Der Konflikt um Kaschmir eskaliert

Der Streit zwsischen Indien und Pakistan ist eine Gefahr für den Weltfrieden.

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
20. September 2016, Indien, Pakistan
Indische Soldaten in Kaschmir.Foto:Kashmir Global, CC BY-SA 2

Die Angreifer kamen im Morgengrauen. Schwerbewaffnet drangen sie in das indische Militärlager bei Uri ein – unweit der Grenze, die den indischen und den pakistanischen Teil von Kaschmir trennt. In dem Feuergefecht starben 18 indische Soldaten und die vier Angreifer. Es war die höchste Opferzahl seit 2002. die das indische Militär als Folge  eines Überfalls im Grenzgebiet beklagte . Damals reagierte Neu Delhi mit einer Teilmobilisierung seiner Streitkräfte.

In Indien besteht nicht der geringste Zweifel, dass die Kämpfer aus Pakistan eindrangen und die Hintermänner der Bluttat im Nachbarland sitzen. „Pakistan ist ein terroristischer Staat und sollte als ein solcher gebrandmarkt und isloiert werden“, sagte Indiens Innenminister Rajnath Singh, der wegen der Zuspitzunng der Lage eine Reise nach Moskau kurzerhand absagte. Die Stimmung ist aufgebracht. In einer Blitzumfrage der „Times of India“ votierten demnach auch zwei Drittel der Befragten für einen harten militärischen Vergeltungsschlag.

Diametral entgegengesetzt ist das Narrativ der anderen Seite: „Pakistan für Uri verantwortlich zu machen, wird die Inder teuer zu stehen kommen“, sagte Verteidigungsminister Khawaja Asif Anfang der Woche.

Im Unterschied zu anderen internationalen Krisen- und Konflikthereden gibt es in der aktuellen Phase im indisch-pakistanischen Zank keine Vermittler. Hierfür käme faktisch einzig die Weltmacht USA in Betracht, die in beiden Ländern Sonderinteressen hat. Doch die ziert sich. „Es ist seit Jahren unsere Politik, dass die beteiligten Seiten das Problem selber lösen müssen“, sagte unlängst Richard Verma, der US-Botschafter in Neu Delhi. Nach dem Überfall am Wochenende verurteilte das US-Außenministerium den „terroristischen Angriff“ zwar auf das Schärfste. Die von den Indern herbeigesehnte Schuldzuweisung an die Adresse Pakistans verkniff sich Washington indessen.

Das ungelöste Kaschmir-Problem bleibt eine Gefahr für den Weltfrieden.  Dreimal führten Indien und Pakistan wegen Kaschmir einen Krieg. Immer wieder kam und kommt es zu gefährlichen Eskalationen an der umstrittenen Grenze.

Der Streit reicht weit zurück in die Zeit nach der Unabhängigkeit vom britischen Kolonialismus. Das von Indien kontrollierte Jammu und Kaschmir ist der einzige Bundesstaat der indischen Föderation mit muslimischer Mehrheit.

Immer wieder kommt es zu Protesten in Kaschmir. Foto: Kashmir Gloval, CC BY-SA 2

Immer wieder kommt es zu Protesten in Kaschmir. Foto: Kashmir Gloval, CC BY-SA 2

Während historisch gesehen Indien in der Kaschmir-Frage eine auf die Wahrung des Status quo orientierte Strategie verfolgt, betreibt Pakistan eine revisionistische Politik mit dem Ziel der Einverleibung Kaschmirs. Da dieses Ziel angesichts der Übermacht der Indischen Streitkräfte keine realistische Option sein kann, bedient sich Islamabad immer wieder „unkonventioneller“ Mittel. Es ist ein gut dokumentiertes „Geheimnis“, dass die pakistianischen Geheimdienste terroristische Aktivitäten und Gruppierungen im indischen Teil Kaschmirs unterstützen. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die indischen Medien geradezu reflexartig auf Pakistan verweisen, wenn Angriffe wie der nun erfolgte passieren.

Dabei hatte es zuletzt Hoffnungen bessere bilateralen Beziehungen gegeben. Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Frühjahr 2014 hatte Narendra Modi seinen pakistanischen Amtskollegen Nawaz Sharif – zusammen mit allen Regierungschefs der Region – zu seiner Vereidigung nach Neu Delhi eingeladen. Eine politische Sensation folgte zu Weihnachten des vergangenen Jahres, als Modi auf dem Rückflug von einer Auslandsreise überraschend in Lahore zwischenlandete und mit Nawaz Sharif Tee trank.  Kurz darauf stürtze ein Terrorangriff gegen eine indische Militärbasis die Beziehungen abermals in die Krise. 

Der von Pakistan induzierte Kleinkrieg an der Grenze findet vor dem Hintergrund eskalierter Spannungen im von Indien kontrollierten Kaschmirtal statt. Kaum ein Tag vergeht dort ohne größere Demonstrationen mit Toten und Verletzten. Der Auslöser der jüngsten Welle der Gewalt war die Tötung des örtlichen Rebellenanführers Burhan Wani Anfang Juli durch die indischen Streitkräfte. Für die indischen Behörden ein Terrorist, ist Wani für viele – vor allem jugendliche – Kaschmiris ein Freiheitskämfer und Märtyrer.

Der Zorn der Kaschmiris hat tiefe Wurzeln. Sie klagen über politische und  wirtschaftliche Marginalisierung und sind aufgebracht über das bisweilen unverhältnismäßig brutale Vorgehen der der Sicherheitskräfte, die viele als fremde Besatzer sehen. 80 Menschen sind in der jüngsten Welle der Gewalt getötet worden, in der großen Mehhrheit Demonstranten, darunter viele Jugendliche.

In den indischen Medien wird seit Wochen intensiv über die Krise in Kaschmir diskutiert. Die Regierung und Opposition beiderseits scheinen zur Ansicht gekommen zu sein, dass ein politischer Neuanfang nötig ist, um der schwelenden Krise in Kaschmir beizukommen. Der Terrorangriff vom Wochenende hat diesem Ansatz einstweilen den Todesstoß verpasst. Indiens Zeitungen berichten über Krisensitzungen des Militärs und mögliche Gegenangriffe und Vergeltungsschläge. Die Leidtragenden sind auch dieses Mal wieder die Menschen in Kaschmir. Denn: Solange Indien und Pakistan nicht das Kriegsbeil begraben, wird Kaschmir nicht zur Ruhe kommen.     

Dr. Ronald Meinardus ist Regionaldirektor Südasien für die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF). Vor seiner Zeit in Indien, lebte er viele Jahre in Ostasien und der arabischen Welt. Der gelernte Hörfunk-Journalist leitete unter anderem das FNF-Büro in Kairo.

Hinterlasse einen Kommentar


*