Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 44/2022.

Ohne den Tod könnten sie nicht leben. Geier fressen Aas, also Haut, Fleisch, Innereien und Knochen toter Tiere. Wie Tatortreiniger der Natur machen sie sauber, wo Wölfe ein Schaf gerissen haben oder ein Wildtier verendet ist. So schützen die Vögel auch uns Menschen vor gefährlichen Keimen. Aaskäfer, Fliegen und Mikroben erledigen den Rest. Die Natur verschwendet keine Energie.

Weil Geier keine Totenruhe kennen und ungeniert Kadaver ausweiden, sind sie unbeliebt. Als "ekelhaften Vogel, dessen kahler scharlachroter Kopf dazu geformt ist, sich in Fäulnis zu suhlen", beschrieb schon Charles Darwin im Jahr 1835 einen Truthahngeier, den der Naturforscher auf einer Robben-Insel sah, während sein Forschungsschiff, die Beagle, vor Chile ankerte. Mythen rund um die riesigen Vögel hielten sich hartnäckig: Während Geier im alten Ägypten verehrt wurden, glaubte man im Alpenraum, sie würden lebende Lämmchen, ja sogar kleine Kinder holen.

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Knapp 35.000 Paare an Gänsegeiern bauen ihre Nester wieder in Europa.

All das hat Menschen bewogen, Geier zu jagen und zu vergiften. In vielen Gebirgsregionen Europas wurden die einst dort heimischen Bartgeier, Mönchsgeier, Gänsegeier und Schmutzgeier ausgerottet. Die wenigen, die überlebt haben, finden in unserer modernen Welt kaum noch Platz. Strommasten kreuzen ihre Flugrouten. Aus der Vogelperspektive ist wenig Fressbares zu entdecken. Kilometerweit Wellblechdächer, wo einst Vieh frei auf der Weide graste: In so einer Landschaft gibt es für Aasfresser nichts mehr zu holen. Erst seit Kurzem zeigen Projekte zum Schutz und zur Wiederansiedlung Wirkung. Geier kehren zurück. Auch zu uns nach Deutschland.

So brüten <b>Bartgeier</b> seit den Neunzigern in den Alpen, nachdem sie dort fast 100 Jahre ausgerottet waren. Die Greifvögel waren einst in fast allen Gebirgen Europas über Asien bis an den Zipfel Südafrikas verbreitet. Die Art gilt als potenziell gefährdet. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) schätzt ihren weltweiten Bestand auf 1.675 bis 6.700 erwachsene Vögel.

In Spanien begann man früh, <b>Mönchsgeier</b> zu schützen. Dort nimmt ihre Zahl zu. Fast überall anders in Europa sind sie ausgestorben. Schätzungsweise 16.800 bis 22.800 dieser Vögel gibt es noch. Im Balkan wird derzeit eine kleine Population wieder angesiedelt. 2021 schlüpfte das erste Mönchsgeierküken Bulgariens seit Jahrzehnten. Nur ein Jahr später fanden Vogelschützer es vergiftet auf.

Besser geht es Europas <b>Gänsegeiern</b>. Die meisten leben auf der Iberischen Halbinsel. In Frankreich und Italien konnte man kleine Bestände etablieren – auch im Balkan brüten sie wieder. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über den Nahen Osten bis nach Asien ins Himalaya-Gebirge.

Extreme Rückgänge verzeichneten die <b>Schmutzgeier</b>. In Indien, Nepal und Pakistan sank ihr Bestand durch giftige Medikamentenrückstände in Aas um mehr als 90 Prozent. Auch afrikanische Populationen starben aus. 12.400 bis 36.000 Schmutzgeier gibt es wohl noch. Die meisten brüten in Nordafrika, Nahost und Nordindien.

Ohne Weidevieh keine Geier

Den Altweltgeiern, also allen Geierarten auf dem afrikanisch-eurasischen Großkontinent, geht es auch deshalb schlecht, weil sie kaum noch Nahrung finden. Ihre Blütezeit haben sie seit der letzten Eiszeit hinter sich. Vor rund 12.000 Jahren starben große Säugetiere wie Mammuts, Höhlenbären oder Europas Waldelefanten fast vollständig aus, die einst die Lebensgrundlage der Aasfresser waren. Auch Moschusochsen, Wildpferde und Bisons wurden dezimiert. Der Jagd des Menschen auf Großwild und extremen Klimaveränderungen hielten nur wenige Giganten an Land stand. In der Folge verschwanden auch ihre Jäger in der Luft. Die wenigen überlebenden Altweltgeier passten sich an. Zugleich wurden sie abhängig von dem, was Menschen ihnen hinterließen.

