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Anhang 2: Cluster Analyse für IKT - EIIW

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<strong>EIIW</strong><br />

POSITIONSPAPIER<br />

ZUR DIGITALEN WIRTSCHAFT 2012<br />

Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

als Schlüssel <strong>für</strong> wirtschaftliche Modernisierung und Fortschritt<br />

in Deutschland und Nordrhein-Westfalen<br />

Prof. Dr. Paul J.J. Welfens (<strong>EIIW</strong>) / Dr. Gero Stenke und Dr. Verena Eckl (WiStat)<br />

Dipl. Ök. Philipp Breidenbach (RWI) / Dipl. Ök. Wolfgang Dürig (RWI)<br />

Prof. Dr. Christoph M. Schmidt (RWI/Ruhr-Univ. Bochum)<br />

Prof. Dr. Justus Haucap / Dr. Ulrich Heimeshoff / Jr.-Prof. Dr. Tobias Wenzel (DICE)<br />

Wir danken der Deutschen Telekom AG und der SAP AG <strong>für</strong> die fi nanzielle Unterstützung zur Drucklegung dieser Broschüre


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW II<br />

Zusammenfassung:<br />

Die <strong>Analyse</strong> thematisiert die Entwicklungslinien der Informations- und Kommunikationstechnologie (<strong>IKT</strong>),<br />

die als wichtige Treiber des Strukturwandels, von Innovationen und des Wachstums eingeordnet werden.<br />

Der Sektor der <strong>IKT</strong> wird in seiner langfristigen ökonomischen Bedeutung weithin unterschätzt, da die –<br />

häufig unzureichender Weise verwendete – auf Basis nominaler Zahlen gemessene sektorale Investitionsquote<br />

seit 2000 in den USA und Deutschland rückläufig ist. Die ökonomisch allein sinnvolle Messung<br />

realer Investitionsquoten zeigt aber, dass z.B. in Deutschland die Relation reale <strong>IKT</strong>-Investitionen zu realem<br />

Bruttoinlandsprodukt mehr als doppelt so hoch ist wie die auf Basis von nominalen Werten ermittelte<br />

Quote „(...)..; und weiter ansteigt. Umso wichtiger ist <strong>IKT</strong> auch <strong>für</strong> das Wirtschaftswachstum.<br />

Neben einigen Feldern, in denen Deutschland bzw. Nordrhein-Westfalen gut positioniert sind, gibt es auch<br />

Bereiche mit deutlichem Nachhol- bzw. Handlungsbedarf. Für Deutschland ist der Rückstand etwa bei<br />

Online-gestützter Jobsuche international erheblich, der Anteil der <strong>IKT</strong>-Innovationsaufwendungen noch<br />

relativ gering. Nicht zuletzt ist vom Staat zu erwarten, dass Digitales Regieren mittelfristig eine deutlich<br />

größere Rolle spielen wird, wobei jedoch im <strong>IKT</strong>-Bereich die Unterschiede zwischen den Ländern aller<br />

Voraussicht nach erheblich sein werden. Somit ist die Frage zu beantworten, welche Aktivitäten und Förderschwerpunkte<br />

des Bundes und der Länder aus wirtschaftspolitischer Sicht verfolgt werden sollten. Richtig<br />

gesetzte politische Rahmenbedingungen <strong>für</strong> die <strong>IKT</strong>-Expansion können ein Baustein zur Überwindung<br />

der im Nachgang zur Banken- und Eurokrise eingetretenen Wachstumsverlangsamung in Europa sein.<br />

In Nordrhein-Westfalen können <strong>IKT</strong>-Initiativen von dessen Standortvorteil als bevölkerungsreichstes Bundesland<br />

verstärkt profitieren; darüber hinaus gibt es zahlreiche gute Ansatzpunkte <strong>für</strong> eine wachstumsorientierte<br />

Wirtschaftspolitik. So besteht gerade im Bildungssektor eine deutliche Unterrepräsentierung der <strong>IKT</strong>-<br />

Ausgaben. Obwohl der Bildungssektor nahezu 6% Anteil an der nationalen Wertschöpfung aufweist, betragen<br />

die <strong>IKT</strong>-Ausgaben nur 1%. Die Unterausstattung des Schul- und Universitätssystems mit <strong>IKT</strong> ist in<br />

einigen Regionen gravierend. Eine spürbare <strong>IKT</strong>-Expansion kann daher <strong>für</strong> mehr Wirtschaftswachstum und<br />

<strong>für</strong> mehr Beschäftigung sorgen und auf diesem Wege zudem die Haushaltskonsolidierung unterstützen.<br />

Grundsätzlich sollte der Staat zuverlässige Rahmenbedingungen definieren und mit Blick auf die angestrebte<br />

Umsetzung der Breitbandstrategie vernünftige Investitionsbedingungen schaffen. Der <strong>IKT</strong>-Sektor<br />

ist selbst durch eine hohe Innovationsrate geprägt, aber auch die Dynamik der <strong>IKT</strong>-Anwendersektoren ist<br />

besonders wichtig. In der digitalen Internetwirtschaft gibt es zudem zahlreiche Möglichkeiten, um Netzwerkeffekte<br />

sinnvoll auszunutzen und neue Märkte zu entwickeln.<br />

Die <strong>IKT</strong>-Gründerdynamik in Deutschland ist zeitweise rückläufig gewesen, Ursachenanalysen und darauf<br />

abgestimmte politische Initiativen können eine Möglichkeit bilden, diese Stagnation zu überwinden. Auf<br />

der Anbieterseite ist eine weiter voranschreitende internationale Arbeitsteilung zu beobachten, was sich in<br />

einer weiteren Entkopplung von Forschung und Entwicklung (FuE) und Produktion äußert. Deutschlands<br />

Marktvolumen <strong>für</strong> IT-Produkte liegt laut Angaben des Bundesverbandes der Informationswirtschaft, Telekommunikation<br />

und neue Medien e.V. (Bitkom) nach den USA, Japan und China weltweit an vierter Stelle.<br />

Diese hohe Nachfrage wird allerdings weitgehend durch Auslandsimporte bedient. Deutschland ist zwar ein<br />

bedeutender Nachfrager, aber kein zentraler Anbieter von Informations-und Kommunikationstechnologie.<br />

In der Tat stagniert die Produktion von <strong>IKT</strong>-Produkten hierzulande oder ist in einigen Feldern sogar rückläufig.<br />

Der Anteil der <strong>IKT</strong>-Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung liegt unter dem Durchschnittsniveau<br />

von OECD und EU, ebenso wie der Anteil der <strong>IKT</strong>-Wertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung des Wirtschaftssektors.<br />

Deutlich größere Bedeutung kommt der <strong>IKT</strong>-Forschung in Deutschland zu. Die internen Aufwendungen<br />

der Unternehmen <strong>für</strong> FuE liegen nur im Fahrzeugbau über der Summe, die <strong>IKT</strong>-Unternehmen <strong>für</strong> FuE auf-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW III<br />

wenden. Der hohe Anspruch und die Komplexität der in der <strong>IKT</strong>-Branche vollzogenen FuE werden dadurch<br />

deutlich, dass hier besonders hohe Anteile der Bruttowertschöpfung <strong>für</strong> FuE eingesetzt werden. Allerdings<br />

ist der Anteil von Industrieunternehmen der <strong>IKT</strong>-Branche, die innerhalb eines Dreijahreszeitraumes<br />

Innovationsprojekte erfolgreich abschließen, in den vergangenen Jahren rückläufig. Dementsprechend<br />

hat sich auch der Anteil <strong>IKT</strong>-bezogener Patente an allen nationalen Patentanmeldungen in Deutschland<br />

deutlich verringert. Diese Entwicklung haben fast alle entwickelten Volkswirtschaften vollzogen.<br />

Der immer weiter fortschreitende Einzug von <strong>IKT</strong> in industrielle Prozesse wirkt zweifelsfrei als Modernisierungstreiber<br />

<strong>für</strong> das Handwerk. Dabei kann auf der einen Seite ein gewisser Modernisierungszwang<br />

festgestellt werden: Handwerksunternehmen müssen eine Technisierung ihrer Arbeit annehmen, um mit<br />

industriellen Weiterentwicklungen Schritt halten zu können. Auf der anderen Seite besteht aber auch die<br />

Chance, mit Hilfe einer proaktiven Modernisierung selbst neue Entwicklungen anzuregen. Die aufgeführten<br />

Beispiele kooperativer zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit zeigen, wie handwerkliche Betriebe zu Effizienzsteigerungen<br />

gelangen können. Und die <strong>Analyse</strong> der myhammer.de-Daten demonstriert, wie handwerkliche<br />

Betriebe ihre Absatzpotenziale dank <strong>IKT</strong> besser ausschöpfen können.<br />

Doch gleichzeitig sind die Herausforderungen zu beachten, mit denen das Handwerk durch die Eigenschaften<br />

der <strong>IKT</strong> konfrontiert wird. Die Sorge, dass sich Billiganbieter ohne handwerkliche Ausbildung in Online-Portalen<br />

wie myhammer.de durchsetzen und die Qualifikation der Handwerksausbildung preislich keinen<br />

Wert hat, konnte in der bisherigen <strong>Analyse</strong> der Daten zwar nicht bestätigt werden. Doch ob die höhere<br />

Vergütung <strong>für</strong> die mit einer handwerklichen Ausbildung einhergehende Kompetenz weiterhin Bestand<br />

haben wird, kann noch nicht abschließend erörtert werden. Wesentlich konkreter ist das Problem des<br />

Handwerks, mit den Statuten und Ordnungen des Handwerks nicht flexibel genug sein zu können, um mit<br />

den sich schnell entwickelnden Anforderungen des <strong>IKT</strong>-Sektors mithalten zu können. Das Handwerk kann<br />

oftmals nicht schnell genug mit anerkannten Ausbildungen auf die Anforderungen moderner Technik reagieren.<br />

Breite Teile des <strong>IKT</strong>-Sektors gehen gar an handwerklichen Ausbildungen vorbei.<br />

Zu den großen Herausforderungen <strong>für</strong> die Regulierungspolitik gehört im Internetbereich die zunehmende<br />

Bedeutung digitaler Plattformen bzw. sozialer Netzwerke. Das Internet ist stark durch Wettbewerb zwischen<br />

Plattformen geprägt, welche potenzielle Tauschpartner zusammenbringen. Die Konkurrenz zwischen<br />

solchen mehrseitigen Plattformen und die Marktkonzentration wird maßgeblich bestimmt durch (1) die<br />

Stärke der indirekten Netzeffekte, (2) das Ausmaß steigender Skaleneffekte, (3) Überlastungsgefahren, (4)<br />

Differenzierung der Plattformen und (5) die Möglichkeit des Multihoming. Je nach Ausprägung dieser<br />

Kriterien ergeben sich unterschiedliche Konzentrationstendenzen und Markteintrittsbarrieren. Pauschal<br />

lässt sich zwar nicht feststellen, dass im Internet besonders viele dauerhaft resistente Monopole anzutreffen<br />

wären und ein besonderer Regulierungsbedarf besteht. Gleichwohl zeigt sich, dass einzelne Plattformen<br />

wie z.B. ebay und Facebook auf manchen Märkten durchaus beträchtliche Marktmacht besitzen, die aufgrund<br />

erheblicher Markteintrittsbarrieren und indirekter Netzeffekte auch nicht schnell erodieren wird. Im<br />

Fall von Google hingegen sind indirekte Netzeffekte schwächer ausgeprägt und Wechselkosten <strong>für</strong> Nutzer<br />

daher geringer. Für Google wird es daher bedeutend schwieriger sein, die heutige Marktmacht dauerhaft zu<br />

sichern und sich gegen Markteintritt und Innovation zu schützen – gute Nachrichten daher <strong>für</strong> die Verbraucher!


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW IV<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis.................................................................................................................. IV�<br />

Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................... VI�<br />

1.� Wachstumsdynamik und Modernisierungsperspektiven der Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie...................................................................................................1�<br />

1.1� Einführung.....................................................................................................................1�<br />

1.2� <strong>IKT</strong>-Expansion, Investitionsdynamik und Innovationen in der digitalen Wirtschaft 15�<br />

1.3� Wirtschaftspolitische Handlungsperspektiven ............................................................27�<br />

1.4� Literatur .......................................................................................................................30�<br />

2.� Wirtschafts- und Innovationsfaktor <strong>IKT</strong> – Möglichkeiten, Grenzen und die Position<br />

Deutschlands ...........................................................................................................................33�<br />

2.1� Einleitung ....................................................................................................................33�<br />

2.2� <strong>IKT</strong> als Wirtschaftsfaktor: Entwicklung und Definition .............................................33�<br />

2.2.1.� Entwicklung des <strong>IKT</strong> Sektors..............................................................................33�<br />

2.2.2.� Definition des <strong>IKT</strong> Sektors..................................................................................35�<br />

2.3� Innovationen <strong>für</strong> <strong>IKT</strong> und <strong>IKT</strong> <strong>für</strong> Innovationen ........................................................37�<br />

2.3.1.� Forschung und Entwicklung, Gründungen, Patente und Innovationen im <strong>IKT</strong>-<br />

Bereich ..............................................................................................................37�<br />

2.3.2.� Möglichkeiten und Grenzen von <strong>IKT</strong> als Instrument zur Beschleunigung und<br />

Neuorganisation von Innovationsprozessen .....................................................52�<br />

2.4� Fazit .............................................................................................................................57�<br />

2.5� Literatur .......................................................................................................................58�<br />

3.� <strong>IKT</strong> als Modernisierungstreiber <strong>für</strong> die regionale Wirtschaft und das Handwerk..61�<br />

3.1� Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von <strong>IKT</strong> ..........................................................61�<br />

3.2� Die regionale Dimension der <strong>IKT</strong> ...............................................................................63�<br />

3.3� Handwerk in der Region..............................................................................................64�<br />

3.4� Handwerk als Anbieter und Nutzer von <strong>IKT</strong> ..............................................................67�<br />

3.4.1.� <strong>IKT</strong>-Leistungsangebote des Handwerks..............................................................67�<br />

3.4.2.� Innerbetrieblicher Einsatz von <strong>IKT</strong> im Handwerk ..............................................68�<br />

3.4.3.� Marktbezogene Bedeutung von <strong>IKT</strong> im Handwerk ............................................70�<br />

3.4.4.� Auktionsplattplattformen und ihre mögliche Bedeutung <strong>für</strong> das Handwerk.......72�<br />

3.4.5.� Adoption von <strong>IKT</strong> in Handwerksbetrieben .........................................................72�<br />

3.5� Handwerk: <strong>IKT</strong>-Nachzügler oder regionaler Modernisierungstreiber? ......................74�<br />

3.6� Literaturverzeichnis.....................................................................................................75�<br />

4.� Konzentration und Wettbewerb von digitalen Plattformen: Besteht ein besonderer<br />

Regulierungsbedarf? ..............................................................................................................77�<br />

4.1� Einleitung ....................................................................................................................77�<br />

4.2� Die ökonomische Theorie digitaler Plattformen .........................................................77�<br />

4.3� Konzentrationstendenzen bei 2SM und ihre Bestimmungsgründe .............................79�<br />

4.4� Beispiel I: ebay............................................................................................................81�<br />

4.5� Beispiel II: Google ......................................................................................................84�<br />

4.6� Fazit .............................................................................................................................86�<br />

4.7� Literatur .......................................................................................................................86�<br />

5.� Strategische Schlussforderungen ...................................................................................89�<br />

<strong>Anhang</strong> 1: ExzellenzNRW <strong>Cluster</strong>initiative ........................................................................91�


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW V<br />

<strong>Anhang</strong> 2: <strong>Cluster</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>für</strong> <strong>IKT</strong> (<strong>EIIW</strong>-<strong>Analyse</strong>n).......................................................92�<br />

<strong>Anhang</strong> 3: Internationale Spezialisierung in Deutschland und China..............................97�<br />

<strong>Anhang</strong> 4: <strong>IKT</strong>-Daten ............................................................................................................99�<br />

<strong>Anhang</strong> 5: Exporte von <strong>IKT</strong>-Gütern ..................................................................................102�


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW VI<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1:� Nominale <strong>IKT</strong>-Investitionsquote versus reale <strong>IKT</strong>-Investitionsquote (reale<br />

<strong>IKT</strong>-Investitionen relativ zum realen Bruttoinlandsprodukt; Basisjahr 2000) <strong>für</strong> USA<br />

und Deutschland..........................................................................................................7�<br />

Abbildung 2:� Digitale Soziale Marktwirtschaft ....................................................................26�<br />

Abbildung 3:� Beitrag der Investitionen in <strong>IKT</strong> zum BIP Wachstum 2000-2009,<br />

Wachstumsrate in %..................................................................................................34�<br />

Abbildung 4:� Anteil der <strong>IKT</strong> Beschäftigten an allen Beschäftigten des Wirtschaftssektors<br />

1995 und 2008, in %..................................................................................................35�<br />

Abbildung 5:� Anteil der <strong>IKT</strong> Wertschöpfung an der gesamten Wertschöpfung des<br />

Wirtschaftssektors 1995 und 2008, in %...................................................................35�<br />

Abbildung 6:� Interne FuE-Aufwendungen der <strong>IKT</strong> Wirtschaft getrennt nach <strong>IKT</strong> im<br />

verarbeitenden Gewerbe und <strong>IKT</strong>-Dienstleistungen in 2008, in % des BIP.............38�<br />

Abbildung 7:� Interne FuE-Aufwendungen der Wirtschaft in technologieintensiven Branchen<br />

1995-2009 in Deutschland, in Mio. Euro..................................................................39�<br />

Abbildung 8:� Gründungsraten in der Wissenswirtschaft in Deutschland 2000-2009, in%..42�<br />

Abbildung 9:� Gründungsintensitäten im <strong>IKT</strong> Sektor <strong>für</strong> ausgewählte Bundes-länder von<br />

1995 bis 2010*, Anzahl Gründungen pro 10.000 Erwerbsfähige .............................43�<br />

Abbildung 10:� <strong>IKT</strong>-Anteil an Gesamtgründungen................................................................44�<br />

Abbildung 11:� Gründungsraten in Teilsektoren der wissensintensiven Dienstleistungen im<br />

Jahr 2007 in ausgewählten Ländern ..........................................................................45�<br />

Abbildung 12:� Anteil <strong>IKT</strong> bezogener Patente an allen nationalen Patenten 2001-2009 beim<br />

Europäischen Patentamt in %....................................................................................46�<br />

Abbildung 13:� Anteil der nationalen <strong>IKT</strong>-bezogenen Patente an allen <strong>IKT</strong><br />

Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt in % ..........................................47�<br />

Abbildung 14:� Innovatorenquote in technologieintensiven Branchen 2005 und 2010 in<br />

Deutschland, in %......................................................................................................49�<br />

Abbildung 15:� Umsatz mit neuen Produkten technologieintensiver Branchen in Deutschland<br />

2005 und 2010, in Mrd. Euro ....................................................................................50�<br />

Abbildung 16:� Kostenreduktion und Umsatzwachstum durch Prozessinnovationen<br />

technologieintensiver Branchen in Deutschland 2005 und 2010, in %.....................52�<br />

Abbildung 17:� Regionalwirtschaftliche Ziele und der mögliche Beitrag von<br />

Handwerksunternehmen............................................................................................65�<br />

Abbildung 18:� <strong>IKT</strong> und Handwerk........................................................................................69�<br />

Abbildung 19:� Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, München, 2000-2007......................92�<br />

Abbildung 20:� Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Vienna, 2000-2007 .........................93�<br />

Abbildung 21:� Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Vienna, 2000-2007..........................................93�<br />

Abbildung 22:� Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Dortmund, 2000-2007 ....................94�


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW VII<br />

Abbildung 23:� Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Dortmund, 2000-2007.....................................94�<br />

Abbildung 24:� Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Bergisches Städtedreieck, 2000-2007<br />

95�<br />

Abbildung 25:� Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Bergisches Städtedreieck, 2000-2007.............95�<br />

Abbildung 26:� Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Eindhoven, 2000-2007 ...................96�<br />

Abbildung 27:� Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Eindhoven, 2000-2007....................................96�<br />

Abbildung 28:� Offenbarte internationale Wettbewerbsposition (RCA: positiver Wert zeigt<br />

relativ gute sektorale Wettbewerbsfähigkeit an; ein negativer Wert steht <strong>für</strong> eine<br />

schwache internationale Wettbewerbsposition) und Exportdurchschnittserlös <strong>für</strong><br />

Deutschland...............................................................................................................97�<br />

Abbildung 29:� Offenbarte internationale Wettbewerbsposition (RCA: positiver Wert zeigt<br />

relativ gute sektorale Wettbewerbsfähigkeit an; ein negativer Wert steht <strong>für</strong> eine<br />

schwache internationale Wettbewerbsposition) und Exportdurchschnittserlös <strong>für</strong><br />

China 98�<br />

Abbildung 30:� Entwicklung der Exporte von <strong>IKT</strong> Gütern nach den wichtigsten<br />

Bestimmungsländern...............................................................................................102�


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 1<br />

1. Wachstumsdynamik und Modernisierungsperspektiven<br />

der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

Paul J.J. Welfens<br />

Europäisches Institut <strong>für</strong> Internationale Wirtschaftsbeziehungen (<strong>EIIW</strong>) an der<br />

Bergischen Universität Wuppertal<br />

1.1 Einführung<br />

Der nationale IT-Gipfel in Essen in 2012 bietet einen exzellenten Ansatzpunkt, um einerseits<br />

die bisherigen IT-Gipfel-Ansätze erfolgreich weiterzuführen; andererseits können aber auch<br />

spezifische digitale Expansionspunkte <strong>für</strong> Nordrhein-Westfalen, Deutschland und die EU<br />

entwickelt werden. Dieses bevölkerungsreichste Bundesland ist groß genug, um durch seine<br />

Initiativen wirtschaftlich und politisch auch Impulse <strong>für</strong> ganz Deutschland zu geben und die<br />

besondere geographische EU-Nachbarschaftslage erlaubt es darüber hinaus grundsätzlich<br />

auch, digitale europäische Ansatzpunkte zielgerichtet zu entwickeln. Letztere könnten unmittelbar<br />

einen Bezug auch auf die Fortführung der Lissabon-Agenda 2010 bzw. auf die Umsetzung<br />

von Europa 2020 als Leitlinie der Europäischen Union setzen: Denn auch hier wird auf<br />

die Bedeutung der digitalen Modernisierung und des Internets bzw. der Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie (<strong>IKT</strong>) fokussiert. <strong>IKT</strong> ist in allen Ländern der Weltwirtschaft ein<br />

Expansionsfeld, deutlich sichtbar <strong>für</strong> jedermann im Bereich der Mobilfunktechnologie mit<br />

vielen neuartigen Diensten und ihrer großen Zahl von innovativen Geräten, die eine hochwertige<br />

und schnelle Kommunikation von Menschen erlauben. Der neu wachsende Bereich der<br />

Maschine-Maschine-Kommunikation ist ein Teil der künstlichen Intelligenz moderner Industrien,<br />

in denen softwaregestützte Steuerungs- und Kommunikationsprozesse Effizienz mit<br />

Flexibilität und Innovation zu kombinieren erlauben. Der Staat ist im <strong>IKT</strong>-Sektor mehrfach<br />

gefordert, nämlich als<br />

• Rahmensetzer <strong>für</strong> private Investitionsentscheidungen: Nur wenn Telekomnetzbetreiber<br />

und Softwareunternehmen sowie die Hersteller und Anwender von <strong>IKT</strong>-Geräten einen<br />

verlässlichen, investitionsfreundlichen Regulierungsrahmen im nationalen und europäischen<br />

Markt vorfinden, ist mit Investitionen zu rechnen.<br />

• Förderer von digitalen Innovationen: EU sowie Bund und Länder sind mit einer Innovationsförderung<br />

dort präsent, wo mit Technologie-Spillovers zu rechnen ist. Bei erfolgreich<br />

evaluierten Fördermaßnahmen ist die internationalisierte Innovationsförderung zu stärken.<br />

• <strong>IKT</strong>-Anwender, der etwa in der Gesundheits- und Sozialpolitik, in der Bildungs- und<br />

Verteidigungspolitik gefordert ist. In diesen Politikbereichen gibt es nennenswerte<br />

Einsparpotenziale, die zum Nutzen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bzw. der Bürgerschaft<br />

realisierbar sind. Die Abrechnung von Dienstreisen in der öffentlichen Verwaltung<br />

oder die krankenkassenbezogenen Beihilfevorgänge bei Beamten sind häufig eine<br />

Dekade hinter den technischen digitalen Abrechnungsmöglichkeiten zurück. Unzureichende<br />

Nutzung digitaler Technik bedeutet teuren Zeitverzug, unnötige Fehlerquellen,<br />

unnötig hohe Kosten und eine unbefriedigende Leitungsqualität.<br />

• Impulsgeber, da im Zuge der Eurokrise bzw. der transatlantischen Bankenkrise eine Abschwächung<br />

des Wirtschaftswachstums eingetreten ist und daher die wachstumsförderli-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 2<br />

chen Aspekte der <strong>IKT</strong> besonders in den Blick zu nehmen sind, Wachstumshemmnisse beseitigt<br />

werden und bislang ungenutzte Chancen genutzt werden müssen.<br />

Dank Internet, das in Deutschland nahezu flächendeckend verfügbar ist, trägt die digitale<br />

Kommunikation unmittelbar auch zur Entwicklung einer modernen Demokratie bei. Das Internet<br />

ermöglicht politische Teilhabe und fördert damit die Chancengleichheit. Nordrhein-<br />

Westfalen ist im Vergleich zu anderen Bundesländern in der Internetnutzung und bei moderner<br />

Kommunikation gut aufgestellt. NRW hat seit Jahren neben einer erfolgreichen <strong>IKT</strong>-<br />

<strong>Cluster</strong>politik auch einen expliziten digitalen Ansatzpunkt in der Wirtschaftspolitik; zudem<br />

hat sich NRW schon immer durch eine moderne Medienpolitik ausgezeichnet und mit angrenzenden<br />

EU-Nachbarländern Kooperationsprojekte in der Internetwirtschaft durchgeführt.<br />

Die Europäische Union hat in besonderer Weise die Verbindung von ökonomischer Modernisierung<br />

und umweltfreundlicher Wirtschaftsentwicklung betont. Auch dies passt gut zu dem<br />

schon mehrjährigen IT-Gipfel-Aktivitätsfeld Green ICT bzw. umweltfreundlicher Informations-<br />

und Kommunikationstechnologie; hier sind Energieeffizienzgewinne und ein optimierter<br />

Einsatz von Materialien ebenso wichtig wie die Verbreitung umweltfreundlichen Nutzerverhaltens.<br />

Mit der etwas breiter definierten Expansion des neuen digitalen Verbindungsfeldes<br />

<strong>IKT</strong> und Energie (insbesondere Smart Grids) ließe sich zudem ein neuer Innovations- und<br />

Expansionsschwerpunkt <strong>für</strong> den digitalen Modernisierungsprozess definieren.<br />

Im Zuge der Energiewende (HENNICKE/WELFENS, 2012), die die Kosten der Stromerzeugung<br />

stärker sichtbar macht, bietet das Ausrollen „intelligenter Stromnetze” große volkswirtschaftliche<br />

Effizienzgewinne. Hierbei steht weniger die Frage, ob sich <strong>für</strong> den privaten Haushalt<br />

die Anschaffung eines intelligenten Stromzählers rechnet, im Vordergrund, als vielmehr<br />

die möglichen Einsparungen im Kraftwerkspark und im Leitungsbau, die sich im Kontext<br />

verminderter Spitzenlasten realisieren lassen. Darüber hinaus trägt der <strong>IKT</strong>-Einsatz dazu bei,<br />

Emissionen gezielter zu messen, zu reduzieren oder gänzlich zu vermeiden (WELFENS/<br />

JUNGMITTAG, 2012).<br />

Die Stromwirtschaft ist ebenso wie der <strong>IKT</strong>-Sektor in Nordrhein-Westfalen mit internationalen<br />

Großunternehmen und mit zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen stark aufgestellt.<br />

Zu diesen zählen beispielsweise Unternehmen, die im Bereich Software und in der<br />

Chip-Produktion sowie in den Bereichen Mobilfunklösungen und innovativer Logistik aktiv<br />

sind (WELFENS, 2011). Die Medienachse Köln-Düsseldorf genießt als <strong>Cluster</strong>-Raum überregionale<br />

Anerkennung. In Anbetracht verschiedener regionaler Innovationszentren bestehen<br />

in Deutschland erhebliche Möglichkeiten, digitale Wachstumsimpulse zu setzen. Das Ruhrgebiet<br />

steht im Übrigen <strong>für</strong> eine Tradition der internationalen Vernetzung bzw. Integration<br />

sowie der permanenten Erneuerung im Zeichen moderner Industrie- und Dienstleistungszentren.<br />

Dank der jungen Universitäten und Hochschulen sowie der außeruniversitären Forschungseinrichtungen<br />

gibt es ein großes Netzwerk auch an Wissenserzeugern und an Trägern<br />

<strong>für</strong> Diffusion. IT-nahe Schwerpunkte gibt es u.a. in den Bereichen Logistik (wo Nordrhein-<br />

Westfalen <strong>für</strong> ein vom Bund gefördertes Spitzencluster steht), im Automobilsektor (inklusive<br />

Zulieferindustrie) sowie im Maschinenbausektor. Hinzu kommen die Bereiche Gesundheitswirtschaft<br />

und Kreativwirtschaft, in denen jedoch die digitale Innovationsdynamik noch hohes<br />

Expansionspotenzial aufweist. Im Energiesektor können Schritte hin zu mehr Elektromobilität<br />

längerfristig digitale Innovationspotenziale voran bringen. Dabei steht Nordrhein-<br />

Westfalen natürlich in einem Standortwettbewerb mit anderen Bundesländern und hat doch<br />

zugleich die Chance, mit einer Expansion des besonders innovationsstarken <strong>IKT</strong>-Sektors auch


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 3<br />

die Schumpetersche Innovationskraft der Region zu steigern. Für ein Hochlohnland wie die<br />

Bundesrepublik Deutschland, deren führende Unternehmen mit innovativen Qualitätsprodukten<br />

und hochwertigen Dienstleistungskonzepten auf den Weltmärkten auftreten, ist ein dynamischer<br />

<strong>IKT</strong>-Sektor mit voller Erschließung der Potenziale wichtig. Hier gibt es allerdings<br />

auch in Nordrhein-Westfalen Engpässe, etwa bei der Verfügbarkeit von Fachkräften. Andererseits<br />

existieren aber auch Ansatzpunkte mit hohem Mobilisierungspotenzial – etwa wenn<br />

man an Smart Grids denkt.<br />

Intelligente Stromnetze stehen <strong>für</strong> ein auch im europäischen Binnenmarkt wichtiges Expansionsfeld,<br />

wobei die Nutzung internetbasierter innovativer Software nicht nur Lastspitzen zu<br />

verschieben erlaubt, sondern insgesamt eine bessere Auslastung der Netze verspricht. Zugleich<br />

bietet dies auch Möglichkeiten zur Einsparung von Kraftwerkseinheiten. Die Kosten<br />

der Energiewende sind dann geringer als bei herkömmlicher Betrachtung. Mit Blick auf die<br />

Eurokrise kommt wachstumspolitischen Impulsen eine besondere Bedeutung zu, wobei die<br />

positiven externen Effekte bei einer Expansion intelligenter Stromnetze unmittelbar eine<br />

staatliche Unterstützung als sinnvoll erscheinen lassen. Denn positive externe Effekte bedeuten<br />

ja, dass der volkswirtschaftliche Nutzen den privaten Nutzen – etwa in der normalen<br />

Wahrnehmung von Investoren – übersteigt.<br />

Mit dem nationalen IT-Gipfel wird ein national und international gewichtiges Zeichen <strong>für</strong> die<br />

Weiterentwicklung des wachstumspolitisch wichtigsten Sektors in Deutschland gesetzt: Der<br />

Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie (<strong>IKT</strong>) ist noch vor der Automobilindustrie<br />

die Nr. 1 beim sektoralen Wertschöpfungsanteil. Verstärkt wird dessen ökonomische<br />

Relevanz durch die Tatsache, dass der <strong>IKT</strong>-Sektor nicht nur selbst von hoher Innovationsdynamik<br />

geprägt ist, sondern als Querschnittstechnologie in alle Sektoren via <strong>IKT</strong>-Investitionen<br />

hineinwirkt. Dieser Sektor umfasst im Wesentlichen neben dem Bereich Hardware die wichtigen<br />

Untersektoren Software, Telekommunikationsdienste und andere digitale Dienste.<br />

Dabei vollziehen sich in den OECD-Ländern – nach Angaben von Global Insight 2012 – etwa<br />

2/3 der <strong>IKT</strong>-Ausgaben im Unternehmenssektor, nur 1/3 bei den privaten Haushalten. Von<br />

daher ist die <strong>IKT</strong>-Dynamik in Deutschland bzw. in Nordrhein-Westfalen und anderen im Exportgeschäft<br />

stark aufgestellten Bundesländern von großer Bedeutung <strong>für</strong> die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Unternehmen insgesamt. Mit Blick auf die Haushalte spielt einerseits der Ausbau<br />

der Breitbandkommunikation – häufig auf Basis moderner Mobilfunktechnologien (u.a. LTE)<br />

– eine wichtige Rolle <strong>für</strong> digitalen Konsum bzw. Unterhaltung, aber auch <strong>für</strong> die Weiterbildung.<br />

Andererseits kann die zunehmende Bedeutung sozialer Netzwerke nicht übersehen<br />

werden, die wiederum auch aus Unternehmenssicht wichtig ist.<br />

Für das Wirtschaftswachstum und den Außenhandel spielt der <strong>IKT</strong>-Sektor eine wesentliche<br />

Rolle, und zwar zunächst mit dem Element Telekommunikation. Die Nutzung der Telekommunikation<br />

erklärt in einer Zeitreihenanalyse aus empirischer Sicht schon in den 60er, 70er<br />

und 80er Jahren etwa 1/5 des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik Deutschland, wobei<br />

Telekommunikationsnutzung bei der verwendeten erweiterten Produktionsfunktion <strong>für</strong><br />

Informations- und Wissensnutzung – jenseits von Patenten und realen Ausgaben <strong>für</strong> importierte<br />

Lizenzen – steht (WELFENS/JUNGMITTAG, 2002). Empirische <strong>Analyse</strong>n gibt es auch<br />

zu den deutschen Bundesländern auf Basis eines Ansatzes zur Production Frontier Line<br />

(WELFENS/JUNGMIITAG/VOGELSANG, 2007). Das Fallen der Preise in der internationalen<br />

Telekommunikation hat die mengenmäßige Nutzung internationaler Telefongespräche


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 4<br />

verstärkt und neue Handelsmöglichkeiten offenbart, wie sich an den empirischen Ergebnissen<br />

des Gravitationsansatzes <strong>für</strong> EU-Länder zeigt (JUNGMITTAG/WELFENS, 2009); die Telekomliberalisierung<br />

hat also handelsschaffende Effekte. Soweit verstärkter Außenhandel mit<br />

Effizienzgewinnen verbunden ist, ergeben sich auch positive Einkommens- bzw. Wachstumseffekte.<br />

<strong>IKT</strong>-Expansion ist zudem mit einem Mehr an Innovationsdynamik verbunden (WEL-<br />

FENS/WESKE, 2006, WELFENS, 2011a; WELFENS/PERRET, 2012).<br />

Der <strong>IKT</strong>-Sektor ist insgesamt ein dynamischer Sektor, der <strong>für</strong> eine vernetzte Wissens- bzw.<br />

Dienstleistungsgesellschaft hochwertige Expansionsimpulse gibt. Darüber hinaus gibt der<br />

<strong>IKT</strong>-Sektor Impulse zur Revitalisierung der „Old Economy” – traditionelle Führungssektoren<br />

der Industrie sind oft besonders starke <strong>IKT</strong>-Anwendersektoren, so dass neue Innovationsimpulse<br />

bzw. Exportstärken erzeugt werden können. Die bisherigen erfolgreichen IT-Gipfel haben<br />

sektoral und regional eine Reihe von Schwerpunkten gesetzt, wobei durch die Gipfel u.a.<br />

eine Reihe von Leuchtturmprojekten zum Internet der Dinge, also zur digitalen Vernetzung<br />

von Maschinen bzw. Produkten angeschoben worden sind. Auch im Bereich der digitalen<br />

Mittelstandsdynamik hat es eine Reihe von wichtigen Projekten gegeben, die vom Bundesministerium<br />

<strong>für</strong> Wirtschaft finanziert worden sind. Nordrhein-Westfalen selbst hat einen jährlichen<br />

regionalen IT-Gipfel gestartet, der zudem durch die Förderung von <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>n auf<br />

Landesebene mit Substanz unterfüttert worden ist. Der Initiativkreis Ruhr ist zudem als Aktionspartner<br />

beim nationalen IT-Gipfel 2012 eine hochwertige Vernetzungsplattform mit großem<br />

Multiplikatoreffekt, der auch im Nachgang zum IT-Gipfel <strong>für</strong> die digitale Modernisierung<br />

wichtig sein wird. Mit der Platzierung des IT-Gipfels in Essen bzw. im Ruhrgebiet wird<br />

eine mehrfache Impulsperspektive aufgespannt:<br />

1. <strong>IKT</strong> kann in exemplarischer Weise als Verjüngungsmotor der „Old Economy” genutzt<br />

werden; in allen betrieblichen Funktionsbereichen spielt <strong>IKT</strong>-Investition und <strong>IKT</strong>-<br />

Kompetenz eine wesentliche Rolle <strong>für</strong> Produktivitätssteigerungen und Prozess- bzw.<br />

Produktinnovationen. Dabei wird <strong>IKT</strong> nicht etwa nur von Großunternehmen und mittelständischen<br />

Industriebetrieben eingesetzt. Vielmehr ist die Internetwirtschaft in<br />

zahlreichen Facetten auch im Handwerk mit einer enormen Vielfalt von Anwendungen<br />

und Netzwerken sichtbar. Hier kann Nordrhein-Westfalen wichtige positive Entwicklungen<br />

aufweisen.<br />

2. <strong>IKT</strong> kann vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung digitaler Dienste, inklusive<br />

Logistikbranche zu einem Innovationstreiber <strong>für</strong> die wachsenden Dienstleistungsaktivitäten<br />

aktiviert werden; die Expansion von Handel und Logistik wird durch <strong>IKT</strong><br />

vorangetrieben, dabei kann auch eine Verbindung zum neuen nationalen Logistik-<br />

Exzellenz-<strong>Cluster</strong> in NRW exemplarisch entwickelt werden. Hier kommt der TU<br />

Dortmund bzw. einschlägig profilierten Fraunhofer-Instituten eine besondere Rolle zu,<br />

wobei der IHK-Bezirk Dortmund traditionell eine Führungsrolle im <strong>IKT</strong>-Bereich in<br />

NRW inne hat. Nach neueren Untersuchungen aber hat sich auch das Bergische Städtedreieck<br />

mit einer hohen Zahl von <strong>IKT</strong>-Patentanmeldungen seit den späten 90er Jahren<br />

profiliert und ist in der Zahl solcher Patentanmeldungen sogar am IHK-Bezirk<br />

Dortmund vorbeigezogen (WELFENS, 2011). Allerdings ist mit Blick auf die Region<br />

Dortmund insofern eine Relativierung hier vorzunehmen, als die dort starken digitalen<br />

innovativen Dienstleistungsunternehmen eher selten die Möglichkeit haben, Patente<br />

anzumelden.<br />

3. <strong>IKT</strong> kann gerade im Ruhrgebiet mit seiner zunehmend gewichtigen europäischen Produktions-<br />

und Logistik-Dimension exemplarisch in interessanten bzw. innovativen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 5<br />

Anwendungsfeldern sichtbar gemacht werden. Darüber hinaus können zahlreiche innovationsstarke<br />

Unternehmen aus NRW ihre besonderen digitalen Profillinien und<br />

Qualitäten aufzeigen. Insbesondere ließe sich der Bereich Cross-Innovation – unter<br />

<strong>IKT</strong>-Einbeziehung – verstärkt entwickeln. Die bisher schon in NRW geförderten bzw.<br />

entwickelten <strong>Cluster</strong> mit verschiedenen sektoralen Schwerpunkten können durch eine<br />

gezielte Verbindung mit leistungsfähigen <strong>IKT</strong>-Unternehmen ihre Marktpositionierung<br />

national und international festigen. <strong>IKT</strong> und Automobilwirtschaft gehört zu den denkbaren<br />

wichtigen Cross-Innovationsfeldern. Allerdings fällt auf, dass einige der global<br />

führenden <strong>IKT</strong>-Unternehmen in NRW wenig prägnant sind.<br />

4. Der <strong>IKT</strong>-Sektor in Nordrhein-Westfalen bzw. in Deutschland selbst wird sich mit den<br />

Herausforderungen im Kontext der Energiewende verstärkt auseinandersetzen müssen.<br />

Hier gibt es allerdings bereits recht entwickelte Initiativen seitens der führenden <strong>IKT</strong>-<br />

Unternehmen, die unter der Überschrift Grüne <strong>IKT</strong> (oder Green IT) versuchen, eine<br />

umweltverträgliche bzw. nachhaltige <strong>IKT</strong>-Expansion zu forcieren. Ressourcen- und<br />

Energieeinsparungen sind zwei wichtige Aspekte von Green ICT.<br />

Das Ruhrgebiet als Standort <strong>für</strong> einen Nationalen IT-Gipfel verspricht potenziell einen enormen<br />

Multiplikatoreffekt sowohl in Richtung Großunternehmen als auch mittelständischer<br />

Wirtschaft. Allerdings bedarf es geeigneter regionaler bzw. politischer Initiativen, um diese<br />

Potenziale optimal zu entwickeln. Eigenständige Netzwerkaktivitäten privater Unternehmen<br />

sind zu beobachten.<br />

Die produktive Mischung von Großunternehmen und mittelständischer Wirtschaft im Netzwerk<br />

des Ruhrgebiets bietet hervorragende Optionen, die mittelfristigen Chancen und Herausforderungen<br />

von <strong>IKT</strong> erfolgreich anzugehen und von digitalen Pionieren in verschiedenen<br />

Sektoren zu lernen (auch der Initiativkreis Ruhr spielt eine wesentliche Rolle); exemplarisch<br />

kann auch auf erfolgreiche <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong> im Ruhrgebiet bzw. in NRW verwiesen werden. Zugleich<br />

sind aber auch aktuelle <strong>IKT</strong>-Problemfelder sinnvoll mit neuen Lösungen aufzugreifen<br />

(z.B. IT-Security, IT-Gesundheit). Das Ruhrgebiet erlaubt in der Vielfalt seiner Städte, Standorte<br />

und Aktivitätszentren, die neuen Möglichkeiten von Wettbewerb und Kooperation in der<br />

digitalen Wissensgesellschaft in einzigartiger Weise zu erproben und erfolgreich weiter zu<br />

entwickeln. Die Vielfalt des Ruhrgebietes mit den enormen Kreativitäts- bzw. Innovationsmöglichkeiten<br />

ist gerade <strong>für</strong> die <strong>IKT</strong>-Expansion in der Region und darüber hinaus eine gute<br />

Basis. Mit Blick auf die sehr dichte NRW-Hochschullandschaft wäre seitens der Politik zu<br />

erwägen, Hilfestellung beim Abbau der bekannten Fachkräftedefizite gerade im <strong>IKT</strong>-Bereich zu<br />

leisten. Die Entwicklung entsprechender Expansionsprogramme wäre im Interesse NRWs und<br />

der Bundesrepublik Deutschland insgesamt.<br />

Besondere Möglichkeiten bietet die Region auch, „digitale Integration” zu erproben: Als Vernetzung<br />

von Akteuren verschiedener Zuwanderergruppen, als Verbindung nationaler und internationaler<br />

