AWMF online - Leitlinie Kinderchirurgie: Diagnostik bei konnatalen ...
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<strong>AWMF</strong> <strong>online</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft der<br />
Wissenschaftlichen<br />
Medizinischen<br />
Fachgesellschaften<br />
<strong>Leitlinie</strong>n der AG f. Pädiatrische Nephrologie, der Dt. Ges. f.<br />
<strong>Kinderchirurgie</strong> und der Dt. Ges. f. Urologie<br />
<strong>AWMF</strong>-<strong>Leitlinie</strong>n-Register Nr. 006/125 Entwicklungsstufe: 2<br />
<strong>Diagnostik</strong> <strong>bei</strong> <strong>konnatalen</strong> Dilatationen der<br />
Harnwege<br />
Zusammenfassung<br />
Durch prä- und postnatales sonographisches Screening werden <strong>bei</strong> annähernd jedem hundertsten<br />
Kind Nieren- oder Harnwegsfehlbildungen erkannt. Meist besteht das Bild einer ureteropelvinen<br />
Stenose oder eines Megaureters. Besonders in diesen Fällen ist für die Therapieentscheidung die<br />
Differenzierung zwischen einer korrekturbedürftigen Obstruktion und einer Harnwegsdilatation ohne<br />
Auswirkung auf die Nierenfunktion essentiell. Beurteilungskriterien für die Einschätzung der<br />
Harntransportstörung sind die Nierenbeckenkelchdilatation mit ihrer zeitlichen Dynamik <strong>bei</strong><br />
Verlaufskontrollen, der Nuklidabfluß im Diurese-Szintigramm und die seitengetrennte<br />
Nierenfunktion.<br />
Indikation, Durchführung und Bewertung der <strong>Diagnostik</strong> sind bislang uneinheitlich. Zur<br />
Vergleichbarkeit von Untersuchungsbefunden und insbesondere zur Planung prospektiver<br />
randomisierter Therapiestudien ist jedoch eine Standardisierung erforderlich.<br />
Die APN beauftragte daher eine Ar<strong>bei</strong>tsgruppe, einen Konsens über diagnostische Strategien für<br />
konnatale Harnwegsdilatationen zu erreichen. Die Erar<strong>bei</strong>tung der endgültigen Fassung erfolgte in<br />
Kooperation mit dem Ar<strong>bei</strong>tskreis Kinderurologie der Deutschen Gesellschaft für Urologie und mit<br />
der Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft für Kinderurologie in der Deutschen Gesellschaft für <strong>Kinderchirurgie</strong> unter<br />
fachlicher Beratung durch führende Kinderadiologen und Nuklearmediziner. Die wesentlichen<br />
Ergebnisse werden vorgestellt.<br />
Schlüsselwörter:<br />
Konsensus - konnatale Harnwegsdilatation - Ureteropelvine Stenose - Megaureter -<br />
Diureseszintigraphie<br />
Consensus on diagnostic strategies in connatal dilatations of<br />
the urinary tract<br />
Anomalies of the urinary tract are detected by ultrasound screening in one out of one hundred<br />
newborns. In most cases, dilatations of the upper urinary tract result from ureteropelvic junction<br />
obstruction or a primary megaureter. Especially in these cases, it is essential to differentiate<br />
between an obstruction defined as a stenosis potentially leading to progressive parenchymal<br />
damage from a dilatation without any consequences for renal function. Main criteria for the<br />
assessment of urinary transport are ultrasound examinations to observe the dilatation of the<br />
collecting system, washout of the tracer during diuresis renography and the split renal function.<br />
Standards for investigation procedures are required to ensure comparability of treatment concepts<br />
and especially for prospective randomized studies planned for the future. A consensus concerning<br />
basic diagnostic strategies has been elaborated by a task force group consisting of members of the<br />
"Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft für Pädiatrische Nephrologie" in cooperation with the "Ar<strong>bei</strong>tskreis<br />
Kinderurologie" in the German Society of Urology and the "Kinderurologische Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft"<br />
in the German Society of Pediatric Surgery with advice from leading pediatric radiologists and<br />
specialists in pediatric nuclear medicine. The main contents of this consensus are reported.<br />
Key words:<br />
Consensus - diagnostic strategies - Ureteropelvic junction obstruction - megaureter - diuresis<br />
renogram<br />
Einleitung<br />
Durch intrauterines und neonatales sonographisches Screening wird heute <strong>bei</strong> fast einem von<br />
hundert Kindern ein auffälliger Befund im Bereich der Harnwege erhoben. In der Regel bestehen<br />
zum Zeitpunkt der Früherkennung keine Krankheitssymptome. Ziel jeglicher weiterführenden
zum Zeitpunkt der Früherkennung keine Krankheitssymptome. Ziel jeglicher weiterführenden<br />
Maßnahmen ist die Verhinderung progredienter Nierenfunktionseinschränkungen und<br />
Folgeerkrankungen unter Vermeidung unnötiger diagnostischer oder therapeutischer<br />
Interventionen.<br />
Am häufigsten findet sich das Bild einer isolierten Nierenbeckenkelchdilatation oder eines<br />
Megaureters. Besonders in diesen Fällen ist die Differenzierung zwischen einer korrekturbedürftigen<br />
Obstruktion und einer Harnwegsdilatation ohne funktionelle Auswirkung auf die Nierenfunktion von<br />
zentraler Bedeutung für die Therapieentscheidung. Bis heute existieren keine<br />
Untersuchungsverfahren, die diese Differenzierung in jedem Falle eindeutig zulassen. Die<br />
verfügbaren sonographischen, nuklearmedizinischen und radiologischen Untersuchungsmethoden<br />
ermöglichen jedoch eine Einschätzung der zugrundeliegenden Harnabflußstörung. Sie ist umso<br />
präziser, je klarer die Beurteilungskriterien definiert und die Untersuchungsmethoden standardisiert<br />
sind (15,16).<br />
Die Notwendigkeit eines möglichst standardisierten diagnostischen Vorgehens wird <strong>bei</strong> der<br />
Interpretation klinischer Studienergebnisse oder <strong>bei</strong>m Vergleich der Therapiekonzepte<br />
verschiedener Kliniken evident. In Anbetracht dieses Bedarfs wurde in der Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft für<br />
Pädiatrische Nephrologie eine Ar<strong>bei</strong>tsgruppe damit beauftragt, einen Konsens über die<br />
diagnostischen Strategien für konnatale Dilatationen der oberen Harnwege zu erreichen. Die<br />
