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Teenager-Schwangerschaften - Frauenarzt

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FORTBILDUNG + KONGRESS<br />

910<br />

JUGENDLICHE ALS PATIENTINNEN<br />

<strong>Teenager</strong>-<strong>Schwangerschaften</strong><br />

Erfahrungen eines Wiener Krankenhauses mit einem<br />

speziell auf Jugendliche zugeschnittenen Beratungs-<br />

und Betreuungsangebot<br />

Peter Mahrhofer<br />

Schwangersein bedeutet gerade für <strong>Teenager</strong> einen gravierenden<br />

Einschnitt in ihrem Leben, der oftmals zusätzlich mit langfristigen<br />

beruflichen und finanziellen Nachteilen verbunden ist.<br />

FrauenärztInnen sind hier nicht nur in der Prävention gefragt<br />

(s. auch Teil 6 unserer Serie Mädchen-Sprechstunde auf S. 904),<br />

sondern auch bei der Betreuung von schwangeren Mädchen. Ein<br />

Beispiel, wie dies an einem Krankenhaus geschehen kann, gibt<br />

der folgende Bericht über ein Betreuungsprogramm für schwangere<br />

<strong>Teenager</strong> am Krankenhaus „Göttlicher Heiland“ in Wien.<br />

„In den reichen Ländern der Erde werden<br />

in den nächsten zwölf Monaten<br />

mehr als eine Dreiviertelmillion <strong>Teenager</strong><br />

Mutter werden,“ prognostizierte<br />

der von der UNICEF erarbeitete Innocenti-Report<br />

im Jahr 2001 (1).<br />

Das Problem in Zahlen<br />

Der Innocenti-Report bietet meiner<br />

Meinung nach unter dem international<br />

vorliegenden Zahlenmaterial zum<br />

Thema Jugendschwangerschaft die<br />

besten Daten. Demnach werden in den<br />

28 OECD-Staaten jährlich 1.250.000<br />

Mädchen im Alter zwischen 15 und<br />

19 Jahren schwanger. Etwa 500.000<br />

beenden die Schwangerschaft mit einem<br />

Abortus und 750.000 werden zu<br />

so genannten <strong>Teenager</strong>-Müttern. Dabei<br />

zeigt sich, dass gerade in einigen<br />

sehr stark entwickelten Industrienationen<br />

wie den USA und Großbritannien<br />

die Geburtenrate unter <strong>Teenager</strong>n<br />

sehr hoch ist (USA 5,2 %, UK 3,1 %),<br />

während beispielsweise in Japan oder<br />

der Schweiz die Raten bei <strong>Teenager</strong>geburten<br />

eher niedrig sind (Japan<br />

0,5 %, Schweiz 0,6 %). In Österreich<br />

haben wir eine durchschnittliche Geburtenrate<br />

bei <strong>Teenager</strong>n von 1,4 %,<br />

ähnlich ist die Rate bei unseren deutschen<br />

Nachbarn.<br />

In zehn von zwölf OECD-Staaten mit<br />

verfügbaren Daten haben zwei Drit-<br />

FRAUENARZT � 46 (2005) � Nr. 10<br />

tel der <strong>Teenager</strong> regelmäßigen Geschlechtsverkehr,<br />

in manchen Staaten<br />

weit über 80 %. In den USA, Australien<br />

und Großbritannien haben rund<br />

25 % der 15-Jährigen sexuelle Erfahrungen.<br />

Die Daten zeigen aber auch, dass sich<br />

durch vermehrte Bildung, ein erhöhtes<br />

Karrierebewusstsein bei den jungen<br />

Mädchen und bessere Verfügbarkeit<br />

von effektiven Verhütungsmitteln<br />

in 19 der 28 Staaten die Geburtenrate<br />

bei <strong>Teenager</strong>n in den letzten<br />

30 Jahren mehr als halbiert hat.<br />

Eine Ursache:<br />

mangelhafte Aufklärung<br />

Die enttabuisierte und enthemmte<br />

Darstellung von Sexualität in den Medien<br />

und der teilweise sehr einfache<br />