Unternehmen und als Netzwerk europäisch ausgerichteter Städte. Der wirtschaftliche<br />

und kulturelle Mehrwert der Vielfalt im Ruhrgebiet lässt sich durch digitale Vernetzung<br />

exzellent mobilisieren. Themen wie digitale Bildung/Weiterbildung lassen sich im Kontext<br />

erfolgreichen Strukturwandels als positive Herausforderung identifizieren. Mehr Begeisterung<br />

<strong>für</strong> die MINT-Fächer kann helfen, den strukturellen Fachkräftemangel im deutschen <strong>IKT</strong>-<br />

Sektor zu überwinden. Die konkrete Schwerpunktsetzung ist den tragenden Akteuren des nationalen<br />

IT-Gipfels zu überlassen. Die bisherigen nationalen IT-Gipfel stehen <strong>für</strong> große Mobilisierungswirkung<br />

bei Industrie und Öffentlichkeit, <strong>für</strong> große Substanz bei konkreten Pilotpro-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 6<br />

jekten und <strong>für</strong> einen Dialog gerade auch zwischen IT-Industrie und der Jugend bzw. IT-<br />

Interessierten. Konkrete Projekterfolge <strong>für</strong> Wirtschaft, Politik und Bürger sind Markenzeichen<br />

des nationalen IT-Gipfels.<br />

Systematische Unterschätzung der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

Der besondere bemerkenswerte Sachverhalt, dass der Preisindex <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Güter laufend – und<br />

langfristig – fällt, hat zur Konsequenz, dass die Bedeutung der <strong>IKT</strong>-Investitionen unterschätzt<br />

wird. Wenn man die <strong>IKT</strong>-Investitionen mit dem <strong>IKT</strong>-Preisindex deflationiert, so ist die <strong>IKT</strong>-<br />

Investitionsquote – als Relation realer <strong>IKT</strong>-Investitionen zum realen Bruttoinlandsprodukt –<br />

viel höher als auf Basis einer mit nominalen Zahlen berechneten <strong>IKT</strong>-Investitionsquote (also<br />

die Relation nominale <strong>IKT</strong>-Investitionen zu nominalem Bruttoinlandsprodukt). Dass hier tatsächlich<br />

erhebliche Unterschiede bestehen, zeigt die nachfolgende exemplarische Gegenüberstellung<br />

<strong>für</strong> Deutschland und USA. Auf Basis deflationierter <strong>IKT</strong>-Investitionen ergibt sich<br />

nicht eine Investitionsquote von etwa 2%, sondern von rund 5%, wobei auch zu beachten ist,<br />

dass die dann auch anzupassende Gesamtinvestitionsquote um etwa 3 Prozentpunkte höher<br />

ausfällt als die übliche Relation von Investitionsausgaben zum nominalen Bruttoinlandsprodukt<br />

anzeigt. Die nominal gemessene <strong>IKT</strong>-Investitionsquote ging sowohl in Deutschland als<br />

auch in den USA seit dem Höhepunkt von gut 2% bzw. 4% allmählich zurück, aber die korrekt<br />

gemessene reale <strong>IKT</strong>-Investitionsquote lag im Fall der USA bei über 6% in 2008 und bei<br />

rund 5% im Fall Deutschlands (gut doppelt so hoch wie die nominale sektorale Investitionsquote<br />

zeigt), so dass <strong>IKT</strong> <strong>für</strong> fast ¼ der Investitionsquote in Deutschland und <strong>für</strong> fast 1/3 der<br />

US-Investitionsquote steht. Die <strong>IKT</strong>-Investitionsquote in Deutschland und den USA steigt im<br />

Zeitablauf in realer Rechnung weiter an – die Bedeutung des Sektors der Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie bei den Investitionen nimmt also im Zeitablauf weiter zu und<br />

dasselbe gilt auch <strong>für</strong> die Bedeutung von <strong>IKT</strong> <strong>für</strong> das Wirtschaftswachstum. Bemerkenswert<br />

ist, dass die Investitionsquote gemäß den hier vorgelegten <strong>EIIW</strong>-Zahlen in Deutschland nicht<br />

bei etwa 20%, sondern bei 23% liegt. Die Investitionsquote ist also in längerfristiger Betrachtung<br />

bei korrekter Berechnung der <strong>IKT</strong>-Investitionsquote längerfristig weder in den USA<br />

noch in Deutschland so stark zurück gegangen, wie der übliche Blick in die Statistik auf Basis<br />

einer nur nominal gemessenen Investitionsquote anzeigt. Man kann zu der vorgelegten Berechnung<br />

einwenden, dass der relevante Preisindex <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Kapitalgüter vermutlich langsamer<br />

fällt als der Preisindex <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Güter insgesamt, sodass die hier vorgelegte Berechnung<br />

der realen <strong>IKT</strong>-Investitionsquote nach unten zu korrigieren ist. Allerdings kann man wiederum<br />

auch einwenden, dass viele digitale Dienstleistungen, die immer preiswerter von Haushalten<br />

genutzt werden, natürlich auch von den Unternehmen auf breiter Basis im Vorleistungsbereich<br />

eingesetzt worden sind.<br />

Die Politikakteure in Bund und Ländern haben dieses Phänomen bzw. die hohe reale <strong>IKT</strong>-<br />

Investitionsquote bislang nicht angemessen im Blick und von daher ist es keinesfalls angebracht,<br />

wenn die Politik dem <strong>IKT</strong>-Sektor nicht eine sehr hohe Priorität beimisst – hier ist der<br />

Bund durchaus zu loben. Schon seit der Schröder-Regierung mit der D21-Initiative hat sich<br />

die Bundesregierung sichtbar <strong>für</strong> den <strong>IKT</strong>-Sektor engagiert und dies ist in Form der nationalen<br />

IT-Gipfel auch unter den Merkel-Regierungen der Fall gewesen.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 7<br />

Abbildung 1: Nominale <strong>IKT</strong>-Investitionsquote versus reale <strong>IKT</strong>-Investitionsquote (reale<br />

<strong>IKT</strong>-Investitionen relativ zum realen Bruttoinlandsprodukt; Basisjahr 2000) <strong>für</strong> USA<br />

und Deutschland<br />

Bei vielen Bundesländern ist die besondere ökonomische und technologische Bedeutung des<br />

<strong>IKT</strong>-Sektors allerdings unzureichend in der regionalen Wirtschaftspolitik aufgenommen worden.<br />

So ist etwa der Start eines vom jeweiligen Bundesland geförderten <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>s eine<br />

notwendige Bedingung <strong>für</strong> mehr <strong>IKT</strong>-Dynamik, aber keine hinreichende. Wie die Qualität des<br />

jeweiligen <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>-Managements aussieht, bleibt im Einzelnen nicht nur qualitativ, sondern<br />

auch auf Basis quantitativer <strong>Analyse</strong>n zu untersuchen. In jedem Fall ist der regionalen<br />

und nationalen Wirtschafspolitik angeraten, nicht nur mit punktuellen Ad-hoc-Projekten den<br />

<strong>IKT</strong>-Sektor gerade mit Blick auf Innovations- und Gründungsförderung zu unterstützen, sondern<br />

auf Basis wissenschaftlicher fundierter <strong>Analyse</strong>n und bei Beachtung relevanter Indikatoren<br />

angemessene, durchdachte Förderkonzepte zu verabschieden. Positive externe Effekte,<br />

inklusive nicht-internalisierter Netzwerkeffekte, sollten hierbei vernünftigerweise die Wirtschaftspolitik<br />

bestimmen. In offenen Volkswirtschaften sind naturgemäß auch länderübergreifende<br />

positive externe Effekte auf Angebots- und Nachfrageseite zu beachten.<br />

Besondere Aspekte des Nationalen IT-Gipfels 2012<br />

Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit einer besonderen europäischen Lage und Vernetzungsperspektive:<br />

Seit vielen Jahren bestehen enge Kontakte zwischen der NRW-<br />

Wirtschaft und auch der Politik zu den Benelux-Ländern plus Frankreich. Dies kann auch in<br />

der Regional-AG beim IT-Gipfel angemessen zum Ausdruck kommen und zeigt sich im Übrigen<br />

auch im <strong>IKT</strong>-Forschungsbereich. Exemplarisch sei auf das von der Europäischen Kommission<br />

finanzierte <strong>EIIW</strong>-Projekt „<strong>IKT</strong> und Globalisierung der Wirtschaft“ verwiesen, dessen<br />

Abschlussworkshop am Vortag des IT-Gipfels stattfinden wird und Wissenschaftler aus zahlreichen<br />

Ländern zusammen bringt. Zu den international gewichtigen Themenfeldern gehören<br />

zudem:


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 8<br />

• E-Health: Vernetzte Gesundheit über Grenzen hinweg bzw. Benchmarking und Erfahrungsaustausch<br />

in digitalen Netzwerken und durch Entwicklung internetbasierter Gesundheitsdienste.<br />

Hier gilt es also u.a. Best-practice-Beispiele aus Nordrhein-<br />

Westfalen und den EU-Nachbarländern darzustellen und neue Möglichkeiten der Kooperation<br />

bzw. Vernetzung auszuloten.<br />

• Digitale Unternehmensgründerinnen und -gründer in Europa: Unterschiedliche Konzepte,<br />

die wirklich funktionieren, wobei man in Nordrhein-Westfalen dank ZENIT in<br />

Mühlheim/Ruhr über einen erfahrenen Akteur verfügt, hinter dem Wirtschaft und<br />

Landesregierung stehen. Auch EU-Projekte sind denkbar.<br />

• Mobile Breitbanddienste und Innovationen (Deutsche Telekom, Vodafone, E Plus; international:<br />

Interdisciplinary Institute for BroadBand Technology)<br />

• Smart Grids in Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien, Schweden, Italien,<br />

Belgien und Luxemburg. Dabei spielt auch das Thema Elektromobilität eine wichtige<br />

Rolle – hier liegen bereits substanzielle konzeptionelle Arbeiten auf nationaler Ebene<br />

vor. Technologisch führende Akteure aus der Energiewirtschaft wie aus dem Automobilsektor<br />

in Nordrhein-Westfalen bieten exzellente Perspektiven. Auch andere Bundesländer<br />

bieten interessante Netzwerke bzw. Verbindungen im Bereich Cross Innovation.<br />

• Umweltfreundliche <strong>IKT</strong> (Green ICT): Neue Ansätze zu umweltfreundlicher digitaler<br />

Dynamik sind von führenden Telekomanbietern entwickelt worden; u.a. von Deutsche<br />

Telekom, KPN, Belgacom. Rückgabeaktionen von Handys bei den großen Mobilfunkanbietern<br />

bzw. neue Recycling-Ansätze sind hier ebenfalls zu nennen. Mit der RWTH<br />

Aachen und zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen mit starker <strong>IKT</strong>-<br />

Forschungsausrichtung – inklusive der Bereich Internetsicherheit (u.a. in Bochum) -<br />

ist auch eine einschlägige Forschungslandschaft von hoher Qualität in NRW aktiv.<br />

Dies gilt auch <strong>für</strong> Deutschland insgesamt.<br />

• Digitale Beschaffungen im öffentlichen Dienst und in der privaten Wirtschaft: Moderne<br />

digitale Beschaffungsplattformen können hohe Einsparungen <strong>für</strong> den Staat bedeuten<br />

und bieten die Möglichkeit, bessere Dienste preiswerter anzubieten. Ein Teil der<br />

Haushaltslücke kann durch preiswertere öffentliche Beschaffung geschlossen werden.<br />

Angesichts der Staatsschuldenkrisen im Euro-Raum, in Großbritannien und in den<br />

USA liegt hier sicherlich ein wichtiges Handlungsfeld <strong>für</strong> die Politik vieler OECD-<br />

Länder, in Deutschland zudem auch <strong>für</strong> zahlreiche Bundesländer. Im Übrigen sei hier<br />

vermerkt, dass der Defizitbetrug Griechenlands in 2009 – als Athen 4% Defizitquote<br />

ankündigte, aber 15,6% Ist-Wert realisierte – bei Verwendung einer einheitlichen<br />

Budgetsoftware in allen Euro-Ländern, verbunden mit dem Recht der Kommission auf<br />

jederzeitigen Einblick in die digitalen Budgets, nicht hätte passieren können (WEL-<br />

FENS, 2012). Sicherlich ist hiermit auch eine natürliche Reformaufgabe <strong>für</strong> alle Euro-<br />

bzw. EU-Länder angesprochen.<br />

• Digitaler europäischer Tourismus – nützlich, vernetzt und nachhaltig; hier können<br />

neue grenzübergreifende Konzepte entwickelt und vorbildliche <strong>IKT</strong>-basierte Innovationen<br />

in vielen Städten und Regionen erprobt werden; auch unter Einbeziehung etwa<br />

von Menschen mit Sehbehinderungen. Dabei sei hier exemplarisch auf das auf Sehbehinderte<br />

ausgerichtete Blind4you-Projekt hingewiesen, das in NRW bzw. Soest mit<br />

EU-Geldern entwickelt wurde.<br />

Der nationale IT-Gipfel in NRW bietet <strong>für</strong> das bevölkerungsreichste Bundesland einzigartige<br />

Möglichkeiten, bestehende <strong>IKT</strong>-Profile auszubauen und neue <strong>IKT</strong>-Felder optimal zu entwic-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 9<br />

keln. Für das NRW-Bildungssystem stellen sich im Kontext der <strong>IKT</strong>-Expansion besondere<br />

Herausforderungen unter der Überschrift Digitaler Lern- und Wissensraum. Die Expansion<br />

der Informatik in allen Hochschulen und die zunehmende Nutzung des Internets in allen<br />

Fachbereichen – bei Lehre und Forschung – ist ein Kennzeichen der digitalen Wissensgesellschaft.<br />

Die zunehmende Nutzung moderner sozialer Netzwerke auch <strong>für</strong> Ausbildung, Lernen,<br />

Weiterbildung bzw. lebenslanges Lernen bietet eine neue Perspektive der modernen Bildungswelt.<br />

Digitale Lernplattformen und der internetbasierte Zugang zum weltweit vorhandenen<br />

– nicht-patentgeschützten – Wissen sind neuartige Merkmale des digitalen 21. Jahrhunderts.<br />

Während in den USA bereits zahlreiche Universitäten sich zu digitalen Kollegs mit eigenständiger<br />

Vorlesungsvermarktung zusammengeschlossen haben, ist in Deutschland bzw.<br />

der EU wenig an vergleichbaren Aktivitäten zu sehen. Dabei bieten digitalen Universitäten<br />

enorme Kosteneinsparungsmöglichkeiten und können einen internationalisierten globalen<br />

Zugang zu hochwertigem Wissen ermöglichen.<br />

Die Internetwirtschaft erhöht die Mobilität des Wissens, aber ein erheblicher Teil des hochwertigen<br />

Wissens ist personengebunden bzw. ist nicht-kodifiziertes Wissen, so dass die Mobilität<br />

von Fachkräften und die Vernetzung von innovativen Köpfen von Unternehmen und Regionen<br />

in Modellprojekten und Innovationskooperationen gerade in der digitalen Wissensgesellschaft<br />

wichtig ist. Hiermit rücken aber auch infrastrukturpolitische Aufgaben bzw. Defizite<br />

mit in den Vordergrund der Betrachtung. Wie man in einem dicht besiedelten Bundesland<br />

wie Nordrhein-Westfalen, aber auch im ganzen Bundesgebiet, die Verkehrseffizienz durch<br />

Telematik erhöhen kann, ist zu prüfen. Eine einfache Maßnahme <strong>für</strong> die zeitliche Verlagerung<br />

von LKW-Autobahn-Verkehr in die Nachtstunden wäre es, wenn die Autobahn-<br />

Nutzungsgebühren zeitlich differenzieren würden, also preiswertere Tarife <strong>für</strong> die Nachtzeit.<br />

Dass man auch den normalen Berufsverkehr durch Telematik effizienter organisieren könnte<br />

und insgesamt die Stauzeiten durch bessere Vernetzungen auch im öffentlichen Nahverkehr<br />

reduzieren könnte, steht außer Frage. Die Wohlfahrtsgewinne in diesem Bereiche können in<br />

Nordrhein-Westfalen mit seinem hohen Stauaufkommen, das täglich Millionen Berufspendler<br />

trifft, einige Milliarden Euro pro Jahr erreichen. Auch im Bereich „Intelligente Stromnetze“<br />

sind <strong>für</strong> die Bundesländer bzw. Deutschland und die EU-Partner große Chancen <strong>für</strong><br />

Wohlstand und Wohlfahrt realisierbar.<br />

Intelligente Stromnetze<br />

<strong>IKT</strong> bzw. moderner Softwareeinsatz in bestimmten Sektoren der Wirtschaft erleichtert die<br />

Koordination von Angebot und Nachfrage, was insbesondere in der Stromwirtschaft – dort ist<br />

aus physikalischen Gründen ein jederzeitiger Ausgleich von Angebots- und Nachfragemenge<br />

nötig – Effizienzgewinne und Möglichkeit zur Einsparung von Ressourcen verspricht. Von<br />

Seiten der OECD (2012a) ist bereits betont worden, dass <strong>IKT</strong>-Einsatz bei der Realisierung<br />

intelligenter Stromnetze von besonderer Bedeutung ist.<br />

Im traditionellen Stromnetz werden zudem hohe Kapazitäten <strong>für</strong> Spitzenlastzeiten bereit gestellt,<br />

die bei Einführung einer digital organisierten Verschiebung von Lastspitzen bzw. bei<br />

verminderter Spitzenlast-Nachfrage im 24-h-Zyklus sinnvolle Anpassungen ermöglichen: Der<br />

gesamtwirtschaftliche Kraftwerkspark kann vermindert werden, was die Einsparung von Kapital<br />

- inklusive auch von Emissionen (auf Basis einer Lebenszyklusanalyse) beim sonst größer<br />

zu dimensionierenden Kraftwerkspark – erlaubt; dieser Vorteil ist auf mehrere Milliarden


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 10<br />

Euro zu beziffern und kann auf Basis empirischer <strong>Analyse</strong>n bzw. Simulationen <strong>für</strong> Deutschland<br />

und andere OECD-Länder berechnet werden.<br />

Intelligente Stromnetze bestehen u.a. aus Sensoren zur Vorgangserfassung im Netz und einer<br />

<strong>für</strong> die Intelligenz des Netzes kritischen Daten-Plattform, über die das Management der zufließenden<br />

bzw. abgerufenen Informationen erfolgt; also faktisch auch das Matching – der<br />

physikalische Abgleich beim Stromfluss - von Angebots- und Nachfrageseite. Die Daten von<br />

der Angebots- und der Nachfrageseite müssen in Echt-Zeit softwarebasiert ausgewertet und in<br />

Steuerungsbefehle Richtung Strom nutzende Geräte und Stromerzeugungsakteure umgesetzt<br />

werden. Im Übrigen ist die schon bestehende Strombörse in Leipzig selbst natürlich vollständig<br />

<strong>IKT</strong>-basiert, wobei die Unternehmen der Hoch- und Mittelspannungsebene auf Basis aktueller<br />

bzw. erwarteter Daten Strom handeln; neben dem Kassa-Strompreis gibt es auch Terminstrompreise,<br />

wobei aus ökonomischer Sicht hier vor allem die Wettbewerbspolitik gefordert<br />

ist. Die Expansion des modernen intelligenten Stromnetz („Smart Grids“) richtet sich im<br />

Wesentlichen an die Verteilernetzebene als unterste bzw. kundennächste Stromleitungsebene.<br />

Intelligente Netze sind <strong>für</strong> mehrere Punkte bei der Energiewende wichtig (zu den ersten fünf<br />

Punkten siehe SAP (2011, S.10)):<br />

1. Nachfragemanagement und Kappung von Spitzenlasten;<br />

2. Angebotsmanagement der Energie- bzw. Stromerzeuger;<br />

3. Management von modernen Energiespeichern;<br />

4. Bereitstellung einer Infrastruktur <strong>für</strong> E-Mobilität;<br />

5. Kostensenkung durch Erhöhung der Effizienz;<br />

6. Minderung des Kraftwerkparks bzw. Einsparung von Realkapital und Vermeidung<br />

von CO2-Emissionen, die bei der Kraftwerkserstellung üblicherweise anfallen – ein<br />

Aspekt, der in der herkömmlichen <strong>Analyse</strong> bislang übersehen wird.<br />

7. Es gibt bei Einführung von Smart Grids dann induzierte Innovationen bei den stromverbrauchenden<br />

Geräten bzw. Prozessen, deren Energieeffizienz auf Basis millionenfach<br />

anfallender Datensätze relativ leicht im Zuge von strom- und ressourcensparendem<br />

technischen Fortschritt zu verbessern sein dürften. Die beim Stromverbrauch an<br />

jedem einzelnen Gerät abzurufenden Daten von Nutzern können eigentumsmäßig den<br />

Nutzern zugeordnet werden, die dann die Auswertung der Daten Stromkonzernen oder<br />

Geräteherstellern per Internet-Vertrag – gegen Entgelt – erlauben könnten.<br />

Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die sich mit der schon eingeleiteten Energiewende in<br />

der EU verbinden:<br />

• Inwieweit ist bei der Energiewende – unter ordnungspolitischen Aspekten – der Staat<br />

gefordert?<br />

• Wie sollten die Daten zum Stromverbrauch bei privaten Haushalten und bei Unternehmen<br />

gespeichert werden bzw. wer hat hieran Eigentumsrechte?<br />

• Welche Größenordnung an Kosten- bzw. Einspareffekten ist mittel- und langfristig aus<br />

der Verbindung von <strong>IKT</strong> und Energie zu erwarten?<br />

• Welche mittel- und langfristigen dynamischen Innovationseffekte sind aus einer Innovationsinitiative<br />

<strong>IKT</strong> & Energie zu erwarten?


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 11<br />

Der Staat, der üblicherweise die Rahmenordnung der Wirtschaft setzt und in der Wirtschaftspolitik<br />

in bestimmten Feldern aktiv sein sollte, ist als Akteur in der Tat gefordert:<br />

• Da die Standardsetzung unter Einschaltung der EU-Länder bzw. der Europäischen<br />

Kommission leichter von der Industrie länderübergreifend zu organisieren ist, was <strong>für</strong><br />

die wirkliche Nutzung eines EU-Strommarktes unerlässlich ist (man denke an das<br />

Vorbild des GSM-Standards im Bereich der Mobiltelefonie). Die optimale Nutzung<br />

von Skalen-Vorteilen und von Netzwerkeffekten ist im Strombereich wichtig, sobald<br />

der flächendeckende Informationsaustausch als erwünschtes Marktelement hinzukommt<br />

und hier können Marktunvollkommenheiten bzw. positive oder negative externe<br />

Effekte eine wichtige Rolle spielen und staatliche Impulse notwendig erscheinen<br />

lassen. Es kann durchaus zu Interessenkonflikten kommen, wenn nämlich im Stromsektor<br />

der Staat mit staatlichen Stromfirmen selbst im Markt aktiv ist; diskriminierungsfreier<br />

Netzzugang ist ein relevantes Problem in vielen EU-Ländern im Stromwie<br />

im Gasnetz, wodurch Wettbewerb bzw. Effizienzgewinne behindert werden.<br />

• Die Einführung intelligenter Zähler im Rahmen des EU-Strombinnenmarktes kann<br />

sinnvoll nicht ohne weiteres nur einfach als nationales Projekt definiert werden. Das<br />

Herunterdrücken von Strom-Lastspitzen durch digitale Angebotsvernetzung bzw. das<br />

Einsparen von Ressourcen und Emissionen durch optimierte digitale Angebots-<br />

Nachfrageabstimmung kann naturgemäß als wichtiger Baustein der EU-Energiepolitik<br />

bzw. des von der Europäische Kommission betonten Projektes Europa 2020 gedacht<br />

werden.<br />

• Der grenzüberschreitende Handel mit Strom ist unmittelbar mit der Nutzung moderner<br />

<strong>IKT</strong> verbunden, zugleich wird im Kontext mit der Entwicklung intelligenter Netze die<br />

Richtung des Nettostromexportes sich häufiger ändern – dies ist letztlich Reflex der<br />

kapitalsparenden Eigenschaften von Smart Grids (insbesondere beim möglichen Verzicht<br />

auf einen Teil des bisherigen Kraftwerksparks).<br />

Kosten und Nutzen beim Aufbau intelligenter Netze beziehen sich im Wesentlichen auf Ausgaben<br />

auf Software-Modernisierung in der Wirtschaft und digitaler Zahler bei Haushalten und<br />

Unternehmen. Was den Nutzen angeht, so ist auf die Strom nutzenden Unternehmen, die<br />

Stromwirtschaft und die privaten Haushalte abzustellen. Bei dem privaten Haushalten spielen<br />

die Aspekte Stromeinsparungen, Produktinnovationen und CO2-Reduktion eine wichtige Rolle.<br />

In der Stromwirtschaft geht es vor allem um die Reduzierung der Kraftwerkskapazität und<br />

des Netzausbaus, sowie wachsenden internationalen Stromhandel (mit möglicher CO2-<br />

Einsparung). Bei den Unternehmen sind die Vorteile vor allem in den Bereichen Innovationen<br />

und Skalenvorteile sowie bei der Stromeinsparung, der Netzstabilisierung und letztlich auch<br />

der CO2-Reduktion (WELFENS/JUNGMITTAG, 2012). Im Rahmen einer EU-<br />

Wachstumspolitik kann die Realisierung von Smart Grids ein wichtiges Element sein, wobei<br />

die CO2-Minderung ein Weniger an negativen externen Effekte bedeutet; aus Sicht der Wirtschaftspolitik<br />

ist dies äquivalent zum Vorliegen positiver externer Effekte.<br />

Bei zunehmendem Anteil erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung wird die Umsetzung<br />

intelligenter Netze dringlich, da die eintretende erhöhte Volatilität auf der Stromangebotsseite<br />

nur über entsprechenden <strong>IKT</strong>-Ausbau der Stromnetze bewältigt werden kann. Wenn man einen<br />

Kapazitätsmarkt im Stromsektor schafft, bei dem Stromerzeuger <strong>für</strong> das Vorhalten von<br />

Reservekapazitäten entgolten werden sollen – dies ist im Kontext der Energiewende grundsätzlich<br />

notwendig und schafft Herausforderungen <strong>für</strong> die Wettbewerbspolitik (MONOPOL-<br />

KOMMISSION, 2011) –, dann ist ein wettbewerblich organisierter Kapazitätsmarkt zu schaf-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 12<br />

fen. Hierbei haben Stromkonzerne das Interesse, bei geringem Wettbewerb gegenüber den<br />

Grenzkosten überhöhte Preise durchzusetzen bzw. ökonomische Renten auf Kosten der Verbraucher<br />

an sich zu ziehen. Durch einen sinnvoll organisierten Strommarkt kann einerseits<br />

durch softwarebasierte Matching-Lösungen eine Minimierung der notwendigen Reservekapazitäten<br />

erreicht werden; andererseits kann man digitale Auktionsmärkte schaffen, auf denen<br />

unter Wettbewerbsbedingungen Reservekapazitätsangebote auf einem internationalen Terminmarkt<br />

bereit gestellt werden. Gegenüber den bisherigen meist isolierten nationalen Märkten<br />

mit regionaler Marktmacht von Stromkonzernen in der EU wäre ein integrierter EU-<br />

Strombinnenmarkt im Kontext intelligenter Netze bzw. international verbundener Netze mit<br />

Effizienzgewinnen und verminderten Stromkosten verbunden, die wiederum zu Wohlfahrtsgewinnen<br />

bzw. einem Mehr an rentabler Produktion in Industrie, Handwerk und Dienstleistungssektor<br />

führt. Damit sind positive gesamtwirtschaftliche Beschäftigungseffekte, aber<br />

auch Konsolidierungeffekte <strong>für</strong> den Staat verbunden. Positive wirtschaftliche Expansionsimpulse<br />

durch den Ausbau intelligenter Stromnetze kann es in Deutschland, Frankreich, Spanien,<br />

Italien und vielen anderen Ländern der Eurozone geben, wo man gut daran täte, von Seiten<br />

der Politik einen angemessenen Ordnungsrahmen rasch zu entwickeln.<br />

Intelligente Stromnetze stehen exemplarisch <strong>für</strong> das enorme <strong>IKT</strong>-basierte Potenzial, Angebots-<br />

und Nachfrageseite durch einen digitalen Auktionsprozess in Echtzeit – mit Rückkopplung<br />

zur Produktions- und zur Nachfrageseite – abzustimmen. Wenn man stärker noch als<br />

bisher Maschine-zu-Maschine-Kommunikationsprozesse entwickelt und damit auch virtuelle<br />

Maschinenparks verschiedener Firmen entstehen lässt, so ergeben sich auch hier neue Möglichkeiten,<br />

die Kapazitätsauslastung einzel- und gesamtwirtschaftlich zu optimieren. Die Rolle<br />

der Lohnstückkosten ist in der traditionellen makroökonomischen <strong>Analyse</strong> seitens der<br />

Wirtschaftspolitik regelmäßig betont worden, aber zunehmend sollten doch auch andere Kostenkategorien<br />

– inklusive Energie – mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft<br />

und auch die Umweltfreundlichkeit der Produktion thematisiert werden. In einer Zeit, in der<br />

wegen der Energiewende ohnehin steigende Energiekosten und damit verschärfter Druck zum<br />

Strukturwandel drohen, sind <strong>IKT</strong>-basierte Kosteneinsparungen im Bereich des Stromsektors<br />

besonders wichtig. Es ist der Wirtschaftspolitik anzuraten, national und EU-weit das Thema<br />

Intelligente Stromnetze zügiger anzugehen, da hier die erwarteten Vorteile <strong>für</strong> Wirtschaft,<br />

Verbraucher und Umwelt bzw. künftige Generationen erheblich sein dürften.<br />

<strong>IKT</strong>-Expansion, Investitionsdynamik und Wirtschaftswachstum<br />

Seitens der OECD hat man seit vielen Jahren die Rolle der Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie <strong>für</strong> das Wirtschaftswachstum betont und die Europäische Union<br />

wie ihre Mitgliedsländer haben in zahlreichen Programmen versucht, digitale<br />

Wachstumsimpulse zu generieren. Erst im Juli 2012 hat die zuständige EU-Kommissarin<br />

Neelie Kroes einen grundlegenden Strategiewechsel zur Neuausrichtung der europäischen<br />

Regulierungspolitik bekanntgegeben. Demnach sollen wichtige Vorleistungsentgelte bis 2020<br />

stabilisiert und unter bestimmten Bedingungen auf eine Kostenregulierung von<br />

Glasfasernetzen verzichtet werden. Die Neuausrichtung der EU-Regulierungspolitik muss<br />

rasch umgesetzt werden, um einen zukunfts- und investitionsorientierten Regulierungsrahmen<br />

zu schaffen. <strong>IKT</strong> trägt zudem auch zum technischen Fortschritt bei, zumal in der digitalen<br />

Wissensgesellschaft kreative Akteure bzw. Forscher sich schneller und besser als bisher <strong>für</strong><br />

Innovationsprojekte miteinander vernetzen können und auch weil <strong>IKT</strong> die Verbreitung neuen<br />

Wissens beschleunigt. Die EU hatte eine eigene „Digitale Agenda“ definiert. Von daher steht


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 13<br />

die Qualität der Kommunikationsinfrastruktur aus Sicht der Wirtschaftspolitik mit im Fokus<br />

der Betrachtung und der Staat wiederum ist etwa in der Bildungspolitik unmittelbar gefordert,<br />

einerseits zum Qualifizierungsprozess beizutragen, andererseits aber auch die<br />

Internetsicherheit mit zu gewährleisten.<br />

Aus Sicht der OECD (2012) kommt mit Blick auf <strong>IKT</strong>-Politik den folgenden Bereichen<br />

besonders große Bedeutung zu:<br />

• Breitbandausbau<br />

• <strong>IKT</strong>-Fähigkeiten und Beschäftigungsaspekte<br />

• Regierungs-Online-Akivitäten<br />

• Sicherheit in der Informationstechnik<br />

• Innovationsförderprogramme<br />

• Technologiediffusion in der Wirtschaft<br />

• Digitale Zahlungsvorgänge<br />

• Digitale Inhalte<br />

Man wird hier zumindest drei Punkte ergänzen können: Der <strong>IKT</strong>-Sektor bzw. <strong>IKT</strong>-Kapital ist<br />

von großer Bedeutung nicht nur <strong>für</strong> Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung, sondern<br />

ihm kommt gerade in alternden Gesellschaften der OECD-Länder langfristige strategische<br />

Bedeutung zu:<br />

• <strong>IKT</strong>-Kapital – inklusive Software – trägt zur Effizienzsteigerung einerseits, aber auch<br />

zur Vereinfachung komplexer Arbeits- bzw. Wertschöpfungsvorgänge bei; hohe Arbeitsproduktivität<br />

und Innovationskraft können dank <strong>IKT</strong> auch in relativ hohem Alter<br />

von Arbeitnehmern realisiert werden und internetbasierte Weiterbildungsplattformen<br />

können global <strong>für</strong> alle Altersgruppen entwickelt werden.<br />

• Digitale soziale Netzwerke werden <strong>für</strong> immer mehr Menschen ein große Rolle gerade<br />

in fortgeschrittenem Alter spielen: Das mobile Internet dürfte eine häufige erste Arzt-<br />

Kontaktplattform werden, womit nicht nur ein Mehrwert <strong>für</strong> die Patientenbetreuung in<br />

manchen Bereichen vorliegt. Vielmehr liegt auch ein neues Kostendämpfungselement<br />

vor, das den in der alternden Gesellschaft drohenden Anstieg der Krankenkassenbeitragssätze<br />

begrenzen helfen wird. Das Internet ist im Übrigen auch <strong>für</strong> vorbeugende<br />

Gesundheitsmaßnahmen einsetzbar, was bislang seitens der Krankenkassen kaum geschieht.<br />

Zugleich wird das Netz <strong>für</strong> soziale Kontakte von immer mehr älteren Single-<br />

Haushalten unersetzlich werden. Altersmäßig zeigen sich große Unterschiede bezüglich<br />

der Mitwirkung in sozialen Netzen (OECD, 2012; Abb. 3.11; siehe <strong>Anhang</strong>), wobei<br />

die Altersgruppe der 16-24jährigen in den EU27-Ländern etwa doppelt so aktiv ist<br />

wie die 25-54jährigen und dreifach so aktiv wie die 55-74jährigen; in Modellprojekten,<br />

die von EU-Ländern oder auch von Regionen oder Kommunen angestoßen und<br />

mitgetragen werden, könnte diese Lücke bei den älteren Mitmenschen im Zeitablauf<br />

deutlich reduziert werden. Deutschland hat in der EU27 eine leicht unterdurchschnittliche<br />

Position (Durchschnittswert 2011: 52%) bei der Intensität der sozialen Netzwerkaktivitäten,<br />

wenn man die in solchen Aktivitäten als Anteil an allen Internetnutzern<br />

misst. Unter den OECD-Ländern ganz vor liegen Ungarn, Island, Slowakische<br />

Republik, Norwegen, Dänemark und Kanada, gefolgt von Großbritannien, Polen Portugal,<br />

Schweden, Griechenland, Irland und Spanien (OECD, 2012, Abb. 3.12).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 14<br />

• <strong>IKT</strong>-Anwendungen im Haushalt haben eine eigenständige große Bedeutung in der<br />

Mobilen Digitalen Gesellschaft, wo Menschen flexibel arbeiten müssen und oft auch<br />

im Ausland zeitweise oder permanent ihren vernetzten Arbeiten nachgehen: Fragen<br />

nach Bildungs- und Unterhaltungsdiensten sowie Umwelt- und Haushaltsdiensten <strong>für</strong><br />

private Haushalte sind aus den Bedürfnissen der Menschen heraus in einer digitalen<br />

Modernisierungsperspektive wichtig; gerade auch im Kontext eines nachhaltigen Lebensstils<br />

kann das Internet vielfältige Informationen und Ideen sowie netzbasierte<br />

Mitwirkungsmöglichkeiten bieten. Mit einem Anteil des 9% beim Online-Handel hat<br />

Deutschland 2011 hinter Großbritannien mit 12% einen Spitzenplatz in Europa aufzuweisen,<br />

gefolgt von Schweiz, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Schweden, Benelux,<br />

Spanien, Polen und – mit nur 1,3% - Italien (OECD, 2012, Abb. 2.16). Die kommunale<br />

und regionale Wirtschaftspolitik ist hier von Bedeutung, soweit der Staat<br />

durch sinnvolle Anreize oder gezielte Informationen zur Mobilisierung von Netzwerkeffekten<br />

beitragen kann: also jener Nutzenzuwächse, die sich in einem vergrößerten<br />

digitalen Nutzerkreis <strong>für</strong> jeden der bisherigen Nutzer ergibt. Hierdurch steigt die Zahlungsbereitschaft<br />

<strong>für</strong> digitale Geräte und Dienste und von daher kann auch die Mobilisierung<br />

von Netzwerkeffekten zu steigenden Umsatzzahlen bzw. besseren marktmäßigen<br />

Refinanzierungsmöglichkeiten <strong>für</strong> innovationsstarke digitale Anbieter führen. Es<br />

ist interessant festzustellen, dass bei den Güterkäufen übers Internet sehr viele Marktbereiche<br />

in der EU27 vertreten sind (OECD, 2012, Abb. 3.15; siehe <strong>Anhang</strong>).<br />

Für viele Arbeitnehmer ist der <strong>IKT</strong>-Sektor eine gut bezahlte Job-Nische mit hohem<br />

Kreativitäts- und Leistungspotenzial geworden. Mit einem Beschäftigungsanteil des <strong>IKT</strong>-<br />

Sektors an der Gesamtbeschäftigung in der Wirtschaft von rund 10% lag Finnland 2009 laut<br />

OECD-Angaben vor Schweden und Dänemark, wobei in Schweden der <strong>IKT</strong>-<br />

Beschäftigungsanteil ähnlich wie in Finnland gegenüber 1995 gestiegen war, während er in<br />

Dänemark leicht rückläufig war. Ungarn, die Niederlande, Frankreich, Norwegen,<br />

Großbritannien, Japan, die Slowakische Republik, Korea, Luxemburg und Tchechische<br />

Republik lagen 2009 über dem OECD-Durchschnitt, während Deutschland mit etwa 6% leicht<br />

unterdurchschnittlich rangierte, weit am Ende lagen Spanien, Griechenland, Slowenien,<br />

Portugal und Estland.<br />

Die <strong>IKT</strong>-Investitionen machten in den USA in 2010 gut 30% der Gesamtinvestitionen – ohne<br />

Wohnungswirtschaft – aus. Hinter dem Spitzenwert der USA folgten Schweden, Dänemark,<br />

Großbritannien, Neuseeland, Belgien, Frankreich, Niederlande, Schweiz, Kanada, Finnland,<br />

Australien, Spanien, Japan, Portugal, Irland, Deutschland, Österreich, Korea und Italien,<br />

wobei der Anteilswert der vier zuletzt genannten Länder kaum die Hälfte des US-Wertes<br />

erreichte (OECD, 2012). Dabei geben die USA anteilsmäßig mehr <strong>für</strong> Software-Investitionen<br />

aus als Deutschland insgesamt als <strong>IKT</strong>-Investitionsanteil verzeichnet. In Europa liegt<br />

Schweden hier mit den USA praktisch gleich auf und das anhaltende Wirtschaftswachstum<br />

Schwedens ist von daher vermutlich auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Unter den<br />

genannten Ländern fällt Portugal mit einem sehr geringen Anteil an Software-Ausgaben auf –<br />

ein Fall, der näherer <strong>Analyse</strong>n bedarf.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 15<br />

1.2 <strong>IKT</strong>-Expansion, Investitionsdynamik und Innovationen<br />

in der digitalen Wirtschaft<br />

Während manche Beobachter mit Blick auf eine seit wenigen Jahren sinkende Relation von<br />

<strong>IKT</strong>-Investitionsausgaben zum nominalen Bruttoinlandsprodukt bereits von einem Überschreiten<br />

des <strong>IKT</strong>-Zenits sprechen wollen, muss doch unter Verweis auf die methodisch korrekte<br />

Verwendung von realen Größen ein anderes Bild betont werden. Da der sektorale <strong>IKT</strong>-<br />

Preisindex seit Jahrzehnten fällt, ergibt sich in realer Rechnung ein anderes Bild als auf Basis<br />

nominaler Größen: Der Anteil der <strong>IKT</strong>-Investitionen in realer Rechnung steigt relativ zum<br />

realen Bruttoinlandsprodukt in Deutschland und vielen OECD-Ländern – im Gegensatz zu<br />

den nominal gemessenen Quoten – weiter an. Die ökonomische Bedeutung des <strong>IKT</strong>-Sektors<br />

nimmt also fortlaufend weiter zu. Die besondere ökonomische Relevanz des <strong>IKT</strong>-Sektors ergibt<br />

sich mit Blick auf Wachstum und Beschäftigung darüber hinaus aus der Tatsache, dass<br />

der <strong>IKT</strong>-Sektor <strong>für</strong> den innovationsstärksten Sektor der Wirtschaft in fast allen OECD-<br />

Ländern steht.<br />

Getrieben vom globalen Wettbewerb im <strong>IKT</strong>-produzierenden Sektor und von deutlichen langfristigen<br />

Verminderungen der relativen <strong>IKT</strong>-Preise sowie der Entwicklung vieler innovativer<br />

Dienste hat sich eine anhaltende Expansion des <strong>IKT</strong>-Sektors in den OECD-Ländern und den<br />

Schwellenländern ergeben. Der <strong>IKT</strong>-Sektor expandiert in vielerlei Richtung. Neue Themen<br />

wie etwa das Internet der Dinge, RFID („Begleitchips mit Radiofrequenz-Identifikation“, die<br />

hohe Bedeutung <strong>für</strong> Innovationen in Produktion, Logistik, Vertrieb etc. haben), Cloud Computing<br />

als internetbasierte Software- und Servernutzungskonzepte, Software as a Service – via<br />

Internet genutzt – und breitbandige mobile Kommunikation auf Basis neuer Standards (LTE)<br />

sind hier zu nennen. Der Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie ist eine<br />

dynamische Querschnittstechnologie mit positiven externen Effekten <strong>für</strong> alle Sektoren der<br />

Wirtschaft und <strong>für</strong> den öffentlichen Sektor. In erster Linie sollten also bestehende und neue<br />

Unternehmen digitale Entwicklungspotenziale aufnehmen; aber auch die Zivilgesellschaft ist<br />

gefordert – jeder Einzelne, gegebenenfalls sozial bzw. digital vernetzt als kreative Gesellschaft.<br />

Der Einsatz von <strong>IKT</strong> erfordert in der Regel, dass qualifizierte Arbeitskräfte aktiv in die jeweilige<br />

Aufgabenlösung eingebunden sind; das gilt <strong>für</strong> die betriebliche Ebene. Mit Blick auf die<br />

Innovationsdynamik von <strong>IKT</strong>-Unternehmen ist die Einbindung in regionale, nationale und<br />

internationale Innovationssysteme wichtig. Eine wesentliche Rolle spielen zunächst regionale<br />

Innovationssysteme, wobei auf Seiten der Industrie der Bildung von regionalen <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>n<br />

eine große Bedeutung zukommt. In <strong>Cluster</strong>n wirken im Wertschöpfungsprozess komplementäre<br />

