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Konzept und Instrumentarium zur Erfassung und Beschreibung des

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Daniel Oberholzer<br />

<strong>Konzept</strong> <strong>und</strong> <strong>Instrumentarium</strong> <strong>zur</strong> <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> <strong>des</strong> aktuellen <strong>und</strong><br />

zukünftigen Leistungsbedarfs an professionellen Leistungen in der Behindertenhilfe<br />

1 Ausgangslage<br />

1.1 Die <strong>Erfassung</strong> <strong>Beschreibung</strong> <strong>des</strong> aktuellen <strong>und</strong> zukünftigen Leistungsbedarfs aus der Sicht der<br />

Dienstleistungsorganisationen<br />

Verbände <strong>und</strong> Organisationen der Behindertenhilfe sind als Dienstleistungssysteme gefordert,<br />

zeitgemässe <strong>und</strong> zukunftsgerichtete Angebote für Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong><br />

Behinderungen zu entwickeln <strong>und</strong> zu realisieren. Dabei stehen sie in unterschiedlichen<br />

Spannungsfeldern. Zum einen sehen sie sich immer differenzierteren <strong>und</strong> breiteren Ansprüchen an ihre<br />

Leistungen ausgesetzt. Neben den traditionellen Leistungen, welche auf das psychische <strong>und</strong> physische<br />

Wohlbefinden ausgerichtet sind <strong>und</strong> schlussendlich ein ganzheitliches Ges<strong>und</strong>-Sein ermöglichen sollen,<br />

den Angeboten von Wohn- <strong>und</strong> Lebensräumen <strong>und</strong> der Möglichkeit zu arbeiten <strong>und</strong> tätig zu sein,<br />

werden Dienstleistungssysteme immer mehr auch verpflichtet, lebenslange Bildungsmöglichkeiten<br />

bereitzustellen <strong>und</strong> sie haben so umfassende Ansprüche, wie ‚eine hohe Lebensqualität’ zu<br />

ermöglichen.<br />

Zum anderen sehen sie sich gleichzeitig verpflichtet, möglichst kostengünstig zu arbeiten; bei<br />

Mehrleistungen mit weniger Mitteln auszukommen. Und schlussendlich besteht auf Seiten von<br />

Interessenvereinigungen von Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong> Behinderung immer<br />

wieder der radikale Anspruch, dass sich Organisationen <strong>und</strong> Verbände der Behindertenhilfe zugunsten<br />

der Selbstbestimmung der von Beeinträchtigung <strong>und</strong> Behinderung betroffenen Menschen aufzulösen<br />

hätten.<br />

Es ist einfach zu sehen, dass die <strong>Beschreibung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfassung</strong> von zeitgemässen <strong>und</strong><br />

zukunftsgerichteten Leistungen ist in einem solchen Umfeld nicht einfach sind. Insbesondere dann<br />

nicht, wenn es um die Entwicklung realistischer, d.h. auch realisierbarer Leistungspakete geht <strong>und</strong> die<br />

Rahmenbedingung einer möglichen Leistungserbringung aber oft wenig klar <strong>und</strong> in Veränderung<br />

begriffen sind.<br />

Wichtige zu klärende Rahmenbedingungen stellten in dieser Hinsicht die aktuellen <strong>und</strong> künftigen<br />

finanziellen <strong>und</strong> materiellen Mittel der Dienstleistungssysteme dar sowie die Zielvorgaben <strong>und</strong><br />

Qualitätsansprüche der Leistungsbesteller <strong>und</strong> Leistungsfinanzierer, wie auch der Leistungsnutzer. Wie<br />

die Praxis aber deutlich macht, sind die Zielvereinbarungen in den Leistungsvereinbarungen mit den<br />

Leistungsfinanzierern lediglich überblickend <strong>und</strong> die Qualitätsansprüche nur ungenügend über<br />

generalisierte Strukturvorgaben definiert. Und bezüglich <strong>des</strong> <strong>zur</strong> Verfügung stehenden, politisch<br />

festgelegten Kostenrahmens besteht höchstens kurz-, in Ausnahmen auch mittelfristige Klarheit 1 .<br />

Nun scheinen die Dienstleistungssysteme aber gar nicht nur unzufrieden mit dieser offenen <strong>und</strong> wenig<br />

geklärten Situation zu sein, auch wenn das Fehlen klarer Rahmenbedingungen oft moniert wird. Eine<br />

solche Offenheit <strong>und</strong> Unbestimmtheit hat nämlich nicht nur Nachteile. Sie ermöglicht vielmehr eine<br />

relativ hohe Autonomie der Dienstleistungssysteme gegenüber den Leistungsbestellern <strong>und</strong> –<br />

finanzierern, d.h. insbesondere gegenüber den staatlich-administrativen Systemen. Eine Autonomie, die<br />

darin besteht, dass die Dienstleistungssysteme bei geringer externer Kontrolle die von ihnen erbrachten<br />

1 Wie unsicher ein solcher Kostenrahmen sein kann, machen die nachträglichen Sparvorgaben durch die bisherigen<br />

Leistungsfinanzierer deutlich.<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

1


Leistungen in mehr oder weniger strukturierter Form fast selbständig erheben <strong>und</strong> bewerten können.<br />

Ein grosser Vorteil, wie es auf den ersten Blick scheint:<br />

Wird nämlich von den Leistungsbestellern <strong>und</strong> –finanzierern ‚nur’ die Einhaltung eines Kostenrahmens<br />

<strong>und</strong> die Einhaltung bestimmter organisationsstruktureller Bedingungen als Vorgabe <strong>zur</strong><br />

Leistungsfinanzierung gesetzt, so scheinen die Dienstleistungssysteme davon entb<strong>und</strong>en, die<br />

Angemessenheit, die Effektivität, die Effizienz <strong>und</strong> die Nachhaltigkeit ihrer Leistungen dar- <strong>und</strong> offen zu<br />

legen. Die begründete Anlage von Leistungen, die eigentliche fachliche Arbeit <strong>und</strong> das Erreichen der<br />

individuell, fachlich <strong>und</strong> gesellschaftlich definierten Ziele werden nur in ihrer strukturellen oder<br />

materiellen Existenz erfasst <strong>und</strong> geprüft. Ein Umstand, der auf Seiten der Leistungserbringer<br />

beträchtliche Freiräume gegenüber den Leistungsfinanzierern <strong>und</strong> auch gegenüber den<br />

Leistungsnutzern schafft.<br />

Bereits auf den zweiten Blick wird aber klar, welche grossen Nachteile diese Form der<br />

Leistungsfinanzierung, der Leistungserbringung <strong>und</strong> der Leistungskontrolle mit sich bringen. Wird<br />

nämlich der Zusammenhang zwischen der individuell formulierten <strong>und</strong> fachlich bestimmten<br />

Notwendigkeit einer Leistung, deren Realisierung <strong>und</strong> die daraus resultierende Wirkung nicht<br />

angemessen dargelegt, so entfällt auch der Bezugsrahmen <strong>zur</strong> begründeten <strong>Beschreibung</strong> von zu<br />

erbringenden Leistungen <strong>und</strong> deren Kostenfolge. Der direkte Zusammenhang von zu erreichenden<br />

Zielsetzungen, der dazu notwendigen fachlichen Leistungen <strong>und</strong> die davon abzuleitenden Kosten<br />

werden <strong>und</strong> können im Endeffekt also nicht begründet dargelegt werden.<br />

Die ledigliche Definition eines Kostenrahmens für scheinbar ‚welche auch immer’ <strong>und</strong> ‚wie auch immer’<br />

zu realisierende Leistungen schafft also nur vordergründig Freiräume. In Tat <strong>und</strong> Wahrheit schafft sie<br />

nämlich ein starres Korsett <strong>und</strong> einseitige Abhängigkeiten von situativ <strong>zur</strong> Verfügung gestellten<br />

materiellen Ressourcen <strong>und</strong> der politischen Diskussion, in welcher der Kostenrahmen für mögliche<br />