Erar<strong>bei</strong>tung der endgültigen Fassung erfolgte in Kooperation mit dem Ar<strong>bei</strong>tskreis Kinderurologie<br />
der Deutschen Gesellschaft für Urologie und mit der Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft für Kinderurologie in der<br />
Deutschen Gesellschaft für <strong>Kinderchirurgie</strong>. Bereits existierende <strong>Leitlinie</strong>n wurden berücksichtigt<br />
(3,7,9,11,12,13). Um ihre Stellungnahmen und Beratung aus kinderradiologischer und<br />
nuklearmedizinischer Sicht wurden namhafte Experten gebeten.<br />
Die im folgenden aufgeführten Vorschläge zur Vorgehensweise stellen den größtmöglichen Konsens<br />
der Beteiligten dar. In einzelnen strittigen Punkten war keine vollständige Übereinstimmung zu<br />
erzielen - sie sind jeweils gesondert kommentiert. Die Konsensusgruppe ist sich bewußt , daß der<br />
jetzt erzielte Konsens auf der Basis aktueller Kenntnisse und Erfahrungen ständig erneuert werden<br />
muß. Er kann jedoch als Ausgangspunkt für gemeinsame prospektive Studien unter<br />
standardisierten Bedingungen dienen, die weitere Verbesserungen in <strong>Diagnostik</strong> und Therapie<br />
konnataler Harnwegsdilatationen ermöglichen.<br />
1. Definitionen<br />
Nierenbecken(-kelch)-dilatation, Ureterdilatation<br />
Diese Begriffe bezeichnen jede passagere oder permanente Aufweitung von<br />
Nierenbecken und /oder Kelchsystem bzw. Harnleiter unabhängig von der Genese.<br />
Hydronephrose<br />
Stenose<br />
Aus anatomisch-pathologischer Sicht wird unter "Hydronephrose" das Bild einer<br />
Harnstauung mit konsekutiven degenerativen Veränderungen des Nierenparenchyms<br />
verstanden. In der englischsprachigen Literatur wird der Ausdruck "hydronephrosis"<br />
jedoch für jegliche Nierenbeckenerweiterung verwendet, sodaß er inzwischen auch im<br />
deutschsprachigen Raum vielerorts synonym zum Begriff der Nierenbecken(-kelch)dilatation<br />
gebraucht wird.<br />
Eine Stenose ist eine pathologisch- anatomische Bezeichnung für eine Verengung des<br />
Lumens, zum Beispiel am ureteropelvinen oder ureterovesikalen Übergang.<br />
Obstruktion<br />
Eine konnatale Obstruktion ist der Zustand einer Harntransportstörung, die -wenn<br />
unbehandelt- das funktionelle Entwicklungspotential der Niere begrenzt (10).<br />
Megaureter<br />
Ein prävesikal oder in seinem Gesamtverlauf dilatierter Harnleiter wird als Megaureter<br />
bezeichnet. Eine klare Grenze zwischen physiologischer Ureterweite und Megaureter<br />
existiert nicht; als pathologischer Grenzwert wird in der Literatur ein Durchmesser von<br />
6 mm angegeben (6).<br />
Ein höhergradig refluxiver Harnleiter, der lediglich im Miktionszystogramm (MCU), nicht<br />
aber im Diureseszintigramm bzw. im i.v.-Urogramm eine Dilatation aufweist, wird<br />
definitionsgemäß nicht als Megaureter bezeichnet.<br />
Primärer Megaureter:<br />
Ursache im terminalen, juxtavesikal gelegenen engen Harnleitersegment mit<br />
darüberliegender unterschiedlicher Harnleiterdilatation<br />
Sekundärer Megaureter: Assoziation mit anatomischer oder funktioneller infravesikaler<br />
Obstruktion<br />
Refluxiver Megaureter:<br />
Vesikoureteraler Reflux im Miktionszystourethrogramm; persistierende<br />
Harnleiterdilatation im Sonogramm, i.v.-Urogramm und / oder im Szintigramm auch<br />
nach Blasenentleerung.<br />
Nicht-refluxiver Megaureter:<br />
kein vesikoureteraler Reflux im Miktionszystourethrogramm.<br />
Obstruktiver Megaureter:
Nachweis einer Obstruktion<br />
Nicht-obstruktiver Megaureter:<br />
Ausschluß einer Obstruktion<br />
Zur detaillierten Beschreibung eines Megaureters sollten sämtliche aufgeführten Kriterien<br />
hinzugezogen werden (primär/sekundär - refluxiv/nicht refluxiv - obstruktiv/nicht obstruktiv).<br />
Erfahrungsgemäß bereitet die Einordnung in die Kategorien obstruktiv/nicht obstruktiv im<br />
Einzelfall Schwierigkeiten, sodaß sie unter Umständen offen bleibt.<br />
2. Sonografische Basisdiagnostik<br />
2.1. Zeitpunkt<br />
Im allgemeinen sollte eine postnatale Ultraschalluntersuchung zur Erfassung von<br />
Harnwegsdilatationen ab dem dritten bis vierten Lebenstag stattfinden. Wegen der<br />
postnatal passager bestehenden "physiologischen Oligurie" ist sonst damit zu rechnen,<br />
daß pathologische Befunde übersehen werden.<br />
Bei intrauterin auffälligem, postnatal jedoch unauffälligem Befund sollte die<br />
Ultraschalluntersuchung in der vierten Lebenswoche wiederholt werden.<br />
Eine dringliche Indikation zur unmittelbar postnatalen Ultraschalldiagnostik besteht <strong>bei</strong><br />
intrauterinem Verdacht auf Urethralklappe <strong>bei</strong>m Knaben (bilaterale<br />
Nierenbeckendilatation und Ureterdilatation mit oder ohne<br />
Blasenwandverdickung)<br />
Oligohydramnion<br />
Einzelniere mit intrauterin nachgewiesener Nierenbeckendilatation<br />
klinischen Symptomen (z.B. Sepsis, Oligurie/Anurie)<br />
2.2. Klassifikation der Nierenbeckendilatation im Sonogramm<br />
Gegenüber der alleinigen Angabe der Erweiterung in Zentimetern hat eine<br />
Klassifikation folgende Vorteile:<br />
1. Sie kann unabhängig vom Lebensalter verwendet werden.<br />
2. Die Kelchdilatation findet besondere Berücksichtigung.<br />
3. In der Screening-Untersuchung erlaubt sie eine rasche Zuordnung des<br />
Befundes.<br />
Für die Dokumentation der Nierenbecken(-kelch)-dilatation wird eine daher einheitliche<br />
Klassifikation empfohlen, die neben intra- und extrarenaler Nierenbeckenweite<br />
insbesondere auch das Ausmaß der Kelcherweiterung berücksichtigt (Abb.1).<br />
Abb.1: Sonographische Gradeinteiluing der Nierenbecken-<br />
Kelchdilatation 2 (modifiziert nach V.Hofmann)<br />
Normalbefund:<br />
normal breites Parenchym; Pyelon nicht dilatiert, Kelche zart.<br />
Grad I:<br />
Parenchym normal breit; Pyelon aufgeweitet, Transversaldurchmesser über der 95.Percentile,<br />
Kelche nicht dilatiert.<br />
Grad II:<br />
Parenchym normal breit; Pyelon deutlich erweitert, Kelchhälse leicht erweitert und Kelche<br />
aufgeweitet. Erhaltene Papillenspitzen, Fornixwinkel spitz.<br />
Grad III:<br />
Parenchym verschmälert; deutliche Nierenbeckenkelcherweiterung. Kelche verplumpt, d.h.<br />
Papillen abgeflach und Fornixwinkel stumpf.