Zugang zu pornographischem Material<br />

erzeugen bei vielen Jugendlichen<br />

ein „Ich-will-auch-Gefühl“. Aufgrund<br />

falscher Vorstellungen über die sexuellen<br />

Erfahrungen Gleichaltriger sehen<br />

sich Jungen und Mädchen zusätzlichem<br />

Druck ausgesetzt.<br />

11 % der 14-jährigen, 25 % der 15-jährigen<br />

und 40 % der 16-jährigen Mädchen<br />

haben bereits Geschlechtsverkehr.<br />

Ein Vergleich mit Zahlen aus den 80er<br />

Jahren zeigt, dass der Anteil der koituserfahrenen<br />

Mädchen vor allem in<br />

den jüngeren Jahrgängen stetig größer<br />

geworden ist. Die jungen Mädchen beginnen<br />

heute durchschnittlich drei Jahre<br />

früher mit Verabredungen, Küssen,<br />

Petting und Geschlechtsverkehr als in<br />

den Zeiten der sexuellen Revolution in<br />

den 60er und 70er Jahren.<br />

Über das Verhütungsverhalten der Jugendlichen<br />

beim „ersten Mal“ ist bereits<br />

an anderer Stelle in dieser Zeitschrift<br />

berichtet worden.<br />

Der erwachenden sexuellen Neugierde<br />

der Jugendlichen stehen eine noch<br />

immer sehr lückenhafte Information<br />

über zyklische Abläufe im weiblichen<br />

Körper und ein fehlendes Verantwortungsbewusstsein<br />

für den richtigen<br />

Umgang mit Verhütungsmitteln gegenüber,<br />

trotz eines vermeintlichen<br />

Übermaßes an Information zum Thema<br />

Sexualität und Verhütung.<br />

Wo findet in der heutigen Zeit Aufklärung<br />

statt? Zu 63 % werden die<br />

Jugendlichen im Elternhaus und in<br />

den Schulen aufgeklärt, zu 37 % klären<br />

sie sich selbst und untereinander<br />

unter Zuhilfenahme diverser Jugendzeitschriften<br />

auf. Dabei scheinen sie<br />

das erworbene, fachlich manchmal<br />

sehr abstrakte Wissen um die Sexualität<br />

nur schwer in die Praxis umsetzen<br />

zu können.<br />

Da sich in den letzten Jahren auch<br />

die Familienstrukturen grundlegend<br />

geändert haben (hohe Rate an allein<br />

Erziehenden), sollte vermehrt Sexualaufklärung<br />

in den Schulen stattfinden.<br />

Zukunftsweisend sollten sich hier<br />

Kooperationen zwischen Schulen und<br />

gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilungen<br />

bilden, um diese Themen<br />

attraktiv anbieten zu können.<br />

Wir praktizieren in unserer Abteilung<br />

seit zwei Jahren diesen gemeinsamen<br />

Weg mit Schulen aller Bildungstypen<br />

im Großraum Wien. Im Rahmen unse-


es Projekts bieten wir Schulen einmal<br />

wöchentlich einen Vormittag mit einem<br />

<strong>Frauenarzt</strong> und einer Hebamme<br />

an, wo wir altersgerechte Vorträge zu<br />

den Themen Liebe, Sexualität, Verhütung,<br />

Schwangerschaft und Geburt halten.<br />

Im Anschluss an die Kurzreferate<br />

werden den Jugendlichen die neuesten<br />

kontrazeptiven Methoden genauestens<br />

erklärt, es gibt ausreichend Zeit<br />

für Fragen (Face to Face oder anonym<br />

mit Zetteln), und als Abschluss werden<br />

den Schülerinnen und Schülern der<br />

Ambulanzbereich sowie die Geburtenstation<br />

gezeigt und erklärt. Diese von<br />

uns geleistete Weiterbildungs- und Aufklärungsarbeit<br />

ist für die Schulen kostenlos<br />

und wird stark nachgefragt.<br />

Höheres Risiko bei ungünstigem<br />

sozialen Umfeld<br />

Mangelhafte Aufklärung und schlechter<br />

