Grundlagenforschung
Mit der Kristallstrukturanalyse (oft auch als Röntgenstrukturanalyse bezeichnet) gelang es Wissenschaftlern, zahlreiche Geheimnisse zu lüften: warum Diamanten so hart sind, wie Flüssigkeiten fließen, weshalb Glas so zerbrechlich ist und wie sich unsere Muskeln zusammenziehen können.
Atomic model of liquid (1958)Birkbeck, University of London
Eine große Erfindung des 20. Jahrhunderts
Mithilfe dieser wissenschaftlichen Technik können wir die atomare Struktur der winzigen Moleküle erkennen, aus denen nahezu alles besteht, was uns umgibt. Wie revolutionär sie tatsächlich ist, zeigt sich daran, dass insgesamt 28 Nobelpreise für Projekte mit Bezug zur Kristallstrukturanalyse verliehen wurden.
Rosalind Franklin Laboratory at Birkbeck (c 1997)Birkbeck, University of London
Durch sie konnten essenzielle biologische Strukturen erforscht werden: von Proteinen bis hin zu unserer DNA. Mit diesem Wissen lassen sich die Strukturen aber nicht nur verstehen, sondern potenziell auch verändern. Das Verfahren findet außerdem Anwendung in der Medikamentenforschung und der Bekämpfung von Viren.
Diagram showing the process of X-ray crystallography (2017)Birkbeck, University of London
Ablauf der Röntgenstrukturanalyse
1. Das Molekül wird kristallisiert.
2. Ein Röntgenstrahl wird auf den Kristall gerichtet.
3. Durch den Kristall wird der Röntgenstrahl aufgespalten und auf fotografischen Film gebeugt.
A diffraction pattern (1960s)Birkbeck, University of London
4. Anhand der Strahlenverteilung berechnen Forscher mittels komplexer mathematischer Gleichungen die molekulare Struktur der Probe.
5. Die Struktur wird dann als 3D-Modell visualisiert.
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Röntgenstrukturanalyse am Birkbeck College
Um das Jahr 1900 begannen Wissenschaftler, mit der Technik zu experimentieren. 1913 gelang Lawrence Bragg der erste große Durchbruch. Er erkannte, dass das Verteilungsmuster der Röntgenstrahlen Hinweise auf die atomare Struktur des Kristalls selbst lieferte. Viele weitere wichtige Entdeckungen und Fortschritte in diesem Bereich stammen von Wissenschaftlern mit Verbindung zum Birkbeck College.
J D Bernal (late 1950s)Birkbeck, University of London
Ein Vorreiter auf dem Gebiet der Röntgenstrukturanalyse war John Desmond Bernal. Als visionärer Wissenschaftler erkannte er den Nutzen der Technik für die Biologie oder wie er es nannte die Erforschung des Lebens selbst.
Birkbeck's Crystallography staff (1946)Birkbeck, University of London
Er nutzte die Röntgenstrukturanalyse als Erster zur Untersuchung des Aufbaus von Proteinen.
Bernal wirkte von 1937 bis 1968 am Birkbeck College – erst als Professor für Physik, später am Institut für Kristallografie.
The Biomolecular Research Laboratory at Birkbeck (1947)Birkbeck, University of London
Auf sein Bestreben hin wurde ein neues Labor zur Erforschung von Proteinstrukturen eingerichtet. Außerdem entwickelte er eine Theorie zur Struktur der Flüssigkeiten.
Crystallography laboratory at Birkbeck (1968)Birkbeck, University of London
Bernal sorgte dafür, dass die Labore in Birkbeck mit allem ausgestattet waren, was man für eine Röntgenstrukturanalyse brauchte.
Protein crystal viewed under a microscope (1960s)Birkbeck, University of London
Er war der Ansicht, dass das Geheimnis des Lebens in der Struktur der Proteine verborgen liegt und es nur einen Weg gibt, dieses Geheimnis zu lüften: durch Kristallografie.
J D Bernal with his model of liquid (1958)Birkbeck, University of London
Er schuf eigene 3D-Modelle wie dieses hier. Es zeigt die "perfekte Zufälligkeit" von Wassermolekülen.
Electron Spectroscopy of molecules (1973)Birkbeck, University of London
Anfänglich konnte es ein Jahr oder länger dauern, die Struktur eines Proteins zu bestimmen.
Bernal setzte als einer der Ersten auf die Hilfe von Computern, um die komplexen Berechnungen der Röntgenstrukturanalyse durchzuführen. Sozusagen als Nebenprodukt entstand daraus der Fachbereich für Informatik an der Universität.
J D Bernal teaching students at Birkbeck (c 1960)Birkbeck, University of London
Bernal war ein engagierter Lehrer und Mentor. Viele Wissenschaftler auf dem Gebiet der Kristallografie sahen und sehen ihn noch heute als Quelle der Inspiration.