Grad IV:<br />
Erhebliche Parenchymverschmälerung; extreme Nierenbeckenkelcherweiterung. Kelche breit<br />
ausgewalzt, Grenzen zwischen Pyelon und Kelchsystem teilweise bis vollständig aufgehoben.<br />
2 Die beschriebene Klassifikation erfolgt in Absprache mit der Sektion Pädiatrie in der<br />
Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM).<br />
3. Weiterführende <strong>Diagnostik</strong><br />
Die weiterführende <strong>Diagnostik</strong> sollte möglichst in einem Zentrum mit folgenden<br />
Voraussetzungen durchgeführt werden:<br />
Sonographie<br />
Kinderradiologisch ausgerüstete Abteilung<br />
Nuklearmedizinische <strong>Diagnostik</strong> (Diureseszintigraphie, DMSA-Scan)<br />
Kooperation mit kinderurologisch spezialisierten Urologen bzw. Kinderchirurgen<br />
3.1. Weiterführende sonographische <strong>Diagnostik</strong><br />
Vor der detaillierten sonographischen Untersuchung wird auf eine angemessene orale<br />
Hydratation besonderer Wert gelegt. Angestrebt wird eine Untersuchung sowohl <strong>bei</strong><br />
gefüllter, als auch <strong>bei</strong> entleerter Blase. Das Augenmerk liegt vor allem auf folgenden<br />
Befunden (Abb.2):<br />
Abb.2: Meßparameter <strong>bei</strong> der weiterführenden sonographischen<br />
<strong>Diagnostik</strong>:<br />
Maximaler Längsdurchmesser (a)<br />
Querdurchmesser in Hilusebene (Nierenbreite) (b)<br />
Tiefendurchmesser in Hilusebene (Nierentiefe) (c)<br />
Extrarenale Nierenbeckenweite in Hilusebene im Querschnitt: (d)<br />
Intrarenale Nierenbeckenweite in Hilusebene im Querschnitt (e)<br />
Maximale Kelchweite im Querschnitt (f)<br />
Schmalster Abstand Parenchymaußenkontur-Kelch= Parenchymdicke (g)<br />
Nierenvolumen (u.a. zur Erfassung einer kompensatorischen Hypertrophie der<br />
kontralateralen Niere) (Annäherungsrechnung: Länge x Breite x Tiefe x 0,5);<br />
Berechnung der gewichtsbezogenen Perzentile nach Dinkel et al. (1)<br />
Parenchymechogenität und kortikomedulläre Differenzierbarkeit<br />
Nierenbeckenweite in mm im Hilus-Querschnitt<br />
Klassifikation der Nierenbeckendilatation unter Einbeziehung der<br />
Kelchkonfiguration (s.2.2.)<br />
Ausmaß der prävesikalen Harnleitererweiterung<br />
Hinweise für Doppelniere/Ureterektopie/Ureterozele<br />
Ureter-Peristaltik<br />
Blasenfüllung (entleert, mäßig gefüllt, stark gefüllt)<br />
Blasenwandkonfiguration und -dicke.<br />
3.2. Nuklearmedizinische <strong>Diagnostik</strong><br />
Die szintigraphische Untersuchung dient vorrangig der Bestimmung der<br />
seitengetrennten Nierenfunktion und der Harnabflußverhältnisse. Sie werden im<br />
Diurese-Szintigramm darstellbar. Durchführung und Bewertung der Diurese-<br />
Szintigraphie sollten unter Berücksichtigung der bereits publizierten Konsensuspapiere<br />
nuklearmedizinischer Ar<strong>bei</strong>tsgruppen erfolgen. Vom Paediatric Committee der<br />
European Association of Nuclear Medicine (EANM) wurden in den vergangenen Jahren<br />
Empfehlungen zur Durchführung nuklearmedizinischer Untersuchungen in der Pädiatrie<br />
erar<strong>bei</strong>tet, welchen sich die AG Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für<br />
Nuklearmedizin angeschlossen hat (3).
