe vornehmen zu können 5 , Verabredung einer späteren<br />

Zusammenkunft, bei der ein Kind erst zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung<br />

gebracht werden soll 6 , Abschluss eines Verpflichtungsgeschäftes zur Lieferung von Betäubungsmitteln<br />

7 .<br />

3. Ergebnis<br />

A hat sich nicht gem. §§ 212 I, 22, 23 wegen versuchtem Totschlag strafbar gemacht 8 .<br />

2. Handlungsabschnitt: Geschehen zwischen A und O 9<br />

Strafbarkeit des A<br />

I. Versuchter Totschlag, §§ 212, 22, 23 I 10<br />

1. Vorprüfung, Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld<br />

Das Delikt wurde nicht vollendet, und der Versuch eines Totschlags ist strafbar, §§ 212 I, 23 I,<br />

12 I. Indem A mit bedingtem Tötungsvorsatz auf O einstach, hat er rechtswidrig und schuldhaft<br />

einen versuchten Totschlag gemäß §§ 212 I, 22, 23 I verübt.<br />

2. Rücktritt vom Versuch, § 24 I 1<br />

Von diesem Versuch könnte A nach § 24 I 1 strafbefreiend zurückgetreten sein, da er von weiteren<br />

Tötungshandlungen abgesehen hat.<br />

Anmerkung: Nach inzwischen h.M. ist ein etwaiger Rücktritt nach einem dreistufigen Prüfungsschema<br />

zu prüfen 11 :<br />

1) Zuerst ist zu untersuchen, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, bei dem ein strafbefreiender<br />

Rücktritt nicht mehr in Betracht kommt und es damit von vornherein an der Rücktrittsfähigkeit<br />

fehlt (1. Schritt).<br />

2) Danach ist zu prüfen, ob ein unbeendeter oder beendeter Versuch gegeben ist, was vor allem<br />

für die erforderliche Rücktrittshandlung von Bedeutung ist (2. Schritt).<br />

3) Zuletzt erfolgt die Prüfung, ob der Rücktritt „freiwillig“ geschah, d. h. der Täter aus autonomen<br />

Motiven handelte (3. Schritt).<br />

4 BGHSt 4, 17, 18.<br />

5 BGH StV 1987, 101.<br />

6 BGH bei Dallinger, MDR 1974, 545.<br />

7 BayObLGSt 1984, 25, 26 f.<br />

8 §§ 211 I, 22, 23 Ist somit auch nicht gegeben (muss nicht geprüft werden).<br />

9 <strong>Fall</strong> frei nach BGH NJW 1993, 943.<br />

10 Man könnte auch an Mord aus niedrigen Beweggründen nach §§ 212 I, 211 I, II 1. Gruppe Var. 4 denken. Da hier aber ein<br />

Rücktritt vom Versuch nach § 24 I1 In Betracht kommt, empfiehlt es sich, zunächst nicht auf Mordmerkmale einzugehen, da<br />

eine solche Prüfung bei Bejahung eines Rücktritts überflüssig wäre.<br />

11 Dazu näher Kühl AT § 16 Rn. 8, 9 ff.<br />

2


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

1) Kein fehlgeschlagener Versuch<br />

Der Versuch dürfte nicht fehlgeschlagen sein. Fehlgeschlagen ist ein Versuch dann, wenn der<br />

Täter nach seiner Vorstellung den Erfolgseintritt in unmittelbar räumlichem und zeitlichem Zusammenhang<br />

nicht mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln herbeiführen kann. Nach der in<br />

der Literatur z.T. vertretenen Einzelakttheorie ist ein Versuch bereits dann fehlgeschlagen, wenn<br />

der Täter eine subjektiv erfolgsgeeignete Handlung vorgenommen hat und dann deren Scheitern<br />

erkennt 12 . Begründet wird diese Auffassung damit, dass – sobald der Täter einen zur Herbeiführung<br />

des Erfolges geeigneten Verlauf aus der Hand gegeben hat – dieser zum vergangenen Handeln<br />

gehöre. Der rechtserschütternde Eindruck könne nicht mehr allein durch Unterlassen weiterer<br />

Versuche beseitigt werden. Gegen die Einzelakttheorie spricht jedoch, dass die Interessen des<br />

Opfers zu wenig berücksichtigt werden. Nimmt man dem Täter nach dem Misslingen des ersten<br />

Teilakts die Möglichkeit, noch strafbefreiend zurückzutreten, wenn er auf den Einsatz anderer<br />

möglicher Mittel verzichtet, so fehlt es an einer hinreichenden Motivation, von dem Opfer abzulassen<br />

(Opferschutzgedanke) 13 . Ferner kehrt der Täter hier letztendlich zur Legalität zurück, denn<br />

er hat aufgrund seines eigenen Entschlusses nicht noch einmal versucht, das Opfer zu töten. Die<br />

Einzelakttheorie führt daher zu unangemessenen Rücktrittsbeschränkungen 14 . Aus diesen Gründen<br />

ist die Einzelakttheorie abzulehnen. Herrschend ist demgegenüber die Gesamtbetrachtungslehre:<br />

Danach sind die vorgenommenen Handlungen bei Einheitlichkeit des betreffenden Lebensvorganges<br />

als einheitliche Tat zu beurteilen. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt hiernach erst<br />

dann vor, wenn der Täter erkennt oder annimmt, dass er mit allen ihm zur Verfügung stehenden<br />

