Verdichtete Ausführlichkeit: Zwei Frauen auf dem Weg zum Gletscher

Künzle liess bei ihrer Lesung am Samstag, 14. Oktober, die Zuhörer teilhaben am Weg der beiden Hauptfiguren. Zwei Frauen, die denselben Weg gehen und doch auf völlig unterschiedlichen Wegen sind. Getrennt durch die Zeit und die damit verbundenen Umstände: Irma geht den Weg in den 1950er Jahren, Annina heute.

Irma kam von ihrer Wanderung nicht zurück und so treffen sich die Wege der beiden. Hoch oben, am Gletscher. Die Schmelze des Eises gibt der jungen Wanderin den Blick frei auf das, was von der älteren noch übrig ist. Doch Marianne Künzle gestaltet ihr Werk nicht um den Fund einer Gletscherleiche herum. Die Berührungspunkte der beiden Frauen sind vielschichtiger und subtiler: Die Gedanken, denen sie auf ihren jeweiligen Touren nachhängen und die Eindrücke, die sich in ihre Erinnerungen prägen.

Marianne Künzles Sprache ist ausserordentlich dicht und komprimiert, dabei aber gleichsam detailreich und genau. Die Tonspuren, die Künzle im Verlauf der Lesung einspielte, untermalten daher nicht nur das gehörte Wort, sondern liessen die Zuhörer auch durchatmen. Das Gehörte im Kopf wirklich zusammensetzen, ausdehnen, den nötigen gedanklichen Raum geben.

Mit «Da hinauf» hat Marianne Künzle kein Werk vorgelegt, dessen Tiefe und Schönheit sich im schnellen Überfliegen erschliessen würde. Und so lässt sich die eindrucksvoll-erfolgreiche Lesung von ihr durchaus auch als Gebrauchs- oder Leseanleitung verstehen. Eine Lesung, die weit mehr war, als das Vortragen von Buchauszügen.