Nuklearmedizin angeschlossen hat (3).<br />
Die im folgenden ausgesprochenen Empfehlungen geben die Meinung der<br />
Konsensusgruppe wieder und orientieren sich an den diagnostischen Fragestellungen<br />
von Kinderurologen und pädiatrischen Nephrologen. Sie entsprechen weitgehend den<br />
<strong>Leitlinie</strong>n der EANM (3).<br />
3.2.1. Indikation<br />
Intrarenale Nierenbeckenweite im Querschnitt > 12 mm und<br />
sonographisch Nierenbecken (-kelch)-dilatation von mindestens Grad II (s.<br />
Abb.1)<br />
oder<br />
Nierenbeckenweite im Querschnitt > 15 mm<br />
3.2.2. Zeitpunkt<br />
Beim Neugeborenen und <strong>bei</strong>m jungen Säugling sind die Nierenfunktion<br />
und die Ansprechbarkeit des Tubulussystems auf Furosemid noch im<br />
Entwicklungsstadium. Der Nuklidabfluß nach Furosemidgabe erreicht im<br />
zweiten Lebensmonat die Werte von älteren Kindern. Die<br />
Diureseszintigraphie sollte daher im allgemeinen frühestens in der 4.-6.<br />
Lebenswoche (<strong>bei</strong> Frühgeborenen korrigiertes Alter) erfolgen. Dadurch wird<br />
auch die Vergleichbarkeit zu weiteren Verlaufskontrollen gewährleistet.<br />
Nur in Ausnahmefällen sollte unter Berücksichtigung der altersbedingten<br />
Fehlerquellen das Diurese-Szintigramm in den ersten Lebenswochen<br />
erfolgen. Wenn die Therapieentscheidung vorrangig von der<br />
seitengetrennten Nierenfunktion abhängig gemacht werden soll, ist in<br />
diesem Alter dafür die Technetium-DMSA-Szintigraphie vorzuziehen.<br />
3.2.3. Hydratation<br />
Entscheidend für die Bewertbarkeit der Untersuchung ist -insbesondere in<br />
den ersten Lebensmonaten- eine angemessene Hydratation.<br />
Die gewohnte orale Nahrungszufuhr soll vor Untersuchungsbeginn<br />
<strong>bei</strong>behalten werden. Zusätzlich erfolgt eine parenterale Flüssigkeitszufuhr<br />
über eine intravenöse Verweilkanüle mit halbisotoner Infusionslösung, die<br />
mindestens 1-2 Stunden vor Start des Diureseszintigramms beginnt.<br />
Säuglinge und Kleinkinder bis zum Ende des zweiten Lebensjahres:<br />
Erste Stunde: 20 ml/kgKG/h<br />
Zweite Stunde bis zum Ende des Diureseszintigramms: 10 ml/kgKG/h<br />
Kinder ab dem 3. Lebensjahr:<br />
Zwei Stunden vor Beginn bis zum Ende der Untersuchung 10 ml/kgKG/h.<br />
3.2.4. Blasenentleerung<br />
Kinder mit bereits vorhandener Blasenkontrolle werden vor<br />
Untersuchungsbeginn aufgefordert, die Blase zu entleeren.<br />
3.2.4.1. Blasenkatheter<br />
Ausmaß der Blasenfüllung, intravesikaler Druck und<br />
Vorhandensein eines Refluxes haben jeweils einen schwer<br />
kalkulierbaren Einfluß auf die Abflußverhältnisse im oberen<br />
Harntrakt. In zahlreichen Empfehlungen wird daher auf eine<br />
Standardisierung der Untersuchungsbedingungen durch eine<br />
passagere Harnableitung über einen transurethralen Katheter<br />
besonderer Wert gelegt.<br />
Bei der Risiko/Nutzen-Abwägung sind jedoch folgende<br />
Gesichtspunkte zu berücksichtigen:<br />
Die Invasivität der Untersuchung wird erhöht.<br />
Der transurethrale Katheterismus birgt das Risiko einer<br />
komplizierten Pyelonephritis und einer<br />
Urethraverletzung (insbesondere <strong>bei</strong>m Knaben)<br />
Bei angemessener Hydratation und Furosemiddosis<br />
kommt es <strong>bei</strong> ungestörter Blasenfunktion in der Regel<br />
zur Miktion während der Diureseszintigraphie<br />
Die kontinuierliche Entlastung der Harnblase während<br />
der Diureseszintigraphie schafft unphysiologische<br />
Untersuchungsbedingungen<br />
3.2.5. Radiopharmakon<br />
Die Konsensusgruppe sieht daher mehrheitlich keine<br />
zwingende Indikation zu einem obligaten Katheterismus der<br />
Harnblase. Auch die <strong>Leitlinie</strong> der EANM empfiehlt im übrigen<br />
ausdrücklich nicht den routinemäßigen Einsatz eines<br />
Blasenkatheters (3).<br />
Ein transurethraler Blasenkatheter zur Entlastung der<br />
Harnblase wird übereinstimmend zumindest in den folgenden<br />
Fällen empfohlen:<br />
<strong>bei</strong> bekanntem ipsilateralem vesikoureteralem Reflux<br />
<strong>bei</strong> Blasenentleerungsstörungen (z.B. <strong>bei</strong> neurogener<br />
Blasenfunktionsstörung)<br />
<strong>bei</strong> kaudal dystoper Niere.
99m Tc-MAG 3<br />
3.2.6. Mindest-Dauer des "Nativszintigramms"<br />
20 Minuten.<br />
3.2.7. Zeitpunkt der Furosemidapplikation<br />
20 Minuten nach Applikation des Radiopharmakons (F +20).<br />
3.2.8. Furosemiddosis<br />
Säuglinge (bis Ende des 1.Lebensjahres):<br />
Kleinkinder und Kinder:<br />
Kinder mit uni- oder bilateraler eingeschränkter<br />
Nierenfunktion<br />
1.0<br />
mg/kgKG<br />
0.5<br />
mg/kgKG<br />
1.0<br />
mg/kgKG<br />
maximale Dosis: 40 mg<br />
Bei kleinen Säuglingen ist eine ähnlich prompte Antwort auf die<br />
Furosemidgabe wie <strong>bei</strong>m älteren Kind nicht zu erwarten, sodaß die übliche<br />
Dosierung von 0,5 mg Furosemid/kgKG in dieser Altersklasse nicht<br />
ausreichen dürfte. Dies gilt im übrigen generell für Patienten mit<br />
eingeschränkter Nierenfunktion.<br />
3.2.9. Meßdauer nach Furosemidgabe<br />
mindestens 20 Minuten<br />
3.2.10. Orthostase<br />
Im Anschluß an die Meßzeit nach Furosemidgabe wird das Kind für ca. 5<br />
Minuten in eine aufrechte Position gebracht. Dies geschieht <strong>bei</strong> Säuglingen<br />