Zugang zu Frauenärzten (rezeptpflichtige<br />

hormonelle Kontrazeption)<br />

haben auch eine höhere Rate an Interruptiones<br />

zur Folge (in Deutschland<br />

2002 in der Altersgruppe 12–14<br />

Jahre: 7.595 Geburten vs. 7.691 Interruptiones,<br />

offiziell in Österreich<br />

2003 12 % aller durchgeführten<br />

Schwangerschaftsabbrüche bei Mädchen<br />

zwischen 14 und 19 Jahren).<br />

Zum Thema Schwangerschaftsabbruch<br />

bei <strong>Teenager</strong>n fehlen uns in Österreich<br />

aussagekräftige Daten, da viele Abbrüche<br />

in Ordinationen oder privaten<br />

Instituten durchgeführt werden.<br />

Aber nicht nur mangelhafte Aufklärung<br />

und daraus resultierendes Unwissen sind<br />

Ursache für Jugendschwangerschaften,<br />

auch das schon vorhin erwähnte soziale<br />

Umfeld spielt eine wichtige Rolle,<br />

denn so genannte <strong>Teenager</strong>-Mütter<br />

kommen häufiger aus minderprivilegierten<br />

sozialen Schichten als aus der<br />

Mittel- und Oberschicht.<br />

Das Projekt Babydoll –<br />

professionelle Hilfe für<br />

jugendliche Schwangere<br />

Was aber, wenn eine Jugendliche<br />

schwanger ist? Wie geht es weiter?<br />

Was ist zu tun? Wie verläuft die wei-<br />

tere Schwangerschaft, wie die Geburt?<br />

Was wird danach sein? Alle diese Fragen<br />

und noch unendlich mehr schwirrt<br />

im Kopf dieser Mädchen umher.<br />

Wir – Schulärzte, Allgemeinmediziner<br />

und Frauenärzte, in späterer Folge Hebammen<br />

und Sozialarbeiter – als Ansprechpartner<br />

und Betreuende sind aufgerufen,<br />

diesen Mädchen ein Netzwerk<br />

an Hilfe anzubieten, um den sozialen<br />

und manchmal auch sehr starken familiären<br />

Druck abzufangen, um Kurzschlusshandlungen<br />

wie Abbruch ohne<br />

ärztlichen Beistand, Suizid oder Tötung<br />

oder Aussetzen des Neugeborenen so<br />

gut wie möglich zu verhindern.<br />

Intensive Öffentlichkeitsarbeit<br />

macht das Projekt<br />

bekannt<br />

Dies war der Grund, warum 2003 im<br />

Krankenhaus „Göttlicher Heiland“ in<br />

Wien-Dornbach ein Projekt mit dem<br />

Namen Babydoll gestartet wurde. Es<br />

soll einerseits den Jugendlichen im<br />

Sinne einer Prävention ein Informations-<br />

und Diskussionsforum bieten,<br />

andererseits eine Anlauf- und Betreuungsstätte<br />

für schwangere <strong>Teenager</strong><br />

sein und so eventuelle, durch den<br />

Schock der eingetretenen Schwangerschaft<br />

bedingte Fehlhandlungen<br />

vermeiden.<br />

Um möglichst viele der betroffenen<br />

Mädchen und deren Partner zu erreichen,<br />

war und ist es unbedingt notwendig,<br />

unsere Einrichtung einer breiten<br />

Öffentlichkeit bekannt zu machen<br />

und den Zugang zu uns so niederschwellig<br />

wie möglich zu halten. Dies<br />

geschieht wesentlich durch gezielte<br />

Öffentlichkeitsarbeit und eine starke<br />

Präsenz in allen heute zur Verfügung<br />

stehenden und von Jugendlichen genutzten<br />

Medien (TV, Internet-TV,<br />

Homepage, Diskussionsforen im Internet<br />

etc.).<br />

Betreuung durch ein<br />

interdisziplinäres Team<br />

In diesem Projekt werden an unserer<br />

gynäkologisch-geburtshilflichen<br />

Abteilung jugendliche Schwangere<br />

im Alter von 14–19 Jahren betreut.<br />

Die kostenlose Betreuung umfasst<br />