Mitteln den tatbestandlichen Erfolg entweder gar nicht mehr oder zumindest nicht ohne zeitlich<br />

relevante Zäsur herbeiführen kann 15 . Für die Gesamtbetrachtungslehre spricht, dass der Täter, der<br />

ohne zeitliche Zäsur auch zum Einsatz eines anderen Tatmittels übergehen kann, nicht einen neuen<br />

Tatentschluss fasst. Wollte man hierin zwei getrennte Taten sehen, würde man einen einheitlichen<br />

Lebensvorgang willkürlich auseinanderreißen 16 .<br />

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage, ob der Versuch fehlgeschlagen ist, ist nach h.M. der<br />

Abschluss der Handlung des Täters – sog. Rücktrittshorizont (Kombination von Gesamtbetrachtungslehre<br />

und Lehre vom Rücktrittshorizont). Nach anderer Ansicht soll nicht der Rücktrittshorizont<br />

des Täters, sondern der Tatplan bei Beginn der Ausführungshandlung ausschlaggebend<br />

sein. Ein nichtrücktrittsfähiger Fehlschlag soll hiernach dann vorliegen, wenn der Täter, der sich<br />

vorher auf einen bestimmten Tatplan festgelegt hat und dieses „Handlungsprogramm“ durchlaufen<br />

hat, das Misslingen erkennt. Welche Handlungen A bei Beginn der Tat in seinen Tatplan aufgenommen<br />

hat, ist nicht ersichtlich, so dass zweifelhaft ist, ob in Anschluss an diese sog. Tatplantheorie<br />

bereits ein fehlgeschlagener Versuch anzunehmen wäre (ein Fehlschlag läge vor, wenn A<br />

nach dem Tatplan nur einen Stich abgeben wollte und dieser Stich nicht zum Erfolg geführt hätte).<br />

Gegen die Tatplantheorie spricht jedoch, dass sie in Fällen, in denen – wie hier – ein Tatplan<br />

nicht existiert oder nicht nachweisbar ist, versagt. Auch könnte derjenige, der sich in seinen Mitteln<br />

selbst beschränkt – im Gegensatz zu demjenigen, der von vornherein mehrere Handlungsakte<br />

einplant und dadurch eine stärkere kriminelle Energie zeigt – nach dem Einsatz dieses Mittels<br />

nicht mehr zurücktreten. Der weniger kriminelle Täter wurde also benachteiligt, das er schon zu<br />

einem früheren Zeitpunkt nicht mehr zurücktreten kann.<br />

12<br />

Jakobs, JuS 1980, 715 ff.; Kühl, AT, § 16 Rn. 18 ff.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 629.<br />

13<br />

Kühl, AT, § 16 Rn. 20.<br />

14<br />

Wessels/Beulke, AT, Rn. 629.<br />

15<br />

Wessels/Beulke, AT, Rn. 628.<br />

16<br />

Kühl, AT, § 16 Rn. 22; Wessels/Beulke, AT, Rn. 629; vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 27 Rn. 31.<br />

3


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

Im Ergebnis ist hier unter Zugrundelegung der Gesamtbetrachtungslehre und der Lehre vom<br />

Rücktrittshorizont richtigerweise kein fehlgeschlagener Versuch anzunehmen. Der Versuch ist<br />

nicht fehlgeschlagen, da A die Tat nach seiner Vorstellung ohne Weiteres zum Erfolg hätte führen<br />

können, indem er nochmals zugestochen hätte 17 .<br />

Anmerkung: Zum Teil wird im Schrifttum die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Versuchs für<br />

entbehrlich gehalten und die entsprechenden Probleme bei der Prüfung der Freiwilligkeit behandelt<br />

18 . Die Argumente der Mindermeinung sind durchaus gewichtig, insbesondere findet sich dieser<br />

Prüfungspunkt nicht im Gesetzestext. Gleichwohl will die h.M. mit dieser Kategorie eindeutige<br />

Fälle „aussortieren“, bei denen ein Rücktritt ausscheidet.<br />

2) Beendeter oder unbeendeter Versuch (§ 24 I 1 Var. 2 oder § 24 I 1 Var. 1?)<br />

Da A die Vollendung der Tat nicht durch tätige Reue „verhindert" hat, kommt ihm der persönliche<br />

Strafaufhebungsgrund des § 24 I 1 nur dann zugute, wenn er sich bei Abbruch der Tat noch<br />

im Stadium des unbeendeten Versuchs gemäß § 24 I 1 Var. 1 befunden hat, bei dem bereits die<br />

Aufgabe der „weitere(n) Ausführung der Tat" genügt. Es stellt sich daher die Frage, ob der Versuch<br />

beendet, § 24 I 1 Var. 2, oder unbeendet, § 24 I 1 Var. 1, war. Beendet ist ein Versuch<br />

dann, wenn der Täter davon ausgeht, alles für den Eintritt des Erfolges Erforderliche getan<br />

zu haben, unbeendet, wenn der Täter meint, noch tätig werden zu müssen. Macht sich der<br />