Leistungen in der Behindertenhilfe bestimmt wird. Der Zusammenhang von Kostenrahmen <strong>und</strong> <strong>des</strong>sen<br />

Wirkung auf realisierbare Leistungen einerseits <strong>und</strong> insbesondere der Zusammenhang zwischen<br />

fachlich begründeten zu realisierenden Leistungen <strong>und</strong> dem dafür notwendigen Kostenrahmen<br />

andererseits kann nicht mehr schlüssig dargelegt werden. Womit auch die Kostenfolgen fachlicher<br />

Leistungen nicht mehr legitimiert <strong>und</strong> als das eingefordert werden können.<br />

Die Einsicht in diese Zusammenhänge scheint sich noch heute in der Praxis der Behindertenhilfe nicht<br />

durchgesetzt zu haben. Wie die aktuellen fachpolitischen <strong>und</strong> institutionellen Diskussionen zeigen, wird<br />

angesichts der Realisierung der Neugestaltung der Aufgabenteilung zwischen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kantonen<br />

(NFA) <strong>und</strong> der damit möglicherweise drohenden Reduktion der Mittel im Bereich der Behindertenhilfe,<br />

der Statuserhalt über das Festhalten am altbekannten Kostenrahmen <strong>und</strong> die <strong>Beschreibung</strong> aktueller<br />

<strong>und</strong> traditioneller Leistungen in der Behindertenhilfe gesucht.<br />

Dabei wird ausser Acht gelassen, dass von wie auch immer tatsächlich erbrachten Leistungen nie auf<br />

notwendigerweise zu erbringende Leistungen geschlossen werden kann. Ohne die Darlegung <strong>des</strong><br />

Begründungszusammenhangs von zu erreichenden Zielen <strong>und</strong> den begründbaren dafür notwendigen<br />

Mitteln, entwickelt das Argument eines von der Dienstleisterseite mehr oder weniger klar<br />

umschriebenen <strong>und</strong> ausführlichen Leistungskatalogs also keine politische Kraft.<br />

Der Aufgabe (Leistungsauftrag) angemessene finanzielle <strong>und</strong> materielle Mittel werden von Seiten der<br />

Leistungserbringer <strong>und</strong> der Leistungsnutzer nur dann eingefordert werden können, wenn eben diese<br />

Aufgabe durch die Leistungsbesteller <strong>und</strong> -finanzierer auch qualitativ definiert wird; wenn also ein<br />

qualitativer Rahmen fachlicher Leistungen bestimmbar wird <strong>und</strong> bestimmt wird <strong>und</strong> ein<br />

Begründungszusammenhang zwischen einem definierten Auftrag <strong>und</strong> den <strong>zur</strong> Erfüllung dieses<br />

Auftrages benötigten Mittel von fachlicher Seite hergestellt werden kann. Es darf also heute nicht<br />

einfach darum gehen, bisherige Leistungen zu dokumentieren, wie das von den meisten<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer


Qualitätssystemen in der Behindertenhilfe geleistet wird, oder bald nicht mehr aktuellen<br />

Leistungsvereinbarungen nachzutrauern.<br />

Es muss vielmehr darum gehen, einen klaren Auftrag von Seiten der (künftigen) Leistungsfinanzierer<br />

erhalten, die dafür notwendigen Mittel zu bestimmen <strong>und</strong> die effektiv <strong>zur</strong> Verfügung gestellte Mittel <strong>und</strong><br />

mögliche Leistungen in einen Zusammenhang zu stellen <strong>und</strong> in die politische Diskussion einzubringen.<br />

1.1.1 Problematische Auftragssituation <strong>und</strong> Bedarf<br />

Die Möglichkeiten, heute einen klaren qualitativ ausgerichteten Auftrag von Seiten der<br />

Leistungsfinanzierer zu erhalten sind aber eingeschränkt. Der B<strong>und</strong> als noch aktueller<br />

Leistungsfinanzierer überlässt es den Kantonen als künftige Leistungsfinanzierer <strong>und</strong> den<br />

Fachverbänden, Möglichkeiten der Leistungsbestellung <strong>und</strong> der –finanzierung auszuarbeiten. Eine<br />

schwierige Aufgabe, müssen die Kantone doch erst die für die neuen Aufgaben notwendigen<br />

administrativen Strukturen <strong>und</strong> das bereichsspezifische Know-how aufbauen <strong>und</strong> entwickeln, während<br />

die Fachverbände von Seiten der Organisationen der Behindertenhilfe unter Druck stehen, deren<br />

Interessen wahrzunehmen. Weiterer Druck entsteht gleichzeitig von Seiten der Interessenverbände von<br />

Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong> Behinderung <strong>und</strong> den Betroffenen selber, die von<br />

einer Objektfinanzierung (Finanzierung der Hilfen) zu einer Subjektfinanzierung (Direkte<br />

Unterstützungsleistungen an die Leistungsnutzer) durch die Leistungsfinanzierer übergehen möchten.<br />

Die mit einem solchen Wechsel verb<strong>und</strong>enen Veränderungen in der Behindertenhilfe sind heute nur<br />

schwer abzuschätzen.<br />

Wird der qualitative Leistungsauftrag aber (noch) nicht von den aktuellen oder künftigen<br />

Leistungsbestellern <strong>und</strong> –finanzierern absichtsorientiert definiert, so bleibt doch die Möglichkeit <strong>und</strong><br />

m.E. der fachliche Bedarf, dass dieser qualitative Auftrag von den Fachverbänden <strong>und</strong> Organisationen<br />

der Behindertenhilfe fachlich <strong>und</strong> zielorientiert begründet <strong>und</strong> (mit-) bestimmt wird.<br />

1.1.2 Erstes Fazit<br />

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die <strong>Beschreibung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfassung</strong> der Quantität aller<br />

bislang effektiv erbrachten, qualitativen Leistungen, wie sie heute von verschiedenen Instrumenten der<br />

Bedarfserfassung geleistet wird, zwar wichtig <strong>und</strong> richtig ist. Sie reicht aber weder aus, künftige<br />

Leistungen in der Behindertenhilfe zu beschreiben <strong>und</strong> zu erfassen, noch diese zu legitimieren.<br />

Die <strong>Beschreibung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfassung</strong> aktueller <strong>und</strong> künftiger Leistungen in der Behindertenhilfe dürfen nicht<br />

nur mögliche Leistungen betreffen. Sie müssen vielmehr alle notwendigen Leistungen erfassen <strong>und</strong><br />

beschreiben können <strong>und</strong> sie müssen die zu erbringenden Leistungen in ihrer Notwendigkeit qualitativ<br />

begründen können. Damit stellt sich die Frage nach dem Bezugsrahmen der <strong>Beschreibung</strong>, der<br />

<strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> der schlussendlichen Begründung der zu erbringenden Leistungen.<br />

1.2 Die <strong>Erfassung</strong> <strong>Beschreibung</strong> <strong>des</strong> aktuellen <strong>und</strong> zukünftigen Leistungsbedarfs aus der Sicht der<br />

Leistungsbesteller <strong>und</strong> Leistungsfinanzierer<br />

Die Erhebung <strong>des</strong> Bedarfs an professionellen Leistungen ist aber auch auf der Seite der<br />

Dienstleistungsbesteller <strong>und</strong> -finanzierer alles andere als einfach. Dies betrifft insbesondere die<br />

sogenannten person- <strong>und</strong> interaktionsbezogenen Dienstleistungen. Also die professionellen Leistungen,<br />

die von einem professionellen Helfer direkt oder indirekt für einen Menschen mit<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer


Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong> Behinderungen erbracht werden. Das hat verschiedene, hier nicht<br />

abschliessend genannte Gründe:<br />

• Das Finanzierungssystem, welches zum einen Organisationen der Behindertenhilfe <strong>und</strong> auch<br />

