ATEM-RAUBEND WANDERN IM PÁRAMO

Nun bin ich also nach 4,5 Stunden Kamikaze-Fahrt wieder zurück in Sogamoso (2.570 m), was in der Sprache der Muisca „Stadt der Sonne“ bedeutet, die ganz passend in der Region Sugamuxi, also im „Tal der Sonne“, liegt. Es ist wirklich eine sehr schöne Hochebene, auf die man von den Bergen rund um den Lago de Tota (3.015 m) hinab fährt.

Trotz des wohlklingenden Namens hat die Stadt Sogamoso nur wenig zu bieten. Gut, dass ich um 14.45 Uhr gleich in den nächsten Kleinbus umsteigen kann, der mich zu meinem abseits gelegenen Ziel der Reise in das kleine Örtchen Monguí bringen wird. Zu meiner Freude zeigt sich die Bergregion von ihrer besten Seite mit blauem Himmel und Sonnenschein. Und so bin ich schon beim Aussteigen aus dem Bus am Marktplatz von Monguí regelrecht geflasht von diesem schönen Ambiente.

Dieses kleine Pueblo in den Bergen ist wirklich eine Augenweide! In dem 1601 gegründete Kolonialdörfchen ließen sich die Missionare der Franziskaner nieder, unschwer an dem beeindruckenden Convento de los Franciscanos mit der Basílica Meno Nuestra Señora de Monguí zu erkennen, die nebeneinander den Platz beherrschen. Auch das Rathaus ist ein stattliches Gebäude und zusammen mit den grün-rot-weißen Häuschen rundum, ist der Marktplatz von Monguí wirklich ein Bilderbuchmotiv.

Sogleich nutze die Gunst der Stunde, um ein paar fast menschenleere Fotos zu schießen. Auch in die Kirche und die Sakristei kann ich einen Blick werfen.

Ich kann mich gar nicht satt sehen an dem „weihnachtlichen“ Ambiente, hier die Capilla de San Antonio de Padua

und da führt die Escalera La Otra Vida in den Himmel hinein – Einfach herrlich!!

Rundum glücklich geselle ich mich zu den alten Señores, die auf dem kleinen Balkönchen der Bar el Balcón an der Plaza ihre Cerveza und den geruhsamen Nachmittag genießen.

Eine weitere Attraktion Monguís ist die heimische Fußball-Manufaktur, die eher durch einen Zufall enstanden ist. In den 30er Jahren diente ein Monguí-Bewohner beim kolumbianischen Militär und wurde in Brasilien inhaftiert. Im Gefängnis dort lernte er das Handwerk der Fußball-Herstellung und brachte es mit nach Hause. Noch immer beliefern die etwa 20 Fábricas de Balones de Fútbol hauptsächlich südamerikanische Länder mit handgefertigen Lederfußbällen. Aber zunehmend auch mit solchen aus Synthetik. In den Werkstätten – zumindest in deren Katakomben ich mich geschlichen habe – schaut es gelinde gesagt aus wie bei Hempel’s unterm Sofa 😊

Das Ball-Innenleben (1) wird entweder mit Synthetikmaterial beklebt (2) und vulkanisiert (3) oder bekommt eine aufwändig handgearbeitete Lederhülle (4).

Jetzt ist es schon 17 Uhr und es wird Zeit, dass ich mal Ausschau halte nach meinem Hostel. Das liegt am Ortsrand und ich muss erst über den hiesigen Fußballplatz stapfen. Die Hausherrin, Señora Eugenia, samt Mann, erwachsenem Sohn und Enkel erwarten mich im Kaminzimmer mit Ausblick. Natürlich wollen sie dies und das von mir wissen und anstandshalber frage ich dies und das zurück. Das ist und bleibt immer noch super anstrengend für mich. Irgendwann, nach einer Führung durch den Garten und ein paar Streicheleinheiten für die rote Katze, kann ich dann endlich in mein Zimmer einziehen. Welches Bettchen hätten sie denn gerne?

