Sucht am Arbeitsplatz: Was suchtkranken Ärztinnen und Ärzten hilft

25 April, 2023 - 07:16
Christiane Reuter-Herkner
Symbolbild Sucht: Menschliche Gestalt wird von Tabletten verfolgt

Die Sorge um die eigene Gesundheit oder die der Kolleginnen und Kollegen gerät im Arbeitsalltag oft in Vergessenheit, vor allem wenn es um Medikamentenmissbrauch und Abhängigkeit von Suchtmitteln geht. Dies mag ein Grund dafür sein, dass es in Kliniken eher wenige strukturierte Suchthilfeprogramme gibt.

Von Abhängigkeitserkrankungen ist die Berufsgruppe der Ärztinnen und Ärzte überproportional betroffen. Sie zeigt nicht nur im Bevölkerungsdurchschnitt, sondern auch unter den akademischen Berufen die größte Häufigkeit an Abhängigkeitserkrankungen. Deren Tabuisierung im Berufsalltag führt dazu, dass beispielsweise alkoholkranke Ärztinnen und Ärzte im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt rund zehn Jahre später zur Diagnose und Behandlung finden. Schätzungen zufolge ist die Häufigkeit von Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit, bei denen Verhaltensauffälligkeiten eher später einsetzen, unter Ärztinnen und Ärzten mit 20 bis 30 Prozent besonders hoch.

Frühzeitiges kollegiales Ansprechen wirkt

Schon bei beginnenden, für Dritte wahrnehmbaren Auffälligkeiten, wie Gereiztheit, Frust, erhöhter Zigaretten- oder Alkoholkonsum, ist die persönliche Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen erfolgreich. Allerdings erschwert die Sorge, betroffenen zusätzliche Schwierigkeiten zu bereiten und ihren Zustand durch das Gespräch eher zu verschlechtern, die erste Ansprache. Auch will man selbst nicht als Petzer oder gar Nestbeschmutzer dastehen, wenn Probleme erkennbar sind und man Sanktionen des Arbeitgebers vermutet. Es scheint einfacher, sich rauszuhalten.

Doch gerade das frühzeitige Ansprechen zeigt eine hohe Wirksamkeit. Auch wenn man bei Suchtproblemen von einem Gespräch keine Wunder erwarten darf, kann frühes Ansprechen meist vermeiden, dass der Zustand von Betroffenen sich verschlimmert. Betroffene messen einem Feedback aus dem Team im Nachhinein oft eine große Bedeutung zu. Retrospektiv betrachtet wünschen sie sich eine noch frühere Ansprache vom Kollegenteam. Ein kollegiales Gespräch gelingt, wenn man miteinander, nicht übereinander redet. Die Sorge um Betroffene selbst sollte immer im Vordergrund stehen, ausgehend von wahrgenommenen Veränderungen, die man konkret benennt.

Fürsorgepflicht der Arbeitgeber und Vorgesetzten

Wer sich Sorgen macht, sich aber aus seiner Rolle heraus nicht zutraut, das Thema selbst anzusprechen, kann sich vertraulich an betriebliche Ansprechpartner wenden. Meist sind nebenamtliche Suchtbeauftragte als Ansprechpersonen für Suchtfragen im Intranet benannt. Auch die Personalvertretungen können weiterhelfen. Betriebliche Unterstützungsangebote sind üblicherweise auf deren Intranetseite oder der der Personalabteilungen zu finden. Vorgesetzte müssen nach den in der Unfallverhütungsvorschrift geregelten Präventionsgrundsätzen aus Gründen der Fürsorgepflicht frühzeitig intervenieren, wenn Betroffene Auffälligkeiten zeigen, die Zweifel an deren Arbeitsfähigkeit zulassen. Wichtig ist dies auch, weil Schäden durch ein Fehlverhalten von Betroffenen im Zweifel auf Vorgesetzte zurückfallen können.