Dienstleistungsnutzer direkt <strong>und</strong> indirekt unterstützt, ist zwar im Einzelfall verständlich, als<br />

Gesamtsystem aber unübersichtlich.<br />

• Leistungsvereinbarungen werden in der bisherigen Praxis zwischen den Leistungsbestellern<br />

<strong>und</strong> -finanzierern <strong>und</strong> den Leistungserbringern individuell ausgehandelt, wobei die diesem<br />

Prozess zugr<strong>und</strong>e gelegten (qualitativen) Kriterien 2 als unübersichtlich zu bezeichnen sind,<br />

auch wenn bestimmte Rahmenbedingungen der Finanzierung von Leistungen durchaus als<br />

Regelsysteme vorhanden sind. Dadurch resultierte <strong>und</strong> resultiert eine uneinheitliche<br />

Leistungsfinanzierung 3 <strong>und</strong> eine unklare Leistungsbestellung.<br />

• Die sozialadministrativen Vorgaben <strong>zur</strong> Leistungsfinanzierung müssen insbesondere im Bereich<br />

der person- <strong>und</strong> interaktionsbezogenen Dienstleistungen als marginal bezeichnet werden.<br />

• Es scheint bei den Leistungsbestellern <strong>und</strong> Leistungsfinanzierern bis heute keine eigentliche<br />

den Bereich umfassende Bedarfsplanung zu geben <strong>und</strong> die datengestützten Gr<strong>und</strong>lagen für<br />

eine solche Planung sind auf Seiten der Sozialadministrationen entweder nicht vorhanden, in<br />

der vorliegenden Form nicht brauchbar oder aus anderen, von aussen nur schwer zu<br />

durchschauenden Gründen kaum oder nicht zugänglich.<br />

• So ist es bis heute nicht möglich, vom zuständigen B<strong>und</strong>esamt eine abschliessende Übersicht<br />

der wie auch immer bestellten <strong>und</strong> finanzierten Leistungen <strong>und</strong> unterstützten<br />

Dienstleistungsorganisationen zu bekommen. Es scheint unklar, wie viele Leistungserbringer<br />

<strong>zur</strong>zeit finanzielle Zuwendungen erhalten. Und ebenso unklar scheint deren Umfang bezogen<br />

auf die einzelnen Organisationen zu sein.<br />

• Es scheint keine umfassenden Daten darüber zu geben, wie viele Menschen mit welchen<br />

Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong> Behinderungen, welche Leistungen beziehen, resp.<br />

beziehen könnten <strong>und</strong> unter Umständen (<strong>und</strong> mit Hilfe) auch erhalten.<br />

• Die Praxis der bisherigen Leistungsvereinbarungen <strong>und</strong> –finanzierungen stellt die künftigen<br />

Leistungsfinanzierer 4 vor erhebliche Probleme. Einerseits haben sie neue Systeme der<br />

Leistungsvereinbarung <strong>und</strong> –finanzierung zu entwickeln <strong>und</strong> haben sich die dafür notwendigen<br />

Kompetenzen zu erarbeiten. Andererseits fehlen viele der dafür notwendigen qualitativen <strong>und</strong><br />

quantitativen Daten <strong>und</strong> Kenntnisse. Ein umfassender Knowhow-Transfer von den bisherigen<br />

Leistungsbestellern <strong>und</strong> -finanzierern zu den künftigen Leistungsbestellern <strong>und</strong> -finanzierern<br />

scheint bisher nicht absehbar.<br />

• Die Leistungsfinanzierer stehen bereits heute einer Vielzahl ganz unterschiedlicher<br />

Dienstleistungssysteme gegenüber, deren Leistungen nicht immer oder nur zu einem Teil klar<br />

definiert oder ersichtlich sind. So lässt bspw. der Begriff ‚Begleitetes Wohnen’ noch keine klare<br />

Vorstellung über das System <strong>und</strong> seine Leistungen zu. Die Bandbreite, was heute alles unter<br />

einer bestimmten Bezeichnung verstanden wird, ist ausserordentlich breit <strong>und</strong> erschwert die<br />

<strong>Erfassung</strong> der einzelnen Organisationen <strong>und</strong> Leistungen. Eine blosse Auflistung der<br />

Dienstleistungsorganisationen <strong>und</strong> deren Bezeichnungen bleiben wenig aussagekräftig.<br />

• Die von den Dienstleistungsorganisationen implementierten <strong>und</strong> den<br />

Dienstleistungsfinanzierern als tauglich vorgelegten Qualitätsinstrumente schaffen<br />

geschlossene Systeme, welche den Zusammenhang zwischen den begründeten Leistungen,<br />

den realisierten Leistungen <strong>und</strong> den Wirkungen dieser Leistungen einer externen Kontrolle <strong>und</strong><br />

2<br />

Damit sind nicht die sogenannten qualitativen Bedingungen <strong>des</strong> BSV gemeint, sondern die qualitativen Vorgaben, die die<br />

einzelnen Leistungen <strong>und</strong> Leistungsaufträge betreffen. Die qualitativen Bedingungen <strong>des</strong> BSV machen insbesondere<br />

Vorgaben für den administrativen, konzeptuellen <strong>und</strong> materiellen Bereich der Dienstleistungsorganisationen.<br />

3<br />

die wiederum vor allem die person- <strong>und</strong> interaktionsbezogenen Dienstleistungen betrifft. Die betrieblichen <strong>und</strong> materiellen<br />

Leistungen sind demgegenüber meist gut erfasst.<br />

4<br />

Gemäss der NFA<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer


sogar Einsicht entziehen. Die in der Praxis realisierten Bedarfserhebungen kommen situativen<br />

Einschätzungen gleich, die für sich stehen <strong>und</strong> in ihrem Anspruch <strong>und</strong> ihrer Tauglichkeit<br />

hinterfragt werden müssten.<br />

• So entsteht eine Praxis der Leistungserbringung in der Praxis der Behindertenhilfe, die sich für<br />

selber definiert <strong>und</strong> weiterentwickelt.<br />

• Andererseits wird der Kostenrahmen auf Seiten der Sozialadministrationen politisch<br />

ausgehandelt, also nicht bezogen auf die real zu realisierenden Leistungen, was die finanziellen<br />

Aufwendungen von den eigentlichen Leistungen abkoppelt.<br />

1.2.1 Zweites Fazit<br />

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass die bisherige Praxis der Leistungsbestellung <strong>und</strong> –<br />

finanzierung insbesondere im Bereich der Vorgaben <strong>und</strong> Bereitstellung struktureller <strong>und</strong> materieller<br />

Rahmenbedingungen als funktional zu bezeichnen ist; nicht jedoch für den Bereich der professionellen<br />

person- <strong>und</strong> interaktionsbezogenen Dienstleistungen, die in diesen Rahmenbedingungen geleistet<br />

werden oder geleistet werden sollten. Die bisherige Praxis der Leistungsbestellung <strong>und</strong><br />

Leistungsfinanzierung lässt keine qualitative Bewertung derselben zu, noch lässt sie prospektive<br />

Aussagen über den künftigen Leistungsbedarf 5 zu. Der Schritt von der bürokratischen Verwaltung von<br />

Hilfesystemen hin <strong>zur</strong> professionellen Organisation ziel- <strong>und</strong> ressourcenorientierter Hilfen in der<br />

Behindertenhilfe ist auf der Seite der Sozialadministrationen noch nicht geschafft. Eine<br />

zukunftsgerichtete Bedarfsplanung scheint weitgehend zu fehlen oder wird für die aktuelle Praxis der<br />

Behindertenhilfe nicht relevant. Es scheint auf der Seite der Leistungsbesteller <strong>und</strong> –finanzierer<br />

vielmehr ein Rückzug auf die formale Leistungsbestellung <strong>und</strong> –finanzierung stattgef<strong>und</strong>en zu haben.<br />

Währenddem die Organisationen der Behindertenhilfe scheinbar selbstständig <strong>und</strong> selbsttätig ihre<br />