Täter keine Gedanken darüber, ob er alles Erforderliche getan hat, soll nach dem BGH stets ein<br />

beendeter Versuch vorliegen. Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch<br />

kommt es nun nach gefestigter Rechtsprechung darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung<br />

den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges zumindest für möglich hält (sog.<br />

Rücktrittshorizont, siehe oben). Ist dies der <strong>Fall</strong>, so scheidet ein strafbefreiender Rücktritt durch<br />

bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung aus. Ein derartiges - freiwilliges - Aufgeben genügt<br />

vielmehr nur dann, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nicht mit dem Eintritt<br />

des tatbestandsmäßigen Erfolgs rechnet. Nach a.A. kommt es auf die Vorstellung des Täters zu<br />

Beginn seiner Ausführungshandlung an (sog. Tatplantheorie, siehe oben). Die Tatplantheorie<br />

stellt darauf ab, ob der Täter die Handlungen, die weiter erforderlich sind, um den Erfolgseintritt<br />

herbeizuführen, bereits am Anfang in seinen Tatplan aufgenommen hat. Wenn dies der <strong>Fall</strong> ist, so<br />

liegt nach der Tatplantheorie solange ein unbeendeter Versuch vor, wie der Täter noch nicht alles<br />

getan hat, was er ursprünglich in seinen Tatplan aufgenommen hatte. Diese Ansicht ist aber abzulehnen,<br />

da sie den Täter, der mehrere Ausführungsmodalitäten in Erwägung gezogen hatte und<br />

damit eine höhere kriminelle Energie an den Tag legt, bevorzugt (siehe dazu schon oben) 19 .<br />

Dass A noch nach dem Messerstich den Eintritt des Todes bei dem Geschädigten für möglich<br />

gehalten hätte, kann dem Sachverhalt nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden. Aus<br />

der Schwere der Verletzung oder der hohen Gefährlichkeit der Tathandlung kann ein solcher<br />

Schluss nicht zwangsläufig gezogen werden, da O seine Verletzung zunächst selbst nicht bemerkte<br />

und nach dem Stich stehen blieb, bis A den Tatort verlassen hatte. Danach fuhr er noch eine<br />

erhebliche Strecke mit dem Motorroller zum Krankenhaus. Allein aus der Zielrichtung und der<br />

17 Dies ist hier ziemlich eindeutig, da A sich wohl nicht vorgestellt hatte, dass er den Tod des O nicht mehr hätte herbeiführen<br />

können und auch kein mehraktiges Geschehen vorlag. Insofern kommen hier sowohl Einzelakttheorie als auch Gesamtbetrachtungslehre<br />

zum selben Ergebnis. Der oben dargestellte Meinungsstreit ist nur deshalb (zu) breit beschrieben worden, um ihn<br />

den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu verdeutlichen. In einer Klausur müsste man sich im vorliegenden <strong>Fall</strong> kürzer fassen.<br />

18 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 27 Rn. 12.<br />

19 Mit dem entgegengesetzten Argument ist aber auch Kritik an der Lehre vom Rücktrittshorizont und der Gesamtbetrach-<br />

tungslehre geübt worden, vgl. Kühl, AT § 16 Rn. 33 ff.<br />

4


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

Wucht des Stiches kann hier gleichfalls nicht sicher auf eine den Rücktritt ausschließende Vorstellung<br />

des Täters geschlossen werden, denn der in Bauchmitte gezielte Stich traf den Geschädigten<br />

B infolge einer Drehung nur seitlich. Zugunsten des A ist in Beachtung des in-dubio-proreo-Grundsatzes<br />

deshalb von einem noch unbeendeten Versuch auszugehen 20 .<br />

Fraglich ist jedoch, ob es einer anderen rechtlichen Beurteilung bedarf, weil A primär dem O einen<br />

„Denkzettel verpassen“ wollte und er dieses Ziel auch tatsächlich erreicht hat. Man könnte<br />

deshalb daran denken, dass der Versuch aus diesem Grund letztlich doch beendet ist. Die Lösung<br />

solcher Fälle ist strittig:<br />

Anmerkung: Teilweise wird die Problematik auch bei der Frage nach dem Fehlschlag oder der<br />

Freiwilligkeit erörtert. Dies ist ebenfalls gut vertretbar. Wichtig ist nur, dass das Problem als solches<br />

diskutiert wird.<br />

Nach einer Meinung kann derjenige, der sein eigentliches Ziel bereits erreicht hat, nicht mehr<br />

durch bloßes Nichtweiterhandeln zurücktreten, weil weitere Angriffe durch Erreichen des Zieles<br />

ihren Sinn verloren haben 21 . Versteht man unter Aufgeben i.S.v. § 24 I 1 Var. 1 den endgültigen<br />

Verzicht auf die vom Täter konkret geplante „Tat", so fehlt es an einem derartigen Verzicht immer<br />

dann, wenn der mit bedingtem Deliktsvorsatz handelnde Täter untätig bleibt, nachdem er<br />

sein vom Erfolgseintritt abweichendes außertatbestandliches Endziel (hier: Denkzettel für O) bereits<br />

erreicht hat und deshalb keinen Grund mehr sieht, seinen Rechtsgutsangriff fortzusetzen.<br />

Wer alles getan und erreicht hat, was er sich vorgenommen hat, kann danach nichts mehr aufgeben<br />

