Man holding four aces

Theologischer Taschenspielertrick

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Pssst, nicht weitersagen: Es gibt einen Trick, mit dem du jede Diskussion über Bibel und Glauben kapern und gewinnen kannst! Ein kleiner Trick nur, doch mit gewaltigem Effekt. Wenn du ihn aber nicht kennst, dann wird er gegen dich selbst angewandt und man führt dich vor und an der Nase herum, wie einen Tanzbären. Darum lass dich mal darauf ein, und hör mir kurz zu.

Machen wir ein kleines Spiel: Wir diskutieren über irgendein Thema, sagen wir über „Familie“. Du führst dazu den ein oder anderen Bibelvers an: „Geschaffen als Mann und Frau… Ein Mann wird Vater und Mutter verlassen…. Ehre Vater und Mutter…. Gott hasst Scheidungen usw.…..“ Und du begründest damit konservative Werte. Ich lächele freundlich. Sehr schön! Und beiläufig sage ich: „Familie, wie wir sie meinen, ist natürlich eine Erfindung der Neuzeit. In der Bibel gab es nur die Großfamilie, die Sippe, das „Haus“ [und wenn ich dich beeindrucken will, sage ich „Oikos“]. Das Wort „Familie“ kommt in der Bibel gar nicht vor. Das wurde erst im 18.Jahrhundert erfunden, als die bürgerliche Kleinfamilie entstand und idealisiert wurde.“

Und ehe du Atem holen kannst, lege ich nach: „Da es unsere Familienstrukturen damals gar nicht gab, hat das also alles etwas anderes bedeutet. Und heute, wo es immer weniger bürgerliche Familien gibt, da bedeuten sie wieder etwas anderes. Die Verse wollen nicht kulturelle Formen von Familie fixieren, sondern zu Verbindlichkeit, Liebe und Respekt anleiten – auch für Alleinerziehende, Patchwork-Familien oder in homosexuellen Lebenspartnerschaften.“ Jede Wette: Du klappst den Mund auf und zu und hast verloren. Was willst du dagegen sagen, ohne altbacken und dumm zu wirken?

Was hier passiert ist, ist ganz einfach: Du hast die Karte „Bibel“ gespielt, was dir keiner nehmen kann. Doch ich habe dein Blatt einfach vor einen anderen Hintergrund gelegt! Ich habe einen anderen Zusammenhang behauptet. Und schon habe ich alles relativiert und ich kann mit deinen Versen machen, was ich will. Das geht zu jedem Thema, doch dieses Beispiel ist besonders schön, weil es aktuell ist und nebenbei eine ganze Ethik aushebelt (etwa Siegfried Zimmer auf www.Worthaus.de, in dem Vortrag „Das Verständnis der Moderne als ein Schlüssel zum angemessenen Verständnis von biblischen Texten“ ab Minute 38:48). Und vielleicht hat man so etwas auch schon mit dir schon gemacht, ohne dass du es gemerkt hast.

Darum mein Tipp:
1) Immer schön selbstbewusst bleiben: Lass dich von Fremdworten und angeblichem Fachwissen nicht zu sehr beeindrucken. Lass die Gründe für deine Sicht nicht zu schnell und pauschal beiseite wischen!
2) Immer schön kritisch bleiben: Stimmt das, was da mit breiter Brust behauptet wird? Das Wort „Familie“ mag es in der Bibel nicht geben – Ehe, sexuelle Bestimmung von Mann und Frau füreinander, lebenslange Treue, Mutter-Kind-Beziehung usw. was Familie ausmacht, sehr wohl! Und gibt es noch legitime andere Meinungen zu dem Thema oder ist das „alternativlos“?
3) Im Vorwärtsgang bleiben: Treib den Gedanken doch mal weiter: „Hat die Bibel also gar kein eigenes Familienbild und steht allen Modelle letztlich neutral oder positiv gegenüber steht – Patchwork-Familie und Lebenspartnerschaften in Europa, Polygamie im Saudi-Arabien, der Zeitehe für eine Nacht im Iran – Hauptsache es ist liebevoll und verlässlich?“
4) Lerne von Jesus: Bei den frommen Pharisäern hat Jesus solche rhetorischen Tricks immer erkannt und sich nicht fangen lassen. Den „liberalen“ Sadduzäern aber attestiert er einen tiefergehenden Fehler: „Ihr irrt euch sehr, weil ihr weder die Heilige Schrift kennt, noch die Kraft Gottes.“ (Mt 22,29)
(Christian Pestel, 24.6.2016)

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