Angebote weiterentwickeln <strong>und</strong> einer selbst bestimmten <strong>und</strong> oft nur angenommenen Nachfrage<br />

anpassen. Damit tritt der Aspekt der Leistungsbestellung in den Hindergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> die ‚blosse’<br />

Leistungsfinanzierung in den Vordergr<strong>und</strong>. Durch die Entkoppelung der politischen Definition <strong>des</strong><br />

Kostenrahmens von den in diesem Rahmen zu realisierenden Leistungen, findet auch eine<br />

Entkoppelung von Leistungsbestellern <strong>und</strong> Leistungsfinanzierern statt, welche eine inhaltliche<br />

Einflussnahme <strong>und</strong> Auseinandersetzung auf beiden Seiten verunmöglicht. Das schafft schlussendlich<br />

für beide Seiten eine Verlierer-Situation.<br />

2 <strong>Konzept</strong>ion <strong>zur</strong> <strong>Beschreibung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erfassung</strong> aktueller <strong>und</strong> künftiger professioneller<br />

Leistungen in der Behindertenhilfe<br />

Wie oben ausgeführt, wird ein Bezugsrahmen <strong>zur</strong> Definition möglicher <strong>und</strong> gegebenenfalls notwendiger<br />

Leistungen dann möglich, wenn definiert wird, was mit den zu realisierenden Leistungen erreicht<br />

werden soll; wenn also die Ziele der zu realisierenden Leistungen definiert sind. Bevor Leistungen<br />

beschrieben <strong>und</strong> erfasst werden können stellt sich demnach zuerst die Frage, welche Ziele mit den zu<br />

erbringenden Leistungen erreicht werden sollen.<br />

Die Definition von fachlichen Zielsetzungen stellte in der Behindertenhilfe für sich genommen noch kein<br />

Problem dar. Wie die Graphik unten zeigt, existiert eine (nicht abgeschlossene) Vielzahl von<br />

Zieldefinitionen, die interdisziplinär von den beteiligten Professionen, den Leistungsbestellern <strong>und</strong> –<br />

finanzierern, wie auch von den Leistungsnutzern anerkannt sind.<br />

5 Und schon gar nicht über den aktuellen <strong>und</strong> künftigen Hilfebedarf.<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer


© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

Eine gelingende<br />

Persönlichkeitsentwicklung<br />

Eine gelingende Sozialisation<br />

Effektivität<br />

Normalisierung<br />

Gemeinschaftliche <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche Wert<strong>und</strong><br />

Zielsetzungen<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

Partizipation<br />

Eine professionelle,<br />

qualitativ hochstehende<br />

Leistung<br />

Zufriedenheit<br />

Professions- <strong>und</strong><br />

disziplinspezifische<br />

Zielsetzungen<br />

Erhöhung der Lebensqualität<br />

Verbesserung der Lebenssituation<br />

Ges<strong>und</strong>heit<br />

Bildung<br />

Integration<br />

Selbstbestimmung<br />

Wohlbefinden<br />

Kooperationen<br />

Individuelle<br />

Zielsetzungen<br />

Viele dieser Zieldefinitionen finden sich auch in generalisierter Form in den bisherigen <strong>und</strong> aktuellen<br />

Vorgaben der Leistungsbesteller oder in den behindertenhilfespezifischen Leitkonzepten der<br />

Organisationen <strong>und</strong> Verbände. Das Problem ist aber, dass solche Zielbestimmungen einerseits zu<br />

wenig für die Praxis operationalisiert sind, um für eben diese handlungsleitend zu werden. So verbleibt<br />

der bereits oben problematisierte Freiraum. Andererseits fehlt der grossen Vielfalt an möglichen<br />

Zieldimensionen wiederum ein einheitlicher Bezugsrahmen, in den sich diese einordnen liessen. Ohne<br />

diesen Bezugsrahmen scheint die Ausrichtung fachlicher Dienstleistungen praktisch beliebig <strong>und</strong><br />

dementsprechend auch die Bestellung zielorientierter Leistungen.<br />

2.1 Die Ausrichtung fachlicher Leistungen der Behindertenhilfe an der ICF<br />

Ein möglicher Bezugsrahmen, in den sich relevante Zieldimensionen fachlicher Leistungen in der<br />

Behindertenhilfe <strong>und</strong> die effektiv zu realisierenden fachlichen, zielorientierten Leistungen einordnen<br />

lassen, bietet die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit der<br />

Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation WHO (ICF = International Classification of Functioning, Disability and<br />

Health).<br />

Mit der ICF lässt sich die so genannte Funktionale Ges<strong>und</strong>heit beschreiben <strong>und</strong> erfassen.<br />

Eine Person ist gemäss der WHO dann funktional ges<strong>und</strong>, wenn – vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer<br />

Kontextfaktoren (materielle, soziale <strong>und</strong> verhaltensbezogene Umweltfaktoren sowie personbezogene<br />

oder persönliche Faktoren) –<br />

1. ihre körperlichen Funktionen (einschliesslich <strong>des</strong> mentalen Bereichs) <strong>und</strong> Körperstrukturen<br />

allgemein anerkannten Normen entsprechen.<br />

2. sie all das tut oder kann, was von einem Menschen ohne Ges<strong>und</strong>heitsproblem erwartet wird.<br />

Betrifft: Aktivitäten<br />

3. sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise <strong>und</strong> in dem Umfang<br />

entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigungen der Körperfunktionen <strong>und</strong><br />

–strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird. Betrifft: Partizipation


Der Klassifikationsbereich 1 der körperlichen Funktionen <strong>und</strong> Strukturen ist insbesondere für die<br />

medizinisch-rehabilitativ ausgerichteten Dienste von grosser Bedeutung. Dieser Bereich stand in den<br />

vorangegangen Klassifikationssystemen der WHO im Zentrum der <strong>Beschreibung</strong> <strong>und</strong> Bewertung.<br />

Die Klassifikationsbereiche 2 (Tätigkeiten) <strong>und</strong> 3 (Partizipation) sind für alle Dienste der<br />

Behindertenhilfe wichtig.<br />

Mit der ICF lässt sich die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit von Menschen in einer für alle an der Bildung,<br />

Unterstützung, Begleitung <strong>und</strong> Rehabilitation beteiligten Professionen gemeinsamen Sprache erfassen<br />

<strong>und</strong> beschreiben. Dabei liegt der <strong>Beschreibung</strong> eine völlig neue Sichtweise zugr<strong>und</strong>e. Es werden nicht<br />

mehr nur eindimensional die Krankheitsfolgen von spezifischen Schädigungen erfasst. Das Modell ist<br />

vielmehr dynamischer Natur: Es erlaubt die Zusammenschau der biologischen, psychologischen,<br />

sozialen <strong>und</strong> individuellen Einflussfaktoren auf die menschliche Entwicklung <strong>und</strong> das menschliche<br />

Dasein. Im formalisierten System werden diese Teile in den vier Komponenten Körperfunktionen,<br />

Beeinträchtigungen der Aktivität sowie der Partizipation <strong>und</strong> den Umweltfaktoren abgebildet.<br />

Gemäss der ICF wird nun Behinderung als jede Beeinträchtigung der Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit (oder,<br />

mit einem anderen Wort, der Funktionsfähigkeit) definiert. Das bedeutet, dass nach der Setzung der<br />

Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation eine Behinderung dann vorliegt, wenn in wenigstens einem der genannten<br />

Bereiche 1-3 eine Beeinträchtigung vorliegt; also eine Funktionsstörung, ein Strukturschaden, eine<br />

Einschränkung einer Aktivität oder eine Beeinträchtigung der Teilhabe <strong>und</strong> Teilname an einem<br />

Lebensbereich (Partizipation).<br />

Aus dieser Setzung lässt sich nun ein klarer Auftrag für das Gesamtsystem der Behindertenhilfe<br />

ableiten. Nämlich:<br />

Professionelle Dienstleistungen in der Behindertenhilfe haben darauf abzuzielen, die<br />