Von ein paar toten Nagetieren oder dem wenigen Wild, das es noch gibt, werden Geier nicht mehr satt. Längst sind die Greifvögel auf Weidevieh spezialisiert: Kühe, Rinder, Schafe, Pferde – alles, was liegen bleibt, holen sie sich. Über Jahrhunderte lebten Geier und Viehhirten so in einer Art Symbiose. Die war zwar nicht friedlich, ernährte aber beide Seiten.

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In Bulgarien, wo Vogelschützer neuerdings Geier auswildern, gibt es die traditionelle Weidewirtschaft noch. Schafe, Pferde und Ziegen grasen gemeinsam. Hirten treiben das Vieh mit Hütehunden. Nahrung finden die Geier dennoch kaum.

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Aus der Geierperspektive, die hier eine Drohne einnimmt, wird sichtbar: Überdachte Stallanlagen halten im Balkan Einzug. Unter dem Wellblech, tausende Schafe. Aus solchen Betrieben kommt der Schafskäse, wie er in deutschen Supermärkten verkauft wird. Auch Fleisch und Milch stammen immer öfter aus Großbetrieben. Wo Hirten kein Vieh über offenes Grasland treiben, gibt es für Geier nichts zu holen.

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Im Vratsagebirge, anderthalb Autostunden nördlich von Sofia, wurden erste Gänsegeier und Mönchsgeier angesiedelt. Die rauen Felsen bieten den Vögeln gute Brutbedingungen. Wenn die Aasfresser dauerhaft überleben sollen, müsste die Weidewirtschaft mehr für sie abwerfen. Deshalb fördern Organisationen wie EuroNatur Hirten und Viehzüchter, die auf traditionelle Art Tiere halten.

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Nur noch wenige Menschen in Bulgarien sind bereit, den harten Job im Freien zu machen. Bei jedem Wetter treibt diese Hirtin ihre Schafsherden und Ziegen über die Wiesen am Fuße des Gebirges. Eine schlecht bezahlte, zehrende Arbeit auf dem Land, wo es sonst wenig Abwechslung gibt. Junge Leute würden lieber wegziehen und sich Jobs in der Stadt suchen, berichten diejenigen, die dageblieben sind.

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Für die Natur und die Tiere ist die Weidewirtschaft gesünder: Pferde genießen den Auslauf und das frische Grün. Wo sie sich mit Ziegen und Schafen die Weide teilen, frisst jeder andere Sträucher und Gräser: Diese Arbeitsteilung erhält die Vielfalt, die auf solchem Grasland herrscht. Bergweiden in Bulgarien gelten als Hotspots der Biodiversität.

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Wird es zu heiß, können sich die Rinder im Tümpel abkühlen. Sie entscheiden, wann sie grasen, baden oder Schatten suchen. Artgerechter geht es kaum. Nur ist diese Form der Tierhaltung im Vergleich zur Massenproduktion wenig lukrativ. Fleisch und Käse, die hier entstehen, werden nur lokal verkauft. Ohne Subventionen ist diese Art der Viehzucht kaum zu erhalten.

Zudem funktioniert das Zusammenspiel zwischen Mensch und Geiern nicht mehr. Seit dem Jahr 2002 ist es Europas Viehzüchtern verboten, Kadaver toter Weidetiere in der Landschaft liegen zu lassen. Hygienevorschriften als Reaktion auf den Rinderwahnsinn BSE erzwingen, dass potentielles Geierfutter in der Tierreste-Verbrennung landet. Fast überall in Europa, wo man die bedrohten Vögel wieder angesiedelt hat, müssen sie mit Aas gefüttert werden.

Vergiftet oder vom Blitz getroffen

Und noch etwas gefährdet Geier weltweit: Diclofenac. Ein Medikament, das auch Rindern, Pferden oder Schweinen gegen Schmerzen und Entzündungen verabreicht wird. Fressen Geier damit belastetes Aas, verenden sie. Geringste Mengen des Giftes lassen ihre Nieren versagen (Nature: Oaks et al., 2004).