So alleine mit den vielen leeren Betten und ohne sonstige Deko fühle ich mich ja etwas „lost“. Aber, was soll’s, ich bin ja doch fast nur zum Schlafen hier. Für später hat mir die Mama natürlich schon ein warmes Essen offeriert und mich auf das traditionelle Zusammensitzen am Kamin bei einem Bierchen aufmerksam gemacht. Bei der Gelegenheit könne ich auch gleich die anderen – kolumbianischen – Gäste kennenlernen und wir könnten die morgige Páramo-Tour besprechen. Puh, welch ein Glück hatte ich schon im Vorfeld über WhatsApp mit Maria Kontakt aufgenommen, die hier als Frau Wanderungen durch den Páramo de Ocetá führt. Und noch mehr Glück! Für den morgigen Sonntag wird eine Tour zustande kommen.

Um der Vereinnahmung durch Señora Eugenia zu entgehen, mache ich mich gleich noch einem auf dem Weg ins Dörfchen, um in einem heimeligen italienischen Restaurant bei der – nächtens stimmungsvoll beleuchteten – Puente Real Calicanto zu speisen. Eigentlich stand auf der Karte Lasagne, aber sowohl optisch als auch geschmacklich kam es eher einer Ratatouille mit einem Blatt Nudelteig und mächtig viel Käse als Topping gleich.

Beim Heimkommen erwischen mich die anderen Gäste und meine Gastgeber dann doch noch und es bleibt mir nichts übrig, als höflich noch ein Bier in Gesellschaft vorm lodernden Kamin zu nippen. Nach nur 15 Minuten stinken meine Klamotten und Haare, als hätte man mich durch einen Aschekasten gezogen.

Dass meine Gastgeber zwar herzenslieb und fürsorglich, aber gleichzeitig etwas sonderbar und verschroben sind, zeigt sich nicht nur an dem verschachtelten Aufbau des Häuschens am Berghang mit schiefen Treppen und Türen, sondern auch an der Ausgestaltung der Frühstücksräumlichkeiten, die gleichzeitig auch Wohnzimmer der Familie sind. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, deshalb zur eigenen Einschätzung ein paar Fotos:

Höchst vorzüglich hingegen mundet die Infusíon mit eigenen Kräutern und auch das Frühstück ist okay. Bei den kolumbianischen Tischnachbarn steht schon am frühen Morgen das Mundwerk keine Sekunde still.

Das Wetter schaut tatsächlich optimal aus für meinen heutigen Wandertag. Gegen 8 Uhr treffen wir uns in Marias bescheidenem Office. Wir sind zu 8, eine überschaubare Gruppe mit sehr sympathischen Mitstreitern. Monguí liegt ja bereits auf einer Höhe von 2.940 m und werden weiter bis auf 3.850 m aufsteigen. Nachdem ich in diesen Höhen schon generell schlecht Luft bekomme, habe ich doch einen Heidenrespekt vor der Tour. Nur gut, dass wir die ersten 400 Höhenmeter dann schon mal mit dem Jeep zurücklegen und erst dort in den Wanderpfad einsteigen. Ich merke schnell, dass ich mit Maria die beste Wahl getroffen habe. Ihr Spanisch ist für mich recht gut zu verstehen. Sie geht beständig, aber langsam und macht immer wieder Pausen, um uns spannende und lehrreiche Geschichten von Volk der Muisca, von Flora und Fauna und vom Schutz dieses wichtigen Ökosystems zu erzählen. Das Páramo ist ein von Gletschern geschaffenes tropisches Ökosystem in Höhen von 3000 bis 5000 m. Die einzigartige Vegetation aus Torfmooren und Feuchtgebieten mit Büschen, Flechten, Farnen, Gräsern und Hochland-Kräutern gibt es nur in Südamerika – davon 60% in Kolumbien.

Der Blick in die Weite schaut zuerst vertraut aus – wie daheim in den Bergen. Aber links und rechts des Pfades wachsen so ganz andersartige Sträucher und Pflanzen.

Maria macht uns Mädels ein Pflanzen-Tattoo, so wie die Muisca-Frauen sich schon damit geschmückt haben.

Nach etwa einer Stunde des Staunens und Bewunderns erreichen wir die Caja del Rey, ein Felsentisch, den wir erklimmen dürfen.