Funktionale Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen zu verbessern, resp. beeinträchtigende Faktoren zu<br />

lokalisieren <strong>und</strong> zu reduzieren. Und zwar da, wo die individuellen Ressourcen eines Menschen<br />

<strong>und</strong> die seines sozialen Umfel<strong>des</strong> nicht (mehr) ausreichen (Kontextfaktoren).<br />

Diese Auftragsdefinition schliesst nun einerseits eine klare Zielorientierung behinderungsspezifischer<br />

Leistungen ein (Funktionale Ges<strong>und</strong>heit) <strong>und</strong> stellt andererseits den gesuchten Bezugsrahmen für die in<br />

der Behindertenhilfe zu realisierenden Leistungen dar. Über die spezifische <strong>und</strong> systematische<br />

Klassifizierung von Behinderung wird die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit <strong>zur</strong> allgemeinen <strong>und</strong> weltweit gültigen<br />

Zielsetzung menschlicher Entwicklung <strong>und</strong> menschlichem Dasein erklärt. Und eine professionelle<br />

Leistung wird dann als notwendig anerkannt, wenn sie die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen<br />

verbessert oder zu verbessern versucht, resp. wenn sie auf die Reduktion <strong>und</strong> den Abbau von<br />

Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Behinderung ausgerichtet ist.<br />

Mit Bezug auf die eingangs gestellte Forderung, dass Verbände <strong>und</strong> Organisationen der<br />

Behindertenhilfe zeitgemässe <strong>und</strong> zukunftsgerichtete Angebote für Menschen mit<br />

Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong> Behinderungen zu erfassen, zu entwickeln <strong>und</strong> zu realisieren<br />

hätten, kann also gesagt werden:<br />

• Die <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> notwendiger Leistungen in der Behindertenhilfe haben sich<br />

künftig an der Zieldimension der Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit zu orientieren <strong>und</strong> nicht an<br />

traditionellen oder aktuellen Leistungskatalogen 6 .<br />

• Erfasst <strong>und</strong> bewertet werden der ehemalige <strong>und</strong> der aktuelle Stand Funktionaler Ges<strong>und</strong>heit<br />

eines jeden Individuums.<br />

• Von dieser Bewertung ausgehend, werden mögliche <strong>und</strong> notwendige Leistungen <strong>zur</strong><br />

nachhaltigen Verbesserung der Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit definiert.<br />

6 Was nicht bedeutet, dass nicht bereits heute viele Leistungen zugunsten einer verbesserten Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit<br />

erbracht werden, auch wenn diese nicht in diesen Sinnzusammenhang gestellt werden.<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer


• Die <strong>zur</strong> Verbesserung notwendigen Leistungen müssen begründet dargelegt werden.<br />

Professionelle Leistungen sind immer fachlich zu begründen.<br />

• Die Effektivität, die Effizient <strong>und</strong> die Nachhaltigkeit der professionell erbrachten Leistungen<br />

muss prüfbar sein.<br />

• Die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit bietet als <strong>Konzept</strong>ion mit spezifischen Bereichen spezifische<br />

Zieldimensionen, auf die Leistungen ausgerichtet, realisiert <strong>und</strong> evaluiert werden können <strong>und</strong><br />

müssen.<br />

• Professionelle Leistungen werden nur dann finanziert, wenn sie auf die Verbesserung der<br />

Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit ausgerichtet sind, in ihrer Anlage fachlich begründet sind <strong>und</strong> einer<br />

fachlichen Prüfung zugänglich sind.<br />

• Die Ausrichtung professioneller Leistungen auf die Zieldimension Funktionale Ges<strong>und</strong>heit ist<br />

schlussendlich nicht von <strong>zur</strong> Verfügung stehenden <strong>und</strong> gestellten Ressourcen abhängig. Weder<br />

auf Seiten der Leistungsfinanzierer, noch auf Seiten der Leistungserbringer oder<br />

Leistungsnutzer. Ressourcen definieren lediglich einen Möglichkeitsraum realisierbarer<br />

Leistungen dar. Dieser kann grösser oder kleiner sein.<br />

3 Möglichkeiten der <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> aktueller <strong>und</strong> künftiger professioneller<br />

Leistungen in der Behindertenhilfe anhand der ICF<br />

3.1 Ausgangslage<br />

Eine spezifische <strong>und</strong> systematische <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> Klassifizierung Funktionaler Ges<strong>und</strong>heit, resp. der<br />

behindernden Faktoren, setzt entsprechende <strong>Erfassung</strong>s- <strong>und</strong> Bewertungsinstrumente voraus. Gesucht<br />

sind also Instrumentarien, mit denen über alle drei oben ausgeführten Bereiche die Funktionale<br />

Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen in der Art differenziert erhoben werden können, dass davon ein<br />

individueller, überindividueller <strong>und</strong> professioneller Handlungsbedarf abgeleitet <strong>und</strong> spezifische<br />

Angebote entwickelt werden können.<br />

Die Ausrichtung der Erhebung <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> von professionellen Leistungen in der Systematik der<br />

ICF scheint es nahe zu legen, die <strong>Erfassung</strong> mit dem <strong>Instrumentarium</strong> der ICF zu realisieren. In diesem<br />

<strong>Erfassung</strong>s- <strong>und</strong> Bewertungssystem werden relevante Körperfunktionen <strong>und</strong> –strukturen, Tätigkeiten<br />

<strong>und</strong> Formen der Partizipation über spezifische Co<strong>des</strong> individuumsspezifisch erhoben <strong>und</strong> über<br />

Skalierungen einer Bewertung zugänglich gemacht. Dadurch wird eine differenzierte Bewertung <strong>und</strong><br />

Klassifikation der Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit möglich.<br />

Wie eine eingehende Prüfung aber deutlich macht 7 , vermag das bestehende <strong>Instrumentarium</strong> der ICF<br />

den beschriebenen Anforderungen <strong>und</strong> den eigenen Ansprüchen nur teilweise zu genügen. ‚Teilweise’<br />

<strong>des</strong>wegen, weil die Entwicklung <strong>des</strong> <strong>Instrumentarium</strong>s pro Bereich ganz unterschiedlich weit<br />

fortgeschritten ist.<br />

So zeigt es sich, dass der erste Bereich der Körperfunktionen <strong>und</strong> –strukturen bereits differenziert <strong>und</strong><br />

wissenschaftlich f<strong>und</strong>iert erarbeitet <strong>und</strong> in wichtigen Teilen praktisch erprobt ist. Womit schon heute eine<br />

sehr detaillierte <strong>Beschreibung</strong> <strong>und</strong> Bewertung von Lebens- <strong>und</strong> Entwicklungssituationen in diesem<br />

Bereich möglich wird. Diese Tatsache erstaunt insofern nicht, als dass die <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong><br />

von Körperfunktionen <strong>und</strong> -strukturen, wie gesehen in den medizinisch-curativen <strong>und</strong> auf Rehabilitation<br />

ausgerichteten Disziplinen <strong>und</strong> Professionen eine lange Tradition hat <strong>und</strong> noch heute gr<strong>und</strong>legend<br />

wichtig ist. Dementsprechend sind diese Disziplinen <strong>und</strong> Professionen auch an der steten Entwicklung<br />

von geeigneten Instrumenten interessiert <strong>und</strong> beteiligt.<br />

7 Verwiesen sei hier auf entsprechende Studien zu möglichen ‚Abklassifizierungen’ von Menschen durch<br />

Klassifikationsinstrumente.<br />

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Anders sieht es für die Bereiche zwei <strong>und</strong> drei aus. Diese für das agogische Feld zentralen Bereiche<br />

sind noch wenig oder nicht durchgängig weit entwickelt <strong>und</strong> weisen <strong>zur</strong>zeit noch bedeutende<br />