durch Hochnehmen auf den Arm, <strong>bei</strong> größeren Kindern durch Aufstehen<br />
vom Untersuchungstisch. Letztere werden daneben zur Miktion<br />
aufgefordert. Nach erneuter Lagerung auf dem Untersuchungstisch erfolgt<br />
eine weitere Aktivitätsmessung über ca. 1 Minute.<br />
3.2.11. Meßgrößen<br />
3.2.11.1. Gesamtclearance - Bestimmung<br />
Die MAG3-Clearance ist kein Ersatz für die glomeruläre<br />
Filtrationsrate (GFR), da sie in erster Linie die tubuläre und nicht die<br />
glomeruläre Funktion mißt.<br />
Für die Beurteilung der Gesamt-Nierenfunktion eignet sich das<br />
Serumkreatinin. Die glomeruläre Filtrationsrate kann mit der<br />
Schwartz'schen Formel aus aktuellem Serum-Kreatinin und<br />
Körperlänge geschätzt werden (14):<br />
Glomeruläre Filtrationsrate (ml/minx1.73 m²) = k x L / Krea. S<br />
k = Korrekturfaktor (Tab.1); L = Körperlänge in cm; Krea S =<br />
Kreatinin im Serum (mg/dl)<br />
Tab.1: Korrekturfaktoren für die Schwartz'sche Formel<br />
Altersgruppe<br />
Alter<br />
(Jahre)<br />
k<br />
(Mittelwert)*<br />
Reife Neugeborene < 1 0.45 40<br />
Kinder 2 - 12 0.55 48<br />
weibliche<br />
Heranwachsende<br />
männliche<br />
Heranwachsende<br />
> 12 0.55 48<br />
> 12 0.70 62<br />
* Faktor k für Kreatininangabe in mg/dl<br />
** Faktor k für Kreatininangabe in mmol/l<br />
3.2.11.2. Seitengetrennte Nierenfunktion<br />
k<br />
(Mittelwert)**<br />
Bei unilateraler ureteropelviner Stenose und sonographisch<br />
unauffälliger kontralateraler Niere ist die seitengetrennte<br />
Nierenfunktionsbestimmung ein wichtiger Parameter zur Beurteilung<br />
der Relevanz der Harnabflußbehinderung. Zur Einschätzung der<br />
unilateralen Nierenfunktion kann die glomeruläre Filtrationsrate als<br />
Gesamtclearance zusammen mit dem szintigraphisch bestimmten<br />
prozentualen Funktionsanteil herangezogen werden.<br />
Bei nicht plausiblen Befunden und in Ausnahmefällen ist die<br />
Technetium-DMSA-Szintigraphie Methode der Wahl zur exakten
Technetium-DMSA-Szintigraphie Methode der Wahl zur exakten<br />
Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktionsanteile.<br />
3.2.11.3. Abflußparameter:<br />
Bilder, Kurvenverläufe und numerische Daten stellen gemeinsam die<br />
Grundlage für die Beurteilung des Nuklidablusses dar. Zur intra- und<br />
interindividuellen Vergleichbarkeit der Befunde sollten die folgenden<br />
Parameter dokumentiert werden (Abb.3).<br />
Numerische Beschreibung des Nuklidabflusses:<br />
Prozentualer Nuklidabfluß vor Furosemidgabe, bezogen auf<br />
die Maximalaktivität über der Niere<br />
Prozentualer Nuklidabfluß innerhalb von 20 min. nach<br />
Furosemidgabe, bezogen auf die Aktivität des Isotops über<br />
der Niere unmittelbar vor Furosemidgabe<br />
Halbwertzszeit nach Furosemidgabe, bezogen auf den<br />
Zeitpunkt der Furosemidgabe<br />
Blasenentleerung (mit Angabe des Zeitpunktes): Auftreten und<br />
Zeitpunkt der Miktion werden protokolliert. Die Interpretation der<br />
Renographiekurven sollte nur in Kenntnis des Miktionsverhaltens<br />
erfolgen.<br />
Orthostase: Prozentualer Nuklidabfluß nach Orthostase, bezogen<br />
auf die Aktivität desIsotops über der Niere unmittelbar vor<br />
Furosemidgabe.<br />
Abb. 3: Kurvenverlauf Typ A-D nach O'Reilly (8)<br />
A. Prompte Elimination des Isotops innerhalb 30 min. nach Applikation<br />
B. Anstieg der Nuklidaktivität unbeeinflußt von der<br />
Furosemidapplikation<br />
C. Prompte, weitgehende Elimination des Isotops unmittelbar nach<br />
Furosemidapplikation<br />
D. Mäßiggradiger Nuklidabfluß nach Furosemidapplikation<br />
3.2.12. Beurteilung<br />
3.2.12.1. Seitengetrennte Nierenfunktion<br />
Bei einem ipsilateralen Funktionsanteil von
und empirischen Daten, die kontrovers diskutiert werden. Die im<br />
folgenden vorgeschlagene deskriptive Klassifikation dient dazu, das<br />
szintigraphisch ermittelte Ausmaß der Harnabflußstörung zu<br />
beschreiben, um intra- und interindividuelle Vergleiche zu<br />
ermöglichen:<br />
Kurvenverlauf: Der Kurvenverlauf wird mit den Graden A-D<br />
beschrieben [modifiziert nach der Klassifikation von O'Reilly (8)]. Typ<br />
A schließt eine Harnabflußstörung sicher aus. Typ B entspricht dem<br />
Befund einer szintigraphisch relevanten Harnabflußstörung. Typ C<br />
findet sich <strong>bei</strong> Dilatationen ohne szintigraphisch relevante<br />
Harnabflußstörung. Typ D entspricht einem uneindeutigen Befund<br />
mit einem mäßiggradigen Nuklidabfluß nach Furosemidapplikation.<br />
T 1/2: Eine Halbwertszeit (HWZ) nach Furosemidgabe von < 10 min.<br />
gilt als unauffällig, eine HWZ von 10-20 min. gilt als uneindeutig und<br />
eine HWZ > 20 min. als Zeichen einer szintigraphisch relevanten<br />
Harnabflußverzögerung.<br />
Prozentualer Nuklidabfluß nach Furosemidgabe: Eine Nuklidaktivität<br />
> 50% des Ausgangswertes 20 min. nach Applikation von Furosemid<br />
wird als Zeichen einer szintigraphisch relevanten<br />
Harnabflußverzögerung gewertet.<br />
(T1/2 und prozentualer Nuklidabfluß nach Furosemidgabe können<br />
falsch positive Befunde erbringen, wenn bereits vor Furosemidgabe<br />
ein erheblicher Nuklidabfluß erfolgt. In die Interpretation muß daher<br />
die Abflußkurve des "Nativszintigramms" einbezogen werden).<br />
Prozentualer Nuklidabfluß nach Orthostase: Wird im Anschluß an die<br />