22 . Für die Versagung des Rücktrittsprivilegs in derartigen Fällen lässt sich zusätzlich der<br />

Zweck des § 24 anführen: Der Täter, der nach Erreichung seines Handlungsziels aufhört, stellt<br />

weder seine Rechtstreue unter Beweis, noch zeigt er, dass er nicht fähig ist, die geplante Tat zu<br />

vollenden, „noch verwischt er den rechtserschütternden Eindruck seines Versuchs, noch hat er in<br />

irgendeinem Sinne eine goldene Brücke zur Rechtstreue zurück betreten, noch auch verdient er in<br />

einem noch so bescheidenen Sinne eine Prämierung seines Verhaltens" 23 . Folgt man dem, so ist<br />

§ 24 I 1 Var. 1 unanwendbar, und A ist wegen versuchten Totschlags, §§ 212 I, 22, 23 I, zu bestrafen.<br />

Dem widerspricht allerdings der Wortlaut des § 24 I 1 24 . Demnach kommt es für den<br />

Rücktritt auf den gesetzlichen Tatbestand an und nicht auf außertatbestandliche Ziele. Denn „Tat"<br />

i.S.d. § 24 ist die in den gesetzlichen Tatbeständen umschriebene Tathandlung und ihr Erfolg<br />

(vgl. § 11 I Nr. 5), also die Tat im sachlich-rechtlichen Sinn 25 . Der Rücktrittswille des Täters entspricht<br />

somit in seiner Beziehung auf die Tatbestandsmerkmale dem gleichfalls tatbestandsbezogenen<br />

Vorsatz 26 . Einen Rücktritt von weiteren Motiven oder Absichten kennt das Gesetz nicht;<br />

dem entspricht, dass es auf die ethische Bewertung autonomer Rücktrittsgründe nicht ankommt.<br />

Würde man für die <strong>Fall</strong>gruppe der Zweckerreichung bei bedingt vorsätzlich handelndem Täter<br />

nicht auf die Merkmale der sachlich-rechtlichen Tat, sondern auf sonstige Motive des Täters abheben,<br />

so würde den Voraussetzungen des § 24 I 1 eine zusätzliche Bedingung angefügt, die in<br />

ihm nicht enthalten ist. Zudem dient die Rücktrittsregelung auch dem Opferschutz, d. h. der Täter<br />

20 Die Gegenmeinung Ist mit entsprechender Begründung vertretbar. Dann müsste man einen beendeten Versuch annehmen<br />

mit der Folge, dass A wegen versuchten Totschlags, §§ 212 I, 22, 23 I, strafbar wäre.<br />

21 Siehe etwa Kühl, AT, § 16 Rn. 40 f.<br />

22 BGH NJW 1990, 522.<br />

23 Puppe, JZ 1993, 363.<br />

24 Für Rücktritt auch BGHSt 39, 221 ff. m.w.N.<br />

25 Vgl. BGHSt 33, 142, 144 f.<br />

26 Krauß, JuS 1981, 883, 884.<br />

5


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

soll zum Rücktritt motiviert werden, um vom Opfer abzulassen. Wäre dem Täter der Rücktritt<br />

abgeschnitten, so entfiele dieser Schutz zugunsten des Opfers. Auch würde derjenige Täter, der<br />

nur mit dolus eventualis hinsichtlich der Tötung und primär zur Verwirklichung eines außertatbestandlichen<br />

Zieles handelt, gegenüber dem kriminelleren Absichtstäter (dolus directus bezüglich<br />

der Tötung) schlechter gestellt, da jener trotz Verfehlen seines Opfers mangels Erstrebens anderer<br />

Ziele noch zurücktreten kann. Aus diesen Gründen ist von einem unbeendeten Versuch auszugehen<br />

27 .<br />

Aufgeben der Tat bedeutet, von der weiteren Realisierung des Entschlusses, den gesetzlichen<br />

Tatbestand zu verwirklichen, aufgrund eines entsprechenden Gegenentschlusses Abstand zu<br />

nehmen 28 . Als A sich entschied, keinen weiteren Stich abzugeben, hat er aufgrund eines solchen<br />

Gegenentschlusses von der Verwirklichung des Totschlags Abstand genommen und damit die<br />

weitere Tatausführung i.S.v. § 24 I 1 Var. 1 aufgegeben.<br />

Anmerkung: Oft wird bei dieser Sachverhaltskonstellation in den Klausurbearbeitungen vom<br />

„Denkzettelfall“ gesprochen. Dieser Ausdruck wirkt jedoch laienhaft. Dogmatisch sauberer ist es,<br />

wenn man diese Konstellation unter dem Terminus „außertatbestandliche Zielerreichung“ behandelt.<br />

3) Freiwilligkeit<br />

Ferner müsste A freiwillig gehandelt haben. Freiwillig ist der Rücktritt dann, wenn er nicht durch<br />

zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird, sondern der eigenen autonomen Entscheidung des<br />

