Ausland17. Februar 2022

Sieg gegen Pharmariesen

Johnson & Johnson muß Entschädigung an Native Americans zahlen

von Melina Deymann

Der Pharmakonzern Johnson & Johnson und die drei größten Arzneimittelgroßhändler der USA haben einem Vergleich zugestimmt, demzufolge sie insgesamt 590 Millionen US-Dollar (etwa 527 Millionen Euro) Entschädigung an Native Americans, ihre Stämme und Organisationen zahlen müssen.

Die Native Americans sind in den USA die Gruppe, die am stärksten von der sogenannten Opioid-Krise betroffen ist. Die US-amerikanische Pharmaindustrie hatte das Land ab 1996 mit Opioiden als Schmerzmedikament geradezu überflutet. Begonnen hatte damit Purdue Pharma, die dem von ihnen entwickelten Oxycontin bescheinigten, daß es nicht abhängig mache und mit einer unvergleichlichen Marketingoffensive dafür sorgten, daß es bald jeder Hausarzt in den USA verschrieb – bis dahin war der Einsatz von Opioiden auf Sonderfälle wie Operationen und Krebstherapien beschränkt. Von 1999 bis heute sind fast 900.000 US-Amerikaner an einer Überdosis Opioide gestorben. Es ist die häufigste Todesursache für unter 50-jährige Einwohner der USA.

Zur perfiden Marketing-Strategie für Oxycontin gehörte unter anderem, es zuerst in Bergbau- und Landwirtschaftsregionen auf den Markt zu bringen, wo die Anzahl der Arbeitsunfälle signifikant höher ist als in anderen Bereichen, und in Regionen extremer Armut, den Reservaten der Native Americans.

Mehr als 400 Stämme und stammesübergreifende Organisationen hatten deswegen geklagt. Mit dem Vergleich sollen die Unternehmen nun ihren Anteil an den Folgen massenhaften Handels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in den Reservaten tragen. Ein Teil der um die 600 Gruppen und Stämme der Native Americans hat dem Vergleich schon zugestimmt, dieser sieht ausdrücklich vor, daß sich auch die anerkannten Stämme anschließen können, die nicht an der ursprünglichen Klage beteiligt waren. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Cherokee-Nation einen Vergleich über 75 Millionen US-Dollar ausgehandelt. Es ist das erste Mal, daß in Verhandlungen dieser Art Stämme der Native Americans als gleichrangige Verhandlungspartner mit am Tisch sitzen – bisher wurden sie außen vor gelassen, wogegen Bundesstaaten und außerhalb von Reservaten gelegene Kommunen zugelassen waren.

Native Americans sind – auch wegen der Perspektivlosigkeit des Lebens in den Reservaten – die am stärksten von Drogengebrauch betroffene Bevölkerungsgruppe der USA. Eine Studie verzeichnet zum Beispiel für das Jahr 2015 mehr Native Americans, die an einer Überdosis Opioide gestorben sind, als Mitglieder jeder anderen Bevölkerungsgruppe. In Staaten, in denen es Reservate gibt, liegt die Anzahl der Drogentoten in den Stammesgebieten oft doppelt so hoch wie in der restlichen Bevölkerung.

Laut den an der Klage beteiligten Stämmen soll die Zahlung der Pharmariesen vor allem in die Suchtprävention und in die Behandlung von Suchterkrankungen fließen.

Der Pharmariese Johnson & Johnson erklärte, der Vergleich sei kein Schuldeingeständnis. Natürlich nicht.