Überwältigt vom überschwänglichen Empfang

ADZ-Gespräch mit Nobelpreisträger Stefan Walter Hell zum Abschluss seines Banat-Besuchs

Nobelpreisträger Stefan Hell
Foto: Zoltán Pázmány

Sie jubelten und begrüßten ihn mit wärmstem Beifall – der Nobelpreisträger Stefan Hell wurde Ende Mai in der Nikolaus-Lenau-Schule, seiner ehemaligen Schule, groß empfangen. Die Lenauschüler waren begeistert, Hell kennenzulernen. Keinen einzigen Laut konnte man im Festsaal hören, als der Forscher rumäniendeutscher Herkunft ihnen über seine siebenmonatige Erfahrung im „Lenau“ erzählte. Immer wieder erwähnte er, dass ein Teil seiner Leistung auch der Temeswarer Schule zu verdanken sei, da er hier entdeckt habe, er wäre in Physik „nicht so schlecht“...
Nach einem anstrengenden Tag in Temeswar, mit mehreren Empfängen, Treffen und Würdigungen, setzte sich Stefan Hell mit der ADZ-Redakteurin Andreea Oance zusammen.

Mit welchen Gefühlen haben Sie heute die Lenauschule betreten? Ist das Ihr erster Besuch der Schule, seitdem Sie ausgewandert sind?

Ich war öfter in Rumänien. Erstmals 2012 in Arad, neuestens bei der Verleihung des Sterns Rumäniens bei Präsident Klaus Johannis und in der Akademie in Bukarest, im September des vergangenen Jahres. Es ist heute schon ein spezieller Tag, weil ich wieder in Temeswar bin. Ich war sehr froh, da zu sein. Die Schule ist sehr dynamisch. Es ist schön zu erfahren, dass die Schule Zuspruch bekommt, dass immer mehr Schüler interessiert sind, auf Deutsch unterrichtet zu werden.

Die Lenauschule ist stolz, zwei Nobelpreisträger als Schüler gehabt zu haben. Keine andere Schule in der Welt hat diese Leistung bisher geschafft... Ein Schüler hat Sie gefragt, ob sie diese Leistung errungen hätten, wenn sie nicht ausgewandert wären?

Ich denke, die faire Antwort ist zu sagen, wahrscheinlich nicht. Sicher habe ich hier die Basis bekommen und bin auch sehr stolz darauf. Man muss natürlich sehen, dass Deutschland traditionell und zum Ausklang des 20. Jahrhunderts, als Rumänien noch ein kommunistisch regiertes Land war, viel weiter entwickelt war in der Wissenschaft, technologisch usw. Aber die Voraussetzung war da: junge Talente – das gilt nicht nur für mich, sondern auch für andere – die nach Deutschland ausgewandert sind. Viele haben ihr Talent mitgebracht. Vielleicht war der eine oder der andere leistungsbereiter als die Leute, die dort waren, weil sie oft bei Null angefangen haben und sich dann sehr bemüht haben. Viele haben die Chance, die Westdeutschland und Deutschland insgesamt geboten haben, genutzt und was daraus gemacht. Das ist sicher bei mir der Fall gewesen. Ich habe gesehen, dass die westdeutsche Gesellschaft eine sehr leistungsorientierte Gesellschaft ist. Es gab natürlich auch Schwächen, aber es war klar: Wenn man was leisten möchte, hatte man da die Möglichkeit, was zu tun.

Beim Treffen mit den Lenauschülern haben Sie gesagt, dass das wichtigste Kapital, dass einer besitzt, das sei, was man im Kopf hat. Das gilt als guter Ratschlag für Schüler. Was können Sie den jungen Leuten / jungen Forschern in Rumänien noch raten?

Ich kann ihnen als Ratschlag sagen, dass sie sich nicht zurückgesetzt fühlen sollten, weil sie aus Rumänien kommen oder hier arbeiten. Das Entscheidende ist, dass man kreativ ist, dass man auch Dinge anpacken soll, die andere lieber sein lassen, und wichtig ist, dass man die Gelegenheit ergreift, wann und wo sie sich bietet. Ich bin sicher: Wenn sich Rumänien wissenschaftlich und wirtschaftlich weiterentwickelt, wird es auch hier möglich sein, eine herausragende Leistung zu erbringen, und es wird punktuell auch schon getan. Es gibt keinen Grund, weshalb Rumänien da einen Nachteil haben sollte. Es gibt zurzeit natürlich viele Möglichkeiten für rumänische Wissenschaftler, die hier eine gute Basis bekommen haben und auch woanders tätig sein können, aber auch, um dann wieder zurückzukommen.