aufrechte Positionierung eine erhebliche weitere Abnahme der<br />
Nuklidaktivität über der Niere weit unter 50% des Ausgangswertes<br />
gemessen, so mindert dies die szintigraphische Relevanz der<br />
Harnabflußstörung.<br />
3.2.13. Verlaufskontrollen<br />
Eine einmalig durchgeführte Diureseszintigraphie kann aus den<br />
verschiedensten Gründen irreführende Befunde erbringen.<br />
Bei szintigraphisch relevanter Harnabflußbehinderung erfolgen<br />
szintigraphische Verlaufskontrollen im Abstand von 3-6 Monaten, sofern<br />
initial auf eine operative Korrektur verzichtet wird. Engmaschige, 4-6wöchentliche<br />
sonographische Verlaufsuntersuchungen sind in der<br />
Zwischenzeit obligat.<br />
Bei uneindeutigem szintigraphischem Befund sind regelmäßige, 6-<br />
12- wöchentliche sonographische Verlaufskontrollen und ggf. eine erneute<br />
Diureseszintigraphie erforderlich, um eine "Dekompensation" der<br />
Harnabflußbehinderung rechtzeitig zu erkennen.<br />
3.3. Miktionszystourethrogramm<br />
3.3.1. Indikationen<br />
Nach symptomatischer Harnwegsinfektion<br />
Verdacht auf eine infravesikale Obstruktion<br />
Bilaterale NBKS-Dilatation <strong>bei</strong>m Knaben (Ausschluß Urethralklappe)<br />
Dilatierter Ureter<br />
Verdacht auf vesikoureteralen Reflux<br />
Vor geplanter Nierenbeckenplastik (Ausschluß eines ipsilateralen vesikorenalen<br />
Refluxes)<br />
Doppelniere mit Nierenbeckendilatation<br />
3.3.2. Durchführung<br />
Das radiologische Miktionszystourethrogramm (MCU) in Durchleuchtungstechnik<br />
ist in der Primärdiagnostik Untersuchungsmethode der ersten Wahl <strong>bei</strong> den oben<br />
genannten Indikationen. Die Kontrastmittelapplikation erfolgt über einen<br />
transurethralen Blasenkatheter oder über eine suprapubische Blasenpunktion.<br />
Die sonographische Refluxprüfung mit Kontrastmittel- oder Luftfüllung der<br />
Harnblase kommt dem radiologischen MCU bezüglich der Refluxdiagnose in<br />
Sensitivität und Spezifität gleich. Sie ist dann einsetzbar, wenn die Erkennung<br />
oder Verlaufskontrolle eines vesikoureteralen Refluxes die einzige Fragestellung<br />
an die Untersuchung darstellt.<br />
3.3.3. Zeitpunkt<br />
im allgemeinen innerhalb der ersten 4-6 Lebenswochen<br />
dringliche Indikation zum MCU <strong>bei</strong> Verdacht auf Urethralklappe <strong>bei</strong>m Knaben<br />
(Kontrastmittelapplikation möglichst durch suprapubische Blasenpunktion)<br />
3.3.4. Klassifikation des vesikoureteralen Refluxes<br />
Die Klassifikation der radiologisch ermittelten Refluxgrade erfolgt nach der<br />
Internationalen Refluxstudie in Modifikation der Einteilung nach Heikel und<br />
Parkkulainen (5) (Abb.4).
3.4. I.v.-Urogramm<br />
Abb.4: Refluxklassifikation nach der Internationalen Refluxstudie in<br />
Modifikation der Einteilung nach Heikel und Parkkulainen (aus<br />
Olbing)<br />
Die MAG3-Szintigraphie hat gegenüber dem i.v.-Urogramm in den meisten Fällen<br />
vergleichbare Aussagekraft und bietet zusätzlich die Möglichkeit einer<br />
seitengetrennten Funktionsbestimmung. Die Bedeutung des i.v.-Urogramms ist in der<br />
<strong>Diagnostik</strong> von Harnabflußstörungen daher stark zurückgegangen.<br />
Das i.v.-Urogramm bietet jedoch einen guten topographischen Überblick und die<br />
Möglichkeit einer morphologischen Detaildarstellung (z.B. zur Differenzierung einer<br />
Megakalikosis von einer ureteropelvinen Stenose, Darstellung einer<br />
Doppelnierenanlage, Darstellung des Harnleiterverlaufs, Darstellung des seltenen<br />
Befundes einer Ureterklappe). Es hat daher einen Stellenwert <strong>bei</strong> gezielten<br />
Fragestellungen, die durch die Diureseszintigraphie nicht ausreichend geklärt werden<br />
können.<br />
3.4.1. Indikation<br />
Komplexe Malformationen, sonographisch unklare morphologische /<br />
topographische Befunde. Präoperative Darstellung der anatomischen<br />
Verhältnisse, wenn für die Operationsplanung unerläßlich.<br />
3.4.2. Zeitpunkt<br />
Frühestens im Alter von 4 Wochen (siehe auch 3.2.2.)<br />
3.4.3 Durchführung<br />
Kontrastmittelinjektion - 3 bis 5 min.-Aufnahme (Zielaufnahme<br />
Oberbauch) - 15 min.-Abdomen-Aufnahme (Zeitabstand in Abhängigkeit<br />
von 5-min.-Aufnahme) - <strong>bei</strong> Harntransportstörung ggf. Spätaufnahmen<br />
nach 30 min. und ggf. mehreren Stunden u.a. zur Visualisierung eines<br />
Megaureters.<br />
3.5. Andere Untersuchungsmethoden<br />
Diurese-Sonographie, Doppler-Sonographie ("Farbdoppler", "Power-Doppler"),<br />
Magnetresonanztomographie (MR-Urographie; ultraschnelle MRT-Techniken unter<br />
Verwendung von Kontrastmitteln) können als Ergänzung der o.g. <strong>Diagnostik</strong> genutzt<br />
werden. Durchführungsstandards sind noch zu erar<strong>bei</strong>ten und bezüglich ihrer<br />
Verwertbarkeit zu überprüfen.<br />
4. Diagnostische Strategie<br />
<strong>bei</strong> pränatal oder neonatal erkannter asymptomatischer Harnwegsdilatation<br />
4.1. Verdacht auf ureteropelvine Stenose<br />
Die häufigste Ursache für konnatale Harnwegsdilatationen sind isolierte<br />
Harnabflußstörungen am ureteropelvinen Übergang. Der Verdacht ergibt sich <strong>bei</strong><br />
einer Nierenbeckendilatation ohne ipsilaterale Harnleitererweiterung.<br />
Abbildung 5 zeigt das empfohlene Vorgehen <strong>bei</strong> entsprechendem<br />
sonographischem Befund.