Unternehmen, aber auch unterschiedlich große Unternehmen ähnlicher Verarbeitungsstufen<br />

zusammen. Für kleine und mittlere Unternehmen ergeben sich in der Regel neue Möglichkeiten,<br />

etwa im Exportgeschäft bzw. bei der Internationalisierung von Großunternehmen<br />

im jeweiligen <strong>Cluster</strong> zu lernen. Dabei kann ein unternehmensübergreifender Erfahrungsaustausch<br />

bzw. die Bildung von digitalen Erfahrungsgruppen ebenso nützlich sein wie etwa die<br />

gemeinsame Organisation bei Auftritten auf internationalen Messen.<br />

Grundsätzlich ist es wichtig, die bestehenden <strong>IKT</strong>-Stärken von Regionen zu identifizieren, um<br />

dann auf Basis bestehender <strong>Cluster</strong> und der relevanten Produkt-Architektur neue Expansionsfelder<br />

durch Kooperation und durch Wettbewerb zu erschließen. Aus Sicht der Politik ist zu<br />

prüfen, welche Art Förderung die regionale und nationale Wirtschaftspolitik im <strong>IKT</strong>-Bereich


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 16<br />

entwickeln sollte. Da der Sektor <strong>IKT</strong> in der EU und den USA der innovationsstärkste Wirtschaftsbereich<br />

ist, von dem zahlreiche positive Innovationsübertragungseffekte auf andere<br />

Sektoren ausgehen, ist eine angemessene Innovationsförderung wichtig. Aus ökonomischer<br />

Sicht ist zu fordern, dass Steuervergünstigungen oder Beihilfen das Ausmaß des gesellschaftlichen<br />

Zusatznutzens – der positiven externen Effekte – widerspiegeln sollten. In einer Zeit<br />

eng geschnittener öffentlicher Haushalte ist diese Forderung nicht leicht in die politische Praxis<br />

umzusetzen. Dennoch ist gerade digitale Innovationsförderung ein Schlüssel auch zur<br />

Überwindung der Staatsfinanzierungsprobleme, und zwar einfach dadurch, dass eine angemessene<br />

Innovationsförderung das Wirtschaftswachstum deutlich erhöhen kann. Der Wachstumsbeitrag<br />

von <strong>IKT</strong> beträgt in OECD-Ländern zwischen etwa 0,2 und 1 Prozentpunkt, wobei<br />

Deutschland gegenüber dem Spitzenreiter USA, aber auch gegenüber führenden EU-<br />

Ländern wie Schweden und Finnland sowie Niederlande, zurückliegt (WEL-<br />

FENS/ZOCHE/JUNG-MITTAG ET AL., 2005). Da Innovationsförderung in Deutschland<br />

fast zur Hälfte von Seiten der Bundesländer kommt, liegt hier <strong>für</strong> Nordrhein-Westfalen eine<br />

große Herausforderung und Chance. Jenseits der Wirtschaftsaspekte darf man die unmittelbar<br />

bürgernützlichen <strong>IKT</strong>-Expansions- bzw. Modernisierungseffekte nicht übersehen, wobei auch<br />

die Kommunen gefordert sind. So können etwa Menschen mit Sehbehinderungen dank des im<br />

Kreis Soest geförderten <strong>IKT</strong>-Projektes blind4you mit großem Nutzenzuwachs Stadtbesichtigungen<br />

durchführen – in einer alternden Gesellschaft ist dieses von der EU mitgeförderte Projekt<br />

ein Ansatzpunkt, der von vielen anderen Kommunen aufgegriffen werden könnte und<br />

sollte. In Nordrhein-Westfalen gilt es angesichts der europäischen geografischen Lage natürlich<br />

auch, in besonderer Weise EU-Fördermittel zu nutzen und europäische Vernetzungsimpulse<br />

zu geben sowie digitale Marktentwicklung EU-weit mit voranzutreiben.<br />

Die digitale Wirtschaft bzw. der <strong>IKT</strong>-Sektor ist ein fester Bestandteil modernen Wirtschaftens<br />

und effizienter Verwaltung sowie des Arbeitslebens der Mehrheit der Arbeitnehmer geworden.<br />

Neben allen Vorteilen <strong>für</strong> Produktivität, Wissensdiffusion und sozialer Netzwerkbildung<br />

gibt es auch Herausforderungen, die sich ergeben u. a. aus:<br />

• wachsenden Qualifikationsanforderungen und einer schnelllebigeren Arbeitswelt, die<br />

hohen Anpassungsdruck mit sich bringt – dabei entsteht in der Internetgesellschaft<br />

auch eine zunehmende Wahrnehmung der wirtschaftlichen Globalisierung und damit<br />

internationaler Konkurrenz (<strong>für</strong> ein starkes Exportland bzw. erfolgreiche Exportregionen<br />

bieten sich insgesamt besondere Chancen, wobei es im Interesse eines gesellschaftlichen<br />

Zusammenhaltes darauf ankommt, Verlierergruppen im Modernisierungsprozess<br />

durch gezielte Einbindung in institutionelles und individuelles Lernen<br />

gerade auch bei der digitalen Modernisierung mitzunehmen);<br />

• der drohenden Unschärfe zwischen öffentlichem Leben und Internetpräsenz – in der<br />

globalen Internetwelt droht eine Art permanente digitale Medienpräsenz des Menschen,<br />

da jeder Einzelne über Fotos, Filme, Textbezüge bzw. Netzwerkpartner sowie<br />

ggf. geografische Informationssysteme fast rund um die Uhr lokalisierbar und dokumentierbar<br />

ist. Neugierde, Mitteilungsbedürfnis und Kontaktbedarf schaffen in einer<br />

Internetgesellschaft die Möglichkeit einer digitalen Permanenz – einer Art Twitter-<br />

Existenz, bei der jederzeit von jedermann eigene Aktivitäten signalisiert werden. Digitale<br />

Lebensstile sind von daher kritisch zu reflektieren.<br />

Dabei ist nicht zu übersehen, dass es auch Probleme in der neuen digitalen Arbeitswelt gibt.<br />

So erfreulich es ist, dass man sich dank Internet leichter selbständig machen kann, so problematisch<br />

ist es auch in manchen Bereichen <strong>für</strong> viele Ich-AG-Starter, in einem globalen Online-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 17<br />

Markt erfolgreich zu sein und zugleich ausreichende soziale Kontakte zu knüpfen. Leben in<br />

der Online-Welt schafft viele virtuelle Kontakte, aber sie können tatsächliche soziale bzw.<br />

familiäre Netzwerke nicht ersetzen. Zugleich ist zu bedenken, dass die Privatsphäre in der<br />

Online-Welt gerade durch die Expansion sozialer digitaler Netzwerke eingeschränkt wird, und<br />

auch hier können neben Chancen auch neue Probleme bzw. Herausforderungen entstehen<br />

(HOMBACH, 2010).<br />

Neue Chancen der Internetwirtschaft zu nutzen gilt es gerade auch in der Phase der Überwindung<br />

der globalen Rezession im Gefolge der Transatlantischen Bankenkrise und der Energiekrise.<br />

Zum gewichtigen Teilsektor der Informations- und Kommunikationstechnologie gehören<br />

die Bereiche der Kommunikationsinfrastruktur, der digitalen Dienste und der <strong>IKT</strong>-<br />

Produktion. Das Entstehen immer größerer Nutzernetzwerke in Industrie und Gesellschaft, die<br />

Herausbildung kompakter Märkte <strong>für</strong> Spezialanwendungen bei Nutzergruppen (Stichwort<br />

Apps) und die enormen Entwicklungsmöglichkeiten bei digitaler Bildung und Weiterbildung<br />

in der Wissensgesellschaft sind hervorzuheben. Zunehmend basiert die Produktion von Gütern<br />

und Dienstleistungen auf Wissen einerseits und andererseits auf der Nutzung der Informations-<br />

und Kommunikationstechnologie.<br />

Für die Rückkehr zu anhaltendem Wirtschaftswachstum, aber auch <strong>für</strong> mehr Nachhaltigkeit<br />

ist die optimierte Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie gerade auch in<br />

Deutschland unerlässlich. Denn <strong>IKT</strong> ist ein wesentliches Element bei Investitionen, und da<br />

der relative Preis von <strong>IKT</strong>-Investitionsgütern mittelfristig weiter fallen dürfte, wird der <strong>IKT</strong>-<br />

Kapitalgüteranteil am Gesamtkapitalstock weiter zunehmen. Auch der Übergang zu preiswerteren,<br />

digitalen innovativen Dienstleistungen <strong>für</strong> die Industrie stärkt via Verbesserung der<br />

Vorleistungsstufe die internationale Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Soweit bessere und schnellere digitale Kommunikation <strong>für</strong> die privaten Haushalte angeboten<br />

wird, entsteht ein unmittelbarer Nutzengewinn auf der Konsumentenseite. Dieser wird häufig<br />

durch positive Netzwerkeffekte von Internetnutzern bzw. digitalen Kommunikationspartnern<br />

noch gestärkt: Je mehr Nutzer bestimmte digitale Dienste in Anspruch nehmen, desto größer<br />

sind die entstehenden kreativen Kommunikationsnetzwerke bzw. desto höher ist der Nutzen<br />

<strong>für</strong> jeden einzelnen Akteur im Netz. Es gibt eben besondere Verbundvorteile, wobei diese<br />

sich auf verschiedene Ebenen beziehen können: Lokale und regionale Netzwerke, die ihrerseits<br />

vernetzt sind, spielen hier ebenso eine Rolle wie globale Netzwerke vom Typ Facebook,<br />

Twitter oder Xing. Die grundsätzlich internationale und ubiquitäre Welt des Internets ist eine<br />

Chance zur kreativen Entfaltung, aber sie schafft natürlich auch neue Risiken, wie sie etwa im<br />

Themenfeld IT-Sicherheit auf dem nationalen IT-Gipfel in Dresden in 2010 stark diskutiert<br />

wurden.<br />

Im EU-Binnenmarkt hat sich der Wettbewerb der Regionen intensiviert, die Globalisierung<br />

der Wirtschaft schreitet gerade infolge der Ausbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

voran. Umso wichtiger erscheint es daher in vielen Regionen, dass die Expansionspotenziale<br />

im Kontext einer verbesserten <strong>IKT</strong>-Nutzung verstärkt mobilisiert werden.<br />

Dabei ist zu beachten, dass <strong>IKT</strong>-Innovationsaufwendungen <strong>für</strong> die Wachstumseffekte besonders<br />

wichtig sind, wobei neben dem innovationsaktiven <strong>IKT</strong>-Sektor selbst etwa die Automobilindustrie<br />

in Deutschland besondere Stärken bei digitalen Innovationen hat. Regionen, die<br />

etwa bisherige Automobilstandorte im Zuge globaler Restrukturierungen verlieren, droht dann<br />

auch ein Innovations- bzw. Wachstumsrückstand.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 18<br />

Häufig hat die Politik zwar die Weichen grundsätzlich zugunsten des innovationsstarken <strong>IKT</strong>-<br />

Sektors auf nationaler bzw. regionaler Ebene gestellt. Es fehlt aber vielfach an einer optimalen<br />

Wirtschaftspolitik, die durch gezielte Auswertung industrie- bzw. innovationsrelevanter<br />

Indikatoren nachvollziehbare Ansatzpunkte <strong>für</strong> effiziente und effektive Modernisierung zu<br />

identifizieren erlaubt. Gerade die Auswertung von EU-Patentdatenbanken bietet sich hier an.<br />

Rationale und erfolgsorientierte regionale und nationale Wirtschaftspolitik wird auf Basis<br />

entsprechender <strong>Analyse</strong> handeln können und wollen. Zudem stellt sich die Frage, inwiefern<br />

von Seiten der IHKs und von regionalen Firmen- bzw. Nutzernetzwerken eigenständig digitale<br />

Initiativen entfaltet werden können. Grundsätzlich werden digitale Expansion und Modernisierung<br />

immer davon abhängen, dass ein deutlicher Zusatznutzen <strong>für</strong> die Nachfrager entsteht.<br />

In einer breiteren <strong>Analyse</strong> lassen sich die internationalen Entwicklungslinien des <strong>IKT</strong>-Sektors<br />

und die hohe Innovationsdynamik und besondere volkswirtschaftliche Bedeutung verdeutlichen<br />

sowie die Herausforderungen <strong>für</strong> die Wettbewerbsdynamik – auch im Kontext der zunehmenden<br />

Bedeutung sozialer Netzwerke. Für die Industrie gewinnt das Konzept des Internets<br />

der Dinge zunehmende Bedeutung, wobei hier auch der Prozess der Globalisierung, oft<br />

mit komplexen Logistikketten, unterstützt wird.<br />

Der <strong>IKT</strong>-Sektor steht mit einem Marktvolumen von etwa 600 Milliarden Euro <strong>für</strong> 5% der EU-<br />

Wertschöpfung, er ist aber infolge seiner Bedeutung als Querschnittstechnologie letztlich<br />

doch <strong>für</strong> die Gesamtwirtschaft bzw. alle Sektoren von großer Bedeutung (EUROPÄISCHE<br />

KOMMISSION, 2010, S. 4): Der Beitrag des <strong>IKT</strong>-Sektors zum gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsanstieg<br />

übersteigt den sektoralen Wertschöpfungsanteil sehr deutlich, wobei etwa<br />

20% aus dem <strong>IKT</strong>-Sektor direkt kommen und 30% aus <strong>IKT</strong>-Investitionen. Die Unternehmen<br />

etwa der Automobilindustrie, des Maschinenbaus, der Chemiewirtschaft und der Elektrotechnik<br />

sind innovationsstarke <strong>IKT</strong>-Anwender.<br />

Die Entwicklung schnellerer, breitbandiger Kommunikationsnetzwerke ist <strong>für</strong> die EU bzw.<br />

Weltwirtschaft von großer Bedeutung; die Europäische Kommission hat mit einer Reihe von<br />

Stichworten mögliche Ansatzpunkte der Politik vorgegeben. Diese Stichworte lauten: Interoperabilität<br />

und Normen, Vertrauen und Sicherheit, Forschung und Innovation, Verbesserung<br />

der digitalen Kompetenzen, Qualifikationen und Integration, <strong>IKT</strong>-gestützte Vorteile <strong>für</strong> die<br />

Gesellschaft in der EU und internationale Aspekte der Digitalen Agenda. Auch die NRW-<br />

Landesregierung hat einige <strong>IKT</strong>-Felder betont (siehe <strong>Anhang</strong>).<br />

Was die EU-Entwicklung von <strong>IKT</strong>-Teilsektoren angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass – bei<br />

einem <strong>IKT</strong>-Wachstum oberhalb des Wachstums der Industrie insgesamt – der Bereich Produktion<br />

von Computern und Büromaschinen (NACE 30) seit 1999 rückläufig ist, während der<br />

Teilsektor <strong>IKT</strong>-Dienste (NACE 72) ein hohes Wachstum gezeigt hat (WINTJES/ DUNNE-<br />

WIJK, 2008, S. 6). Die Studie von WINTJES/DUNNEWIJK weist allerdings in einem EU-<br />

Ländervergleich auch darauf hin, dass Deutschland zumindest zeitweilig ein relativ geringes<br />

„sozio-kulturelles Kapital“ aufwies, was als nachteilig <strong>für</strong> die Mobilisierung des vollen <strong>IKT</strong>-<br />

Innovationspotenzials gilt. Deutschland wird auf Basis eines EU-25-Vergleichs in eine Gruppe<br />

mit Österreich, Zypern, Griechenland, Spanien, Italien, Malta und Polen eingeordnet. Hingegen<br />

werden als Führungsländer, die in allen vier betrachteten Kapitaldimensionen – kulturelles<br />

Kapital (z. B. Einstellung gegenüber Innovationen), Humankapital, Sozialkapital (u. a.<br />

Identität sozialer Netzwerke) und Organisationskapital – hohe Werte aufweisen, die folgen-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 19<br />

den Länder genannt: Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Luxemburg, Niederlande,<br />

Schweden, Slowenien und Großbritannien (WINTJES/DUNNEWIJK, 2008, S. 70).<br />

Zahlreiche EU-Länder haben begonnen, national oder regional <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong> zu fördern, zumal<br />

<strong>IKT</strong> im Kontext der Lissabon-Agenda 2010 der Europäischen Kommission bzw. der anhaltenden<br />

Entwicklung vieler OECD-Länder zu einer digitalen Wissensgesellschaft – mit starker<br />

Rolle von Wissen und Innovation <strong>für</strong> die Wirtschaftsdynamik – eine längerfristige Tendenz<br />

bezeichnet. Dabei stellt sich <strong>für</strong> die EU die Aufgabe, den Rückstand im <strong>IKT</strong>-Sektor gegenüber<br />

den USA zu schließen, wobei mit dem i2010-Programm der EU bzw. der Lissabon-<br />

Agenda 2010 bzw. dem Nachfolgeprogramm Europe 2020 immerhin ein Ansatzpunkt auf<br />

supranationaler Ebene besteht. Bei der <strong>IKT</strong>-Förderpolitik Deutschlands fehlt bislang eine adäquate<br />

Einordnung der <strong>IKT</strong>-Schwerpunkte in die Innovationspolitik (POLS, 2007). Zudem<br />

müssten die Förderschwerpunkte des Bundes – vermutlich auch einiger Bundesländer –<br />

schneller auf veränderte Technologie- und Marktperspektiven reagieren. Die <strong>IKT</strong>-<br />

Förderpolitik der Bundesländer in Deutschland bleibt zu untersuchen, wobei sich hier eine<br />

<strong>Analyse</strong> von <strong>Cluster</strong>-Ansätzen anbietet (WELFENS, 2011).<br />

Mit den wachsenden digitalen Angeboten bzw. Netzinhalten stellt sich die Frage nach einem<br />

angemessenen Konzept der Netzneutralität. Netzneutralität lässt sich aus ökonomischer Sicht<br />

definieren als Konzept eines im engeren oder im weiteren Sinn vorranglosen Datenverkehrs.<br />

Ökonomisch sinnvoll erscheint nur eine differenzierte Netzneutralität, die den Zugang aller<br />

Menschen in einem Land bzw. Wirtschaftsraum zu allen grundlegenden digitalen Diensten<br />

sichert (allerdings nicht zu jedem Zeitpunkt mit maximaler Datenübertragungsrate). Mit dem<br />

Konzept differenzierter Dienste könnte dann auch sichergestellt sein, dass hinreichende Investitionsmittel<br />

in den Ausbau moderner Breitbandnetze fließen werden. Ein hinreichender flächendeckender<br />

Breitbandausbau muss durch regional differenzierte Investitionsanreize bzw.<br />

hinreichende Renditeaussichten gesichert werden.<br />

Mit den Börsengängen von Amazon, Google und Facebook (letzterer mit Turbulenzen bzw.<br />

Kursverfall direkt nach dem Börsengang in 2012) sind drei US-Internetunternehmen der jüngeren<br />

Generation in den Fokus der Kapitalmärkte getreten. Entscheidend <strong>für</strong> den erfolgreichen<br />

Börsengang, der die Unternehmen unter die globalen Börsenschwergewichte katapultierte,<br />

ist das Vorhandensein eines globalen internetbasierten Geschäftsmodells. Da im Zuge hoher<br />

Netzwerkeffekte eine breite Kundenbasis entsteht und zugleich faktisch Marktzugangshemmnisse<br />

geschaffen werden, ergibt sich die Frage, ob hier nachhaltiger Wettbewerb in der<br />

„Internetwirtschaft“ möglich sein wird; und es stellt sich die Frage, auf welcher Ebene man<br />

wirtschaftspolitisch ansetzen soll: National oder international. Hier ergeben sich einerseits<br />

neue Fragen im Kontext des digitalen Verbraucherschutzes, andererseits neue Ansatzpunkte<br />

<strong>für</strong> internationale Kooperation in der Wirtschaftspolitik.<br />

Aufgaben des Staates in der Digitalen Sozialen Marktwirtschaft<br />

Je mehr der <strong>IKT</strong>-Sektor zu einem gewichtigen Wachstumstreiber mit hoher Innovationsdynamik<br />

wird und je stärker <strong>IKT</strong> als wesentliche Querschnittstechnologie einzuordnen ist, desto<br />

stärker kommt es grundsätzlich mit Blick auf Staatsaktivitäten auf mehrere Punkte an:<br />

• Setzen angemessener Rahmenbedingungen; dies gilt national und auch auf EU-Ebene.<br />

Hierzu gehören auch vernünftige digitale Eigentumsrechte in der Internetwirtschaft –


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 20<br />

hierbei sind Anpassungen sicherlich notwendig, damit z.B. Netzwerkeffekte optimal<br />

mobilisiert werden können;<br />

• angemessene Förderanreize zwecks Herbeiführung einer optimalen Innovationsdynamik<br />

– positive externe Effekte von <strong>IKT</strong>-Forschung sind hier zu internalisieren, wobei<br />

<strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>-Ansätze grundsätzlich sinnvoll sind. Es ist aber keineswegs automatisch<br />

so, dass jede Vernetzungsgruppe von <strong>IKT</strong>-bezogenen Unternehmensaktivitäten automatisch<br />

einen regionalen Innovationsmehrwert bringt. Es kann auch dazu kommen,<br />

dass sich gerade „fußkranke Unternehmen“ in <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong> hineinbegeben und am Ende<br />

<strong>für</strong> die <strong>Cluster</strong>-Unternehmen mehrheitlich gar kein signifikanter Innovationsmehrwert<br />

entsteht (SCHRÖDER, 2010). Von daher ist eine kritische <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>analyse<br />

notwendig.<br />

• Digitale Sozialpolitik wird ein Bestandteil der Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts sein;<br />

in der Arbeitslosenversicherung kann internetbasierte Vermittlung in Deutschland eine<br />

viel größere Rolle spielen als bisher: Während in Deutschland in 2011 nur 18% der<br />

Menschen das Internet <strong>für</strong> die Suche nach einem Arbeitsplatz nutzen, waren es in Kanada<br />

und Norwegen etwa 30%, gefolgt von Korea, Dänemark, Island, Großbritannien,<br />

Estland und Schweden mit gut 25% (OECD, 2012, Abb. 3.19). Gerade hier ist<br />

Deutschland aufgefordert, von den führenden OECD-Ländern gute Lösungen zu übernehmen<br />

– die Arbeitslosenquote in Deutschland könnte vermutlich um ein Prozent<br />

sinken, wenn man die Bestwerte Kanadas und Norwegens erreichte. Hier käme es zu<br />

positiven Effekten <strong>für</strong> die Betroffenen, aber auch zu Ausgabeneinspareffekten und<br />

Einnahmeeffekten beim Staat. Dass die Gesundheitspolitik künftig eine starke <strong>IKT</strong>-<br />

Komponente haben sollte, ist offensichtlich, Modellprojekte in verschiedenen Bundesländern<br />

gibt es seit Ende 2010 bereits. Allerdings ist Deutschland auch in Teilbereich<br />

sonderbar langsam, etwa wenn es um die digitale Gesundheitskarte geht. Hier wird<br />

Nutzengewinn <strong>für</strong> Patienten und Kosteneinsparung im Gesundheitswesen bislang verschenkt.<br />

<strong>IKT</strong> wird auch bei der Entwicklung von neuen Möglichkeiten von Altersteilzeit<br />

eine wichtige Rolle spielen – <strong>für</strong> die alternde Gesellschaft gibt es auch hier kreative<br />

neue Möglichkeiten.<br />

• Generell wichtig ist die optimale Realisierung staatlicher <strong>IKT</strong>-Projekte im engeren<br />

Sinn, was nicht nur die Verwaltung betrifft, sondern auch die wesentlich vom Staat<br />

geprägten Sektoren Bildung und Verteidigung.<br />

• Bei der Gründungsförderung sind einfache und klare Regeln <strong>für</strong> Unternehmensgründungen<br />

wesentlich, um die digitale Gründerdynamik zu fördern. Es ist auffällig, dass<br />

in Deutschland beim von der Weltbank veröffentlichten Doing-Business Report 2012<br />

zurückgefallen ist und auf Platz 20 steht (herunter von 19); bei den Gründerbedingungen<br />

steht Deutschland nur auf Platz 100 – immerhin muss man als Gründer in<br />

Deutschland sich mit neun Verfahren befassen, während Kanada und Neuseeland mit<br />

einem einfachen Verfahren glänzen..<br />

Wirtschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert haben eine große digitale Komponente, die es<br />

sinnvoll zu gestalten gilt. Sichere Internetnutzung, kluge Expansionsanreize <strong>für</strong> den Breitbandausbau<br />

auf mittlere Sicht und bürgernützliche digitale Projekte auch von Kommunen,<br />

Ländern, Bund und EU sind hier wichtig. Insgesamt führt dies zu einer Digitalen Sozialen<br />

Marktwirtschaft. Das Konzept der Digitalen Sozialen Marktwirtschaft ist relativ neu – erst-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 21<br />

mals vorgestellt von WELFENS (2005) und in Teilaspekten verdeutlicht in der vom <strong>EIIW</strong> mit<br />

dem Fraunhofer-Institut <strong>für</strong> Systemtechnik und Innovationsforschung <strong>für</strong> die Bundesregierung<br />

erstellten Studie Internetwirtschaft 2010 (WELFENS/ZOCHE/JUNGMITTAG ET.AL.,<br />

2005). Eine Digitale Soziale Marktwirtschaft basiert u.a. auf digitalen Eigentumsrechten und<br />

entsprechenden Investitionen und Innovationen im <strong>IKT</strong>-Sektor und in anderen Sektoren. In<br />

dynamischen digitalen Märkten spielen Netzwerkeffekte als endogene Verstärkungsmechanismen<br />

eine wesentliche, besondere Rolle. Die Expansion der digitalen Wirtschaft geht einher<br />

mit <strong>IKT</strong>-Kapitalakkumulation; dieses wiederum mit Produktivitätszuwächsen und Innovationen<br />

im Vorleistungsmarkt. Zudem ergeben sich Effekte auf Export- und Importmärkten und<br />

wegen der Notwendigkeit des Einsatzes qualifizierter Arbeitnehmer auch eine relativ verstärkte<br />

Lohnungleichheit.<br />

Soweit eine Regulierung des Telekommunikationsmarktes erfolgt, so ist nach einer Phase<br />

einer energischen Marktöffnung bzw. von Markteintritten der Übergang zu einem Mehr an<br />

Wettbewerbspolitik und einem Weniger an Regulierungseingriffen sinnvoll. Investitions- und<br />

Innovationsanreize sind wichtig, Schumpetersche Innovationsrenten bzw. Anreize <strong>für</strong> Innovatoren<br />

sollten nicht künstlich vorab wegreguliert werden.<br />

Der Staat hat eine mehrfache Rolle in der Digitalen Sozialen Marktwirtschaft:<br />

• Der Staat setzt Rahmenbedingungen <strong>für</strong> nachhaltigen dynamischen Wettbewerb in der<br />

Wirtschaft, inklusive im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie.<br />

Digitale Chancengleichheit ist hierbei <strong>für</strong> eine Digitale Soziale Marktwirtschaft ein<br />

wichtiges Element. Zugleich ist die Entwicklung sozialer Netzwerke zu erleichtern, da<br />

sich die in Quasi-Nutzerclubs aktiven Bürgerinnen und Bürger wechselseitig einen<br />

Zusatznutzen verschaffen, der aus größerer potenzieller Kommunikationsreichweite<br />

und dem Nutzenstrom aus intensivierten Netzwerkkontakten entsteht. Dies ist eine<br />

neue Dimension der Wirtschafts- bzw. Ordnungspolitik, wobei der Staat über offene<br />

Standards und Zusammenschaltungsvorgaben im Telekommunikationssektor die<br />

Netzwerkgründung und -nutzung fördern kann.<br />

• <strong>IKT</strong> ist ein wichtiger Aktivitätsbereich gerade auch <strong>für</strong> die wirtschaftliche Modernisierung,<br />

wie ein Vergleich der EU-Länder zeigt; es ist bezeichnend, dass Griechenland<br />

und Portugal bei den <strong>IKT</strong>-Patenten/Kopf in der Wachstumsdynamik deutlich hinter<br />

anderen EU-Ländern bzw. den Euro-Partnerländern liegt (WELFENS, 2012).<br />

• Der Staat selbst ist idealerweise innovativer und vorbildlicher Nutzer bzw. trägt mit<br />

einer leistungsfähigen digitalen Verwaltung zu Kosteneinsparungen und höherem<br />

Dienstenutzen auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger bei. Dies setzt allerdings u. a.<br />

voraus, dass die staatliche Weiterbildung – gerade auch in Nordrhein-Westfalen – viel<br />

stärker als bisher auf digitale Themen, Formate, Plattformen und Inhalte Bezug<br />

nimmt, wobei sich natürlich auch Kooperation mit anderen Bundesländern sowie ggf.<br />

auch Nachbarländern wie Niederlande und Belgien (und Luxemburg sowie Frankreich)<br />

besonders anbietet. Auch im Bereich der europäischen Städtepartnerschaften<br />

sind digitale Themen bzw. ein vergleichender Erfahrungsaustausch von großem Interesse.<br />

• Der Staat stimuliert die digitale Innovationsdynamik bzw. trägt zur Internalisierung<br />

positiver externer Effekte – des gesellschaftlichen Zusatznutzens aus individueller unternehmensbasierter<br />

Innovationsaktivität – bei, wobei idealerweise am Umfang der<br />

Innovationsaufwendungen ansetzende Steuervergünstigungen eingesetzt werden sollten<br />

(WELFENS/AUDRETSCH/ADDISON/GRUPP, 1998). Steuervergünstigungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 22<br />

als Instrument der Innovationsförderung sind stärker neutral in Bezug auf Betriebsgrößen<br />

bzw. bedeuten größere Chancengleichheit gerade <strong>für</strong> kleine und mittlere Unternehmen.<br />

• Durch die Absenkung von nationalen und internationalen Transaktionskosten wird der<br />

Handel intensiviert, speziell profitiert in Europa der Außenhandel von einer Intensivierung<br />

der Kommunikationskontakte, wie die empirische Untersuchung von JUNG-<br />

MITTAG/WELFENS (2009) gezeigt hat. Indem der Staat bzw. die Regulierungsbehörden<br />

in den EU-Ländern sowie die Europäische Kommission <strong>für</strong> nachhaltigen<br />

Wettbewerb im Telekommunikationssektor sorgen, entstehen Impulse <strong>für</strong> statische<br />

und dynamische Effizienzgewinne gerade auch in der internationalen Telekommunikation.<br />

Diese Kostensenkungen bei grenzüberschreitenden Informations- und Transaktionskosten<br />

stimulieren nicht nur den digitalen Außenhandel (den Handel im Internet),<br />

sondern jeglichen Außenhandel. Deutschland bzw. gerade die exportstarken Bundesländer<br />

Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und andere dürften von daher<br />

ein besonders starkes Interesse auch an nachhaltigem Wettbewerb auf internationalen<br />

Telekommunikationsmärkten sowie entsprechenden Investitions- und Innovationsprojekten<br />

haben.<br />

• Die Bundesländer sind im Bereich Bildung und Weiterbildung in besonderer Weise<br />

gefordert, die Chancen der digitalen Innovationsdynamik bzw. der breitbandigen mobilen<br />

Internetkommunikation zu nutzen: Neue kreative Informationsnetzwerke – auch<br />

im Bereich ehrenamtlicher Arbeiten – können entstehen sowie eine Vielzahl von Plattformen<br />

und Angeboten <strong>für</strong> Bildung und Weiterbildung. Jede Universität und Fachhochschule<br />

wird längerfristig mit digitalen Bildungsinhalten im Netz präsent sein<br />

können und hier liegen Möglichkeiten, den Hochschulsektor auf vielfältige und preiswerte<br />

Weise digital auszubauen. Wenn zumindest ein Teil der Universitäten sich stärker<br />

vernetzt und in einigen Universitäten auf digitale Vorlesungsübertragung plus lokale<br />

Übungen übergegangen wird, dann lässt sich allein in Nordrhein-Westfalen eine<br />

erhebliche Erhöhung der Absolventenzahlen erreichen; oder aber Kosteneinsparungen<br />

im dreistelligen Millionenbereich pro Jahr. Mit einem Ausbau englischer Vorlesungsangebote<br />

im Netz könnten weltweit Signale an Studierwillige gesendet werden, dass<br />

Nordrhein-Westfalen mit der dichtesten Hochschullandschaft Europas ein hervorragendes<br />

Bildungsangebot bereitstellt.<br />

• Es liegt an Nordrhein-Westfalen selbst, sich stärker im Bereich der Informations- und<br />

Kommunikationstechnologie zu profilieren: Hier stellt sich die Herausforderung, einerseits<br />

bestehende <strong>Cluster</strong>-Initiativen bzw. vernetzte Förderansätze sinnvoll weiterzuentwickeln<br />

(WELFENS, 2010); andererseits ist die bislang geringe Präsenz bei digitalen<br />

Messen zu problematisieren. Nordrhein-Westfalen könnte z.B. ein idealer Standort<br />

sowohl <strong>für</strong> europäische <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>- als auch <strong>für</strong> Apps-Messen oder kommunale<br />

<strong>IKT</strong>-Innovationen sein, wobei von solchen Messen nicht nur ein lokaler Wirtschaftsimpuls<br />

mit hohem Modernisierungs- bzw. Signalwert ausgeht, sondern erfahrungsgemäß<br />

entwickeln sich im Umfeld digitaler Messen in besonderer Weise auch digitale<br />

Dienstleister. Seitens der <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>-Entwicklung stellten sich die Frage, ob die bisher<br />

forcierten Schwerpunkte die Chancen und Stärken der Region und die Vielfalt der<br />

Stärken der verschiedenen Teilregionen angemessen widerspiegeln; auch ist die Frage<br />

zu stellen, inwiefern eine europäische digitale Komponente mit Kooperationsprojekten<br />

mit Blick auf Niederlande und Belgien entwickelt wird. Die <strong>Cluster</strong>-Dynamik in einigen<br />

<strong>IKT</strong>-Zentren Europas ist hoch, wobei Eindhoven als niederländischen <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong><br />

Weltrang hat – nicht zuletzt dank eines einzigartigen Innovationsparks von Philips, in<br />

dem Hunderte Partnerunternehmen bzw. Wettbewerber am Aufbau globaler neuer


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 23<br />

Standards und im Rahmen einer Innovationshandelsbörse mitwirken. Im <strong>Anhang</strong> sind<br />

einige ausgewählter Innovationscluster europäischer Regionen aufgeführt, die das<br />

Netzwerk gemeinsamer <strong>IKT</strong>-Patente in der jeweiligen Region und die Intensität der<br />

Mobilität der Innovatoren zeigen.<br />

Nachdem man in Deutschland mit der Initiative D21 und dem nationalen IT-Gipfel seitens der<br />

Bundesregierung gezielt Impulse zur Expansion der digitalen Wirtschaft gesetzt hat, ist festzustellen,<br />

dass einerseits der Staat – hier der Bund, teilweise auch die Bundesländer - und<br />

eben die Industrie positiv zur Expansion des <strong>IKT</strong>-Sektors und von <strong>IKT</strong>-Anwendungen beigetragen<br />

haben. Es stellt sich natürlich die Frage, ob dies insgesamt in optimaler Weise geschehen<br />

wird und welche Akzente einzelne Bundesländer geben werden; Nordrhein-Westfalen<br />

bzw. das Ruhrgebiet könnte hier als „Smart City Network“ wichtige und innovative Akzente<br />

setzen.<br />

Neue digitale Dienste, die erhebliche Bandbreiten brauchen, sind ohne breitbandige Infrastruktur<br />

kaum denkbar. Es gibt in der Politik grundsätzlich zwei Herangehensweisen, wenn<br />

man exemplarisch etwa an Innovationsförderung im Bereich Breitbandnetze denkt. Eine<br />

„Langsam-Förderstrategie“, die immer gerade so viel zusätzliche Breitbandversorgung sichert,<br />

wie am aktuellen Zeitrand von der Wirtschaft gefordert wird – eine solche Strategie<br />

klingt nach budgetpolitisch vorsichtiger Expansionsstrategie: Gefördert wird ja passgenau der<br />

jeweils nächste Schritt. Eine Alternative ist die strategische Potenzialförderung, die bewusst<br />

zeitweilige Angebotsüberschüsse in der Breitbandversorgung herbeiführt und damit auf den<br />

ersten Blick Steuergelder bei der Förderung unnötig großzügig verteilt. Diese Sichtweise aber<br />

ist nur dann adäquat, wenn man übersieht, dass es erst bei großzügiger Breitbandversorgung<br />

<strong>für</strong> digitale innovative Unternehmensgründer bzw. neue breitbandige, anspruchsvolle Dienste<br />

vernünftige Expansionsimpulse gibt; wer die digitalen Expansionspotenziale junger Gründerinnen<br />

und Gründer sowie moderner Netzwerker mobilisieren will, der sollte in der Tat <strong>für</strong><br />

eine deutliche Förderung von breitbandigem Infrastrukturausbau sein und dabei die Rahmenbedingungen<br />

so setzen – auch in der Regulierungspolitik –,dass ausreichende Investitions-<br />

und Innovationsanreize wirken. Da das Internet dabei als wirklicher globaler Marktplatz<br />

wirkt, der zunehmend auch mobil breitbandig verfügbar sein wird, ist eine Politikperspektive<br />

notwendig, die auf Wettbewerbs- und Innovationsprozesse in globalen Märkten mit einer Mischung<br />

aus leistungsfähigen Großunternehmen und KMU abstellt. So selbstverständlich dabei<br />

KMU-Förderung im Kontext der Innovationspolitik sein wird, so wenig sinnvoll kann allerdings<br />

eine Diskriminierung von Großunternehmen bei der Innovationsförderung sein.<br />

Seitens der nationalen und regionalen Politikakteure bieten sich mit Blick auf den digitalen<br />

Sektor bzw. infolge der zunehmenden Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

zahlreiche strategische Ansatzpunkte <strong>für</strong> Strukturwandel, Innovation und Wachstum<br />

an:<br />

• zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung; neue Unternehmen entstehen in der<br />

digitalen Wirtschaft und bestehende Unternehmen der Old Economy, die <strong>IKT</strong>-<br />

Anwendungen pioniermäßig mit bestehenden Produkten auf neuartige Weise verbinden,<br />

werden Marktanteile gewinnen; so sind z. B. zunehmende Anteile der Wertschöpfung<br />

im Automobilsektor durch <strong>IKT</strong>-Anwendungen bzw. -Dienste charakterisiert;<br />

• <strong>für</strong> die Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft; unternehmerische und soziale<br />

Netzwerke entfalten sich verstärkt unter den Bedingungen des mobilen breitbandigen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 24<br />

Internets: Hier entstehen neue Chancen <strong>für</strong> Wissensdiffusion, Kreativität und Selbständigkeit;<br />

• <strong>für</strong> die Expansion des internationalen Handels – es gibt in der Online-Welt zahlreiche<br />

globale und regionale neue Marktplätze, und zudem vermindert das Internet gerade die<br />

internationalen Informationskosten, was zusätzlichen Handel stimuliert;<br />

• <strong>für</strong> eine zusätzliche Innovationsdynamik: Via Internet können sich Erfinder, Forscher<br />

und überhaupt kreative Köpfe besser als je zuvor vernetzen, um Wissen auszutauschen<br />

bzw. zu kombinieren und neues Wissen bzw. neue Produkte sowie kostengünstigere<br />

Herstellungsverfahren zu schaffen;<br />

• <strong>für</strong> die Weiterentwicklung der Fähigkeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,<br />

wobei der Bereich der Weiterbildung angesichts der zunehmenden internationalen<br />

Konkurrenz bzw. der Globalisierung der Wirtschaft an Bedeutung zunehmen könnte.<br />

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass gerade wegen der Globalisierung der<br />

Wirtschaft, die die durchschnittliche Beschäftigungsdauer von Mitarbeitern sinken<br />

lässt, <strong>für</strong> Unternehmen der Anreiz zur Investition in Weiterbildung sinkt. Hier ist der<br />

Staat gefordert, die Weiterbildungsanreize zu stärken und dabei neue Wege der Online-Weiterbildung<br />

mit zu fördern – Wissen in der Arbeitswelt hat teilweise einen<br />

Netzwerkcharakter (die eigene Produktivität hängt immer auch am Wissensstand anderer<br />

im Team: bei dem jetzigen Unternehmen oder auch bei anderen Unternehmen),<br />

so dass positive externe Effekte der Weiterbildung <strong>für</strong> den jeweiligen Sektor entstehen<br />

können;<br />

• im internationalen bzw. interregionalen Standortwettbewerb ist eine führende Position<br />

von Unternehmen im <strong>IKT</strong>-Sektor und in Anwendungssektoren vorteilhaft, da der <strong>IKT</strong>-<br />

Bereich besonders innovationsstark ist und eine hohe Patentintensität hier charakteristisch<br />

ist.<br />

Es ist Aufgabe des Staates, auf supranationaler, nationaler und regionaler Ebene die Rahmenbedingungen<br />

<strong>für</strong> digitales Wirtschaftswachstum und kreative Vernetzung in der Zivilgesellschaft<br />

zu setzen. Der Staat sollte dabei seine eigenen Wirtschaftsaktivitäten dort beschränken,<br />

wo private Anbieter im Wettbewerb Leistungen zuverlässig erbringen können. Gerade in der<br />

digitalen Informations- und Nachrichtenwelt, in der staatliche Anbieter selbst auftreten, ist<br />

aus ordnungspolitischer Sicht eine kluge Selbstbeschränkung des Staates angebracht. In der<br />

Sozialen Marktwirtschaft ist der Staat Regelsetzer und der Staat kann auch sinnvoll Pilotprojekte<br />

bzw. Innovationen fördern. Darüber hinaus ist er <strong>für</strong> die Stabilitäts-, Umverteilungs-<br />

sowie Umweltpolitik und natürlich die Wettbewerbspolitik zuständig. Verlässliche Regeln<br />

und effizienz- bzw. innovationsförderliche Anreize sollten vom Staat <strong>für</strong> die digitale Wirtschaftsexpansion<br />

entwickelt werden. Bei aller Flexibilität der Unternehmen gilt auch hier,<br />

dass eine hohe Investitionsquote ohne verlässliche Regeln nicht zu erwarten ist. Je effizienter<br />

gewirtschaftet wird, umso weniger Ressourcen werden verbraucht und bei dieser auch umweltpolitisch<br />

wichtigen Perspektive ist das Internet eben als Innovationsvernetzer und als Diffusionsplattform<br />

gleichermaßen wichtig.<br />

Das Internet schafft große digitale Märkte mit machtvollen Netzwerken, aber auch mit neuartigen<br />

Problemen der Wettbewerbspolitik. Im Bereich der Suchmaschinen hat Google als ein<br />

Unternehmen, das in immer mehr digitalen Dienstebereichen aktiv ist, eine dominante Marktstellung<br />

in vielen OECD-Ländern erreicht. Wie man mit dem Problem sinnvoll umgehen<br />

kann, ist nicht ohne weiteres klar. Dass Google Marktmacht aus dem Suchmaschinenmarkt


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 25<br />

auf andere Märkte durch faktische Produktbündelung zu übertragen sucht, dürfte unbestritten<br />

sein. Hier haben zumindest EU-Länder und die USA ein gemeinsames wettbewerbspolitisches<br />

Problem, das ebenso weitere Überlegungen erfordert wie die Präsenz von digitalen<br />

Netzwerken an sich.<br />

Die Wirtschaftspolitik ist gut beraten, wenn sie die relevanten sektoralen und regionalen<br />