In Indien, Nepal und Pakistan sind die Schmutzgeier und andere Geierarten deswegen innerhalb weniger Jahre fast ausgestorben (Cambridge University Press: Galligan et al., 2014). Seit 2006 ist es Tierärzten dort verboten, Diclofenac in der Tierhaltung einzusetzen. Anders in Europa: Aktuell sind Diclofenac-haltige Tierarzneien in Spanien, Italien, Estland, Lettland und Tschechien zugelassen. 

Zwar dürfen Kadaver von Tieren, die das Mittel bekommen haben, nicht in die Natur gelangen – so das Gesetz. Dass es dennoch vorkommt, beweist der erste Fall in Europa, der vor Kurzem bestätigt wurde: Ein Mönchsgeier aus Spanien starb an Diclofenac (Science of The Total Environment: Herrero-Villar et al., 2021).

Nicht immer sind Vergiftungen Unfälle. Obwohl es illegal ist, legen Viehhalter Giftköder gegen Raubtiere wie Kojoten oder Wölfe aus. Der bulgarische Ökologe Hristo Peshev kennt das Problem aus dem Vratsagebirge. "Ein präpariertes Stück Aas, gespickt mit Gift, nennt man hier Erdbeere", erzählt er. "Steckt das Gift innen, ummantelt von Fleisch, sagt man Olive zu dem Köder." Immer wieder diskutiert er mit den Bauern. Eine Zeit lang habe man den Viehhaltern bei Raubtierschäden Kompensationen gezahlt oder die Tiere ersetzt. "Das gab immer Ärger und war auf Dauer zu teuer," sagt Peshev. Er hofft, mit den Auswilderungen eine Geierpopulation in Bulgarien anzusiedeln, die so groß und stabil ist, dass sie einzelne Giftunfälle verkraftet.

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Nur noch 1.600 Paare an Schmutzgeiern brüten in Europa in etwa noch.

Aber "Erdbeere" und "Olive" sind noch nicht alles, was Menschen Geiern antun. Die Vögel geraten auf ihren Wanderungen in Windräder oder Triebwerke großer Flugzeuge und werden zerhäckselt. Oder sie ertrinken in Wasserkübeln. Machen sie Rast auf unisolierten Strommasten, kann sie der Schlag treffen: Mit Spannweiten von fast drei Metern berühren sie schnell mal einen Draht unter Spannung und gleichzeitig den erdenden Mast. Manchmal trifft sie auch ohne Einfluss des Menschen ein Gewitterblitz. Zum Geierschutz gehört es also auch, Strommasten zu isolieren oder offene Wasserstellen abzudecken.

Wo Geier leben, bleiben Menschen gesund

Dass der Mensch die Geier so weit zurückgedrängt hat, ist nicht nur ein Problem für die Vögel selbst. Wo sie fehlen, können sich Krankheiten aus dem Tierreich, sogenannte Zoonosen, schneller verbreiten. Verwesende Tierkadaver sind Nährböden für Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten. Indem sie das tote Fleisch schnell entsorgen und solche Erreger mit ihrer extrem ätzenden Magensäure unschädlich machen, verhindern Aasgeier die Ausbreitung von Seuchen auf natürliche Weise.

Was passiert, wenn die Hygiene-Patrouille ausstirbt, konnten Forschende in Indien und Pakistan beobachten (Nature: Oaks et al., 2004). Seit die Aasfresser nicht mehr aufräumen, breitet sich Milzbrand aus (BritishMedical Journal: Mudur, 2001), der von Anthrax-Bakterien verursacht wird. Weil Ratten und streunende Hunde sich dort nun verstärkt am Aas zu schaffen machen, stecken sich Menschen auch wieder häufiger mit Tollwut an.

Geboren, um Keime zu töten

Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, wie wichtig Geier sind, damit Viehherden und Menschen gesund bleiben. Evolutionär sind die Vögel wie dafür gemacht, diese Drecksarbeit zu erledigen. Was eklig klingt, dient im Grunde der Hygiene. Jede Art ist auf bestimmte Partien eines Kadavers spezialisiert. Auch die vier Geier, die in Europa vorkommen, teilen sich den Job.