die gesamte Zeit der Schwangerschaft,<br />

die Geburt und das erste Jahr<br />

nach der Geburt. Unser Team besteht<br />

aus Frauenärzten, Hebammen, einer<br />

Sozialarbeiterin und einer Fachärztin<br />

für Psychiatrie und ist gekennzeichnet<br />

durch eine enge Zusammenarbeit<br />

aller beteiligten Fachgruppen.<br />

In zweiwöchigen Abständen<br />

finden Teambesprechungen statt,<br />

bei denen alle zu betreuenden Fälle<br />

besprochen werden. Zwischen den<br />

Besprechungen akut auftretende Probleme<br />

werden mittels moderner Telekommunikation<br />

bearbeitet.<br />

Unter Gleichaltrigen fühlen<br />

sich die Mädchen wohler<br />

Während das Alter der erstgebärenden<br />

Frauen in Österreich innerhalb<br />

der letzten zehn Jahre leicht anstieg<br />

(1992: 27,3 Jahre – 2002: 28,6 Jahre),<br />

haben im Jahr 2002 laut OESTAT<br />

1,4 % der Frauen unter 19 Jahre ein<br />

Kind geboren; dieser Wert scheint<br />

ziemlich konstant zu sein. Dies bedeutet,<br />

dass trotz Aufklärungskampagnen,<br />

trotz einer Unzahl an Information<br />

zum Thema Sexualität und Verhütung<br />

1,4 % der Jugendlichen eine<br />

optimal an diese Altersgruppe angepasste<br />

Betreuung benötigt.<br />

Die Erfahrungen im Umgang mit den<br />

schwangeren Mädchen zeigen, dass<br />

die Betreuung und Beratung einen<br />

anderen Zugang als bei älteren Erstgebärenden<br />

erfordert. Aus gynäkologischer<br />

Sicht geht es selbstverständlich<br />

um eine Sicherstellung der medizinischen<br />

Grundversorgung in der<br />

Schwangerschaft (Untersuchungen<br />

laut Mutter-Kind-Pass), doch darüber<br />

hinaus sehen wir uns als persönlicher<br />

Ansprechpartner in vielen speziell geburtshilflichen,<br />

aber auch anderen<br />

medizinischen Fragen, die bei den<br />

Mädchen während einer Schwangerschaft<br />

auftreten können.<br />

In regelmäßigen Kursen (Multi-Mädels)<br />

werden die Mädchen sowohl vom Arzt<br />

FORTBILDUNG + KONGRESS<br />

FRAUENARZT � 46 (2005) � Nr. 10 911


FORTBILDUNG + KONGRESS<br />

912<br />

als auch von der Hebamme auf die bevorstehende<br />

Geburt vorbereitet. Dabei<br />

werden alle Probleme und Ängste<br />

in Kleingruppen besprochen. Hierbei<br />

zeigt sich, dass die gruppendynamischen<br />

Prozesse unter Gleichaltrigen<br />

viel zur Aufwertung sozialer Kontakte<br />

beitragen. In zahlreichen Gesprächen<br />

mit den schwangeren Mädchen stellte<br />

sich nämlich heraus, dass die<br />

schwangeren Jugendlichen Probleme<br />

im Kontakt mit älteren schwangeren<br />

Frauen haben. Diese rühren daher, dass<br />

die Mädchen glauben, auf Grund ihres<br />

Alters nicht ernst genommen zu werden,<br />

„weil ja in dem Alter nicht sein<br />

kann, was nicht sein darf“. Auch gaben<br />

die Mädchen an, beim Kontakt mit<br />

Frauenärzten ähnliche Berührungsängste<br />

gehabt zu haben.<br />

Große Herausforderungen<br />

machen gezielte Unterstützung<br />

notwendig<br />

Im Umgang mit den schwangeren Jugendlichen<br />

zeigt sich aus meiner Er-<br />

FRAUENARZT � 46 (2005) � Nr. 10<br />

Anteil (%)<br />

Alter der Mädchen<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

14<br />

15 16 17 18 19 20 21<br />

Jahre<br />

Abb. 1: 16-Jährige und 19-Jährige machen den größten Anteil der im Projekt Babydoll<br />

