Sie gehen gegen "multinationale Warenketten unter jüdischer Vorherrschaft" auf die Straße, sie kämpfen gegen "Zigeunerkriminalität", fordern eine Rückkehr in die Grenzen von vor 1920 und ein Verbot der Homosexualität. Ihre Schlägertrupps schrecken auch vor Mord und Brandanschlägen nicht zurück. Ungarns Neue Rechte, allen voran die Anhänger der rassistischen Jobbik-Partei, beschwören Bilder aus einer Zeit herauf, die man längst vergangen glaubte – Erinnerungen an die Schreckensherrschaft der von den Nationalsozialisten an die Macht gebrachten Pfeilkreuzler, an die dreißiger Jahre, in denen in fast allen europäischen Staaten faschistische Bewegungen entstanden.

Auch heute sind die ungarischen "Befreiungskämpfer" im krisengeschüttelten Europa keine Ausnahme, wie etwa der Blick nach Griechenland zeigt. Bei den Wahlen im Juni 2012 erreichte dort die rechtsextreme Goldene Morgendämmerung 6,9 Prozent der Stimmen und zog erstmals ins Parlament ein. Seither werden auch in Hellas Patrouillen aufgestellt, die Migranten, Homosexuelle und linke Gruppen einschüchtern, bedrohen und angreifen.

Längst kontrolliert die Polizei die Attacken der Nationalisten nur noch halbherzig. Schätzungen zufolge ist jeder zweite Polizist ein Wähler der Goldenen Morgendämmerung – einer Partei, die revisionistische Ansprüche auf türkische Gebiete erhebt, die Diebstahl und Korruption zu Merkmalen der Demokratie erklärt, Parlamentsabgeordnete als "Räuber, Betrüger und Ärsche" bezeichnet und sich offen am Nationalsozialismus orientiert. Nur "Menschen rein griechischen Blutes" dürften das Wahlrecht erhalten (bevor man das Parlament ganz abschaffe), erklären ihre Vertreter; alle Migranten sollten abgeschoben werden.

Umfragen zufolge konnte die Goldene Morgendämmerung ihren Stimmenanteil seit der Wahl auf bis zu 14 Prozent erhöhen. Und auch in anderen Ländern haben Parolen wie die der griechischen Rechtsextremen Erfolg. Wehrsportübungen und Straßenschlachten in Tschechien, Antisemitismus in der Slowakei, Juden- und Türkenhass in Bulgarien – überall haben derzeit militante Bewegungen männlicher Jugendlicher besorgniserregenden Zulauf, vor allem in den jungen Demokratien Ost- und Südeuropas. Eine Parallele zu den Jahren vor 1933?

Nein, denn sosehr die neuen rechten Bewegungen ihren Vorbildern aus der Zwischenkriegszeit ähneln und so alarmierend ihr Auftreten ist: Die gesellschaftliche und politische Situation war damals eine andere. In den zwanziger und dreißiger Jahren stand Europa unter dem Eindruck des verheerenden Ersten Weltkriegs. Heute kann der westliche Teil des Kontinents auf mehr als 60 Jahre Frieden und einen beispiellosen wirtschaftlichen Erfolg zurückblicken. Auch der Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90 und die europäische Integration bilden ungleich günstigere Voraussetzungen.

Und doch: Steht Europa heute nicht wie in den frühen dreißiger Jahren vor den desaströsen Folgen einer Weltwirtschaftskrise? War es nicht der ökonomische Niedergang, mit dem 1929 der Weg in die Katastrophe begann? Gewiss. Trotzdem sind die beiden Krisen, wie der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe dargelegt hat, kaum zu vergleichen. So hatte der 1929 beginnende Einbruch viel mit der politisch und militärisch bedingten Zerstörung der Weltwirtschaft im Ersten Weltkrieg und mit der ökonomisch und währungspolitisch unseligen Staatenkonkurrenz jener Jahre zu tun. Der Faschismus ist also auch, was seine ökonomischen Bedingungen betrifft, nicht ohne die "Urkatastrophe" der Jahre 1914 bis 1918 zu denken.

Sein Aufstieg wäre zudem ohne seinen großen Gegenspieler, den Kommunismus, kaum möglich gewesen, vor dem er die Welt zu retten vorgab. Und auch zahlreiche weitere Faktoren, die den Faschismus begünstigten, sind heute nicht mehr gegeben: Eugenische Ideen sind weitgehend diskreditiert. Der auf Gemeinschaftsdenken und Kameraderie ausgelegte Nationalismus, auf den Parteien wie die NSDAP zurückgriffen, ist längst nicht mehr so attraktiv wie nach dem Ersten Weltkrieg. Auch die Haltung, Gewalt und Paramilitarismus seien "normale Mittel" der Politik, ist kaum noch anzutreffen. Damals war sie weit verbreitet und spielte den faschistischen Bewegungen in die Hände: den deutschen Nationalsozialisten ebenso wie der Eisernen Garde in Rumänien oder den zahlreichen faschistischen Gruppen in Frankreich und anderen Ländern.

Das Vorbild für fast alle dieser Bewegungen war Italien. 1922 griff dort der Faschistenführer Benito Mussolini nach der Macht und verwandelte das Land binnen weniger Jahre in eine Einparteiendiktatur: Er baute eine antisozialistische Parteimiliz auf, per Ermächtigungsgesetz verschaffte er sich unbeschränkte Machtbefugnisse. Bürgerrechte wie das Streikrecht und die Pressefreiheit wurden ganz oder in Teilen aufgehoben. Gegen politische Gegner ging die Geheimpolizei OVRA vor. Internationales Ansehen – auch außerhalb faschistischer Kreise – brachte Mussolini das berufsständisch gegliederte Korporationssystem ein, das angeblich einen "dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kommunismus eröffnete, indem es die ökonomischen Eliten an den autoritären Entscheidungen des "Duce" und seiner Regierung teilhaben ließ.

Auch den alten Eliten (Königshaus, Militär, Beamtenschaft) räumte Mussolini viel Macht ein. Der italienische Faschismus war letztlich, wie der Göttinger Historiker Wolfgang Schieder schrieb, eine "Vermittlungsdiktatur". So gelang mit den Lateran-Verträgen vom Februar 1929 auch der Ausgleich mit der katholischen Kirche.

Wie sämtliche faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit hing indes auch Mussolini einem radikal ordnenden Denken an – als seien Staaten und Nationen Gärten, die sich nach Belieben gestalten und bestellen lassen. Er führte blutige Eroberungsfeldzüge in Afrika, betrieb eine rassistische Geburtenpolitik und unterdrückte die Opposition im eigenen Land.