Schwachpunkte auf. So fehlt zum einen der theoretischen <strong>Konzept</strong>ion der Klassifikation <strong>und</strong> ihrer<br />

Codierung der Bezug <strong>zur</strong> Praxis der Behindertenhilfe. Das heisst, der Transfer der theoretisch<br />

begründeten Setzungen in entsprechende Handlungssysteme muss erst noch geleistet werden. Zum<br />

anderen weisen die entwickelten Co<strong>des</strong> <strong>und</strong> die Codierung <strong>zur</strong> <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> Bewertung der<br />

individuellen Lebens- <strong>und</strong> Entwicklungssituationen noch grosse Mängel auf. In der bestehenden Form<br />

sind sie <strong>des</strong>halb aus den folgenden Gründen kaum für den Einsatz in der Praxis geeignet:<br />

• Wichtige Aktivitäten <strong>und</strong> Möglichkeiten der Teilhabe sind in der ICF (noch) nicht differenziert<br />

berücksichtigt. Wichtige Qualitäten derselben bleiben unerkannt (bspw. Aspekte der<br />

Integration)<br />

• Andererseits sind Tätigkeiten <strong>und</strong> Formen der Partizipation in Co<strong>des</strong> übersetzt, die für die<br />

Praxis der Behindertenpädagogik nur wenig Relevanz entwickeln<br />

• Die eigentliche Funktionale Ges<strong>und</strong>heit wird nicht in Kodierungsmöglichkeiten umgesetzt <strong>und</strong><br />

ist dementsprechend nicht operationalisiert. Wichtige Wechselwirkungen menschlicher<br />

Entwicklung <strong>und</strong> menschlichem Daseins werden nicht erfasst (bspw. die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Menschlicher Kompetenzentwicklung)<br />

• Viele der bisher erarbeiteten Co<strong>des</strong> liefern zuwenig genaue Informationen<br />

• Andere Co<strong>des</strong> sind zu eng formuliert<br />

• Die Kodierung ist einerseits sehr aufwändig 8 . Andererseits vermag der Kodiervorschlag der<br />

WHO, freie Auswahl von 3-18 Co<strong>des</strong> <strong>zur</strong> abschliessenden <strong>Beschreibung</strong> einer Lebens- <strong>und</strong><br />

Entwicklungssituation, wohl kaum den Anforderungen der Praxis zu genügen<br />

• Personbezogene Faktoren, wie Motivation oder Wille werden nicht berücksichtigt<br />

• Die Zuordnung der verschiedenen Co<strong>des</strong> zu den unterschiedlichen Themenbereichen ist nicht<br />

überall nachvollziehbar<br />

• Die angestrebte Ressourcenorientierung 9 wird schlussendlich nicht eingelöst. Die Bewertung<br />

bleibt defizitorientiert, resp. schädigungsorientiert. Die Bewertung ist zudem kompliziert<br />

• Es besteht die Gefahr der Abqualifizierungen der mit der ICF klassifizierten Menschen<br />

• Die Unterscheidung der Bereiche Aktivität <strong>und</strong> Partizipation gelingt alles in allem nicht. Es gibt<br />

viele ungeklärte thematische Überlappungen, resp. Auslassungen. Es ist daher nicht einfach<br />

zu bestimmen, was an welchem Ort erfasst <strong>und</strong> beschrieben wird<br />

Trotz dieser Schwachpunkte scheint die Anbindung einer künftigen <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong><br />

möglicher <strong>und</strong> notweniger professioneller Dienstleistungen an das Klassifikationssystem ICF richtig.<br />

Und zwar aus folgenden Gründen:<br />

• Die zentralen Schwächen der ICF sind nicht auf ihre theoretische Gr<strong>und</strong>legung <strong>und</strong> <strong>Konzept</strong>ion<br />

<strong>zur</strong>ückzuführen. Diese sind wissenschaftlich f<strong>und</strong>iert <strong>und</strong> in ihrer Anlage von politischer Seite,<br />

wie von Seiten der relevanten Disziplinen <strong>und</strong> Professionen als richtig anerkannt. Die<br />

Schwachpunkte sind vielmehr auf die ungenügende, unvollständige oder unsachgemässe<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Ausführung <strong>des</strong> Klassifikationsinstrumentes <strong>zur</strong>ück zu führen. Solche<br />

‚Übersetzungs’-Fehler <strong>und</strong> Mängel lassen sich beheben.<br />

• Die theoretische Bezugssysteme <strong>und</strong> mögliche Interaktionsmodelle <strong>zur</strong> Neugestaltung <strong>des</strong><br />

<strong>Erfassung</strong>sinstrumentariums sind bekannt oder können entwickelt werden (Bspw. die<br />

Normalisierungs- <strong>und</strong> Empowermentkonzepte, <strong>Konzept</strong>e der Selbstbestimmung sowie der<br />

Integration <strong>und</strong> Partizipation als strukturgebende Rahmenkonzepte)<br />

• Skalierungen ermöglichen ‚direkte‘ Hinweise auf Entwicklungsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />

Entwicklungsbedarf <strong>und</strong> eignen sich daher gut für die praktische Anwendung <strong>und</strong> die<br />

8 1424 Co<strong>des</strong> über alle Bereiche<br />

9 in der ICF auch Leistungsorientierung genannt<br />

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Organisation professioneller Leistungen. Codierungen bieten gr<strong>und</strong>sätzlich gute<br />

Filtermöglichkeiten<br />

• Die Anbindung <strong>des</strong> <strong>Instrumentarium</strong>s an Prozessgestaltung <strong>und</strong> Förderplanungen ist leicht<br />

möglich. Der Aufwand für die <strong>Erfassung</strong> der Lebens- <strong>und</strong> Entwicklungssituationen <strong>und</strong> Ertrag<br />

der Erhebung sollten übereinstimmen 10<br />

• Die bereits oben genannten, gr<strong>und</strong>sätzlichen Vorzüge der ICF gegenüber anderen Formen <strong>und</strong><br />

Methoden der Bedarfserhebung, nämlich dass<br />

o mögliche künftige Leistungen können unabhängig von der heutigen Angebots- <strong>und</strong><br />

Organisationsstruktur erhoben werden,<br />

o die Erhebung subjektorientiert erfolgt 11 ,<br />

o der Bedarf an Leistungen entlang der Zieldimension ‚Funktionale Ges<strong>und</strong>heit‘ erhoben<br />

werden kann, womit die Legitimation zu erbringender Leistungen gelingt 12 ,<br />

o die Zieldimension der ‚Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit‘ praktisch weltweit anerkannt wird,<br />

überwiegen die heute noch bestehenden Probleme bei der Anwendung der ICF bei weitem.<br />

• Nicht zuletzt muss in Betracht gezogen werden, dass die ICF mit hoher Wahrscheinlichkeit als<br />

(mögliches) weltweites System der Bedarfserhebung <strong>und</strong> Basis für die Leistungsfinanzierung 13<br />

auch Bedeutung für die künftigen Leistungsbesteller <strong>und</strong> –finanzierer in der Schweiz gewinnen<br />

wird. Diese Tatsache gewinnt insbesondere Bedeutung für die anstehende Umsetzung der<br />

NFA.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> von aktuellen <strong>und</strong><br />

künftigen professionellen Leistungen in der Behindertenhilfe mit dem aktuellen <strong>Instrumentarium</strong> der ICF<br />

noch nicht zufrieden stellend möglich ist. Die <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> <strong>Beschreibung</strong> aktueller <strong>und</strong> künftiger<br />

Leistungen anhand der ICF aber sinnvoll wäre.<br />

Es bestand demnach der Bedarf, aufbauend auf dem <strong>Konzept</strong> <strong>und</strong> dem bestehenden <strong>Instrumentarium</strong><br />

der ICF ein <strong>Erfassung</strong>sinstrument zu entwickeln, welches erstens die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit eines<br />

einzelnen Menschen entsprechend der Vorgabe der ICF zu erfassen vermag <strong>und</strong> welches zweitens den<br />