Arbeitsteilung unter Aasgeiern

Jeder Geier frisst andere Teile eines Kadavers.

Schmutzgeier

Mönchsgeier

Gänsegeier

Bartgeier

Der Geier fürs Grobe

Der Fleischfresser

Der Knochenbrecher

Der Restevertilger

Er ist auf Haut, Knorpel und Sehnen der Kadaver spezialisiert. Sein Mikrobiom und die ätzende Magensäure schützen ihn vor Keimen – so ist es auch bei anderen Geiern.

Er mag am liebsten das Muskelfleisch und die Weichteile toter Tiere. Nur selten, bei großer Aasknappheit, attackiert er auch mal krankes oder neugeborenes Vieh.

Er vertilgt vom Kadaver, was die anderen übrig lassen. Als einziger Geier benutzt er Werkzeuge: Manchmal knackt er Eier, indem er Steine auf die Schale fallen lässt.

Er frisst vor allem das Skelett toter Tiere. Seine spezielle Speiseröhre verhindert, dass ihm Knochen im Hals stecken bleiben. So kann er ganze Schafswirbel vertilgen.

Stiftung Pro Bartgeier/BirdLife International

Arbeitsteilung unter Aasgeiern

Jeder Geier frisst andere Teile eines Kadavers.

Schmutzgeier

Mönchsgeier

Gänsegeier

Bartgeier

Der Geier fürs Grobe

Der Fleischfresser

Der Knochenbrecher

Der Restevertilger

Er ist auf Haut, Knorpel und Sehnen der Kadaver spezialisiert. Sein Mikrobiom und die ätzende Magensäure schützen ihn vor Keimen – so ist es auch bei anderen Geiern.

Er mag am liebsten das Muskelfleisch und die Weichteile toter Tiere. Nur selten, bei großer Aasknappheit, attackiert er auch mal krankes oder neugeborenes Vieh.

Er vertilgt vom Kadaver, was die anderen übrig lassen. Als einziger Geier benutzt er Werkzeuge: Manchmal knackt er Eier, indem er Steine auf die Schale fallen lässt.

Er frisst vor allem das Skelett toter Tiere. Seine spezielle Speiseröhre verhindert, dass ihm Knochen im Hals stecken bleiben. So kann er ganze Schafswirbel vertilgen.

Stiftung Pro Bartgeier/BirdLife International

Arbeitsteilung unter Aasgeiern

Jeder Geier frisst andere Teile eines Kadavers.

Mönchsgeier

Gänsegeier

Der Geier fürs Grobe

Der Fleischfresser

Er ist auf Haut, Knorpel und Sehnen der Kadaver spezialisiert. Sein Mikrobiom und

die ätzende Magensäure schützen ihn vor Keimen – so ist es auch bei anderen Geiern.

Er mag am liebsten das Muskelfleisch und die Weichteile toter Tiere. Nur selten, bei großer Aasknappheit, attackiert er auch mal krankes oder neugeborenes Vieh.

Schmutzgeier

Bartgeier

Der Restevertilger

Der Knochenbrecher

Er vertilgt vom Kadaver, was die anderen übrig lassen. Als einziger Geier benutzt er Werkzeuge: Manchmal knackt er Eier, indem er Steine auf die Schale fallen lässt.

Er frisst vor allem das Skelett toter Tiere.

Seine spezielle Speiseröhre verhindert, dass

ihm Knochen im Hals stecken bleiben. So kann er ganze Schafswirbel vertilgen.

Stiftung Pro Bartgeier/BirdLife International

Arbeitsteilung unter Aasgeiern

Jeder Geier frisst andere Teile eines Kadavers.

Mönchsgeier

Gänsegeier

Der Geier fürs Grobe

Der Fleischfresser

Er ist auf Haut, Knorpel und Sehnen der Kadaver spezialisiert. Sein Mikrobiom und

die ätzende Magensäure schützen ihn vor Keimen – so ist es auch bei anderen Geiern.

Er mag am liebsten das Muskelfleisch und die Weichteile toter Tiere. Nur selten, bei großer Aasknappheit, attackiert er auch mal krankes oder neugeborenes Vieh.

Schmutzgeier

Bartgeier

Der Restevertilger

Der Knochenbrecher

Er vertilgt vom Kadaver, was die anderen übrig lassen. Als einziger Geier benutzt er Werkzeuge: Manchmal knackt er Eier, indem er Steine auf die Schale fallen lässt.