Kennziffern im Rahmen einer <strong>IKT</strong>-Bestandsaufnahme aufmerksam zur Kenntnis nimmt und<br />

dann auf Basis ihrer politischen Ziele konsistente Strategien entwickelt. Die <strong>Analyse</strong> der<br />

Ausgaben <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung im <strong>IKT</strong>-Bereich ist hierbei von hoher Relevanz,<br />

wobei der <strong>IKT</strong>-Sektor selbst aber auch die Anwendersektoren hierbei im Fokus der Betrachtung<br />

stehen. Während die großen <strong>IKT</strong>-Unternehmen ihre ökonomische Bedeutung der Politik<br />

in der Regel durchaus angemessen zu vermitteln verstehen, ist dies <strong>für</strong> die Vielzahl von kleinen<br />

und mittleren Unternehmen der <strong>IKT</strong>-Branchen eher schwierig, obwohl doch auch aus<br />

dem <strong>IKT</strong>-Mittelstand ausgesprochen wichtigen Innovationsimpulse in zahlreichen Feldern<br />

entstanden sind. Eine detaillierte wissenschaftliche Innovationsanalyse ist <strong>für</strong> Wirtschaft und<br />

Wirtschaftspolitik von größter Bedeutung, da die Förderschwerpunkte bzw. die regionalen,<br />

nationalen und supranationalen Maßnahmen in geeigneter Weise auszugestalten bzw. zu<br />

kombinieren sind. Nur dann kann der <strong>IKT</strong>-Sektor in seiner Wachstumsrelevanz zur Geltung<br />

kommen, allerdings sind auch Anpassungen bei der Wirtschaftsordnung erforderlich. Eine<br />

digitale soziale Marktwirtschaft kann als Wirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts gelten.<br />

Digitale Eigentumsrechte, digitale Chancengleichheit und der Bereich Wachstum etc. sind<br />

miteinander verbunden (Abb.2) und der Staat ist hier gerade ordnungspolitisch gefordert. Digitale<br />

Chancengleichheit steht <strong>für</strong> eine große Herausforderung in einer vernetzten Gesellschaft,<br />

<strong>für</strong> die digitalen Märkte – oft mit Netzwerkeffekten – nützlich sind. Digitale Eigentumsrechte<br />

sind angemessen zu definieren, was zum Teil weltweite Regeln erfordert, WTO<br />

und ITU sowie die OECD und die G20 sind hier gefordert. Bei Konnektivität geht es aus<br />

Sicht der deutschen bzw. EU-Wirtschaftspolitik letztlich im Kern um einen angemessenen<br />

Breitbandausbau. Nicht unproblematisch sind im Zuge des Zusammenspiels von Skalenvorteilen<br />

und Netzwerkeffekten entstehende Marktmachtprobleme bei Mobiltelefonen bzw. Mobilgeräteherstellern<br />

und die Position von wenigen dominanten Suchmaschinen im globalen<br />

Internet. Im Übrigen ist auch ein Spezifikum des Internets auf Effizienz- bzw. Wettbewerbsaspekte<br />

näher zu untersuchen, nämlich der Sachverhalt, das viele Internet-Dienste quasi kostenlos,<br />

aber in Wahrheit mit hoher Werbeintensität bereit gestellt werden. Es ist einer nachhaltigen<br />

Internetkultur bzw. Internetwirtschaft vermutlich nicht dienlich, wenn man keine<br />

vernünftige direkte Zahlungsbereitschaft fördert, sondern eine Art „Kostenlos-Illusion“ im<br />

Internet aufbaut.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 26<br />

Abbildung 2: Digitale Soziale Marktwirtschaft


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 27<br />

1.3 Wirtschaftspolitische Handlungsperspektiven<br />

Die Europäische Union, die im Lissabon-Agenda-2010-Programm eine starke <strong>IKT</strong>-<br />

Komponente hatte, ist aufgerufen, gerade im Zeichen der Abflachung des Wirtschaftswachstums<br />

in der EU bzw. der Eurozone neuerlich Impulse beim <strong>IKT</strong>-Sektor zu geben:<br />

• In der Regulierungspolitik gilt es eine vernünftige Balance zu finden zwischen einem<br />

Mehr an Harmonisierung – etwa beim digitalen Datenschutz im Kontext von Cloud<br />

Computing – und einer Aufrechterhaltung des Systemwettbewerbs. Wo jedoch globale<br />

Märkte entstehen, kann die Systemkonkurrenz der EU mit anderen Integrationsräumen<br />

und den USA sowie China und Japan eine stärkere Rolle spielen, als Systemkonkurrenz<br />

innerhalb der EU; Harmonisierung kann dann sinnvoll sein. In der Regulierungspolitik<br />

gilt es also eine vernünftige Balance zu finden zwischen einem Mehr an Harmonisierung<br />

– etwa beim digitalen Datenschutz im Kontext von Cloud Computing –<br />

und einer Aufrechterhaltung des Systemwettbewerbs. Wo jedoch globale Märkte entstehen,<br />

spielt die Systemkonkurrenz der EU mit anderen Wirtschaftsräumen wie in<br />

den USA, China und Japan eine stärkere Rolle. In diesem Systemwettbewerb muss<br />

Europa seine Identität, seine Interessen und seine Stärken wahren und <strong>für</strong> seine Wirtschaft<br />

ein „level-playing-field“ schaffen.<br />

• In der Telekomregulierungspolitik können nationale Regulierungen abgebaut werden,<br />

sofern der digitale EU-Binnenmarkt besser funktioniert. Hier liegt im Übrigen im Bereich<br />

digitaler koordinierter Beschaffungsprogramme eine Chance <strong>für</strong> den Staat, die<br />

Einkaufskosten <strong>für</strong> den öffentlichen Sektor zu vermindern. Dabei könnten durchaus<br />

auch mehrere kleine EU-Länder oder benachbarte Regionen von EU-Ländern – etwa<br />

als Verbindung von Nordrhein-Westfalen mit Regionen in den Niederlanden und Belgien<br />

– digitale Einkaufsgenossenschaften kreieren. Hier liegt im Übrigen im Bereich<br />

digitaler koordinierter Beschaffungsprogramme eine Chance <strong>für</strong> den Staat, die Einkaufskosten<br />

<strong>für</strong> den öffentlichen Sektor zu vermindern. Dabei könnten durchaus auch<br />

mehrere kleine EU-Länder oder benachbarte Regionen von EU-Ländern – etwa als<br />

Verbindung von Nordrhein-Westfalen mit Regionen in den Niederlanden und Belgien<br />

– digitale Einkaufsgenossenschaften bilden.<br />

• Die EU könnte stärker als bisher best practice Beispiele aus der mittelständischen<br />

Wirtschaft von allen EU-Ländern auf einer speziellen Website publizieren, um den<br />

Wettbewerb guter Ideen und sinnvolle innovationsstarke Vernetzungen zu fördern.<br />

• Die EU setzt in selbst finanzierten <strong>IKT</strong>-Forschungsprojekten gewonnene Projektergebnisse<br />

und -erkenntnisse häufig nicht um, was die Nichtrealisierung positiver externer<br />

Effekte der gemeinschaftlich finanzierten <strong>IKT</strong>-Forschung bedeutet. Das ist nicht<br />

akzeptabel und sollte im Interesse der Bürgerinnen und Bürger wie der Wirtschaft verändert<br />

werden. Schon bei der Ausschreibung ist die Frage zu stellen, welche Kommissionsdienststellen<br />

vom jeweiligen Projekt profitieren könnten.<br />

• In Deutschland hat man mit den nationalen IT-Gipfeln eine Institution geschaffen, bei<br />

der Politik, Wissenschaft und Wirtschaftspolitik kreativ zusammen kommen und neue<br />

Aktivitätsschwerpunkte sowie Netzwerkfelder anschieben. Die Bundesregierung hat<br />

hier in Verbindung mit den jeweils gastgebenden Bundesländern eine Veranstaltungsserie<br />

von hoher Qualität geschaffen, wobei die auch unterjährig tagenden Arbeitsgruppen<br />

zu verschiedenen Bereichen Aktivitätsnetzwerke bilden. Den nationalen IT-<br />

Gipfeln fehlt dabei die internationale und globale Dimension in manchen Bereichen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 28<br />

bzw. es fehlt ein EU-Gipfel der nationalen IT-Gipfel (dabei gibt es bislang nur in einigen<br />

Ländern ähnliche IT-Gipfel-Aktivitäten wie in Deutschland).<br />

• Die Innovationsausgaben von Bund und Ländern sind gerade im Zug der Lissabon-<br />

2010-Agenda gestiegen, aber man darf bezweifeln, dass die Innovationsförderung im<br />

<strong>IKT</strong>-Bereich den positiven externen Effekten von <strong>IKT</strong> entsprechend hinreichend stark<br />

ist. Die Politik tut sich erkennbar schwer, den raschen Änderungen von <strong>IKT</strong>-<br />

Innovationsfeldern hinreichend schnell zu folgen; hier wäre eine bessere Politikberatung<br />

bei den politischen Akteuren wohl hilfreich.<br />

• Deutschlands <strong>IKT</strong>-Wirtschaft wird zunehmend unter Fachkräftemangel leiden, wobei<br />

die Politik das Thema schon lange erkannt hat, aber die Bundesländer mit ihrer starken<br />

Rolle in der Bildungspolitik unternehmen zu wenig, um diese Lücke zu schließen. Eine<br />

besondere Chance besteht bei der Neugründung von Hochschulen und bei der Förderung<br />

von Promotionsnetzwerken etwa im Verbund von Universitäten und Fachhochschulen<br />

(die erste Runde in NRW mit ihren sechs Projektförderschwerpunkten<br />

hat Anträge mit <strong>IKT</strong>-Bezug nicht gefördert, obwohl hiermit auch <strong>IKT</strong>-<br />

Gründerdynamik unterstützt würde). Nordrhein-Westfalen leidet unter einem Mangel<br />

an Hochtechnologiedynamik bzw. fehlenden Initiativen im relevanten Bereich von<br />

Cross-Innovation. Es wäre z.B. denkbar, dass man eine Digitale Industrie-Akademie<br />

gründet, in der gezielt Lehre und Forschung im Verbund von Informatik und Partnersektoren<br />

forciert wird.<br />

• Die Universitäten und Hochschulen sind gelegentlich Pioniere der Internetanwendung<br />

von moderner <strong>IKT</strong>-Nutzung. Dies ist aber nicht die Regel. Die Bundesländer sind aufgefordert,<br />

die Kostensenkung durch Universitätsinformatik verstärkt zu realisieren.<br />

Es wird <strong>für</strong> die Stärkung der Wachstumskräfte durch <strong>IKT</strong> darauf ankommen, dass man seitens<br />

der Bundesländer die Bedingungen <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Gründer gezielt verbessert und speziell mehr Risikokapital<br />

bereit zu stellen hilft. Ein denkbarer praktischer Fortschritt wäre es, wenn man im<br />

Industrie- und Dienstleistungsbereich Genussscheine im Interesse von mehr Liquidität ähnlich<br />

standardisieren würde, wie es bei Banken in Deutschland von Gesetzes wegen der Fall ist.<br />

Genussscheine sind Eigenkapitalsurrogate, die gerade in der <strong>IKT</strong>-Branche wegen der spezifischen<br />

Probleme mit der Beleihbarkeit von <strong>IKT</strong> bzw. von Soft- und Hardware besonders wichtig<br />

sind. Je schwieriger es <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Gründer ist, im bankenlastigen Deutschland an Fremdkapital<br />

zu kommen, umso wichtiger wäre es, dass man den Zugang zu Eigenkapital bzw. die<br />

Marktgängigkeit von Genussscheinen verstärkt. Das kostet den Staat nichts.<br />

Für Nordrhein-Westfalen ergeben sich verschiedene wichtige Aufgaben:<br />

1. Die Bedeutung der <strong>IKT</strong>-Thematik angemessen in der politischen Agenda aufzunehmen<br />

und beim Digitalen Regieren neue Maßstäbe zum Nutzen der Bürgerschaft und<br />

der Wirtschaft zu setzen – hier ist bei der Landesregierung und den Kommunen sowie<br />

in den landeseigenen Weiterbildungsforen erheblicher Spielraum, beim Thema Digitale<br />

Beschaffung des Staates gibt es Einsparmöglichkeiten, die mehr als eine Mrd. € pro<br />

Jahr ausmachen.<br />

2. Digitale Bildung und Chancengleichheit <strong>für</strong> alle: In den Schulen gibt es viel zu wenige<br />

Computer und die Lehrpläne geben digitalen Lernformen und -projekten kaum Raum.<br />

Hier ist gerade die Landesregierung bzw. auch die Kultusministerkonferenz gefordert.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 29<br />

3. Eine digitale Universitätsplattform, in der – in Kooperation mit ausländischen Partneruniversitäten<br />

– eine Gruppe von Universitäten ein globales digitales Angebot entwickelt,<br />

ist dringlich: Auf dem riesigen globalen Hochschulmarkt geht es darum, vernünftige<br />

neue Einnahmen zu erzielen, aber auch zur internationalen Wertediskussion aktiv<br />

beizutragen. Soziale Marktwirtschaft und Europäische Integration stehen <strong>für</strong> zwei<br />

Pfeiler der Wirtschaftsordnung in Europa, die sich indirekt auch im globalen Bildungsmarkt<br />

bewähren könnten.<br />

4. Digitale Arbeitsmarktvermittlung ist ein im Vergleich zu anderen OECD-Ländern –<br />

etwa Kanada oder Norwegen – noch unterdimensionierter Aktionsbereich, bei dem es<br />

wesentlich um Einkommens- und Beschäftigungschancen einerseits, aber auch Ausgabeneinsparung<br />

<strong>für</strong> den Staat via verbesserte Vermittlung andererseits geht. Eine<br />

Länderinitiative im Bundesrat oder auch Modellprojekte mit einigen Kommunen<br />

könnten hier wichtige Impulse bringen.<br />

5. Wenn es einem Bundesland gelingt, sich national und international als attraktiver<br />

Standort <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Unternehmen und <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>-Unternehmensneugründer verstärkt zu<br />

positionieren, wird sich eine verstärkte Investitions- und Innovationsaktivität im <strong>IKT</strong>-<br />

Sektor ergeben; damit auch eine Erhöhung bei Wachstum, Beschäftigung und Steuereinnahmen.<br />

Eine unabdingbare Voraussetzung hier<strong>für</strong> ist eine hochleistungsfähige Infrastruktur.<br />

Bislang ist Nordrhein-Westfalen international in seiner Standortwerbung<br />

nicht mit einem starken <strong>IKT</strong>-Profil aufgetreten, obwohl es ja durchaus exzellente Anknüpfungspunkte<br />

gibt – hier sind neue Akzente möglich und sinnvoll. Wichtig <strong>für</strong><br />

Nordrhein-Westfalen wäre es auch, wenn es verstärkt gelänge, führende <strong>IKT</strong>-<br />

Unternehmen mit Innovations- bzw. Entwickleraktivitäten ins Land zu holen.<br />

6. Digitale Sozialpolitik kann zumindest in der Gesundheitspolitik via staatliche Krankenhäuser<br />

zum Teil auch von Bundesländern forciert werden. Es gilt hier, die enormen<br />

Möglichkeiten von <strong>IKT</strong> zur Kostensenkung und zur leistungsmäßigen Qualitätssicherung<br />

bzw. -verbesserung gerade im Krankenhausbereich voranzubringen. Auch die<br />

Diffusion erfolgreicher Modellprojekte – etwa Mobilität <strong>für</strong> Sehbehinderte – in allen<br />

Städten ist ein wichtiges Feld.<br />

7. Die Etablierung neuer <strong>IKT</strong>-Messeaktivitäten in Nordrhein-Westfalen ist anzuraten, da<br />

hier neue Bereiche entwicklungsfähig sind: von Maschine-Maschine-Kommunikation<br />

bis hin zum Digitalen Regieren und zur Digitalen Gründermesse gibt es eine Reihe<br />

denkbarer neuer Schwerpunkte.<br />

8. In der Wissenschaftspolitik des Landes kann über die Förderung von Promotionsnetzwerken<br />

und durch Schwerpunktsetzungen bei den neu gegründeten Fachhochschulen<br />

eine Förderung der <strong>IKT</strong>-Lehr- und Forschungsaktivitäten gezielt erfolgen.<br />

9. Das <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>management, das durch einige erfolgversprechende Ansätze hat,<br />

könnte durch eine stärker wirtschafts- bzw. innovations- und wachstumsorientierte<br />

Schwerpunktsetzung und insbesondere auch die Ermutigung zur Gründung neuer Innovationsnetzwerke<br />

in verschiedenen Wirtschaftssektoren bzw. –regionen <strong>für</strong> ein<br />

Mehr an digitaler Expansionsdynamik sorgen.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 30<br />

10. Die Landesbauordnung ist daraufhin zu überprüfen, wie <strong>IKT</strong>-Nutzungen erleichert und<br />

kostensenkende Schritte beim Breitbandausbau der Telekommunikationsnetze realisiert<br />

werden können.<br />

11. Nur ein breitbandiger Netzausbau schafft optimale Bedingungen. Wo sich ein kabelgebundener<br />

Ausbau nicht rechnet, z. B. in ländlichen Gebieten, empfiehlt es sich, unter<br />

Ausweitung und Berücksichtigung aller bestehenden nationalen und internationalen<br />

Förderprogramme ein Technologie-Mix voranzutreiben.<br />

Die Bundesregierung kann man nur darin bestärken, am IT-Gipfel-Prozess festzuhalten. Dass<br />

der Anteil der <strong>IKT</strong>-Innovationsaufwendungen im Vergleich zu den USA relativ gering ist,<br />

kann man als Problem einstufen. Hier sind wissenschaftliche Untersuchungen notwendig. Je<br />

mehr <strong>IKT</strong>-Anwendungen zu positiven internationalen Technologie-Spillovers führen, umso<br />

stärker besteht das wirtschaftspolitische Risiko einer Unterförderung von <strong>IKT</strong> in der EU insgesamt.<br />

Von daher ist zu prüfen, ob die EU eine stärkere <strong>IKT</strong>-Förderung übernehmen kann.<br />

Im Sinn einer Stärkung von technologischer Exzellenz ist es, dass nur die besten Unternehmen<br />

bei Projektanträgen gefördert werden. Dennoch sollte man mit Blick auf die Kohäsionsländer<br />

erwägen, Unternehmen aus diesen Ländern zumindest in einer Reihe von Projekten mit<br />

Innovations- und Diffusionswirkungen einzubeziehen, damit der <strong>IKT</strong>-Rückstand der EU-<br />

Länder mit geringem Pro-Kopf-Einkommen nicht eine kritische Größenordnung erreicht. Es<br />

kann nicht übersehen werden, dass die <strong>IKT</strong>-Nutzung indirekt zur Reorganisation von Abläufen<br />

in Unternehmen und Verwaltungen führt – jeder Aktivitätsbereich, der softwaremäßig<br />

abgebildet wird, ist ein Rationalisierungsfeld, das Produktivitätssteigerungen bringt. Für eine<br />

europäische Wachstumsinitiative ist daher die <strong>IKT</strong>-Expansion ein Kernbaustein der Politik.<br />

1.4 Literatur<br />

EUROPÄISCHE KOMMISSION (2010), Eine Digitale Agenda <strong>für</strong> Europa, Mitteilung der<br />

Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts-<br />

und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM(2010) 245, Brüssel, verfügbar<br />

unter: http://ec.europa.eu/information_society/digital-agenda/documents/digital<br />

-agenda-communication-de.pdf.<br />

HENNICKE; P., WELFENS, P.J.J. (2012), Energiewende nach Fukushima: Deutscher Sonderweg<br />

oder weltweites Vorbild?, OEKOM: München.<br />

HOMBACH, B. (2010), Über das Internet und die Entgrenzung kultureller und zeitlicher Lebensräume,<br />

in: BURDA, H.; DÖPFNER, M.; HOMBACH, B.; RÜTTGERS, J. (Hg.)<br />

2020 – Gedanken der Zukunft des Internets, Klartext Verlag, Essen, 239-246.<br />

ExzellenzNRW (2012), http://www.exzellenz.nrw.de/ikt-neu/noth/clusterinfo/landescluster<br />

/ikt/#c5652 , Abruf 24.10.2012.<br />

JUNGMITTAG, A.; WELFENS, P.J.J. (2009), Liberalization of EU Telecommunications and<br />

Trade: Theory, Gravity, Equation Analysis and Policy Implications, International<br />

Economics and Economic Policy, Vol. 6, 23-39.<br />

MONOPOLKOMMISSION (2011), Energie 2011: Wettbewerbsentwicklung mit Licht und<br />

Schatten, September 2011: Bonn.<br />

OECD (2012), OECD Internet Economy Outlook 2012, Paris.


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OECD (2012a), ICT Applications for the Smart Grids: Opportunities and Policy Implications;<br />

OECD Digital Economy Papers, No. 190, Paris: OECD Publishing.<br />

POLS, A. (2007), The Role of Information and Communications Technology in Improving<br />

Productivity and Economic Growth in Europe: Empirical Evidence and an Industry<br />

View of Policy Challenges, in: WELFENS, P.J.J.; HEISE, M.; TILLY, R. (Hg.),<br />

50 Years of EU, Integration, Financial Markets and Innovations, Springer: Berlin.<br />

SAP (2011), Thesenpapier zur Energiewende, Berlin.<br />

SCHRÖDER, C. (2010), Regionale und unternehmensspezifische Faktoren einer hohen<br />

Wachstumsdynamik von <strong>IKT</strong> Unternehmen in Deutschland, <strong>EIIW</strong> Paper Nr. 182.<br />

(verfügbar unter www.eiiw.eu).<br />

WELFENS, P.J.J. (2010), <strong>IKT</strong>-Expansion, Strukturwandel und <strong>Cluster</strong>dynamik in der EU,<br />

Studie <strong>für</strong> die Hans-Böckler Stiftung; <strong>EIIW</strong> Diskussionspapier Nr. 181.<br />

WELFENS, P.J.J. (2011), <strong>Cluster</strong>- und Innovationsdynamik in Europa: Neue Perspektiven<br />

der Automobil- und <strong>IKT</strong>-Wirtschaft, Serie: Europäische Integration und Digitale<br />

Weltwirtschaft Bd.6, Stuttgart: Lucius & Lucius.<br />

WELFENS, P.J.J. (2011a), Digitale Agenda und Innovation, in: ENGEL, K.; GROßMANN,<br />

J.; HOMBACH, B., Hg. (2011), Phönix Flieg! Das Ruhrgebiet entdeckt sich neu,<br />

Essen: Klartext Verlag.<br />

WELFENS, P.J.J. (2012), Die Zukunft des Euro, Berlin: Nicolai.<br />

WELFENS, P.J.J.; AUDRETSCH, D.; ADDISON, J.; GRUPP, H. (1998), Technological<br />

Competition, Employment and Innovation Policies in OECD Countries, Heidelberg<br />

und New York: Springer.<br />

WELFENS, P.J.J.; JUNGMITTAG, A. (2002), Telecommunications, Innovation and the<br />

Long-term Production Function: Theoretical Aspects and a Cointegration Analysis for<br />

West Germany 1960 – 1990, in: Welfens, P.J.J.; Audretsch, D. (Hg.) The New Economy<br />

and Economic Growth in Europe and the US, Heidelberg und New York:<br />

Springer.<br />

WELFENS, P.J.J.; JUNGMITTAG, A. (2012), Energiewende, Smart Grids und Informations-<br />

& Kommunikationstechnologie: Innovations- und Wachstumsperspektiven, <strong>EIIW</strong><br />

discussion paper Nr. 211.<br />

WELFENS, P.J.J.; JUNGMITTAG, A.; VOGELSANG, M. (2007), Innovation, Regulierung<br />

und Wirtschaftswachstum in Digitalen Marktwirtschaften, Lohmar-Köln: Josef Eul<br />

Verlag; Studie <strong>für</strong> das Ministerium <strong>für</strong> Wissenschaft und Innovation des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />

WELFENS, P.J.J.; PERRET, J. (2012), ICT Investment, <strong>Cluster</strong>s and Digital Lead Markets,<br />

paper presented at the workshop ICT and Economic Globalization, Frankfurt/M., June<br />

2-3, <strong>EIIW</strong> Working Paper No. 210 (im Druck).<br />

WELFENS, P.J.J.; WESKE, M. (Hg.) (2006), Innovations, Digital Markets and Economic<br />

Policy Perspectives, Heidelberg und New York: Springer.<br />

WELFENS, P.J.J.; ZOCHE, P.; JUNGMITTAG, A. ET AL., (2005), Internetwirtschaft 2010,<br />

Studie <strong>für</strong> das Bundesministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit, Heidelberg: Springer.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 32<br />

WINTJES, R.; DUNNEWIJK, T. (2008), Sectoral Innovation Systems in Europe: The case of<br />

the ICT Sector, Europe Innova, verfügbar unter: http://archive.europeinnova.eu/docs/SIW_SR_ICT_20080511.pdf


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 33<br />

2. Wirtschafts- und Innovationsfaktor <strong>IKT</strong> – Möglichkeiten,<br />

Grenzen und die Position Deutschlands<br />

Gero Stenke und Verena Eckl<br />

WiStat (gemeinnützige Gesellschaft <strong>für</strong> Wissenschaftsstatistik mbH im Stifterverband<br />

<strong>für</strong> die Deutsche Wissenschaft)<br />

2.1 Einleitung<br />

Es ist zur Selbstverständlichkeit geworden: Grenzenlose Kommunikation, Transfer umfangreicher<br />

Datensätze, Verfügbarkeit von Informationen fast jedweder Art. Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien (<strong>IKT</strong>) haben das gesellschaftliche Leben, aber auch die Wirtschaft<br />

verändert. In immer kürzeren Zyklen kommen neue Produkte auf den Markt, <strong>IKT</strong> steuert<br />

Produktionsabläufe, Verkehrs- und Energiesysteme, ist Bestandteil medizintechnischer<br />

Geräte oder hilft einfach nur, Karten <strong>für</strong> ein Konzert online zu buchen. Kurz: <strong>IKT</strong> ist die<br />

Querschnittstechnologie schlechthin und besitzt als eine grundlegende technische Neuerung<br />

den Charakter einer Basisinnovation. Diese schaffen als Produktinnovationen neue Märkte<br />

und Wachstumsindustrien und verändern als Prozessinnovationen auch bereits bestehende<br />

Wirtschaftszweige tiefgreifend (MENSCH 1975).<br />

Dementsprechend besitzen Unternehmen und deren Standorte, die im <strong>IKT</strong>-Bereich an der<br />

Innovatorenspitze stehen, eine erhebliche strategische und ökonomische Relevanz. Wo positioniert<br />

sich also Deutschland im internationalen Vergleich? Wie viel wird hierzulande im<br />

<strong>IKT</strong>-Bereich in Forschung und Entwicklung investiert? Wie viele Innovationen, wie viele<br />

Patente melden Erfinder in Deutschland an? Welcher Beitrag kommt der Branche <strong>für</strong> die<br />

wirtschaftliche Entwicklung zu?<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien haben in den letzten Jahrzehnten auch die<br />

Arbeitswelt und unsere Kommunikationskultur revolutioniert. Da wundert es nicht, dass auch<br />

Innovationsprozesse, also die Entwicklung neuer Produkte oder Prozesse in Unternehmen,<br />

von <strong>IKT</strong> beeinflusst werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob unser bisheriges Verständnis<br />

vom Ablauf der Innovationsprozesse dadurch grundsätzlich verändert werden muss. Welche<br />

Rolle spielt also Informations- und Kommunikationstechnologie in diesem Kontext? Diesen<br />

Fragen wird im Folgenden nachgegangen.<br />

2.2 <strong>IKT</strong> als Wirtschaftsfaktor: Entwicklung und Definition<br />

2.2.1. Entwicklung des <strong>IKT</strong> Sektors<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien (<strong>IKT</strong>) als eigenständiger Wirtschaftsbereich<br />

sowie als Querschnittstechnologie <strong>für</strong> alle Sektoren sind <strong>für</strong> Wachstum und Wohlstand unverzichtbar<br />

geworden. Seit Anfang der 90er Jahre führte die Verbreitung des Internets, des Mobiltelefons<br />

und Handheld-Computern in den gesellschaftlichen und ökonomischen Alltag zu<br />

einem starken Wachstum mit zahlreichen Unternehmensgründungen innerhalb der <strong>IKT</strong>-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 34<br />

Branche. Die Informationsökonomie oder New Economy umfasst dabei die Erzeugung, Verarbeitung<br />

und Verbreitung von Informationen und Inhalten, also immateriellen Werten z. B.<br />

in Form digitaler Güter (z.B. Software). Die Dotcom-Blase und der anschließende Absturz<br />

der New Economy im Jahr 1999 führten zu hohen Unternehmensschließungsraten und Kapitalverlusten.<br />

Eine Betrachtung der Branche zum Zeitpunkt vor dem Aufstieg (1995) oder nach<br />

dem Absturz (2000) erscheint daher im Vergleich zum aktuellen Rand (je nach Verfügbarkeit<br />

der Daten der Zeitraum 2008 bis 2011) sinnvoll.<br />

Investitionen in Sachkapital erweitern und erneuern den Kapitalstock und ermöglichen neuen<br />

Technologien den Einstieg in den Produktionsprozess. In den meisten OECD-Ländern waren<br />

im Zeitraum 2000-2009 Investitionen in <strong>IKT</strong> bedeutsamer <strong>für</strong> das wirtschaftliche Wachstum<br />

als Investitionen ohne <strong>IKT</strong>-Bezug. Dies gilt auch <strong>für</strong> Deutschland, allerdings ist der Beitrag<br />

von Investitionen <strong>für</strong> das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) insgesamt relativ gering<br />

(Abbildung 15).<br />

Abbildung 3: Beitrag der Investitionen in <strong>IKT</strong> zum BIP Wachstum 2000-2009,<br />

Wachstumsrate in %<br />

Quelle: OECD (2011), The Future of the Internet Economy.<br />

Der <strong>IKT</strong>-Sektor ist in starkem Ausmaß von den geistigen Leistungen seiner Beschäftigten<br />

abhängig. Der Anteil der <strong>IKT</strong>-Beschäftigten an allen Beschäftigten des Wirtschaftssektors ist<br />

im Zeitraum zwischen 1995 und 2008 in nahezu allen OECD Ländern gestiegen (Ausnahme<br />

Irland). In Finnland arbeiten in 2008 über 9 Prozent der Beschäftigten in der <strong>IKT</strong> Branche, in<br />

Deutschland sind es in 2008 5,2% und damit knapp 0,3 Prozentpunkte mehr als 1995.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 35<br />

Abbildung 4: Anteil der <strong>IKT</strong> Beschäftigten an allen Beschäftigten des Wirtschaftssektors<br />

1995 und 2008, in %<br />

Quelle: OECD (2010), Information Technology Outlook 2010.<br />

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch anhand der OECD-Daten hinsichtlich des Anteils<br />

der <strong>IKT</strong>-Wertschöpfung an der gesamten Wertschöpfung des Wirtschaftssektors zwischen<br />

1995 und 2008 beobachten (Abbildung 17).<br />

Abbildung 5: Anteil der <strong>IKT</strong> Wertschöpfung an der gesamten Wertschöpfung<br />

des Wirtschaftssektors 1995 und 2008, in %<br />

Quelle: OECD (2010), Information Technology Outlook 2010.<br />

2.2.2. Definition des <strong>IKT</strong> Sektors<br />

Gemäß der OECD Definition umfasst der <strong>IKT</strong> Sektor <strong>für</strong> das Verarbeitende Gewerbe <strong>IKT</strong><br />

Produkte, die die Funktion der Informationsverarbeitung und -verbreitung erfüllen und elek-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 36<br />

tronische Verfahren nutzen, um physische Phänomene zu erfassen, zu messen, aufzuzeichnen<br />

oder physische Prozesse zu steuern. Im Dienstleistungsbereich dienen <strong>IKT</strong> Produkte der Informationsverarbeitung<br />

und Kommunikation auf elektronischem Wege (OECD 2012: 186).<br />

Tabelle 2 zeigt die einzelnen Komponenten des <strong>IKT</strong> Sektors getrennt nach Produktion,<br />

Dienstleistungen und Handel. Insbesondere bei der Softwareentwicklung ist die Abgrenzung<br />

der Tätigkeiten nicht eindeutig. Während Standardsoftware klaren Produktcharakter aufweist,<br />

ist bei individueller Software der Dienstleistungsanteil im Kontakt mit dem Kunden hoch<br />

(ENGEL et al., S.12).<br />

Tabelle 1: Der <strong>IKT</strong> Sektor in der Wirtschaftszweigklassifikation 2008 (WZ2008)<br />

gemäß OECD Definition<br />

<strong>IKT</strong> Produktion<br />

Hardware<br />

26.1 Herstellung von elektronischen Bauelementen und Leiterplatten<br />

26.2 Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und peripheren Geräten<br />

26.3 Herstellung von Geräten und Einrichtungen der Telekommunikationstechnik<br />

26.4 Herstellung von Geräten der Unterhaltungselektronik<br />

26.51 Herstellung von Mess�, Kontroll�, Navigations� u. ä. Instrumenten und<br />

Vorrichtungen<br />

27.31 Herstellung von Glasfaserkabeln<br />

27.32 Herstellung von sonstigen elektronischen und elektrischen Drähten und<br />

Kabeln<br />

28 28.23 Herstellung von Büromaschinen (ohne Datenverarbeitungsgeräte und<br />

periphere Geräte)<br />

Software<br />

62.01 Programmierungstätigkeiten<br />

<strong>IKT</strong>‐Dienstleistungen<br />

61.61.1 Leitungsgebundene Telekommunikation<br />

61.2 Drahtlose Telekommunikation<br />

61.3 Satellitentelekommunikation<br />

62.62.02 Erbringung von Beratungsleistungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie<br />

62.03 Betrieb von Datenverarbeitungseinrichtungen <strong>für</strong> Dritte<br />

62.09 Erbringung von sonstigen Dienstleistungen d. Informationstechnologie<br />

63 63.1 Datenverarbeitung, Hosting und damit verbundene Tätigkeiten; Webportale<br />

95.11 Reparatur von Datenverarbeitungsgeräten und peripheren Geräten


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 37<br />

<strong>IKT</strong>‐Handel<br />

46.43.3 Großhandel mit Geräten der Unterhaltungselektronik<br />

46.51 Großhandel mit Datenverarbeitungsgeräten, peripheren Geräten und<br />

Software<br />

46.52 Großhandel mit elektronischen Bauteilen und Telekommunikationsgeräten<br />

47.41 Einzelhandel mit Datenverarbeitungsgeräten, peripheren Geräten und<br />

Software<br />

47.42 Einzelhandel mit Telekommunikationsgeräten<br />

77.33 Vermietung von Büromaschinen,<br />

Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen<br />

Quelle: ZEW (2011),S.21f.<br />

2.3 Innovationen <strong>für</strong> <strong>IKT</strong> und <strong>IKT</strong> <strong>für</strong> Innovationen<br />

2.3.1. Forschung und Entwicklung, Gründungen, Patente und<br />

Innovationen im <strong>IKT</strong>-Bereich<br />

Dem <strong>IKT</strong> Sektor wird als Querschnittstechnologie großer Einfluss hinsichtlich seiner Wirkung<br />

auf Innovationen in anderen Wirtschaftssektoren zugesprochen. Gleichzeitig ist der <strong>IKT</strong><br />

Sektor selbst hoch innovativ und wissensintensiv. Aufwendungen <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung<br />

(FuE) haben das Ziel, neues Wissen zu generieren, welches wiederum neue und<br />

verbesserte Produkte und Prozesse ermöglicht. Die eingesetzten FuE-Ressourcen finden hinsichtlich<br />

der technologischen Leistungsfähigkeit eines Innovationssystems (sektoral oder regional)<br />

ihren Niederschlag in Unternehmensgründungen, Patenten sowie in Produkt- und Prozessinnovationen.<br />

Die Zahl der Unternehmensgründungen spiegelt Wachstumspotential und<br />

Wandlungsfähigkeit eines Sektors wieder, während Patente, innovierende Unternehmen und<br />

innovative Produkte und Prozesse ein direktes Maß <strong>für</strong> die Innovationsfähigkeit darstellen. Im<br />

folgenden Abschnitt werden Zahlen zur FuE-Tätigkeiten, zu Gründungen, Patenten und der<br />

Innovationstätigkeit des <strong>IKT</strong>-Sektors abgebildet, um dessen innovative Positionierung und<br />

Entwicklung zu beschreiben. Als Datengrundlage dienen <strong>für</strong> Deutschland die Zahlen der offiziellen<br />

FuE-Statistik der Wissenschaftsstatistik im Stifterverband <strong>für</strong> die Deutsche Wissenschaft<br />

(WiStat) sowie des Mannheimer Innovationspanels (MIP) und Unternehmenspanels<br />

(MUP) des Zentrums <strong>für</strong> Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die internationalen Zahlen<br />

zu FuE und Patenten wurden den OECD Publikationen (2010, 2011, 2012) entnommen.<br />

Forschung und Entwicklung<br />

Forschung und experimentelle Entwicklung (FuE) ist die systematische schöpferische Arbeit<br />

zur Erweiterung des vorhandenen Wissens und die Nutzung des so gewonnenen Wissens zur<br />

Entwicklung neuer Anwendungen, wie z.B. neuer oder merklich verbesserter Produkte und<br />

Dienstleistungen oder Prozesse (einschließlich Softwareentwicklung). Die Definition ist die<br />

Grundlage <strong>für</strong> die international harmonisierte FuE-Statistik, die nach dem Frascati-Handbuch


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 38<br />

der OECD (OECD 2002) durchgeführt wird. In Deutschland erhebt die Wissenschaftsstatistik<br />

im Stifterverband <strong>für</strong> die Deutsche Wissenschaft regelmäßig entsprechende Daten.<br />

Die <strong>IKT</strong> Wirtschaft in Deutschland weist im Vergleich zur <strong>IKT</strong> Wirtschaft anderer FuEstarker<br />

OECD-Nationen relativ geringe FuE-Aufwendungen in 2008 – sowohl im verarbeitenden<br />

Gewerbe als auch insbesondere im Dienstleistungssektor – aus. In Finnland, Korea,<br />

Schweden und Japan investieren insbesondere die Unternehmen des verarbeitenden <strong>IKT</strong>-<br />

Gewerbes in FuE. Israel Dänemark und die USA zeigen die größte FuE-Spezialisierung im<br />

Bereich <strong>IKT</strong> Dienstleistungen beim Anteil am BIP (vgl. Abbildung 18).<br />

Betrachtet man die FuE-Aufwendungen der deutschen Wirtschaft im sektoralen Vergleich<br />

von 1995-2009 (Abbildung 19), zeigt sich ein stark steigender Verlauf der <strong>IKT</strong>-Branche bis<br />

einschließlich 2001, gefolgt von einem abnehmenden Verlauf von 2003 bis 2005. In den Jahren<br />

2007 und 2009 kann wieder ein leichter Anstieg beobachtet werden. Die Automobilindustrie<br />

verfügt sowohl in absoluten Zahlen, als auch das Wachstum betreffend über die mit Abstand<br />

höchsten Werte hinsichtlich ihrer FuE-Aufwendungen. Allein in 2005 weist die Kurve<br />

einen Knick nach unten auf. Die anderen FuE-intensiven Branchen entwickeln sich eher gemäßigt<br />

positiv mit ebenfalls nur kurzfristigen Einbrüchen. Die Gründe <strong>für</strong> diese kurzfristigen<br />

– eine Periode währenden – geringeren FuE-Aufwendungen können insbesondere auch in den<br />

Veränderungen der internationalen Unternehmenslandschaft oder in externen Schocks liegen<br />

und sind kein Indikator <strong>für</strong> die Innovationsleistung der Branche insgesamt. Der immerhin<br />

zwei Perioden währende Abwärtstrend der <strong>IKT</strong>-Branche kann als Folge des Booms der Branche<br />

und ihrer nachfolgenden Krise gewertet werden.<br />

Abbildung 6: Interne FuE-Aufwendungen der <strong>IKT</strong> Wirtschaft getrennt nach<br />

<strong>IKT</strong> im verarbeitenden Gewerbe und <strong>IKT</strong>-Dienstleistungen in 2008, in % des<br />

BIP<br />

Quelle: OECD (2011), The Future of the Internet Economy.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 39<br />

Abbildung 7: Interne FuE-Aufwendungen der Wirtschaft in technologieintensiven<br />

Branchen 1995-2009 in Deutschland, in Mio. Euro<br />

Quelle:WiStat 2012.<br />

Die Bedeutung der <strong>IKT</strong>-Branche <strong>für</strong> die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands<br />

kann anhand des Anteils der FuE-Aufwendungen an den gesamten FuE-Aufwendungen der<br />

Wirtschaft interpretiert werden. Im Zeitraum 1995 bis 2009 bleibt dieser Anteil entsprechend<br />

der Zahlen der FuE-Erhebung der SV Wissenschaftsstatistik relativ stabil und liegt zwischen<br />

18 und 21 Prozent (vgl. Tabelle 3). Der Anteil der FuE-Beschäftigten im <strong>IKT</strong> Sektor an allen<br />

FuE-Beschäftigten der Wirtschaft entspricht grob den FuE-Aufwendungen und bleibt ebenfalls<br />

relativ stabil über den betrachteten Zeitraum bei rund 22 Prozent (vgl. Tabelle 4). Der<br />

<strong>IKT</strong>-Sektor ist nach dem Automobilsektor derjenige Bereich mit den höchsten Werten hinsichtlich<br />

FuE-Aufwendungen und FuE-Personal und damit eine wichtige Größe in der deutschen<br />

Forschungslandschaft.