betreuten Schwangeren aus.<br />

fahrung, dass eine sehr positive Gesprächsebene<br />

zu Stande kommt, wenn<br />

man die Mädchen in ihren Empfindungen<br />

und in ihrem Erleben so annimmt,<br />

wie sie sind.<br />

Dies ist sehr wichtig, denn mit dem<br />

Annehmen der Schwangerschaft beginnt<br />

das jugendliche Mädchen in vielen<br />

Bereichen auch mehr Verantwor-<br />

tung zu übernehmen als andere nichtschwangere<br />

Mädchen ihrer Altersgruppe.<br />

Darunter verstehe ich einerseits<br />

alle bei den heutigen Jugendlichen<br />

auftretenden Probleme mit<br />

Suchtgiften wie Alkohol, Nikotin, aber<br />

auch Drogen in allen erhältlichen Formen.<br />

Die heute ebenfalls verbreiteten<br />

schlechten Ernährungsgewohnheiten<br />

und das damit verbundene ge-


häufte Auftreten von Adipositas sind<br />

in dieser Zielgruppe eher seltener.<br />

Andererseits beginnt auch für die<br />

Mädchen eine Zeit des vermehrten<br />

Umgangs mit Ämtern und Behörden,<br />

Institutionen, die im Umgang mit Jugendlichen<br />

häufig ihre Schwierigkeiten<br />

haben. Soziale Sicherheit und die<br />

Wiedereingliederung in die schulische<br />

oder berufliche Ausbildung stellen<br />

absolut vorrangige Ziele dar. Laut<br />

dem 2001 von der UNICEF herausgegebenen,<br />

bereits eingangs erwähnten<br />

Innocenti-Report, sind Frauen,<br />

die im Alter von 14–19 Jahren ihr<br />

erstes Kind bekommen haben, in späteren<br />

Jahren in Bezug auf ihre schulische<br />

Ausbildung und ihr Einkommen<br />

in allen Industrienationen stark<br />

benachteiligt.<br />

Da es für Jugendliche nicht immer<br />

einfach ist, die Welt der Erwachsenen<br />

zu verstehen, und manche sozialen<br />

Maßnahmen die menschlichen Probleme<br />

Betroffener nicht immer berücksichtigen,<br />

war es unsere Idee, den<br />

jungen Müttern auch im ersten Jahr<br />

nach der Geburt Hilfestellung bei Behördengängen,<br />

im Umgang mit Ämtern<br />

und bei der Wiedereingliederung<br />

in den schulischen oder beruflichen<br />

Prozess anzubieten. Hier ist unsere<br />

Gesellschaft sicherlich auch in Zukunft<br />

aufgerufen, ein Mehr an Konzepten<br />

für einen Wiedereinstieg in<br />

Schulausbildung und Berufsausbildung<br />

zu liefern.<br />

Schwangerschaft<br />

und Geburt verlaufen<br />

meist unproblematisch<br />

Aber wie verläuft nun eine Schwangerschaft<br />

bei einem <strong>Teenager</strong>? Wie<br />

die Geburt? Gibt es vermehrte Risiken<br />

oder Komplikationen?<br />

In den Lehrbüchern der Frauenheilkunde<br />

und Geburtshilfe wird eine<br />

Schwangerschaft in dem Alter unserer<br />

Zielgruppe auch heute noch als<br />

Risikoschwangerschaft bezeichnet.<br />

Mit Ausnahme der extrem jungen Mädchen,<br />

die jünger als 16 Jahre sind,<br />

ist die biologische Unreife in unseren<br />

Breiten jedoch eher selten anzutreffen.<br />

Da in den wohlhabenden<br />

Staaten keine Engpässe an Nahrungsmitteln<br />

bestehen, kann die körperliche<br />

Situation der Mädchen als<br />

gut bezeichnet werden, sodass durch<br />

die Schwangerschaft im Organismus<br />

der Mutter kein Raubbau an Nährstoffen<br />

und Vitaminen betrieben wird.<br />

Dies verhält sich natürlich in den Ländern<br />

der Dritten Welt ganz anders –<br />

auch auf Grund der schlechten medizinischen<br />

Versorgung stellt eine<br />

Schwangerschaft in sehr jungen Jahren<br />

für die betroffenen Mädchen dort<br />

ein hohes Lebensrisiko dar.<br />

Im Vergleich mit dem Gesamtkollektiv<br />

unserer Abteilung konnten wir<br />

feststellen, dass der Anteil der jugendlichen<br />

Schwangeren auch bei uns<br />

1,4 % beträgt, mit steigendem Bekanntheitsgrad<br />

ist die Tendenz steigend.<br />

Wenn wir das Alter der Mädchen<br />

betrachten, so fällt auf, dass<br />

die Altersgruppe der 16-Jährigen, gefolgt<br />

von der Altergruppe der 19-Jährigen<br />

prozentual die von einer sehr<br />

frühen Schwangerschaft am häufigsten<br />

betroffenen Gruppen darstellen<br />

(s. Abb. 1).<br />

Die ersten Erfahrungen mit<br />

Babydoll sind ermutigend<br />

Das Mädchen wird nach Aufnahme in<br />