Er frisst vor allem das Skelett toter Tiere.

Seine spezielle Speiseröhre verhindert, dass

ihm Knochen im Hals stecken bleiben. So kann er ganze Schafswirbel vertilgen.

Stiftung Pro Bartgeier/BirdLife International

Arbeitsteilung unter Aasgeiern

Jeder Geier frisst andere Teile eines Kadavers.

Mönchsgeier

Der Geier fürs Grobe

Er ist auf Haut, Knorpel und Sehnen der Kadaver spezialisiert. Sein Mikrobiom und die ätzende Magensäure schützen ihn vor Keimen – so ist es auch bei anderen Geiern.

Gänsegeier

Der Fleischfresser

Er mag am liebsten das Muskelfleisch und die Weichteile toter Tiere. Nur selten, bei großer Aasknappheit, attackiert er auch mal krankes

oder neugeborenes Vieh.

Bartgeier

Der Knochenbrecher

Er frisst vor allem das Skelett toter Tiere. Seine spezielle Speiseröhre verhindert, dass ihm Knochen im Hals stecken bleiben. So kann er ganze Schafswirbel vertilgen.

Schmutzgeier

Der Restevertilger

Er vertilgt vom Kadaver, was die anderen übrig lassen. Als einziger Geier benutzt er Werkzeuge: Manchmal knackt er Eier, indem er Steine auf die Schale fallen lässt.

Quelle: Stiftung Pro Bartgeier/BirdLife International

Arbeitsteilung unter Aasgeiern

Jeder Geier frisst andere Teile eines Kadavers.

Mönchsgeier

Der Geier fürs Grobe

Er ist auf Haut, Knorpel und Sehnen der Kadaver spezialisiert. Sein Mikrobiom und die ätzende Magensäure schützen ihn vor Keimen – so ist es auch bei anderen Geiern.

Gänsegeier

Der Fleischfresser

Er mag am liebsten das Muskelfleisch und die Weichteile toter Tiere. Nur selten, bei großer Aasknappheit, attackiert er auch mal krankes

oder neugeborenes Vieh.

Bartgeier

Der Knochenbrecher

Er frisst vor allem das Skelett toter Tiere. Seine spezielle Speiseröhre verhindert, dass ihm Knochen im Hals stecken bleiben. So kann er ganze Schafswirbel vertilgen.

Schmutzgeier

Der Restevertilger

Er vertilgt vom Kadaver, was die anderen übrig lassen. Als einziger Geier benutzt er Werkzeuge: Manchmal knackt er Eier, indem er Steine auf die Schale fallen lässt.

Quelle: Stiftung Pro Bartgeier/BirdLife International

Nach dem Mahl sonnen sich Aasgeier gern und trocknen ihr Gefieder. In Höhen von mehreren Tausend Metern, wo die Greifvögel ihre Kreise ziehen, strahlt das UV-Licht so ungefiltert, dass es Keime abtöten kann. Beweisen, dass diese Höhenflüge die Vögel vor Krankheiten schützen, konnten Forschende bisher nicht (Animal Microbiome: Graves et al., 2020). Diskutiert wird auch, ob einige Geierarten sich auf die Füße urinieren, weil das Keime abtötet: Schließlich laufen sie barfuß auf und in den Kadavern herum. Studien lassen eher vermuten, dass so ein Verhalten zur Abkühlung dient: Es wurde an Neuweltgeiern in den Tropen beobachtet (Nature: Cabello-Vergel et al., 2021).

Seit Kurzem untersucht man, ob Geier sogar aktiv zum Klimaschutz beitragen: Bei der Verwesung oder Verbrennung toter Tiere entweichen nach einer Beispielrechnung aus den USA mehr Treibhausgase in die Atmosphäre, als wenn die Vögel das Aas auffressen (Ecosystem Services: Carucci et al., 2022).

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Etwa 3.100 brütende Mönchsgeier-Paare gibt es schätzungsweise in Europa noch.