Abb.5: Konnatale Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems ohne<br />
sonographisch erkennbare Erweiterung des Harnleiters (Untersuchung mit<br />
voller und entleerter Blase) <strong>bei</strong> Verdacht auf ureteropelvine Stenose -<br />
Vorschlag zum Procedere.<br />
F= Prozentualer Anteil der betroffenen Niere an der Gesamt-Nierenfunktion<br />
Anmerkung1: Ein Miktionszystourethrogramm ist prinzipiell vor einer<br />
Nierenbeckenplastik sowie <strong>bei</strong> Nachweis eines prävesikal erweiterten Harnleiters im<br />
Rahmen der Verlaufskontrollen und nach einer symptomatischen Harnwegsinfektion<br />
indiziert.<br />
Anmerkung 2: Bei extrem ausgeprägter Hydronephrose kann der sonographische<br />
Befund zusammen mit der Technetium-DMSA-Szintigraphie für die Indikation zur<br />
operativen Intervention bereits innerhalb der ersten 4 Lebenswochen ausreichen.<br />
Das Stufenkonzept basiert auf den folgenden Annahmen:<br />
Eine bereits eingetretene Funktionseinschränkung der Niere <strong>bei</strong><br />
szintigraphisch relevanter Harnabflußstörung wird als prognostisch<br />
ungünstiges Kriterium angesehen und trägt daher wesentlich zur<br />
Operationsindikation <strong>bei</strong>.<br />
Bei normaler Nierenfunktion, jedoch szintigraphisch relevanter<br />
Harnabflußstörung ist eine abwartende Haltung über einen begrenzten<br />
Zeitraum hinweg nicht mit dem Risiko einer fortschreitenden, irreversiblen<br />
Nierenfunktionseinschränkung verbunden, sofern durch engmaschige,<br />
regelmäßige Kontrolluntersuchungen eine Befundverschlechterung<br />
frühzeitig erkannt und ggfs. behoben wird.<br />
Eine initial szintigraphisch nicht relevante Harnabflußverzögerung kann<br />
innerhalb von Monaten bis zu mehreren Jahren dekompensieren.<br />
4.2. Verdacht auf primären Megaureter<br />
Beim primären, nicht refluxiven Megaureter entspricht die <strong>Diagnostik</strong> zur<br />
Erfassung einer relevanten Harnabflußbehinderung dem in Abb.5 beschriebenen<br />
Vorgehen. Das Ergebnis der Diureseszintigraphie ist schwieriger zu interpretieren<br />
als <strong>bei</strong> der ureteropelvinen Stenose - auch dann, wenn ein Katheterismus zur<br />
vollständigen Blasenentleerung erfolgt.<br />
Im allgemeinen ist die Rate der spontanen Rückbildungen <strong>bei</strong>m primären<br />
Megaureter hoch. Beim primären, nicht-refluxiven Megaureter mit normaler<br />
ipsilateraler Nierenfunktion im Neugeborenen- und Säuglingsalter kann daher<br />
von einer operativen Korrektur abgesehen werden, solange <strong>bei</strong> regelmäßigen<br />
sonographischen Kontrollen keine Zunahme der Dilatation erkennbar ist, keine<br />
klinischen Symptome auftreten und die Nierenfunktion in der seitengetrennten<br />
Isotopenclearance konstant im Bereich der Norm bleibt. Eine antibakterielle<br />
Infektionsprophylaxe zumindest während des ersten Lebenshalbjahres ist zu<br />
empfehlen.<br />
4.3. Verdacht auf Urethralklappe<br />
Bei sonographischem Verdacht auf eine Urethralklappe muß <strong>bei</strong>m Knaben<br />
unverzüglich ein Miktionszystourethrogramm (MCU) -vorzugsweise mit<br />
Kontrastmittelapplikation über eine suprapubische Blasenpunktion- unter
Kontrastmittelapplikation über eine suprapubische Blasenpunktion- unter<br />
antibiotischem Schutz durchgeführt werden.<br />
4.4. Verdacht auf vesikoureteralen Reflux<br />
Bei sonographischem Verdacht auf einen vesikoureteralen Reflux sollte ein MCU<br />
zur Klärung der Diagnose erfolgen. Bis zum Ausschluß eines Refluxes wird eine<br />
antibakterielle Infektionsprophylaxe empfohlen.<br />
5. Antibakterielle Infektionsprophylaxe<br />
Die Indikation zur antibakteriellen Infektionsprophylaxe ist für Patienten mit rezidivierenden<br />
Harnwegsinfektionen und vesikorenalem Reflux in Studien belegbar. Für asymptomatische<br />
Säuglinge mit Dilatationen der oberen Harnwege liegen bis heute keine Ergebnisse von<br />
kontrollierten, randomisierten Untersuchungen zum Nutzen einer antibakteriellen<br />
Infektionsprophylaxe vor. Die Indikation zur medikamentösen Vorbeugung muß daher<br />
empirisch gestellt und im Einzelfall abgewogen werden.<br />
Entscheidend ist im übrigen die Aufklärung der Eltern über das richtige Verhalten <strong>bei</strong><br />
Frühsymptomen von Harnwegsinfektionen.<br />
5.1. Indikationen<br />
Urethralklappen (vor und nach Korrektur bis zum Refluxausschluß und Ausschluß einer<br />
relevanten Harnabflußstörung)<br />
Z.n. Pyelonephritis <strong>bei</strong> Dilatation der oberen Harnwege<br />
Transurethraler Katheterismus [ z.B. zur Durchführung des MCU, für eine<br />
Wirkungsdauer von 24 Stunden (z.B. eine prophylaktische Dosis Trimethoprim)]<br />
Vesikoureteraler Reflux<br />
Megaureter<br />
5.2. Substanz, Verabreichung<br />
Oralcephalosporin der 2.Generation (z.B. Cefaclor) 10 mg/kgKG und Tag<br />
für die ersten Lebenswochen<br />
Trimethoprim* 1-2 mg/kgKG und Tag<br />
Nitrofurantoin** 1 mg/kg/KG und Tag<br />
* (bis zur 6. Lebenswoche nicht zugelassen)<br />
** (bis zum 3.Lebensmonat nicht zugelassen)<br />
Die Verabreichung erfolgt in einer abendlichen Einzeldosis (<strong>bei</strong> Nitrofurantoin ist wegen<br />
der relativ kurzen Halbwertszeit eine Aufteilung auf zwei Einzeldosen zu erwägen). Die<br />
angegebene Dosierung gilt für Kinder mit normaler Nierenfunktion.<br />
6. Gesichtspunkte zur operativen Therapieentscheidung <strong>bei</strong><br />
konnataler Dilatation der oberen Harnwege<br />
Die wesentlichen Beurteilungskriterien für die Einschätzung der Harntransportstörung sind die<br />