Quelle: WiStat 2012.<br />

Gesamt 262.172 271.514 289.092 296.959 290997 294.107 315.923 329.568<br />

Automobil 50.747 19 59.466 22 71.902 25 75.001 25 82.749 28 86.336 29 85.600 27 99.016 30<br />

Restliche Ab- 48.228 18 54.401 20 54.223 19 48.302 16 47.126 16 55.315 19 64.888 21 68.541 21<br />

schnitte<br />

<strong>IKT</strong> 57.055 22 60.779 22 68.417 24 79.198 27 67.774 23 62.160 21 64.545 20 71.605 22<br />

Chemie und 47.365 18 45.642 17 43.109 15 41.698 14 41.227 14 39.018 13 40.842 13 40.514 12<br />

Pharmazie<br />

Elektronik<br />

25.363 10 15.657 6 16.596 6 19.558 7 18.707 6 17.929 6 20.784 7 12.508 4<br />

(ohne <strong>IKT</strong>)<br />

Maschinenbau 33.414 13 35.568 13 34.844 12 33.203 11 33.413 11 33.348 11 39.264 12 37.385 11<br />

Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl % Anzahl %<br />

Tabelle 3: FuE-Personal der Wirtschaft in technologieintensiven Branchen 1995-2009 in Deutschland, Anzahl und Anteile an den<br />

gesamten FuE-Beschäftigten in %<br />

1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009<br />

Quelle: WiStat 2012<br />

Gesamt 26.817 28.909 31.226 36.331 38.028 38.651 43.034 45.274<br />

Automobil 5.723 21 6.991 24 9.095 29 10.664 29 12.079 32 11.501 30 13.519 31 15.877 35<br />

Restliche Ab-<br />

5.289 20 5.979 21 5.818 19 5.598 15 5.944 16 7.188 19 8.272 19 8.107 18<br />

schnitte<br />

<strong>IKT</strong> 5.405 20 5.887 20 6.676 21 8.419 23 7.861 21 7.505 19 7.765 18 8.420 19<br />

Chemie und<br />

4.847 18 5.429 19 4.877 16 5.919 16 6.349 17 6.363 16 6.460 15 7.093 16<br />

Pharmazie<br />

Elektronik (ohne 2.489 9 1.429 5 1.519 5 1.970 5 2.034 5 1.961 5 2.254 5 1.277 3<br />

<strong>IKT</strong>)<br />

Maschinenbau 3.062 11 3.190 11 3.238 10 3.762 10 3.760 10 4.129 11 4.762 11 4.498 10<br />

Mio. € % Mio. € % Mio. € % Mio. € % Mio. € % Mio. € % Mio. € % Mio. € %<br />

Tabelle 2: Interne FuE-Aufwendungen der Wirtschaft in technologieintensiven Branchen 1995-2009 in Deutschland, Mio. Euro,<br />

Anteile an den gesamten FuE-Aufwendungen in %<br />

1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009<br />

<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 40


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 41<br />

Gründungsintensitäten im <strong>IKT</strong>-Sektor<br />

Gründungen sind Ausdruck des Wettbewerbs am Markt um die besten Lösungen. Sie fordern<br />

bestehende Unternehmen mit Ihren Geschäftsideen und Produkten heraus und bewirken deren<br />

Marktaustritt bei mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Somit ist das Gründungsgeschehen in<br />

einer Volkswirtschaft Ausdruck ihrer Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit an ein wettbewerbsintensives<br />

Umfeld (MÜLLER et al 2011).<br />

Gerade im <strong>IKT</strong>-Sektor kommt Gründungen eine besondere Bedeutung zu, denn in neuen<br />

Technologiefeldern, beim Aufkommen neuer Nachfragetrends und in den frühen Phasen der<br />

Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren<br />

sind junge Unternehmen ein wichtiger Motor <strong>für</strong> den technologischen Wandel (MÜL-<br />

LER/RAMMER/GOTTSCHALK 2012). Im Vergleich zu Großunternehmen agieren kleine<br />

junge Unternehmen oftmals flexibler, ohne hemmende Routinen und sind risikofreudiger.<br />

Dadurch sind sie in der Lage, Marktnischen zu besetzen. Allerdings führt dieses Verhalten<br />

nicht immer zum Erfolg, sondern geht vielmehr mit hohen Marktaustrittsraten einher.<br />

Für die <strong>Analyse</strong> des Gründungsgeschehens im Zeitverlauf wird auf Daten des Mannheimer<br />

Unternehmenspanels (MUP) des Zentrums <strong>für</strong> Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zurückgegriffen.<br />

Die Gründungsaktivitäten werden hier in Form von Gründungsintensitäten<br />

berechnet. Dies ist der Quotient aus der Anzahl der Gründungen und der Zahl der Erwerbsfähigen.<br />

Die Gründungsintensität ist somit eine Maßeinheit, die Größenvorteile einzelner Regionen<br />

nivelliert und sich daher besonders gut <strong>für</strong> inter- wie intraregionale Vergleiche eignet.<br />

Im Vergleich zu anderen entwickelten Volkswirtschaften weist Deutschland eine nach wie<br />

vor eher geringe Gründungsaktivität auf. Sowohl die Zahl der Gründungen als auch die Zahl<br />

der Schließungen in Relation zum Unternehmensbestand liegen unter dem Niveau der meisten<br />

anderen europäischen Länder (MÜLLER/RAMMER/GOTTSCHALK 2012). Dies gilt auch<br />

<strong>für</strong> die wissens- und technologieintensiven Wirtschaftszweige.<br />

Die Gründungsintensitäten im <strong>IKT</strong>-Sektor sind im Zeitverlauf in der Tendenz gesunken. In<br />

den Jahren 1999 bis 2002 wurden in Deutschland jahresdurchschnittlich noch 2,7 <strong>IKT</strong>-<br />

Unternehmen je 10.000 Erwerbsfähige gegründet, zwischen 2007 und 2010 waren es nur noch<br />

durchschnittlich 2,0 Unternehmen. Die vergangenen 12 Jahre sind von dramatischen Schwankungen<br />

in den Gründungszahlen der EDV- und Telekommunikationsbranche gekennzeichnet.<br />

Zwischen 2000 und 2002 ist die Zahl der Gründungen in diesen Sektoren von 10.000 auf<br />

7.000 deutlich gefallen, danach bis 2004 wieder leicht auf 8.000 angestiegen und schließlich<br />

bis 2008 auf 6.000 Gründungen zurückgegangen (MÜLLER/RAMMER/GOTTSCHALK<br />

2012). Seitdem steigt die Zahl der Gründungen wieder spürbar an.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 42<br />

Abbildung 8: Gründungsraten in der Wissenswirtschaft in Deutschland<br />

2000-2009, in%<br />

Quelle: MÜLLER/RAMMER/GOTTSCHALK (2012), S. 17.<br />

Die EDV- und Telekommunikationsbranche ist generell zudem geprägt von hohen Schließungsraten<br />

innerhalb des Unternehmensbestandes. Jedes Jahr scheiden zwischen sechs und<br />

acht Prozent aller Unternehmen dieser Branche aus dem Markt aus (vgl. RAMMER/ METZ-<br />

GER 2010). Allerdings ist der Saldo aus Gründungen und Schließungen noch immer durchweg<br />

positiv.<br />

Die Bundesländer unterscheiden sich hinsichtlich der Gründungsintensität deutlich voneinander.<br />

Dies wird durch verschiedene Einflussfaktoren bestimmt. Grundsätzlich besteht etwa ein<br />

positiver Zusammenhang zwischen der Einwohnerzahl eines Ortes und der Gründungsaktivität:<br />

In größeren Städten konzentrieren sich Gründer-Inkubatoren wie Hochschulen und größere<br />

Unternehmen, sind Gründungshilfen durch Beratungs- und Fördereinrichtungen leichter<br />

zugänglich und schließlich auch die Chancen auf Markterfolg und Kooperationspartner besser.<br />

Hamburg und Berlin liegen daher bei einem Vergleich auf Länderebene meist auf den<br />

vorderen Plätzen. Die Gründungsaktivitäten werden darüber hinaus aber auch von der spezifischen<br />

Branchenstruktur in den Ländern bestimmt. Speziell im Segment EDV/ Telekommunikation<br />

wurden in Relation zum Unternehmensbestand in den Jahren 200 bis 2009 die meisten<br />

Unternehmen in Hamburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gegründet (MÜLLER/ RAM-<br />

MER/GOTTSCHALK 2012).<br />

Die Anzahl der Gründungen im <strong>IKT</strong>-Bereich je 10.000 Erwerbsfähige ist unter den wirtschafts-<br />

und bevölkerungsstärksten Bundesländern in Hamburg und Berlin am höchsten. Alle<br />

anderen Länder bewegen sich auf einem überraschend einheitlichen Niveau und vollziehen im<br />

Zeitverlauf eine gleichläufige Entwicklung (vgl. Abbildung 21).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 43<br />

Abbildung 9: Gründungsintensitäten im <strong>IKT</strong> Sektor <strong>für</strong> ausgewählte Bundesländer<br />

von 1995 bis 2010*, Anzahl Gründungen pro 10.000 Erwerbsfähige<br />

*Angabe von Jahresdurchschnittswerten in den jeweiligen Zeiträumen<br />

Quelle: Eigene Darstellung mit den Daten des Mannheimer Unternehmenspanels 2012 (ZEW). Erwerbsfähigen<br />

Basis beruht auf Angaben der Datenbank "GENESIS-Online".<br />

Auf Ebene der Landkreise und Städte liegen ebenfalls die großen Verdichtungsräume vorne:<br />

Vor allem München, Frankfurt, Köln und Düsseldorf sowie Berlin sind gründungsstarke Regionen<br />

der <strong>IKT</strong>-Wirtschaft. Doch auch einige kleinere Städte können hier mithalten und zeigen<br />

eine dynamische Gründerszene, wie Bamberg oder Regensburg. Die Gründungsaktivitäten<br />

werden darüber hinaus nämlich auch von der spezifischen Branchenstruktur und von vorhandenen<br />

Inkubator-Einrichtungen in den Regionen bestimmt (vgl. Abbildung 22).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 44<br />

Abbildung 10: <strong>IKT</strong>-Anteil an Gesamtgründungen<br />

Quelle: BMWi 2012, S. 14, Auswertung von Daten, Mannheimer Unternehmenspanel (2011),<br />

Zentrum <strong>für</strong> Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW).<br />

International kann Deutschland hinsichtlich der Gründungsraten im Segment<br />

EDV/Telekommunikation nicht mit anderen europäischen Ländern mithalten. Insbesondere<br />

Dänemark, die Niederlande und Großbritannien sind hier deutlich besser positioniert (vgl.<br />

Abbildung 23), Deutschland befindet sich im Mittelfeld. Hohe Gründungsraten gehen jedoch<br />

auch mit hohen Schließungsraten einher. Die unterschiedliche Unternehmensdynamik ist<br />

Ausdruck unterschiedlicher Regimes von Markteintritts- und -austrittsbarrieren sowie unterschiedlichen<br />

Opportunitätskosten von Unternehmensgründungen, etwa in Form günstiger<br />

Einkommensperspektiven aus abhängiger Beschäftigung (GÖGGEL et al. 2007).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 45<br />

Abbildung 11: Gründungsraten in Teilsektoren der wissensintensiven<br />

Dienstleistungen im Jahr 2007 in ausgewählten Ländern<br />

Quelle: MÜLLER et al (2011), S. 39<br />

Neben der geringen Unternehmensdynamik ist das Gründungsgeschehen in Deutschland im<br />

internationalen Vergleich weniger stark auf wissensintensive Dienstleistungen ausgerichtet.<br />

Deutschlands Gründerszene ist dagegen stark bei Gründungen in technologieintensiven Branchen<br />

der Industrie.<br />

Patente<br />

Patente tragen wesentlich zum Wirtschaftswachstum durch Innovation bei und sind einer der<br />

am häufigsten genannten Indikatoren <strong>für</strong> die technologische Leistungsfähigkeit eines Landes.<br />

Patente sind eine Möglichkeit Erfindungen von Unternehmen, Forschungseinrichtungen oder<br />

Einzelpersonen zu schützen und können daher als ein Maß <strong>für</strong> die Innovationstätigkeit interpretiert<br />

werden. Der Schutzaspekt soll die Unternehmen anregen, trotz wachsamer Wettbewerber<br />

in FuE zu investieren. Durch die Offenlegung der Patentschrift, können Folgeinnovationen<br />

angeregt werden. Bevor eine Erfindung jedoch den Weg vom Patent zur Innovation<br />

zurücklegt, sind weitere unternehmerische Leistungen wie Entwicklung, Verarbeitung und<br />

Vermarktung notwendig. Eine Patenterteilung bedeutet somit nicht per se die Einführung eines<br />

neuen Produktes in den Markt.<br />

Das Verhältnis zwischen Patenten und dem wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen ist vielschichtig,<br />

denn Patente können aus verschiedenen Motiven heraus angemeldet werden: Zum<br />

Schutz des geistigen Eigentums <strong>für</strong> eine abgesicherte wirtschaftliche Verwertung der eigenen<br />

Forschungsergebnisse, aber auch aus strategischen Gründen. Etwa als Signal <strong>für</strong> die Tätigkeit<br />

in einem technologischen Gebiet, <strong>für</strong> die Lizenzvergabe der eigenen Technologie oder auch<br />

zur Verhinderung der Einführung von Konkurrenzprodukten bzw. umgekehrt zur Verhinderung<br />

der eigenen Marktverdrängung durch das offensive Patentverhalten von Wettbewerbern.<br />

Insbesondere in der Informations- und Kommunikationstechnologie sind Patentdickichte beliebt.<br />

Darunter wird ein Netz von sich überlappenden Schutzrechten verstanden, über deren


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 46<br />

Gültigkeit und Schutzbereich Unsicherheit herrscht. Derartiges strategisches Patentierungsverhalten<br />

hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Patentanmeldungen über viele Jahre stärker<br />

angestiegen ist als die FuE-Tätigkeit in den Unternehmen (vgl. EFI 2010). Nichtsdestotrotz<br />

kann in der Literatur ein positives Verhältnis zwischen der Zahl der Patente und Indikatoren<br />

<strong>für</strong> wirtschaftlichen Erfolg wie etwa Produktivität und Marktanteile festgestellt werden. Dieses<br />

Verhältnis variiert zwischen Ländern und Branchen sowie über die Zeit (OECD 2009,<br />

S.13). Grundsätzlich sind Patentanmeldungen Ausdruck der aktuellen Forschungstätigkeit,<br />

während die <strong>Analyse</strong> der Patenterteilungen den ökonomischen Wert einer Erfindung in den<br />

Mittelpunkt rückt. Einzig Patenterteilungen sichern gesetzlich den Schutz der Erfindung, der<br />

im Schnitt nur jeder vierten Patentanmeldung gewährt wird. Eine Anmeldung am Europäischen<br />

Patentamt (EPA) ermöglicht eine schnelle Ausdehnung des Patentschutzes auf die Beitrittsländer<br />

des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ).<br />

Erfinder in Deutschland meldeten im Jahr 2009 28.321 transnationale Patente an. Damit zählt<br />

Deutschland weltweit zu den Nationen mit den höchsten Patentanmeldungen. Allerdings werden<br />

die meisten Patente im Segment der hochwertigen Technologie angemeldet. Das sind<br />

Industriewaren, <strong>für</strong> die zwischen 2,5 und 7 Prozent des Umsatzes <strong>für</strong> Forschung und<br />

Entwicklung verwendet werden. Insbesondere in den Hochtechnologiebereichen Fahrzeug-<br />

und Maschinenbau sowie der chemischen Industrie sind die Anmeldungen aus Deutschland<br />

hoch (FRIETSCH 2007).<br />

Abbildung 12: Anteil <strong>IKT</strong> bezogener Patente an allen nationalen Patenten<br />

2001-2009 beim Europäischen Patentamt in %<br />

Quelle: OECD (2012), Patent Database.<br />

Die <strong>IKT</strong>-Branche zählt dagegen zur Spitzentechnologie, in der die FuE-Ausgaben mehr als 7<br />

Prozent des Umsatzes ausmachen. In diesem Segment weist Deutschland keine Spezialisierung<br />

auf und fällt daher im internationalen Vergleich zurück (vgl. Abbildung 24). Während in<br />

Staaten wie China, Korea und Japan mehr als 40 Prozent aller nationalen Patentanmeldungen<br />

aus dem <strong>IKT</strong>-Bereich stammen, sind es in Deutschland nur rund ein Viertel. In Finnland und<br />

Singapur weisen sogar mehr als 50 Prozent der Patente einen <strong>IKT</strong>-Bezug auf. Damit liegt<br />

Deutschland klar unter dem Durchschnitt der EU-27 und der OECD. Der hierzulande beste-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 47<br />

hende Mangel an international bedeutsamen Großunternehmen in dieser Branche ist damit<br />

direkt anhand der Patentanmeldungen ablesbar.<br />

Der Anteil der <strong>IKT</strong> Patente erreichte seinen Höhepunkt in der dot.com-Blase vor gut zehn<br />

Jahren. Seitdem nimmt die Zahl der <strong>IKT</strong>-bezogenen Patente in den meisten Ländern kontinuierlich<br />

ab, mit Ausnahme von China, Japan, Korea und Kanada.<br />

Auch wenn sich die absolute Zahl aller Patentanmeldungen aus Deutschland im langfristigen<br />

Verlauf deutlich erhöht hat, ist die Steigerungsrate in anderen Ländern markanter. Dadurch<br />

hat sich die insgesamt im Patentierungsgeschehen bestehende gute Position Deutschlands im<br />

internationalen Vergleich verschlechtert, auch im <strong>IKT</strong>-Bereich. Hier haben vor allem Staaten<br />

wie China und Korea in den letzten Jahren erstaunliche Wachstumsraten der Patentanmeldungen<br />

realisiert. In China etwa sind die transnationalen Patentanmeldungen zwischen 1999 und<br />

2009 um etwa das Vierzehnfache auf gut 11.000 Anmeldungen gestiegen.<br />

Hinsichtlich des Anteils der nationalen <strong>IKT</strong>-bezogenen Patente an allen <strong>IKT</strong> Patentanmeldungen<br />

beim Europäischen Patentamt weist Deutschland zumindest im Vergleich zu den europäischen<br />

Ländern den höchsten Anteil auf. Die meisten <strong>IKT</strong>-Patentanmeldungen stammen allerdings<br />

von Unternehmen aus den USA, Japan und wiederum China (vgl. Abbildung 25).<br />

Abbildung 13: Anteil der nationalen <strong>IKT</strong>-bezogenen Patente an allen <strong>IKT</strong><br />

Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt in %<br />

Quelle: OECD (2012), Patent Database.<br />

Innovationen<br />

Neben der Zahl der Patentanmeldungen existiert eine Reihe von weiteren Indikatoren <strong>für</strong> die<br />

Innovationstätigkeit der Unternehmen in einer Branche. Von hoher Bedeutung <strong>für</strong> die Bewertung<br />

des Outputs sind Daten über die Innovationsaktivität einer Branche, da es sich hier um<br />

tatsächlich in den Markt eigeführte Produkte und Prozesse handelt. Die folgenden Ausführungen<br />

und Darstellungen basieren auf dem Mannheimer Innovationspanel (MIP) des Zentrums<br />

<strong>für</strong> Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und deren Indikatorenberichte zum Innovationsverhalten<br />

der deutschen Wirtschaft (2006-2010).<br />

Tabelle 5 zeigt die Innovationsbeteiligung der Unternehmen in der deutschen Wirtschaft in<br />

den Jahren 2005 und 2010 sowie deren Veränderungsraten über den Zeitraum.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 48<br />

Tabelle 4: Innovationsbeteiligung der Unternehmen in technologieintensiven<br />

Branchen 2005 und 2010 in Deutschland<br />

Innovatorenquote Umsatz mit neuen Produkten<br />

Branchengruppe (WZ 2008) 2005 2010 Δ in %- 2005 2010 Δ in %<br />

% % Punkten Mrd. € Mrd. €<br />

Chemie/Pharma (20-21) 80 81 1,0 40 31 -31,1<br />

Maschinenbau (28) 73 79 6,0 59 55 -6,9<br />

Elektroindustrie (26-27) 77 70 -7,0 68 73 6,8<br />

Fahrzeugbau (29-30) 61 71 10,0 186 189 1,3<br />

EDV/Telekommunikation (61-63) 72 77 5,0 37 35 -5,7<br />

Kontinuierlich FuE-Betreibende Umsatzanteil mit neuen Pro-<br />

Unternehmen<br />

dukten<br />

2005 2010 Δ in %- 2005 2010 Δ in %-<br />

% % Punkten % % Punkten<br />

Chemie/Pharma (20-21) 53 62 9,0 15 15 0<br />

Maschinenbau (28) 43 38 -5,0 32 28 -4,0<br />

Elektroindustrie (26-27) 50 48 -2,0 43 38 -5,0<br />

Fahrzeugbau (29-30) 34 39 5,0 56 49 -7,0<br />

EDV/Telekommunikation (61-63) 41 39 -2,0 28 24 -4,0<br />

Innovationsaufwendungen Umsatzanteil mit Marktneuheiten<br />

2005 2010 Δ in % 2005 2010 Δ in %-<br />

Mrd. € Mrd. €<br />

% % Punkten<br />

Chemie/Pharma (20-21) 11,3 12,9 12,4 3,9 3,2 -0,7<br />

Maschinenbau (28) 9,5 11,8 19,5 7,4 7,9 0,5<br />

Elektroindustrie (26-27) 13,1 13,6 3,7 9,8 9,8 0<br />

Fahrzeugbau (29-30) 27,5 33,7 18,4 11,6 12,8 1,2<br />

EDV/Telekommunikation (61-63) 8,5 10,5 19,0 6,7 5,8 -0,9<br />

Innovationsintensität Umsatzanteil mit Sortimentsneuheiten<br />

2005 2010 Δ in %- 2005 2010 Δ in %-<br />

% % Punkten % % Punkten<br />

Chemie/Pharma (20-21) 4,4 6,3 1,9 3,1 2,7 -0,4<br />

Maschinenbau (28) 5,2 6,0 0,8 5,2 4,8 -0,4<br />

Elektroindustrie (26-27) 8,3 7,0 -1,3 6,8 6,3 -0,5<br />

Fahrzeugbau (29-30) 8,3 8,8 0,5 6,1 8,4 2,3<br />

EDV/Telekommunikation (61-63) 6,4 7,2 0,8 4,4 4,7 0,3<br />

Kostenreduktion durch Prozessin- Umsatzwachstum durch Qualinovationentätsverbesserungen<br />

2005 2010 Δ in %- 2005 2010 Δ in %-<br />

% % Punkten % % Punkten<br />

Chemie/Pharma (20-21) 3,5 3,6 0,1 2,9 2,7 -0,2<br />

Maschinenbau (28) 5,2 4,4 -0,8 3,2 2,8 -0,4<br />

Elektroindustrie (26-27) 8,6 5,3 -3,3 3,8 3,5 -0,3<br />

Fahrzeugbau (29-30) 5,5 6,1 0,6 8,3 3,1 -5,2<br />

EDV/Telekommunikation (61-63) 7,5 7,4 -0,1 3,4 2,6 -0,8<br />

Quelle: ZEW (2011;2006), Mannheimer Innovationspanel (MIP), eigene Zusammenstellung. Δ = Veränderung<br />

2005/2010.<br />

Der <strong>IKT</strong>-Sektor wird im Mannheimer Innovationspanel durch die Elektroindustrie des Verarbeitenden<br />

Gewerbes und EDV/Telekommunikation des Dienstleistungssektors abgebildet. Für


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 49<br />

eine umfassende Betrachtung der Branche müssen also beide Wirtschaftsgruppen in die Interpretation<br />

der Daten einbezogen werden.<br />

• Innovatorenquote und kontinuierlich FuE-Betreibende Unternehmen<br />

Innovatoren sind - gemäß der Definition des ZEW - Unternehmen, die innerhalb eines zurückliegenden<br />

Dreijahreszeitraums (d.h. <strong>für</strong> 2010: in den Jahren 2008 bis 2010) zumindest ein<br />

Innovationsprojekt erfolgreich abgeschlossen, d.h. zumindest eine Innovation eingeführt haben.<br />

Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein anderes Unternehmen diese Innovation bereits<br />

eingeführt hat. Wesentlich ist die Beurteilung aus Unternehmenssicht. Die Innovatorenquote<br />

berechnet sich aus dem Anteil der Innovatoren an allen Unternehmen ab fünf Beschäftigte. Im<br />

<strong>IKT</strong>-Bereich des verarbeitenden Gewerbes (Elektroindustrie) ist die Innovatorenquote von<br />

1995 bis 2010 um sieben Prozentpunkte gesunken, während sie im Dienstleistungsbereich<br />

(EDV/Telekommunikation) um fünf Prozentpunkte gestiegen ist. Die negative Entwicklung in<br />

der Elektroindustrie steht dem allgemein positiven Trend im Hochtechnologiebereich entgegen<br />

(vgl. Abbildung 26).<br />

Abbildung 14: Innovatorenquote in technologieintensiven Branchen 2005 und<br />

2010 in Deutschland, in %<br />

Quelle: ZEW (2011;2006), Mannheimer Innovationspanel, eigene Darstellung.<br />

Der Anteil der Unternehmen, die kontinuierlich unternehmensintern FuE betreiben, ist eine<br />

Maßzahl <strong>für</strong> die Ausrichtung der Innovationsaktivitäten auf die Generierung neuen Wissens<br />

und damit auch <strong>für</strong> den Anspruch zur Entwicklung neuer Technologien. Kontinuierlich FuEbetreibend<br />

im Rahmen der Innovationserhebung bedeutet, dass Unternehmen innerhalb eines<br />

zurückliegenden Dreijahreszeitraums jährliche FuE-Aktivitäten berichteten. Im <strong>IKT</strong>-Bereich<br />

ist der Anteil der kontinuierlich FuE-betreibenden Unternehmen von 1995 bis 2010 um zwei<br />

Prozentpunkte gesunken, insgesamt ist der Anteil in der Elektroindustrie mit 48 Prozent in<br />

2010 hoch und wird nur von der Chemie und Pharmaindustrie mit einem Anteil von 62 Prozent<br />

überboten.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 50<br />

• Innovationsaufwendungen und Innovationsintensität<br />

Innovationsaufwendungen berücksichtigen sämtliche Ausgaben <strong>für</strong> laufende, abgeschlossene<br />

und abgebrochene Innovationsprojekte und umfassen daher nicht nur die internen und externen<br />

FuE-Aufwendungen, sondern zusätzlich Ausgaben <strong>für</strong> Investitionen in Sachanlagen und<br />

immaterielle Wirtschaftsgüter. Darunter fällt der Erwerb von Maschinen, Anlagen, Software<br />

und externem Wissen (z.B. Patente, Lizenzen) <strong>für</strong> Innovationen sowie Aufwendungen <strong>für</strong><br />

Konstruktion, Design, Produktgestaltung, Dienstleistungskonzeption, Schulung und Weiterbildung,<br />

Markteinführung und andere Vorbereitungen <strong>für</strong> die Produktion und den Vertrieb<br />

von Innovationen. Die Innovationsintensität ist dabei der Anteil der Innovationsaufwendungen<br />

am gesamten Branchenumsatz. Im <strong>IKT</strong>-Bereich lassen sich deutliche Unterschiede zwischen<br />

Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen ablesen. Dabei fallen die Ausgaben in<br />

der Industrie wesentlich geringer aus, die Intensität ist zwischen 2005 und 2010 sogar gesunken.<br />

Dienstleistungsunternehmen der EDV/Telekommunikationsbranche wenden im Vergleich<br />

zum verarbeitenden Gewerbe eher geringe Summen <strong>für</strong> Innovationen auf, verfügen<br />

aber über eine hohe Innovationsintensität, die zwischen 2005 und 2010 noch um 0,8 Prozentpunkte<br />

gesteigert wurde.<br />

• Produktinnovationen: Umsatzanteil mit neuen Produkten, Marktneuheiten und Sortimentsneuheiten<br />

Der Umsatz und die Umsatzanteile mit Produktinnovationen (neue Produkte, Marktneuheiten<br />

und Sortimentsneuheiten) beziehen sich auf den Umsatz des betreffenden Jahres, der mit neuen<br />

oder merklich verbesserten Produkten/Dienstleistungen des zurückliegenden Dreijahreszeitraums<br />

erzielt worden ist.<br />

Abbildung 15: Umsatz mit neuen Produkten technologieintensiver Branchen in<br />

Deutschland 2005 und 2010, in Mrd. Euro<br />

Quelle: ZEW (2011;2006), Mannheimer Innovationspanel, eigene Darstellung.<br />

Der <strong>IKT</strong> Sektor stellt in absoluten Zahlen nach dem Fahrzeugbau die Branche mit den höchsten<br />

Umsatzzahlen mit neuen Produkten dar (Abbildung 27): in 2010 wurden 108 Mrd. Euro


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 51<br />

Umsatz mit neuen Produkten im <strong>IKT</strong> Bereich erwirtschaftet (rund 2/3 Elektroindustrie und<br />

1/3 <strong>IKT</strong> Dienstleistungen).<br />

Beim Umsatzanteil mit neuen Produkten existieren zwischen den Branchen im Hochtechnologiebereich<br />

ebenfalls große Unterschiede: An der Spitze lag im Jahr 2010 – wie schon in<br />

2005 – der Fahrzeugbau mit einem Anteil von 49 Prozent, gefolgt von der <strong>IKT</strong>-Branche Elektroindustrie<br />

(38 Prozent), dem Maschinenbau (28 Prozent) und den <strong>IKT</strong>-Dienstleistungen<br />

EDV und Telekommunikation (24 Prozent). Die Umsatzanteile mit Marktneuheiten und mit<br />

Sortimentsneuheiten variieren etwas weniger stark. Den höchsten Umsatzanteil mit Marktneuheiten<br />

erzielte ebenfalls der Fahrzeugbau, gefolgt von der (<strong>IKT</strong>-)Elektroindustrie und dem<br />

Maschinenbau. Bei Sortimentsneuheiten wies neben dem Fahrzeugbau kein anderer betrachteter<br />

Hochtechnologiebereich hohe Werte auf.<br />

• Prozessinnovationen: Kostenreduktion und Umsatzwachstum durch Prozessinnovationen<br />

Bei kostensenkenden Prozessinnovationen handelt es sich um Prozessinnovationen, die zu<br />

einer Senkung der durchschnittlichen Kosten pro Stück bzw. Vorgang geführt haben und denen<br />

damit tendenziell ein Einsparungsmotiv zu Grunde liegt. Sie tragen zu einer Verbesserung<br />

der preislichen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bei. Qualitätsverbessernde Prozessinnovationen<br />

erhöhen die Produkt- bzw. Dienstleistungsqualität und gehen häufig mit<br />

Produktinnovationen einher. Durch die höhere Produktqualität verbessern diese Prozessinnovationen<br />

die Absatzchancen des Unternehmens. Kostensenkungsanteile durch Prozessinnovationen<br />

beziehen sich auf die Kosten je Stück bzw. Vorgang des betreffenden Jahres, die durch<br />

Prozessinnovationen eingespart werden konnten, die im zurückliegenden Dreijahreszeitraums<br />

eingeführt worden waren. Im <strong>IKT</strong>-Bereich fand im verarbeitenden Gewerbe zwischen 2005<br />

und 2010 ein starker Rückgang von 3,3 Prozentpunkten der Kosteneinsparung durch Prozessinnovationen<br />

statt, allerdings von einem hohen Ausgangsniveau (8,6 Prozent Kosteneinsparung<br />

in 2005). Im <strong>IKT</strong>-Dienstleistungsbereich hat sich die Kosteneinsparung durch Prozessinnovationen<br />

im betrachteten Zeitraum kaum verändert und liegt bei ebenfalls hohen 7,5 bzw.<br />

7,4 Prozent.<br />

Der Umsatzanstieg durch Qualitätsverbesserungen misst die Umsatzausweitung im betreffenden<br />

Jahr im Vergleich zum Vorjahresumsatz, die auf Qualitätsverbesserungen zurückgeführt<br />

werden kann, die mit Hilfe von im zurückliegenden Dreijahreszeitraum eingeführten Prozessinnovationen<br />

erzielt wurden.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 52<br />

Abbildung 16: Kostenreduktion und Umsatzwachstum durch Prozessinnovationen<br />

technologieintensiver Branchen in Deutschland 2005 und 2010, in %<br />

Quelle: ZEW (2011;2006), Mannheimer Innovationspanel, eigene Darstellung.<br />

Im <strong>IKT</strong> Bereich wird 3,5 bzw. 2,6 Prozent des Umsatzwachstums im Vergleich zum Vorjahreswert<br />

auf qualitätssteigernde Prozessinnovationen zurückgeführt (vgl. Abbildung 28).<br />

2.3.2. Möglichkeiten und Grenzen von <strong>IKT</strong> als Instrument zur Beschleunigung<br />

und Neuorganisation von Innovationsprozessen<br />

Für die Entwicklung neuer oder die Optimierung existierender Produkte ist Wissen die zentrale<br />

Ressource. Wirtschaftlicher Erfolg wird wiederum maßgeblich von der Qualität und Attraktivität<br />

der angebotenen Produkte und von der Effizienz des Produktionsprozesses bestimmt.<br />

Da Informations- und Kommunikationstechnologien (<strong>IKT</strong>) auf die Entstehung, die Absorption<br />

und die Diffusion von Wissen erheblichen Einfluss ausüben, kommt ihnen explizit die Rolle<br />

eines zentralen Wettbewerbsfaktors zu.<br />

<strong>IKT</strong> wirken auf alle vier zentralen Innovationsarten (vgl. OECD 2005).<br />

Bei Produktinnovationen handelt es sich um ein Produkt (inkl. Dienstleistungen), dessen<br />

Komponenten oder grundlegende Merkmale (technische Grundzüge, integrierte Software,<br />

Verwendungseigenschaften, Benutzerfreundlichkeit, Verfügbarkeit) entweder neu oder merklich<br />

verbessert sind. Die Innovation ist neu <strong>für</strong> das einzelne Unternehmen, aber nicht notwendigerweise<br />

<strong>für</strong> den Markt. Es ist dabei unerheblich, ob die Innovation von einem Unternehmen<br />

alleine oder in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen entwickelt wurde. Eine Prozessinnovation<br />

ist eine neue oder merklich verbesserte Fertigungs-/Verfahrenstechnik oder<br />

ein neues oder merklich verbessertes Verfahren zur Erbringung von Dienstleistungen oder<br />

zum Vertrieb von Produkten. Das Resultat sollte sich merklich auf Produktionsniveau, Produkt-/Dienstleistungsqualität<br />

oder Produktions- bzw. Vertriebskosten auswirken. Verfahren,<br />

die neu eingeführt wurden, um Produktinnovationen zu ermöglichen, zählen ebenfalls als<br />

Prozessinnovationen. Eine Marketinginnovation ist die Implementierung einer neuen Marketingmethode,<br />

während eine Organisatorische Innovation die Einführung einer neuen Organisationsmethode<br />

ist, die zuvor im Unternehmen noch keine Anwendung fand.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 53<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien können entweder Hilfsmittel bzw. technisch<br />

notwendiger Bestandteil <strong>für</strong> die Realisierung von Innovationen sein oder selbst als Output am<br />

Ende eines Innovationsprozesses stehen. Letztgenanntes Phänomen lässt sich etwa durch die<br />

Beobachtung von Patentanmeldungen oder die Erfassung von Innovationen im <strong>IKT</strong>-Segment<br />

quantifizieren. Hierüber wurde bereits im Abschnitt 2 berichtet. An dieser Stelle wird dagegen<br />

die Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien im Rahmen von Innovationsprozessen<br />

allgemein analysiert.<br />

Innovationen können unterschiedliche Neuheitsgrade aufweisen. Sie können neu <strong>für</strong> das Unternehmen,<br />

neu <strong>für</strong> den betreffenden Markt oder auch aus globaler Perspektive neu sein. Im<br />

Fall geringer Neuheitsgrade wird von inkrementeller Innovation gesprochen, höhere Neuheitsgrade<br />

umfassen radikale Innovationen bis hin zu Veränderungen des technoökonomischen<br />

Paradigmas (vgl. FREEMAN/PEREZ 1988). Für Innovationen mit geringerem<br />

Neuheitsgrad sammeln, integrieren und kombinieren Unternehmen bereits bestehendes Wissen<br />

in ihre eigenen Produktions- und Innovationsprozesse. Das fremde Wissen wird zusätzlich<br />

durch eigenen Input und Modifikationen angereichert bzw. verändert. Das Schaffen völlig<br />

neuen Wissens ist dagegen mit höherem Aufwand, höheren Kosten und höheren Unsicherheiten<br />

verbunden. Denn oftmals sind Unternehmen ausschließlich mit ihren eigenen Ressourcen<br />

nicht in der Lage, globale Neuheiten hervorzubringen. Kooperationen mit anderen Unternehmen,<br />

Hochschulen oder Forschungseinrichtungen sind somit <strong>für</strong> die Entwicklung von Innovationen<br />

jedweden Neuheitsgrades hilfreich, bei denen es um den Austausch und die Entwicklung<br />

von Wissen geht.<br />

Externe Vernetzung<br />

Denn mit zunehmender Geschwindigkeit und Komplexität des technischen Fortschritts, der<br />

Verkürzung von Produktlebenszyklen und steigenden Marktunsicherheiten, wurde die Vernetzung<br />

mit anderen Unternehmen generell immer bedeutsamer <strong>für</strong> den Innovations- und<br />

Markterfolg (DEBRESSON/AMESSE 1991, S. 367ff.). Sie ermöglicht vor allem den erforderlichen<br />

Zufluss externen Wissens, das aufgrund seiner Bindung an einzelne Personen impliziten<br />

Charakter (tacit knowledge) hat und das Potential <strong>für</strong> hohe Innovationserfolge und damit<br />

<strong>für</strong> first-mover-Vorteile trägt (LAWSON/LORENZ 1999).<br />

Für die Umwandlung externen Wissens in <strong>für</strong> das Unternehmen nutzbringende Informationen<br />

und daraus resultierende Innovationen bedarf es einer hinreichenden Absorptionskapazität<br />

(COHEN/LEVINTHAL 1990), d.h. der Kompetenz den Wert neuer Informationen zu erkennen,<br />

sie zu verarbeiten und <strong>für</strong> die eigenen Zwecke zu nutzen. Die Absorptionskapazität ist<br />

umso höher, je qualifizierter das Personal und je kompatibler die zu vereinenden Wissensbereiche<br />

sind. Für diese Prozesse wirkt <strong>IKT</strong> effizienz- und effektivitätssteigernd, denn durch sie<br />

können große Mengen an kodifizierbaren Informationen über weite Distanzen und innerhalb<br />

kürzester Zeit transportiert werden. Moderne Kommunikationstechnologien erlauben zudem<br />

die direkte audio-visuelle Kommunikation mit Partnern weltweit.<br />

Bereits während des Prozesses der Informationsübermittlung können <strong>IKT</strong> im Zusammenhang<br />

mit Innovationsprozessen eine Rolle spielen. Denn theoretisch sind wesentliche Informationen<br />

mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel schnell und effizient zu übertragen. Auf<br />

diese Weise wäre geographische Distanz, die im Rahmen von direkten persönlichen Kontakten<br />

(face-to-face) stets einen limitierenden Faktor <strong>für</strong> die Ausdehnung oder <strong>für</strong> die effiziente<br />

Nutzung eines Netzwerkes eine Rolle spielt, nur noch von marginaler Bedeutung. Die Über-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 54<br />

tragung impliziten Wissens setzt allerdings eine ausreichend große Basis an sozialem Kapital<br />

in Form von Vertrauen und gemeinsamen Werten voraus. Schließlich werden im Rahmen von<br />

Innovationsprozessen sensible Informationen und in erheblichem Umfang personenspezifisches<br />

Wissen weitergegeben. Eine solche Basis kann über elektronische Medien kaum aufgebaut<br />

werden, weshalb „the tacit nature of knowledge and the social nature of the innovation<br />

process limit the impact of the internet“ (FELDMANN 2002, S. 48).<br />

Nähe als Basis <strong>für</strong> Innovationskooperationen<br />

Wenn verschiedene Akteure ein gemeinsames Innovationsprojekt durchführen möchten, jedoch<br />

niemals zuvor Kontakt hatten, wird die elektronische Kommunikation allein keine ausreichende<br />

Basis bieten können. Bedingung <strong>für</strong> eine solche Innovationskooperation ist die Existenz<br />

bzw. der Aufbau spezifischer Formen von Nähe (Proximity). Insbesondere während der<br />

Realisierung radikaler Innovationen, die durch hohe Unsicherheiten, komplexe Informationscodes<br />

und durch die Einbindung spezialisierter Experten gekennzeichnet ist, stößt die ausschließliche<br />

elektronische Kommunikation an Grenzen.<br />

Bereits seit mehreren Jahrzehnten wird auf die Bedeutung räumlicher Nähe von Kooperationspartnern<br />

<strong>für</strong> die Entstehung von Innovationen hingewiesen (vgl. CAMAGNI 1991, COO-<br />

KE/MORGAN 1998, MASKELL/MALMBERG 1999). Allerdings ist räumliche Nähe allein<br />

bei weitem nicht ausreichend <strong>für</strong> die Entwicklung neuer Produkte (vgl. BOSCHMA 2005).<br />

Vielmehr sind verschiedene Arten von Nähe relevant, die teilweise substituierbar sind, in der<br />

Vergangenheit aber häufig unter dem Oberbegriff der räumlichen Nähe subsummiert wurden.<br />

Räumliche Nähe kann allerdings auch dazu führen, dass Partner ausschließlich untereinander<br />

kooperieren und somit externe Wissensflüsse in das regionale Netzwerk unterbunden werden.<br />

Diese Verkrustungserscheinungen führen langfristig zu erheblichen Nachteilen im Innovationsprozess<br />

bis hin zu seinem Stillstand (GRABHER 1991, BROEKEL/BOSCHMA 2009).<br />

Für die Beurteilung der Frage, ob moderne <strong>IKT</strong> wie das Internet einen positiven Einfluss auf<br />

Innovationsprozesse ausüben, sind die relevanten Formen von Nähe näher zu betrachten.<br />

BOSCHMA (2005) unterschiedet etwa zwischen<br />

• geographischer<br />

• institutioneller<br />

• organisatorischer<br />

• gesellschaftlicher und<br />

• kognitiver Nähe.<br />

Geographische Nähe bezeichnet die rein physische Distanz zwischen Akteuren, sowohl in<br />

absoluter wie auch in relativer Hinsicht. So ist neben der reinen Distanz in Kilometern auch<br />

der individuell empfundene Aufwand <strong>für</strong> die Distanzüberbrückung ein relevantes Maß. Institutionelle<br />

Nähe bezieht sich auf die Makroebene des institutionellen Rahmens und entsprechender<br />

Regeln wie auch auf kulturelle Werte. Diese Form von Nähe ist am ehesten durch<br />

administrative Grenzen (Länder- und Staatengrenzen) abgegrenzt. Unterschiedliche institutionelle<br />

Rahmenbedingungen führen oftmals auch zu verschiedenen technologischen Paradigmen<br />

und Entwicklungspfaden (LUNDVALL, 1992).<br />

Organisatorische Nähe wird durch gemeinsame Denkschemata, organisatorische Routinen,<br />

eine gemeinsame „Kultur“ und einen ähnlichen Managementstil der Partner geprägt. Geringe


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 55<br />

organisatorische Nähe behindert Kooperationen durch divergierende Ziele und entsprechende<br />

Strategien, diese zu erreichen. Auch unterschiedliche Handlungsmuster und Kommunikationskulturen<br />

erschweren die Zusammenarbeit. Zunehmende organisatorische Distanz und Innovationserfolg<br />

stehen somit in einem klar negativen Zusammenhang (CUMMINGS 2003,<br />

BLIND 2011). Gesellschaftliche und kognitive Nähe beziehen sich auf die sozial eingebetteten<br />

Beziehungen der Akteure. Diese soziale Verankerung wird durch Vertrauen basierend auf<br />

Freundschaft und positiven gemeinsamen Erfahrungen verankert. Schwache Ausprägungen<br />

der verschiedenen Arten von Nähe wirken sich negativ auf kollektive Lern- und Innovationsprozesse<br />

aus. Nähe und die geographische Anordnung von Innovationsakteuren führen also<br />

zur Herausbildung von Innovationssystem auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen.<br />

Die Rolle von <strong>IKT</strong><br />

Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen eine umfangreiche und kurzfristige<br />

Partizipation von Kunden, Zulieferern, Wissenschaftlern oder Verwaltungsstellen an<br />

Innovationsprozessen, wodurch sich Transaktionskosten erheblich senken lassen. Insbesondere<br />

mit dem Web 2.0 und den damit verbundenen interaktiven und kollaborativen Qualitäten<br />

des Internets vergrößerten sich auch die Einsatzgebiete <strong>für</strong> eine Nutzung von Webtechnologien<br />

im Rahmen von Innovationsprozessen. So haben inzwischen Konsumenten die Möglichkeit,<br />

sich über interaktive Softwarelösungen an frühen Stadien des Innovationsprozesses eines<br />

Produktes zu beteiligen und somit auch die Rolle eines Produzenten zu übernehmen. Diese<br />

Doppelfunktion wird in Anlehnung an TOFFLER (1980) mit dem Begriff des Prosumenten<br />

umschrieben. Darüber hinaus ermöglicht das Internet, zentrale Datenhaltungen und lokale<br />

