Luzerner Rechtsprofessor ordnet ein

Bauchfrei tabu: Schulen setzen auf Kleidervorschriften

Wie kurz dürfen Hotpants und Rock sein? Nicht zu kurz, wenn es nach Luzerner Rektorinnen geht.

Zwei Luzerner Berufsbildungszentren geben ihren Schülerinnen vor, welche Kleidung gewünscht ist – und welche nicht. Wir haben nachgefragt, was das soll – und einen Rechtsprofessor gefragt: Dürfen Schulen überhaupt solche Vorschriften machen?

Brustansatz und Bauch sind bedeckt. Ein BH-Träger «ist okay», der Rest der Unterwäsche gehört versteckt. Leggins sind in Ordnung. Aber darüber geht eine Hose oder ein Rock. Und dieser muss dann bitteschön auch bis zur Mitte der Oberschenkel kommen. Mindestens.

Solche «Kleiderhinweise»  gelten in den beiden Luzerner Berufsbildungszentren Soziales und Gesundheit (BBZG) sowie Wirtschaft, Informatik und Technik (BBZW) an der Kottenmatte in Sursee.

(Bild: zvg)

Rektorin spricht von einer Sensibilisierungskampagne

Wir klopfen bei der Rektorin und dem Rektor der beiden Berufsbildungszentren an. Seit diesem Sommer haben sie diesen Kleiderhinweis eingeführt, schreiben Nicola Snozzi und Stefan Fleischlin in ihren gemeinsamen Antworten.

«Dieser Kleiderhinweis ist nicht Teil der Hausordnung.» Der Kleiderhinweis diene viel mehr als Sensibilisierungskampagne. So hängen die Hinweise beispielsweise im Foyer – oder werden neuen Schülern bei der Begrüssung bekanntgegeben. «Dieser Hinweis dient der Sensibilisierung und als Grundlage für Gespräche über Kleidung», schreiben Snozzi und Fleischlin. Lehrpersonen würden das Thema im Unterricht aufnehmen oder in Pausengesprächen. Oft würden auch im Foyer oder im Gang Gespräche entstehen.

«Es kann irritierend und belästigend sein, wenn Lernende mit gross ausgeschnittenem Dekolleté, Hotpants und oder bauchfrei im Unterricht sitzen oder ein T-Shirt mit der Aufschrift ‹fuck you› tragen.»

Nicola Snozzi, Rektorin BBZG und Stefan Fleischlin, Rektor BBZW Sursee

Eingeführt hätten sie den Hinweis, weil sie sowohl von Lehrpersonen als auch von Lernenden auf «unangemessen empfundene Kleidung» angesprochen worden seien. «Im Weiteren sind wir auch unseren Mitarbeitenden verpflichtet», so Snozzi und Fleischlin. «Es kann irritierend und belästigend sein, wenn Lernende mit gross ausgeschnittenem Dekolleté, Hotpants und oder bauchfrei im Unterricht sitzen oder ein T-Shirt mit der Aufschrift ‹fuck you› tragen.»

Direkte Konsequenzen muss jedoch niemand fürchten, der trotz Hinweis bauchfrei zum Unterricht erscheint. «Es gibt auch keine Krisengespräche oder Vorladungen diesbezüglich mit dem Rektor oder der Rektorin.»

Kleidervorschriften an Schulen: Das sagt der Rechtsprofessor

Bleibt die Frage, inwiefern Schulen überhaupt solche Kleiderhinweise – oder ganze Kleiderordnungen – festlegen können.

Antworten darauf hat Sebastian Heselhaus. Er ist Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Luzern. Er erklärt: Wie man sich selber anzieht, fällt unter das Grundrecht der persönlichen Freiheit. Wenn staatliche Schulen Vorgaben über die Kleidung machen, handelt es sich somit um einen Eingriff in die Grundrechte.

Rechtlich gesehen ist eine Schule eine Anstalt – die einen bestimmten Zweck verfolgt. Damit die Schule ihren Zweck erfüllt – also ein Ort ist, der zu einem angenehmen Lernklima beiträgt und Lernende erfolgreich lernen – können sie auch einiges verlangen. Jedoch «nur» beschränkt auf die Zeit, die alle gemeinsam auf dem Schulareal verbringen. So können Lehrer beispielsweise verlangen, dass Schülerinnen pünktlich zum Unterricht erscheinen.

«Es ist absolut legitim, wenn Schulen Kleidung mit sexistischen oder rassistischen Motiven untersagen – das sollten sie sogar.»

Sebastian Heselhaus, Ordinarius für Öffentliches Recht, Universität Luzern

«Dieser Anstaltszweck reicht Schulen auch als Grundlage, um bestimmte Kleiderhinweise zu erarbeiten», so Heselhaus. Widerum aber nur für die Zeit, welche Lernende und Lehrpersonen gemeinsam in der Schule verbringen.

Heselhaus nennt zum einen Schutz vor Provokation. Trägt jemand einen Pulli, auf dem eine rassistische oder sexistische Aussage prangt, so könnten sich andere davon verletzt fühlen, das Klassenzimmer aber nicht einfach so verlassen. Das könne zu einem angespannten Klima führen. Heselhaus räumt diesen Schutz vor Provokation einen hohen Stellenwert ein. «So ist es absolut legitim, wenn Schulen Kleidung mit sexistischen oder rassistischen Motiven untersagen – das sollten sie sogar.»