Nierenbeckenkelchdilatation mit ihrer zeitlichen Dynamik <strong>bei</strong> sonographischen<br />
Verlaufskontrollen, der Nuklidabfluß im Diureseszintigramm und die seitengetrennte<br />
Nierenfunktion. Oft lassen sich relevante Harnabflußbehinderungen mit Hilfe dieser<br />
Parameter ausschließen, sodaß sich eine operative Korrektur in diesen Fällen zugunsten<br />
weiterer Verlaufskontrollen erübrigt. Obwohl für eine relevante Harnabflußbehinderung heute<br />
szintigraphisch weitgehend verbindliche Kriterien existieren, ist deren prognostische<br />
Bedeutung für die Nierenfunktion umstritten. Strategien, die eine Operation allein <strong>bei</strong><br />
nachweislicher Funktionseinbuße der betroffenen Niere in szintigraphischen Follow-up-<br />
Untersuchungen vorsehen, haben sich nicht durchgesetzt.<br />
Therapeutische Konzepte sollten das Ziel verfolgen, unter den heute im Screening<br />
entdeckten Harnwegsdilatationen die Fälle mit einer Obstruktion frühzeitig zu erkennen und<br />
operativ zu korrigieren, bevor es zu einer möglicherweise dauerhaften<br />
Nierenfunktionseinschränkung kommt. Eine bereits eingeschränkte Nierenfunktion <strong>bei</strong> der<br />
Ausgangsuntersuchung und die Persistenz einer szintigraphisch relevanten<br />
Harnabflußbehinderung <strong>bei</strong> Verlaufskontrollen stellen wesentliche Operationsindikationen dar.<br />
Daneben ist jedoch eine Vielzahl weiterer Parameter zu berücksichtigen (Tab.2).<br />
Ipsilaterale Nierenfunktion<br />
Kontralaterale Nieren-oder Harnwegsfehlbildungen<br />
Klinische (z.B. Pyelonephritis)<br />
Durchbruchsinfektion unter antibakterieller Infektionsprophylaxe<br />
Nuklidabfluß im Diureseszintigramm<br />
Dynamik von Nierenfunktion und Nuklidabfluß <strong>bei</strong> Verlaufskontrollen<br />
Alter des Kindes<br />
Compliance von Eltern und Kind<br />
Weitere Fehlbildungen in- und außerhalb des Harntraktes<br />
Tab.2: Einflußfaktoren für die Therapieentscheidung <strong>bei</strong> konnataler Dilatation<br />
der Harnwege<br />
Bei der Entscheidungsfindung im Einzelfall hat sich die interdisziplinäre Kooperation zwischen<br />
Kinderurologen bzw. urologisch tätigen Kinderchirurgen, Pädiatern, Kinderradiologen und<br />
Nuklearmedizinern bewährt. Die Erar<strong>bei</strong>tung allgemein verbindlicher Therapiekriterien ist nur<br />
durch randomisierte, kontrollierte, prospektive, kooperative Studien auf der Grundlage einer<br />
standardisierten <strong>Diagnostik</strong> möglich.
Literatur<br />
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Verfahren zur Konsensbildung:<br />
Expertengruppe:<br />
Beetz R., Bökenkamp A., Brandis M., Hoyer P., John U., Kemper M.J., Kirschstein M., Kuwertz-Bröking<br />
E., Misselwitz J., Müller-Wiefel D.E., Rascher W.<br />
Konsensusgruppe der Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft für Pädiatrische Nephrologie (APN)<br />
in Kooperation mit dem Ar<strong>bei</strong>tskreis Kinderurologie der Deutschen Gesellschaft für Urologie 1 und<br />
mit der Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft Kinderurologie in der Deutschen Gesellschaft für <strong>Kinderchirurgie</strong> 2<br />
1Mitglieder des Ar<strong>bei</strong>tskreises Kinderurologie in der Deutschen Gesellschaft für<br />
Urologie:<br />
Alken P., Becht E., Beintker M., Boeminghaus F., Brinkmann O., Bürger R., Conrad S., Fichtner J.,<br />
Filipas D., Fisch M., Frohneberg D., Goepel M., Gschwnd J., Humke U., Kälble T., Keller H.J.,<br />
Kleinschmidt K., Kollias A., Kröpfl D., Lampel A., Müller S.C., Persson Ch., Radmayr Ch., Riccabona<br />
M., Riedmiller H., Ringert R.-H., Rösch W., Rohrmann D., Rübben H., Schönberger B., Schott G.,<br />
Schrott K.M., Schubert J., Seibold J., Stackl W., Steffens J., Stein R., Stöckle M., Thüroff J.W., Walz P.,<br />
Westenfelder M., Zöller G.<br />
2Mitglieder der Ar<strong>bei</strong>tsgemeinschaft Kinderurologie der Deutschen Gesellschaft für<br />
<strong>Kinderchirurgie</strong>:<br />
Albrecht M., Bennek J., Beyer H.J., Biewald W., Boemers Th., Boos D., Brands W., Bürger D., Dietz H.-<br />
G., Engert J., Festge O.-A., Finke R., Friedrich U., Fuchs J., Gharib M., Giest H., Halsband H., Heller K.,<br />
Helmig F.-J., Hemminghaus M., Hofmann U., Hofmann V., Kellnar St., Kirchmair F., Leng M., Leriche<br />
C., Lochbühler H., Lorenz C., Möritz R.-P., Petersen C., Reifferscheid P., Schweitzer P., Stehr M.,<br />
Stuhldreier G., von Suchodoletz H., Tewes G., Tillig B., Tröbs R.-B.<br />
Federführend:<br />
PD Dr. Rolf Beetz<br />
Universitäts-Kinderklinik<br />
Langebeckstraße 1<br />
55101 Mainz
55101 Mainz<br />
Tel. 06131 / 17 2788<br />
Fax: 06131 / 17 6693<br />
e-mail: beetz@kinder.klinik.uni-mainz.de<br />
Die Konsensusgruppe dankt Herrn Prof.Dr.Bartenstein, Direktor der Klinik für Nuklearmedizin der<br />
Universität Mainz, Herrn Prof.Dr..K.Hahn, Direktor der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin der<br />
Universität München, Herrn Prof.Dr.H.Schumacher, Leiter der Kinderadiologie der<br />
Universitätskinderklinik Mainz, und Herrn Prof.Dr.J.Tröger, Direktor der Abteilung für Pädiatrische<br />
Radiologie der Universität Heidelberg, für konstruktive Kritik und wertvolle Anregungen <strong>bei</strong> der<br />
Erar<strong>bei</strong>tung des Konsensuspapiers.<br />
Erstellungsdatum:<br />
September 2002<br />
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Stand der letzten Aktualisierung: September 2002<br />
© Dt. Ges. f. <strong>Kinderchirurgie</strong><br />
Autorisiert für elektronische Publikation: <strong>AWMF</strong> <strong>online</strong><br />
HTML-Code aktualisiert: 18.08.2006; 12:17:29