Anwendungen auf einzelnen Endgeräten sukzessive durch dezentrale Systeme abzulösen.<br />

Der technische Fortschritt im <strong>IKT</strong>-Segment und die breite gesellschaftliche Akzeptanz und<br />

Verwendung neuer <strong>IKT</strong> legt die Vermutung nahe, dass Nähe zwischen Kooperationspartnern<br />

eine immer geringere Bedeutung im Rahmen von Innovationsprozessen zukommt. Die hohe<br />

Bedeutung von Nähe und informellem Wissen wurde daher gerade in der jüngeren Vergangenheit<br />

zunehmend in Frage gestellt (CARRINCAZEAUX/CORIS 2011). Aktuelle Studien<br />

zeigen jedoch, dass die beschriebenen Formen von Nähe, einschließlich der geographischen,<br />

ein ungebrochen hohes Gewicht <strong>für</strong> den Innovationserfolg besitzen (SPEZIA 2010). Dies ist<br />

insbesondere zutreffend, wenn es um die Entwicklung von Produkten in technologisch komplexen<br />

Feldern geht. Dementsprechend ist nicht davon auszugehen, dass der intensive Gebrauch<br />

elektronischer Kommunikationsmittel die Wahrscheinlichkeit signifikant erhöht, dass<br />

ein Unternehmen mit anderen Partnern kooperiert und in Innovationsnetzwerke eingebunden<br />

ist. Wesentlich ist nach wie vor das Vorliegen von Nähe zwischen den Partnern. Sofern diese<br />

einmal aufgebaut wurde, kann jedoch die Nutzung von elektronischer <strong>IKT</strong>-Infrastruktur die<br />

Effizienz von Innovationsprozessen deutlich erhöhen und Transaktionskosten senken. Kennen<br />

sich also die jeweiligen Partner und haben eine entsprechende Vertrauensbasis miteinander,<br />

kann elektronische Kommunikation den Austausch von Informationen deutlich vereinfachen<br />

und beschleunigen. <strong>IKT</strong> erweitert somit den Raum der Möglichkeiten und die Wettbewerbsfähigkeit<br />

von Unternehmen.<br />

<strong>IKT</strong> können zudem neuere Formen von geographisch weitreichenden Innovationsprozessen<br />

nicht nur unterstützen, sie ermöglichen diese häufig erst. Im Jahr 2010 nutzte bereits jedes<br />

fünfte Unternehmen Web 2.0-Anwendungen <strong>für</strong> den interaktiven Austausch von Informationen,<br />

wobei sozialen Online-Netzwerken die höchste Bedeutung zukommt (vgl. ZEW 2010).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 56<br />

Bezeichnender Weise nutzen IT-Technologien vor allem Unternehmen aus denjenigen Branchen,<br />

die selbst derartige Produkte entwickeln oder deren Produkte eine hohe Affinität zu <strong>IKT</strong><br />

aufweisen, wie Mediendienstleister und IT- und Kommunikationsdienstleister. Die Unternehmen<br />

dieser Branchen sind dementsprechend auch am besten mit moderner <strong>IKT</strong> ausgestattet.<br />

Beispiele, wie das Internet Innovationsprozesse unterstützen kann sind Crowdsourcing und<br />

Open Innovation. Open Innovation ist definiert als „the use of purposive inflows and outflows<br />

of knowledge to accelerate internal innovation and expand the markets for external use of<br />

innovation“ (CHESBROUGH et al 2006). Unternehmen gewinnen also Wettbewerbsvorteile<br />

durch die umfassende Nutzung externer Wissensressourcen und Ideengeber. Je größer und<br />

diversifizierter das externe Netzwerk, desto wahrscheinlicher dürften sich neue, unkonventionelle<br />

Ideen <strong>für</strong> Innovationen ergeben. Hier<strong>für</strong> bedarf es einer kosmopolitischen Gesellschaft,<br />

die offen ist <strong>für</strong> globale Kommunikation und den Austausch von Ideen. Akteure in regionalen<br />

Innovationssystemen (COOKE 1992) und <strong>Cluster</strong>n (PORTER 2002) nutzen häufig Formen<br />

von Open Innovation. Für die Einbindung dispers verteilter externer Partner in den Innovationsprozess<br />

ist das Internet eine wesentliche Basis. Dies gelingt speziell in frühen Stadien des<br />

Innovationsprozesses.<br />

Crowdsourcing wäre ohne das Internet als technische Basis nicht möglich. Dabei werden<br />

Aufgaben, die zuvor innerhalb des Unternehmens wahrgenommen wurden, nunmehr von einer<br />

großen, teils undefinierten Gruppe von Personen übernommen, die nicht zum Unternehmen<br />

zählen (HOWE 2006). In Verbindung mit Innovationsprozessen ist Crowdsourcing vor<br />

allem relevant <strong>für</strong> die Ideengenerierung, die Problemlösung und die Vorhersage oder Einschätzung<br />

bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse (HOWE 2008). Hier<strong>für</strong> können entweder<br />

eine Auswahl von Personen oder auch undefinierte Gruppen, wie die gesamte Internetcommunity,<br />

eingebunden werden. Das Unternehmen nutzt in diesen Fällen the wisdom of the<br />

crowds <strong>für</strong> die Erweiterung des eigenen Horizontes. Crowdsourcing-Prozesse sind inzwischen<br />

professionell organisiert und werden durch eine virtuelle Crowdsourcing-Plattform unterstützt.<br />

Allerdings ist es nicht möglich, Aufgaben jedweder Komplexität und notwendiger<br />

Kreativität mit Hilfe von Crowdsourcing zufriedenstellend zu lösen (SCHENK/GUITTARD,<br />

2011).<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnen vielfältige Möglichkeiten der Informationsgewinnung<br />

und des Wissensmanagements und immer mehr Unternehmen nutzen<br />

diese Möglichkeiten strategisch. Für Unternehmen, die ihre Innovationskraft aus einer intensiven<br />

externen Vernetzung ziehen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, Innovationserfolge zu<br />

realisieren mit einer intensiven Nutzung aktueller <strong>IKT</strong> (TAMPE/HITT/BRYNJOLFSSON<br />

2012). <strong>IKT</strong> und hierunter insbesondere das Internet sowie damit verbundene Anwendungen<br />

sind jedoch nicht generell als Innovationsbeschleuniger zu betrachten. Vielmehr ist die sinnvolle<br />

Nutzung dieser Technologien begrenzt auf Prozesse wie Crowdsourcing oder auf Austausch<br />

mit Kooperationspartnern zu denen bereits ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde.<br />

Dann führt das weltweite Netz zu deutlichen Effizienzgewinnen, auch im Rahmen von Innovationsprozessen.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 57<br />

2.4 Fazit<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien sind wesentlich <strong>für</strong> die wirtschaftliche Prosperität<br />

von Volkswirtschaften. Auch in Zukunft dürfte sich dies kaum ändern, selbst wenn<br />

sich der revolutionäre Charakter von <strong>IKT</strong> weiter abschwächen sollte. Denn die Einsatzbereiche<br />

sind schier endlos und die Innovationspotentiale dementsprechend groß.<br />

Auf der Anbieterseite ist eine weiter voranschreitende internationale Arbeitsteilung zu beobachten,<br />

was sich in einer weiteren Entkopplung von FuE und Produktion äußert. Deutschlands<br />

Marktvolumen <strong>für</strong> IT-Produkte liegt laut Angaben des Bundesverbandes der Informationswirtschaft,<br />

Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) nach den USA, Japan und<br />

China weltweit an vierter Stelle. Diese hohe Nachfrage wird allerdings weitgehend durch<br />

Auslandsimporte bedient. Deutschland ist ein bedeutender Nachfrager, aber kein zentraler<br />

Anbieter von Informations-und Kommunikationstechnologie. Dementsprechend stagniert die<br />

Produktion von <strong>IKT</strong>-Produkten hierzulande oder ist in einigen Feldern sogar rückläufig. Auch<br />

der Anteil der <strong>IKT</strong>-Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung liegt, wie auch der Anteil der<br />

<strong>IKT</strong>-Wertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung des Wirtschaftssektors, unter dem Durchschnittsniveau<br />

von OECD und EU.<br />

Deutlich größere Bedeutung kommt der <strong>IKT</strong>-Forschung in Deutschland zu. Die internen<br />

Aufwendungen der Unternehmen <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung liegen nur im Fahrzeugbau<br />

über der Summe die <strong>IKT</strong>-Unternehmen <strong>für</strong> FuE aufwenden. Der hohe Anspruch und die<br />

Komplexität der in der <strong>IKT</strong>-Branche vollzogenen FuE werden dadurch deutlich, dass hier<br />

besonders hohe Anteile der Bruttowertschöpfung <strong>für</strong> Forschung und Entwicklung eingesetzt<br />

werden (vgl. KLADROBA/STENKE 2012). Allerdings ist der Anteil von Industrieunternehmen<br />

der <strong>IKT</strong>-Branche, die innerhalb eines Dreijahreszeitraumes Innovationsprojekte erfolgreich<br />

abschließen in den letzten Jahren rückläufig. Dementsprechend hat sich auch der Anteil<br />

<strong>IKT</strong>-bezogener Patente an allen nationalen Patentanmeldungen in Deutschland deutlich verringert.<br />

Diese Entwicklung haben fast alle entwickelten Volkswirtschaften vollzogen.<br />

Das deutsche Innovationssystem ist allerdings nicht auf Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

spezialisiert. Die zentralen Anbieter sind weitgehend in anderen Ländern beheimatet.<br />

Allerdings integrieren deutsche Unternehmen auf intelligente und wettbewerbsfähige<br />

Art <strong>IKT</strong> in ihre Produkte. Diese Kombination verschiedener Technologien <strong>für</strong> neuartige Anwendungen<br />

oder <strong>für</strong> die signifikante Optimierung existierender Produkte ist ein zentraler Faktor<br />

<strong>für</strong> die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Ungeachtet dessen, steht die deutsche Volkswirtschaft<br />

unter Druck, selbst Leitanbieter <strong>für</strong> zukunftsfähige Spitzentechnologien zu sein.<br />

Informations- und Kommunikationstechnologien sind nicht nur Ergebnis von Innovationsprozessen,<br />

sondern können auch deren Gestalter sein. Wesentlich ist vor allem ihre Funktion <strong>für</strong><br />

die Wissensübermittlung sowie <strong>für</strong> das Wissens- und Prozessmanagement zwischen Partnern<br />

im Rahmen des Innovationsprozesses. Hierbei könnte <strong>IKT</strong> die Bedeutung räumlicher Nähe<br />

deutlich reduzieren und Informationen schneller fließen lassen. Allerdings haben empirische<br />

Studien gezeigt, dass sozio-kulturelle Formen von Nähe die Voraussetzung <strong>für</strong> einen vertrauensvollen<br />

Austausch von innovationsrelevantem Wissen sind. Diese spezifische Nähe muss<br />

zunächst geschaffen werden, damit <strong>IKT</strong> effizient eingesetzt werden können. Informations-<br />

und Kommunikationstechnologie allein ist somit keine ausreichende Basis <strong>für</strong> fruchtbare Innovationskooperationen<br />

und Innovationsprozesse. Ohne zuvor bestehende persönliche Kon-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 58<br />

takte erhöht sich die Kooperations- und Innovationswahrscheinlichkeit durch den Einsatz von<br />

<strong>IKT</strong> nicht.<br />

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<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 61<br />

3. <strong>IKT</strong> als Modernisierungstreiber <strong>für</strong> die regionale Wirtschaft<br />

und das Handwerk<br />

Philipp Breidenbach+, Wolfgang Dürig+ und Christoph M. Schmidt+,++<br />

( + RWI, ++ Ruhr-Universität Bochum)<br />

Moderne Informations- und Kommunikationstechniken (<strong>IKT</strong>) sind in einem Dreiklang des<br />

wechselseitigen Zusammenspiels sowohl mit der regionalen Wirtschaft als auch dem Handwerk<br />

auf das Engste verbunden. So ist die Affinität der regionalen Wirtschaftsbranchen gegenüber<br />

<strong>IKT</strong> ein wichtiger Entwicklungsfaktor <strong>für</strong> den regionalen <strong>IKT</strong>-Sektor, aber gleichzeitig<br />

nehmen die Produkte des <strong>IKT</strong>-Sektors Einfluss auf die Entwicklung der regionalen Wirtschaft.<br />

Eine ähnliche Wechselbeziehung besteht zwischen <strong>IKT</strong> und dem Handwerk. So übernehmen<br />

oftmals Handwerksbetriebe die Endproduktinstallation von <strong>IKT</strong>, werden aber auch<br />

selbst durch <strong>IKT</strong>-Implementierung modernisiert. Vor allem kann das Handwerk als ein wichtiger<br />

Anker der Wirtschaft vor Ort den Praxisnutzen neuer <strong>IKT</strong>-Produkte bestmöglich abschätzen<br />

und deren Verbesserung selbst vorantreiben.<br />

Die Implikationen dieser wechselseitigen Beziehungen prägen den vorliegenden Beitrag. Der<br />

erste Abschnitt diskutiert zunächst die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der <strong>IKT</strong>, der zweite<br />

analysiert mit Blick auf NRW die regionalen Aspekte dieser Diskussion. Bevor im vierten<br />

Abschnitt die Bedeutung des Handwerks als Anbieter und Nutzer von <strong>IKT</strong> erarbeitet wird,<br />

stellt der dritte Abschnitt die Lage des Handwerks in der regionalen Wirtschaft dar. Abschnitt<br />

fünf zieht ein kurzes Fazit, nicht zuletzt in Bezug auf wirtschaftspolitische Handlungsoptionen.<br />

3.1 Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von <strong>IKT</strong><br />

Die Nutzung von Techniken und Anwendungen der <strong>IKT</strong> ist in den vergangenen Jahren zu<br />

einer Sache des Alltags geworden. So hat das Statistische Bundesamt <strong>für</strong> die Bevölkerung der<br />

Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2011 ermittelt, dass 99,6 % der privaten Haushalte ein<br />

Telefon haben. Hierbei werden sowohl Festnetzanschlüsse (mit einer Ausstattungsquote von<br />

92,7 %) als auch Mobiltelefone (immerhin 90 %) berücksichtigt. Mit einem Personalcomputer<br />

(PC) sind 82 % der Bevölkerung ausgestattet, davon verfügen knapp 76 % über einen Internetanschluss<br />

(DESTATIS 2011a) 1 .<br />

Diese allumfassende Durchdringung mit <strong>IKT</strong> zeigt sich nicht nur auf Ebene der privaten<br />

Haushalte. Die <strong>IKT</strong>-Nutzung hat sich ebenso auf betrieblicher Ebene weitreichend durchgesetzt.<br />

In der Befragung „Unternehmen und Arbeitsstätten“ hat das Statistische Bundesamt<br />

unter anderem die Anzahl der Personen mit regelmäßiger Nutzung (mindestens einmal pro<br />

Woche) von Computern und des Internets ermittelt. Der Anteil der Beschäftigten, die regelmäßig<br />

mit einem Computer arbeiten, ist von etwa 46 % im Jahr 2003 auf 63 % im Jahr 2011<br />

gestiegen. Bei der Intensität der Internetnutzung ist ein noch stärkerer Anstieg zu verzeichnen:<br />

Während im Jahr 2003 mit 31 % nur knapp ein Drittel der Beschäftigten das Internet im<br />

1 Inwiefern darüber hinaus ein Internetanschluss über die Nutzung von Smartphones besteht, wird nicht ermittelt.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 62<br />

Arbeitsalltag genutzt hat, sind dies im Jahr 2011 mit 54 % mehr als die Hälfte der Beschäftigten<br />

(DESTATIS 2011b) 2 .<br />

Eine zentrale Rolle bei dieser Entwicklung hat mit Sicherheit der sehr erhebliche Preisverfall<br />

in diesen Bereichen gespielt. Doch <strong>für</strong> die Unternehmen ist dabei nicht mehr nur die reine<br />

Ausstattung mit PC und Internetverbindung das entscheidende Kriterium, sondern auch die<br />

mögliche Übertragungsgeschwindigkeit wird immer wichtiger <strong>für</strong> moderne Techniken. Die<br />

den Unternehmen vertraglich zugesicherten Übertragungsraten haben sich in den vergangenen<br />

Jahren sehr stark erweitert, 46 % der Unternehmen verfügen über eine Internetverbindung mit<br />

10 MBit/s oder mehr (DESTATIS 2011b). Die Voraussetzungen, weiterentwickelte Techniken<br />

<strong>für</strong> Information und Kommunikation zu implementieren, sind somit in vielen Unternehmen<br />

gegeben.<br />

Diese weite Verbreitung von <strong>IKT</strong> in Unternehmen und Haushalten spiegelt sich auch in gesamtwirtschaftlichen<br />

Kennzahlen wider. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung<br />

(VGR) hatte die <strong>IKT</strong>-Branche im Jahr 2008 einen Anteil von 4,6 % an der gesamten Produktionsleistung<br />

der Wirtschaft (DESTATIS 2012b). Die Anzahl der Beschäftigten ist von 565<br />

000 im Jahr 2003 auf 643 000 im Jahr 2007 gestiegen, was einem Anstieg von 14 % entspricht.<br />

Dabei ist die Anzahl an Firmen in der Branche zur gleichen Zeit um knapp 29 % gestiegen,<br />

was <strong>für</strong> eine deutliche Diversifizierung spricht, die vermutlich mit einer weiteren<br />

Spezialisierung der Unternehmen verbundenen ist (DESTATIS 2012b).<br />

Diese Leistungswerte mögen <strong>für</strong> sich genommen bereits sehr eindrucksvoll sein. Doch zweifellos<br />

übersteigt die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von <strong>IKT</strong> die direkte Wertschöpfung der<br />

<strong>IKT</strong>-Branche bei weitem (WELFENS 2011: 322). Insbesondere führen fortwährende Innovationen<br />

bei <strong>IKT</strong>-Produkten und Dienstleistungen zu Wachstumseffekten in der gesamten Wirtschaft.<br />

Somit können drei Entwicklungshorizonte ausgemacht werden, die durch <strong>IKT</strong> begründet<br />

werden. Zum ersten ist die direkte Wachstumswirkung, also das Wachstum der Branche<br />

selbst, zu berücksichtigen. Durch den zunehmenden Entwicklungs-, Anpassungs- und Implementierungsbedarf<br />

von Hard- und Software wächst die <strong>IKT</strong>-Branche stetig und trägt somit<br />

zum Wachstum der Gesamtwirtschaft erheblich bei.<br />

Zum zweiten führt die Implementierung von <strong>IKT</strong> in Betriebs-, Kommunikations- und Produktionsabläufe<br />

zu Effizienzsteigerungen und damit zur Generierung von gesamtwirtschaftlichem,<br />

branchenübergreifendem Wachstum. Innerbetriebliche Prozesse werden durch Einsatz<br />

von <strong>IKT</strong> stetig verbessert, von der Bestellung über die Produktion und Lagerung bis hin zu<br />

Auslieferung und Versand. Somit können Aufträge schneller und effizienter erfasst und bearbeitet<br />

sowie Vorgänge des internen Rechnungswesens automatisiert werden, wodurch es dem<br />

jeweiligen Betrieb ermöglicht wird, günstiger zu produzieren. Durch solche mit Hilfe von<br />

<strong>IKT</strong> erzielten Prozessoptimierungen können Güter und Dienstleistungen mit weniger Input<br />

erzeugt werden, sie entfalten also ihre Wirkung auf der Herstellerseite.<br />

Die dritte Wirkungsrichtung entsteht durch die Implementierung von <strong>IKT</strong> in bestehende Produkte<br />

und in bestehende Marktstrukturen. So kann insbesondere der Nutzen herkömmlicher<br />

Produkte durch die Verbindung mit <strong>IKT</strong> gesteigert werden. Ein Beispiel da<strong>für</strong> sind Haustechniken,<br />

wie z.B. Heizungen, Rollläden oder ähnliches, die durch eine Internetverbindung jederzeit<br />

auch extern gesteuert werden können. Gleiches gilt <strong>für</strong> Marktstrukturen: Die Verlage-<br />

2 Inwiefern dies auf eine verstärkte Nutzung des Internets in weiteren Berufen zurückzuführen ist, oder auf eine<br />

Verschiebung der Beschäftigungsverhältnisse hin zu PC- und Netz-affilierten Berufen, kann in diesem Zusammenhang<br />

nicht geklärt werden.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 63<br />

rung herkömmlicher Angebote auf Internet-Plattformen, wie Tauschbörsen, Onlinehandel und<br />

Preisvergleiche erhöht die Markttransparenz und erlaubt ein friktionsärmeres Zusammenspiel<br />

von Angebot und Nachfrage. Diese Wirkung von <strong>IKT</strong> spielt sich demnach auf der Verbraucherseite<br />

ab.<br />

3.2 Die regionale Dimension der <strong>IKT</strong><br />

Die <strong>IKT</strong> sind nicht nur ein wichtiger gesamtwirtschaftlicher Faktor, sondern entfaltet vor allem<br />

auf der regionalen Ebene erhebliche Wirkungen. In diesem Beitrag wird diese regionale<br />

Perspektive durch einen gezielten Blick auf NRW fokussiert. Nordrhein-Westfalen ist im nationalen,<br />

aber durchaus auch im internationalen Vergleich einer der führenden Standorte <strong>für</strong><br />

<strong>IKT</strong>-Unternehmen. Etwa 140 000 Beschäftigte arbeiten in NRW in ca. 15 500 Unternehmen<br />

der Branche. Im Jahr 2007 wurde dabei ein Umsatz von 59 Mrd. Euro erwirtschaftet, der in<br />

den Folgejahren weiter gesteigert wurde (NRW.invest 2009). Neben den vielen kleinen und<br />

mittleren Unternehmen (KMU) der <strong>IKT</strong>, die in NRW beheimatet sind, haben auch die drei<br />

großen Telekommunikationsanbieter (Telekom, Vodafon und E-Plus) ihren Hauptsitz in diesem<br />

Bundesland. Zudem haben elf der 50 größten deutschen IT-Unternehmen ihren Hauptsitz<br />

ebenfalls in NRW (WELFENS 2011).<br />

Aus analytischer Sicht stellt sich zunächst die Frage, welche Vorteile NRW den Unternehmen<br />

aus der <strong>IKT</strong>-Branche in der Vergangenheit bieten konnte, sodass das Land zu diesem wichtigen<br />

nationalen Standort <strong>für</strong> <strong>IKT</strong> werden konnte. Eine mögliche Antwort darauf liefert ein<br />

Blick auf diejenigen Unternehmen, die besonders von Innovationen der <strong>IKT</strong>-Branche profitieren.<br />

Wie schon im vorherigen Abschnitt erörtert, bewirken Wachstum und Innovation im Bereich<br />

der <strong>IKT</strong> in der Konsequenz ein verstärktes Wachstum in vielen anderen Wirtschaftsbranchen.<br />

Die Logistik-, die Maschinenbau-, die Energie-, die Chemie- und Kunststoff- sowie<br />

die Gesundheits-Branche profitieren in besonderem Maße von <strong>IKT</strong> (NRW.invest 2009). All<br />

diese Branchen sind in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft sehr stark vertreten, sodass<br />

Start-up-Unternehmen im Bereich der <strong>IKT</strong> in NRW durch die entsprechend hohe Nachfrage<br />

vergleichsweise große Wachstumspotenziale aufweisen.<br />

Für regionale Anbieter hat die Bildung von digitalen Netzwerken durch die verstärkte Nutzung<br />

von <strong>IKT</strong> eine zweischneidige Wirkung. Leistungen, die weitgehend unabhängig von<br />

räumlicher Nähe sind, können durch gute <strong>IKT</strong>-Anbindung weit entfernter Anbieter erbracht<br />

werden. <strong>IKT</strong> haben somit eine raumerweiternde Wirkung, sodass räumliche Einschränkungen<br />

weitgehend ihre Bedeutung verlieren. Für Unternehmen bedeutet dies also zum einen sowohl<br />

eine Erweiterung des Reservoirs der potenziellen Nachfrager, also eine Verbesserung ihrer<br />

Marktposition. Es ergibt sich zum anderen aber auch eine Verschärfung des Wettbewerbs<br />

durch die steigende Anzahl an Anbietern. Folgt man dieser Argumentation, dann verliert der<br />

Standort eines Unternehmens durch die stärkere Nutzung von <strong>IKT</strong> mehr und mehr an Bedeutung.<br />

Gärtner et al. (2003) kategorisieren die Bedeutung des Raumes am Beispiel von Netzwerken.<br />

Dabei zeigt sich allerdings, dass vollkommen digitale und damit vom Ort ihres Handelns<br />

losgelöste Industrien nur einen Teil der <strong>IKT</strong>-Welt darstellen. Dazu gehören als sehr<br />

prominente Beispiele Verkaufsplattformen wie amazon und ebay.<br />

Viele Netzwerke weisen aber neben der digitalen Komponente auch noch raumbezogene<br />

Elemente auf, <strong>für</strong> welche die räumliche Nähe zu Kunden, Anbietern oder Kooperationspartnern<br />

eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Bedeutung haben. Diese hybriden Netzwerke,


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 64<br />

die sowohl digital als auch physisch bestehen, können vor allem fortwährend stärker spezialisierten,<br />

kleinen Unternehmen Vorteile verschaffen. Da<strong>für</strong> kann eine breite Palette an Beispielen<br />

gefunden werden. So können sich z.B. Fachanwälte zusammenschließen, die <strong>für</strong> ihre<br />

Mandanten eine Expertise zu einem breiten Themenspektrum anbieten können oder Ingenieurbüros,<br />

die hohe Einarbeitungskosten zu speziellen einzelnen Aspekten eines Projekts vermeiden,<br />

indem sie dazu eine Expertise von außen aus einem solchen Netzwerk abrufen. Dabei<br />

läuft die Anbahnung einer solchen Zusammenarbeit über digitale Netze ab, die Umsetzung<br />

wird dann aber meistens in einer realen Zusammenarbeit stattfinden.<br />

Unter diesem Aspekt ist NRW daher nicht zuletzt ein lukrativer Standort <strong>für</strong> eine tiefer greifende<br />

Nutzung von <strong>IKT</strong>-Anwendungen. Denn angesichts des Koordinierungsaufwands ist <strong>für</strong><br />

solche Netzwerke eine gewisse Bevölkerungsdichte notwendig, um die Vorteile aus kooperativem<br />

Handeln nutzen zu können. Sind die entsprechenden Kooperationspartner, in den Beispielen<br />

die Ingenieurbüros oder Anwaltskanzleien, in diesem Sinne räumlich zu weit auseinander<br />

gelegen, so mag der Mehrwert der Zusammenarbeit nicht mehr groß genug sein, um die<br />

aus der Entfernung erwachsenden Kosten aufzuwiegen. Die hoch verdichteten Regionen<br />

Nordrhein-Westfalens bieten gerade hier Vorteile im Gegensatz zu anderen Regionen der<br />

Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang dürfte gerade das Handwerk besondere Vorteile<br />

solcher Kooperationen nutzen können. Denn moderne Handwerksleistungen sind häufig<br />

hochkomplex und setzen Wissen und Fertigkeiten mit verschiedensten Aspekten voraus. Dieser<br />

zentrale Bereich unserer Wirtschaft wir daher im Folgenden besonders beleuchtet.<br />

3.3 Handwerk in der Region<br />

Viele Handwerksleistungen gehören in Deutschland zur infrastrukturellen Grundausstattung<br />

einer jeden Region. Der Bäcker und Fleischer um die Ecke oder der Installateur aus der<br />

Nachbarschaft, der kurzfristig einen Rohrbruch beseitigt, sind hierzulande eine Selbstverständlichkeit.<br />

Nach der jüngsten Erhebung waren im Jahr 2009 in Nordrhein-Westfalen gut<br />

111 000 Handwerksunternehmen mit etwa 1,05 Mio. Beschäftigen tätig, die einen Umsatz<br />

von 99 Mrd. Euro erzielten (it.nrw 2012). Damit gehörten 14 % aller im Unternehmensregister<br />

erfassten Unternehmen zum Handwerk. Zudem waren somit 19 % aller sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten in NRW in einem Handwerksunternehmen angestellt. Das<br />

Handwerk stellt also einen bedeutsamen Teil der gewerblichen mittelständischen Wirtschaft<br />

in Nordrhein-Westfalen dar.<br />

Der Begriff des Handwerks kennzeichnet keine Branche im Sinne der Wirtschaftszweigsystematik<br />

der Statistischen Ämter. Es umfasst vielmehr eine sehr heterogene Gruppe von Unternehmen,<br />

welche durch die Eintragung in die Handwerksrolle formal-juristisch definiert<br />

wird. Für eine Auseinandersetzung über die wirtschafts- und regionalpolitische Bedeutung<br />

des Handwerks ist die Legaldefinition jedoch ungeeignet. Vielmehr wird zu diesem Zweck<br />

eine wissenschaftlich anerkannte Abgrenzung nach ökonomischen Kriterien benötigt. Doch<br />

solch eine Definition, die der Vielschichtigkeit des Handwerkssektors gerecht wird und eine<br />

trennscharfe Abgrenzung gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen (z.B. zur mittelständischen<br />

Industrie) erlaubt, liegt leider nicht vor.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 65<br />

Allerdings gibt es Merkmale, mit denen man sich einem ökonomischen Handwerksbegriff<br />

annähern kann. So ist das Handwerk überwiegend kleinbetrieblich strukturiert 3 und weist<br />

damit Besonderheiten in der Produktion und Organisation auf. Hierzu zählen die häufig anzutreffende<br />

personelle Einheit von Eigentümer und Unternehmensleiter, seine unmittelbare<br />

Teilnahme am Betriebsgeschehen, die fehlende Trennung von Management- und Produktionsbereich<br />

und ein geringer Grad der Arbeitsteilung. Aus diesem Grund spricht man auch von<br />

„personalem Wirtschaften“ im Handwerk (WERNET 1965: 73), bei dem es stark auf persönlich<br />

geprägte Beziehungen zu Personal, Lieferanten und Kunden ankommt. Weiterhin sind<br />

Handwerksbetriebe im Durchschnitt wenig kapitalintensiv, da<strong>für</strong> aber eher arbeits- und humankapitalintensiv<br />

(RUDOLPH 1997: 74).<br />

Ein Großteil des Tätigkeitsfeldes handwerklicher Angebote besteht aus Individualleistungen<br />

mit Überschneidungen zum Dienstleistungsbereich und zum Verarbeitenden Gewerbe. Das<br />

Handwerk gliedert sich dabei typischerweise komplementär in die jeweiligen Wertschöpfungsketten<br />

eines Marktsegments ein. Dies gilt z.B. <strong>für</strong> den Vertrieb und den After-Sales-<br />

Service bei industriellen Produkten, <strong>für</strong> Einzel- und Kleinauflagen bei massenuntauglichen<br />

Produkten sowie <strong>für</strong> Aufgaben des Wartens, Pflegens, Überwachens oder Reparierens (Friseurhandwerk,<br />

Gesundheitshandwerke), die eine Nähe zum Kunden erfordern. Handwerksbetriebe<br />

erfüllen gegenüber privaten Haushalten sowie gewerblichen und öffentlichen Auftraggebern<br />

eine Versorgungsfunktion, im produzierenden Bereich sind sie häufig Bindeglied zu<br />

Industrieunternehmen (Zulieferer). Diese Tätigkeiten sind im hohen Maße variabel und erfordern<br />

meistens den direkten Kontakt zum Auftraggeber bzw. die Problemanalyse vor Ort.<br />

Unternehmen des Handwerks leisten mit ihrer stark regional ausgerichteten Absatz- und Bezugsverflechtungen<br />

zudem häufig einen Beitrag zur regionalen Wirtschaftsentwicklung (RU-<br />

DOLPH 1997: 82). In dieser Funktion wirkt das Handwerk sowohl stabilisierend als auch<br />

durch die Einbindung in regionale Innovationsprozesse dynamisierend. Hier berät, installiert,<br />

wartet und verkauft das Handwerk technische Neuerungen und sorgt somit <strong>für</strong> eine Diffusion<br />

des technischen Fortschritts. Diese Zusammenhänge werden in Abbildung 29 verdeutlicht.<br />

Empirisch zeigt sich diese enge regionale Bindung daran, dass der Absatzradius in der Regel<br />

unter 50 km liegt. Nur 3,5 % des handwerklichen Umsatzes wird im Ausland erwirtschaftet<br />

und lediglich 7,2 % der Handwerksbetriebe sind im Ausland tätig (MÜLLER 2008).<br />

Abbildung 17: Regionalwirtschaftliche Ziele und der mögliche Beitrag von<br />

Handwerksunternehmen<br />

Beitrag des Handwerks zum/r regionalen...<br />

Wachstum Ausgleich Stabilisierung<br />

Ausbildung und Qualifizierung von<br />

Arbeitskräften (Humankapitalbildung)<br />

Herausbildung von Unternehmerpersönlichkeiten<br />

durch Vielfalt in Beschäftigung<br />

und Ausbildung<br />

Allgemeine Versorgungsfunktion und<br />

Sicherung der Lebensqualität in ländlichen<br />

Regionen<br />

Hoher Humankapital- und niedriger<br />

Finanzkapitalbedarf<br />

neuer Beschäftigung<br />

zur Schaffung<br />

Aufbau regionaler Beschäftigung<br />

durch Gründungen und Wachstum<br />

junger Unternehmen<br />

Vergleichsweise verhaltene Arbeitskraftfreisetzung<br />

in rezessiven Phasen<br />

3<br />

Ende 2009 waren in NRW durchschnittlich neun Personen je Handwerksunternehmen tätig. Immerhin 58 % der<br />

Unternehmen hatten lediglich bis zu 5 Beschäftigte.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 66<br />

Stärkere Nutzung regionaler Ressour-<br />

cen (Arbeitskräfte, Rohstoffe, Betriebs-<br />

stoffe) statt Importe<br />

Positiver Umwelteffekt durch innerregionale<br />

und kurze Wirtschaftskreisläufe<br />

Überwiegend regionale Gewinnverwendung<br />

Individualisierte Anpassung standardisierter<br />

Produkte, Prozesse und Technologien<br />

Beitrag zu Innovationen und kreativen<br />

Lösungen als Entwicklungspartner<br />

mit spezifischem Know-how<br />

Einkommensentstehung in peripheren<br />

Regionen<br />

Regionale Besetzung von ungenutzten<br />

Marktnischen<br />

Diversifikation der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />

aufgrund heterogener<br />

Branchenstruktur<br />

Effektive Nutzung von Innovationen<br />

bis zum Ende des Produktzyklus.<br />

Abschwächung negativer Auswirkungen<br />

funktionsräumlicher Arbeitsteilung<br />

in der Peripherie<br />

Räumliche Verbreitung neuer Technologien<br />

(Diffusion durch Verkauf und<br />

Installation).<br />

Quelle: In Anlehnung an RUDOLPH 1997: 126/127 mit eigenen Abänderungen und Ergänzungen.<br />

Trotz der zweifellos vorhandenen Marktzutrittsbarrieren in den zulassungspflichtigen Handwerken<br />

herrscht auf den jeweiligen Märkten intensiver Wettbewerb (RWI 2012). Dabei stehen<br />

Handwerksunternehmen immer stärker in Konkurrenz zur flexibler gewordenen industriellen<br />

Produktion, die ihre günstigeren Produkte vermehrt auch variantenreicher herstellt<br />

(Mass customization). Hiervon sind einige Marktbereiche berührt, die vormals überwiegend<br />

dem Handwerk vorbehalten waren. Nicht zuletzt sind die Konsumenten heutzutage eher bereit,<br />

ein Neuprodukt zu erwerben, als es durch ein Handwerksunternehmen reparieren zu lassen<br />

(z.B. Radio- und Fernsehtechnik, Haushaltsgeräte etc.).<br />

Darüber hinaus hat der technische Fortschritt in vielen Bereichen dazu geführt, dass einige<br />

handwerkliche Leistungen auch ohne entsprechende Ausbildung erbracht werden können 4 .<br />

Durch die fortwährende Technisierung stehen Handwerksunternehmen unter zunehmenden<br />

Wettbewerbsdruck, der sie zu Produktivitätssteigerungen zwingt. Handwerksunternehmen<br />

müssen also ebenfalls in zunehmenden Umfang Technik einsetzen, die zunächst einmal wenig<br />

mit dem ursprünglichen Erscheinungsbild des Handwerks zu tun hat (DÜRIG 2011). Dieses<br />

Erfordernis geht häufig mit dem Einsatz von <strong>IKT</strong> einher, wodurch sich möglicherweise auch<br />

die Rolle ändert, die das Handwerk in der Region spielt. Es stellt sich somit die Frage, wie das<br />

Handwerk mit dieser Herausforderung umgeht und ob es von diesem Trend in der Quintessenz<br />

eher Nachteile oder Vorteile zu erwarten hat.<br />

4 Heimwerker informieren sich im Internet darüber, wie Handwerksleistungen in Eigenarbeit durchgeführt werden<br />

können. Hier gibt es ausführliche Anleitungen und Videos, die Schritt <strong>für</strong> Schritt die erforderlichen Arbeitsschritte<br />

veranschaulichen.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 67<br />

3.4 Handwerk als Anbieter und Nutzer von <strong>IKT</strong><br />

3.4.1. <strong>IKT</strong>-Leistungsangebote des Handwerks<br />

Das Handwerk ist nicht nur Nutzer, sondern – insbesondere das Informationstechnikerhandwerk<br />

– auch Anbieter von <strong>IKT</strong>. So gab es im Jahr 2009 mehr als 7 000 Handwerksunternehmen<br />

in NRW, die als Informationselektroniker im Unternehmensregister erfasst wurden. Sie<br />

beschäftigten über 46 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und erzielten einen Umsatz<br />

von 5,9 Mrd. Euro. Mit der Schaffung dieses neuen handwerklichen Berufsbildes im Jahre<br />

1998 wollte man zum einen den sich herausbildenden Markt <strong>für</strong> Computertechnik ordnen<br />

(Schaffung eines Ausbildungsberufes, Einbindung von „Freelancern“ und „wilden“ Werkstätten)<br />

und zum anderen dem Handwerk den Zugang zu einem Wachstumsmarkt ermöglichen. 5<br />

Dies ist nur begrenzt gelungen. Aufgrund der historischen Wurzeln dieses Berufes sind die<br />

Betriebe teilweise immer noch stark in ihren früheren Berufsbereichen (Radio- und Fernsehtechnik<br />

oder Bürotechnik) tätig. Nach wie vor gibt es auf diesem dynamischen Markt, der<br />

durch hohe Fluktuation und raschen technischen Wandel gekennzeichnet ist, eine Vielzahl<br />

von nicht-handwerklichen Betrieben, die <strong>IKT</strong>-Dienstleistungen anbieten.<br />

Mit der Einrichtung von IK-Technik sind weitere handwerkliche Berufe (indirekt) befasst:<br />

• So haben sich einige Elektrotechniker auf <strong>IKT</strong>-Angebote spezialisiert, obwohl sie insgesamt<br />

in diesem Segment nur einen kleinen Teil ihres Umsatzes erzielen.<br />

• Im handwerksähnlichen Gewerbe sind zudem die Betonbohrer und -schneider sowie<br />

die Kabelverleger im <strong>IKT</strong>-Bereich tätig (Verkabelung, Einrichten von Netzwerken).<br />

• Auch die Fernmeldeanlagenelektroniker sind dem <strong>IKT</strong>-nahen Handwerk zuzurechnen.<br />

�<br />

Insgesamt ist das Handwerk zwar als Anbieter von <strong>IKT</strong>-Leistungen präsent, jedoch ist es<br />

Handwerksunternehmen nicht gelungen, in diesem Markt eine wirklich starke Position zu<br />

erlangen. <strong>IKT</strong> sind eine Querschnittstechnologie, deren Anwendung sich nicht auf eine Branche<br />

oder eine Produktionsart beschränkt, sondern die alle Bereiche der Gesellschaft und der<br />

Wirtschaft durchdringt. Entsprechend heterogen ist dieser Markt und entsprechend vielfältig<br />

und spezialisiert die Anbieter. Die charakteristischen Merkmale des Marktes (hoher Individualisierungsgrad,<br />

selbstorganisierende und temporäre Gruppenbildung, kreative Arbeit ohne<br />

Beschränkung durch fest organisierte Strukturen) sind zudem nur bedingt mit dem traditionellen,<br />

konturierenden Milieu des Handwerks zu vereinbaren. Gleichwohl bietet sich <strong>für</strong> Handwerksunternehmen<br />

nicht zuletzt wegen der umfassenden und fundierten Qualifikation ihrer<br />

Beschäftigten ein breites Betätigungsfeld, insbesondere bei der Einrichtung von Netzwerken<br />

und bei der Reparatur. In diesen fundamentalen Funktionsbereichen von <strong>IKT</strong> können Handwerksbetriebe<br />

ihre Vorteile der Fachkompetenz und Kundennähe nutzen.<br />

�<br />

�Für die selbständige Ausübung dieses Berufes im Bereich EDV-Service oder EDV-Wartung ist der Meisterbrief<br />

erforderlich.�<br />

�<br />

�Die Ausbildungsordnung <strong>für</strong> Fernmeldeanlagenelektroniker/innen wurde am 01. August 2003 außer Kraft<br />

gesetzt. Der Beruf ging in dem Nachfolgeberuf Elektroniker auf.�


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 68<br />

3.4.2. Innerbetrieblicher Einsatz von <strong>IKT</strong> im Handwerk<br />

Bei der Anwendung von <strong>IKT</strong> im Handwerk ist zwischen der internen und externen Nutzung<br />

zu unterscheiden (Abbildung 30) 7 . Intern haben inzwischen Softwareprogramme eine große<br />

Bedeutung erlangt, die in allen betrieblichen Funktionsbereichen wie Leitungsfunktion, Beschaffungsfunktion,<br />

Fertigungsfunktion, Vertriebsfunktion, Personalfunktion und Finanzierungsfunktion<br />

eingesetzt werden können. Die Vorteile sind hier leicht erkennbar: Zeitgewinn<br />

und jederzeit verfügbare Informationen über das Betriebsgeschehen. Dies ist insbesondere in<br />

kleinen und mittleren Unternehmen bedeutsam, weil hierdurch eine deutliche Entlastung <strong>für</strong><br />

den Betriebsleiter oder Inhaber erreicht werden kann. Zwischenzeitlich haben sich zahlreiche<br />

Softwareanbieter etabliert, die speziell auf einzelne Handwerkszweige und Unternehmen zugeschnittene<br />

Programme <strong>für</strong> alle innerbetrieblichen Anwendungsbereiche entwickelt haben.<br />

<strong>IKT</strong> haben dazu beigetragen, dass sich bereits in vielen Handwerksbetrieben die innerbetrieblichen<br />

Prozesse verändert haben. Einige Beispiele können das verdeutlichen. Im Baugewerbe<br />

kommt es darauf an, dass unterschiedliche Gewerke während eines längeren Bauerstellungsprozesses<br />

möglichst friktionslos zusammenwirken. Bei der Abstimmung zwischen den Bauhandwerkern,<br />

der rechtzeitigen Bereitstellung von Baumaterialien sowie der fortlaufenden<br />

Baufortschrittskontrolle konnten mit Hilfe der <strong>IKT</strong> deutliche Verbesserungen umgesetzt werden<br />

(RKW 2011). Bei den Heizungstechnikern hat sich in den vergangenen Jahren durch die<br />

Entwicklung energiesparsamer und emissionsarmer Heizanlagen ein beachtlicher technischer<br />

Wandel vollzogen. Bei der Wartung und Installation dieser Anlagen ist häufig der Kontakt<br />

zwischen Handwerker und Kesselbauer erforderlich. Auch hier kommen <strong>IKT</strong> zum Einsatz<br />