Erst in den Achtzigerjahren fingen Geierfreunde an, die Vögel wieder anzusiedeln, wo sie ausgestorben waren. So wilderten Vogelschützer 1986 Bartgeier aus Zoos in den österreichischen Alpen aus. Die Schweiz und Frankreich folgten. Deutschlands erste beiden Bartgeier seit mehr als hundert Jahren wurden 2021 bei Berchtesgaden in Bayerns Bergen in die Freiheit entlassen, zwei weitere in diesem Frühjahr. Eines der ausgesiedelten Jungtiere starb an unbekannter Ursache. Ein trauriger Rückschlag.

Spanien verzeichnet beim Schutz der Mönchsgeier die größten Erfolge. Dort richtete man früh Futterstellen ein, an denen Bauern Aas abgeben dürfen, ohne gegen EU-Auflagen zu verstoßen. Dort brüten heute wieder um die 3.000 Tiere.

Bulgarien konnte sein erstes Mönchsgeierküken seit 28 Jahren im Sommer 2021 feiern. Doch das Jungtier wurde getötet. Genau wie drei erwachsene Geier aus demselben Auswilderungsprogramm. Sie alle hatten das Aas vergifteter Hütehunde gefressen. Die Geierschützer vom Fund for Wild Flora and Fauna (FWFF) geben aber nicht auf. Sie hoffen, dass nächstes Frühjahr erneut Küken schlüpfen.

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Also wildern sie weitere Mönchsgeier aus. Bei einer Freilassung durften unsere Reporterin und ein Fotograf dabei sein. Hier fängt der Ökologe Hristo Peshev gerade einen Vogel ein, der aus einer Aufzucht in Spanien stammt. In der Voliere im Vratsagebirge wurde er zwei Monate an die neue Umgebung und die anderen Geier der Gegend gewöhnt. Nun, Ende Mai, soll er freigelassen werden. Während der Zeit im Käfig lernen die Neuzugänge, dass es hier oben am Berg Futter gibt: Vor der Voliere stapelt sich ein Haufen Aas.

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Auf der Bergwiese türmen sich graue Kadaver auf. Halb verweste Pferde und Rinder, Schweinehälften und Schafsgerippe mit Fellresten. Fliegen schwirren durch die flimmernde Luft. Kein noch so ungeschöntes Foto ließe den Gestank erahnen. Dieses Festmahl für Geier sind Futterspenden umliegender Höfe. Die Vogelschützer haben eine Sondergenehmigung, dass Aas hier liegen darf. Ein Tierarzt untersucht es auf Krankheiten und Rückstände von Medikamenten, wie Diclofenac, bevor die Vögel es bekommen.

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Dass Wanderer aus Versehen an diesem Aasberg vorbeikommen, ist unwahrscheinlich. Die Fahrt hinauf zur Geierstation führt durch den Matsch über steinige, steile Pfade. Nur mit einem Jeep, Vierradantrieb und im Schritttempo ist die Basis der Geierauswilderung zu erreichen.

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An jenem Maitag ist das Wetter gut genug. Ideal, um den Mönchsgeier in die Freiheit zu entlassen. Bevor er wegfliegen darf, befestigen die Geierschützer einen Transmitter auf dem Rücken des Vogels und beringen ihn. Während dieser Prozedur bekommt das Tier eine Haube aufgesetzt: Das reduziert den Stress.

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Anhand der Bewegungsdaten, die der Sender liefern wird, lässt sich verfolgen, ob der ausgewilderte Geier in der Gebirgsregion bleibt, welche Futterplätze er ansteuert und wie weit er fliegt. Sollte ihm etwas zustoßen, würden die Forscher es sofort merken: Ein statischer GPS-Punkt auf der Karte lässt erahnen, wenn einer der jungen Geier verunglückt ist.

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Dieser hier wirkt sehr lebendig und gesund. Endlich ist es soweit: Er ist frei. Noch etwas benommen hüpft er ins nächste Gebüsch. Bevor er, fern der Kameras, das Weite sucht.

Glückliche Kühe, satte Geier

Wer erreichen möchte, dass die Geier in Europa dauerhaft überleben, muss die Gefahren, die ihnen drohen, minimieren. In einigen Auswilderungsgebieten werden Strommasten bereits isoliert oder mit Spikes zur Vogelabschreckung versehen. Windkraftanlagen dem Vogelzug besser anzupassen, ist nicht ganz leicht, aber möglich. Und das Wichtigste: Geier brauchen ausreichend Aas, das nicht mit Medikamenten versetzt ist.