unserem Projekt von einer Hebamme,<br />

einer Sozialpädagogin, einer Fachärztin<br />

für Psychiatrie und einem Gynäkologen<br />

durchgehend individuell<br />

betreut und in fortlaufend angebotenen<br />

Kursen mit anderen Mädchen<br />

gemeinsam oder in Einzelgesprächen<br />

auf Geburt und Mutterschaft vorbereitet.<br />

Die schwangeren Mädchen können<br />

jederzeit die geburtshilfliche Abteilung<br />

und die Wochenbettstation<br />

aufsuchen.<br />

Bei der Betreuung der Mädchen in unserem<br />

Projekt Babydoll konnten wir<br />

beobachten, dass die Mädchen die ihnen<br />

eingeteilten Termine, sei es zur<br />

Geburtsvorbereitung, aber auch für<br />

eventuell anfallende Mutter-Kind-<br />

Pass-Untersuchungen, äußerst gewissenhaft<br />

befolgen – man muss ihnen<br />

nur auch telefonische Erreichbarkeit<br />

anbieten, um eventuell Terminverschiebungen<br />

durchführen zu<br />

können. Auch hier hat sich gezeigt:<br />

Je individueller der Umgang ist, umso<br />

effektiver ist auch die Zusammenarbeit<br />

und umso größer der Erfolg.<br />

Zwei der von uns betreuten Mädchen<br />

hatten ein Drogenproblem, sie waren<br />

allerdings bereits in einem Drogenersatzprogramm<br />

in Behandlung. Hier<br />

zeigte sich, wie sehr man auch solche<br />

von der Gesellschaft gerne als<br />

Randgruppen bezeichnete Menschen<br />

durch optimierte, fächerübergreifende<br />

Zusammenarbeit von <strong>Frauenarzt</strong>,<br />

Psychiater und Sozialarbeiterin positiv<br />

motivieren kann bis hin zur vollständigen<br />

Drogenabstinenz.<br />

Auftretende Krisen vor, während und<br />

nach der Geburt, die Eingliederung<br />

der Eltern, die ja nun in eher jungen<br />

Jahren zu Großeltern werden, die Eingliederung<br />

des Partners – all das sind<br />

wichtige Aufgaben, die von unserem<br />

Team übernommen werden.<br />

Besonders wichtig war es auch, ein<br />

Netzwerk zu schaffen, um gerade im<br />

sozialen Bereich, wo es um Themen<br />

wie Jugendamt, Vormundschaft, Wochenhilfe,<br />

Wiedereingliederung in<br />

Schule oder Lehre oder auch rechtliche<br />

Angelegenheiten geht, die Mädchen<br />

so gut wie möglich zu beraten<br />

und ihnen hilfreich beizustehen.<br />

Umfangreiches Betreuungsangebot<br />

auch nach der<br />

Geburt<br />

Eine retrospektive Analyse der Daten<br />

aus unserer Abteilung hat gezeigt,<br />

dass Wehen und die Geburt an sich<br />

kein massives Problem für die Mädchen<br />

darstellen, sondern im Gegenteil<br />

die Jugendlichen ein weit unkomplizierteres<br />

Gebärverhalten zeigen<br />

als das Normalkollektiv oder gar<br />

erstgebärende Frauen über 35 Jahre<br />

(s. Abb. 2 auf S. 914). Auch die Dauer<br />

der Geburt war bei den Mädchen<br />

FORTBILDUNG + KONGRESS<br />

FRAUENARZT � 46 (2005) � Nr. 10 913


FORTBILDUNG + KONGRESS<br />

914<br />

Geburtsmodus in unterschiedlichen Altersgruppen<br />

%<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

83,3<br />

16,7<br />

deutlich kürzer, ebenso der Verbrauch<br />

an Analgetika (s. Abb. 3).<br />

In der postpartalen Phase behalten<br />

wir die jungen Mütter bewusst für etwa<br />

6–7 Tage stationär auf der Wochenbettstation,<br />

um ihnen ausreichend<br />

Zeit im Umgang mit ihrem Neugeborenen<br />

unter fachgerechter Anleitung<br />

durch Kinderschwestern und<br />

Hebammen zu geben. Auch dabei hat<br />

sich gezeigt, dass die <strong>Teenager</strong>-Mütter<br />

sehr zielstrebig ihre neue Aufgabe<br />

wahrnehmen und sehr sorgsam und<br />

bedacht mit ihren Neuankömmlingen<br />

umgehen. Wichtig ist uns hier im Besonderen<br />

natürlich das Stillen – auch<br />

das ist ein Grund des etwas verlängerten<br />

Aufenthalts auf der Wochenbettstation.<br />

Nach Entlassung der jungen Mutter werden<br />

von der betreuenden Hebamme<br />

oder der Sozialpädagogin auch Haus-<br />

FRAUENARZT � 46 (2005) � Nr. 10<br />

77,6<br />

22,4<br />

60,9<br />

14–19 Gesamt 35+<br />

spontan<br />

Sectio<br />

39,1<br />

Abb. 2: Geburtsmodus im Vergleich: <strong>Teenager</strong> vs. Gesamtkollektiv vs. Erstgebärende über 35 Jahre<br />