(ENTZIAN/BLOCHMANN 2012).<br />

7 Dabei sind die Übergänge durch die Vernetzung interner und externer <strong>IKT</strong> inzwischen häufig fließend, sodass<br />

eine Trennung nicht exakt vorgenommen werden kann.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 69<br />

Abbildung 18: <strong>IKT</strong> und Handwerk<br />

Handwerk als Anbieter<br />

von <strong>IKT</strong> - Leistungen<br />

Computerverkauf und<br />

-reparatur<br />

Handwerk als Nutzer von <strong>IKT</strong><br />

Intern Extern<br />

Betriebsmittel Kommunikationsmittel<br />

Produktion, Entwicklung,Gestaltung<br />

�<br />

Lieferanten Kunden<br />

Passiv<br />

Werbung im<br />

Internet; Firmenpräsentation,<br />

Webseite<br />

Webdesign Personalwesen Bestellwesen Newsletter<br />

Softwareanpassungen Rechnungswesen,<br />

Buchhaltung<br />

Netzwerkeinrichtungen<br />

Verkabelung Beschaffung,<br />

Lagerhaltung<br />

….. Steuerung von<br />

Filialen<br />

� Dokumentation/<br />

Qualitätssicherung<br />

Übermittlung von Spezifikationen,<br />

Daten<br />

Interaktiv<br />

Logistik ICT basierte Kooperationen Auktionen, Versteigerungen<br />

(Myhammer)<br />

Fallbezogen Verkauf über<br />

Internet, B2B,<br />

B2C<br />

Dauerhaft Öffentliche Auftraggeber<br />

Elektronische<br />

Auftragsvergabe<br />

Unternehmensübergreifender<br />

Austausch<br />

� Internet-Banking Beteiligung an Chats<br />

zu fachlichen Themen (z.B.<br />

neue Normen, neue technische<br />

Regeln)<br />

� Präsentation,<br />

Außendarstellung<br />

� Korrespondenz …..<br />

� Informationsbeschaffung<br />

soziale Netzwerke, Werbegemeinschaften<br />

Gewerbliche<br />

Kunden<br />

Entwicklungspartnerschaften<br />

z.B. handwerklicher<br />

Zulieferer<br />

>< Industrie<br />

….<br />


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 70<br />

Die kleinbetrieblichen Strukturen und die regionale Verankerung des Handwerks legen kooperative<br />

Aktivitäten nahe. Sie dienen ebenfalls der Optimierung der betrieblichen Prozesse<br />

und damit der Produktivitätssteigerung sowie der Verbesserung der Unternehmen-<br />

Lieferanten-Beziehung. Zu unterscheiden sind<br />

• Zwischenbetriebliche Kooperationen zwischen Handwerksbetrieben desselben Gewerks:<br />

So sind z.B. im Reparaturhandwerk Einkaufsgemeinschaften entstanden, deren<br />

Mitglieder die Lagerhaltungskosten <strong>für</strong> Ersatzteile dadurch senken, dass sie sich jeweils<br />

auf bestimmte Marken spezialisieren und gegebenenfalls erforderliche Teile untereinander<br />

austauschen. Auch dies erfolgt <strong>IKT</strong>-gestützt.<br />

• Kooperationen zwischen Handwerksbetrieben unterschiedlicher Gewerke (z.B. im<br />

Baugewerbe): Zu nennen sind hier projektbezogene Arbeits- und Bietergemeinschaften,<br />

die sich um Aufträge bewerben, die sie alleine nicht bewältigen können. Auch<br />

hier hilft die <strong>IKT</strong>, um schnell entsprechende Angebote zu konzipieren. Diese Kooperationen<br />

gewinnen allein schon deshalb an Bedeutung, weil z.B. öffentliche Auftraggeber<br />

zunehmend die Auftragsvergabe elektronisch vornehmen.<br />

• Industrie-Handwerk Kooperationen: Im handwerklichen Zulieferwesen sind es überwiegend<br />

die meist mächtigen Kunden aus der Industrie, die von den Unternehmen verlangen,<br />

die Kommunikation auf elektronischem Wege durchzuführen. Dies gilt insbesondere<br />

dort, wo "just-in-time"-Belieferungen gefordert sind.<br />

• FuE-Kooperationen: Innovationsprozesse sind heute vielfach in Form der Zusammenarbeit<br />

verschiedener Beteiligter ausgestaltet, beispielsweise von Forschungseinrichtungen,<br />

großen Industrieunternehmen, Designerbüros und nicht zuletzt auch Handwerksbetrieben.<br />

Diese Entwicklungsgemeinschaften können heutzutage nur dann erfolgreich<br />

arbeiten, wenn sie einen ständigen Daten- und Informationsaustausch pflegen.<br />

Diese Liste der Beispiele <strong>für</strong> die Nutzung von <strong>IKT</strong> in Handwerksbetrieben ließe sich<br />

problemlos fortführen. Gleichwohl ist hierbei immer auch zu bedenken, dass die Anwendung<br />

moderner Techniken im Handwerk nicht gleichverteilt ist. Nicht jeder<br />

Handwerksbetrieb ist bereit oder in der Lage, aktuellen Trends der Technik zu folgen.<br />

3.4.3. Marktbezogene Bedeutung von <strong>IKT</strong> im Handwerk<br />

<strong>IKT</strong> verändern Marktbeziehungen, insbesondere im Hinblick auf die Kommunikation von<br />

Unternehmen mit ihrer Umwelt (z.B. Kunden, Lieferanten, Behörden). Viele Kommentatoren<br />

des Geschehens sehen dabei in erster Linie Vorteile in der Anwendung von <strong>IKT</strong> durch kleine<br />

und mittlere Unternehmen. Im Vordergrund steht hierbei das Argument, dass KMU durch<br />

<strong>IKT</strong> in die Lage versetzt werden, ihre Absatzradien zu vergrößern. Dies geschieht dadurch,<br />

dass sie auf Webseiten ihre Leistungsprofile darstellen und einem größeren Publikum zugänglich<br />

machen können, als es durch direkten Kontakt in ihrem angestammten regionalen Umfeld<br />

möglich wäre. Diesen Vorteil genießen somit in besonderem Maße auch die Unternehmen des<br />

Handwerks.<br />

Doch wie unter dem Gesichtspunkt der raumerweiternden Wirkung in Abschnitt 2 bereits<br />

dargestellt wurde, führt dies auf der anderen Seite zu überregionalem Wettbewerb und letztlich<br />

dem Wegfall gewisser geschützter Märkte (BARTHEL 2005: 73). Die Transparenz der<br />

Märkte hat sich erhöht, die Verbraucher sind über Vergleichsangebote besser informiert und


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 71<br />

setzen dieses Wissen in den Preisverhandlungen mit dem örtlichen Handwerker tendenziell<br />

stärker ein. Viele Fachgeschäfte und Handwerksunternehmen beklagen zudem, dass Kunden<br />

ihre Beratung in Anspruch nehmen, sich Angebote erstellen lassen und anschließend dann<br />

doch den Kauf über das Internet tätigen.<br />

Das Internet verändert somit die Marktbeziehungen zwischen Kunden und Handwerksunternehmen<br />

in vielschichtiger Art und Weise. Im Handwerk betrifft dies insbesondere den wichtigen<br />

Bereich der Auftragsakquise. Das Werben und Bemühen um Kunden ist aufwändig und<br />

angesichts der begrenzten Ressourcen <strong>für</strong> Handwerksbetriebe eine Herausforderung. Hier<br />

bieten sich ebenfalls <strong>IKT</strong>-gestützte Hilfen an, die in neuen Formen der zwischenbetrieblichen<br />

Kooperation ihren Ausdruck finden. Folgende Beispiele von Kooperationen mit nichthandwerklichen<br />

Unternehmen sollen das verdeutlichen:<br />

• Für viele Handwerksunternehmen ist es vorteilhaft, dauerhaft <strong>für</strong> bekannte Kunden zu<br />

arbeiten, wie es umgekehrt Auftraggeber schätzen, mit Handwerksunternehmen zusammenzuarbeiten,<br />

die sie kennen. Im Bauhandwerk sind es vor allem Wohnungsbaugesellschaften<br />

und Generalunternehmer, die <strong>IKT</strong>-gestützt Aufträge an gelistete Handwerker<br />

vergeben, die als Gegenleistung <strong>für</strong> die regelmäßig Beauftragung rund um die<br />

Uhr erreichbar sind (Hausmeisterdienste) und diese Kunden entsprechend zügig und<br />

bevorzugt bedienen.<br />

• In den vergangenen Jahren haben vor allem Handelsbetriebe (z.B. Baumärkte) die<br />

Chance erkannt, durch Vermittlung von Handwerksleistungen ihren Kunden einen zusätzlichen<br />

Service anzubieten. Auch hier erfolgen die Kontakt- und Auftragsvermittlung<br />

und die Geschäftsanbahnung zumeist auf elektronischem Wege, nicht selten auf<br />

Provisionsbasis.<br />

Nachteil solcher Kooperationen kann die Abhängigkeit vom „Auftragsvermittler“ sein, durch<br />

die der Wettbewerbsvorteil des direkten Kundenkontaktes beeinträchtigt wird.<br />

Eine Stufe über das Bereitstellen von Information hinaus reicht die Möglichkeit <strong>für</strong> KMU,<br />

Online-Geschäfte abzuwickeln, also mit Produkten zu handeln oder Aufträge entgegenzunehmen.<br />

Zahlreiche Untersuchungen befassen sich mit der Frage, welche Produkte sich <strong>für</strong><br />

den Internethandel eignen (WINKLER 2010). Ein wichtiges Merkmal ist offenbar Homogenität<br />

und Vergleichbarkeit. Produkte, die sich exakt beschreiben lassen und somit dem Kunden<br />

einen Eindruck von Qualität und Eigenschaften vermitteln, gehören zu den am häufigsten<br />

online verkauften Waren. In diesen Segmenten gelingt es auch dem Handwerk, seine traditionellen<br />

Marktgrenzen zu verlassen und den Absatzradius zu erweitern.<br />

Noch einen Schritt weiter sind solche Handwerksunternehmen, welche die Möglichkeiten der<br />

wechselseitigen Kommunikation nutzen, die über das ausschließliche Bereitstellen von Informationen<br />

hinausgeht (Interaktivität, Web 2.0). Hierdurch sind Rückkoppelungsprozesse<br />

zwischen (potenziellen) Kunden und Handwerksunternehmen möglich, die insbesondere bei<br />

individualisierten Bedarfen vorteilhaft sind. In einer Untersuchung des RWI wird die Vermittlung<br />

von Aufträgen über Internet-Auktionsplattformen mithilfe der Daten eines Jahres der<br />

Internetplattform Myhammer.de analysiert (RWI 2012). 8 Die wichtigsten Befunde hierzu sollen<br />

nachstehend dargestellt werden.<br />

�<br />

�Analysiert wurde der Datensatz <strong>für</strong> den Zeitraum 01. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 (RWI 2012, PEISTRUP<br />

et al. (2012: 78ff).�


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 72<br />

3.4.4. Auktionsplattplattformen und ihre mögliche Bedeutung <strong>für</strong> das Handwerk<br />

Seit dem Jahr 2005 besteht – neben anderen Anbietern – die Internetplattform „myhammer.de“.<br />

Auf der Webseite werden Wünsche nach Dienstleistungen aller Art von privaten<br />

Haushalten oder Unternehmen online publiziert. Hierauf können sich Anbieter bewerben und<br />

über die Internetseite Kontakt zu dem (potenziellen) Kunden aufnehmen. Eine erfolgreiche<br />

Kontaktaufnahme ist unter anderem davon abhängig, wie präzise der Auftraggeber seine Leistungswünsche<br />

beschreibt. Der Anbieter bewirbt sich um den Auftrag, in dem er hier<strong>für</strong> einen<br />

Preis aufruft. Findet dieses Angebot bei dem Inserenten Interesse, dann kann er über die Internetseite<br />

nähere Angaben über den Anbieter erlangen (Leistungsfähigkeit, Qualifikation,<br />

Zulassungen, Empfehlungen etc.).<br />

Einem Vertragsabschluss gehen in der Regel mehr oder minder umfangreiche Rückkoppelungen<br />

voraus, in denen die konkreten Bedingungen ausgehandelt werden. Kommt es zur Einigung,<br />

dann erfolgt der Vertragsabschluss ebenfalls online über die Internetseite. Nach Abschluss<br />

der Arbeiten haben die Kunden die Möglichkeit, die Dienstleister zu bewerten. In dem<br />

Spektrum der nachgefragten Dienstleistungen spielen Handwerksleistungen eine nicht unbedeutende<br />

Rolle. In einer Untersuchung des RWI (2012) wurden räumliche Verteilungs- und<br />

Beziehungsmuster der Auktionen anhand der Postleitzahlen untersucht. Hierbei interessierte<br />

insbesondere, ob Auktionsplattformen grundsätzlich geeignet sind, die Austauschprozesse<br />

zwischen Anbietern und Nachfragern aus urbanen oder ländlichen Räumen zu verändern. Außerdem<br />

wurde der Frage nachgegangen, welche Faktoren über die Auftragsvergabe entscheiden<br />

(z.B. Preis oder Profildarstellung des Anbieters). Zusätzlich wurde der Aspekt beleuchtet,<br />

welche betriebstypischen Merkmale Handwerksbetriebe aufweisen, die sich an derartigen<br />

Auktionsverfahren beteiligen.<br />

Die Auswertung der Daten der Auktionsplattform „myhammer.de“ hat unter anderem ergeben,<br />

dass die Durchschnittsentfernung zwischen dem Standort des Auftraggebers und des<br />

Auftragnehmers mit 105 km deutlich über dem gewöhnlich bei Handwerksbetrieben festzustellenden<br />

Absatzradius von 50 km liegt. Von der Auftragsvermittlung über das Internet haben<br />

Handwerksunternehmen aus ländlichen Räumen in besonderem Maße profitiert und Kunden<br />

in den städtischen Regionen erfolgreich ansprechen können. Außerdem konnte festgestellt<br />

werden, dass Anbieter mit dem Nachweis einer qualifizierten Handwerksausbildung<br />

(Meister oder Geselle) höhere Chancen haben, Aufträge zu akquirieren als andere Anbieter.<br />

Dies gilt insbesondere bei höherwertigen Aufträgen ab 1 000 Euro. Von allen erfassten<br />

Handwerksaufträgen wurden 38 % an Meisterbetriebe, 33 % an Gesellenbetriebe und 29 % an<br />

andere Anbieter vergeben. Hieraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Auftragsvergabe<br />

über das Internet nicht ausschließlich vom niedrigen Preis, sondern in starkem<br />

Maße auch von der dargestellten Qualifikation der Anbieter abhängt (RWI 2012; Preistrup<br />

et al. 2012: 81ff). Internetplattformen schaffen somit nicht nur eine größere Transparenz des<br />

Angebots, sondern sie ermöglichen Handwerksbetrieben mit wenig begünstigen Standorten<br />

zusätzliche Wachstumschancen.<br />

3.4.5. Adoption von <strong>IKT</strong> in Handwerksbetrieben<br />

Die interne Nutzung von <strong>IKT</strong> weist in den Handwerksunternehmen große Spannweiten auf.<br />

Eine grundlegende Computerausstattung ist allerdings inzwischen Standard. Eine aktuelle<br />

Untersuchung kommt jedoch zudem Schluss, dass die Adoptionsrate der Internetnutzung bei


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 73<br />

KMU unterhalb derer von privaten Haushalten liegt (ZOCH 2012, zum Vergleich auch: DE-<br />

STATIS 2011b, 2012b). Nach den Befunden dieser Studie haben lediglich 57 % der befragten<br />

Handwerksbetriebe einen Internetauftritt. Nur durchschnittlich 12 % würden primäre Aktivitäten<br />

der Wertschöpfung mithilfe der neuen Medien unterstützen. Bei 40 % der Handwerksunternehmen<br />

waren gängige Softwareangebote nicht einmal bekannt. Die Untersuchung<br />

kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass viele bestehende Potenziale nicht genutzt werden.<br />

Der Grad der Nutzung und des aktiven Einsatzes von <strong>IKT</strong> im Handwerk hängt demnach von<br />

folgenden Faktoren ab (ZOCH 2012: 30ff):<br />

• Alter des Betriebsinhabers/ Altersstruktur: Mit steigendem Alter werden die Vorteile<br />

der <strong>IKT</strong> weniger stark wahrgenommen,<br />

• Geschlecht des Betriebsinhabers/ Geschlechtsstruktur: Frauen nutzen <strong>IKT</strong> tendenziell<br />

eher weniger stark als Männer,<br />

• Schul- und Berufsbildung: Komplexere <strong>IKT</strong> werden eher von Personen mit höherer<br />

Bildung genutzt,<br />

• Innovationsausrichtung und Risikobereitschaft: Mit steigender Abneigung gegen betriebliche<br />

Innovationen steigt die <strong>IKT</strong>-Ablehnung,<br />

• Grundsätzliche Einstellung gegenüber Informationstechnologien: Ablehnende Grundhaltung<br />

gegenüber Innovationen verstärkt auch die Ablehnung der <strong>IKT</strong>-Nutzung.<br />

Diese Befunde zeigen, dass einzelne best-practice Beispiele dazu beitragen können, ein unrealistisches<br />

Bild der <strong>IKT</strong>-Nutzung im Handwerk zu vermitteln. Tatsächlich ist das Spektrum der<br />

Anwendungsmöglichkeiten von <strong>IKT</strong> im Handwerk groß. Doch auch wenn Vorteile auf der<br />

Hand zu liegen scheinen, bedeutet dies nicht, dass sie auch unmittelbar von den Handwerksunternehmen<br />

genutzt werden.<br />

Der typische Diffusionsprozess lässt sich wie folgt skizzieren: Anfänglich werden neue Technologien<br />

in Unternehmen vor allem zur Verbesserung bestehender Prozesse verwendet. Nach<br />

und nach werden die Eigenschaften der Technologie verstanden und es werden neue Prozesse<br />

oder Produkte geschaffen, die sich der Vorteile der neuen Querschnittstechnologie bedienen.<br />

Dieser Prozess von der Wahrnehmung einer Innovation, über die Akzeptanz der Vorteile bis<br />

hin zur Entscheidung und Umsetzung der Einführung braucht insbesondere in KMU Zeit.<br />

Denn wenngleich die Preise <strong>für</strong> IK-Technik deutlich gesunken sind, so handelt es sich doch<br />

um eine Investition, die in Kleinbestrieben einen bedeutsamen Umfang annehmen können.<br />

Risiken erwachsen darüber hinaus durch kurze Lebenszyklen der IK-Technik. Zudem sind<br />

möglicherweise eingeübte innerbetriebliche Prozesse zu verändern. Insbesondere wenn es<br />

sich um interaktive Internetnutzungen handelt, erfordert die Nutzung von <strong>IKT</strong> eine intensive<br />

Betreuung. Somit geht es nicht nur um die Frage, ob <strong>IKT</strong> eingesetzt werden sollen oder nicht,<br />

sondern auch darum, welche Konsequenzen damit <strong>für</strong> das Unternehmen insgesamt verbunden<br />

sind. In diesem Zusammenhang spielt freilich auch die strategische Ausrichtung eine Rolle<br />

(EGGS/ENGLERT/SCHODER o.J): Ein Handwerksunternehmen, das sich gegenüber seinen<br />

Kunden vor allem als traditionelles und solides Handwerk präsentiert, wird bei der Einführung<br />

von moderner Technik eher zögern. Andere Unternehmen, die auf Modernität setzen,<br />

werden hingegen schneller bereit sein, neue Medien einzusetzen.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 74<br />

3.5 Handwerk: <strong>IKT</strong>-Nachzügler oder regionaler Modernisierungstreiber?<br />

Der immer weiter fortschreitende Einzug von <strong>IKT</strong> in industrielle Prozesse wirkt zweifelsfrei<br />

als Modernisierungstreiber <strong>für</strong> das Handwerk. Dabei kann auf der einen Seite ein gewisser<br />

Modernisierungszwang festgestellt werden: Handwerksunternehmen müssen eine Technisierung<br />

ihrer Arbeit annehmen, um mit industriellen Weiterentwicklungen Schritt halten zu können.<br />

Auf der anderen Seite besteht aber auch die Chance, mit Hilfe einer proaktiven Modernisierung<br />

selbst neue Entwicklungen anzuregen. Die aufgeführten Beispiele kooperativer zwischenbetrieblicher<br />

Zusammenarbeit zeigen, wie handwerkliche Betriebe zu Effizienzsteigerungen<br />

gelangen können. Und die <strong>Analyse</strong> der myhammer.de-Daten demonstriert, wie handwerkliche<br />

Betriebe ihre Absatzpotenziale dank <strong>IKT</strong> besser ausschöpfen können.<br />

Doch gleichzeitig sind die Herausforderungen zu beachten, mit denen das Handwerk durch<br />

die Eigenschaften der <strong>IKT</strong> konfrontiert wird. Die Sorge, dass sich Billiganbieter ohne handwerkliche<br />

Ausbildung in Online-Portalen wie myhammer.de durchsetzen und die Qualifikation<br />

der Handwerksausbildung preislich keinen Wert hat, konnte in der bisherigen <strong>Analyse</strong> der<br />

Daten zwar nicht bestätigt werden. Doch ob die höhere Vergütung <strong>für</strong> die mit einer handwerklichen<br />

Ausbildung einhergehende Kompetenz weiterhin Bestand haben wird, kann noch<br />

nicht abschließend erörtert werden. Wesentlich konkreter ist das Problem des Handwerks, mit<br />

den Statuten und Ordnungen des Handwerks nicht flexibel genug sein zu können, um mit den<br />

sich schnell entwickelnden Anforderungen des <strong>IKT</strong>-Sektors mithalten zu können. Das Handwerk<br />

kann oftmals nicht schnell genug mit anerkannten Ausbildungen auf die Anforderungen<br />

moderner Technik reagieren. Breite Teile des <strong>IKT</strong>-Sektors gehen gar an handwerklichen Ausbildungen<br />

vorbei.<br />

Dem Handwerk als einem wichtigen Bestandteil der regionalen Wirtschaft die Möglichkeiten<br />

zu geben, seine Modernisierung in Bezug auf <strong>IKT</strong> voranzutreiben, ist durchaus ein sinnvolles<br />

Ziel strukturpolitischer Maßnahmen. Das Bundesministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Technologie<br />

(BMWi) wie auch andere Ministerien (z.B. das BMBF) bieten dementsprechend umfangreiche<br />

Fördermaßnahmen an, um KMU den Zugang zu <strong>IKT</strong> und digitalen Märkten zu ermöglichen.<br />

Es wäre jedoch ein Trugschluss zu glauben, man müsse KMU und Handwerksunternehmen<br />

mit staatlicher Förderung förmlich zu dieser Modernisierung drängen. Denn viele<br />

Handwerksunternehmen entscheiden sich bewusst gegen den Einsatz bestimmter <strong>IKT</strong>, weil<br />

sie glauben, hierdurch ihr Image oder ihre Marktstrategie zu beschädigen.<br />

Die starke Verankerung des Handwerks im lokalen Umfeld, bei der persönliche Kontakte,<br />

Vertrauen und Nähe einen hohen Stellenwert einnehmen, lässt sich bspw. kaum mit einer rein<br />

elektronischen Kommunikation vereinbaren. So passt es kaum zum alteingesessenen Handwerker<br />

in der Nachbarschaft, der Verträge mit treuen Kunden per Handschlag besiegelt, neue<br />

Marktpotenziale im Onlinegeschäft zu erwirtschaften oder Problemanalysen per Internet-<br />

Konferenz statt mittels eines Ortstermins zu erledigen. Bevor also noch weitere Förderprogramme<br />

dieser Art aufgelegt werden, müsste sehr genau und kritisch geprüft werden, welcher<br />

zusätzliche Nutzen dadurch tatsächlich zu erwarten sein dürfte.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 75<br />

3.6 Literaturverzeichnis<br />

BARTHEL, A. (2005), Das Handwerk in der Informationsgesellschaft. In: Welter, F. (Hrsg.),<br />

Der Mittelstand an der Schwelle zur Informationsgesellschaft. Veröffentlichungen des<br />

Round Table Mittelstand, Bd. 3. Berlin: Duncker & Humblot, 71-86.<br />

DESTATIS (2011a), Informations- und Kommunikationstechnologie - Güterbilanz 2008 zu<br />

Herstellungspreisen in Milliarden EUR.<br />

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/STATmagazin/VolkswirtschaftlicheGesamt<br />

rechnungen/2012_09/Tabellen/Tabelle_Gueterbilanz.html, abgerufen am 10.10.2012.<br />

DESTATIS (2011b), Unternehmen und Arbeitsstätten, Nutzung von Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien in Unternehmen. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.<br />

DESTATIS (2012a), Informations- und Kommunikationstechnologie - Tätige Personen und<br />

Unternehmen in der Warenproduktion und bei Dienstleistungen.<br />

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Unternehmen/<br />

Handwerk/<strong>IKT</strong>Unternehmen/Tabellen/TaetigePersonenUnternehmen.html, abgerufen<br />

am 10.10.2012.<br />

DESTATIS (2012b), Wirtschaftsrechnungen. Laufende Wirtschaftsrechnungen, Ausstattung<br />

privater Haushalte mit ausgewählten Gebrauchsgütern. Fachserie 15, Reihe 2.<br />

Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.<br />

DÜRIG, W. (2011), Dynamik der Märkte – Was bedeutet das <strong>für</strong> die Identität des Handwerks?<br />

In: Müller, K. et al. (Hrsg.) Quo vadis Handwerk. Identität des Handwerks im<br />

Wandel. Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien 82, Duderstadt: Mecke-Verlag,<br />

45-102.<br />

EGGS, H., ENGLERT, J. und D. SCHODER (o.J.), Wettbewerbsfähigkeit vernetzter kleiner<br />

und mittlerer Unternehmen – eine Strukturierung der Einflussfaktoren. Institut <strong>für</strong><br />

Informatik und Gesellschaft an der Universität Freiburg. Freiburg: IIG.<br />

ENTZIAN, K. und G. BLOCHMANN (2012), Praxisorientierte Musterlösungen <strong>für</strong> die<br />

Unterstützung von Geschäftsprozessen in deutschen KMU/Handwerk durch <strong>IKT</strong>-<br />

Anwendungen und IT-Business-Standards – Best-Practice-Beispiele zur Mengen- und<br />

Kostenermittlung <strong>für</strong> Bauen im Bestand und Facility-Management-Dienstleistungen.<br />

Projekt im Auftrag des BMWi. Weimar, Eschborn.<br />

GÄRTNER, S., GROTE WESTRICK, D. und J. TERSTRIEP (2003), Vom virtuellen Raum<br />

zur Region. Jahrbuch 2002/2003 des IAT Gelsenkirchen. Gelsenkirchen: IAT, 95-104.<br />

GRÄF, P. und J. RAUH (2012), Innovative Anwendungen von <strong>IKT</strong>. Geographie der Kommunikation.<br />

Band 10, Münster: Lit Verlag.<br />

it.nrw (2012), Unternehmen, tätige Personen und Umsatz im Handwerk 2009. Statistische<br />

Berichte, EIV. Düsseldorf.<br />

MÜLLER, K. (2008), Auslandsgeschäfte im Handwerk. Handwerkswirtschaftliche Studien<br />

Bd. 76. Duderstadt: Mecke Verlag.<br />

NRW.INVEST (2009), Marktanalyse: <strong>IKT</strong>-Anwendungsbereiche in Nordrhein-Westfalen.<br />

http://www.nrwinvest.com/nrwinvest_deutsch/Publikationen/Broschuere_<strong>IKT</strong>-<br />

Anwendungsbereiche_in_NRW.pdf, abgerufen am 10.10.2012.<br />

PEISTRUP, M., TRETTIN, L. und P. GRUNERT (2012), Internetplattformen als Forschungsobjekt<br />

der Geographie: Das Beispiel der Auktionsplattform


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 76<br />

www.myhammer.de. In: Gräf, P. und J. Rauh (Hrsg.), Innovative Anwendungen von<br />

<strong>IKT</strong>. Geographie der Kommunikation. Band 10, Münster: Lit Verlag, 77-90.<br />

RUDOLPH, A. (1997), Die Bedeutung von Handwerk und Kleinunternehmen <strong>für</strong> die Regionalpolitik.<br />

Eine theoretische und empirische Betrachtung. Göttinger Handwerkswirtschaftliche<br />

Studien 51. Göttingen: SfH.<br />

RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung (2012), Entwicklung der<br />

Märkte des Handwerks und betriebliche Anpassungserfordernisse. Forschungsvorhaben<br />

des Bundesministeriums <strong>für</strong> Wirtschaft und Technologie.: Essen: RWI Projektbericht.<br />

RKW - Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft (2011), Praxisorientierte<br />

Musterlösungen <strong>für</strong> die Unterstützung von Geschäftsprozessen in deutschen<br />

KMU/Handwerk durch <strong>IKT</strong>-Anwendung und IT-Business. Eschborn: RKW.<br />

WELFENS, J (2011), Steuerung und Koordination der „Metropolregion“ Ruhrgebiet. In:<br />

K. Engel, J. Großmann und B. Hombach (Hrsg.), Phönix Flieg!: Das Ruhrgebiet entdeckt<br />

sich neu. Klartext-Verlag: Essen.<br />

WERNET, W. (1965), Zur Abgrenzung von Handwerk und Industrie. Die wirtschaftlichen<br />

Zusammenhänge in ihrer Bedeutung <strong>für</strong> die Beurteilung von Abgrenzungsfragen.<br />

Forschungsberichte aus dem Handwerk 11. Handwerkswissenschaftliches Institut<br />

Münster – Westfalen, Münster.<br />

WINKLER, H. W. (2010), Onlinehandel mit Erfolg. Schritt <strong>für</strong> Schritt zur eigenen<br />

Marktnische. Radolfzell: Media Verlag.<br />

ZOCH, B. (2010), Determinanten der Adoption von Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

im Handwerk, Modell und empirische <strong>Analyse</strong>. München: Ludwig Fröhler<br />

Institut.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 77<br />

4. Konzentration und Wettbewerb von digitalen Plattformen:<br />

Besteht ein besonderer Regulierungsbedarf? 9<br />

Justus Haucap, Ulrich Heimeshoff und Tobias Wenzel<br />

DICE (Düsseldorfer Institut <strong>für</strong> Wettbewerbsökonomie)<br />

4.1 Einleitung<br />

Die Skepsis vieler Verbraucher gegenüber großen Anbietern von digitalen Dienstleistungen<br />

wächst. Apple, Facebook, Google und Twitter – um nur einige zu nennen – werden in der<br />

Öffentlichkeit zunehmend kritisch beäugt. Im Falle von Microsoft besteht schon seit Längerem<br />

bei vielen Verbrauchern und Wettbewerbsbehörden eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die<br />

nicht zuletzt in einer ganzen Reihe von kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren zum Ausdruck<br />

kommt. Auch gegenüber gewissen Unternehmenspraktiken von Google hat die Europäische<br />

Kommission erste Untersuchungen eingeleitet. Die US-amerikanische Federal Trade<br />

Commission (FTC) steht aktuell kurz vor der Eröffnung von Missbrauchsverfahren gegenüber<br />

Google. Im Fall von Google wird von diversen Marktteilnehmern der Verdacht geäußert, dass<br />

Suchergebnisse in dem Sinne nicht neutral gelistet werden, dass konzerninterne Dienstleister<br />

(wie etwa Google Maps) bevorzugt behandelt werden und daher im Ranking der Suchmaschine<br />

höher eingestuft werden. Auch die Geschäftspraktiken von Apple sind zunehmend Gegenstand<br />

medialer Berichterstattung als auch behördlicher Diskussionen. Ähnliche Trends lassen<br />

sich bei Facebook, Twitter oder ebay ausmachen (vgl. HAUCAP/WENZEL, 2011).<br />

Um zu beurteilen, ob im Falle dieser Anbieter digitaler Leistungen ein erhöhter behördlicher<br />

Kontrollbedarf besteht, ist zunächst herauszuarbeiten, welche speziellen Wettbewerbsprobleme<br />

bei digitalen Plattformen bestehen. In diesem Beitrag sollen daher die Besonderheiten<br />

der Anbieter und Vermittler von digitalen Inhalten konzeptionell thematisiert werden. In<br />

der Tat ist auszumachen, dass sich viel der bekannten Erfolgsgeschichten von Internet-<br />

Unternehmen wie z.B. Google, Youtube, Facebook, Skype oder ebay dadurch auszeichnen,<br />

dass sie in ihrem Marktsegment eine nahezu monopolistische Stellung zu haben scheinen.<br />

Zugleich werden von den Betreibern der digitalen Plattformen zumeist kaum eigene Inhalte<br />

produziert, sondern diese lediglich vermittelt. Wie kommt es zu diesen starken Marktpositionen?<br />

Sind diese Positionen dauerhaft oder ist ein eher Schumpeterianischer Innovationswettbewerb<br />

auszumachen, bei dem ein Monopol durch das nächste abgelöst wird, Monopolstellungen<br />

also immer nur temporär sind? Und: Ist ein spezifischer Regulierungsbedarf gegeben,<br />

der über das allgemeine Kartellreht hinausgeht? Diesen Fragen wird der Beitrag im Folgenden<br />

nachgehen.<br />

4.2 Die ökonomische Theorie digitaler Plattformen<br />

Die typischen Vermittler von Informationen im Internet operieren auf sog. zweiseitigen Märkten<br />

(2SM), welche sich als eine Erweiterung des Konzeptes der Netzeffekte begreifen lassen<br />

9 Der vorliegende Beitrags basiert auf einer Überarbeitung und Erweiterung von HAUCAP/WENZEL (2011).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 78<br />

(vgl. z.B. PEITZ, 2006). Ganz allgemein liegen Netzeffekte 10 vor, wenn <strong>für</strong> die Nachfrager<br />

der mit einem Produkt oder Dienstleistung verbundene Nutzen steigt, je mehr andere Nachfrager<br />

dieses Produkt bzw. diese Dienstleistung, ceteris paribus, auch konsumieren und benutzen<br />

(vgl. ROHLFS, 1974; KATZ/SHAPIRO, 1985). Durch zusätzliche Nutzer wird <strong>für</strong> jeden<br />

anderen Nutzer ein Zusatznutzen generiert, ohne dass da<strong>für</strong> direkt eine Zahlung erfolgt. Dieser<br />

Zusatznutzen kann aus verbesserten Interaktionsmöglichkeiten resultieren (z.B. bei E-<br />

Mail, Internet-Telefonie wie Skype und sozialen Netzwerken wie Facebook) und/oder aus<br />

einem besseren Angebot an komplementären Produkten und Diensten (z.B. Software <strong>für</strong><br />

Computer oder Apps <strong>für</strong> Smartphones und Tablet-Computer).<br />

Dementsprechend können direkte und indirekte Netzeffekte unterschieden werden: Direkte<br />

Netzeffekte entstehen direkt dadurch, dass sich mehr andere Nutzer (derselben Art) einem<br />

Netz anschließen. So stiftet Skype einen umso höheren Nutzen je mehr andere Skype-<br />

Teilnehmer existieren. Indirekte Netzeffekte wirken sich dagegen erst indirekt <strong>für</strong> andere<br />

Nachfrager aus. So ist z.B. ebay als Marktplatz, ceteris paribus, umso attraktiver <strong>für</strong> einen<br />

Verkäufer je mehr potenzielle Käufer ebay aufsuchen. Für einen Käufer wiederum ist es umso<br />

attraktiver, bei ebay nach einem Angebot zu suchen, je mehr Angebote es gibt. Somit werden<br />

umso mehr Käufer ebay nutzen, je mehr Verkäufer sich dort tummeln, und umgekehrt werden<br />

umso mehr Verkäufer sich, ceteris paribus, dort tummeln je mehr potenzielle Käufer dort<br />

sind. Dies ist prinzipiell nicht neu, sondern war schon immer charakteristisch <strong>für</strong> Marktplätze,<br />

Börsen und Messen. Die durch die Konzentration auf einen Marktplatz mögliche Reduktion<br />

von Suchkosten hat schon in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich z.B. viele Antiquitätengeschäfte<br />

oder Gebrauchtwagenhändler in unmittelbarer geographischer Nachbarschaft<br />

zueinander befinden. Im Internet aber ist diese Konzentration aufgrund des Fehlens von<br />

Transportkosten – im Englischen plastisch bezeichnet als „the death of distance“ – und der<br />

geringeren zeitlichen Suchkosten noch wesentlich stärker ausgeprägt.<br />

Charakteristisch <strong>für</strong> 2SM ist also das Vorliegen dieser indirekten Netzeffekte, d.h. die Teilnehmer<br />

auf der einen Marktseite (z.B. die potenziellen Käufer) profitieren umso mehr von<br />

einem Marktplatz je mehr Teilnehmer es auf der anderen Marktseite gibt (vgl. ROCHET/ TI-<br />

ROLE, 2003, 2006; EVANS/SCHMALENSEE, 2007; PEITZ, 2006). Somit profitieren die<br />

Käufer nicht direkt davon, wenn es mehr andere potenziell Käufer gibt, wohl aber indirekt,<br />

weil dies eben mehr Verkäufer anzieht. So steigt der Nutzen der potenziellen Käufer bei einer<br />

Online-Plattformen wie ebay, amazon, myhammer oder immobilienscout.de, je mehr Anbieter<br />

es gibt, und der Nutzen der Anbieter steigt, je mehr potenzielle Kunden es gibt. Dies gilt auch<br />

<strong>für</strong> Google: Eine Suchmaschine ist <strong>für</strong> Nutzer umso attraktiver je mehr Webseiten durchsucht<br />

werden, und <strong>für</strong> Betreiber von Webseiten ist die Optimierung hin auf bestimmte Suchmaschinen<br />

umso attraktiver, je mehr Suchanfragen die Nutzer über diese Suchmaschine starten. Somit<br />

gibt es bei 2SM einen wichtigen Unterschied zu „klassischen“ bzw. direkten Netzeffekten,<br />

denn 2SM liegen nur bei indirekten Netzeffekten vor.<br />

Aus einer Management- oder Entrepreneurship-Perspektive heraus stellt sich <strong>für</strong> einen Intermediär<br />

bei 2SM die Herausforderung, dass es nicht ausreicht, nur die Nutzer einer Marktseite<br />

von der Attraktivität seiner Plattform zu überzeugen. Da eine gegenseitige Abhängigkeit der<br />

Nutzergruppen gegeben ist, muss der Intermediär versuchen, beide Nutzergruppen gleichzeitig<br />

<strong>für</strong> sein Produkt bzw. <strong>für</strong> seinen Dienst zu gewinnen. Keine der beiden Gruppen hat je-<br />

10 Wir verwenden wie von LIEBOWITZ/MARGOLIS (1994) vorgeschlagen den Begriff Netzeffekt und nicht<br />

den der Netzwerkexternalität, da Netzeffekte sich durch adäquate Wahl der Preisstruktur auch internalisieren<br />

lassen, sodass nicht zwangsläufig eine Externalität vorliegt (welche wiederum ein Marktversagen suggeriert).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 79<br />

doch ein Interesse an der Plattform, wenn nicht auch die Teilnahme einer möglichst hohen<br />

Anzahl auf der „Gegenseite“ gewährleistet ist. Dieses Problem ist eine Spielart der bekannten<br />

Henne-und-Ei-Problematik – beide Seiten der Plattform bedingen sich gegenseitig (vgl. dazu<br />

CAILLAUD/JULLIEN, 2003) und der Intermediär hat eine Entscheidung zu treffen, welche<br />

der Nutzergruppen schneller zu gewinnen ist. Wie Wright (2004) sowie PARKER/VAN AL-<br />

STYNE (2005) ausführen, wird eine Marktseite typischerweise in einer solchen Situation<br />

„subventioniert“ werden. So werden z.B. der Acrobat Reader, der Microsoft MediaPlayer<br />

oder der RealPlayer gratis vertrieben. Bei ebay wird sogar durch §9 (Punkt 9) der AGB vorgeschrieben,<br />

dass der Verkäufer die Gebühren zu tragen hat und eine Überwälzung dieser<br />

Gebühren auf den Käufer verboten ist. Die „Subventionierung“ erfolgt dabei zugunsten der<br />

Marktseite, die preissensitiver ist, während die Erlöse des Intermediärs primär auf der Nutzerseite<br />

mit der geringeren Nachfrageelastizität generiert werden, welche stärker von einem<br />

Wachstum der Nutzerzahl auf der anderen Seite profitiert.<br />

4.3 Konzentrationstendenzen bei 2SM und ihre Bestimmungsgründe<br />

Durch die indirekten Netzeffekte kann nun eine Tendenz zu einer starken Marktkonzentration<br />

unter ggf. konkurrierenden Plattformen entstehen. Allerdings sind nicht alle 2SM gleichermaßen<br />

konzentriert. Gegenbeispiele sind Immobilienmakler, Reisevermittler oder viele Partnerbörsen<br />

im Internet. Das Vorliegen indirekter Netzeffekte ist also keineswegs hinreichend <strong>für</strong><br />

eine Monopolisierung oder hohe Marktkonzentration.<br />

Aus theoretischer Sicht ist zudem auch nicht klar, ob Wettbewerb zwischen mehreren Plattformen<br />

im konkreten Fall bessere Wohlfahrtsergebnisse liefert als ein Monopol, d.h. also eine<br />

einzige Plattform. Unterschiedliche Annahmen über zu den zu betrachtenden Markt lassen<br />

hier unterschiedlich Schlüsse zu. In klassischen, einseitigen Märkten ist Wettbewerb zwischen<br />

mehreren Unternehmen stets vorteilhaft, solange es sich nicht um ein natürliches Monopol<br />

handelt. Dies muss bei zweiseitigen Märkten nicht der Fall sein. Selbst wenn der Betrieb mehrerer<br />

Plattform nicht mit zusätzlichen Fixkosten verbunden ist, muss die Existenz mehrerer<br />

Plattformen nicht effizienter sein. Grund hier<strong>für</strong> ist das Vorliegen der indirekten Netzeffekte.<br />

Wie z.B. in den theoretischen Beiträgen von CAILLAUD/JULLIEN (2003) sowie JULLIEN<br />

(2005) gezeigt wird, kann eine Monopolplattform effizient sein, da die Netzeffekte gerade<br />

dann maximal sind, wenn sich alle Marktteilnehmer auf eine Plattform koordinieren. Die Frage<br />

der optimalen Marktstruktur lässt sich hier nicht pauschal klären. Starke Netzeffekte und<br />

eine gute Matchingqualität sprechen tendenziell <strong>für</strong> die Vorteilhaftigkeit eines Monopols;<br />

Überlastungsgefahren, geringere Teilnahmeraten sowie Multihoming eher dagegen und damit<br />

<strong>für</strong> Wettbewerb.<br />

Unklar sind jedoch nicht nur die Wohlfahrtseffekte einer Monopolisierung, sondern auch, ob<br />

es überhaupt, quasi auf natürliche Weise, zu einer Monopolbildung kommt. EVANS/<br />

SCHMALENSEE (2008, S. 679 ff.) haben fünf Faktoren herausgearbeitet, die <strong>für</strong> den Konzentrationsgrad<br />

von 2SM bestimmend sind. Diese Faktoren sind in der folgenden Übersicht<br />

zusammengefasst:<br />

Tabelle 5: Einflussfaktoren <strong>für</strong> die Konzentration von 2SM<br />

Ursache Effekt auf die Konzentration<br />

Stärke der indirekten Netzeffekte +


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 80<br />

Ausmaß steigender Skaleneffekte +<br />

Überlastungsgefahren –<br />

Differenzierung der Plattformen –<br />

Multihoming –<br />

Quelle: EVANS/SCHMALENSEE (2008, S. 679)<br />

Dass indirekte Netzeffekte und steigende Skaleneffekte zu Monopolisierungs- bzw. Konzentrationstendenzen<br />

führen, ist relativ eindeutig und sofort plausibel. Wie stark die indirekten<br />