Danach geht es für weitere 1,5 Stunden bergan mit herrlichen Aussichten bis …

Ja, bis die auffälligsten und wohl schönsten Pflanzen des Páramos in großer Zahl auftauchen: die besonderen Schopfrosetten oder Frailejones. So wie sie da stehen in Reih und Glied verwundert ihr Name „großer Mönch“ nicht sonderlich. Frailejones wachsen nur sehr, sehr langsam. 1 m Höhe entspricht einem Alter von sage und schreibe 100 Jahren!!

Die haarigen, kuschligen Blätter der Frailejones schimmern mal silbrig-grün, mal gold-gelb. Die unteren Blätter der Espeletia (lat.) vertrocknen und bleiben sozusagen als Mantel wärmend am Stamm zurück. Der Anblick zur Blütezeit mit einem Meer aus gelben Korblüten und dazwischen lila-blauen Lupinen muss ein Traum sein.

Inzwischen ziehen Wolken auf und ohne die Sonne wird es hier oben sehr schnell sehr frisch. Zwiebel-Look sei dank, bin ich für alle Wetterlagen gerüstet. Im Páramo fällt viel Regen und die Erde und Moore saugen das Wasser auf wie ein Schwamm. Deshalb ist der Páramo genau so wichtig für unser Ökosystem wie der tropische Regenwald.

Um 13 Uhr, nach 4 Stunden, erreichen wir den höchsten Punkt unserer Páramo-Tour auf 3.850 m. Geschafft! Atemraubend und atemberaubend! Ich bin auch ein bisschen erleichtert, dass es nicht noch weiter hinauf geht.

Nach dem Gipfelglück steigen im weiten Bogen bergab und klettern kreuz und quer durch ein großes Felsenlabyrinth. Nach Erklärungen von Maria ein mystischer Platz, der, genau wie die Caja del Rey, für die Muisca heilig war. Überhaupt lernen wir an diesem Tag mit Maria vieles über das naturnahe Wesen der Muisca.

Und es zeigt sich noch einmal die ganze Bandbreite der wilden Vegetation.

Die 900 Höhenmeter des Abstiegs haben es noch einmal in sich. Die Füße brennen auf den letzten Kilometern zurück nach Monguí, wo wir um 16 Uhr einlaufen. Wir sind alle überglücklich und höchst zufrieden mit der herausragenden Betreuung durch María. Für die 7-8 Stunden Tour verlangt Maria – man mag es gar nicht niederschreiben – 30.000 COP pro Person. Das sind ca. 7 € x 8 Teilnehmer ergibt 56 € Verdienst! Es ist und bleibt für mich unbegreiflich, warum Fernreisende nicht in der Lage sind, ein ansprechendes Trinkgeld draufzulegen. Ich war tatsächlich wieder die Einzige – selbst das sicher nicht verarmte Franzosen-Pärchen hat sich das Wechselgeld auszahlen lassen. Quo vadis, Menschheit?!

Maria geht anschließend sogar noch mit uns in eines der Lokale (traditionell ohne Ambiente). Unfassbar, diese Frau isst einen riesigen halben Gallino alleine!! Ich bleibe wieder fleischlos und probiere Patatas con patacones.

Noch mehr freue ich mich über die Wahl von Maria als Guide, als ich höre, dass die gehfaulen Kolumbianer aus dem Hostel sich soweit wie möglich haben hinauf fahren lassen und nur einige ebene Meter durch den Páramo gelustwandelt sind. Also, wieder alles richtig gemacht!

Aha, jetzt langsam macht sich bei mir auch wieder die Höhe bemerkbar. Ich bekomme zum Abend hin Kopfweh, die Nase ist zu und obwohl ich hundemüde bin, kann ich kaum schlafen. Erst nach einer ACE-Brause döse ich weg und wache überraschend gut ausgeruht auf. Der erwartete Muskelkater bleibt aus – mein Verwöhnpaket mit heißer Dusche, Magnesium und Wärmesalbe hat Wirkung gezeigt. Also mache ich mich noch einmal auf zu einer Abschiedstour durch das wunderschöne Monguí. Abgesehen von unzähligen streunenden Hunden sind die Gassen auch am Montag leer und die Bars und Geschäfte geschlossen.

Ein letzter Pulver-Kaffee (im Land des Kaffees!!) bei Señora Eugenia und weiter geht’s nach Villa de Leyva.

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