Täters entspringt 29 . Entscheidend ist, dass der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ ist 30 . Demgegenüber<br />

ist der Rücktritt unfreiwillig, wenn der Täter durch heteronome Gründe zur Aufgabe der Tat<br />

veranlasst wird 31 . Das ist insbesondere dann der <strong>Fall</strong>, wenn den Täter unüberwindliche, vom Willen<br />

des Täters unabhängige, Hemmungen zur Umkehr zwingen oder wenn sich die Sachlage zu<br />

seinen Ungunsten so wesentlich verändert hat, dass er die damit verbundenen Risiken oder Nachteile<br />

nicht mehr für tragbar hält oder sie nicht in Kauf nehmen will 32 . Nicht erforderlich ist, dass<br />

der Täter aus „edlen“ oder „moralisch hochwertigen“ Motiven zum Rücktritt bewegt wird. Stellt<br />

man nach der hier vertretenen Ansicht auf den gesetzlichen Tatbestand ab, so ist letztlich auch die<br />

Freiwilligkeit zu bejahen 33 .<br />

4) Ergebnis<br />

A ist somit strafbefreiend vom Versuch eines Totschlags, §§ 212 I, 22, 23 I, zum Nachteil des O<br />

zurückgetreten und daher nicht gem. §§ 212 I, 22, 23 I strafbar.<br />

II. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I Var. 1, 2, 224 I Nr. 2, 5<br />

A könnte sich durch den Messerstich zum Nachteil des O wegen gefährlicher Körperverletzung<br />

gemäß §§ 223 I Var. 1, 2, 224 I Nr. 2, 5 strafbar gemacht haben.<br />

27<br />

A.A. gut vertretbar.<br />

28<br />

Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 27 Rn. 25; Kühl, AT, § 16 Rn. 42; Wessels/Beulke, AT, Rn. 641.<br />

29<br />

Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 27 Rn. 17; Kühl, AT, § 16 Rn. 55; Wessels/Beulke, AT, Rn. 651.<br />

30<br />

Kühl, AT, § 16 Rn. 54, 55.<br />

31<br />

Kühl, AT, § 16 Rn. 56 ff.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 652.<br />

32<br />

Wessels/Beulke, AT, Rn. 652.<br />

33<br />

Andere Ansicht vertretbar, wenn man auf das primäre Ziel – Abwehr des Angriffs – abstellt, da ein Rücktritt aufgrund der<br />

Zielerreichung dann sinnlos Ist.<br />

6


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

1) Objektiver Tatbestand<br />

a.) Tatbestandsmerkmale §223 I<br />

Unter einer körperlichen Misshandlung versteht man jede üble und unangemessene Behandlung,<br />

die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt. Ein Stich mit einem Messer<br />

stellt eine solche Behandlung dar. Unter Gesundheitsschädigung versteht man jedes Hervorrufen<br />

oder Steigern eines pathologischen Zustandes. Pathologisch ist der Zustand, der von dem Zustand<br />

eines gesunden Normalmenschen negativ abweicht. Da die Folgen des Messerstiches eines<br />

Heilungsprozesses bedürfen, ist durch ihn eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen worden.<br />

Kausalität und objektive Zurechnung<br />

Unter sind gegeben. Beide Varianten des objektiven Tatbestandes des § 223 I sind somit erfüllt.<br />

b.) Qualifikationsgründe §224 Nr.2, Nr.5<br />

Eine Waffe § 224 I Nr. 2 Alt. 1 ist jeder Gegenstand, der schon bei der Herstellung allgemein<br />

dazu bestimmt ist, als Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu dienen (sog. Waffe im technischen<br />

Sinn). Fraglich ist, ob das Messer unter den Waffenbegriff fällt. Ein gefährliches Werkzeug<br />

i.S.v. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und<br />

nach Art der Benutzung im konkreten <strong>Fall</strong> geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.<br />

Da das Messer auf jeden <strong>Fall</strong> unter letztgenannte Definition fällt, mithin ein gefährliches Werkzeug<br />

darstellt, und dieser Begriff den Oberbegriff 34 bildet, ist das Messer zumindest auf jeden<br />

<strong>Fall</strong> ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2. Ob es unter die Definition des Waffenbegriffs<br />

fällt, muss somit nicht mehr entschieden werden. Somit ist das Qualifikationsmerkmal<br />

des § 224 I Nr. 2 verwirklicht.<br />

Fraglich ist, ob auch eine das Leben gefährdende Behandlung i.S.v. § 224 I Nr. 5 gegeben ist. Bei<br />

einer das Leben gefährdenden Behandlung i.S.v. § 224 I Nr. 5 ist umstritten, ob eine abstrakte<br />

oder eine konkrete Gefahr vorauszusetzen ist. Die ganz h.M. und die Rechtsprechung lassen eine<br />

objektive Eignung der Behandlung zur Lebensgefährdung ausreichen. Nach dieser Ansicht<br />

braucht eine konkrete Gefahr nicht eingetreten zu sein. Natürlich sind auch nach dieser Ansicht<br />

die konkreten Umstände des <strong>Fall</strong>es zu berücksichtigen, es braucht aber nicht zu einer Lebensgefährdung<br />

gekommen zu sein. Eine andere Ansicht verlangt jedoch, dass das Opfer durch die Körperverletzung<br />

in eine konkrete Lebensgefahr gerät. Diese Meinung begründet dies damit, dass<br />

§ 224 I unmittelbar dem Schutz des Opfers diene und daher der tatsächliche Eintritt der Gefahr<br />

tatbestandseinschränkend erforderlich sei. Denn erst wenn das Leben des Opfers in Gefahr war,<br />

greife der Schutzzweck der Norm. Es ist jedoch der ersten Ansicht zu folgen, denn vom Sinn und<br />