Als Auffälligkeiten im Arbeitsverhalten gelten zum Beispiel häufige Fehltage, oft entschuldigt als Kurzkrankheit durch Dritte, sich anhäufende Minusstunden bei flexibler Arbeitszeit, unentschuldigtes Fehlen, fehlerhafte Arbeitsergebnisse, aktive Phasen mit nachfolgendem deutlichen Leistungsabfall, zunehmende Unzuverlässigkeit sowie Fahrigkeit, Nervosität und Unkonzentriertheit. Im Gesundheits- und Sozialverhalten mehren sich nachlassende Eigenverantwortung, verminderte Kritikfähigkeit mit aggressiven Reaktionen, Rückzug, Schuldzuweisungen, Vermeiden von Blickkontakt und negatives Denken. Auch das äußere Erscheinungsbild verschlechtert sich.

Interventionsmöglichkeiten von Vorgesetzten

Folgende Gesprächsvarianten stehen Vorgesetzten als Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung:

  • Fürsorgegespräch: Anlass sind meist persönliche, soziale oder gesundheitliche Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Vorgesetzte führen es aus Sorge um die Entwicklung der Zusammenarbeit. Ein Fortsetzen des bemerkten Verhaltens kann zu einer Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten führen. Das vertrauliche Vieraugengespräch hat keinen Disziplinarcharakter und bedarf keiner Dokumentation.
  • Klärungsgespräch: Vorgesetzte führen es aus Sorge um die Entwicklung der Zusammenarbeit und anlassbezogen wegen wiederholter oder schwerwiegender Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten und erwarten eine positive Veränderung. Meist ist unklar, ob es einen Zusammenhang mit einem Suchtmittelgebrauch gibt. Ratsam ist, den Gesprächsanlass mit einer Zielvereinbarung für beide Seiten zu verschriftlichen sowie die Personalvertretung und -abteilung hinzuzuziehen.
  • Stufengespräch: In der Regel ist das ein vier- bis fünfstufiger Prozess, nachdem Betroffene arbeitsvertragliche oder dienstrechtliche Pflichten verletzt haben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem Suchtverhalten beruhen. Ziel ist sicherzustellen, dass Betroffene ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag erfüllen. Dabei ergänzen sich Hilfsangebote und Sanktionen. Die Gespräche finden nur im Rahmen betrieblich abgestimmter Suchthilfevereinbarungen statt. Einbezogen werden idealerweise nebenamtliche Ansprechpersonen für Suchtfragen, was eine niederschwellige Inanspruchnahme solcher Programme fördert.

Eine gute Vorbereitung solcher Gespräche ist hilfreich. Vorgesetzte sollten sich immer auf konkrete Ereignisse und Beobachtungen beziehen. Diagnosestellungen im Sinne von Sucht, Abhängigkeit oder Suchtmittelmissbrauch sollten Experten überlassen bleiben, auch um Stigmatisierung zu vermeiden. Die Ergebnisse sollten formuliert und dokumentiert werden.

Programme der Landesärztekammern

Anders als in anderen Berufsgruppen schließt eine floride unbehandelte Abhängigkeitserkrankung bei Ärztinnen und Ärzten die Berufsfähigkeit aus. Aus diesem Grund haben mittlerweile alle Landesärztekammern Unterstützungsprogramme für Suchtmittel missbrauchende oder abhängige Ärztinnen und Ärzte etabliert. In diese Programme sind die approbationserteilenden Behörden immer eingebunden. Dadurch entfalten die Programme einen hohen Handlungsdruck. Doch nach bisherigen Erfahrungen wirkt sich dieser therapeutisch durchaus günstig aus. Am Ende einer Interventionskette kann die Auflage, an einem solchen Programm teilzunehmen, eine Option sein.

Dtsch Arztebl 2022; 120(17): [2]

Die Autorin

Christiane Reuter-Herkner
Geschäftsführerin
indialogia GmbH
10407 Berlin

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