Sie haben erwähnt, dass Sie sehr beschäftigt sind. Woran arbeiten Sie im Moment?

Ich arbeite an meiner Theorie weiter. Mir ist bisher nur gelungen zu zeigen, dass man die Grenze im Fluoreszenz-Lichtmikroskop überwinden kann – die Überwindung der Grenze ist eigentlich auch prämiiert worden. Das heißt aber nicht, das sei das Ende der Forschung. Man kann immer besser, schneller und schärfer werden. Diese Funktionsparameter bestimmen, was man damit entdecken kann. Wenn man schärfere, schnellere und sensitivere Mikroskope hat, dann kann man mehr erkennen – so gelangt man weiter in der Forschung der Medizin.

Sie haben Herta Müller heute mehrmals erwähnt. War das aus Solidarität mit derselben (Nobel-)Liga?

Ich habe einen großen Respekt vor der Leistung Herta Müllers. Sie hat ein wunderbares literarisches Werk geschaffen. Ich bin kein Germanist, kein Kulturfachmann, mir steht nicht an, darüber zu urteilen, aber aus meiner Laienperspektive heraus habe ich einen großen Respekt vor ihrer Leistung. Es ist sehr schwer, einen Nobelpreis zu bekommen – das sage ich aus meiner Erfahrung. Sie selbst sagt, es gehört auch viel Glück dazu. Da ist sicher was dran, aber es ist nicht nur Glück, es ist eine enorme Leistung, und das war bei ihr sicher auch der Fall. Von außen gesehen, hat sie das Banat sehr sichtbar gemacht, und letztendlich hat sie der Banater Kultur und all dem, was dazugehört, ein Denkmal gesetzt.

Sie bezeichnen sich immer als „ein Deutscher aus Rumänien“. Was fällt Ihnen als Schlagwort ein, wenn sie an Rumänien denken?

Es ist schwer zu sagen. Es fällt mir natürlich meine persönliche Erfahrung ein – ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich habe mich immer als Deutscher empfunden, das ist vollkommen klar, das kommt auch in diesem Satz zum Ausdruck, denn ich habe ganz klar Wurzeln in diesem Land. Ich glaube, aus der Perspektive gesehen, bei all den Schwierigkeiten und Unsicherheiten für Minderheiten unter dem Ceau{escu-Regime, muss ich sagen,  ist trotzdem anzuerkennen, dass die Minderheiten, und die deutsche Minderheit vor allem, die Möglichkeit hatten, in der Muttersprache unterrichtet zu werden. Die Lenauschule ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Bei allen Problemen damals war dies eine wunderbare Chance, die ich hier auch genutzt habe. Als ich in Deutschland ankam, hatte ich so einen Vorteil gegenüber den Deutschen aus Polen oder Schlesien, zum Beispiel,  die deutsche Sprache zu sprechen – ich war Muttersprachler. Ich hatte einen hervorragenden Deutschunterricht genossen. Das alles hat mir geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Das muss man sagen, das ist durchaus anerkennenswert.

Mit dem Treffen in Temeswar endet Ihr Besuch im Banat. Wie würden Sie diesen Besuch schlussfolgernd zusammenfassen?

Es hat mich sehr gefreut, hier gewesen zu sein. Ich war überwältigt von dem zum Teil auch sehr überschwänglichen Empfang, den ich hier erfahren habe – es fing in Sanktanna an, wo ich aufgewachsen bin. In Arad war ich an der Universität, dann ging mein Besuch weiter in der Lenauschule, mit dem sehr herzlichen und überwältigenden Empfang der Schüler, dann kamen die vielen Diskussionen mit den Landsleuten im Deutschen Forum und nicht zuletzt die Ehrenbürgerschaft von Temeswar – alles war ein schönes Erlebnis, das ich mitnehme. Es war interessant, die Stadt Temeswar mal wieder ganz entspannt zu sehen, hier zu flanieren – als Schüler war alles ein bisschen anders, damals. Wenn ich jetzt zurückdenke, vor mehr als 30 Jahren, vieles hätte ich für diese Stadt so nicht erträumt.