Zweck her soll der Täter durch die erhöhte Strafandrohung dieser Qualifikation auch schon von<br />

Handlungen abgehalten werden, die generell geeignete sind, das Leben zu gefährden. Laut Sach-<br />

34<br />

So auch Lackner/Kühl, § 224 Rn. 2. Zusatzinfo: Die alte Rechtslage formulierte in § 223a (welche die Vorgängervorschrift<br />

zu § 224 ist): „... mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs...“. Wichtig ist<br />

hier vor allem, die Systematik zu verstehen: Das gefährliche Werkzeug ist der Oberbegriff, die Waffe nur ein Beispiel. Das<br />

bedeutet, dass es zur Subsumtion an sich genügt, den Begriff „gefährliches Werkzeug“ zu definieren. Gefährlich ist ein Werkzeug,<br />

das nach objektiver Beschaffenheit und nach Art der Benutzung im konkreten <strong>Fall</strong> geeignet ist, erhebliche Verletzungen<br />

herbeizuführen. Daraus folgt aber auch, dass die Anwendung einer Waffe im technischen Sinn (also außer Schusswaffen auch<br />

Hieb-, Stoß- oder Stichwaffen nach § 1 II WaffG) nur ausreicht, wenn sie als „gefährliches Werkzeug“, d.h. in konkret gefährlicher<br />

Weise benutzt wird. Der leichte Schlag mit einer Pistole auf den Rücken genügt zum Beispiel ebenso wenig wie der Stoß<br />

mit einem Gewehrkolben gegen das Gesäß. Anders als hier ist bei § 250 II Nr. 2 eine Abgrenzung von Waffen und anderen<br />

gefährlichen Werkzeugen erforderlich. Bei Messern ist diese Abgrenzung, wie ausgeführt, schwierig (zur Vertiefung: StV<br />

1998, 487). Wenn dies in der Klausur eindeutig ein Schwerpunkt sein sollte, dann bitte diese Ausführungen auch in den Text<br />

mit aufnehmen.<br />

7


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

verhalt wäre O ohne ärztliche Behandlung gestorben, womit hier sogar eine konkrete Lebensgefahr<br />

vorliegen würde. Die Messerstiche stellen somit eine das Leben gefährdende Behandlung<br />

i.S.v. § 224 I Nr. 5 dar.<br />

2) Subjektiver Tatbestand<br />

A handelte vorsätzlich bezüglich aller Merkmale des objektiven Grundtatbestandes und der Qualifikationsmerkmale.<br />

Im Hinblick auf Nr. 5 besaß er abstrakten Lebensgefährdungsvorsatz 35 .<br />

3) Rechtswidrigkeit/ Schuld<br />

A handelt rechtswidrig und schuldhaft.<br />

4) Ergebnis<br />

A hat sich gemäß §§ 223 I Var. 1, 2, 224 I Nr. 2, Nr. 5 wegen gefährlicher Körperverletzung<br />

strafbar gemacht.<br />

3. Handlungsabschnitt: Geschehen ohne G 36<br />

Strafbarkeit des A<br />

I. Versuchte schwere räuberische Erpressung in Mittäterschaft 37 , §§ 253 I,<br />

255, 250 II Nr. 1, 25 II, 22, 23 I 38<br />

A könnte den Versuch einer schweren räuberischen Erpressung in Mittäterschaft, §§ 253 I, 255,<br />

250 II Nr. 1, 25 II, 22, 23 I, begangen haben, indem er mit B dem G am 14.08.2008 auflauerte.<br />

1. Vorprüfung:<br />

Da es nicht zu dem geplanten Überfall kam, sind die §§ 253 I, 255 nicht vollendet. Der Versuch<br />

einer räuberischen Erpressung ist strafbar, da es sich dabei um ein Verbrechen i.S.v. § 12 I handelt<br />

(„gleich einem Räuber“ verweist auf den Strafrahmen von § 249 I).<br />

2. Tatbestand<br />

1) Tatentschluss<br />

A und B waren entschlossen, den G durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für das Leben zur<br />

Herausgabe von Geld zu nötigen, und hatten die Absicht, sich aus seinem Schaden zu Unrecht zu<br />

bereichern. Da einer von ihnen bei der Tat plangemäß eine einsatzbereite Schusswaffe mitführen<br />

und verwenden sollte, war ihre Vorstellung auf eine gemeinschaftliche schwere räuberische Erpressung<br />

i.S.v. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1, 25 II gerichtet.<br />

2) Unmittelbares Ansetzen<br />

Fraglich ist, ob sie durch Aufsuchen des Tatorts und das Lauern auf das von ihnen erwartete Opfer<br />

bereits nach ihrer Vorstellung unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt haben,<br />

§ 22. Die Grenze von der Vorbereitung zum Versuch wird nicht erst überschritten, wenn der<br />

Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern schon dann , wenn er nach seiner Vorstel-<br />

35 Nach h.M. nötig.<br />

36 <strong>Fall</strong> frei nach BGH NStZ 1992, 537.<br />

37 Zur Prüfung von Mittäterschaft siehe in einer späteren <strong>Fall</strong>besprechungsstunde.<br />

38 Zumindest nach der Rechtsprechungsauffassung war hier eine räuberische Erpressung geplant und kein Raub nach § 249 I.<br />