Geburtsdauer in unterschiedlichen Altersgruppen<br />

%<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

50<br />

28,2<br />

41,7<br />

51,3<br />

Geburtsdauer<br />

<strong>Teenager</strong><br />

Geburtsdauer 35+<br />

8,3<br />

bis 6 Std. 6–12 Std. 12 Std.+<br />

20,5<br />

Abb. 3: Geburtsdauer im Vergleich: erstgebärende <strong>Teenager</strong> vs. Erstgebärende über 35 Jahre<br />

besuche durchgeführt. Sollte das Mädchen<br />

keinen niedergelassenen <strong>Frauenarzt</strong><br />

haben, führen wir auch die gynäkologisch-fachärztliche<br />

Kontrolle sechs<br />

Wochen post partum durch. Ebenso stehen<br />

unsere Frauenärzte den Mädchen<br />

bei sonstigen postpartalen medizinischen<br />

Komplikationen zur Verfügung.<br />

Die von unseren Hebammen durchgeführten<br />

Kurse wie Babyplantsch oder<br />

auch Babymassage sowie alle notwendigen<br />

Beratungsstunden können<br />

von den Mädchen unentgeltlich in Anspruch<br />

genommen werden.<br />

Falls die Mädchen aus eigenem Willen<br />

oder auf Grund einer medizinischen<br />

Indikation abstillen, erhalten sie von<br />

einer unserer Patenfirmen die Babynahrung<br />

im ersten Jahr gratis. Gerade<br />

im nachgeburtlichen Zeitraum sind<br />

wir froh über Kooperationen mit Firmen,<br />

die uns sinnvolle Produkte kos-<br />

tenlos zur Verfügung stellen, die wir<br />

an die Mädchen weitergeben können.<br />

Das Ziel: bestmögliche<br />

Zukunftschancen für<br />

Mutter und Kind<br />

Es wird die Aufgabe unserer Gesellschaft<br />

sein, die Prävention im Sinne<br />

einer altersgerechten und kompetenten<br />

Aufklärung all unserer Jugendlichen<br />

durchzuführen und sich künftig<br />

auch zu überlegen, wie wir solch jugendlichen<br />

Müttern den Wiedereinstieg<br />

in Schule oder die Weiterführung<br />

einer Berufsausbildung ermöglichen<br />

können. Denn noch ist es so,<br />

dass Frauen, die in sehr jungen Jahren<br />

ihr erstes Kind bekommen haben,<br />

gegenüber Frauen, die erst später geboren<br />

haben, beruflich und daher<br />

auch finanziell weit schlechter gestellt<br />

sind. Diese Tatsache wirkt sich<br />

in weiterer Folge natürlich wieder auf<br />

das Kind aus. Es entsteht ein Circulus<br />

vitiosus, der nur schwer zu durchbrechen<br />

ist.<br />

Literatur<br />

1. UNICEF: A league table of teenage births<br />

in rich nations. Innocenti Report Card Issue<br />

No.3 7/2001. UNICEF Innocenti Report<br />

Centre, Florence.<br />

2. Kirchengast S: Biologische und soziale<br />

Aspekte der <strong>Teenager</strong>schwangerschaft.<br />

Hebamme 4/2003<br />

3. Mahrhofer P, Mayer A, Reim Hofer U: Instinkt<br />

contra Intellekt – Entbinden jugendlich<br />

Schwangere unkomplizierter?<br />

Arch Gynecol Obstet 270 (2004).<br />

4. Windridge KC, Berryman JC: Women’s experiences<br />

of giving birth after 35. Birth<br />

26 (1999) 16–23.<br />

Autor<br />

OA Dr. Peter Mahrhofer<br />

Gynäkologisch-geburtshilfliche<br />

Abteilung<br />

Krankenhaus Göttlicher Heiland<br />

Dornbacherstraße 20–28<br />

A-1170 Wien<br />

E-Mail peter.mahrhofer@khgh.at

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