Netzeffekte bei den einzelnen Plattformen ausgeprägt sind, dürfte von Fall zu Fall unterschiedlich<br />

sein. Dies gilt auch <strong>für</strong> die Stärke der etwaigen Skaleneffekte. Ganz allgemein lässt<br />

sich jedoch beobachten, dass viele 2SM durch eine Kostenstruktur gekennzeichnet sind, die<br />

sich durch einen relativ hohen Fixkostenanteil verbunden mit relativ geringen variablen Kosten<br />

auszeichnet. So fällt gerade im E-Commerce-Bereich wie bei ebay, expedia, HRS, etc.<br />

ein großer Teil der Kosten durch das Management von Datenbanken an – eine weitere Transaktion<br />

verursacht kaum zusätzliche Kosten. Steigende Skalenerträge sind somit durchaus<br />

nicht untypisch <strong>für</strong> 2SM.<br />

Den Netzwerk- und Skaleneffekten, welche beide positiv auf die Marktkonzentration wirken,<br />

stehen jedoch auch drei Effekte gegenüber, welche Konzentrationstendenzen entgegen wirken.<br />

Dies sind erstens Überlastungs- oder Staugefahren. Bei physischen 2SM wie Einkaufszentren,<br />

Flohmärkten, Messen oder Nachtclubs ergibt sich ab einem bestimmten Punkt eine<br />

Überfüllung, da der Raum eben physisch begrenzt ist. Denkbar ist auch, dass die Kapazitäten<br />

auf der einen Marktseite stärker begrenzt sind als auf der anderen. So mag die Anzahl der<br />

Messestände auf einer Messe eher begrenzt sein als die der Besucher, im Online-Bereich ist<br />

der Raum <strong>für</strong> Werbung meist begrenzt, da ein Zuviel an Werbung als störend empfunden wird<br />

und die Plattform in den Augen der Rezipienten tendenziell entwertet. Bei elektronischen<br />

2SM wie ebay, HRS oder parship ergeben sich zwar keine physischen Kapazitätsprobleme,<br />

allerdings können sich auch hier <strong>für</strong> den Nutzer negative Externalitäten durch zusätzliche<br />

Nutzer ergeben. Dies liegt in der Heterogenität der Nutzer verbunden mit steigenden Suchkosten<br />

begründet. Je homogener die Nutzer sind, desto höher ist oftmals der Wert einer Plattform<br />

<strong>für</strong> die Marktgegenseite. Wenn z.B. nur bestimmte Leute eine bestimmte Plattform besuchen<br />

lesen (z.B. fast nur Angler oder fast nur Frauen oder fast nur Autofreunde), lässt sich<br />

viel zielgenauer werben. Auch viele Partnerbörsen werben damit, dass sie nur eine bestimmte<br />

Klientel vertreten (z.B. nur Akademiker). Dies reduziert die Suchkosten <strong>für</strong> alle Beteiligten.<br />

Zusätzliche Nutzer würden die Gruppe der Plattformnutzer dann heterogener machen und<br />

nicht unbedingt in dem Maße zusätzlichen Nutzen stiften wie die Suchkosten <strong>für</strong> alle erhöht<br />

werden.<br />

In direktem Zusammenhang mit der Heterogenität steht die Möglichkeit der Produktdifferenzierung<br />

zwischen Plattformen. Bei Partnerbörsen, Magazinen und Zeitungen ist dies<br />

evident. Diese Differenzierung kann sowohl vertikal (z.B. aus Sicht der werbenden Wirtschaft<br />

ein einkommensstarkes versus ein einkommensschwaches Publikum) als auch horizontal (z.B.<br />

Segler versus Golfer) erfolgen. Bei elektronischen 2SM dürfte die Differenzierung zum einen<br />

über die Zulassung der Nutzer bzw. der Inhalte und eine damit einher gehende Spezialisierung<br />

erfolgen, zum anderen über die Ausgestaltung der Regeln und Geschäftsbedingungen, der<br />

Marktordnung sozusagen, welche die Transaktionen auf der Plattform regelt.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 81<br />

Je einfacher sich Plattformen differenzieren können und je heterogener die (potenziellen)<br />

Nutzer sind, desto vielfältiger wird das Bild sein und desto weniger konzentriert wird der entsprechende<br />

Markt sein. Diese Erkenntnis, dass steigende Skalenerträge eine Marktkonzentration<br />

befördern und dass Produktdifferenzierung und die Heterogenität der Nutzerpräferenzen<br />

dieser Tendenz entgegen wirken, ist keinesfalls neu, sondern aus der ökonomischen<br />

Literatur bestens bekannt (vgl. z.B. DIXIT/STIGLITZ, 1977; KRUGMAN, 1980). Bei 2SM<br />

wird die Konzentrationsgefahr einerseits durch die indirekten Netzeffekte weiter verstärkt,<br />

andererseits werden Konzentrationstendenzen aber ggf. nicht nur durch die Möglichkeit der<br />

Produktdifferenzierung, sondern auch durch die Möglichkeit des sogenannten „Multihoming“,<br />

also die parallele Nutzung verschiedener Plattformen, aber auch wieder gebremst.<br />

Wie einfach Multihoming ist, hängt unter anderem davon ab, (a) ob Wechselkosten zwischen<br />

verschiedenen Plattformen bestehen und – falls diese bestehen – wie hoch diese Wechselkosten<br />

sind und (b) ob nutzungsunabhängige Gebühren <strong>für</strong> die „Mitgliedschaft“ bei einer<br />

Plattform erhoben werden. So ist z.B. der Wechsel von einem Online-Reisebüro zu einem<br />

anderen mit relativ geringen Wechselkosten verbunden. Auch können Nutzer ohne große<br />

Wechselkosten von Google zu einer anderen Suchmaschine wechseln, sollte sich diese als<br />

attraktiver erweisen. Höher sind die Wechselkosten bereits bei sozialen Netzwerken, da hier<br />

starke direkte Netzeffekte bestehen und sich Nutzergruppen somit koordinieren müssen. Während<br />

bei Google keine nennenswerten direkten Netzeffekte bestehen (es ist zunächst einmal<br />

egal, wie viele andere Sucher Google nutzen), gilt dies <strong>für</strong> soziale Netzwerke nicht. Dort<br />

spielt die Anzahl der Nutzer auch direkt eine Rolle. Nichtsdestotrotz ist der Markteintritt in<br />

den Markt <strong>für</strong> Suchmaschinen schwierig aufgrund der oben beschriebenen indirekten Netzeffekte<br />

und aufgrund von Größenvorteilen, die zum einen auf Lerneffekten beruhen, die sich<br />

ergeben je mehr Suchanfragen gestellt werden (insbesondere bei lernenden Systemen), zum<br />

anderen einfach auf der typischen Durchschnittskostendegression, welche durch die erheblichen<br />

Fixkosten entsteht.<br />

Eine weitere Form von Wechselkosten ergeben sich bei ebay, da hier nicht nur indirekte<br />

Netzeffekte wichtig sind, sondern auch die ebay-spezifische Reputation der Tauschpartner,<br />

welche sich die Nutzer über die Anzahl der ordnungsgemäß abgewickelten Transaktionen<br />

zunehmend aufbauen.<br />

4.4 Beispiel I: ebay<br />

Der Fall der Online-Handelsplattform ebay ist besonders interessant, weil ebay bereits 1998<br />

in den USA einen Marktanteil von 80% bei Online-Auktionen hatte – eine starke Marktposition,<br />

die bis heute ungebrochen ist (vgl. LUCKING-RILEY, 1999). Die führende Suchmaschine<br />

war 1998 altavista, die gerade yahoo als Marktführer ablöste, während Google im September<br />

1998 gerade online ging. Soziale Netzwerke wie Facebook, Xing und selbst MySpace<br />

existierten noch nicht einmal. Warum also konnte gerade ebay die Marktführerschaft so lange<br />

halten? ELLISON/ELLISON, (2005, S. 143 f.) führen die indirekten Netzeffekte an und verweisen<br />

zudem auf die fast ebenso starke Marktposition von Yahoo bei Online-Auktionen in<br />

Japan bei gleichzeitiger Abwesenheit von ebay in diesem Markt. Sollte ebay bzw. andere Online-Auktionshäuser<br />

tatsächlich eine wenig angreifbare Marktposition besitzen, dann ergäbe<br />

sich daraus natürlich ein erheblicher Preissetzungsspielraum mit entsprechendem Miss-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 82<br />

brauchspotenzial und ggf. die Erfordernis einer besonders kritischen Wettbewerbsaufsicht in<br />

diesem Markt. 11<br />

Es ist vor diesem Hintergrund vielleicht wenig verwunderlich, dass es schon seit einigen Jahren<br />

kritische Stimmen bei ebay-Nutzern und in der Presse bezüglich der Marktposition von<br />

eBay und der Geschäftspolitik gegenüber den Nutzern gibt. 12 Der Marktanteil in Deutschland<br />

beträgt heute 98 bis 99% (vgl. MARWAN, 2008; VON BLANCKENBURG / MICHAELIS,<br />

2008a), betrachtet man Online-Auktionen als eigenständigen relevanten Markt, was vermutlich<br />

zumindest <strong>für</strong> einige Produkt- und Nutzergruppen (z.B. Bücher, Neuware) nicht sachgerecht<br />

sein dürfte (vgl. HAUCAP/WENZEL, 2009).<br />

Anders ist es hingegen im Bereich der gebrauchten Artikel. Mit der Ausnahme von Automobilen,<br />

Immobilen, Büchern und Tonträgern sowie Spezialartikeln (wie etwa Brieftauben)<br />

hat ebay bei vielen Produktgruppen, insbesondere den Flohmarktartikeln, gemessen an den<br />

Marktanteilen, 13 eine dominante Marktstellung und dürfte daher marktbeherrschend sein.<br />

Auch ELLISON/ELLISON (2005, S. 143) stellen dies fest und schreiben wörtlich: „���������<br />

������������������������������������������������������������������������������������<br />

�������������������� ���� ������ ������������ ��������������� ���� �������� ��������������<br />

�����������������������������������������������������������������������������������<br />

���������� ����� ����� ������� Es gibt zwar in Deutschland über 150 verschiedene Online-<br />

Auktionsplattformen <strong>für</strong> Privatleute (also B2C und C2C), 14 ��������������������������������<br />

�������������������������������������������<br />

In der ökonomischen Literatur wird zum Teil suggeriert, dass sich diese Monopolisierung<br />

aufgrund der starken indirekten Netzeffekte quasi natürlich eingestellt habe (so z.B. ELLI-<br />

SON/ELLISON, 2005, S. 143 f.). Als Beleg verweisen ELLISON/ELLISON (2005, S. 143)<br />

darauf, dass sich auch in Japan mit Yahoo als führendem Online-Auktionshaus de facto ein<br />

Monopol herausgebildet habe. Dass dies ein Resultat quasi-natürlicher Konzentrationstendenzen<br />

in Folge der indirekten Netzeffekte sein soll, ist allerdings zunächst einmal ein Irrtum,<br />

wenn auch ein verbreiteter.<br />

Es ist zwar richtig, dass der japanische Markt <strong>für</strong> Online-Auktionen von Yahoo 15 dominiert<br />

wird, da über Yahoo 90% aller Online-Auktionen in Japan abgewickelt werden. 16 Oftmals<br />

nicht bekannt ist jedoch die Tatsache, dass es im Jahr 2002 eine Vereinbarung zwischen ebay<br />

und Yahoo gegeben hat, welche aus wettbewerbsökonomischer Sicht nur schwerlich nicht als<br />

Kartellabkommen zu interpretieren ist. Während sich ebay aus dem japanischen Markt zurückgezogen<br />

hat, hat Yahoo im Gegenzug seine Online-Auktionsplattformen in Deutschland,<br />

Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Irland geschlossen. Zugleich hat ebay einen<br />

„umfassenden Kooperationsvertrag“ mit Yahoo geschlossen, in welchem sich ebay verpflich-<br />

11 Explizit sprechen sich von BLANCKENBURG und MICHAELIS (2008a, 2008b) <strong>für</strong> eine Regulierung von<br />

ebay aus – die Autoren bauen ihre <strong>Analyse</strong> allerdings primär auf die Theorien des natürlichen Monopols und der<br />

Kollektivgüter auf.<br />

12 Bereits im Jahr 2000 gab es in den USA Vorwürfe, dass ebay seine marktbeherrschende Stellung missbrauche<br />

(vgl. CISNEROS, 2000) und zwar im Fall eBay vs. Bidder’s Edge (http://pub.bna.com/lw/21200.htm)<br />

13 BLANCKENBURG und MICHAELIS (2008a, b) sprechen zwar von einem Marktanteil von 99% bei Online-<br />

Auktionen, nehmen aber keine exakte Marktabgrenzung vor und differenzieren auch nicht nach Produktgruppen.<br />

Zur Problematik der Marktabgrenzung bei Online-Auktionen vgl. ausführlich HAUCAP und WENZEL (2009).<br />

14 Über www.auktionssuche.de lassen sich allein 148 Auktionen parallel durchsuchen (Stand: 28. Juni 2011),<br />

zudem sind zahlreiche weitere Auktionsplattformen dort aufgelistet, die nicht parallel durchsuchbar sind.<br />

15 http://auctions.yahoo.co.jp<br />

16 www.japaninc.net/article.php?articleID=776


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 83<br />

tet hat, über mehrere Jahre Online-Werbung in nicht genannter Höhe bei Yahoo zu schalten.<br />

Aus wettbewerbsökonomischer Sicht drängt sich natürlich die Interpretation auf, dass hier<br />

über Werbeverträge Seitenzahlungen organisiert worden sind, um ein Kartell zu stabilisieren.<br />

Zusammenschlüsse und Gebietskartelle können eine marktbeherrschende Stellung zwar befördern,<br />

aber in der Regel nicht garantieren, sofern es nicht auch signifikante Markteintrittsbarrieren<br />

gibt. In der Tat sind mit Hood, Auxion und Auvito alternative Plattformen <strong>für</strong> Online-Auktionen<br />

im deutschen Markt aktiv. Trotz wesentlich geringerer Gebühren haben diese<br />

bisher keine nennenswerten Marktanteile gewinnen können. Welche Effekte führen neben den<br />

indirekten Netzeffekten zur Stabilisierung der Marktdominanz von ebay?<br />

In Bezug auf die oben identifizierten Faktoren ist festzustellen, dass Multihoming <strong>für</strong> gewerbliche<br />

Verkäufer, die Neuware in höherer Stückzahl anbieten, zwar unproblematisch ist, <strong>für</strong><br />

private Anbieter gebrauchter Produkte ist dies jedoch ungleich schwieriger, da es sich oftmals<br />

um Einzelstücke handelt, die diese veräußern möchten. Für Käufer hingegen ist Multihoming,<br />

also das parallele Suchen und auch Bieten bei mehreren Online-Auktionen, relativ unproblematisch.<br />

Selbst wenn man „versehentlich“ mehrere Objekte ersteigert, ist ein Wiederverkauf<br />

relativ einfach. Obwohl Multihoming <strong>für</strong> potenzielle Käufer und gewerbliche Verkäufer<br />

also eigentlich relativ einfach ist, besteht aufgrund der recht starken indirekten Netzeffekte<br />

jedoch ein nicht unerhebliches Koordinationsproblem. Für einen Verkäufer allein ist es<br />

wenig attraktiv, Multihoming zu betreiben und Produkte auf anderen Plattformen einzustellen,<br />

solange dort nicht auch viele potenzielle Käufer existieren, welche aber wiederum nur dann<br />

die Plattform aufsuchen, wenn es auch viele Verkaufsangebote gibt – das bekannte „Henneund-Ei“-Problem.<br />

Gibt es nur wenige potenzielle Käufer besteht <strong>für</strong> einen Verkäufer vielmehr<br />

das nicht unerhebliche Risiko, das Produkt „unter Wert“ zu verkaufen, d.h. zu einem wesentlich<br />

geringeren Preis als auf einer Plattform mit vielen potenziellen Bietern. Somit ist Multihoming<br />

<strong>für</strong> gewerbliche Verkäufer zwar prinzipiell einfach möglich, aufgrund der Koordinationsprobleme<br />

aber nicht unbedingt attraktiv.<br />

Über diese Koordinationsprobleme hinaus entstehen <strong>für</strong> Verkäufer weitere Wechselkosten<br />

auch dadurch, dass eine einmal bei ebay aufgebaute Reputation in Form von positiven Bewertungen<br />

durch Käufer nicht einfach auf eine andere Plattform transferierbar ist. 17 Positive Bewertungen<br />

bei ebay erhöhen dort den erwarteten Verkaufserlös, wie eine große Anzahl von<br />

Studien belegt (vgl. z.B. MELNIK/ALM, 2002, MCDONALD/SLAWSON, 2002, oder BA-<br />

JARI/HORTAÇSU, 2003). 18 Der Aufbau einer positiven Reputation wiederum ist aufgrund<br />

der Unterschiede in den Bewertungssystemen und der Schwierigkeit des Transfers (aufgrund<br />

der schwer möglichen Verifizierung) eine plattformspezifische Investition, welche das Wechseln<br />

der Plattform bzw. das Multihoming als Verkäufer erschwert, d.h. es entstehen Wechselkosten,<br />

die zu den Koordinationskosten hinzukommen, welche aufgrund der indirekten Netzeffekte<br />

entstehen.<br />

Weitere Wechselkosten entstehen durch das ebay-spezifische Wissen, das sich die ebay-<br />

Nutzer aufbauen. Die Bedienung der Plattform, die Kenntnis der Regeln, etc. sind oftmals<br />

spezifisches Bedienungswissen, das beim Wechsel der Plattform verloren geht. Die Bindung<br />

registrierter Nutzer wird von ebay zudem durch Angebote wie die ebay-University gestärkt,<br />

bei dem Nutzer <strong>für</strong> eine Gebühr von 45 Euro <strong>für</strong> Einsteiger bzw. 70 Euro <strong>für</strong> Fortgeschrittene<br />

17<br />

Zur Logik des Reputationssystems bei ebay siehe DELLAROCAS (2006) sowie BOLTON, GREINER und<br />

OCKENFELS (2009).<br />

18<br />

Für Surveys zu diesem Thema siehe DELLAROCAS (2003), BAJARI und HORTAÇSU (2004) sowie RES-<br />

NICK, ZECKHAUSER, SWANSON und LOCKWOOD (2006).


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 84<br />

im Rahmen eines eintägigen Seminars in der effektiven Nutzung von ebay unterrichtet werden.<br />

19 Dazu kommen Online-Trainingskurse und sogar Kursangebote an Volkshochschulen. 20<br />

Zudem versucht ebay durch das Angebot von Foren und Cafés, in denen neben Informationen<br />

rund um ebay auch Meinungen zu anderen alltäglichen Themen ausgetauscht werden können,<br />

bei den Nutzern ein Gemeinschaftsgefühl zu wecken und so Netzeffekte zu erzeugen.<br />

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass ebay heute auf dem Markt <strong>für</strong> private Online-Auktionen<br />

eine marktbeherrschende Stellung haben dürfte, gestützt durch (a) die starken<br />

indirekten Netzeffekte bei Käufern und Verkäufern, (b) den Schwierigkeiten des „Reputationstransfers“<br />

und (c) das mit dem potenziellen Konkurrenten Yahoo geschlossene Kartellabkommen.<br />

Diese marktbeherrschende Stellung dürfte aufgrund der genannten Markteintrittsbarrieren<br />

nicht nur temporär gegen Markteintritt geschützt sein. Dieser Befund lässt<br />

sich allerdings nicht ohne weitere <strong>Analyse</strong> <strong>für</strong> andere Internetangebote verallgemeinern. Zwar<br />

liegen auch dort oftmals indirekte Netzeffekte vor, jedoch sind die Wechselkosten oftmals<br />

geringer. So können z.B. Google-Nutzer vergleichsweise einfach zu einer anderen Suchmaschine<br />

wechseln und alternativen Suchmaschinen steht es frei, auf sämtliche Webseiten zuzugreifen<br />

und diese in die Suche einzubeziehen.<br />

4.5 Beispiel II: Google<br />

Wesentlich stärker als ebay steht Google aktuell im Interesse von Medien und Kartellbehörden.<br />

Die Europäische Kommission hat diverse Vorermittlungen eingeleitet, die USamerikanische<br />

Federal Trade Commission (FTC) steht sowohl Presseberichten als auch eigenen<br />

Verlautbarungen zufolge kurz vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Der wesentliche<br />

Vorwurf bei Google bezieht sich, zumindest in der Öffentlichkeit, bislang auf die<br />

diskriminierende Listung von Suchergebnissen. Angeblich würden Angebote konzerninterner<br />

Unternehmen präferiert gelistet. Da der Suchalgorithmus aus der Natur der Dinge heraus als<br />

Geschäftsgeheimnis betrachtet werden muss, das nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden<br />

kann, ist es allerdings nicht trivial, einen solchen Verdacht gerichtsfest zu belegen. Der<br />

wesentliche Mehrwert einer Suchmaschine <strong>für</strong> die Verbraucher ist ja zudem gerade eine Sortierung<br />

der Suchergebnisse – also eine eben nicht zufällige Reihung der Resultate. Da sich<br />

zudem Webseiten immer wieder ändern und neue Webseiten entstehen und Suchmaschinen<br />

ein lernendes System darstellen, sind auch Veränderungen in der Reihenfolge von Suchergebnissen<br />

nicht etwa verdächtig, sondern die Regel. Ganz im Gegenteil wäre sogar ein statisches<br />

Festhalten an Reihungen eher als verdächtig zu werten, sofern sich die Inhalte von digitalen<br />

Plattformen ändern. Würde z.B. ein Online-Vermittler von Reisen (wie z. B. expedia) selbst<br />

eine bestimmte Fluglinie (wie z. B. Air Berlin) nicht mehr im Angebot führen, wie dies in der<br />

Tat Ende 2011 <strong>für</strong> eine gewisse Zeit der Fall war, so sollte in der Konsequenz auch dieser<br />

Online-Reisevermittler im Ranking bei Google absteigen, da er <strong>für</strong> die Verbraucher weniger<br />

nützlich ist. Ab wann ein solches Verhalten als diskriminierend zu werten ist, ist nur schwer<br />

zu beurteilen.<br />

Problematisch ist die gerichtsfeste Feststellung einer Verletzung der „Suchneutralität“ auch<br />

deshalb, weil die Diskriminierung auf sehr subtile Weise erfolgen kann. So muss die Diskriminierung<br />

gar nicht im Suchalgorithmus selbst angelegt sein, sondern kann auch derart erfol-<br />

19 Vgl. http://seminare.ebay.de/university/<br />

20 Vgl. http://education.ebay.de/kurssuche/kurssuche.pl


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 85<br />

ge, dass konzerninterne Mitarbeiter von Google die Suchalgorithmen besser kennen und verstehen<br />

als externe Suchmaschinenoptimierer, sodass konzernintern die Webseiten besser auf<br />

den Google-Suchalgorithmus hin programmiert und optimiert werden können. Selbst bei der<br />

organisatorischen Trennung der Geschäftsbereiche (durch sog. „Chinese walls“) wäre eine<br />

solche Gefahr kaum zu bannen, da eine solche Form der Diskriminierung nur sehr schwer<br />

nachweisbar wäre.<br />

Da Google im Bereich der Suchmaschinen eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, die in<br />

Deutschland sogar ein fast vollständiges Monopol darstellt, wie Tabelle 2 verdeutlicht, ist die<br />

Gefahr einer Diskriminierung durchaus nicht nur theoretischer Natur, sondern durchaus vorstellbar.<br />

Tabelle 6:<br />

Jahr 2010<br />

Marktanteile <strong>für</strong> Suchmaschinen in den in USA und Deutschland im<br />

Marktanteil USA Deutschland<br />

Google 66.25% 93.86%<br />

Yahoo 16.4% 0.85%<br />

Bing 11.8% 1.71%<br />

Anmerkung: Anfang 2010 hat Yahoo sein Suchmaschinengeschäft an Microsoft (Bing) veräußert. 21<br />

Somit stellt sich die Frage, wie gegen einen etwaigen Missbrauch einer marktbeherrschenden<br />

Stellung durch Google vorzugehen wäre, wenn dieser denn gerichtsfest belegt werden könnte.<br />

Eine etwaige strukturelle Entflechtung müsste wohl als unverhältnismäßig gelten und wäre<br />

auch ökonomisch aufgrund der ambivalenten Auswirkungen auf Investitions- und Innovationsanreize<br />

eine fragwürdige Abhilfemaßnahme. Geldbußen können zwar eine gewisse abschreckende<br />

Wirkung entfalten, haben sich in der Vergangenheit aber auch oftmals als wenig<br />

effektiv erwiesen. Sinnvoll könnte es sein, Google zu verpflichten, konzerninterne Webseiten<br />

ähnlich farbig zu hinterlegen wie dies bei den gesponserten Links und Werbebannern der Fall<br />

ist, sodass Verbraucher sofort erkennen können, dass es sich um Google-Seiten handelt. Sofern<br />

die Nutzer dann den Verdacht hegen, dass hier Suchergebnisse zu Googles eigenem Vorteil<br />

manipuliert werden, könnten die Nutzer stattdessen auf andere Suchergebnisse zurückgreifen.<br />

Diesen Schritt könnte Google allerdings im Idealfall auch heute schon im Sinne einer<br />

höheren Transparenz und Nutzerfreundlichkeit gehen.<br />

Bevor jedoch Abhilfemaßnahmen auferlegt werden, sollte das Ausmaß des tatsächlichen Problems<br />

eruiert und dargelegt werden. Anders als bei Facebook oder Ebay halten sich die<br />

Wechselkosten <strong>für</strong> die Nutzer bei Google sehr in Grenzen. Sollten die Nutzer unzufrieden<br />

sein mit den Suchergebnissen, ist ein Wechsel der Suchmaschine relativ einfach ohne spürbare<br />

Wechselkosten möglich. Man könnte auch sagen: Der Wettbewerb ist nur einen Klick entfernt.<br />

Somit bliebt abzuwarten, inwiefern die aktuell zweifellos sehr starke Marktstellung von<br />

Google tatsächlich von dauerhafter Natur ist. Es ist noch nicht allzu lange her, als nacheinander<br />

auch AOL, Yahoo! und Altavista marktbeherrschende Gatekeeper im Internet waren, die<br />

dann jedoch durch andere wie eben Google abgelöst wurden. Wie sich in Zukunft der Wettbewerb<br />

zwischen Google und Anbietern wie Facebook oder auch Twitter sowie Microsoft<br />

oder auch Anbietern von Cloud Diensten entwickeln wird, ist heute relativ offen. Für eine<br />

Vorab-Regulierung der Angebote scheint es daher heute allemal zu früh zu sein, wenn die<br />

21 http://www.pcworld.com/article/204134/Will_Bing_Back_End_Make_Yahoo_Better.html.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 86<br />

Dynamik des Wettbewerbs nicht abgewürgt werden soll. Sollte sich jedoch zeigen, dass die<br />

starke Marktstellung von Google auch langfristig bestehen bleibt und Innovationen und<br />

Markteintritt unterbleiben, so wäre diese Position neu zu bewerten. Aufgrund der verhältnismäßig<br />

geringen Wechselkosten der Nutzer erscheint dies jedoch – anders als z. B. bei Facebook<br />

oder eBay, bei denen indirekte Netzeffekte erheblich wichtiger sind – heute wenig wahrscheinlich.<br />

4.6 Fazit<br />

Das Internet ist stark durch Wettbewerb zwischen Plattformen geprägt, welche potenzielle<br />

Tauschpartner zusammenbringen. Die Konkurrenz zwischen solchen mehrseitigen Plattformen<br />

und die Marktkonzentration wird maßgeblich bestimmt durch (1) die Stärke der indirekten<br />

Netzeffekte, (2) das Ausmaß steigender Skaleneffekte, (3) Überlastungsgefahren, (4) Differenzierung<br />

der Plattformen und (5) die Möglichkeit des Multihoming. Je nach Ausprägung<br />

dieser Kriterien ergeben sich unterschiedliche Konzentrationstendenzen und Markteintrittsbarrieren.<br />

Pauschal lässt sich zwar nicht feststellen, dass im Internet besonders viele dauerhaft<br />

resistente Monopole anzutreffen wären und ein besonderer Regulierungsbedarf besteht.<br />

Gleichwohl zeigt sich, dass einzelne Plattformen wie z.B. ebay und Facebook auf manchen<br />

Märkten durchaus beträchtliche Marktmacht besitzen, die aufgrund erheblicher<br />

Markteintrittsbarrieren und indirekter Netzeffekte auch nicht schnell erodieren wird. Im Fall<br />

von Google hingegen sind indirekte Netzeffekte schwächer ausgeprägt und Wechselkosten <strong>für</strong><br />

Nutzer daher geringer. Für Google wird es daher bedeutend schwieriger sein, die heutige<br />

Marktmacht dauerhaft zu sichern und sich gegen Markteintritt und Innovation zu schützen –<br />

gute Nachrichten daher <strong>für</strong> die Verbraucher!<br />

4.7 Literatur<br />

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Externalities, TILEC Working Paper, Tilburg.<br />

BAJARI, P.; HORTAÇSU, A. (2003), The Winner.s Curse, Reserve Prices, and Endogenous<br />

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DIXIT, A.; STIGLITZ, J. (1977), Monopolistic Competition and Optimum Product Diversity,<br />

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<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 89<br />

5. Strategische Schlussforderungen<br />

Die Bedeutung von <strong>IKT</strong> <strong>für</strong> wirtschaftliche Modernisierung und Fortschritt nimmt stetig zu.<br />

Dies gilt auf allen Betrachtungsebenen, <strong>für</strong> die Weltwirtschaft insgesamt ebenso, wie <strong>für</strong> Europa,<br />

Deutschland und <strong>für</strong> das wirtschaftsstarke und bevölkerungsreiche Bundesland Nordrhein-Westfalen.<br />

Dabei ist erkennbar, dass Produzenten aus Asien im Bereich von skalenintensiven<br />

<strong>IKT</strong>-Gütern Wettbewerbsvorteile haben. In Europa liegen die Stärken eher bei spezialisierten<br />

<strong>IKT</strong>-Anbietern, doch es gibt auch bedeutende innovative Akteure im Bereich Mobilfunkkommunikation,<br />

Embedded Systems und Smart Grids. Zudem ragt in Westeuropa die<br />

Automobilindustrie als innovativer <strong>IKT</strong>-Anwender hervor. Deutschland ist in einigen <strong>IKT</strong>-<br />

Bereichen gut oder sogar führend positioniert, könnte allerdings insbesondere im <strong>IKT</strong>-<br />

Gründergeschehen noch Entwicklungspotenzial mobilisieren.<br />

Für Deutschland wie <strong>für</strong> die Europäische Union (EU) insgesamt gilt, dass es einen Mangel an<br />

Risikokapital gibt – insbesondere im Vergleich zu den USA. Für den <strong>IKT</strong>-Sektor, der von<br />

seiner Natur her wenig dingliche Sicherheiten bietet, ist die Überwindung dieses Defizits von<br />

großer Bedeutung. Bestehende Initiativen der Bundesregierung, die Erfolge u.a. über ein<br />

Mentoren-Programm <strong>für</strong> junge <strong>IKT</strong>-Unternehmen realisieren konnten, sollten ggf. auf Ebene<br />

der Bundesländer in modifizierter Form aufgegriffen werden. Dies könnte auch <strong>für</strong> Netzwerk-<br />

Förderprogramme in den Bereichen Industrie und Handwerk gelten, wobei Impulse seitens<br />

der Bundesländer insbesondere auch aus Forschungs- bzw. Vernetzungsinitiativen in Verbindung<br />

mit den Hochschulen kommen könnten.<br />

Darüber hinaus weist Deutschland im Bereich digitales Regieren im internationalen Vergleich<br />

erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten auf. Mit Blick auf die in vielen EU-Ländern notwendigen<br />

Konsolidierungsmaßnahmen und im Interesse der europäischen Bürger ist es vor allem,<br />

Kostensenkungsmöglichkeiten und Einsparpotenziale durch verbesserte digitale Einkaufsprogramme<br />

von Bund, Ländern und Gemeinden zu erreichen. Für die Qualifizierung von Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern sind Initiativen im Industrie-, Handwerks- und Dienstleistungssektor<br />

ebenso wichtig wie gezielte Bildungs- und Weiterbildungsaktivitäten, deren Organisation<br />

zumindest zum Teil von staatlicher Seite zu unterstützen ist. Vor allem fehlen bei den<br />

bestehenden Fortbildungsprogrammen im staatlichen Bereich geeignete Schwerpunktsetzungen<br />

auf <strong>IKT</strong>.<br />

Aus ordnungspolitischer Sicht sollte der Staat auf nationaler und internationaler Ebene zunächst<br />

sinnvolle Rahmenbedingungen <strong>für</strong> den <strong>IKT</strong>-Sektor setzen. Dies ist mit Blick auf die<br />

digitale weltweite Internetwirtschaft eine Herausforderung, die in jedem Fall auch die Kooperation<br />

von Industrie- und Schwellenländern verlangt. Mit der International Telecommunications<br />

Union ist hier eine kompetente Organisation aktiv, die sich auch mit interessanten inhaltlichen<br />

Schwerpunkten schon beschäftigt hat – etwa Green ICT und digitaler Chancengleichheit.<br />

Dennoch gilt es gerade beim internationalen Ordnungsrahmen darauf zu achten, dass der<br />

Staat nicht unnötig mit Interventionen den Innovationsprozess beeinträchtigt, denn er schöpft<br />

seine Dynamik vor allem aus dem (internationalen) Wettbewerb der Unternehmen.<br />

Soweit es zunehmend grenzüberschreitende Innovations-Übertragungseffekte gibt, ist die<br />

Innovationspolitik auf internationaler Ebene zu organisieren. Ob dies in der EU bislang hinreichend<br />

und effizient geschieht, bleibt zu untersuchen. Dass die Lissabon-Agenda 2010 ge-


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 90<br />

rade bei Kohäsionsländern relativ wenig Fortschritte im <strong>IKT</strong>-Sektor gebracht hat, setzt jedenfalls<br />

ein Fragezeichen hinter manche Aktivität der Europäischen Kommission. So hatte die<br />

EU zu Beginn des Jahrtausends einen sichtbaren Vorsprung im Mobilfunkbereich gegenüber<br />

den USA und z.T. gegenüber Japan. Dieser Vorsprung ist jedoch mittlerweile abgeschmolzen.<br />

Somit stellt sich die Frage, inwieweit gerade im Telekomsektor die EU und ihre Mitgliedsländer<br />

auf die erkennbaren Globalisierungstendenzen der digitalen Kommunikation angemessen<br />

eingegangen sind. Doch auf europäischer Ebene ist nicht nur die Regulierungspolitik gefordert,<br />

einer gegebenenfalls notwendigen Marktkonsolidierung nicht im Wege zu stehen, sondern<br />

es stellt sich im Zuge der Eurokrise die schwierige Frage, wie derartige Konsolidierungsprozesse<br />

bei einer zunehmenden Segmentierung der Kapitalmärkte innerhalb der Eurozone<br />

angemessen zu finanzieren sind.<br />

Für die privaten Haushalte wie die Unternehmen ist die Nutzung digitaler Plattformen und<br />

Suchmaschinen Alltag geworden und die Effizienz- und Produktivitätsgewinne durch optimale<br />

Internetnutzung, inklusive Netzwerkbildung können sehr erheblich sein. Von daher gilt es<br />

hier, nachhaltigen Wettbewerb zu sichern. Es ist im Übrigen gerade eine europäische Aufgabe,<br />

auf Basis von Benchmarking voneinander zu lernen. Auch hier gibt es Verbesserungspotential<br />

und es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, dass gerade auch kleine Länder wie Estland,<br />

Österreich, Dänemark, Finnland und Schweden sowie die Niederlande in der digitalen<br />

Agenda in Einzelbereichen weit vorne stehen. Deutschland als großer Marktplatz der Ideen<br />

und der Produkte und der neuartigen Dienste hat natürlich besondere Chancen, durch Nachahmung<br />

einerseits und Vernetzung andererseits die digitale Modernisierung von Wirtschaft<br />

und Gesellschaft voranzubringen. Es ist zu hoffen, dass gerade auch der Wettbewerb der<br />

Bundesländer hier mittelfristig zu digitalem Fortschritt erheblich beiträgt.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 91<br />

<strong>Anhang</strong> 1: ExzellenzNRW <strong>Cluster</strong>initiative<br />

Das bevölkerungsmäßig größte Bundesland Nordrhein-Westfalen hat eine <strong>IKT</strong>-<br />

<strong>Cluster</strong>initiative, die Seitens der Wirtschaftspolitik den <strong>IKT</strong>-Sektor einerseits und andererseits<br />

die Rolle von <strong>IKT</strong> als Querschnittstechnologie fördern soll (ExzellenzNRW, 2012) 22 :“<br />

• Mehr als 23.000 Unternehmen im Land beschäftigten im Jahr 2010 rund 184.000 Mitarbeiter<br />

und erzielten einen Umsatz von 92 Milliarden Euro - dies entspricht 16,9 Prozent<br />

des nordrhein-westfälischen Bruttoinlandsproduktes 2010.<br />

• Im Jahr 2011 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im gesamten<br />

<strong>IKT</strong>-Sektor um mehr als 5.500 auf rund 189.500.<br />

• Starker TK-Sektor: 86 % des deutschen Mobilfunkmarktes werden von NRW-<br />

Unternehmen abgedeckt; mit Vodafone, E-Plus, Ericsson und der Deutschen Telekom<br />

sind vier „Big Player“ der TK-Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen angesiedelt. „Handycity“<br />

Düsseldorf – die Stadt ist ein Telekommunikations- und Mobilfunkstandort<br />

mit internationaler Strahlkraft, was die Ansiedlung großer Konzerne beweist.<br />

• 8 Fraunhofer-Institute mit <strong>IKT</strong>-Schwerpunkt sind in Nordrhein-Westfalen angesiedelt.<br />

• Effizienz<strong>Cluster</strong> LogistikRuhr (vom BMBF gefördert): Das vom BMBF geförderte<br />

Spitzencluster zielt auf die Entwicklung von Produkten, Ansätzen und Innovationen,<br />

um die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen unter Einsatz der Logistik<br />

bewältigen zu können.<br />

• Im <strong>IKT</strong>-Bereich sind in NRW bereits mehrere regionale sowie thematische Netzwerke<br />

aktiv, bspw. das stark regional fokussierte IT-Security Netzwerk in der Region Bochum<br />

/ Gelsenkirchen oder das thematische Geoinformations-Netzwerk mit mehreren<br />

regionalen Schwerpunkten in Bonn, Münster und der Ruhrregion.“<br />

22 http://www.exzellenz.nrw.de/ikt-neu/noth/clusterinfo/landescluster/ikt/#c5652


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 92<br />

<strong>Anhang</strong> 2: <strong>Cluster</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>für</strong> <strong>IKT</strong> (<strong>EIIW</strong>-<strong>Analyse</strong>n)<br />

*Die Patentanmeldungen sind nach dem Kriterium „Wohnsitz des Erfinders“ zugeordnet.<br />

Man kann die Intensität eines regionalen <strong>IKT</strong>-<strong>Cluster</strong>s auf Basis der Patentstatistiken der EU<br />

erfassen, wobei z.B. von mehreren Firmen gemeinsam erhaltene bzw. beantragte Patente<br />

sichtbar werden; beim Mobilitätsnetzwerk wird die Mobilität von Erfindern im <strong>IKT</strong>-Sektor<br />

zwischen Firmen erfasst, wobei diese Mobilität <strong>für</strong> den Transfer von an Personen bzw. Erfindern<br />

gebundenem Wissen wichtig ist (als Darstellung kann auch quasi die Summe von Kooperation<br />

und Mobilität als Gesamtnetzwerk dargestellt werden). Zu den Einzelheiten der<br />

Methodik siehe WELFENS, P.J.J., Hg. (2011), <strong>Cluster</strong>- und Innovationsdynamik in Europa:<br />

Neue Perspektiven der Automobil- und <strong>IKT</strong>-Wirtschaft, Serie: Europäische Integration und<br />

Digitale Weltwirtschaft Bd.6, Stuttgart: Lucius & Lucius.<br />

Abbildung 19: Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, München, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 93<br />

Abbildung 20: Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Vienna, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen<br />

Abbildung 21: Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Vienna, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 94<br />

Abbildung 22: Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Dortmund, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen<br />

Abbildung 23: Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Dortmund, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 95<br />

Abbildung 24: Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Bergisches Städtedreieck,<br />

2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen<br />

Abbildung 25: Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Bergisches Städtedreieck, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 96<br />

Abbildung 26: Patent-Kooperationsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Eindhoven, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen<br />

Abbildung 27: Mobilitätsnetzwerk <strong>für</strong> <strong>IKT</strong>, Eindhoven, 2000-2007<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 97<br />

<strong>Anhang</strong> 3: Internationale Spezialisierung in Deutschland und<br />

China<br />

Abbildung 28: Offenbarte internationale Wettbewerbsposition (RCA: positiver<br />

Wert zeigt relativ gute sektorale Wettbewerbsfähigkeit an; ein negativer Wert steht<br />

<strong>für</strong> eine schwache internationale Wettbewerbsposition) und Exportdurchschnittserlös<br />

<strong>für</strong> Deutschland<br />

Notiz: NACE Klassifizierung <strong>IKT</strong> = 30 (Manufacture of office machinery and computers) + 32 (Manufacture of radio, television<br />

and communication equipment and apparatus)<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 98<br />

Abbildung 29: Offenbarte internationale Wettbewerbsposition (RCA: positiver<br />

Wert zeigt relativ gute sektorale Wettbewerbsfähigkeit an; ein negativer Wert steht<br />

<strong>für</strong> eine schwache internationale Wettbewerbsposition) und Exportdurchschnittserlös<br />

<strong>für</strong> China<br />

Notiz: NACE Klassifizierung <strong>IKT</strong> = 30 (Manufacture of office machinery and computers) + 32 (Manufacture of radio, television<br />

and communication equipment and apparatus)<br />

Quelle: <strong>EIIW</strong> Berechnungen


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 99<br />

<strong>Anhang</strong> 4: <strong>IKT</strong>-Daten


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 100


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 101<br />

Quelle: OECD (2012), OECD Internet Economy Outlook 2012, Paris.


<strong>IKT</strong> als Schlüssel <strong>für</strong> Modernisierung und Fortschritt in Deutschland und NRW 102<br />

<strong>Anhang</strong> 5: Exporte von <strong>IKT</strong>-Gütern<br />

Abbildung 30: Entwicklung der Exporte von <strong>IKT</strong> Gütern nach den wichtigsten<br />

Bestimmungsländern


<strong>EIIW</strong><br />

Koordinator: Prof. Dr. Paul J.J. Welfens:<br />

Europäisches Institut <strong>für</strong> Internationale Wirtschaftsbeziehungen<br />

(<strong>EIIW</strong>) an der Bergischen Universität Wuppertal<br />

Rainer-Gruenter-Str. 21<br />

42119 Wuppertal<br />

Tel. 0202 439 1371<br />

welfens@eiiw.uni-wuppertal.de<br />

www.eiiw.eu<br />

07.11.2012

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