Zur Abgrenzung siehe nur Lackner/Kühl, § 255 Rn. 2.<br />

8


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

lung von der Tat die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt,<br />

die - nach seinem Tatplan- in ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenakte unmittelbar<br />

zur Tatbestandserfüllung führen oder in einem unmittelbar räumlichen und zeitlichen<br />

Zusammenhang mit ihr stehen. 39 Im vorliegenden <strong>Fall</strong>e ist jedoch festzustellen, dass zur Tatbestandsverwirklichung<br />

noch weitere wesentliche Zwischenakte hätten folgen müssen, da das Opfer<br />

nach der Vorstellung von A und B solange noch nicht unmittelbar gefährdet war, als es den Ort<br />

des geplanten Überfalls noch nicht erreicht hatte 40 . Die erforderliche räumliche und zeitliche Nähe<br />

zur Tat ist somit zu verneinen.<br />

3. Ergebnis<br />

Eine versuchte schwere räuberische Erpressung in Mittäterschaft gem. §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1,<br />

25 II, 22, 23 I liegt nicht vor.<br />

II. Verabredung zur schweren räuberischen Erpressung, § 30 II i.V.m.<br />

§§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1<br />

Indem A mit dem B übereingekommen ist, dem G aufzulauern, könnte er sich wegen Versuchs<br />

der Beteiligung in der Form der Verabredung eines Verbrechens der schweren räuberischen Erpressung<br />

§30 II iVm §§253 I, 255, 250 II Nr.1, strafbar gemacht haben.<br />

1. Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld<br />

A und B haben das Verbrechen (vgl. § 12 I) der §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1 i.S.v. § 30 II Var. 3<br />

verabredet 41 , indem sie die ernstliche Übereinkunft trafen, die Tat als Mittäter, d. h. in bewusstem<br />

und gewolltem Zusammenwirken, zu begehen. Dies geschah vorsätzlich, rechtswidrig und<br />

schuldhaft.<br />

2. Rücktritt, § 31 I Nr. 3 42<br />

Möglicherweise ist A von dem Beteiligungsversuch strafbefreiend zurückgetreten, indem er die<br />

Initiative zum Abbruch der Tat ergriffen hat. Voraussetzung für einen derartigen Rücktritt des A<br />

ist nach § 31 I Nr. 3, dass er die verabredete Tat freiwillig verhindert. Dabei ist erforderlich, dass<br />

der Vorbereitende das Verbrechen endgültig verhindert.<br />

1) Verhinderung der Tat<br />

Ob A die verabredete Tat endgültig verhindert hat, ist zweifelhaft. Da nämlich B den gleichen<br />

Tatplan später mit C und D weiterverfolgt hat, könnte das Unterbleiben des Erpressungserfolges<br />

dem A u.U. nicht als sein Werk zugerechnet werden; die Tat könnte vielmehr ohne Zutun des A<br />

allein deshalb unterblieben sein, weil das Opfer G auch bei den späteren Anschlägen nicht erschienen<br />

war.<br />

Dieser Ansicht ist aber nicht zu folgen. Denn der für den Rücktritt erforderliche Verhinderungswille<br />

muss nur auf die durch den Tatplan konkretisierte Tat gerichtet sein. Die in § 31 ebenso wie<br />

39<br />

BGHSt 48,34,35f.<br />

40<br />

Vgl. Roxin, JuS 1979, 1, 5 f. Vgl. aber auch die Entscheidung BGH NJW 1952, 514 f., die jedoch heute in der Literatur<br />

überwiegend abgelehnt wird.<br />

41<br />

Die anderen Varianten treten als subsidiär zurück, weil das Sicht-Bereit-Erklären und das Annehmen des Erbietens eines<br />

anderen Vorstufen zur Verabredung sind, vgl. LK-Schünemann, 12. Auflage, § 30 Rn. 79, 93; Fischer 56. Auflage, § 30<br />

Rn. 15; a. A. offenbar Schönke/Schröder/Cramer/Heine, § 30 Rn. 41.<br />

42<br />

Diese Variante des § 31 Iist zwingend zu prüfen, da der Gesetzgeber bei Verwirklichung des § 30 II Var. 3 anders als etwa<br />

§ 31 INr. 2, der sich auf § 30 II Var. 1 bezieht, höhere Anforderungen an einen strafbefreienden Rücktritt stellt.<br />

9


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

in § 24 vorausgesetzte Tatidentität ist immer ausgeschlossen, wenn der Tatplan aufgrund des<br />

Ausscheidens eines Tatbeteiligten von den übrigen zunächst aufgegeben wird, diese die Tat aber<br />

später aufgrund eines neuen Tatentschlusses ausführen. Für einen neuen Tatentschluss des B<br />

spricht hier der zeitliche Abstand zwischen der mit dem A geplanten und den später mit anderen<br />

Personen ausgeführten Vorbereitungshandlungen, sowie der Umstand, dass B neue Tatgenossen<br />

für sein Vorhaben erst noch gewinnen musste. Doch selbst wenn B seinen Plan zu keinem Zeitpunkt<br />

aufgegeben, sondern sich von vornherein vorbehalten hatte, die geplante Tat bei geeigneter<br />