Bedarf an Leistungen <strong>zur</strong> Verbesserung dieser Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit in quantitativer <strong>und</strong> qualitativer<br />

Weise zu erfassen <strong>und</strong> zu beschreiben vermag.<br />

3.2 Die Weiterentwicklung der ICF in ein Assessment-, Hilfeplanungs- <strong>und</strong> Bewertungsinstrument<br />

Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat <strong>des</strong>halb das Klassifikationssystem ICF der WHO in ein<br />

Assessment-, Hilfeplanungs- <strong>und</strong> Bewertungsinstrument agogisch-therapeutischer Leistungen<br />

weiterentwickelt. Zusammen mit Kooperationspartnern aus der Praxis, der Forschung <strong>und</strong> der<br />

Wirtschaft wurde aufbauend auf dem <strong>Konzept</strong> <strong>und</strong> dem bestehenden <strong>Instrumentarium</strong> der ICF ein<br />

<strong>Erfassung</strong>sinstrument entwickelt, welches erstens die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit eines einzelnen<br />

Menschen entsprechend der Vorgabe der ICF zu erfassen vermag <strong>und</strong> welches zweitens den Bedarf an<br />

Leistungen <strong>zur</strong> Verbesserung dieser Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit in quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Weise zu<br />

erfassen <strong>und</strong> zu beschreiben vermag. Dies ermöglicht nun eine objektivierte, zielorientierte <strong>und</strong> eine<br />

subjekt- <strong>und</strong> ressourcenorientierte <strong>und</strong> kontextbezogene Bedarfsanalyse sowie eine ebenso<br />

differenzierte Wirkungsanalyse. Damit erlaubt das <strong>Instrumentarium</strong> ebenfalls die Darstellung <strong>des</strong><br />

10 Die in der ICF erhobenen Daten können sowohl für die Bedarfserhebung, wie auch für die Förderplanung sowie für die<br />

Verhandlungen mit den Leistungsbestellern <strong>und</strong> –finanzierern genutzt werden<br />

11 Was mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Anspruch an eine künftige Leistungsfinanzierung entspricht<br />

12 Dies im Gegensatz zu den gängigen Bedarfserhebungen heute<br />

13 Vgl. hierzu die aktuellen Diskussionen in Deutschland<br />

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Zusammenhangs zwischen vorhandenen Ressourcen, realisierten Leistungen <strong>und</strong> den auf die Ziele<br />

bezogenen Wirkungen.<br />

Die <strong>Erfassung</strong> der Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit folgt dem Gr<strong>und</strong>satz der interdisziplinären Aufgabenteilung.<br />

So wird die <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> Bewertung der Daten zu den Bereichen 'Aktivitäten' <strong>und</strong> 'Partizipation' von<br />

den entsprechenden agogisch-therapeutischen Professionen <strong>und</strong> Diensten vorgenommen. Während die<br />

Erhebung der Daten zum Bereich der Körperfunktionen <strong>und</strong> –strukturen von den medizinischen,<br />

therapeutischen <strong>und</strong> pflegerischen Diensten übernommen wird.<br />

Der Sinnzusammenhang von Funktionsfähigkeiten (-störungen) <strong>und</strong> möglichen professionellen<br />

Leistungen wird nicht in einzelnen Codierungen gesucht, sondern in der professionellen Interpretation<br />

der zu beschreibenden Merkmale von Lebens- <strong>und</strong> Entwicklungssituationen.<br />

Da eine fachliche Interpretation <strong>und</strong> Bewertung von Daten immer zu definierende theoretische<br />

Bezugssysteme voraussetzt, wurden das gesamte <strong>Instrumentarium</strong> <strong>und</strong> alle Analyseeinheiten<br />

entsprechend aktuellen sozialwissenschaftlichen Bezugstheorien aufgebaut <strong>und</strong> für den Einsatz im<br />

agogisch-therapeutischen Bereich neu strukturiert. Ebenfalls wurde es um neue Bezugssysteme, wie<br />

die Dimensionen der Integration oder Kompetenzentwicklung erweitert. Die untenstehende Graphik gibt<br />

einen Überblick über das <strong>Erfassung</strong>sinstrument.<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer


© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

12


Neu an diesem System ist nicht die <strong>Konzept</strong>ion hinter der <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> Bewertung. Diese folgt<br />

umfänglich der ICF. Neu ist vielmehr die Konstruktion der <strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> Bewertung. So ist die<br />

Konstruktion systemökologisch angelegt, was einen raschen Überblick über die relevanten <strong>und</strong><br />

möglichen Lebensbereiche erlaubt sowie deren Bewertung in Bezug zu einem normalisierten<br />

Lebensbereichssystem. Innerhalb dieser Systeme kann alsdann die Integration eines Menschen über<br />

<strong>des</strong>sen Partizipationen erfasst <strong>und</strong> bewertet werden. Und über die differenzierte <strong>Erfassung</strong> der<br />

Partizipationen können wiederum die realisierten oder zu realisierenden Tätigkeiten bestimmt <strong>und</strong><br />

bewertet werden. Damit geht die neue Konstruktion von den übergeordneten Systemen zu den<br />

Mikrosystemen <strong>und</strong> befasst sich nicht mehr mit scheinbar losgelösten Tätigkeitencodierungen.<br />

Tätigkeiten werden also in ihrem Sinnzusammenhang erfasst <strong>und</strong> bewertet. Dazu gehört neu nicht mehr<br />

nur die <strong>Erfassung</strong> der Fertigkeiten eines Menschen, sondern neu auch die <strong>Erfassung</strong> der Kompetenzen<br />

<strong>und</strong> der Motivation <strong>des</strong> betreffenden Menschen.<br />

Alle zu realisierenden Leistungen der gesamten Hilfeplanung <strong>und</strong> im eigentlichen<br />

Unterstützungsprozess werden quantitativ mittels einer Aufwandschätzung erfasst. Entsprechend der<br />

Ressourcenorientierung erfolgt die Schätzung mehrstufig. Unterschieden wird zwischen notwendigen,<br />

machbaren <strong>und</strong> wünschbaren Leistungen. Die realisierten Leistungen werden in einer Zeiterfassung<br />

festgehalten <strong>und</strong> ebenfalls quantitativ ausgewertet.<br />

Alle Daten werden mit der eigens entwickelten Software gewonnen <strong>und</strong> gespeichert.<br />

Die folgenden Screenshots zeigen die im <strong>Instrumentarium</strong> zu realisierenden Arbeitsschritte sowie die<br />

Bewertung der erfassten Daten. Der Einsatz <strong>des</strong> <strong>Instrumentarium</strong>s ist jedoch nicht an die in Kooperation<br />

entwickelte Software geb<strong>und</strong>en.<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

13


3.2.1 Übersicht über die einzelnen Analyseschritte <strong>und</strong> -verfahren<br />

<strong>Erfassung</strong> <strong>und</strong> Bewertung der Lebensbereiche:<br />

Im <strong>Instrumentarium</strong> werden alle Lebensbereiche, an denen ein Mensch partizipiert <strong>und</strong> mit Bezug auf<br />

die Funktionale Ges<strong>und</strong>heit (ICF) bewertet.<br />

Lebensbereiche bestimmen<br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

Lebensbereiche werden definiert,<br />

wo noch nicht in Vorlagen erfasst,<br />

Produkten / -gruppen zugewiesen<br />

<strong>und</strong> in das Diagramm gezogen.<br />

Erfasst <strong>und</strong> bewertet werden vergangene, aktuelle <strong>und</strong> auch künftige, mögliche Lebensbereiche.<br />

