Mit Stacheldraht, Wasserwerfern und Tränengas werden Menschen daran gehindert, nach Griechenland und damit in die EU zu kommen. Die griechische Regierung hat erklärt, einen Monat lang keine Asylanträge mehr anzunehmen – und der deutsche Bundestag hat abgelehnt, 5.000 Menschen aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen. Wie steht es heute um das Recht auf Asyl? Was ist übrig von den viel zitierten europäischen Werten? Darüber haben wir mit dem Rechtsanwalt Aarash D. Spanta gesprochen. Er ist als Kind aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Seit 2015 streitet er um das Recht seiner Mandanten, hier ebenfalls Asyl zu bekommen.

ZEITmagazin ONLINE: Herr Spanta, griechische Grenzpolizisten haben in den vergangenen Tagen Blendgranaten und Tränengas eingesetzt, um Menschen zurückzudrängen, die in die Europäische Union kommen wollen – und offenbar auch gegen Kleinkinder. Wie blicken Sie darauf als Anwalt, der Asylbewerber vertritt?

Aarash D. Spanta: Diese gewaltsamen Einsätze von Grenzschützern sind nichts Neues. Auch der kroatischen und der ungarischen Polizei wird menschlich erniedrigende Behandlung von Geflüchteten und Asylsuchenden vorgeworfen. Überrascht war ich daher nicht.

ZEITmagazin ONLINE: Sie haben selbst eine Fluchtgeschichte. Wie blicken Sie auf das Geschehen aus Ihrer persönlichen Perspektive?

Spanta: Wenn ich sehe, wie die kleinen Kinder schreien und weinen, nimmt mich das sehr mit. Und ich kann mich mit den Menschen dort natürlich identifizieren. Im Vergleich zu dem, was ihnen widerfährt, ist meine Flucht allerdings luxuriöser verlaufen. Wir sind mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen.

ZEITmagazin ONLINE: Sie kamen in den Achtzigerjahren gemeinsam mit Ihren Eltern nach Deutschland. Warum mussten Sie aus Afghanistan fliehen?

Spanta: Meine Eltern waren früher Maoisten und engagierten sich gegen die Sowjets. Mein Vater studierte damals mit einem Stipendium in Ankara. Nachdem die Sowjets in Afghanistan einmarschiert waren, konnte er 1981 nicht mehr zurück. Ich war mit meiner Mutter allein in Afghanistan. Wir sind durch den Iran nach Ankara zu meinem Vater gekommen. Dort beantragten meine Eltern ein Visum für Deutschland. Das wurde bewilligt, der afghanische Pass war damals mehr wert als heute. Wir sind also ganz normal mit Flugtickets eingereist. Und als wir dann hier waren, stellten meine Eltern einen Asylantrag.

ZEITmagazin ONLINE: Wie ging es dann weiter?

Spanta: Wir waren zunächst in Frankfurt. Meine Eltern waren aufgrund ihres Engagements gut vernetzt. Sie hatten einen prominenten Rechtsanwalt, der sie sorgfältig auf die Anhörungen vorbereitet hat. Und dann ging das relativ geschmeidig mit der Anerkennung als politische Flüchtlinge.

ZEITmagazin ONLINE: Wie steht es heute um das Recht auf Asyl in Deutschland?

Spanta: Oft ist es schwierig, es durchzusetzen. Aber man kann nicht sagen, dass es in Deutschland ausgehebelt worden ist. Es wird rechtsstaatsförmig bearbeitet, die Menschen bekommen auch Unterstützung. In den vergangenen zehn Jahren haben ungefähr 230.000 Afghanen erstmals Asyl in Deutschland beantragt, etwas mehr als 200.000 Iraker und knapp 620.000 Syrer. Grundsätzlich ist Asylrecht ein Gnadenrecht: Asyl wird Menschen zugestanden, weil sie in Not sind, und nicht, weil man sie von sich aus gerne im Land hätte. Da gibt es ein Spannungsverhältnis zum Einwanderungs- und Aufenthaltsrecht.

ZEITmagazin ONLINE: Griechenland hat das Asylrecht temporär ausgesetzt. Einen Monat lang werden keine Asylanträge mehr angenommen. Darf ein EU-Land das überhaupt?

Spanta: Nein, das darf es nicht. Andere Juristen mögen das anders sehen. Aber meiner Einschätzung nach muss Griechenland die Europäische Flüchtlingsrichtlinie und die Genfer Flüchtlingskonvention umsetzen. Viele Staaten unterlaufen das Recht auch bewusst: Man kann Asylanträge annehmen, aber nicht bearbeiten – wie es in Ungarn gang und gäbe war. Oder man betreibt sogenannte Pushbacks zwischen zwei Staaten, bei denen eine rechtsfreie Zone zwischen den Ländern geschaffen wird. So gerät man auch nicht in die rechtliche Pflicht, einen Asylantrag zu bearbeiten.

ZEITmagazin ONLINE: Viele Menschen würden aber sagen: Griechenland kann selbst entscheiden, ob es Flüchtlinge aufnehmen will.

Spanta: Diese Entscheidung hat Griechenland längst getroffen, indem es EU-Verträge ratifiziert hat. Gleichzeitig muss man sehen: Die Dublin-Regelung hält den großen, mächtigen EU-Staaten in der Mitte des Kontinents die Schutzsuchenden vom Leib – auf Kosten der Bewohner der griechischen Inseln.

ZEITmagazin ONLINE: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bei einem Besuch an der griechisch-türkischen Grenze Griechenland dafür gedankt, der "europäische Schild" zu sein – und sagte, dass Migranten "durch falsche Versprechungen in diese verzweifelte Lage gelockt wurden". Was halten Sie davon?

Spanta: Es ist schade, dass man 2015 und 2016 überhaupt nicht als Erfolg versteht, sondern sich aus Angst vor den Rechten in der eigenen Bevölkerung beugt. Als Verteidigungsministerin hatte sie die Möglichkeit genau zu schauen, was da in Syrien los ist – sie hatte unmittelbaren Zugang. Auch wenn Deutschland nicht die größte Rolle im Nahen Osten spielt, als Vertreterin der Europäischen Union müsste man selbstkritischer auftreten. Die verzweifelte Lage ist durch die Kriegsparteien geschaffen worden. Durch eine kurzsichtige europäische Außenpolitik und die unmenschliche Politik der Türkei sind die Migranten zum Spielball geworden. Die EU hat sich durch den Flüchtlingspakt mit der Türkei selbst eine Falle gestellt: Man hatte jahrelang Zeit, das zu korrigieren und eine andere Syrienpolitik zu betreiben.