Auf Dauer kann das Zusammenleben von Mensch und Geier also nur bestehen, wenn beide satt werden, ohne die Lebensgrundlage des anderen zu zerstören. Naturschützerinnen sind überzeugt: Wo Kulturlandschaften und die Landwirtschaft so nachhaltig gestaltet werden, dass die Wildnis daneben bestehen kann, ist das möglich. Damit die Vielfalt erhalten bleibt, braucht es mehr als ein paar Hirtinnen und Viehzüchter, die ihre Traditionen pflegen. Auch politisch müsste Europa grenzübergreifend andere Formen der Viehzucht fördern als die Massentierhaltung.

© ZON

Maximal 790 Brutpaare an Bartgeiern gibt es in den Pyrenäen, der Sierra Nevada, den Alpen, auf Korsika und Kreta.

Das Paradoxe: Wo glückliche Kühe in trüben Tümpeln baden, während auf derselben Weide Schafe und Ziegen grasen, Kälber im Freien geboren werden, Hütehunde herumspringen und Geier Kadaver abnagen, ist es unmöglich, alle Hygiene-Auflagen der EU zu erfüllen. Kaum ein Landwirt, der auf so traditionelle Weise produziert, darf seine Erzeugnisse exportieren und in Europas Supermarktketten verkaufen.

Eine lokale Produktion, frei laufende Tiere, der Verkauf der Erzeugnisse im Hofladen: Vereinzelt können solche Modelle funktionieren. Aber nur, wenn sie finanziell gefördert werden, wie im Fall der Bauern, die von EuroNatur Hilfe bekommen. Den globalen Hunger auf Fleisch wird man so nicht decken können. Längst ist unstrittig, dass die Menschheit weniger Tiere essen muss, wenn sie die verbliebenen Regenwälder retten, den Klimawandel bremsen und den Hunger in der Welt eindämmen will.

Wenn einzelne Vogelfreunde in Europa also alles geben, um die lange verhassten Giganten wieder anzusiedeln, ist das nur ein winziges Puzzleteil in dem Versuch, das Artensterben aufzuhalten. Skeptiker mögen sogar sagen: eine Verzweiflungstat. Denn diese Geier werden in eine Umwelt geworfen, die sie nicht ernährt. Und treffen auf Ökosysteme, die längst aus der Balance geraten sind.

Und doch verändert sich etwas, wo die Geier zurückkehren. Wenn in Alpen auf einmal Bartgeier vor laufender Webcam schlüpfen und Tausende Menschen mitfiebern, ob sie überleben werden, während in Indien Politikern klar wird, dass sie selbst krank werden können, weil die Aasfresser fehlen, dann begreifen viele Menschen: Wir sollten unsere Geier feiern. Und die vielen anderen Tiere und Pflanzen da draußen, von denen wir auf den ersten Blick nicht ahnen, wie wichtig und faszinierend sie sind.

Giganten der Lüfte

Größenvergleich der maximalen Spannweiten

Schmutzgeier

Gänsegeier

Bartgeier

Mönchsgeier

bis

1,70

m

bis

2,80

m

bis

2,90

m

bis

3,00

m

1,82

m

Charles

Darwin

Quelle: Janet Browne: Harvard University/Vulture Conservation Foundation

Giganten der Lüfte

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Quelle: Janet Browne: Harvard University/Vulture Conservation Foundation

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Quelle: Janet Browne: Harvard University/Vulture

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Quelle: Janet Browne: Harvard University/Vulture

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Quelle: Janet Browne: Harvard University/Vulture Conservation Foundation

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Charles

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Quelle: Janet Browne: Harvard University/Vulture Conservation Foundation

Wer einmal verstanden hat, dass die Evolution Jahrmillionen braucht, ein Tier hervorzubringen, das Keime mit seiner Magensäure tötet, die Thermik nutzt, um energiesparend in Tausende Meter aufzusteigen, Augen hat, mit denen es aus einem Kilometer Entfernung eine Maus erkennt und auf seinen Reisen um die Welt den Weg instinktiv findet, der wird nicht mehr fragen, welchen Wert ein Geier hat. Diese Vögel sind unersetzlich. So wie jede Art, die ausstirbt. Und sie haben einen Job in der Natur, den so schnell kein anderer ersetzen kann.