Positionierung der Lebensbereiche<br />

Die Lebensbereiche<br />

werden nach ihrem<br />

Potential bewertet <strong>und</strong><br />

sinnvoll gruppiert…<br />

14


Bewertungen der Lebensbereiche<br />

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Anschliessend<br />

werden sie nach<br />

der zeitlichen<br />

Dimension <strong>und</strong>…<br />

Bewertungen der Lebensbereiche<br />

..der zeitlichen<br />

Beanspruchung<br />

bewertet.<br />

Diese Arbeit kann bereits in Zusammenarbeit mit den Klienten realisiert werden <strong>und</strong> gilt damit bereits<br />

als agogsisch-therapeutische Leistung.<br />

15


In der Integrationsanalyse werden mit Bezug auf die erfassten Lebensbereiche theoriegeleitet die<br />

funktionale, die soziale <strong>und</strong> die lokale Integration erfasst <strong>und</strong> bewertet. Unter lokaler Integration wird der<br />

Umstand begriffen, dass ein Mensch auch tatsächlich einen Wechsel von einem zu einem anderen Ort<br />

vornimmt. Gerade in der Arbeit mit schwerer beeinträchtigten <strong>und</strong> behinderten Menschen kommt es nur<br />

zu oft vor, dass alle Leistungen am selben Ort erbracht werden.<br />

Funktionale Integration beschreibt, ob ein Mensch in einem Lebensbereich auch das tut, was<br />

normalerweise an diesem Ort gemacht wird. Und die soziale Integration erfasst die Teilnahme an der<br />

Gemeinschaft von Menschen in einem bestimmten Lebensbereich.<br />

Die verschiedenen Integrationstypen werden über Skalierungen erfasst.<br />

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Integrationsanalyse<br />

In der Integrationsanalyse<br />

werden die ausgewählten<br />

Lebensbereiche nach ihrer<br />

Integration bewertet <strong>und</strong> in<br />

einem Freitext die Resultate<br />

zusammengefasst.<br />

Die eigentlichen Tätigkeiten innerhalb der verschiedenen Lebensbereiche werden in einer Datenbank<br />

erfasst. Die <strong>Erfassung</strong> erfolgt als Prozess <strong>und</strong> nicht als einmalige Gesamterhebung. Erfasst werden<br />

also insbesondere die Tätigkeiten, welche zugunsten einer verbesserten Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit,<br />

erlernt, geübt, verbessert oder ermöglicht werden sollen.<br />

Die Bewertung erfolgt wiederum in Skalierungen, welche sich auf das <strong>Konzept</strong> der Selbstbestimmung<br />

nach Walther <strong>und</strong> Theorien der Kompetenzentwicklung beziehen.<br />

16


© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

Datenbank der Aktivitäten<br />

Hier werden die gewählten Tätigkeiten<br />

gemäss dem <strong>Konzept</strong> der<br />

Selbstbestimmung strukturiert <strong>und</strong> nach<br />

Fähigkeit, Fertigkeit, Gelegenheit <strong>und</strong><br />

Wille bewertet.<br />

Alle erfassten <strong>und</strong> bewerteten Tätigkeiten werden in einer Datenbank gespeichert <strong>und</strong> so der weiteren<br />

Bearbeitung zugänglich gemacht.<br />

Alle <strong>zur</strong> Verbesserung der Funktionalen Ges<strong>und</strong>heit geeigneten Massnahmen werden in einen<br />

Handlungsplan übernommen. Die Wahl der effektiv zu realisierenden Leistungen geschieht nach<br />

beurteilter Wichtigkeit <strong>und</strong> ist ressourcenbezogen. Erfasst werden die Ressourcen der Klienten <strong>und</strong> <strong>des</strong><br />

Gesamtsystems. Der Aufwand für alle Leistungen wird geschätzt. Die Leistungserbringung wird in<br />

einem elektronischen Journal erfasst <strong>und</strong> dokumentiert.<br />

Handlungsplan mit<br />

Aufwandschätzung<br />

Es wird ein Handlungsplan<br />

erstellt. Für jeden<br />

Handlungsschritt wird der<br />

personelle <strong>und</strong> finanzielle<br />

Aufwand geschätzt. Die effektiven<br />

Leistungen werden in einem<br />

Verlaufsjournal festgehalten.<br />

17


2.2 Zum Einsatz <strong>des</strong> <strong>Instrumentarium</strong>s<br />

Nutzniesser eines gelingenden Einsatzes <strong>des</strong> <strong>Instrumentarium</strong>s <strong>und</strong> der damit angestrebten<br />

differenzierten Bedarfs- <strong>und</strong> zielbezogenen Wirkungsanalyse sind die Kantone als Leistungsbesteller<br />

<strong>und</strong> -finanzierer, die Dienstleistungsorganisationen <strong>und</strong> die professionellen Helfer <strong>und</strong> nicht zuletzt alle<br />

Dienstleistungsnutzer. Es ist das Ziel, in einen direkten Informationsaustausch mit der SODK, Vertretern<br />

der Behindertenhilfe <strong>und</strong> Vertretern der Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen <strong>und</strong><br />

Behinderungen zu treten.<br />

Literatur:<br />

Bauer, R.: Personenbezogene Soziale Dienstleistungen. Wiesbaden 2001<br />

Beck, I.: Neuorientierung in der Organisation pädagogisch-sozialer<br />

Dienstleistungen für behinderte Menschen. Zielperspektiven <strong>und</strong><br />

© Prof. Dr. Daniel Oberholzer<br />

Bewertungsfragen. Frankfurt a.M. 1994<br />

Brunner, E.J., et Soziale Einrichtungen bewerten. Theorie <strong>und</strong> Praxis der<br />

al.:<br />

Qualitätssicherung. Freiburg i.B. 1998<br />

Capie, A.M.: Qualitätsbeurteilung <strong>und</strong> –entwicklung von Angeboten für Menschen<br />

mit geistiger Behinderung. Internationale Liga von Vereinigungen für<br />

Menschen mit geistiger Behinderung – ILSMH (Hrsg.). Brüssel 1993<br />

Greving, H.: Heilpädagogische Organisationen. Freiburg i.B. 2000<br />

Greving, H.: Heilpädagogische Organisationen im Wandel. Freiburg i.B. 2000<br />

Hohmann Beck,<br />

B., Rutishauser<br />

Empting, E.:<br />

Bedürftigkeit versus K<strong>und</strong>ensouveränität. Konsequenzen <strong>des</strong> NPM im<br />

sozialen Bereich. Bern 1997<br />

ICF International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF).<br />

World Health Organization. Ohne Ortsangabe 2005<br />

Japp, K.P.: Wie psychosoziale Dienste organisiert werden. Widersprüche <strong>und</strong><br />

Auswege. Frankfurt a.M. 1986<br />

Oberholzer, D.: Die Bedeutung <strong>und</strong> Möglichkeiten der Arbeit mit Kontingenzformeln in<br />

der sonderpädagogischen Praxis. In: Bächtold, A. <strong>und</strong> Schley, W.:<br />

Zürcher Reflexionen <strong>und</strong> Forschungsbeiträge <strong>zur</strong> Sonderpädagogik.<br />

Luzern 1999a<br />

Oberholzer, D.: Komplexitätsmanagement neuer Dienstleistungen. Bern 1999b<br />

Oberholzer, D.: Von der Entzauberung sonder- <strong>und</strong> sozialpädagogischer<br />

Wunschvorstellungen. In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik<br />

12, 1999c, 12-20<br />

Oberholzer, D.: Der Mensch als autopoietisches <strong>und</strong> selbstreferentielles System.<br />

Unveröff. Manuskript Sommerakademie Gerontologie. Freiburg 2002<br />

Oberholzer, D.: Fragen der Entwicklungsförderung – Systemische<br />

Entwicklungskonzepte <strong>und</strong> Zugänge. Fachhochschule Aargau 2002<br />

Oberholzer, D.: Zur Qualität person- <strong>und</strong> interaktionsbezogener Dienstleistungen.<br />

Erscheint 2006<br />

Simmen, R.: <strong>Konzept</strong>e zum Qualitätsmanagement in sozialen Institutionen – Wege<br />

<strong>und</strong> Irrwege. In: VHN 70, 2001, 228-237<br />

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