Über tiefe Ausschnitte

Als zweiten Punkt nennt Heselhaus «sexuell aufreizende Kleidung». Hier wird es schon ein wenig komplexer. «Wenn Schulleitungen solche Kleidung verbieten, weil sich Lehrpersonen dadurch abgelenkt oder provoziert fühlen, halte ich für wenig tragfähig», sagt Heselhaus. Erwachsene sollten in der Lage sein, sich sexuell komplett zurückzuhalten und mit solchen Provokationen professionell umgehen können. Ein bisschen anders sei es, wenn gleichaltrige Lernende abgelenkt seien, wenn jemand beispielsweise einen tiefen Ausschnitt trägt.

«Jogginghosen zu tragen, das ist eine reine Stilfrage und in keiner Weise provokativ. Ein solches Verbot hat in einer Kleiderordnung einer Schule nichts verloren.»

Sebastian Heselhaus

Damit sich Schüler also auf den Schulstoff konzentrieren könnten, könnten Schulen theoretisch aufreizende Kleidung untersagen – oder als milderes Mittel darauf hinweisen, dass solche Kleidung nicht erwünscht sei. «Die Frage nach der Grenzziehung ist jedoch schwierig und bewegt sich in einer Grauzone», so Heselhaus. Gilt bauchfrei bereits als sexy? Und wie viel Bein zeigen ist okay? Zumal Lehrpersonen die konkrete Situation berücksichtigen sollten. Sprich: Sind die Lernenden konzentriert – oder ist die Stimmung sexuell aufgeladen?

Jogginghose: eine reine Stilfrage

Diskutiert wurde in den letzten Jahren immer mal wieder, ob Schulen Jogginghosen verbieten dürfen. Für Heselhaus ist der Fall klar: «Jogginghosen zu tragen, das ist eine reine Stilfrage und in keiner Weise provokativ. Ein solches Verbot hat in einer Kleiderordnung einer Schule nichts verloren.»

Zusammenfassend lässt sich sagen: Vorschriften über Kleidung zu machen, ist ein Eingriff in die Grundrechte. «Bei Kleiderhinweisen behalten Leute aber die Freiheit, davon abzuweichen. Zudem lässt dies genügend Spielraum, um einen Einzelfall angemessen zu beurteilen. Bei einem Kleiderverbot könnte man sich aber zurecht dagegen beschweren.»

«Erwartet wird saubere Kleidung, die zur Arbeit getragen werden kann; demzufolge keine Spaghettiträger, nicht bauchfrei, nicht zu tiefer Ausschnitt.»

Regula Huber, Bildungs- und Kulturdepartement Luzern

Problematisch sei es, wenn an manchen Schulen Schüler gezwungen werden, bei Verstössen gegen Kleidungsvorschriften ein grosses, bedeckendes T-Shirt zu tragen. Denn damit werden sie vor den anderen blossgestellt, was ein tiefer Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht sei, so Heselhaus. Bereits aus Angst davor könnten Schülerinnen sich gezwungen sehen, sich gegen ihren Willen noch «modisch konservativer» anzukleiden als erforderlich, um ja nicht derart blossgestellt zu werden. «Mildere Mittel der Wahl wären hier, dass die Schule die mögliche Provokation für einen Tag erträgt und erst Abhilfe am nächsten Tag geschaffen wird», so Heselhaus.

So oder so: Am besten sei es, wenn Schulen beim Erarbeiten von Kleiderordnungen gemeinsam mit Eltern und Schülerschaft das Gespräch suchen und gemeinsam eine solche Kleiderordnung erarbeiten.

Wie es an anderen Luzerner Schulen aussieht

Wie sieht es eigentlich punkto Kleiderordnung an anderen Schulen fest? Das kantonale Bildungs- und Kulturdepartement jedenfalls gibt keine Kleidervorschriften vor. Dazu wäre es auch nicht berechtigt, schreibt Mediensprecherin Regula Huber.

In den Volksschulen gibt es gemäss Huber vereinzelte Kleidervorschriften, die entweder gemeinsam mit Schülerinnen erarbeitet wurden und «deshalb gut akzeptiert» seien. Oder aber die Kleidervorschriften würden sich im Rahmen der Weisungsbefugnis bewegen – oder dem Anstaltsrechts, wie es Heselhaus erklärt hat.

An den Kantonsschulen gibt es keine Vorschriften. Wenn auch Lehrerinnen bei Bedarf Schüler darauf hinweisen würden, wenn etwas an ihrer Kleidung unpassend sei.

An den Berufsfachschulen gebe es keine allgemeinen Vorschriften. «Eine angemessene Kleidung ist selbstverständlich», so Huber. Sei dies nicht der Fall, werde mit der Schülerin ein Gespräch gesucht, «ohne Aufsehen zu erregen». Verboten sind Kleider mit rassistischen, sexualisierten oder homophoben Aufdrucken. Oder Inhalten, die sich gegen Religionen oder für Gewalt oder Suchtmittel wie Cannabis richten. Huber sagt weiter: «Erwartet wird saubere Kleidung, die zur Arbeit getragen werden kann; demzufolge keine Spaghettiträger, nicht bauchfrei, nicht zu tiefer Ausschnitt.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Nicola Snozzi, Rektorin BBZG und Stefan Fleischlin, Rektor BBZG
  • Schriftlicher Austausch mit Regula Huber, Leiterin Kommunikation des Bildungs- und Kulturdepartements
  • Telefonat mit Sebastian Heselhaus, Experte für Öffentliches Recht an der Universität Luzern
  • Story auf Instagram
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