Zu seinen Studenten zählen bekannte Forscherinnen und Forscher wie Dorothy Crowfoot Hodgkin und Rosalind Franklin. Hodgkin erhielt 1964 den Nobelpreis für ihre Analyse der Struktur des Vitamins B12 und Franklin trug maßgeblich zur Aufklärung der DNA-Doppelhelixstruktur bei – der wohl berühmtesten Errungenschaft der Kristallografie.
Particle structure of the TMV virus (c 1956)Birkbeck, University of London
Vor ihrem frühen Tod im Jahr 1958 betrieb Rosalind Franklin am Birkbeck College außerdem wegbereitende Forschung auf dem Gebiet der Virenstrukturen.
Hier ist ihre Darstellung des Tabakmosaikvirus zu sehen.
Poster for an exhibition celebrating Bernal's life and work (1972)Birkbeck, University of London
Bernal gehörte zu den einflussreichsten Wissenschaftlern seiner Generation. Seiner Überzeugung nach sollte die Wissenschaft sich in den Dienst der Gesellschaft stellen und einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen leisten.
Er verfasste zahlreiche Texte zu dem Thema, engagierte sich für die soziale Verantwortung von Wissenschaftlern und forderte vom Staat Unterstützung für die wissenschaftliche Forschung ein.
Auch im Zweiten Weltkrieg leistete er einen relevanten Beitrag.
Als wissenschaftlicher Berater der Regierung war er an der Kartierung der Strände der Normandie und dem Entwurf der Mulberry-Häfen beteiligt. Dabei handelte es sich um künstliche Nachschubhäfen für die Landung der Alliierten in der Normandie.
Cover of 'The Social Function Of Science' by J D Bernal (1939)Birkbeck, University of London
Sein wohl bekanntestes Werk "Die soziale Funktion der Wissenschaft" (The Social Function of Science), wurde 1939 veröffentlicht.
Bernal's Picasso (1950)Birkbeck, University of London
Bernal war Marxist und Friedensaktivist. Im November 1950 weilte Pablo Picasso anlässlich einer Weltfriedenskonferenz in England. Beim Abendessen in Bernals Wohnung direkt über dem Birkbeck-Labor zeichnete Picasso ein Wandbild einer Frau und eines Mannes als Symbol des Friedens – das einzige Wandbild, das Picasso je in England gemalt hat.
Als die Wohnung weichen musste, um Platz für ein neues College-Gebäude zu schaffen, wurde das Wandgemälde konserviert. Heute ist es in der Sammlung der Wellcome Collection zu sehen.
Birkbeck's Crystallography staff (1964)Birkbeck, University of London
Unter Bernals Leitung wurde das Birkbeck-Institut für Kristallografie zu einem Kompetenzzentrum von internationalem Rang.
Detail of a powder diffractometer (1997)Birkbeck, University of London
Die Röntgenstrukturanalyse ist auch heute noch das wichtigste Verfahren zur Bestimmung von nahezu allen Strukturen.
Im Prinzip arbeiten die Forscher heute genauso wie Bernal, nur in größerem Maßstab und mit moderneren Methoden und Geräten.
X-ray machine (late 1980s)Birkbeck, University of London
Ein Großteil der Prozesse läuft mittlerweile automatisch ab. Wissenschaftler haben außerdem neue Methoden zur Ergänzung der Röntgenstrukturanalyse entwickelt. Hier sind vor allem das Debye-Scherrer-Verfahren und die Elektronenmikroskopie zu nennen.
Dieses Röntgengerät aus den 1980er Jahren hatte schon eine wesentlich höhere Verarbeitungsleistung.
Crystallography laboratory at Birkbeck (c 2000)Birkbeck, University of London
Bei einigen Verfahren wurde die Röntgenbeugung von der Elektronenmikroskopie abgelöst.
Inspecting electron density maps using a light box (c 2000)Birkbeck, University of London
Wissenschaftler vergleichen Elektronendichtekarten, um 3D-Modelle zu erstellen…
Computer visualization of protein structures (2016)Birkbeck, University of London
…und die atomaren Strukturen mithilfe von Computersoftware abzubilden.
X-ray machine (2016)Birkbeck, University of London
Heutzutage verfügt Birkbeck über hochmoderne Röntgengeräte.
Cover of BBK magazine (Autumn 2010)Birkbeck, University of London
Forscher am Birkbeck College entschlüsselten kürzlich das bakterielle Toxin, das Gasbrand verursacht – eine Erkrankung, die zu Amputationen führen kann.
Die Bestimmung der Struktur des Toxins ist ein wichtiger Schritt hin zur medizinischen Prävention.
Diese Ausstellung wurde mit Fotografien des College-Archivs und des Fachbereichs für Kristallografie am Birkbeck College der University of London erstellt.
Kuratorin: Victoria Rea
Besonderer Dank an Ambrose Cole