Gelegenheit mit anderen Personen weiterzuführen, ist diese nicht mehr mit der mit dem A verabredeten<br />

Tat identisch. Der ursprüngliche Handlungsplan wurde durch B, C und D in abgewandelter<br />

Form fortgeführt; das weitere Tatgeschehen weicht so wesentlich im Hinblick auf die Tatzeit<br />

und die Beteiligten von dem zunächst verabredeten Tatplan ab, dass es sich aus der Sicht des Zurücktretenden<br />

als Exzess des Tatausführenden darstellt 43 . Im vorliegenden <strong>Fall</strong> spricht nichts dafür,<br />

dass A und B ohne zeitliche und örtliche Einschränkung verabredet hätten, von G in Zukunft<br />

mit Waffengewalt Geld zu erpressen; auch war die Hinzuziehung von weiteren Komplizen nicht<br />

geplant. Vielmehr war die Vorstellung des A ausschließlich auf eine Tatbegehung in der auf die<br />

Verabredung folgenden Nacht gerichtet. Für einen strafbefreienden Rücktritt reicht es daher,<br />

wenn A die konkret für die Nacht vom 14.08.2008 geplante Tat verhindert 44 .<br />

Indem A den B zum Abbruch ihres gemeinsamen Vorhabens veranlasste, hat er somit die konkret<br />

verabredete Tat i.S.v. § 31 I Nr. 3 verhindert.<br />

2) Freiwilligkeit<br />

Ob A „freiwillig“ i.S.v. § 31 I zurückgetreten ist, ist fraglich. Da nämlich das Opfer in der Tatnacht<br />

nicht an dem für die Tatausführung vorgesehenen Ort erschienen ist, könnte die verabredete<br />

Tat aus zwingenden äußeren Gründen gescheitert sein.<br />

Anmerkung: Es ist auch vertretbar, diese Problematik bei der Rechtsfigur „Fehlgeschlagener<br />

Versuch“ zu verorten und dort zu behandeln.<br />

Ob der Täter freiwillig zurückgetreten ist, hängt davon ab, ob er noch „Herr seiner Entschlüsse"<br />

blieb und ob er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hielt, er also weder<br />

durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch einen seelischen Druck unfähig wurde,<br />

die Tat zu vollenden 45 . Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist dabei nicht die objektive Sachlage,<br />

sondern die Vorstellung des Täters; die äußeren Gegebenheiten sind allerdings insoweit von<br />

Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen 46 . Vorliegend<br />

verhinderte A laut Sachverhalt aus „Angst" die weitere Tatausführung. Mutlosigkeit als Motiv für<br />

den Rücktritt schließt dessen Freiwilligkeit jedoch ebenso wenig aus wie Gewissensgründe oder<br />

Furcht vor Strafe. Es handelt sich vielmehr um autonome Motive 47 .<br />

3. Ergebnis<br />

A hat somit freiwillig die verabredete Tat verhindert. Daher ist er gemäß § 31 I Nr. 3 strafbefreiend<br />

zurückgetreten.<br />

43<br />

Schönke/Schröder/Eser, § 24 Rn. 92.<br />

44<br />

BGH NStZ 1992, 537, 538; vgl. auch LK-Schünemann, § 31 Rn. 22.<br />

45<br />

Vgl. BGHSt 35, 184.<br />

46<br />

BGH NStZ 1992, 536, 537 für den <strong>Fall</strong> des nach Tatbeginn gesteigerten Entdeckungsrisikos.<br />

47<br />

Zu den Motiven des A gehörte u.U. auch, dass er weiteres Warten als wenig sinnvoll ansah. Äußere Umstände wie diese,<br />

die In die Entscheidung des Täters zusätzlich mit einfließen, ändern an der Freiwilligkeit jedoch nichts, solange In erster Linie<br />

autonome Gründe wie Angst den Entschluss zum Rücktritt hervorrufen, vgl. Kühl, AT, § 16 Rn. 55.<br />

10


Dipl.iur. Natalie Richter <strong>Fall</strong>besprechung Strafrecht AT<br />

Akademische Mitarbeiterin<br />

Lehrstuhl Prof. Dr. Kinzig<br />

Institut für Kriminologie, Sand 7, Zimmer 220<br />

E-mail: natalie_richter@gmx.net<br />

III. Hausfriedensbruch, § 123 I Var. 1<br />

Bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung kann davon ausgegangen werden, dass das „Grundstück“<br />

des G ein befriedetes Besitztum i.S.v. § 123 I darstellt und A daher vorsätzlich, rechtswidrig und<br />

schuldhaft den Tatbestand des § 123 I verwirklicht hat. Zu beachten ist das Antragserfordernis,<br />

§ 123 II.<br />

Gesamtergebnis:<br />

A ist wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I Var. 1, 2, 224 I Nr. 2, 5 und Hausfriedensbruchs<br />

gem. § 123 I Var. 1 zu bestrafen. Die Taten stehen im Verhältnis der Tatmehrheit<br />

nach § 53.<br />

Literatur:<br />

Heinrich StR AT Bd. I §§ 21, 22, 23, 24; Krey Bd 2 §§ 41-49, Kühl AT §§ 15, 16; Wessels/Beulke<br />

SR AT § 14, Rengier StR AT, §§33, 34, 35, 37, 47.<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!